BT-Drucksache 15/5461

EU-Mittelmeerpolitik auf Demokratisierung ausrichten

Vom 11. Mai 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5461
15. Wahlperiode 11. 05. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg
van Essen, Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Markus
Löning, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard
Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

EU-Mittelmeerpolitik auf Demokratisierung ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Zehn Jahre nach Beginn des Barcelona-Prozesses (der Europa-Mittelmeer-Part-
nerschaft, EMP) sind die Ergebnisse ernüchternd: In den Partnerstaaten konnte
weder wirtschaftlich noch politisch ein nennenswerter Transformationsprozess
ausgelöst werden. Bei Demokratisierung und Menschenrechten sind kaum Fort-
schritte erzielt worden.
Die EU-Osterweiterung hat die Frage nach den zukünftigen Beziehungen der
EU mit ihren neuen und alten Nachbarländern verstärkt ins Blickfeld gerückt.
Aus diesem Grund hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften im
Mai 2004 ein Strategiepapier zur neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik
(ENP) vorgestellt. Dieses sieht vor, die Beziehungen der EU zu ihren Nachbar-
staaten zu vertiefen und zu stärken. Ziel ist, einen „Ring von Freunden“ um die
EU herum entstehen zu lassen. In bilateral ausgearbeiteten Aktionsplänen sollen
Reformschritte für die Partnerländer festgelegt werden, die dann regelmäßig
überprüft werden. Der Barcelona-Prozess ist in diese ENP integriert worden.
Dieser neue Ansatz hat der europäischen Mittelmeerpolitik bereits einige begrü-
ßenswerte Impulse gegeben.
Die finanzielle Förderung der ENP-Partnerländer wird derzeit über die Förder-
programme MEDA und Tacis abgewickelt. Ab 2007 werden sie zu dem ein-
heitlichen Europäischen Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI)
zusammengefasst. Dieses neue Instrument soll die Implementierung der ENP-
Aktionspläne fördern. Im Vergleich zur Förderung im Rahmen der Europa-Mit-
telmeer-Partnerschaft soll beim ENPI finanzielle Unterstützung stärker an die
Reformwilligkeit der betreffenden Staaten geknüpft werden.
Der Deutsche Bundestag unterstützt diesen Ansatz: Fortschritte bei Menschen-
rechten und Demokratisierung müssen notwendige Voraussetzung für eine wei-
tere Förderung sein; das Monitoring durch die Sub-Comitees muss vor allem

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umfassende Fortschritte in diesem Bereich bewerten und darf sich nicht auf die
Detailprüfung von Einzelprojekten beschränken. Wenn die Regierungen der
Partnerländer keine Bereitschaft zur Implementierung der in den Aktionsplänen
geforderten Maßnahmen erkennen lassen, muss die EU die Möglichkeit haben,
ihre finanzielle Unterstützung verstärkt Nichtregierungsorganisationen zukom-
men zu lassen.
Der Aufbau und die Stärkung der Zivilgesellschaft im südlichen und östlichen
Mittelmeerraum wurden im Barcelona-Prozess sträflich vernachlässigt. Der
Anteil der EU-Fördergelder, die Akteuren der Zivilgesellschaft zugute kommt,
ist im Mittelmeerraum geringer als bei allen anderen Entwicklungsregionen.
90 Prozent der Mittel wurden dafür ausgegeben, die wirtschaftliche Konkur-
renzfähigkeit der Mittelmeerländer zu stärken. Die Erwartung, dass dies auch
einen politischen Reformprozess auslöst, hat sich nicht erfüllt.
Erklärtes Ziel der ENP ist es, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand aller Betrof-
fenen zu stärken. Alle drei Ziele sind jedoch nur zu erreichen durch eine Öffnung
der politischen Systeme, die Stärkung des Rechtsstaats und die Ausweitung der
demokratischen Rechte der Bevölkerungen. Nur durch solche Reformschritte
kann wirtschaftlicher Wohlstand und dauerhafte Stabilität erreicht werden. Die
Schaffung eines freiheitlichen und demokratischen Klimas in den Ländern des
Maghreb und des Nahen Ostens muss deshalb eine Kernaufgabe europäischer
Nachbarschaftspolitik sein. Eine kurzfristige Stabilisierung des Status quo in der
Region würde lediglich zu verschärften Spannungen innerhalb der Gesellschaf-
ten führen und liegt schon deshalb nicht im politischen Interesse der Europäi-
schen Union. Daher muss bei der Umsetzung der Mittelmeerkomponente der
ENP der Schwerpunkt eindeutig auf einer strikten politischen Modernisierungs-
orientierung liegen.
Dem Aufbau von Wissenskapazität kommt eine große Bedeutung als eine
Voraussetzung für die wirtschaftliche und politische Entwicklung der Mittel-
meerpartnerstaaten zu. Der Arab Human Development Report hat hier gravie-
rende Defizite festgestellt und gleichzeitig unterstrichen, wie wichtig die Trans-
formation der arabischen Gesellschaften in eine Wissensgesellschaft ist. Die
Förderung von Bildung und Forschung muss stärker als bisher Inhalt der im
Rahmen der Mittelmeerkomponente der ENP zu vereinbarenden Aktionspläne
sein. Gerade in der Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonal und bei der
Gestaltung der Lehrinhalte kann und muss die EU ihren Mittelmeerpartnern
mehr Hilfe leisten.
Größter Vorteil der ENP gegenüber der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft ist der
bilaterale Ansatz, der eine stärkere Differenzierung zwischen den einzelnen
Partnerländern ermöglicht und größere Fortschritte reformwilliger Staaten er-
laubt. Der regionale Aspekt darf darüber jedoch nicht vernachlässigt werden:
Ein Blick auf die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung einerseits und
die politische und wirtschaftliche Fragmentierung des südlichen und östlichen
Mittelmeerraums andererseits bestätigen die These, dass regionale Integrations-
prozesse ein wichtiger Motor für eine erfolgreiche Entwicklung sind. Es bedarf
daher stärkeren Anstrengungen von Seiten der EU, die Mittelmeerpartner zu
einer engeren Kooperation untereinander zu bewegen. Handlungsfelder hierfür
können länderübergreifende Infrastrukturmaßnahmen, ein Abbau von Handels-
hemmnissen zwischen den Staaten sowie eine verstärkte Zusammenarbeit von
Polizei und Sicherheitskräften sein.
Der ungelöste Nahost-Konflikt hat sich immer wieder als Hindernis für den
Barcelona-Prozess erwiesen. Der bilaterale Ansatz der ENP ist geeignet, den
Erfolg der Partnerschaft von diesem Konflikt unabhängiger zu machen. Ein
Stocken des Friedensprozesses im Nahen Osten darf keine Entschuldigung für
reformunwillige Regime sein.

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Unabhängig davon muss sich die EU jedoch stärker um eine Lösung des Kon-
flikts zwischen Israel und den Palästinensern bemühen. Dafür ist ein verstärktes
Engagement im Nahost-Quartett erforderlich. Ziel bleibt weiterhin ein Friedens-
prozess auf Grundlage der Road-Map, an dessen Ende eine Zwei-Staaten-
Lösung steht.
Der Tod von Jassir Arafat hat den Weg für demokratische Präsidentschaftswah-
len in den Palästinensergebieten frei gemacht. Im Irak haben sich nach dem
Sturz des Regimes Saddam Husseins trotz Terrors über 60 Prozent der Wahl-
berechtigten an den Parlamentswahlen beteiligt. Die hohe Wahlbeteiligung im
Irak und in den palästinensischen Gebieten sind der Beweis dafür, dass arabische
Gesellschaften sehr wohl zur Demokratie fähig und auch willens sind.
Es liegt im Interesse der EU, dass die demokratischen Experimente im Irak und
in den palästinensischen Gebieten Erfolg haben. Eine stabile demokratische
Entwicklung dort würde auch in anderen arabischen Staaten den Druck auf
autokratische Regime erhöhen.
Die EU muss kritisch hinterfragen, welche Erfolge bislang mit ihren Konzepten
erreicht wurden. Die Europa-Mittelmeer-Partnerschaft hat keine nennenswerte
Dynamik in den südlichen und östlichen Mittelmeerländern ausgelöst. Die
jüngsten Entwicklungen im Irak und in den palästinensischen Gebieten, im
Libanon, aber auch in Ägypten und Saudi-Arabien geben jedoch Anlass zur
Hoffnung. In der Zielsetzung stimmen die EU und die USA überein: Ein demo-
kratischer, prosperierender und stabiler Maghreb- und Nahostraum liegt im
Interesse von Europa wie von Amerika. EU und USA müssen sich daher ge-
meinsam um eine umfassende Reform der Region bemühen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– sich dafür einzusetzen, dass die Mittelmeerkomponente der ENP den

Schwerpunkt auf deutliche Fortschritte bei Demokratisierung und Men-
schenrechte legt;

– sich dafür einzusetzen, dass die regelmäßige Überprüfung der Aktionspläne
der einzelnen Länder eine umfassende politische Bewertung enthält, die die
Grundlage für die Planung weiterer Hilfen bildet;

– sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union verstärkt finanzielle
Unterstützung den Nichtregierungsorganisationen aus der Region zukommen
lässt. Dies muss vor allem dann gelten, wenn politische Fortschritte in einem
Land mangelhaft sind;

– sich dafür einzusetzen, dass die Förderung von Bildung und Forschung stär-
ker als bisher berücksichtigt wird;

– sich dafür einzusetzen, dass die EU sich stärker um regionale Kooperation
der Mittelmeerpartner untereinander bemüht;

– sich dafür einzusetzen, dass die bisher vorliegenden Programme und Initia-
tiven zum Nahen und Mittleren Osten (etwa die G8-Initiative) gemeinsam
mit allen Beteiligten präzisiert und weiterentwickelt werden.

Berlin, den 10. Mai 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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