BT-Drucksache 15/5029

Auf dem Weg in ein geschlechtergerechtes Deutschland - Gleichstellung geht alle an

Vom 9. März 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/5029
15. Wahlperiode 09. 03. 2005

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Sabine Bätzing, Ute Berg, Detlef Dzembritzki,
Siegmund Ehrmann, Elke Ferner, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim),
Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Klaus Werner Jonas, Karin Kortmann,
Nicolette Kressl, Ute Kumpf, Christine Lehder, Lothar Mark, Caren Marks,
Dr. Sascha Raabe, Walter Riester, Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Anton Schaaf,
Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Rita Streb-Hesse,
Hans-Jürgen Uhl, Andreas Weigel, Hildegard Wester, Jürgen Wieczorek (Böhlen),
Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Ekin
Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger, Ursula Sowa, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auf dem Weg in ein geschlechtergerechtes Deutschland – Gleichstellung
geht alle an

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Frauen und Männer sind bereits seit über 50 Jahren durch das Grundgesetz
(Artikel 3 Abs. 2 GG) formal gleichberechtigt, ihre tatsächliche Gleichstellung
ist jedoch noch nicht erreicht. In welchem Tempo Gleichstellungspolitik zu frü-
heren Zeiten vollzogen wurde, wird exemplarisch daran deutlich, dass es von der
Verabschiedung des Grundgesetzes mit seinem Gleichberechtigungsartikel im
Jahr 1949 bis zur Beseitigung des Rechts des Ehemannes, den Arbeitsvertrag
seiner Frau zu kündigen, 23 Jahre gedauert hat.
1995 fand in Peking die Vierte Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen
statt. Mit der Verabschiedung der Pekinger Aktionsplattform, die zwölf zentrale
Handlungsfelder umfasst, hat sich die Bundesrepublik Deutschland zusammen
mit 188 weiteren Staaten der Vereinten Nationen konkrete Ziele zur Förderung
der Gleichstellung von Frauen und Männern gesetzt. Im Jahr 2005 gilt es zu
überprüfen, wie die Staaten den Verpflichtungen nachgekommen sind. „Peking
+ 10“ – so der kurze Titel dieses globalen Evaluationsprozesses – wird verdeut-
lichen, in welchen Bereichen Fortschritte in der Gleichstellung erzielt worden
sind und wo die Anstrengungen verstärkt werden müssen. Auch die Bundesre-
gierung überprüft in diesem Jahr verstärkt die Umsetzung der Pekinger Aktions-
plattform.
1994 wurde Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 in das Grundgesetz eingefügt. Dieser nor-
miert ein Staatsziel, enthält aber auch das an den Staat gerichtete verfassungs-
rechtliche Gebot, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von
Frauen undMännern zu fördern, bestehende Nachteile zwischen den Geschlech-
tern zu beseitigen und dadurch „in der Zukunft die Gleichberechtigung der Ge-

Drucksache 15/5029 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

schlechter durchzusetzen“ (BVerfGE 85, 191, 207). Dem Förderungsauftrag des
Staates, der durch Vorgaben des Gemeinschaftsrechts (Artikel 2, Artikel 3
Abs. 2, Artikel 141 Abs. 4 EG-Vertrag und EG-Gleichbehandlungsrichtlinie
76/207/EWG) sowie völkerrechtliche Verpflichtungen (Artikel 11 des Überein-
kommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau – CEDAW)
ergänzt wird, muss der Gesetzgeber entsprechend nachkommen.
Dieser Aufgabe haben sich die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
seit der Regierungsübernahme im Jahr 1998 in vielen unterschiedlichen Berei-
chen angenommen.Wurde vormals die Gleichstellungspolitik vernachlässigt, so
kann sich nun die gleichstellungspolitische Bilanz in den verschiedenen Politik-
feldern sehen lassen, und diese hat die Kluft zwischen rechtlicher und faktischer
Gleichberechtigung erheblich verringert. Das Prinzip des Gender Mainstrea-
ming wurde verankert und zum Leitprinzip des Regierungshandelns gemacht.
Im Oktober 2003 wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und in Kooperation mit der
Humboldt-Universität zu Berlin das GenderKompetenzZentrum gegründet, das
der Bundesverwaltung im weiteren Implementierungsprozess mit Expertinnen-
und Expertenwissen zur Verfügung steht.
Mit dem Programm „Frau und Beruf“ legte die Bundesregierung bereits in der
14. Legislaturperiode ein umfassendes gleichstellungspolitisches Arbeitspro-
gramm vor, mit dem Ziel, die Chancengleichheit von Frauen und Männern in
Beruf und Familie weiter voranzubringen. Viele der Maßnahmen des Pro-
gramms sind erfolgreich umgesetzt oder auf denWeg gebracht worden und wer-
den kontinuierlich weitergeführt.
Die gleichstellungspolitischen Ziele betreffen den Abbau von Diskriminierun-
gen in unterschiedlichen Rechts- und Lebensbereichen, die gleiche Teilhabe und
eine von tradierten Rollenmustern freie und selbstbestimmte Lebensgestaltung
beider Geschlechter. An das Geschlecht dürfen keine Vor- oder Nachteile ge-
knüpft werden.
Zu den wichtigen Vorhaben unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten in
der 14. Legislaturperiode zählte das Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz für den
Bereich des öffentlichen Dienstes des Bundes und der Bundesgerichte. Es trat
am 5. Dezember 2001 in Kraft. Da Frauen im Bereich des höheren Dienstes und
der Leitungsfunktionen unterrepräsentiert sind, wurde mit diesem Gesetz das
entsprechende Instrumentarium zur Verfügung gestellt, hier Veränderungen zu
bewirken und größere Rechts- und Anwendungssicherheit gegeben. Gleichzei-
tig wurden damit die Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf ver-
bessert. Das seit 1994 geltende Frauenfördergesetz hatte nicht die erhofftenWir-
kungen erzielt. Die Verbesserungen und Konkretisierungen im Bundesgleich-
stellungsgesetz sehen daher insbesondere die bevorzugte Berücksichtigung von
Frauen mit gleicher Qualifikation bei Ausbildung, Einstellung, Anstellung und
Beförderung im Falle der Unterrepräsentanz unter Einzelfallberücksichtigung in
dem jeweiligen Bereich vor.
Am 24. November 2004 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Gleichstel-
lung von Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr beschlossen. Da Frauen
in den meisten Bereichen der Bundeswehr noch unterrepräsentiert sind, wird mit
Hilfe einer Quote dafür Sorge getragen, dass ihre Anzahl steigt. Mit der Mög-
lichkeit von Teilzeit wird die Vereinbarkeit von Familie und Dienst erleichtert.
Bezüglich der tradierten Rollenmuster hat es eine Veränderung des Verständnis-
ses von Formen des Zusammenlebens gegeben, das sich nicht mehr nur auf das
traditionelle Zusammenleben in einer Ehe und entsprechende herkömmliche
Familienstrukturen reduziert. Zur gesellschaftlichen Realität gehören auch in
Deutschland längst andere Lebens- und Familienmodelle. Dieser Tatsache
wurde z. B. mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz Rechnung getragen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/5029

Mit der im Jahr 2002 beschlossenen Rentenreform ist ein erster Einstieg in eine
partnerschaftliche Teilung der Altersansprüche geschaffen worden. Ehepaare
können unter bestimmten Voraussetzungen durch eine übereinstimmende Erklä-
rung ein Rentensplitting der gemeinsam in der Ehezeit erworbenen Anwart-
schaften in der gesetzlichen Rentenversicherung beantragen. Zudem wird seit
dem 1. Januar 2002 der Aufbau einer zusätzlichen privaten Altersvorsorge durch
Zulagen und Steuerabzug gefördert. Für jedes Kind steht den Eltern nach Zah-
lung eines Mindesteigenbeitrages eine Kinderzulage zu, die bis zum Jahr 2008
gestaffelt auf 185 Euro je Kind ansteigt. Im letzten Jahr konnten für die Frauen
bei Neuverträgen ab 2006 gleiche Leistungshöhen für Frauen und Männer bei
der Riesterrente (Unisex-Tarife) durchgesetzt werden. Dies ist ein wesentlicher
gleichstellungspolitischer Schritt in dem Bereich der Altersvorsorge für Frauen.
Mit dem Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt an Frauen hat die Bundesre-
gierung 1999 erstmals ein umfassendes Gesamtkonzept für alle Ebenen der Ge-
waltbekämpfung vorgelegt. Der Aktionsplan zielt im Gegensatz zu den bisheri-
gen punktuellen Verbesserungen auf strukturelle Veränderungen bei der Be-
kämpfung von Gewalt mit Hilfe von Maßnahmen zur gesamtgesellschaftlichen
Prävention, die bereits im Kinder- und Jugendbereich ansetzen. Der Aktionsplan
wird in dieser Legislaturperiode fortgeschrieben.
Der besonderen Situation der von Gewalt betroffenen Frauen wurde mit dem
Gesetz zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes vor häuslicher Gewalt
Rechnung getragen. Es sieht eine Stärkung der Position von Frauen und Kindern
als den typischen Opfern von Gewalt in Familien vor. Es ist sichergestellt, dass
sie nun zunächst weiterhin in der Wohnung bleiben können. Damit ist eine klare
Ächtung jeglicher Gewalt gegen Frauen und Kinder verbunden. Daher setzen
sich die Koalitionsfraktionen auch für den Erhalt der Frauenhäuser ein. Die
aktuellen Arbeitsmarktreformen tragen diesem Ziel entsprechend Rechnung. So
werden Frauen nach ihrer Flucht ins Frauenhaus nicht mehr der bis dahin beste-
henden Bedarfsgemeinschaft zugeordnet und können somit eigene Ansprüche
geltend machen.
Am 1. September 2004 ist das Opferrechtsreformgesetz in Kraft getreten. Durch
dieses Gesetz werden die Belastungen des Opfers durch das Strafverfahren ver-
ringert und seine Verfahrensrechte gestärkt. Die Möglichkeiten für das Opfer,
gleich im Strafverfahren vom Angeklagten Ersatz für den aus der Straftat ent-
standenen Schaden zu erlangen und durchzusetzen, wurden verbessert.
Das Gesetz zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prosti-
tuierten gilt seit Januar 2002. Prostituierte haben nun die rechtlicheMöglichkeit,
entweder selbständig unter selbstbestimmten Arbeitsbedingungen oder in ab-
hängigen Beschäftigungsverhältnissen sozial abgesichert tätig zu sein. Die
rechtlichen Hindernisse, die bislang verhinderten, dass Prostituierte zur Sozial-
versicherung angemeldet werden, wurden abgebaut. Die Strafbarkeit wegen
Förderung der Prostitution und wegen Zuhälterei wurde auf Fälle der Ausbeu-
tung der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Prostituierten be-
schränkt.
Weiter wurde erst vor kurzem mit einer Änderung des Strafrechts die Definition
des Menschenhandels entsprechend den internationalen Vorgaben erweitert.
Dazu zählen nun Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, zum
Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft und die Förderung des Menschenhan-
dels mit entsprechenden Strafvorschriften. Damit wird den von solchen krimi-
nellen Praktiken betroffenen Frauen verstärkter rechtlicher Schutz gewährt.
Ebenfalls neu eingeführt wird eine ausdrückliche Regelung zur Strafbarkeit der
Zwangsheirat bzw. des Heiratshandels als besonders schwereren Fall der Nöti-
gung.

Drucksache 15/5029 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die Novellierung des § 19 des Ausländergesetzes, der das eigenständige Aufent-
haltsrecht von Ehegatten regelt, trat am 1. Juni 2000 in Kraft. Damit wurde die
Mindestdauer der Ehe, mit der ein eigenständiges Aufenthaltsrecht begründet
wird, von vier auf zwei Jahre herabgesetzt. Die neue Härteklausel berücksichtigt
eine unerträgliche Lebenssituation der Betroffenen. Dazu gehört insbesondere
das Erleiden von physischer und psychischer Gewalt durch den Ehemann bzw.
Vater, soweit Kinder betroffen sind. In einem solchen Härtefall entfällt die War-
tezeit von zwei Jahren. Diese Regelung wurde im Zuwanderungsgesetz in § 31
AufenthG übernommen. Mit dem am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Zuwan-
derungsgesetz wurde erstmals gesetzlich klargestellt, dass Opfer geschlechts-
spezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung – und das sind überwiegend Frauen
– als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden.
Mit den Neuregelungen des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) haben
wir einen großen Fortschritt in der gesellschaftlichen Integration behinderter
Frauen erzielt und ihre Gleichstellung auch mit dem Gleichstellungsgesetz für
behinderte Menschen deutlich gemacht.
Der Europäische Rat hat auf seinen Tagungen in Lissabon im März 2000 die
Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission aufgefordert, die Chancen-
gleichheit in allen ihren Aspekten im Beschäftigungsbereich zu fördern. Der Rat
hat dabei betont, wie wichtig eine ausgewogene Teilhabe von Frauen und Män-
nern am Berufs- und Familienleben ist. So soll Chancengleichheit beispiels-
weise durch Erleichterung der Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben,
insbesondere auch durch Verbesserung der Strukturen der Kinderbetreuung
befördert werden.
l Seit 2002 stehen bei Rot-Grün der Ausbau einer bedarfsgerechten sozialen

Infrastruktur, insbesondere von verlässlichen Ganztagsschulen sowie Betreu-
ungsmöglichkeiten für Kinder im Vorschulalter und die familienfreund-
lichere Gestaltung der Arbeitswelt im Mittelpunkt. Die Bundesregierung
unterstützt die Länder mit dem Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und
Betreuung“ beim Auf- und Ausbau eines bedarfsgerechten Angebotes von
Ganztagsschulen bis zum Jahr 2007 mit insgesamt 4 Mrd. Euro für Baumaß-
nahmen und Ausstattungen. Für den Ausbau der Betreuung von Kindern
unter drei Jahren, die in der Verantwortung der Länder liegt und mit dem
Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) geregelt wird, werden ab 2005 zusätz-
lich 1,5 Mrd. Euro jährlich verwendet werden.

Das Bundesverfassungsgericht rügte, dass unter der CDU/CSU/FDP-Bundes-
regierung der Familienleistungsausgleich nicht angemessen weiterentwickelt
wurde.
Seit 1998 hat die rot-grüne Bundesregierung dafür gesorgt, dass das finanzielle
Volumen der staatlichen Leistungen und steuerlichen Maßnahmen für Familien,
an denen der Bund finanziell beteiligt ist, um rund 50 Prozent von 40,2 Mrd.
Euro auf 60 Mrd. Euro im Jahr 2003 erhöht wurde.
Neben den Kindergelderhöhungen, der Möglichkeit des Abzugs erwerbsbeding-
ter Betreuungskosten gehört auch der neue Steuerentlastungsbetrag für Allein-
erziehende zu den materiellen Verbesserungen für Frauen und Familien. Hinzu
kommen seit Regierungsübernahme weitere Verbesserungen der Rahmenbedin-
gungen für Frauen und Familien. Die Elternzeit wurde flexibilisiert. Seit dem
1. Januar 2001 können Väter und Mütter gleichzeitig Elternzeit nehmen. Außer-
dem können sie schon während der Elternzeit bis zu 30 Stunden arbeiten. Der
Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit steht allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten zu.
Im neuen Betriebsverfassungsgesetz wurde die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf in den Aufgabenkatalog der Betriebsparteien aufgenommen. Im Betriebs-
rat muss das Geschlecht, welches in der Belegschaft in der Minderheit ist, min-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/5029

destens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis vertreten sein, wenn
dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.
Aber wir wissen auch, dass sich nach wie vor die Arbeit – Familienarbeit, bür-
gerschaftliches Engagement und Erwerbsarbeit – in unserer Gesellschaft jedoch
immer noch unterschiedlich auf die Geschlechter verteilt.
So bestehen nach wie vor Einkommensunterschiede zwischen Männern und
Frauen. Diese Ungleichbehandlung im Entgeltbereich gilt es aufzuheben. Auch
wenn der Grundsatz der Entgeltgleichheit im deutschen Recht eindeutig veran-
kert ist, ist die reale Situation dadurch gekennzeichnet, dass Frauen durch-
schnittlich nur 75,8 Prozent des Bruttoverdienstes von Männern erzielen.
Eine umfassende Bestandsaufnahme und Ursachenanalyse hat die Bundesregie-
rung mit ihrem Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und
Männern im April 2002 vorgelegt.
Für die Herstellung von Entgeltgleichheit sind gezielte Maßnahmen erforder-
lich. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit muss zur selbstverständlichen Leit-
linie in der tariflichen und betrieblichen Praxis werden. Auch wenn die Bundes-
regierung keine unmittelbaren Gestaltungsmöglichkeiten in der Regelung von
Entgeltfragen hat, da dies Sache der Tarifpartner ist, so kann sie durch ein Bün-
del von Maßnahmen, durch die Schaffung von entsprechenden Rahmenbedin-
gungen in Gesellschaft und Arbeitswelt zur Herstellung von Entgeltgleichheit
beitragen.
Die Arbeiten an der geschlechtergerechten Umgestaltung des Bundesangestell-
tentarifes sind aufgenommen worden. Hier kann ähnlich wie beim Gleichstel-
lungsgesetz der Bund eine herausragende Vorreiterrolle einnehmen und die ent-
sprechenden Signale in die Gesellschaft senden.
Um das Berufsverhalten von Mädchen und jungen Frauen beeinflussen zu kön-
nen, muss frühzeitig und umfassend über das Berufsspektrum informiert werden.
Die Bundesregierung fördert dies über eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnah-
men und organisiert unter anderem alljährlich den „Girls’ Day“ – den Mädchen-
zukunftstag – und im Rahmen der Initiative D21 Informationsveranstaltungen
speziell für IT-Berufe.
Die Bundesregierung will den Generationenwechsel an den Hochschulen auch
dazu nutzen, Frauen verstärkt im Bereich der Forschung und Lehre zu fördern.
Die Bund-Länder-Vereinbarung zur Förderung der Weiterentwicklung von
Hochschule undWissenschaft sowie zur Realisierung der Chancengleichheit für
Frauen in Forschung und Lehre (Hochschul- und Wissenschaftsprogramm-
HWP) der Bund-Länder-Kommission, wurde bis 2006 verlängert. Dem Fach-
programm Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre werden bis
2006 rund 30,7 Mio. Euro jährlich zur Verfügung gestellt werden.
Damit die Grundzüge des neuen Bundesgleichstellungsgesetzes auch in den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen Anwendung finden, haben Bund
und Länder eine entsprechende Vereinbarung abgeschlossen.
Das Center of Excellence Women and Science (CEWS) wurde am 1. Juli 2000
an der Universität Bonn eingerichtet. Das Kompetenzzentrum ist der nationale
Knotenpunkt zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Män-
nern in Wissenschaft und Forschung in Deutschland. Das Serviceangebot des
Zentrums richtet sich insbesondere an Wissenschaftlerinnen, Leitungsorgane,
Wissenschaftsorganisationen sowie Administrationen der Europäischen Union
(EU), des Bundes und der Länder.
Die Initiative D21 hat am 11. November 2004 den Preis „Get the Best – Frauen
als Erfolgsfaktor für Hochschulen“ an die Universität Hannover vergeben. Diese
hatte ein umfassendes Gesamtkonzept zur Gewinnung von Studentinnen der

Drucksache 15/5029 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Fachrichtungen Elektrotechnik, Informatik, Maschinenbau, Physik und Wirt-
schaftsingenieurwesen vorgelegt.
Seit 2001 wird das Prädikat „Total E-Quality“ auch für innovative Projekte,
Maßnahmen und Ideen ausgeschrieben, die die Gleichstellung von Frauen in
Hochschulen und Forschungseinrichtungen entscheidend voranbringen. Die
Auszeichnung soll die wissenschaftlichen Einrichtungen darüber hinaus moti-
vieren, Gender Mainstreaming als durchgängiges Leitprinzip in ihren Einrich-
tungen durchzusetzen.
Zuwanderern, die Familienpflichten übernehmen (in der Regel Frauen), kommt
eine entscheidende Rolle für den erfolgreichen Integrationsprozess zu. Ange-
bote für Frauen und Mädchen im Bereich Erziehung, Gesundheitsvorsorge und
zur Vermeidung von innerfamiliärer Gewalt und zur Bewältigung von Konflik-
ten müssen auf die spezifischen Bedürfnisse von Zuwandererfamilien zuge-
schnitten werden.
Wir benötigen Integrationsmaßnahmen, die zum Ziel haben müssen, Migran-
tinnen und Migranten ein selbstständiges, eigenverantwortliches Leben in
Deutschland zu ermöglichen.
Die anstehende Umsetzung der Richtlinien 2000/78/EG, 2000/43/EG, der
Änderungsrichtlinie 2002/73/EG zur Richtlinie 76/207/EWG und der erst im
Dezember 2004 verabschiedeten Richtlinie 2004/113/EG in einem Antidiskri-
minierungsgesetz wird einen weiteren und für die Gesellschaft auch neuen
Schritt zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichstellung bedeuten.
Das Gesetz wird durch die Sicherung einer diskriminierungsfreien Chancen-
gleichheit die Rahmenbedingungen für die Integration allerMenschen in die Ge-
sellschaft verbessern und soll dazu beitragen, vorhandene Vorurteile bewusst zu
machen und zu verringern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der finanz-
politischen Leitlinien auf,

1. weitere Maßnahmen zu ergreifen, um eine umfassende Beschäftigungsförde-
rung von Frauen, eine gerechte Verteilung der Erwerbs- und Familienarbeit
und eine gerechte Verteilung des Einkommens zwischen den Geschlechtern
zu erreichen;

2. im Jahr 2005 einen „Bericht zur Lage der Gleichstellung von Frauen und
Männern in Deutschland“ vorzulegen;

3. zu prüfen, inwieweit neben der freiwilligen Vereinbarung zwischen der Bun-
desregierung und den Spitzenverbänden der privaten Wirtschaft gesetzlicher
Handlungsbedarf besteht, der Gleichstellung in der Privatwirtschaft näher zu
kommen;

4. verschiedeneModelle undMaßnahmen zur Unterstützung der Gleichstellung
in der Privatwirtschaft zu entwickeln, mit denen sich alle Beteiligten, wie Ar-
beitgeberinnen und Arbeitgeber, Gewerkschaften, Politik und Verwaltung
auf gemeinsames aktives Handeln verpflichten;

5. bei der durchzuführenden Evaluation der Arbeitsmarktreformen den Grund-
satz des Gender Mainstreaming anzuwenden und insbesondere die Gruppe
der Nichtleistungsempfängerinnen, der Berufsrückkehrerinnen, der Alleiner-
ziehenden und der von Gewalt betroffenen Frauen in den Fokus zu nehmen;

6. zu prüfen, welche Änderungen im Vergaberecht es ermöglichen würden, zu
einer bevorzugten Vergabe öffentlicher Aufträge an Firmen, die Chancen-
gleichheit fördern, zu kommen und dies im Rahmen einer Expertise dem
Deutschen Bundestag vorzulegen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/5029

7. sicherzustellen, dass im Rahmen der Umsetzung von Gender Main-
streaming die Methoden und Instrumente nachhaltig in die Regelpraxis der
Bundesverwaltung integriert werden und auch Gender Budgeting als we-
sentlicher Bestandteil dieser Strategie im Rahmen des Bundeshaushalts
oder für Teile davon angewandt wird;

8. die Grundsätze des Gender Mainstreaming verstärkt in die Integrationspoli-
tik einzubeziehen und bei bei allen Programmen und Maßnahmen darauf
hinzuwirken, dass die spezifischen Bedürfnisse von Migrantinnen berück-
sichtigt werden;

9. dafür Sorge zu tragen, dass im Rahmen der Umsetzung des Zuwanderungs-
gesetzes alle nötigen Maßnahmen – z. B. Schulungen der Einzelentschei-
derinnen und Einzelentscheider, Berücksichtigung der spezifischen Verfol-
gungssituation in Länderberichten – ergriffen werden, damit Opfern
geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung der nötige Schutz
gewährt wird;

10. den erfolgreichen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen
fortzuschreiben und zu prüfen, welche weiteren Regelungen im Zusammen-
hang mit von Gewalt bedrohten Frauen erforderlich sind. Dabei sind insbe-
sondere rechtliche Regelungen für den Opferschutz, wie z. B. die aufent-
haltsrechtlichen Bedingungen für die Opfer von Zwangsverheiratungen
sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
von Fachberatungsstellen zur Bekämpfung des Menschenhandels in den
Blick zu nehmen;

11. zu prüfen, ob durch eine Weiterentwicklung des bisherigen Bundeserzie-
hungsgeldes die wirtschaftliche Selbständigkeit von Frauen gestärkt und
eine bessere Beteiligung der Väter an der gemeinsamen Aufgabe der Kin-
derbetreuung erreicht werden kann. Dabei sollte auch geprüft werden, ob
dieses Ziel durch einen verpflichtenden Teil der Elternzeit für Väter erreicht
werden könnte, der bei Nichtinanspruchnahme verfallen würde;

12. ein Verfahren zu prüfen, das eine gerechtere Aufteilung der Lohnsteuer zwi-
schen Ehegatten ermöglicht und damit höhere Anreize zur Aufnahme von
Erwerbstätigkeit von Ehefrauen setzt;

13. zur Durchsetzung des Bundesgremienbesetzungsgesetzes (BGremBG)
durch Rechtsverordnung zügig Bestimmungen über das Berufungs-, Vor-
schlags- und Entsendungsverfahren bei Gremienbesetzungen zu erlassen;

14. die Geschlechterbelange in der Gesundheitsforschung, Gesundheitsvor-
sorge und -versorgung sowie in der Gesundheitsberichtserstattung in geeig-
neter Weise verstärkt umzusetzen;

15. verstärkt darauf hinzuwirken, dass die Umsetzung des SGB IX durch die
Leistungsträger im Sinne des Gesetzgebers, d. h., unter Berücksichtigung
der besonderen Lebens- und Erwerbssituation von Frauen mit Behinderun-
gen erfolgt und die Interessensvertretungen von Frauen mit Behinderungen
zur Durchsetzung ihrer Rechte nach dem SGB IX und dem Gleichstellungs-
gesetz gefördert werden;

16. ein geeignetes Verfahren festzulegen für die Zulassung einer unterschied-
lichen Behandlung wegen des Geschlechts bei privatrechtlichen Versiche-
rungsverträgen (vgl. § 21 Nr. 5 Satz 1 des ADG-Entwurfs) sowie für die
Erfüllung ihrer entsprechenden Nachweispflichten gegenüber der EU-Kom-
mission;

17. dafür Sorge zu tragen, dass insbesondere auch der Arbeitsbereich „Diskri-
minierungen wegen des Geschlechts“ in der geplanten Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes angemessen ausgestattet wird;

Drucksache 15/5029 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
18. die Umsetzung der Pekinger Aktionsplattform in allen Themenbereichen
ressortübergreifend zu überprüfen und zu forcieren.

Berlin, den 9. März 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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