BT-Drucksache 15/5586

Car-Sharing als innovative Verkehrsdienstleistung im Umweltverbund fördern

Vom 1. Juni 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5586
15. Wahlperiode 01. 06. 2005

Antrag
der Abgeordneten Sören Bartol, Ludwig Stiegler, Uwe Beckmeyer, Petra Bierwirth,
Gerd Friedrich Bollmann, Hans-Günter Bruckmann, Marco Bülow, Dr. Peter
Danckert, Martina Eickhoff, Annette Faße, Rainer Fornahl, Gabriele Groneberg,
Renate Jäger, Ulrich Kelber, Astrid Klug, Ernst Kranz, Horst Kubatschka, Ute
Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Dr. Christine Lucyga, Ulrike Mehl, Heinz Paula,
Karin Rehbock-Zureich, René Röspel, Siegfried Scheffler, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Heinz Schmitt (Landau), Dr. Angelica Schwall-Düren, Wolfgang
Spanier, Jörg Vogelsänger, Petra Weis, Reinhard Weis (Stendal), Dr. Ernst Ulrich
von Weizsäcker, Dr. Margrit Wetzel, Heidi Wright, Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Albert Schmidt (Ingolstadt), Volker Beck (Köln),
Cornelia Behm, Birgitt Bender, Grietje Bettin, Franziska Eichstädt-Bohlig,
Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Michaele
Hustedt, Undine Kurth (Quedlinburg), Dr. Reinhard Loske, Friedrich Ostendorff,
Rainder Steenblock, Dr. Antje Vogel-Sperl, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Car-Sharing als innovative Verkehrsdienstleistung im Umweltverbund fördern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Car-Sharing, die organisierte gemeinschaftliche Autonutzung, ist eine junge
Verkehrsdienstleistung, die in den vergangenen Jahren in Deutschland immer
mehr Kunden gefunden hat. Car-Sharing unterscheidet sich von Mietwagenan-
geboten durch ein dezentrales Stationsnetz in Wohnortnähe und durch die Mög-
lichkeit, Fahrzeuge innerhalb einer rahmenvertraglichen Bindung selbstständig
rund um die Uhr ab einer Stunde Mietzeit auszuleihen. Neben dem Zeittarif, der
stunden-, tage- oder wochenweise anfällt, gibt es einen Kilometertarif, der die
Kraftstoffkosten mit einschließt, so dass nicht nach jeder Anmietung getankt
werden muss. Somit kann Car-Sharing auch stundenweise für bestimmte Wege
in die alltägliche Mobilität integriert werden. Auch Unternehmen können mit
Car-Sharing auf einen flexiblen Fuhrpark zugreifen, für den überwiegend
nutzungsabhängige Kosten anfallen. Insbesondere Start-up-Unternehmen im
Dienstleistungsbereich können damit die Mobilitätskosten für ihr Unternehmen
begrenzen.
Car-Sharing führt zu geringeren persönlichen Fahrleistungen als bei eigenem
Autobesitz, denn Car-Sharing-Kunden legen viele Wege mit dem Umweltver-
bund aus ÖPNV, Fahrrad oder zu Fuß zurück. Insbesondere trägt Car-Sharing
wesentlich dazu bei, eine Lücke zwischen den bisherigen Verkehrsmitteln des

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Umweltverbundes zu schließen, die immer öfter dazu führt, dass ein privater
Pkw angeschafft wird. Car-Sharing-Unternehmen können sich daher im Unter-
schied zu Mietwagenfirmen nach dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel weil
umweltschonende Verkehrsdienstleistung“ zertifizieren lassen. Car-Sharing för-
dert eine sozial- und umweltverträgliche Nahmobilität nach dem Leitbild „Stadt
der kurzen Wege“, stärkt den Öffentlichen Nahverkehr und entlastet den öffent-
lichen Verkehrsraum von Städten und Ballungsräumen. Mit diesen Merkmalen
erhält der Umweltverbund durch Car-Sharing als vierter Säule eine sinnvolle Er-
gänzung. Car-Sharing vermindert den motorisierten Individualverkehr (MIV),
ermöglicht aber gleichzeitig flexible Mobilität mit dem Auto. Davon können
auch Personen profitieren, die sich kein eigenes Auto leisten können.
Car-Sharing leistet einen wichtigen Beitrag für Umwelt und Lebensqualität
durch Verringerung des Energieverbrauchs, von Luftschadstoffen, Lärm und
Flächenverbrauch. Es ist damit in vielen Orten als innovative Verkehrsdienst-
leistung bereits zu einem wichtigen Bestandteil einer nachhaltigen, integrierten
Verkehrspolitik geworden.
Insbesondere in hoch belasteten Städten bietet Car-Sharing zudem einen Beitrag
zur Minderung der Feinstaub-Belastung. Ein Modellversuch mit Car-Sharing-
Stationen („Mobilpunkte“) im öffentlichen Straßenraum in Bremen, der seit
April 2003 läuft, hat ergeben, dass etwa 95 Fahrzeuge durch zehn Car-Sharing-
Fahrzeuge im Umfeld der Mobilpunkte ersetzt bzw. nicht angeschafft worden
sind. Gerade in Stadtquartieren mit hohem Parkdruck schaffen Car-Sharing-
Stationen im öffentlichen Straßenraum daher unter dem Strich Entlastung bei
der Parkplatzsituation und ermöglichen einen Rückgang des Parksuchverkehrs.
Daher hat das Land Bremen die Förderung von Car-Sharing als eine Maßnahme
in seinem Luftreinhalteplan benannt, um die Feinstaub-Belastung zu senken.
Car-Sharing hat sich in den vergangenen Jahren zu einer wichtigen Ergänzung
des öffentlichen Personennahverkehrs entwickelt. Im Jahr 2004 konnten 76 000
Kunden in über 250 Städten auf rund 2 500 Autos an 1 250 Car-Sharing-Sta-
tionen zugreifen. Das Potenzial von Car-Sharing ist in Deutschland – wie alle
Untersuchungen der letzten Jahre belegen – aber viel höher. Potenzielle Kunden
sind vor allem Autofahrer, die weniger als 10 000 km im Jahr fahren und in
Ballungsräumen mit attraktivem ÖPNV-Angebot leben. Dass Car-Sharing sich
für diesen Personenkreis lohnt, hat 2004 auch die Stiftung Warentest bestätigt.
Die Mehrzahl der geprüften Angebote erhielt die Gesamtnote „gut“.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sieht daher in Car-Sharing
einenMobilitätsbaustein, der dem ÖPNV nutzt, und empfiehlt seinenMitglieds-
unternehmen, Kooperationen mit Car-Sharing-Unternehmen einzugehen. Dies
wird z. B. in Bremen, Hamburg, Dresden, Frankfurt und München schon erfolg-
reich praktiziert. Die Deutsche Bahn AG bietet mit DB Carsharing seit 2003 in
Kooperation mit lokalen Car-Sharing-Unternehmen in zahlreichen deutschen
Städten Car-Sharing als Bestandteil einer Reisekette von Tür-zu-Tür an.
Der Markt für innovative Verkehrsdienstleistungen kann eine tragende Rolle in
der intermodalen, nachhaltigen Mobilität der Zukunft übernehmen. Dieser
Markt ist eng verknüpft mit neuen Informations- und Telekommunikationstech-
nologien und -dienstleistungen, die viele der erforderlichen flexiblen Angebote
erst möglich machen. So werden die meisten Car-Sharing-Fahrzeuge heute mit
berührungslosen Chipkarten geöffnet. Der Schlüssel befindet sich im Fahrzeug.
Internet-Reservierungen sind Standard.
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben im Koalitionsvertrag 2002 be-
schlossen: „Die Entwicklung innovativer Verkehrsdienstleistungen werden wir
weiter unterstützen.“ Das größte Problem für das weitereWachstum dieser inno-
vativen Verkehrsdienstleistung liegt in der bisherigen Restriktion, dass Car-
Sharing-Stationen nicht auf Stellplätzen im öffentlichen Straßenraum eröffnet

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werden können. Stellplätze an attraktiven Orten im öffentlichen Straßenraum
mit optimaler Anbindung an den ÖPNV anbieten zu können, ist die wichtigste
Voraussetzung für ein funktionierendes Car-Sharing-Angebot. Die Niederlande,
Belgien, Italien und Großbritannien haben diese Möglichkeit vor Jahren ge-
schaffen und Car-Sharing damit wichtigeWachstumsimpulse verliehen. Zur Un-
terscheidung von anderen Mietwagenangeboten, die keine Stellplätze zugewie-
sen bekommen, dient in den Niederlanden ein Qualitätssiegel, das vergleichbar
ist mit dem „Blauen Umweltengel“.
Als Teil eines erweiterten öffentlichen Verkehrssystems sollte Car-Sharing ge-
nauso behandelt werden wie der Taxi-Verkehr, für den extra gekennzeichnete
Stellplätze zur Verfügung gestellt werden können. Die Car-Sharing-Unterneh-
men sind bereit, dafür eine angemessene Gebühr an die jeweilige Kommune zu
bezahlen. Stellplätze, die keiner Parkraumbewirtschaftung unterliegen, erzeu-
gen damit sogar einen direkten finanziellen Nutzen für die kommunalen Haus-
halte. Um das hohe Potenzial von Car-Sharing zu realisieren, bedarf es daher
verstärkter, zielgerichteter Anstrengungen auf allen Ebenen. Der Zugang zu
Car-Sharing-Angeboten muss erleichtert werden, um breitere Kundenkreise zu
erschließen.
Die Schnittstellen mit anderen Verkehrsmitteln sind zu optimieren, um eine in-
dividuell zugeschnittene, integrierte Verkehrsdienstleistung zu schaffen. Nur mit
einem übergreifenden Angebot „aus einer Hand“ lassen sich größere Kunden-
potenziale sowohl für Car-Sharing als auch für den Öffentlichen Nahverkehr
gewinnen.
Kooperationen von Car-Sharing-Anbietern untereinander und mit Nahverkehrs-
unternehmen durch Kombitickets, gemeinsame Servicestellen für Auskunft und
Buchungen und Mobilitätspunkte sind ein sinnvoller Ansatz, um beide Ver-
kehrsmittel attraktiver zum machen. Insbesondere ein dichtes Stationsnetz, das
einen wohnortnahen Zugang ebenso ermöglicht wie die Anbindung an öffent-
liche Verkehrsmittel, ist eine entscheidende Erfolgsbedingung für Car-Sharing.
Bund, Länder und Kommunen haben die Möglichkeit, durch eine Car-Sharing-
freundliche Politik günstige Rahmenbedingungen zu schaffen und Car-Sharing
als vierte Säule des Umweltverbundes und Bestandteil einer integrierten, auf
Nachhaltigkeit ausgerichteten verkehrspolitischen Strategie gezielt zu fördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l das Ziel einer Schaffung eines dichten Car-Sharing-Stationsnetzes mit

wohnortnahem Zugang und an Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs zu
unterstützen und gemeinsam mit den Ländern durch eine Änderung des
Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung eine Einrichtung
von reservierten Car-Sharing-Stellplätzen im öffentlichen Verkehrsraum zu
ermöglichen,

l mit den Ländern zu prüfen, ob im Rahmen der Förderung von Umsteigepark-
plätzen zur Verringerung des motorisierten Individualverkehrs nach § 2
Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe f des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes auch
die Einrichtung von Car-Sharing-Stellplätzen gefördert werden kann,

l zu prüfen, wie ein verstärktes bundesweites Marketing und die Schaffung
bundesweit einheitlicher Standards bei Auskunft, Buchung, Zugang und Ab-
rechnung mit dem Ziel gefördert werden können, Car-Sharing-Kunden eine
kundenfreundliche, bundesweit einheitliche Benutzeroberfläche bieten zu
können,

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l die Forschung im Bereich innovativerMobilitätskonzepte insbesondere unter
Berücksichtigung des Car-Sharings als eines integrierten Bestandteils eines
nachhaltigen Mobilitätssystems zu intensivieren.

Berlin, den 1. Juni 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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