BT-Drucksache 15/5246

Stärkung der klinischen Forschung in der Hochschulmedizin

Vom 12. April 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5246
15. Wahlperiode 12. 04. 2005

Antrag
der Abgeordneten Helge Braun, Katherina Reiche, Thomas Rachel,
Dr. Maria Böhmer, Dr. Christoph Bergner, Monika Brüning, Vera Dominke,
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Ute Granold, Helmut Heiderich, Volker Kauder,
Michael Kretschmer, Werner Lensing, Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn),
Bernward Müller (Gera), Uwe Schummer, Marion Seib und der Fraktion
der CDU/CSU

Stärkung der klinischen Forschung in der Hochschulmedizin

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Hochschulmedizin in Deutschland erfüllt zahlreiche komplexe Aufgaben in
den Bereichen der Gesundheitsversorgung, der Forschung sowie der Aus- und
Weiterbildung von Ärzten.
Die Universitätskliniken tragen zu einem erheblichen Anteil zur Versorgung von
Patienten auf dem Niveau der Spitzenmedizin bei. Mit rund 130 000 Vollzeit-
kräften, davon 22 000 Ärzten, gehören die 34 Hochschulkliniken zu den größten
Krankenhäusern Deutschlands. Im stationären Bereich versorgen die Univer-
sitätskliniken etwa 9 Prozent der Patienten. In der intensivmedizinischen Ver-
sorgung liegt der Anteil gar bei 17,5 Prozent.
Gleichzeitig hat die Hochschulmedizin den Auftrag, den wachsenden Bedarf an
zukünftigen Ärzten auszubilden sowie durch Weiterbildung der Ärzte den
Qualitätsstandard in der Medizin in Deutschland insgesamt zu prägen. Dies ist
vor dem Hintergrund der rasanten Zunahme der medizinischen Erkenntnis und
der enormen Entwicklungsgeschwindigkeit in der Medizintechnik eine große
Herausforderung.
Ferner ist die Hochschulmedizin als zentraler Ort der klinischen Forschung
wesentlicher Garant für den medizinischen Fortschritt. Die klinische Forschung
an den Universitäten stellt die Grundlage für die weitere Entwicklung der inter-
nationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im expandierenden Markt für
Gesundheitsleistungen dar. Daher bedarf es einer vorteilhaften Ausgestaltung
der Rahmenbedingungen für die klinische Forschung.
Die klinische Forschung in Deutschland hat aufgrund verschiedener beeinträch-
tigender Faktoren in den letzten Jahren an Leistungsfähigkeit verloren.
Der Kostendruck im Gesundheitswesen hat bewirkt, dass bereits vor Einführung
des Fallpauschalensystems im Bereich der Krankenhausfinanzierung über die
Hälfte der Universitätsklinika defizitär waren. Es bestand die Befürchtung, dass
unter den neuen Finanzierungsbedingungen weitere Umsatzeinbußen bei den
Universitätskliniken und Zentren der Maximalversorgung aufgrund der hohen
Vorhaltekosten und der komplexen Patientenkollektive hinzunehmen sind. Die

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CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Interesse dieser Kliniken erhebliche Ver-
besserungen im 2. Fallpauschalenänderungsgesetz erreicht.
Die Hochschulambulanzenstudie des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung hat darüber hinaus beispielhaft gezeigt, dass teilweise in erheblichem
Ausmaß Forschungsgelder zur Deckung von Defiziten in der Krankenversor-
gung zweckfremd eingesetzt werden. So decken die je Patient und Quartal ver-
güteten Ambulanzpauschalen im Durchschnitt nur 31 Prozent der Kosten pro
Behandlungsfall. Die daraus folgende geringe Effizienz der Förderung klini-
scher Forschung hat zu einem weitgehenden Erlahmen der Anstrengungen ge-
führt. Eine Trennungsrechnung zwischen Krankenversorgung auf der einen und
Forschung und Lehre auf der anderen Seite ist daher in der Hochschulmedizin
zwingend flächendeckend erforderlich.
Das große Potenzial und den dringenden finanziellen Förderbedarf für klinische
Forschung zeigt die Tatsache, dass für das Programm „Klinische Forschergrup-
pen“ der DFG von 111 Förderanträgen nur 25 bewilligt werden konnten.
Die wissenschaftsinitiierte, von wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen
unabhängige klinische Forschung hat insbesondere bei der Evaluierung medizi-
nischer Diagnostik und Therapie und im Bereich seltener Erkrankungen eine
große Bedeutung. Daher müssen diese Anstrengungen wieder verstärkt werden.
Im Juli 2004 hat das Bundessozialgericht in einem Urteil entschieden, dass der
stationäre Krankenhausaufenthalt im Rahmen einer klinischen Studie, bei der
noch nicht zugelassene Arzneimittel erprobt werden, nicht als Krankenhausbe-
handlung von den Krankenkassen zu vergüten ist. Dies gelte unabhängig davon,
ob die in die Arzneimittelstudie einbezogenen Patienten behandlungsbedürftig
gewesen sind, ob die Arzneimittelstudie im Vordergrund der Behandlung steht
und unabhängig von der Frage, ob die Patienten in der Zeit in der Klinik behan-
delt worden sind.
Das Urteil hat an den Universitäten und bei den Drittmittelgebern zu einer
erheblichen Verunsicherung geführt, da die Entscheidung eine Umkehr der der-
zeitigen Finanzierungspraxis von klinischen Studien bedeuten würde und eine
deutliche Verteuerung der klinischen Forschung in Deutschland zur Folge hätte.
Zudem besteht eine eklatante Rechtsunsicherheit, da das Urteil im Widerspruch
zuWertungen der Gesetze steht, wonach die GKV an den Behandlungskosten im
Rahmen von Forschung beteiligt wird. So ist in § 137c SGB V festgelegt, dass
die „Durchführung klinischer Studien“ von den gemäß § 137c SGB V vorgese-
henen Verfahren zur Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsmetho-
den, die zu Lasten der GKV im Rahmen einer Krankenhausbehandlung ange-
wandt werden oder angewandt werden sollen, unberührt bleibt. Ausdrücklich
weist auch die Begründung im Gesetzentwurf zu § 137c SGB V (Bundestags-
drucksache 14/1245, S. 90) dazu aus: „Insbesondere bei Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden, die im Rahmen klinischer Studien oder multizentrischer
Studien unter Verantwortung von Hochschulkliniken angewandt werden, bleibt
es dabei, dass die Krankenkassen die notwendige stationäre Versorgung der in
die Studien einbezogenen Patienten mit den Krankenhausentgelten vergüten.“
Auch in § 17 Abs. 3 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes hat der Gesetzgeber
die Wertung getroffen, dass in dem Pflegesatz die Kosten für wissenschaftliche
Forschung und Lehre nicht enthalten sein sollen, die über den normalen Kran-
kenhausbetrieb hinausgehen.
Da das Gerichtsurteil mit der ratio legis von SGB V und Krankenhausfinanzie-
rungsgesetz nur schwerlich vereinbar ist, besteht derzeit für den Forschungs-
standort Deutschland eine eklatante Rechtsunsicherheit. Die Schaffung eines
sicheren Rechtsrahmens für Wissenschaftler und Patienten ist zwingend gebo-
ten.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5246

Das Urteil berührt auch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
initiierten Koordinationszentren für Klinische Forschung und das Förderpro-
gramm für klinische Studien, da bislang nicht vorgesehen ist, dass für die Stan-
dardbehandlungskosten von Patienten in klinischen Prüfungen Mittel zur Ver-
fügung gestellt werden.
Angesichts der unsicheren Rechtslage und der damit verbundenen unsicheren
Finanzierung der medizinischen Forschung droht eine Schädigung des For-
schungsstandortes Deutschland. Die Kosten von Krankenhausbehandlungen,
die nicht auf eine klinische Studie zurückzuführen sind, sollten daher von der
Krankenversicherung erstattet werden. Sonst droht eine verstärkte Abwande-
rung der klinischen Forschung verbunden mit der weiteren Abwanderung exzel-
lenter Wissenschaftler und der Verlagerung von Entwicklungs- und Forschungs-
standorten ins Ausland.
Wenn Deutschland eine führende Rolle auf dem Wachstumsmarkt von Gesund-
heitsforschung und Hochschulmedizin einnehmen soll, sind erhebliche Anstren-
gungen zur Stärkung der klinischen Forschung in der Hochschulmedizin uner-
lässlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– der klinischen Forschung einen höheren Stellenwert bei der Forschungs-

förderung einzuräumen,
– beim Antragsverfahren auf Fördermittel und bei der Genehmigung klinischer

Studien Möglichkeiten der Verfahrensvereinfachung unter Anwendung
hoher ethischer Standards zu überprüfen, ohne dabei in den derzeitigen Pro-
bandenschutz einzugreifen,

– die zweckfremde Verwendung von Forschungsmitteln zur Deckung von
Defiziten in der Krankenversorgung zu unterbinden,

– die Auswirkungen des Fallpauschalensystems auf die Hochschulkliniken
daraufhin zu überprüfen, ob die Leistungen der Universitätskliniken aus-
reichend abgebildet sind und dem Deutschen Bundestag darüber zu berich-
ten,

– verstärkt Fördermechanismen für die Erforschung seltener Erkrankungen zu
entwickeln,

– umgehend eine Gesetzesinitiative vorzulegen, um angesichts des Urteils des
Bundessozialgerichts die Finanzierung der Krankenversorgung von Studien-
patienten wieder sicherzustellen und Rechtssicherheit zu gewährleisten.

Berlin, den 12. April 2005
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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