BT-Drucksache 15/5292

Verlegung des Geschäftssitzes deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen nach Zypern (so genannte LKW-Ausflaggungen )

Vom 12. April 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5292
15. Wahlperiode 12. 04. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Eduard Oswald, Dr. Klaus W. Lippold
(Offenbach), Georg Brunnhuber, Norbert Barthle, Renate Blank, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Hubert Deittert, Enak Ferlemann, Peter Götz, Siegfried Helias,
Bernd Heynemann, Ernst Hinsken, Klaus Hofbauer, Norbert Königshofen, Werner
Kuhn (Zingst), Eduard Lintner, Klaus Minkel, Marlene Mortler, Henry Nitzsche,
Günter Nooke, Wilhelm Josef Sebastian, Gero Storjohann, Lena Strothmann,
Volkmar Uwe Vogel, Gerhard Wächter und der Fraktion der CDU/CSU

Verlegung des Geschäftssitzes deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen
nach Zypern (so genannte Lkw-Ausflaggungen)

Zum 1. Mai 2004 traten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei,
Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern der Europäischen Union bei. Auf-
grund der zentralen Lage Deutschlands innerhalb Europas stellt dies eine der
größten Herausforderungen für deutsche Verkehrsunternehmen, insbesondere
aber für reine Transportunternehmen des Güterkraftverkehrsgewerbes, dar.
Mit der EU-Erweiterung wurde die bereits nach dem EG-Vertrag bestehende
Dienstleistungsfreiheit im Verkehr für den Bereich des grenzüberschreitenden
Verkehrs zu den Bedingungen des Niederlassungsstaats vollständig hergestellt.
Lediglich für nationale Verkehre, also die so genannten Kabotagetransporte,
wurden Unternehmen, die ihren Sitz in einem der neuen EU-Mitgliedstaaten
haben, zunächst für unterschiedliche Zeiträume, maximal aber bis zu fünf
Jahren, ausgeschlossen. Allerdings wurden die Länder Malta, Slowenien und
Zypern von diesen Kabotagebeschränkungen ausgenommen. Das heißt: Ver-
kehrsunternehmen aus diesen Ländern haben uneingeschränkte Dienstleis-
tungsfreiheit. Zudem gibt es für Malta und Zypern keine Beschränkungen in
der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
Ungleiche Rahmenbedingungen versetzen aber das Güterkraftverkehrsgewerbe
aus den Beitrittsländern in die Lage, im Wettbewerb mit deutschen Unterneh-
men nahezu konkurrenzlos zu werden. Ein Sonderbericht des Bundesamtes für
Güterverkehr vom Dezember 2004 zum Thema „Auswirkungen der EU-Ost-
erweiterung auf das deutsche Güterkraftverkehrsgewerbe“ bestätigt diese Ent-
wicklung.
Neben den unterschiedlichen Steuersätzen spielen dabei folgende Punkte eine
entscheidende Rolle:
– Unterschiedliche Preise für Dieselkraftstoff

Der Preisunterschied zwischen polnischem bzw. tschechischem und deut-
schem Dieselkraftstoff beträgt ca. 0,15 Euro/Liter. Hinzu kommt noch, dass
die bis April 2004 gültige 200-Liter-Einfuhrbegrenzung von Dieselkraftstoff
mit dem Beitritt entfallen ist. Dadurch sind Unternehmen aus Polen und

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Tschechien in der Lage, mit dem billigen Treibstoff Reichweiten zu erzielen,
die ihnen die Durchführung von Transporten zwischen Deutschland und an-
deren bisherigen EU-Mitgliedstaaten ohne teure Betankung in Deutschland
ermöglicht.

– Unterschiedliche Lohn und Lohnnebenkosten
Während in Deutschland der Lohnkostenanteil etwa 30 Prozent an den Ge-
samtkosten ausmacht, liegt dieser beispielsweise in Polen leicht über 10 Pro-
zent.

Deutsche Transportunternehmen können im grenzüberschreitenden Verkehr
diese erheblichen Kostenvorteile ihrer Konkurrenten, die als Preisabschläge bei
den Frachtraten weitergegeben werden, weder mit effizienterer Fahrzeugtech-
nik noch mit besserer Organisation oder anderen kostenreduzierenden Maß-
nahmen alleine ausgleichen. Dies führt dazu, dass internationale Aktivitäten
aufgegeben werden und vielfach nur der nationale Markt verbleibt, wobei die
Ausnahmeregelung für die Kabotage auch hier auf maximal fünf Jahre
beschränkt ist.
Als Folge dieser Entwicklung gibt es für viele Unternehmen nur die Möglich-
keit, sich nach Alternativen umzusehen, um imWettbewerb bestehen zu können.
Ausweislich eines Berichts des Hamburger Abendblattes vom 6. April 2005
nutzen bereits heute einige Unternehmen – ähnlich wie in der Seeschifffahrt –
die Möglichkeit, eine Niederlassung in Zypern zu gründen und dort ihre Fahr-
zeuge zuzulassen. Hierbei müssen die Fahrzeuge nicht einmal auf die Insel ge-
bracht werden. Zulassung und Niederlassung sind schnell und unbürokratisch
zu vollziehen, da der Unternehmer in Zypern auf relativ gut entwickelte Ver-
waltungsstrukturen trifft und keinerlei Gründungshemmnissen begegnet. Da
der Beitrittsvertrag Zyperns keine Kabotagebeschränkung vorsieht, können die
Fahrzeuge – wie in Deutschland zugelassene Fahrzeuge – sowohl grenzüber-
schreitende als auch innerdeutsche Transporte vornehmen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. War der Bundesregierung zum Zeitpunkt der Beitrittsverhandlungen mit den

neuen Mitgliedstaaten bekannt, dass im Bereich der Verkehrsdienstleistun-
gen ein massives Kostengefälle zwischen Deutschland und den neuen Mit-
gliedstaaten Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowe-
nien, Tschechien, Ungarn und Zypern besteht?

2. Was hat die Bundesregierung konkret unternommen, um für das deutsche
Güterkraftverkehrsgewerbe faire Wettbewerbsbedingungen im Rahmen der
Beitrittsverhandlungen gegenüber den neuen Mitgliedstaaten durchzuset-
zen?

3. Wie hatte sich die Bundesregierung gegenüber der EU-Kommission im
Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit den neuen Mitgliedstaaten Estland,
Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn
und Zypern bei der Frage der Übergangsvorschriften für Kabotageverkehre
konkret positioniert?

4. Hatte die Bundesregierung bei der Frage der Kabotagebefreiung für Slowe-
nien, Malta und Zypern den Fall bedacht, dass damit hervorragende Voraus-
setzungen für ein „Ausflaggen“ deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen
geschaffen werden, und wie hat sich die Bundesregierung in dieser Frage
gegenüber der EU-Kommission bezüglich der Beitrittsverhandlungen posi-
tioniert?

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5. Inwieweit hat die Bundesregierung, insbesondere bei ihrer Positionierung
gegenüber der EU, bezüglich der Beitrittsverhandlungen mit Malta und
Zypern Erfahrungen aus so genannten Ausflaggungen von deutschen See-
schiffen in diese Länder einfließen lassen?

6. Wie viele so genannte Ausflaggungen von Lkw hat es nach Kenntnis der
Bundesregierung bisher nach Zypern, Malta und Slowenien gegeben?

7. Wie viele so genannte Ausflaggungen von Lkw hat es nach Kenntnis der
Bundesregierung bisher in die übrigen Beitrittsländer, also nach Estland,
Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn gegeben?

8. Sind die Rahmenbedingungen für so genannte Ausflaggungen nach Malta
und Slowenien ähnlich wie die nach Zypern, und wie sehen diese konkret
im Bezug auf die Niederlassung von Unternehmen, Zulassung von Fahr-
zeugen und Arbeitnehmerfreizügigkeit aus?

9. Wie viele so genannte Ausflaggungen gibt es seit dem EU-Beitritt nach
Malta und Zypern im Bereich der Binnenschifffahrt und wie viele im Be-
reich der Seeschifffahrt?

10. Wie stellt sich die Wettbewerbssituation deutscher Güterkraftverkehrsun-
ternehmen im Verhältnis zu Mitbewerbern aus Estland, Lettland, Litauen,
Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern seit
der EU-Osterweiterung im Mai 2004 konkret dar?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Wettbewerbssituation
deutscher Güterkraftverkehrsunternehmen im Verhältnis zu Mitbewerbern
aus Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tsche-
chien, Ungarn und Zypern?

12. Wie stellt sich die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen des Eisen-
bahngüterverkehrs im Verhältnis zu Mitbewerbern aus Estland, Lettland,
Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und
Zypern seit der EU-Osterweiterung im Mai 2004 konkret dar?

13. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbssituation im Bereich
des Eisenbahngüterverkehrs deutscher Unternehmen im Verhältnis zu Mit-
bewerbern aus Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowe-
nien, Tschechien, Ungarn und Zypern?

14. Wie stellt sich die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen des
Binnenschiffsgüterverkehrs im Verhältnis zu Mitbewerbern aus Estland,
Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn
und Zypern seit der EU-Osterweiterung im Mai 2004 konkret dar?

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wettbewerbssituation im Bereich
des Binnenschiffsgüterverkehrs deutscher Unternehmen im Verhältnis zu
Mitbewerbern aus Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei,
Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern?

16. Was beabsichtigt die Bundesregierung konkret zu unternehmen, um die
Rahmenbedingungen deutscher Verkehrsunternehmen im Wettbewerb mit
Unternehmen der Beitrittsländer zu verbessern, und wurden diesbezüglich
bereits politische Schritte eingeleitet?

17. Was beabsichtigt die Bundesregierung konkret zu unternehmen, um ge-
gebenenfalls einem „Ausflaggungstrend“ bei deutschen Lkws oder gege-
benenfalls auch anderen Verkehrsträgern nach Zypern und gegebenenfalls
Malta und Slowenien entgegenzuwirken?

Drucksache 15/5292 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
18. Wie bewertet die Bundesregierung Forderungen des Güterkraftverkehrs-
gewerbes, die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Zusam-
menhang mit der Freigabe der Kabotage im Verkehrsdienstleistungssektor
zu überdenken?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung Forderungen des Güterkraftverkehrs-
gewerbes, die Dienstleistungsfreiheit im Verkehr der in Vorbereitung be-
findlichen allgemeinen Dienstleistungsrichtlinie zu unterwerfen?

20. Wie ist der Stand der Verhandlungen mit der Kommission im Hinblick auf
das Harmonisierungsvolumen in Höhe von 600 Mio. Euro im Zusammen-
hang mit der Mauteinführung in Deutschland und welche konkreten
Schritte hat die Bundesregierung bisher in dieser Frage unternommen?

21. Wie hoch sind die Mauteinnahmen, aufgeschlüsselt nach den Monaten
Januar, Februar und März?

22. Wie verteilen sich die Mauteinnahmen konkret auf deutsche und auf aus-
ländische Güterkraftverkehrsunternehmen, insbesondere im Hinblick auf
Unternehmen aus Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei,
Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern (bitte aufgeschlüsselt nach
Nationalitäten darstellen)?

23. Wie teilen sich die so genannten „Mautsünder“, also Unternehmen, die
gezielt die Autobahn benutzen ohne Maut zu bezahlen, nach Herkunfts-
ländern auf?

24. Wie viele Bußgeldverfahren wurden bisher gegen ausländische Güterkraft-
verkehrsunternehmer eingeleitet und wie viele waren davon erfolgreich
(Aufschlüsselung nach Herkunftsländern)?

25. Wie gestalten sich die Verlagerungseffekte von Bundesautobahnen auf das
nachgeordnete Straßennetz im Bereich der Grenzgebiete zu Polen und
Tschechien und gibt es hierbei Auffälligkeiten nach Herkunftsländern?

Berlin, den 12. April 2005
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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