BT-Drucksache 15/4960

Bereitstellung von gebietsheimischem Wildkräutersaatgut im Konflikt zwischen Bestimmungen des Saatgutverkehrsgesetzes und des Bundesnaturschutzgesetzes

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4960
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Angelika Brunkhorst, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg
van Essen, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Ulrich Heinrich,
Birgit Homburger, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Detlef Parr, Dr. Hermann Otto
Solms, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der FDP

Bereitstellung von gebietsheimischem Wildkräutersaatgut im Konflikt
zwischen Bestimmungen des Saatgutverkehrsgesetzes und des
Bundesnaturschutzgesetzes

Im Landschaftsbau werden bei der Begrünung von Ausgleichsflächen, dem
Erstellen von oberflächenfestigenden Pflanzendecken Wildblumen-, Gräser-
und Leguminosenmischungen ausgesät, die in der Mehrzahl importiert werden,
da der Bedarf aus heimischer Produktion nicht gedeckt wird. Knapp die Hälfte
des Bedarfs an Gräsersaatgut in Deutschland (17 500 t) und fast der Gesamtbe-
darf des Leguminosensaatguts (3 500 t) werden derzeit aus dem Ausland impor-
tiert. Der Import von krautigen Arten nach Deutschland belief sich im Wirt-
schaftsjahr 2002/03 auf über 280 t (Auskunft BLE 2004). Derzeit wird von
wissenschaftlicher Seite gewarnt, dass die Verwendung fremder Herkünfte von
Saatgut und Rasen-Zuchtsorten zum Einschleppen fremder Unterarten und Taxa
tieferen Ranges führen, die die heimische Wildflora verfälschen könnte
(HACKER & HILLER 2003). In Blumenwiesenmischungen zeigte sich schon
in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, dass die Pflanzen fremder Herkünf-
te sich genetisch von heimischen Arten unterschieden. Eine solche durch Aus-
saat herbeigeführte Florenverfälschung widerspricht den Intentionen des Bun-
desnaturschutzgesetzes.
In einem Forschungsbericht des Umweltbundesamtes („Ökonomische Folgen
der Ausbreitung von Neobiota“, UBA-FB 000441, Nov. 2003) werden die öko-
nomischen Schäden ausgewählter Arten auf über 100 Mio. Euro geschätzt.
Neophyten sind Pflanzenarten, die von Natur aus nicht in Deutschland vorkom-
men, sondern als Garten- oder Forstpflanzen oder zufällige Beimischungen ein-
geführt wurden und sich dann verbreitet haben. Als invasive Arten werden im
Naturschutz Neophyten bezeichnet, die unerwünschte Auswirkungen auf andere
Arten, Lebensgemeinschaften oder Biotope haben. So können diese z. B. in
Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen zu anderen Pflanzen treten und
diese verdrängen. Bekanntestes Beispiel für eine invasive Art ist der für den
Menschen giftige Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), der aus dem
Kaukasus nach Deutschland eingeschleppt wurde.
Das derzeit gültige Saatgutverkehrsgesetz wurde aus der Sicht des Verbraucher-
schutzes im Jahr 1953 entwickelt, um einheitliche Kriterien zur Förderung der

Drucksache 15/4960 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Saatgutqualität für Nahrungs- und Futterpflanzen festzulegen. DemVerbraucher
soll beim Anbau definierter Sorten die gewünschte Qualität gewährleistet
werden. Verschiedene Arten, die ursprünglich als Futterpflanzen in das Arten-
verzeichnis des Saatgutverkehrsgesetzes aufgenommen wurden, werden inzwi-
schen auch im Landschaftsbau verwandt.
Damit entsteht ein Konflikt zwischen dem Saatgutverkehrsgesetz und dem Bun-
desnaturschutzgesetz. Aus naturschutzfachlicher Sicht wird auf Flächen, die
keiner Gewährleistung unterliegen, wie z. B. Flächen im Rahmen von Aus-
gleichs- und Ersatzmaßnahmen und Biotopentwicklungsflächen, die Aussaat
von Wildformen heimischer Pflanzenarten bevorzugt gegenüber der Aussaat
gebietsfremder, homogener und nach dem Saatgutverkehrsgesetz zugelassener
Sorten dieser Arten. Arten, deren Sorten im ,Gemeinsamen Sortenkatalog‘
genannt sind, dürfen jedoch nicht in ihrer Wildform vermehrt und ausgebracht
werden. Damit behindert das Saatgutverkehrsgesetz die Umsetzung des Bun-
desnaturschutzgesetzes.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung den bestehenden Konflikt zwischen

Bestimmungen des Saatgutverkehrsgesetzes und des Bundesnaturschutz-
gesetzes und in welcher Weise sollte er nach Auffassung der Bundesregie-
rung gelöst werden?

2. Aus welchen Ländern wird Saatgut für agrarökologische Maßnahmen,
Begrünungen etc. importiert und wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr
der Florenverfälschung durch Saatgut-Importe von Wildpflanzen aus dem
Ausland ein?

3. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß der Einkreu-
zung ausländischer Herkünfte in die heimische Flora und deren Auswirkung?

4. Welche Untersuchungen zur Risikobewertung bei der Ausbringung von ge-
bietsfremden Arten in die freie Landschaft liegen der Bundesregierung vor?

5. Wie ernst muss man in einem kleinen Flächenstaat wie Deutschland die
Florenverfälschung durch das Ausbringen heimischer Arten in verschiedene
Regionen bewerten?

6. Mit welchen Methoden werden zweifelsfrei autochthone Bestände identi-
fiziert?

7. Welchem Gesetz (Saatgutverkehrsgesetz, Bundesnaturschutzgesetz) unter-
liegen die Eingrünungen in der freien Landschaft, im Rahmen von agrar-
ökologischen Konzepten und die Begrünungsmaßnahmen im Landschafts-
bau, deren Maßnahmen der Gewährleistung unterliegen bzw. ökologisch
orientiert sind?

8. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit der mit kräuterreichen,
gebietsheimischen Wildpflanzenmischungen begrünten landwirtschaftlichen
Brachflächen, hinsichtlich der Erhöhung der Biodiversität in der Kulturland-
schaft?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Vorstellungen des Arbeitskreises
Regio-Saatgut zur Abgrenzung von Herkunftsregionen für Wildsaatgut und
hält die Bundesregierung diese für ausreichend, um Florenverfälschungen zu
vermeiden?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4960

10. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass bei zeitlich beschränkten
agrarökologischen Eingrünungen mit wilden Futter- und Wirtspflanzen der
faunistische Nutzen gegeben ist unabhängig davon, ob das ausgebrachte
Saatgut von direkt benachbarten Flächen stammt oder aus derselben Region,
und wenn nein, warum nicht?

11. Sind der Bundesregierung die Vorstellungen von Saatgutfirmen zur Zertifi-
zierung von Wildsaatgut bekannt, und wenn ja, wie bewertet sie diese?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Einrichtung eines bundesweit gül-
tigen Zertifizierungssystems nach dem Vorbild der Erzeugung von Z-Saat-
gut, unter Einbeziehung der bestehenden Kontrollinstanzen der Landes-
anstalten der Länder, um sicherzustellen, dass weitere Florenverfälschungen
durch agrarökologische und landschaftsbauliche Begrünungen vermieden
werden?

13. Welche Institution sollte nach Vorstellung der Bundesregierung diese Auf-
gabe übernehmen?

14. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die derzeitigen
jährlichen Saatguteinfuhrmengen nach Deutschland (ca. 280 t Kräuter-,
ca. 3 500 t Leguminosen- und ca. 17 500 t Gräsersaatgut) zu reduzieren
und durch regional produziertes Saatgut gleicher Arten zu ersetzen?

Berlin, den 22. Februar 2005
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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