BT-Drucksache 15/5469

Industrielle Arbeitsplätze sichern, Energieeffizienz steigern - Eine deutsche Initiative für ein europäisches Top-Runner-Programm

Vom 11. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5469
15. Wahlperiode 11. 05. 2005

Antrag
der Abgeordneten Ulrich Kelber, Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Ulrike Mehl,
Michael Müller (Düsseldorf), Dr. Axel Berg, Rolf Hempelmann, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. AngelicaSchwall-Düren, FranzMünteferingundder Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Michaele Hustedt, Winfried Hermann,
Volker Beck (Köln), Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Industrielle Arbeitsplätze sichern, Energieeffizienz steigern –
Eine deutsche Initiative für ein europäisches Top-Runner-Programm

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
In den letzten Jahren wurde ein umfassender EU-Rechtsrahmen für Energie
geschaffen. Die dem Europäischen Parlament und dem Rat vorliegenden Richt-
linienentwürfe zur Endenergieeffizienz und zu Energiedienstleistungen sowie
zur umweltgerechten Gestaltung energiebetriebener Produkte (Öko-Design-
Richtlinie) zielen darauf ab, eine effizientere Endenergienutzung zu gewährleis-
ten. Einer der Hauptmechanismen dafür ist die Unterstützung und Beschleu-
nigung der Entwicklung eines reibungslos funktionierenden, kommerziell
bestandsfähigen und von Wettbewerb geprägten Markts für kostenwirksame
Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz.
Schätzungen der EU-Kommission zufolge belaufen sich die durchschnittlichen
Kosten zur Stromeinsparung in der EU auf 2,6 Cent/kWh, während die durch-
schnittlichen Erzeugungskosten 3,9 Cent/kWh ausmachen. Ohne Einschrän-
kung von Komfort oder Lebensstandard kann nach Angabe der Kommission der
Gesamtverbrauch an Energie in der EU um 20 Prozent gesenkt werden. Es wäre
fahrlässig, diese Potenziale nicht auszuschöpfen. Eine höhere Energieeffizienz
trägt dazu bei, Kosten zu sparen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und den
Ausstoß klimaschädlicher Gase zu reduzieren.
Wesentliche Märkte (Japan, Kalifornien, China) haben durch jüngste Entschei-
dungen bereits eine die umfangreichen wirtschaftlichen Einsparpotenziale stär-
ker ausschöpfende Marktentwicklung in Richtung Energieeffizienz geschaffen:
l Die chinesische Regierung hat z. B. in den letzten Jahren die Umsetzung der

offiziellen Programme zur Energieeffizienz und zum sparsamen Ressourcen-
einsatz massiv vorangetrieben. Dazu gehören gesetzliche Grenzwerte für den
Spritverbrauch für Neuwagen. Um ihre Weltmarktfähigkeit zu behaupten,
stehen deutsche Automobilunternehmen vor der Herausforderung ihre gro-
ßen Modelle so weiterzuentwickeln, dass sie die seit 2005 in China geltenden
Grenzwerte einhalten. Dies zeigt: Energieeffizientere Produkte werden mit-
telfristig den Markt beherrschen, weniger energieeffiziente Produkte vom
Markt verdrängt.

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l Japanische Unternehmen haben – wie auch die deutsche Industrie – aus den
Ölkrisen der siebziger und achtziger Jahre Konsequenzen gezogen und stark
in Energieeffizienz investiert. Durch das bereits seit 1988 geltende Gesetz zur
rationellen Energienutzung sind japanische Betriebe gefordert, Energiemana-
ger auszubilden und Einsparpläne zu erarbeiten. Die aktuelle Orientierung an
Best-practice-Modellen hat für zusätzliche Dynamik gesorgt. Damit verfolgt
Japan eine nachhaltige Innovationsstrategie, um Energieeffizienz als Wettbe-
werbsziel imMarkt zu etablieren und auszubauen. Offen wird dieWeltmarkt-
führerschaft in diesem Sektor als Motivation genannt.

Gerade der mittelständischenWirtschaft in Deutschland bietet der Ausbau eines
europäischen und globalen Markts für innovative und energieeffiziente Pro-
dukte und Dienstleistungen beträchtliche Chancen. Bereits jetzt sind durch die
ökologische Modernisierung Deutschlands Produkte und Dienstleistungen der
Zukunft entstanden. 130 000 Menschen arbeiten z. B. allein im Bereich erneu-
erbarer Energien, dieser Erfolg soll verstetigt werden.
Um dieses hohe wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische und technologische Po-
tenzial auszuschöpfen und international wettbewerbsfähig zu bleiben, bedarf es
der konsequenten Umsetzung der europäischen Richtlinien in allen EU-Mit-
gliedstaaten und einer ambitionierten Klimaschutzpolitik.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderun-
gen (WBGU) hat der Bundesregierung ein positives Zwischenzeugnis ausge-
stellt. Deutschland ist auf einem guten Weg, seine internationalen verbindlich
zugesagten Klimaschutzziele zu erreichen. Um das selbstgesetzte Ziel der Ver-
doppelung der Energieeffizienz zwischen 1990 und 2020 zu erreichen, ist eine
jährliche Steigerungsrate von 3 Prozent notwendig. Zwei Drittel bis drei Viertel
der für den Klimaschutz notwendigen CO2-Minderung kann und muss bis 2030auf denMärkten für Energieeffizienz- und Einspartechnologien erbracht werden
(Nachhaltigkeitsszenario der Energie-Enquete-Kommission).
Die Bedeutung von Energieeffizienz und Energieeinsparung bei der Bekämp-
fung des Klimawandels durch die Etablierung eines Top-Runner-Programms
wird vor diesem Hintergrund deutlich. Beispiel Japan: Das dortige Top-Runner-
Programm schreibt den maximalen Energieverbrauch von ausgewählten ener-
gieintensiven Produkten (Klimaanlagen, PCs, Kühlschränken etc.) für ein be-
stimmtes Zieljahr fest. Grundlage dafür ist der mit marktgängiger Technologie
erreichte Energieverbrauch des energieeffizientesten Produkts im Jahr der Fest-
schreibung. Anbieter, die diesen Grad an Energieeffizienz im Zieljahr nicht
erreichen, werden zunächst öffentlich ermahnt, später gegebenenfalls auch be-
straft. Importprodukte sind in diese Regelung einbezogen. Mit der Verwirk-
lichung des Ansatzes erwartet die japanische Regierung beispielsweise bei
Videorekordern Energieeinsparungen von 59 Prozent, bei Klimaanlagen von
63 Prozent und bei Computern von 83 Prozent.
Der Top-Runner-Ansatz zielt auf die 100-prozentige Marktdurchdringung mit
der jeweils energieeffizientesten Technologie ab. Er befördert den technischen
Fortschritt im Land, fördert damit den Export und zwingt überdies ausländische
Anbieter zu Anpassung und vermeidet so völlig internationale Wettbewerbsver-
zerrungen für inländische Anbieter. Der Top-Runner-Ansatz ist wichtig, um
Führungsmärkte zu entwickeln, weil durch ihn technischer Fortschritt angereizt
und gleichzeitig attraktive Märkte für die besten Produkte geschaffen werden.
Als Teil nationaler und europäischer Energiepolitik bietet der Top-Runner-
Ansatz die Möglichkeit, auch unter den Bedingungen von Globalisierung und
Liberalisierung neue Märkte und Handlungsspielräume für Nachhaltigkeits-
politik zu öffnen und die Wettbewerbsfähigkeit deutscher bzw. europäischer
Produkte auf dem globalen Markt zu verbessern.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5469

Der Top-Runner-Ansatz ist ein grundlegender Wandel von bisherigen zentral
vorgegebenen durchschnittsorientierten Standards zum marktgängig als mach-
bar erwiesenen höchstmöglichen Standard als Zielvorgabe. Durch diesen dyna-
mischen Wettbewerb werden wesentlich größere Innovationspotenziale ausge-
löst und erheblich größere Energieeinsparungen erreicht.
Insbesondere für Hersteller und Unternehmen bietet der Top-Runner-Ansatz
ökonomisches Entwicklungspotenzial. Da der Bedarf an energiesparenden Pro-
dukten zunimmt, können durch die Entwicklung und Produktion energieeffizi-
enter Technologien Verbraucherinteressen erfüllt und damit Wettbewerbsvor-
teile geschaffen werden. Nur die Volkswirtschaften sind innovationsfähig, die
sich früh um die Entwicklung adäquater Rahmenbedingungen bemühen.
Durch Kategorisierung der Produkte (z. B. Kühlschränke nach Nutzinhalt) wer-
denWettbewerbsverzerrung vermieden und die nötige Flexibilität für Unterneh-
men und Hersteller geschaffen. Das Top-Runner-Programm unterscheidet jedes
Produkt in verschiedene Untergruppen und setzt Effizienzziele für jede dieser
Gruppen. Zudem variiert die Prozentzahl der einzusparenden Energiemenge als
Folge der Orientierung an real existierenden Produkten von Produkt zu Produkt.
Neben den ökonomischen Vorteilen leistet ein Top-Runner-Programm auch
einen maßgeblichen Beitrag zur Marktdurchdringung mit energieeffizienten
Geräten. Bei einer vollständigen Umsetzung des Top-Runner-Programms wird
Japan nach eigenen Angaben seine Treibhausemissionen alleine durch diese
Maßnahme bis 2010 um 16 Prozent senken. Die durch das Top-Runner-Pro-
gramm erfassten Produkte unterliegen als Konsumprodukte einer hohen Aus-
tauschquote, so dass die Marktdurchdringung schnell stattfindet.
Als Folge des Top-Runner-Ansatzes finden Effizienzsteigerungen bei Produkten
auch schon vor dem jeweilig vorgegebenen Zieljahr statt. Damit ist der Top-
Runner-Ansatz auch ökologisch nachhaltig, weil er verstärktenMarktzugang für
haushaltsfreundliche Energiesparprodukte schafft.
Bei der Ausgestaltung des europäischen Top-Runner-Ansatzes muss darauf
geachtet werden, dass die Patentierung von energieeffizienten Technologien für
bestimmte Produktbereiche durch ein Unternehmen nicht zu der Situation füh-
ren kann, dass die Wettbewerber nicht mit vertretbaren wirtschaftlichen Auf-
wand die vorgeschriebene Mindestenergieeffizienz erreichen können. Dazu
muss beobachtet werden, ob andere verfügbare Technologien die gleiche
Energieeffizienz ermöglichen oder eine einfache Lizensierung der patentierten
Technologie angeboten wird. Ansonsten muss in einem solchen Fall der
Produktbereich aus dem Top-Runner-Ansatz herausgenommen werden, um eine
Marktmonopolisierung zu verhindern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. die Einigung auf europäischer Ebene und die zu erfolgende Umsetzung der

Richtlinien zur Endenergieeffizienz und zu Energiedienstleitungen sowie zur
umweltgerechten Gestaltung energiebetriebener Produkte (Öko-Design-
Richtlinie) zügig voranzutreiben und einen europaweiten Wettbewerb zur
Steigerung der Energieeffizienz in Gang zu bringen;

2. sich bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, einen eigenständigen euro-
päischen Top-Runner-Ansatz zu entwickeln und mit den in der EU vorhande-
nen Instrumenten zur Steigerung der Energieeffizienz zu harmonisieren;

3. die Entwicklung von energieeffizienten Produkten zu forcieren und im Inte-
resse der Verbraucher die bestehenden Kennzeichnungen so zu harmonisie-
ren, dass sich die Energieeffizienz des aktuell marktbesten Geräts in der Pro-
duktkennzeichnung widerspiegelt. Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass ein
Hersteller alle technischen, energetischen, sicherheitsrelevanten, funktionel-

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len, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Aspekte sowie die gesundheit-
lichen Auswirkungen z. B. Lärm, elektromagnetische Felder berücksichtigt,
um letztlich das Optimum für das Produkt zu finden;

4. Initiativen der G8 für einen globalen Vorstoß im Klimaschutz aktiv zu unter-
stützen, um die Weltmarktchancen der global wichtigsten Exportgüter (ener-
gieeffiziente Produkte und Dienstleistungen) der nächsten 20 Jahre zu ver-
bessern und die starke Exportstellung der Bundesrepublik Deutschland durch
weitere Produktivitätssteigerungen beim Einsatz von Energie und Rohstoffen
auszubauen. Dazu zählt insbesondere das deutsch-amerikanische Aktions-
programm für den Klimaschutz zum Einsatz effizienter Technologien und
stärkeren Nutzung erneuerbarer Energien zügig umzusetzen;

5. die Ergebnisse des Grünbuchs der Europäischen Kommission „Hin zu einer
europäischen Strategie für Energieversorgungssicherheit“ zu berücksichti-
gen, die u. a. die Notwendigkeit einer deutlichen Steigerung der Energieeffi-
zienz bis 2010 verdeutlichen.

Berlin, den 11. Mai 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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