BT-Drucksache 15/5477

Prekärer Haushaltslage entgegentreten - Nachtragshaushalt und Haushaltssicherungsgesetz vorlegen

Vom 11. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5477
15. Wahlperiode 11. 05. 2005

Antrag
der AbgeordnetenDr. Andreas Pinkwart, JürgenKoppelin, Otto Fricke, Daniel Bahr
(Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Jörg van Essen, Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz
Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Markus Löning, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
EberhardOtto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. HermannOtto
Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Prekärer Haushaltslage entgegentreten – Nachtragshaushalt und Haushalts-
sicherungsgesetz vorlegen

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die anhaltende prekäre Haushaltssituation des Bundes macht eine Umkehr in
der Finanz- und Haushaltspolitik notwendig. Die Neuverschuldung wird in die-
sem Jahr um mehr als 15 Mrd. Euro über der Veranschlagung von 22 Mrd. Euro
und somit bei annähernd 40 Mrd. Euro liegen. Damit wird mit dem Bundes-
haushalt 2005 zum vierten Mal in Folge ein Bundeshaushalt verfassungswidrig
sein. Und dieses trotz der Tatsache, dass die Bundesregierung mit vielerlei
haushalterischen Tricks die Verfassungskonformität bei der Verabschiedung
hergestellt hat – allerdings nur auf dem Papier. So ist die Einhaltung des Arti-
kels 115 Grundgesetz in diesem Jahr nur über hohe Privatisierungserlöse mit
einem Volumen von über 17 Mrd. Euro möglich. Diese widersprechen aber
dem eigentlichen Geist dieser Bestimmung, denn über Privatisierung wird
staatliches Vermögen abgebaut. Es wird also de facto desinvestiert, ohne dass
dies mit der Investitionstätigkeit verrechnet würde. Ebenso wird die Einhaltung
der Maastricht-Kriterien zu einem Gutteil über die Verbriefung von Versor-
gungsansprüchen in einer Größenordnung von 5,45 Mrd. Euro versucht. Hier-
bei handelt es sich um Maßnahmen, mit denen zugunsten heutiger Einnahmen
Belastungen in die Zukunft verschoben werden. Der finanzpolitischen Nach-
haltigkeit ist auch damit nicht gedient.
Nachdem in den Jahren 2001 bis 2004 die selbstgesteckten Ziele der Bundes-
regierung hinsichtlich der Haushaltskonsolidierung und eines stetigen Defizit-
abbaus dramatisch verfehlt worden sind, ist für das Haushaltsjahr 2005 erneut
mit einem verfassungswidrigen Haushalt und einer höheren Neuverschuldung
zu rechnen. Verursacht werden die zusätzlichen Belastungen durch:

Drucksache 15/5477 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Hartz IV
Es werden Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld II (ALG II) von mindestens
7 bis 8 Mrd. Euro im Bundeshaushalt zu erwarten sein. Damit steigen die
Gesamtausgaben für ALG II auf über 20 Mrd. Euro. Der Grund hierfür liegt in
der höheren Zahl von Antragstellern. Dem Haushaltsansatz von 14,6 Mrd. Euro
beim ALG II liegen rund 3,4 Millionen potenzielle Antragsteller zu Grunde. Im
1. Quartal 2005 lag die Zahl der Antragsteller bei durchschnittlich über 4,1 Mil-
lionen, so dass sich daraus ein erheblicher Mehrbedarf bei den ALG-II-
Aufwendungen ergibt. Die monatliche Ausgabenrate beim ALG II liegt mit
1,96 Mrd. Euro (1. Quartal 2005: 5,887 Mrd. Euro) weit über der im Haushalt
2005 zu Grunde gelegten Rate von 1,2 Mrd. Euro.
Steuermindereinnahmen
Die konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen belaufen sich auf schätzungs-
weise 2 Mrd. Euro. Die Bundesregierung unterstellt im Haushalt ein gesamt-
wirtschaftliches Wachstum von 1,7 Prozent für 2005; die Wirtschaftsforschungs-
institute haben ihre Wachstumsprognose in dem vorgelegten Frühjahrsgutachten
bereits deutlich nach unten, auf 0,7 Prozent revidiert.
BA-Haushalt
Die aktuelle Entwicklung im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit (BA) zeigt
im 1. Quartal 2005 bereits eine Mittelbeanspruchung von 2,841 Mrd. Euro. Im
Bundeshaushalt veranschlagt ist ein Zuschuss von 4 Mrd. Euro. Die schwä-
chere Wirtschaftsentwicklung und die gesunkene Zahl der sozialversicherungs-
pflichtigen Beschäftigten werden einen höheren als bisher etatisierten Zuschuss
erfordern. Aus heutiger Sicht besteht ein Zuschussbedarf des Bundes an die BA
von 5 Mrd. Euro, so dass eine Deckungslücke von 1 Mrd. Euro im Bundeshaus-
halt klafft.
Bundesbankgewinn
Der Bundesbankgewinn beträgt 676 Mio. Euro. Veranschlagt sind im Bundes-
haushalt für das Jahr 2005 jedoch 2 Mrd. Euro. Damit entsteht ein Einnahmeaus-
fall von 1,324 Mrd. Euro. Der Grund für den geringeren Bundesbankgewinn ist
im Wesentlichen im hohen Abschreibungsbedarf auf die Dollarreserven zu
sehen, der sich aus der anhaltenden Dollarabwertung im Jahr 2004 ergibt.
Tabaksteuereinnahmen
Die Tabaksteuereinnahmen werden voraussichtlich um 1 Mrd. Euro niedriger
als geplant sein. Die drastische Erhöhung der Tabaksteuer hat zu erheblichen
Ausweichreaktionen geführt, so dass trotz Erhöhung der Steuersätze das Auf-
kommen sinkt.
Rentenversicherung
Es besteht die Gefahr, dass aufgrund des schwächeren Wirtschaftswachstums
und der schlechten Entwicklung bei den Beitragseinnahmen gegen Ende des
Jahres 2005 ein zusätzlicher Bundeszuschuss zur Rentenversicherung notwen-
dig wird. Die auf 0,2 Monatsausgaben abgesenkte Schwankungsreserve wird
den möglichen unterjährigen Liquiditätsengpass nicht kompensieren können.
Das Risiko beläuft sich auf ca. 1 Mrd. Euro.
Noch offen bzw. nicht umgesetzt sind haushaltswirksame Maßnahmen wie das
von Bundeskanzler Gerhard Schröder zugesagte „Sonderopfer Südostasien“
(150 bis 200 Mio. Euro) und die beim Job-Gipfel beschlossenen Infrastruktur-
maßnahmen. So sollen im Jahr 2005 allein 500 Mio. Euro für Infrastrukturpro-
jekte – insgesamt 2 Mrd. Euro über 4 Jahre – ausgegeben werden. Diese Mittel
sind aber bisher innerhalb des Haushalts nicht erwirtschaftet worden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5477

Ein großes Fragezeichen besteht weiterhin bei den 17 Mrd. Euro Privatisie-
rungserlösen und der Kapitalisierung der Pensionsverpflichtungen in Höhe von
5,45 Mrd. Euro.
Das Veräußerungsgeschäft sollte ursprünglich bis März 2005 abgeschlossen
sein. Dem Bundesministerium der Finanzen ist es bisher nicht gelungen, die
rechtlichen Voraussetzungen für den „Schuldenkauf“ zu schaffen und einen
Käufer für die Verpflichtungen der Post-Aktiengesellschaften zu finden. Dem
Vernehmen nach liegen bisher noch nicht einmal Entscheidungen der zuständi-
gen Gremien der Post-Aktiengesellschaften für die vorgesehene Transaktion
vor. Daher sind dem Treuhandvermögen aus einem Platzhaltergeschäft kurz-
fristig rund 1,7 Mrd. Euro zugeführt worden, um die Liquidität der Postbeam-
tenversorgungskasse zu gewährleisten. Dieser Betrag deckt den Finanzbedarf
nur noch bis Juni 2005!
Zudem hofft das Bundesministerium der Finanzen, dass der auf 2005 entfal-
lende Betrag von 5,45 Mrd. Euro als defizitmindernd mit Blick auf das 3-Pro-
zent-Maastricht-Kriterium abgesetzt werden kann. Bisher hat die mit dem Post-
pensionsgeschäft beauftragte Bank – Morgan Stanley – die Brüssel zugesagte
Maastricht-Konformität nicht umsetzen können.
Damit setzt sich im Bundeshaushalt 2005 die Negativentwicklung der letzten
Jahre fort. Verfassungswidrige Haushalte, wiederholte Verstöße gegen den Sta-
bilitäts- und Wachstumspakt sowie eine ausufernde Staatsverschuldung sind
mittlerweile zum Markenzeichen der rot-grünen Haushaltspolitik geworden.
Zielsetzung und Vorgaben können Jahr für Jahr im Haushaltsvollzug nicht ein-
gehalten werden und führen zu weiteren Verschlechterungen der Staatsfinanzen.
Die Bekämpfung der Staatsverschuldung muss in eine langfristig wirkende
Konsolidierungsstrategie und in eine auf Dauer angelegte Reformstrategie ein-
gebettet sein. Zudem müssen die Planungen sowohl in Bezug auf den Bundes-
haushalt als auch bei den anderen Haushalten realitätsnäher sein. Es ist nicht
akzeptabel, wenn Finanz- und Haushaltspläne bereits kurz nach ihrer Ver-
abschiedung wie in diesem Fall riesige „Haushaltslöcher“ in Form von Ein-
nahmeausfällen und Mehrausgaben ausweisen. Hierdurch werden die bereits
eingeplanten Finanzierungslücken noch einmal deutlich vergrößert. Das scha-
det der Glaubwürdigkeit der Haushalts- und Finanzplanung. Den Planungen
sollten daher vorsichtige Annahmen zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
und zu ihren Auswirkungen auf die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben zu-
grunde gelegt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– einen Nachtragshaushalt und ein Haushaltssicherungsgesetz vorzulegen, um

den Haushalt zu stabilisieren und die tatsächliche Haushaltssituation nicht
weiter zu verschleiern,

– eine Haushaltssperre zu erlassen, um vor allem bei den Verwaltungsaus-
gaben vorhandenes Einsparpotential kurzfristig zu generieren.

Berlin, den 11.Mai 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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