BT-Drucksache 15/5042

Arbeitsplatzangebot bei geringfügiger Beschäftigung stärken

Vom 9. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5042
15. Wahlperiode 09. 03. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dirk Niebel, Andreas Pinkwart, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel
Happach-Kasan, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Arbeitsplatzangebot bei geringfügiger Beschäftigung stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Nach der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Ar-

beitslosengeld II zum 1. Januar 2005 ist die Schaffung von Arbeitsplätzen
im Bereich niedriger Einkommen, insbesondere auch für die Empfänger von
Arbeitslosengeld II, eine zentrale Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik. Die
Ausdehnung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse auf Einkommen bis
600 Euro und die Regelung, für Empfänger von Arbeitslosengeld II-Einkom-
men aus geringfügiger Beschäftigung zu 40 Prozent anrechnungsfrei zu be-
lassen, ist neben anderen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten ein wichtiges
Mittel, um das Arbeitsplatzangebot im Bereich niedriger und mittlerer Ein-
kommen zu stärken, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu erhöhen und gering-
fügige Beschäftigungsverhältnisse gegenüber 1-Euro-Jobs für Arbeitsuchende
wettbewerbsfähig zu machen.

2. Seit der Neuregelung der Steuer- und Abgabenbedingungen für Arbeitsent-
gelte bis 400 Euro, so genannte Minijobs, im Jahr 2003 ist deren Zahl um
2,5 Millionen auf 6,8 Millionen im Jahr 2004 gestiegen. Dies belegt ein-
drucksvoll den Bedarf nach flexibler und von Abgaben entlasteter Arbeit bei
Arbeitsuchenden und Arbeitgebern. Die zu Beginn der 14. Legislaturperiode
von der Bundesregierung eingeführten höheren Belastungen von geringfügi-
ger Beschäftigung hatten die bereits vor 1998 bestehende dynamische Ent-
wicklung bei der geringfügigen Beschäftigung bis 2002 unterbrochen.

3. Bereits 2002 war von Wirtschaftssachverständigen und der FDP-Bundes-
tagsfraktion gefordert worden, die Grenze für geringfügige Beschäftigung
über 400 Euro hinaus zu erhöhen, weil dafür Bedarf bei den Arbeitsuchen-
den und den Arbeitgebern besteht. Die Forderung nach einer höheren
Grenze der geringfügigen Beschäftigung konnte im Rahmen des zweiten

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Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt aber nicht durchge-
setzt werden.

4. Studien der Bundesagentur für Arbeit, des Sachverständigenrates für die ge-
samtwirtschaftliche Entwicklung und des Rheinisch-Westfälischen Instituts
für Wirtschaftsforschung, RWI Essen verweisen in differenzierten Unter-
suchungen auf viele positive Effekte und Vorteile, die durch die Einführung
und Ausbau geringfügiger Beschäftigung eintreten. Es ist daher unverständ-
lich, dass sich der Deutsche Gewerkschaftsbund wiederholt einseitig gegen
die Fortführung, geschweige denn eine Ausweitung geringfügiger Beschäf-
tigung ausgesprochen hat und damit institutionelle Eigeninteressen der Ge-
werkschaften über die Bedürfnisse der Arbeitsuchenden und Arbeitgeber
stellt.

5. Im Bereich niedriger Bruttolöhne wirkt eine Sozialabgabenpflicht in Höhe
von ca. 42 Prozent besonders belastend und verhindert die Entstehung von
Arbeitsplätzen. Mit einer Ausweitung der Regeln für geringfügige Beschäf-
tigung auf 600 Euro könnten gerade im gering und mittelhoch qualifizierten
Bereich neue Arbeitsplätze entstehen. Bereits heute werden durch geringfü-
gige Beschäftigung Arbeitsplätze vor allem für Berufsgruppen mit niedrigen
oder mittleren Löhnen geschaffen. Für den Arbeitgeber eröffnen erweiterte
Grenzen bei geringfügiger Beschäftigung die Möglichkeit, auf saisonale
oder konjunkturelle Schwankungen viel flexibler reagieren zu können als
bisher. Geringfügige Beschäftigung stärkt damit die Chancen für Arbeits-
lose, überhaupt einen Arbeitsplatz zu finden. Dies lässt sich bereits heute aus
den Berichten des Sachverständigenrates für gesamtwirtschaftliche Entwick-
lung, des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung, RWI
Essen und der Bundesagentur für Arbeit entnehmen. 15 Prozent der Per-
sonen mit Minijob waren zuvor arbeitslos.

6. Für Bezieher von Arbeitslosengeld II bestehen gegenwärtig zu geringe An-
reize für die Aufnahme eines Minijobs und damit für einen Einstieg in den
ersten Arbeitsmarkt. Bisher bleiben einem Arbeitslosengeld II-Empfänger
wegen der derzeitigen engen Anrechnungsregeln von 400 Euro Verdienst
aus einem Minijob nur 98 Euro erhalten. Der Verdienst aus einem Minijob
stellt sich mit der gegenwärtigen Anrechnungsregelung für einen Empfänger
von Arbeitslosengeld II unter Umständen als weniger lohnend dar als die
Aufnahme eines 1-Euro-Jobs. Arbeitsplätze vom ersten Arbeitsmarkt sollten
für Arbeitslosengeld II-Empfänger aber immer attraktiver sein als staatlich
organisierte Beschäftigung für Arbeitsuchende. Mit einer verbesserten Anre-
chenbarkeitsregel für Minijobs, nach der für Arbeitslosengeld II-Empfänger
40 Prozent der Einnahme aus geringfügiger Beschäftigung bis zur neuen
Grenze geringfügiger Beschäftigung von 600 Euro anrechnungsfrei bleiben,
werden Minijobs für Arbeitslosengeld II-Empfänger attraktiver als 1-Euro-
Jobs.

7. Für Arbeitsuchende stellen ausgeweitete Regeln für geringfügige Beschäfti-
gung ein geeignetes Mittel für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt dar.
Die Ausweitung geringfügiger Beschäftigung dient den Arbeitsuchenden als
Zwischenschritt zu voll sozialversicherungspflichtiger Arbeit und ist ein
Schritt zur Selbstfinanzierung des Lebensunterhalts. Laut Bundesagentur für
Arbeit gelang zwischen März 2003 und 2004 ca. 441 000 Personen, die ei-
nem Minijob nachgingen, der Wechsel in eine Vollzeitstelle. Eine Anhebung
der Grenzen für geringfügige Beschäftigung erleichtert den Übergang in die
volle Erwerbstätigkeit.

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8. Die Ausweitung geringfügiger Beschäftigung auf Einkommen bis zu 600
Euro bietet ein Instrument zur Herstellung der Vereinbarkeit von Familie
und Berufstätigkeit und zum Abbau des steigenden Armutsrisikos für Fa-
milien mit Kindern. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ge-
rade Familien mit Kindern zunehmend vom Armutsrisiko betroffen sind.
Es ist daher zu begrüßen, wenn durch einen Minijob eines der Elternteile
das Familieneinkommen aufgebessert wird. Geringfügige Beschäftigung
für einen der Elternteile ist familienfreundlich, weil sie Familienpflichten,
vor allem Kinderbetreuung nebenher zeitlich zulässt. Tatsächlich haben
55 Prozent der Haushalte, in denen eine Person einem Minijob nachgeht,
Kinder unter 15 Jahren zu versorgen.

9. Eine Anhebung der Grenze geringfügiger Beschäftigung erweitert die Zu-
verdienstmöglichkeiten für Rentner und hilft so zukünftige Altersarmut zu
verhindern. Das Niveau der Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Renten-
versicherung wird in Zukunft deutlich abgesenkt werden. Damit gewinnt
die Möglichkeit zu zusätzlichen Verdiensten für Rentner an Bedeutung.
Die Rentenansprüche vieler Personen werden in Zukunft auch deshalb
gering ausfallen, weil die Menschen, die gegenwärtig von der Massen-
arbeitslosigkeit betroffen sind, nur geringe Rentenanwartschaften erwer-
ben. Geringfügige Beschäftigung ist darüber hinaus auch ein Mittel, die in
Deutschland geringe Arbeitstätigkeit von Personen im Alter über 60 Jahren
anzuheben. Nicht zuletzt bieten Minijobs Rentnern die Chance, ihre Fähig-
keiten und Erfahrungen weiterhin in die Arbeitswelt einzubringen.

10. Geringfügige Beschäftigung stärkt gerade strukturschwache Regionen und
Berufsgruppen der unteren und mittleren Einkommensbereiche. Vor allem
in ländlichen Gebieten und kleinen Städten entstanden in den letzten Jah-
ren Minijobs. Eine Anhebung der Verdienstgrenzen bei geringfügiger
Beschäftigung kann diese Entwicklung weiter verstärken.

11. Mit der Einführung der Minijobs wurde der Umfang der Schwarzarbeit,
der durch die finanziellen Belastungen geringfügiger Arbeit während der
letzten Legislaturperiode angestiegen war, erfolgreich zurückgedrängt. Es
wird davon ausgegangen, dass bis zu zwei Drittel der heutigen Arbeit-
nehmer mit Minijobs früher Schwarzarbeit geleistet haben. Die Schwarz-
arbeitsquote ist von geschätzten 17,4 Prozent im Jahre 2003 auf 15,6 Pro-
zent im Jahr 2004 gesunken. In den kommenden Jahren wird ein weiteres
Absinken auf bis zu 10 Prozent für möglich gehalten, wenn eine weitere
Förderung und Ausbau geringfügiger Beschäftigung erfolgt. Aus dieser
Absenkung der Schwarzarbeit entstehen zusätzliche Einnahmen bei den
Sozialversicherungssystemen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen, der beinhaltet,
1. die Regelungen für Minijobs auf Einkommen bis zu 600 Euro auszuweiten,
2. für Empfänger von Arbeitslosengeld II einen Verdienst aus einem Minijob

bis zu 600 Euro zu 40 Prozent anrechnungsfrei zu belassen.

Berlin, den 9. März 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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