BT-Drucksache 15/55

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Arbeitnehmerüberlassung

Vom 13. November 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/55
15. Wahlperiode 13. 11. 2002

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dirk Niebel, Rainer Brüderle, Gudrun Kopp, Daniel Bahr
(Münster), Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Christoph Hartmann
(Homburg), Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Marita Sehn, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Arbeitnehmerüberlassung

A. Problem
Zeitarbeit in Deutschland ist ein wirkungsvolles und effizientes Instrument zur
Eingliederung arbeitsloser Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Personal-
serviceagenturen (PSA), die Arbeitslose nach einer spürbaren Flexibilisierung
des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in neue Jobs vermitteln, sind das Herz-
stück der Reformvorschläge der Hartz-Kommission. Die Bundesregierung hat
versprochen, das Hartz-Konzept eins zu eins umzusetzen. Deshalb ist das Ar-
beitnehmerüberlassungsgesetz von überflüssigen und bürokratischen Vorschrif-
ten zu befreien, um im Interesse einer intensiveren Nutzung des Instruments der
Arbeitnehmerüberlassung einen flexiblen Arbeitskräfteeinsatz zu erreichen, um
die Arbeitslosigkeit nachhaltig abzubauen.

B. Lösung
1. Erlaubnisfreiheit der Arbeitnehmerüberlassung für Arbeitsgemeinschaften

zwischen Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftszweige und mit unter-
schiedlichen Tarifverträgen.

2. Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe wird aufgehoben.
3. Die zulässige Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an den-

selben Entleiher wird von 12 auf 36 Monate erweitert.
4. Streichung des Tarifvertragsvorbehalts für die erlaubnisfreie Arbeitnehmer-

überlassung zwischen Arbeitgebern desselben Wirtschaftszweiges zur Ver-
meidung von Kurzarbeit und Entlassungen.

Drucksache 15/55 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

5. Das Verbot, die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer
und Verleiher auf die Dauer der erstmaligen Überlassung an einen Entleiher
zu beschränken, wird aufgehoben.

6. Die Beschränkung für befristete Arbeitsverträge zwischen Leiharbeitneh-
mer und Verleiher wird abgeschafft.

7. Das Verbot, einem gekündigten Leiharbeitnehmer nicht vor Ablauf einer
Frist von drei Monaten erneut einzustellen, wird abgeschafft.

8. Die schriftliche Anzeigepflicht eines Arbeitgebers mit weniger als 50 Be-
schäftigen, der zur Vermeidung von Kurzarbeit oder Entlassungen einen
Arbeitnehmer an einen Arbeitgeber bis zu 36 Monate überlässt, wird abge-
schafft.

9. Die Verpflichtung nach Ablauf des 12. Monats der Überlassung dem Zeit-
arbeitnehmer die im Entleihbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer des
Entleihers geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsent-
gelts zu gewähren, wird gestrichen.

10. Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung wird durch eine Klarstellung
erleichtert und entbürokratisiert.

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
1. Haushaltsausgaben ohne Vollzugsaufwand
Infolge der Erleichterung der Arbeitnehmerüberlassung werden zusätzliche
Einstellungen von Leiharbeitnehmern erwartet, damit kommt es tendenziell zu
Minderausgaben bei der Bundesanstalt für Arbeit und beim Bund (Arbeits-
losenhilfe).
2. Vollzugsaufwand
Der Aufwand der Bundesanstalt für Arbeit für die Überwachung der Verleiher-
laubnisinhaber verringert sich geringfügig, weil die von den Verleihern einzu-
haltenden Beschränkungen verringert werden.

E. Sonstige Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/55

Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Arbeitnehmerüberlassung

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
Das Gesetz zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeit-

nehmerüberlassung (Arbeitnehmerüberlassungsgesetz –
AÜG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Februar
1995 (BGBl. I S. 158), zuletzt geändert durch das Gesetz
zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des
Arbeitsgerichtsgesetzes vom …, wird wie folgt geändert:
1. In § 1 Abs. 1 wird Satz 2 folgendermaßen neu gefasst:

„Die Abordnung von Arbeitnehmern zu einer zur Her-
stellung eines Werkes gebildeten Arbeitsgemeinschaft
ist keine Arbeitnehmerüberlassung.“

2. § 1b wird gestrichen.
3. In § 1 Abs. 2 wird die Angabe „zwölf“ durch die Angabe

„36“ ersetzt.
4. In § 1 Abs. 3 wird Nummer 1 folgendermaßen neu ge-

fasst:
„1. Zwischen Arbeitgebern desselben Wirtschaftszwei-

ges zur Vermeidung von Kurzarbeit und Entlassun-
gen,“.

5. § 3 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) Die Nummern 3, 4 und 5 werden aufgehoben.
b) In Nummer 6 wird die Angabe „24“ durch die An-

gabe „36“ ersetzt.
6. § 1a wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird wie folgt neu gefasst:

„Keiner Erlaubnis bedarf ein Arbeitgeber mit weni-
ger als 50 Beschäftigten, der zur Vermeidung von
Kurzarbeit oder Entlassungen an einen Arbeitgeber
einen Arbeitnehmer bis zur Dauer von 36 Monaten
überlässt.“

b) Absatz 2 wird gestrichen.
7. In § 1 Abs. 3 Nr. 2 wird das Wort „vorübergehend“ ge-

strichen.
8. § 9 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

Die Nummern 2 und 3 werden gestrichen.
9. § 10 Abs. 5 wird gestrichen.
10. In § 16 Abs. 1 wird Nummer 9 wie folgt geändert:

Die Angabe „24“ wird durch die Angabe „36“ ersetzt.
11. Nach § 19 wird folgender § 20 angefügt:

㤠20
Übergangsvorschrift für vor dem

(Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes)
abgeschlossene Leiharbeitsverträge

Für vor dem (Datum des Inkrafttretens dieses Gesetzes)
abgeschlossene Leiharbeitsverträge zwischen Verleiher und
Leiharbeitnehmer gelten die bis zum Inkrafttreten dieses
Gesetzes geltenden Vorschriften über die Zulässigkeit von
befristeten Leiharbeitsverhältnissen weiter.“

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 12. November 2002
Dirk Niebel
Rainer Brüderle
Gudrun Kopp
Daniel Bahr (Münster)
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann (Homburg)
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Marita Sehn
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr.WolfgangGerhardt und Fraktion

Drucksache 15/55 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines
Die Strukturen der Arbeitswelt haben sich in den letzten
Jahren grundlegend geändert. Neben den unbefristeten Ar-
beitsverhältnissen haben sich kontinuierlich andere, flexible
Beschäftigungsformen entwickelt und etabliert. Neben Teil-
zeit, geringfügiger Beschäftigung und den befristeten Ar-
beitsverhältnissen erweist sich zunehmend die Arbeitneh-
merüberlassung in Zeiten hoher struktureller Arbeitslosig-
keit als effizientes Instrument für mehr Beschäftigung. Dies
beweisen die Wachstumszahlen innerhalb der Zeitarbeits-
branche sowie die positiven Auswirkungen auf die Arbeits-
marktsituation. Die Hartz-Kommission hat ihre Vorschläge
zur Stärkung der Leiharbeit auf diese empirischen Erkennt-
nisse aufgebaut.
Die Branche Arbeitnehmerüberlassung wächst seit Jahren
kontinuierlich. Während 1990 lediglich 2 100 Unternehmen
existierten, waren es im Jahre 2000 schon 3 811. In den letz-
ten fünf Jahren waren 910 000 Leiharbeitnehmer in dieser
Branche beschäftigt, davon alleine 283 243 im vergangenen
Jahr. Insgesamt hat die Gesamtbranche der Zeitarbeit im
Jahr 2000 eine halbe Million (500 500) Mitarbeiter neu ein-
gestellt. Mehr als die Hälfte (314 000) der neu eingestellten
Zeitarbeitnehmer war vorher nicht unmittelbar beschäftigt.
236 000 Arbeitnehmer haben nach ihrer Anstellung bei
Zeitarbeitsfirmen einen dauerhaften Arbeitsplatz bei ande-
ren Unternehmen gefunden.
Zeitarbeit stellt damit ein in hohem Maße beschäftigungs-
wirksames und flexibles Arbeitsmarktinstrument dar. Mit
einer Deregulierung der bislang noch engen gesetzlichen
Voraussetzungen für Zeitarbeit wird sich ein weiterer Abbau
der Zahl der Überstunden erreichen lassen. Außerdem
könnten deutlich spürbare Arbeitsmarktwirkungen erzielt
werden. Ein Blick in die USA, das Vereinigte Königreich
oder die Niederlande zeigt, dass das derzeitige Volumen von
Zeitarbeit in Deutschland noch erheblich ausgeweitet wer-
den kann. So ist der Beschäftigungsanteil der in Zeitarbeit
beschäftigten Arbeitnehmer 1998 in den USA mehr als drei-
mal, im Vereinigten Königreich sechsmal und in den Nie-
derlanden sogar fast siebenmal so hoch wie in Deutschland.
Dies liegt im Wesentlichen daran, dass Arbeitnehmerüber-
lassung in Deutschland vielen Restriktionen unterliegt, die
ihren Einsatz in erheblichem Maße beschränkt. So ist es bis
heute verboten, einen Arbeitnehmer länger als 12 Monate
zu „entleihen“. Ferner ist es untersagt, das Arbeitsverhältnis
zwischen Verleiher und Arbeitnehmer auf die Dauer des
ersten Einsatzes zu befristen sowie mit ihm wiederholt be-
fristete Arbeitsverträge zu schließen.
Zeitarbeit ist ein wichtiges, volkswirtschaftliches Flexibili-
tätselement. Unternehmen können Arbeitsausfälle, die auf-
grund von Betriebsstörungen entstanden sind, schnell und
effizient nachholen. Auftragsspitzen können unverzüglich,
ohne den Einsatz von Überstunden, abgearbeitet werden so-
wie Ausfallzeiten, die durch Erziehungsurlaub, Krankheit,
Urlaub, Wehr- oder Zivildienst anfallen, ausgeglichen wer-
den.
Von besonderer Relevanz ist Zeitarbeit für Langzeitarbeits-
lose, ältere und/oder geringqualifizierte Arbeitnehmer so-

wie Frauen. Indem jenen eine Beschäftigungs- und
Qualifikationsperspektive eröffnet wird, steigen ihre Chan-
cen wieder oder erstmalig auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fas-
sen. Kein anderes arbeitsmarktpolitisches Instrument weist
eine solche hohe Integretationsfähigkeit von Langzeitar-
beitslosen in den ersten Arbeitsmarkt auf. Die Zeitarbeit ist
daher als wirksame Integrationsform für Arbeitslose von
entscheidender Bedeutung für den deutschen Arbeitsmarkt.
Aus diesen Gründen hat sich die erlaubte gewerbsmäßige
Arbeitnehmerüberlassung unter der Aufsicht der Dienststel-
len der Bundesanstalt für Arbeit und im Rahmen des Arbeit-
nehmerüberlassungsgesetzes als unverzichtbares Instrument
eines Arbeitsmarktes etabliert, das geeignet ist, rasch und
wirkungsvoll auf schwankenden und unverzüglich zu be-
friedigenden Arbeitskräftebedarf zu reagieren.
Früher für notwendig gehaltene Beschränkungen der Nut-
zung von Arbeitnehmerüberlassung oder zwingende Be-
stimmungen für das Leiharbeitsverhältnis werden daher im
Interesse einer noch häufigeren Nutzung der gewerbsmäßi-
gen Arbeitnehmerüberlassung gelockert oder aufgehoben,
zumal aus der Lockerung oder Aufhebung soziale Nachteile
für Leiharbeitnehmer nicht zu erwarten sind. Bei der erwei-
terten Zulassung befristeter Arbeitsverträge wird der ar-
beitsrechtliche Besitzstand der Arbeitnehmer, die bereits in
einem Leiharbeitsverhältnis stehen oder bereits vereinbart
haben, durch eine Übergangsvorschrift erhalten.
Um sowohl dem wachsenden Bedürfnis nach mehr Flexibi-
lisierung zu entsprechen als auch der strukturellen Arbeits-
losigkeit in Deutschland konstruktiv und nachhaltig begeg-
nen zu können, ist eine Reform des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes dringend erforderlich.

B. Einzelbegründung
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1
Die als Arbeitnehmerschutznorm konzipierte Vorschrift des
§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG wirkt sich letztlich beschäftigungs-
feindlich aus. Die Voraussetzung der Erlaubnisfreiheit der
Arbeitnehmerüberlassung in die von Beschäftigten zweier
Unternehmen gebildete Arbeitsgemeinschaft nach § 1
Abs. 1 Satz 2 AÜG, wonach für alle Mitglieder der Arbeits-
gemeinschaft Tarifverträge desselben Wirtschaftszweiges
gelten sollen, ist zu eng. Dadurch werden praktisch Arbeits-
gemeinschaften zwischen Unternehmen unterschiedlicher
Wirtschaftszweige gleichermaßen ausgeschlossen, wie Ar-
beitsgemeinschaften zwischen tarifgebundenen und nicht
tarifgebundenen Unternehmen. Für solche Arbeitsgemein-
schaften besteht aber ein erheblicher Bedarf in der Wirt-
schaft. Auch die weitere Voraussetzung, dass alle Mitglieder
der Arbeitsgemeinschaft zur selbständigen Erbringung von
Vertragsleistungen verpflichtet sein müssen, ist überholt, da
hierdurch das Kriterium eines Werkvertrages eingeführt
wird. Für eine mittelfristige Projektarbeit ist es erforderlich,
dass Unternehmen unterschiedlicher Wirtschaftszweige in

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/55

einer Arbeitsgemeinschaft zusammenarbeiten können, ohne
dass die Einzelarbeitsbeiträge der verschiedenen Unterneh-
men an diesen Kriterien gemessen werden. Die Abgrenzung
nach Kriterien des Werkvertrages ist auch nicht zielführend,
da die Mitarbeiter der Unternehmen der Arbeitsgemein-
schaft durch intensive Zusammenarbeit gemeinsam ein Er-
gebnis erarbeiten sollen. Zudem ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG
nicht vereinbar mit dem europäischen Recht. Der Euro-
päische Gerichtshof hat mit Urteil vom 25. Oktober 2001
(C 493/99) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland
gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 und 49 EG-Vertrag)
verstoßen hat, indem sie gesetzlich festgelegt hat, dass in
anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunternehmen
im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft auf dem deutschen
Markt nur dann grenzüberschreitende Dienstleistungen er-
bringen können, wenn sie über einen Sitz oder zumindest
über eine Niederlassung in Deutschland verfügen, die eige-
nes Personal beschäftigen und für dieses Personal einen Fir-
mentarifvertrag abschließen.

Zu Nummer 2
Schon Anfang der 90er Jahre haben gerade die Sonderrege-
lungen für Arbeitsmigranten aus den Reformstaaten Mittel-
und Osteuropas in der Bauwirtschaft – die sog. Werkver-
tragskontingente – die Frage aufgeworfen, inwieweit nicht
das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung zu illegalen Prak-
tiken an deutschen Baustellen beigetragen hat, weil die Op-
tion der Zeitarbeit nicht bestand und daher stattdessen über
Werkverträge unter dem Schutz der Kontingente als Zeitar-
beitssubstitute faktisch illegale Arbeitnehmerüberlassung
betrieben wurde.
Schon seinerzeit wurde diskutiert, zur Beseitigung dieser
Fehlsteuerung die gewerbliche Zeitarbeit auch im Bauge-
werbe zuzulassen. Dieser Beitrag zur wettbewerbskonfor-
men Ordnung auf den Baustellen hätte im Gegensatz zu den
stattdessen erlassenen Regelungen zur Entsenderichtlinie
und der Allgemeinverbindlicherklärung und Anhebung der
Mindestlöhne in der Bauindustrie keine schwerwiegenden
ordnungspolitischen Bedenken hervorgerufen. Es ist nicht
ersichtlich, warum dem Baugewerbe ein personalwirtschaft-
liches Instrument verwehrt werden sollte, das allen anderen
Branchen zur Verfügung steht und das sogar zwischen ein-
zelnen Unternehmen des Baugewerbes gestattet ist. Die
Zeitarbeit im Baugewerbe ist bis 1981 schon einmal mög-
lich gewesen. Die Einführung des Verbots wurde mit der
Gefährdung der sozialen Sicherheit durch Zeitarbeit begrün-
det. Nachdem inzwischen nach mehreren Liberalisierungs-
schritten die Sozialverträglichkeit der Zeitarbeit deutlich ge-
worden ist und sich die diesbezüglichen Befürchtungen
nicht bestätigt haben, wird daher auch das Verbot der Zeit-
arbeit im Baugewerbe aufgehoben.
Dies ist auch deswegen unerlässlich, weil § 1b AÜG nicht
vereinbar mit dem europäischen Recht ist. Der Euro-
päische Gerichtshof hat mit Urteil vom 25. Oktober 2001
(C 493/99) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutsch-
land gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 52 und 59
EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 und 49 EG-
Vertrag) verstoßen hat, indem sie gesetzlich festgelegt hat,
dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Bauunter-
nehmen anderen Baubetrieben nur dann grenzüberschrei-

tend Arbeitnehmer überlassen können, wenn sie über einen
Sitz oder zumindest über eine Niederlassung in Deutschland
verfügen, die eigenes Personal beschäftigen und als Mit-
glied eines deutschen Arbeitgeberverbandes von einem
Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst werden.
Zu Nummer 3
Folgeänderung aufgrund der Änderung des § 3 Abs. 1 Nr. 6
durch Nummer 5 Buchstabe b.
Zu Nummer 4
Von den Beschränkungen des AÜG sollte auch in Fällen be-
freit werden, in denen kein sowohl für den Verleiher als
auch für den Entleiher geltender Tarifvertrag vorliegt, damit
zur Vermeidung von Kurzarbeit und Entlassungen die Un-
ternehmen ausreichend flexibel reagieren können. Die Si-
cherung von Beschäftigung soll auch durch Überlassung der
Arbeitnehmer an einen Entleiher, der nicht demselben Tarif-
vertrag unterliegt, erreicht werden.
Zu Nummer 5
Zu Buchstabe a
Das arbeitsvertragliche Verhalten der Verleiher mit einer
Verleiherlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit seit der Zulas-
sung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im
Jahre 1972 zeigt, dass die Ungleichbehandlung der Verlei-
her gegenüber anderen Arbeitgebern bei der Zulassung von
befristeten Arbeitsverträgen nicht mehr erforderlich ist (§ 3
Abs. 1 Nr. 3 AÜG). Die über das Beschäftigungsförde-
rungsgesetz 1985 hinausgehenden Beschränkungen der Zu-
lassung befristeter Arbeitsverträge im Bereich der gewerbs-
mäßigen Arbeitnehmerüberlassung werden daher aufgeho-
ben. Die dem Schutz des Verbotes bestimmter befristeter
Arbeitsverträge geltende Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4, die
eine Umgehung des Befristungsverbotes verhindern sollte,
entfällt damit ebenfalls.
Für bereits abgeschlossene Leiharbeitsverträge gilt eine
Übergangsregelung (vgl. Nummer 11).
Das Verbot, die Dauer des Arbeitsverhältnisses zwischen
Leiharbeitnehmer und Verleiher auf die Dauer der erstmali-
gen Überlassung an einen Entleiher zu beschränken (§ 3
Abs. 1 Nr. 5 AÜG), wird aufgehoben. Das Sychronisations-
verbot stellt eine systemwidrige arbeitsrechtliche Beschrän-
kung von Zeitarbeit dar, weil bei keinem anderen Arbeitsver-
hältnis ausgeschlossen wird, dass dieses für eine bestimmte
Dauer abgeschlossen wird. Für eine solche Regelung zu Las-
ten der Zeitarbeit besteht bei einer hohen strukturellen Ar-
beitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland kein recht-
fertigender Grund mehr.
Zu Buchstabe b
Die bisherigen Verlängerungen der Höchstdauer der Über-
lassung eines Leiharbeitnehmers an denselben Entleiher
von ursprünglich drei Monaten über sechs und neun Monate
auf zuletzt zwölf Monate haben gezeigt, dass mit der Ver-
längerung negative Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt
nicht verbunden waren. Im Gegenteil konnten in einigen
Arbeitnehmerüberlassungsverhältnissen durch die Verlän-
gerung sinnvolle neue Beschäftigungsmöglichkeiten für

Drucksache 15/55 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Leiharbeitnehmer erschlossen werden. Die neue Höchst-
dauer eröffnet einmal die Möglichkeit, Zeiten des Erzie-
hungsurlaubs vollständig durch einen – und nicht mehrere –
Leiharbeitnehmer abzudecken. Außerdem eröffnen sich
neue Verleihmöglichkeiten für Akademiker und andere
hochqualifizierte Leiharbeitnehmer, bei denen längere Ein-
arbeitungszeiten auf einem Arbeitsplatz wirtschaftlich auch
einen längeren Verleih erforderlich machen.

Zu Nummer 6
Zu Buchstabe a
Die Vereinfachung in § 1a AÜG durch die Änderung des
Gesetzes vom 24. März 2001, welches den Wegfall des ein-
schränkenden Merkmals „Arbeitgeber desselben Wirt-
schaftszweiges“ und die Anhebung des Schwellenwertes
von 20 auf 50 Beschäftige vorsieht, haben die Kollegenhilfe
im Mittelstand erleichtert. Das Erfordernis der vorherigen
Anzeigepflicht hat sich jedoch als bürokratisches Hemmnis
für kleine und mittlere Betriebe erwiesen. In vielen Fällen
hat eine Kollegenhilfe ohne vorherige Anzeige im guten
Glauben stattgefunden, obwohl damit nicht gegen geltendes
Recht verstoßen wurde. Aus diesen Gründen wird die An-
zeigepflicht für die Arbeitnehmerüberlassung in Betrieben
mit weniger als 50 Beschäftigen abgeschafft, um die Kolle-
genhilfe in brancheninternen, kleinen und mittelständischen
Unternehmen von bürokratischen Lasten zu befreien.

Zu Buchstabe b
Mit Wegfall der Anzeigepflicht in § 1a Abs. 1 AÜG entfällt
auch die Notwendigkeit der Regelung, welchen Inhalt die
Anzeige zu haben hat.

Zu Nummer 7
Nichtgewerbliche Zeitarbeit im Konzernverbund ermög-
licht Großunternehmen einen flexiblen Personaleinsatz, mit
dem sie Auftragsspitzen abfangen können. Diese Form der
Zeitarbeit wird auch dazu genutzt, um Mitarbeiter im Rah-
men längerfristiger Projekte und Entwicklungsarbeiten kon-
zernintern zu überlassen. Zwar ist Zeitarbeit in diesen Fäl-
len weitgehend möglich, steht aber nach wie vor unter der
Voraussetzung, dass es sich um einen nur vorübergehenden
Einsatz handelt (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG). Das Bundesarbeits-
gericht hat mit seiner Rechtsprechung zur konzerninternen
Arbeitnehmerüberlassung dieses Tatbestandsmerkmal durch
eine Analogie zum Befristungsrecht übermäßig einge-
schränkt. Das Bundesarbeitsgericht sieht eine vorüberge-
hende Tätigkeit i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nur vorliegen,
wenn ein sachlicher Grund im Sinne der Rechtsprechung zu
den befristeten Arbeitsverhältnissen vorliegt. Eine solche
Einschränkung ist im selben Konzern nicht notwendig, denn
der Arbeitnehmer ist durch seine Zugehörigkeit zum Kon-
zern auch bei einem unbefristeten Zeitarbeitseinsatz arbeits-
rechtlich ausreichend geschützt. In § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG
wird daher das Tatbestandsmerkmal „vorübergehend“ ge-
strichen.

Zu Nummer 8
Folgeänderung aufgrund der Änderung des § 3 Abs. 1 Nr. 3
durch Nummer 5 Buchstabe a.

Zu Nummer 9
Gemäß dem durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene
Job-AQTIV-Gesetz in § 10 neu angefügten Absatz 5 hat der
Verleiher nach Ablauf des 12. Monats der Überlassung dem
Zeitarbeitnehmer die im Entleihbetrieb für vergleichbare
Arbeitnehmer des Entleihers geltenden Arbeitsbedingungen
einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren.
Diese Bestimmung verstößt gegen die grundgesetzlich
garantierte Tarifautonomie gemäß Artikel 9 GG. Zeitarbeit-
unternehmen können als Arbeitgeber wie alle anderen Ar-
beitgeber die Vertragsbedingungen mit ihren Mitarbeitern
frei vereinbaren oder darüber Vereinbarungen mit den Tarif-
partnern treffen. Auch steht es ihnen frei, überhaupt solche
Tarifvereinbarungen zu treffen. Nicht dagegen ist im Grund-
gesetz vorgesehen, entsprechende Regelungen über Arbeits-
bedingungen gesetzlich festzulegen. Den Zeitarbeitunter-
nehmen per Gesetz fremd bestimmte Arbeitsbedingungen
einschließlich Vergütungen gesetzlich vorzuschreiben,
schränkt zusätzlich die unternehmerische Handlungsfreiheit
und Handlungsmöglichkeit elementar ein.
Die in Absatz 5 des § 10 eingeführte Regelung verhindert
auch aus tatsächlichen Gründen eine Nutzung des Instru-
ments Zeitarbeit über 12 Monate hinaus:
– Falls das Zeitarbeitunternehmen den Lohn für seine Mit-

arbeiter nach 12 Monaten aufgrund gesetzgeberischer
Verpflichtung auf das Niveau des Entleihbetriebes anhe-
ben muss, ist es nach betriebswirtschaftlichen Grundsät-
zen gezwungen, vom Kunden eine entsprechende Erhö-
hung des Stunden-Verrechnungssatzes für die Mitarbei-
ter zu verlangen. Somit wird der Betrieb den Einsatz des
Mitarbeiters beenden und beim Zeitarbeitunternehmen
einen neuen Mitarbeiter für die Stelle zu bisherigen Kon-
ditionen anfordern.

– Entsprechend der vorgesehenen Neuregelung müssen
die Zeitarbeitunternehmen bei der Vielzahl ihrer Kunden
und Mitarbeiter mit vielen unterschiedlichen Tarifverträ-
gen arbeiten, um zu ermitteln, welche Arbeitsbedingun-
gen denen des Entleihbetriebs gleichzusetzen sind. Dies
bedeutet einen bürokratischen Aufwand, der nicht pra-
xisgerecht ist.

– Zu weiteren Schwierigkeiten in rechtlicher und prak-
tischer Hinsicht führt der Umstand, dass nicht nur auf
die regelmäßige Vergütung abgestellt wird, sondern auch
auf die Arbeitsbedingungen des Entleihbetriebs allge-
mein, das heißt unter anderem auch betreffend Urlaubs-
geld, Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen
und Urlaubsdauer. Problematisch ist dies insbesondere
dann, wenn der Arbeitnehmer nach den ersten 12 Mona-
ten nur für weniger als 12 weitere Monate im Kunden-
unternehmen eingesetzt ist.

Daraus ergibt sich, dass die Ergänzung des § 10 um den am
1. Januar 2002 in Kraft getretenen Absatz 5 wenig geeignet
ist, den erstrebten Zweck des AÜG, die Beschäftigungsför-
derung zu erreichen. Absatz 5 des § 10 AÜG wird daher er-
satzlos gestrichen.
Zu Nummer 10
Folgeänderung aufgrund der Änderung des § 3 Abs. 1 Nr. 6
durch Nummer 5 Buchstabe b.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/55

Zu Nummer 11
Die Übergangsregelung stellt eine Vertrauensschutzrege-
lung zugunsten der Leiharbeitnehmer dar, die sich in einem
Leiharbeitsverfahren befinden oder einen Leiharbeitsvertrag
abgeschlossen haben.
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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