BT-Drucksache 15/5623

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3676, 15/3986, 15/4045, 15/5616- Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Tagesbetreuungsausbaugesetz - TAG)

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5623
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Klaus Haupt, Ina Lenke, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Ulrich
Heinrich, Birgit Homburger, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun
Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef
Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3676, 15/3986, 15/4045, 15/5616 –

Entwurf eines Gesetzes zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau
der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe
(Tagesbetreuungsausbaugesetz – TAG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Auf Bundes- wie auch Landesebene besteht Einvernehmen dahin gehend, dass
das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sich grundsätzlich seit seiner
Einführung 1991 bewährt hat. Dennoch hat sich in der Praxis Reformbedarf ge-
zeigt, der über die bisherigen Änderungen des SGB VIII hinausgeht. Insofern
ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung diesen Reformdruck aufgegriffen
hat. Kritisch zu bewerten ist aber die kurzfristig und unerwartet durchgesetzte
Teilung und teilweise Vertagung des ursprünglichen Entwurfs für ein Tagesbe-
treuungsgesetz durch die Regierungskoalition im Oktober 2004. Diese Teilung
diente dem Zweck, die die Tagesbetreuung für Kinder betreffenden Teile des
Gesetzentwurfs ohne Zustimmung des Bundesrates durchsetzen zu können.
Dieses gesetzestechnische Manöver führt nun dazu, dass innerhalb kürzester
Zeit eine zweite Revision des SGB VIII vorgenommen wird. Dies ist für dieje-
nigen, die für die Umsetzung des SGB VIII in der Praxis verantwortlich sind,
eine Belastung, die vermeidbar gewesen wäre.
Sowohl der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Entlastung der Kommunen im
sozialen Bereich (KEG) (Bundestagsdrucksache 15/4532) als auch der Entwurf
der Fraktion der SPD und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein
Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und

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Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) (Ausschussdrucksache 15(12)444)
zielen auf eine höhere Effektivität und Effizienz in der Kinder- und Jugend-
hilfe. Dies sind wichtige Reformziele, an denen sich jegliches Gesetz messen
lassen muss, insbesondere in Zeiten knapper Kassen. Die Steuerungsmöglich-
keiten und -wirkungen in der Kinder- und Jugendhilfe können und müssen ver-
bessert und unnötige Bürokratie abgebaut werden. Angesichts der angespann-
ten Finanzlage der Kommunen müssen auch einzelne Leistungen der Kinder-
und Jugendhilfe kritisch überprüft werden.
Wer jedoch in der Jugendhilfe sparen will, darf nicht vergessen, dass Ausgaben
für unsere Kinder und Jugendlichen Investitionen in die Zukunft unserer Ge-
sellschaft sind – und falsches Sparen an dieser Stelle schlimme Folgen haben
kann. Auf steigende Fallzahlen bei einzelnen Hilfearten kann die Politik nicht
einfach mit der Abschaffung der betreffenden Leistungen reagieren. Wenn Kin-
der und Eltern immer mehr tatsächlichen Unterstützungsbedarf haben, müssen
wir vielmehr nach den Ursachen dafür und nach besseren Lösungen fragen.
Wenn Jugendarbeit den heute sehr großen Anforderungen nicht gerecht werden
kann, trägt die negativen – auch finanziellen – Folgen die ganze Gesellschaft.
Außerdem ist im Blick zu behalten, dass die Kinder- und Jugendhilfe im Aus-
gabenblock des Sozialbudgets unseres Landes ohnehin keineswegs den ent-
scheidenden Anteil einnimmt. Der Anteil der Kinder- und Jugendhilfe an den
Ausgaben der Kommunalhaushalte ist auch nicht hauptsächlich für die insge-
samt schwierige Finanzsituation verantwortlich.
Das Ausgabevolumen in der Kinder- und Jugendhilfe ist aber grundsätzlich an-
gesichts der Finanzmisere der öffentlichen Haushalte zu Recht im Fokus von
Konsolidierungsansätzen. Die Haushaltslage gebietet es, dass alle kinder- und
jugendpolitisch verantwortbaren Einsparpotentiale durch Änderungen des SGB
VIII aktiviert werden. Hierbei dürfen aber die Kommunen nicht alleine gelas-
sen werden. Der Bund muss durch die Einführung des strikten Konnexitätsprin-
zips, wie es in dem Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion (Bundestags-
drucksache 15/3232) vorgeschlagen wird, in die Pflicht genommen werden, die
Finanzierungsverantwortung für die von ihm erlassenen Gesetzen im Kinder-
und Jugendhilfebereich zu übernehmen. Die Länder sind in der Pflicht, die von
dem Bund gezahlten Finanzmittel an die Kommunen zur Bewältigung der Auf-
gabe der Kinder- und Jugendhilfe bereitzustellen. Gleichzeitig sind aber auch
die Kommunen aufgefordert, noch stärker voneinander zu lernen. Sie sollten
vermehrt guten Beispielen einzelner Kommunen folgen, denen es schon heute
im Rahmen bestehender Gesetze besser als anderen gelingt, ihre Maßnahmen
effektiver und effizienter zu steuern. Die in der Diskussion und in der Erpro-
bung befindlichen neuen Finanzierungs-, Steuerungs- und Qualitätsentwick-
lungsmodelle für die Kinder- und Jugendhilfe müssen evaluiert und weiterent-
wickelt werden. Hier bestehen Chancen, in der Jugendhilfe an einigen Stellen
Mittel einzusparen, vor allem aber auch die Mittel zielgenauer und wirkungs-
voller einzusetzen.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugend-
hilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) enthält Neu-
regelungen, die einen richtigen Schritt zur Weiterentwicklung der Kinder- und
Jugendhilfe darstellen. Durch eine Stärkung der Steuerungskompetenzen der
Jugendämter, insbesondere durch die Einschränkung der Selbstbeschaffung von
Leistungen und die Beschränkung intensivpädagogischer Maßnahmen im Aus-
land auf Ausnahmen, werden Einsparmöglichkeiten für die Kommunen eröff-
net. Dies gilt ebenso für eine deutlichere Verankerung des Nachrangs der Ju-
gendhilfe durch eine angemessene Kostenbeteiligung von Eltern und die
Berücksichtigung des Kindergeldvorteils bei Leistungen, die den Unterhalt des
Kindes aus öffentlichen Kassen sichern. Gesetzesänderungen, die diese Ziele
umsetzen, sind daher zu begrüßen. Die Konkretisierung des Schutzauftrages
des Jugendamtes, die Klarstellung der Befugnisse bei Inobhutnahme sowie die

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5623

verschärfte Prüfung von Personen mit bestimmten Vorstrafen im Hinblick auf
ihren Einsatz in der Kinder- und Jugendhilfe sollen den Schutz von Kindern
und Jugendlichen verbessern. Entsprechende Neuregelungen sind zu begrüßen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l die kritische Überprüfung und Weiterentwicklung des Achten Buchs Sozial-

gesetzbuch fortzuführen. Dabei sollte besonders das Verhältnis zwischen
notwendiger bundeseinheitlicher Regelung und sinnvollen länderspezifi-
schen Gestaltungsspielräumen beleuchtet werden. Die konkurrierende Ge-
setzgebung hat sich grundsätzlich für die Kinder- und Jugendhilfe bewährt
zum Nutzen von Kindern und Eltern. Das KJHG gewinnt gerade mit Blick
auf die Chancengerechtigkeit für Kinder und Jugendliche und die Zukunfts-
fähigkeit in Deutschland an Bedeutung. Bundeseinheitlich festgelegte Leis-
tungen des KJHG sichern gleichwertige Lebensverhältnisse, insbesondere
Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern, und unterstützen die rei-
bungslose Mobilität von Familien. Gerade die Anwendung des Subsidiari-
tätsprinzips und die gewollte Angebotsvielfalt erfordern im Gegenzug eine
Festlegung von gemeinsamen Zielen und Mindeststandards. Aber der Weg
zur Zielerreichung und gegebenenfalls eine bewusste Standardüberschrei-
tung sollen den Ländern frei bleiben. Die Länder haben bereits heute Gestal-
tungsspielräume innerhalb des bundesrechtlichen Rahmens des SGB VIII.
Allerdings können und müssen diese Spielräume vergrößert werden, indem
der Bund sich noch stärker auf die Festlegung der Ziele und Standards, das
WAS, beschränkt, die Ausgestaltung, das WIE, aber den Ländern und Kom-
munen überlässt, damit den Erfordernissen vor Ort Rechnung getragen wer-
den kann;

l sicherzustellen, dass Regelungen zur Kindertagespflege stets angemessene
Lösungen bieten im Spannungsfeld zwischen unverzichtbarem Streben nach
dem Schutz des Kindes einerseits und Streben nach elterngerechten, unbüro-
kratischen Regelungen andererseits. Ein genereller Erlaubnisvorbehalt für
jedes einzelne Tagespflegeverhältnis wäre zu weit reichend und ginge an den
realen Erfordernissen vorbei. Wichtig und richtig ist, dass die nach § 23 vom
Jugendamt vermittelten Tagespflegepersonen stets einer Eignungsprüfung
unterliegen sollen und dass mit der Feststellung der Eignung gleichzeitig un-
bürokratisch der Erlaubnisvorbehalt erfüllt wird. Die Tagespflege braucht
eine Qualitätssicherung und -prüfung, und deren Dokumentation kann für
die Eltern eine wichtige Entscheidungshilfe bei der Auswahl der richtigen
Tagespflegeperson sein. Aber es darf nicht so sein, dass zu streng gefasste
Erlaubnisvorbehalte für die Tagespflege eine Nachbarschaftshilfe unmög-
lich machen oder Tagespflegepersonen in die Schwarzarbeit drängen. Das
Wohl des Kindes hat auch in der Tagespflege oberste Priorität. Es ist davon
auszugehen, dass der weit überwiegende Teil der Eltern dies selbst bei der
Auswahl von Tagespflegpersonen sehr gut im Blick hat und realisiert;

l dasWunsch- undWahlrecht der Leistungsberechtigten nach § 5 Abs. 2 SGBVIII
so zu konkretisieren, dass klarere, vertretbare Grenzen für Mehrkosten bei
alternativen Angeboten gesetzt werden. Dabei darf das Prinzip der Wunsch-
und Wahlfreiheit nicht ausgehöhlt werden. Eine Einschränkung dieses
Rechts auf absolut kostengleiche oder kostengünstigere Maßnahmen wäre
daher abzulehnen. Allerdings erweist sich der unbestimmte Rechtsbegriff
„unverhältnismäßig“ in der Tat teilweise als problematisch und engere Gren-
zen scheinen sinnvoll;

l zu überprüfen, in welcher Form im SGB VIII gegebenenfalls Formen des
Beschwerdemanagements in der Kinder- und Jugendhilfe verankert werden
sollten. Insbesondere bei den erzieherischen Hilfen könnten ausdrückliche

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Regelungen, auf die die Adressatinnen und Adressaten im Konfliktfall zu-
rückgreifen können, hilfreich sein;

l gegebenenfalls durch eine Änderung des § 1666 BGB sicherzustellen, dass
der neu formulierte Schutzauftrag des Jugendamtes mit korrespondierenden
Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs in Einklang steht, so dass ein
verbesserter Schutz des Kindeswohls auch tatsächlich erreicht werden kann.

Berlin, den 1. Juni 2005
Klaus Haupt
Ina Lenke
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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