BT-Drucksache 15/5279

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -15/3917, 15/4068, 15/5268- Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Vom 13. April 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5279
15. Wahlperiode 13. 04. 2005

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Daniel Bahr (Münster), Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst
Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann, Dr. Christel
Happach-Kasan, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 15/3917, 15/4068, 15/5268 –

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der anstehenden und nunmehr durch die Bundesregierung bereits um etwa ein
Jahr verzögerten Umsetzung der EU-Beschleunigungsrichtlinien zur weiteren
Liberalisierung der europäischen Strom- und Gasmärkte kommt entscheidende
Bedeutung für private Haushalte und Unternehmen und damit für den Standort
Deutschland zu. Die noch von der konservativ-liberalen Koalition angestoßene
Liberalisierung der deutschen Energiemärkte hatte 1998 zunächst für eine Inten-
sivierung des Wettbewerbs in der deutschen Energiewirtschaft gesorgt, zu
sinkenden Preisen geführt und private Haushalte wie Unternehmen um etwa
7,5 Mrd. Euro entlastet. Diese Entlastung ist heute wieder aufgezehrt. Bei den
Strom- und Gaspreisen steht Deutschland heute im europäischen und weltweiten
Vergleich wieder an der Spitze. Die Energiepreise stellen so eine erhebliche Be-
lastung für den wirtschaftlichen Standort Deutschland dar.
Ursächlich für die steigenden Energiepreise sind im Wesentlichen drei Gründe.
1. Die Wettbewerbsintensität auf den Energiemärkten hat sich durch horizontale
wie vertikale Konzentrationen in den letzten Jahren deutlich vermindert. Politi-
sche Entscheidungen der rot-grünen Bundesregierung zugunsten marktbeherr-
schender Energieunternehmen haben daran einen wesentlichen Anteil. Am
markantesten ist die gegen das Votum des Bundeskartellamtes und der Mono-
polkommission erteilte Ministererlaubnis für die Fusion von E.ON und Ruhrgas
aus dem Jahr 2002. Das Ergebnis sind stark gestiegene Nettopreise für Strom
und Gas. So sind die Nettostrompreise, also die Preise ohne Steuern, Abgaben

Drucksache 15/5279 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und Umlagen, auf der Mittelspannungsebene seit 2000 um etwa 30 Prozent ge-
stiegen. Mittlerweile liegen die Nettoindustriestrompreise sogar wieder über de-
nen des Jahres 1998, dem Zeitpunkt der Liberalisierung und Deregulierung der
Energiemärkte.
2. Die steigenden Preise sind auf die verfehlte, vielfach ideologisch motivierte
Steuer-, Abgaben- und Umlagenpolitik der rot-grünen Bundesregierung zurück-
zuführen (Stromsteuer, Mineralölsteuer, Förderabgaben, Erneuerbare-Energien-
Gesetz, Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz), die die Abgabenbelastungen von
Wirtschaft und Verbrauchern für den gesamten Energieverbrauch inklusive
Treibstoffe im Jahre 2003 auf rund 64,6 Mrd. Euro einschl. Mehrwertsteuer ge-
steigert haben. Das Gesamtaufkommen an Steuern und Abgaben auf Energie
(ohne Mehrwertsteuer) entspricht jetzt rund 2,6 Prozent des nominalen Brutto-
sozialproduktes. Die Pro-Kopf-Belastung mit Energiesteuern und -abgaben liegt
heute bei über 798 Euro im Jahr. Rund 40 Prozent der Stromkosten der privaten
Haushalte sind derzeit staatlich verursacht; bei Gas liegt der Anteil bei 30 Pro-
zent. Steuern, Abgaben und Umlagen sind seit 1998 für den privaten Stromver-
braucher um durchschnittlich 47 Prozent gestiegen. Insbesondere das Erneuer-
bare-Energien-Gesetz hat zum Ausbau einer hoch subventionierten Stromerzeu-
gung geführt und belastet die Volkswirtschaft mit insgesamt ca. 2,6 Mrd. Euro
im Jahr 2005. Diese Interventionen in den Markt dienen allein der absurden Phi-
losophie, wonach der Staat schon heute entscheiden solle, von welchen Energie-
trägern wir zukünftig unsere Energieversorgung abhängig machen. In diesem
Zusammenhang ist auch der projektierte, aber grundfalsche Ausstieg aus der
Kernenergie zu sehen.
3. Die Preisentwicklungen im Bereich der Energie gehen auf die globalen
Entwicklungen auf den Energiemärkten zurück. Die Weltnachfrage nach Öl,
Gas und Kohle ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Die Staaten des
asiatisch-pazifischen Raumes, vor allem China und Indien, haben maßgeblich
dazu beigetragen.
Vor diesem Hintergrund muss die anstehende Novellierung des Energierechtes
genutzt werden, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für Wettbewerb
auf den Energiemärkten zu verbessern, damit Energiepreissenkungen möglich
werden. Sie muss darauf hinwirken, Effizienzpotentiale in den Netzen auszu-
schöpfen und neue zu entwickeln. Die Verbändevereinbarungen haben sich als
unzureichend erwiesen. Die Netzzugangsentgelte, für deren Gestaltung die
Verbändevereinbarungen erheblichen Spielraum lassen, blieben auf hohem
Niveau und stellen ein Haupthindernis für die Stromdurchleitung dar. Die ohne-
hin schwierige Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt wurde zudem
durch Gerichtsentscheide zur Auslegung der Verbändevereinbarungen de facto
ausgehebelt. Der Zugang zum natürlichen Monopolbereich Netz muss deshalb
durch eine schlanke und unbürokratische Regulierung sichergestellt werden.
Nur so kann der Wettbewerb in der Energiewirtschaft wieder belebt und die
Basis für einen allgemeinen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland verbessert
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
den Gesetzentwurf in wesentlichen Punkten nachzubessern. In der jetzt vorlie-
genden Form birgt er die Gefahr, aufgrund mangelnder Konsistenz und Intrans-
parenz der Regelungen dem Wettbewerb eher zu schaden als zu nützen, indem
er die bestehenden engen Oligopolstrukturen verfestigt. Ohne maßgebliche
Änderungen würde die Chance für eine Senkung der Energiepreise mittels
Stärkung des Wettbewerbs vertan und die europäische Zielsetzung einer schlan-
ken wettbewerblichen Regelung in den Energienetzen konterkariert. Derartige
Änderungen betreffen insbesondere:

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1. Anreizregulierung
Entscheidend ist die Entkoppelung der Entgelte von den Kosten der Netznut-
zung. Das Instrument hierfür ist die Anreizregulierung. Es ist das zentrale Instru-
ment zur Einführung von mehr Wettbewerb in den Netzen und bedarf deshalb
sorgfältiger Vorbereitung und einem entsprechenden zeitlichen Vorlauf, der
nicht länger als 12 Monate dauern sollte.
In Deutschland wird mit der Anreizregulierung Neuland betreten. Flexibilität ist
deshalb geboten. Das Gesetz einschließlich der entsprechenden Rechtsverord-
nungen sollte folglich lediglich Grundsätze für die Anreizregulierung festlegen
und Kriterien benennen, die nach erneuter Vorlage an den Verordnungsgeber
Prüfung modifiziert bzw. ergänzt werden können. Bei weitgehender Detailrege-
lung in Gesetz oder Verordnungen, wie derzeit vorgesehen, wird es der Regulie-
rungsbehörde erschwert, sich auf verändernde Rahmenbedingungen einzustel-
len. Die anzuwendenden Verfahren sollten nach Vorlage des für 2007 vorge-
sehenen Evaluierungsberichtes einem periodischen Überprüfungsverfahren
unterliegen. Die RegTP sollte ferner angewiesen werden, bei der Konzipierung
der Anreizregulierung sowie beim Vollzug die betroffenen Unternehmen ein-
zubinden sowie sich eng mit dem Bundeskartellamt abzustimmen und dem
Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten. Die Missbrauchsaufsicht des Bun-
deskartellamts über marktbeherrschende Unternehmen muss erhalten bleiben.
2. Die Regulierungsbehörde (RegTP)
Der gesetzliche Rahmen muss es der Regulierungsbehörde für Telekommuni-
kation und Post (RegTP) ermöglichen, die methodische Ausgestaltung eines
Vergleichsmarktkonzeptes selbständig zu entscheiden. Eine gesetzliche Veran-
kerung eines bestimmten Modells ist kontraproduktiv. Angesichts der wirt-
schaftlichen und energiepolitischen Tragweite muss die Regulierung jedoch par-
lamentarisch begleitet werden.
Die künftige Regulierung der Energiemärkte sollte ausschließlich wettbewerbs-
orientiert sein. Sachfremde Aspekte (wie z. B. der Klimaschutz, der Energiemix
oder die Förderung erneuerbarer Energieträger etc.) sollten keine Rolle spielen.
Die Regulierung sollte nicht mittels eines übermäßigen Zielkatalogs überfrach-
tet werden. Eine Privilegierung von spezifischen Formen der Strom- und Gas-
erzeugung durch bevorzugte Einspeisung (z. B. Biogaseinspeisung, KWK-
Stromeinspeisung) sollte nicht in Frage kommen.
Bei der Regulierungsbehörde handelt es sich um eine Bundesbehörde, die
öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Deshalb muss sie aus dem Bundeshaushalt
finanziert werden. Eine nicht in der Höhe begrenzte Umlagenfinanzierung ohne
haushalterische Kontrolle bewirkt Überbürokratisierung und ein Aufblähen des
Apparates. Der im Gesetzentwurf vorgesehene Regulierungsbeitrag, den die zu
regulierenden Unternehmen entrichten sollen, ist eine abgabenähnliche Ein-
nahme. Er belastet die Unternehmen und führt die Regulierungsbehörde in die
Abhängigkeit derer, die sie kontrollieren soll. Dies aber stellt ihre Unabhängig-
keit in Frage.
Die Sanktionsmöglichkeiten des neuen Gesetzes sollten sich orientieren an
denen des Kartellrechts. Nach dem Gesetzentwurf bleiben sie deutlich dahinter
zurück. Die RegTPmuss neben der Verhängung von BußgeldernMehrerlöse ab-
schöpfen dürfen. Dadurch könnte sich die Behörde durch Gebührenbescheide
zusätzlich finanzieren.
Die Regulierung muss in Deutschland bundeseinheitlich gestaltet werden. Es
dürfen keine neuen Mischzuständigkeiten geschaffen werden. Die RegTP muss
die zentrale, einheitliche Regulierungsbehörde werden.

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Die Regulierungsbehörde muss unabhängig sein und mit einem schlagkräftigen
Instrumentarium ausgestattet werden. Die Unabhängigkeit darf nicht durch ein
Einzelweisungsrecht unterlaufen werden, da sie den Spielraum der RegTP
unangemessen einengen würde.
3. Berichte über Netzausbauplanung
Die Planung des Verteilernetzausbaus muss den Unternehmen im Zuge der
Sicherung der Versorgungssicherheit und -qualität überlassen bleiben. Die in
§ 12 Abs. 4 vorgesehene 2-jährige Berichtspflicht über Netzausbaupläne birgt
die Gefahr staatlicher Investitionslenkung und wird daher abgelehnt. Weisungen
oder Rahmenverordnungen hierzu haben zu unterbleiben.
4. Regelenergie
In den Regulierungsrahmen einbezogen werden sollte die Bereitstellung von
Regelenergie. Wichtig ist, dass Ausschreibungen auf einer gemeinsamen
nationalen Plattform erfolgen, statt sich jeweils auf die individuellen Regel-
zonen der vier Übertragungsnetzbetreiber zu beschränken. Denn eine
gemeinsame Regelzonenübergreifende Ausschreibung wirkt preisdämpfend.
Sie führt zu Synergien und somit zu einer Reduktion des Regelenergiebedarfes.
5. Nettosubstanzerhaltung/Kalkulationsmethoden
Mit dem in § 21 verankerten Prinzip der Nettosubstanzerhaltung wird keine
wirksame Kostenkontrolle erreicht. Vielmehr beinhaltet diese Methode (Ab-
schreibung u. a. auf der Basis von Tageswerten, fiktive Zuordnung von Eigen-
und Fremdkapital finanzierten Vermögensgegenständen, Zugrundelegung nicht
zukunftsorientierter Netzstrukturen) dagegen viel Diskriminierungspotential
aufgrund von Gestaltungsspielräumen und Möglichkeiten zum Verbergen von
Gewinnen (Quersubventionierung; Überwälzung von Kosten auf die Netze).
Die Realkapitalerhaltung – die Beschaffung des Kapitals zu Anschaffungskos-
ten verzinst mit einem Nominalzinssatz – ist das geeignetere Instrument zur
Schaffung von mehr Transparenz und erleichtert den Gerichten die Urteilsfin-
dung.
Kalkulationsmethoden müssen flexibel in der Zeit sein, zukunftsorientiert und
wettbewerbskonform. Um zeitnahe Anpassungen an sich verändernde Rahmen-
bedingungen zu ermöglichen, sollten sie nicht ins Gesetz hineingeschrieben
werden. Dasselbe gilt für Zinssätze für die Eigenkapitalverzinsung (Wagnis-
zuschläge sind in der Eigenkapitalverzinsung enthalten. Sie sollten nicht geson-
dert angesetzt werden.)
6. Entflechtung (Unbundling)
Auch eine wirksame vertikale Separierung (Unbundling) wird Quersubventio-
nierungen nicht völlig unter Kontrolle bringen. Unbundling ist aber Vorausset-
zung dafür, dass Diskriminierungsanreize verringert werden. Deshalb ist eine
klare Trennung der Netze von den vor- und nachgelagerten Stufen (rechtlich,
operationell, informationell und buchhalterisch) notwendig, wobei die buchhal-
terische Entflechtung unverzüglich vollzogen werden sollte.
Der hierzu im vorliegenden Entwurf angesetzte Schwellenwert, ab dem die
Entflechtung zu vollziehen ist, ist jedoch viel zu hoch (100 000 Letztverbrau-
cher) und muss auf 25 000 abgesenkt werden. Verstöße gegen die Entflechtungs-
regeln sind mit Bußgeldern zu ahnden.
7. Biogas
Die in den §§ 20, 26, 38 und 115 enthaltenen Regelungen zur Einspeisung von
Biogas sind Sondertatbestände, die nicht in direktem Zusammenhang mit dem

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Ziel des Gesetzes stehen. Sie bedeuten vielmehr eine Privilegierung eines ein-
zelnen Energieträgers und eine Belastung für die vorhandenen Netzstrukturen
und sind ein maßgeblicher preistreibender Faktor bei der Entgeltfindung.
8. Stromkennzeichnungspflichten
Über die EU-Richtlinie hinausgehende Kennzeichnungspflichten, wie im Ent-
wurf der Bundesregierung vorgesehen, schaffen unnötige, kostenintensive
Bürokratie, ohne einen weiteren Nutzen zu bringen. Deshalb ist die unmittelbare
Umsetzung der Richtlinie zur Stromkennzeichnung und zur Transparenz über
die Zusammensetzung des Stroms zur Unterrichtung des Bürgers ausreichend.
9. Verbandsklagerecht
Das in den §§ 32 und 35 vorgesehene Verbandsklagerecht sowie die Vorteilsab-
schöpfungsrechte von Verbänden weiten den Kreis der Klagebefugten aus. Sie
sind rechtsunsystematisch und unverhältnismäßig und mit einem hohen büro-
kratischen Aufwand verbunden. Durch die gesetzlich verankerte, frist-
gebundene Prüf- und Entscheidungspflicht der Regulierungsbehörde ist bereits
hinreichend gewährleistet, dass jeder Beschwerde aufsichtlich nachgegangen
wird.
10. Berichts- und Veröffentlichungspflichten
Die Berichts- und Veröffentlichungspflichten für Strom und Gas müssen den be-
rechtigten Vertrauensinteressen von Netzkunden und Netzbetreibern Rechnung
tragen. Die zu veröffentlichenden Sachverhalte sollten einen tatsächlichen
Mehrwert, insbesondere als Parameter einer Anreizregulierung, darstellen und
dürfen nicht zu einem unvertretbaren Bürokratieaufwand führen, der zu einer
Verteuerung und damit zu Lasten der Kunden führen würde.

Berlin, den 13. April 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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