BT-Drucksache 15/4948

Mehr Klimaschutz zu geringeren Kosten durch nationale Projekte ermöglichen

Vom 23. Februar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4948
15. Wahlperiode 23. 02. 2005

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Angelika Brunkhorst, Michael Kauch,
Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke,
Hans-Michael Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Carl-Ludwig
Thiele, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Mehr Klimaschutz zu geringeren Kosten durch nationale Projekte ermöglichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Mit der Ratifizierung des Kyotoprotokolls durch Russland und seinem Inkraft-
treten am 16. Februar 2005 wurde ein Durchbruch für den internationalen
Klimaschutz erzielt. Jetzt geht es darum, den Kyoto-Prozess mit Leben zu er-
füllen und zum ökologischen und ökonomischen Erfolg zu führen. Spätestens
für die Zeit nach 2012 muss eine Gesamtstrategie erarbeitet werden, die nicht
nur Treibhausgase aus Energieumwandlungsprozessen und bestimmte Anlagen
umfasst, sondern auch die Sektoren Haushalte und Verkehr einbezieht. Außer-
dem müssen neben Kohlendioxid auch die anderen Klimagase, die im Kyoto-
protokoll ebenso aufgeführt sind, in den Emissionshandel einbezogen werden.
Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit einer Weiterentwicklung nationaler
Maßnahmen ergeben sich reizvolle Perspektiven aus einer konzeptionellen
Erweiterung des Kyoto-Mechanismus der so genannten „Gemeinsamen Umset-
zung“ (Joint Implementation, JI). Dieser Mechanismus generiert Emissionsgut-
schriften, wenn klimarelevante Investitionsprojekte zwischen Industrie- oder
Transformationsländern vereinbart werden. Dabei geht es vorwiegend um Kli-
maschutzprojekte, die in den Staaten Mittel- und Osteuropas durchgeführt wer-
den. Die Weiterentwicklung bezieht sich auf eine Öffnung des JI-Mechanismus
für nationale Projekte.
Die Idee knüpft an den Sachverhalt an, dass der JI-Mechanismus des Kyoto-
protokolls verlangt, dass Gast- und Investorland unterschiedlich sind. Würde
demgegenüber z. B. ein Investor in Deutschland mit einem Investitionsprojekt
innerhalb Deutschlands Emissionsminderungsleistungen realisieren – Gast-
und Investorland wären also identisch (so genannte „unilaterale JI-Projekte“) –
entstünden keine handelbaren CO2-Zertifikate. Ein- und dasselbe Projekt wirdalso unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob der Investor ein ausländisches
oder heimisches Unternehmen ist. Diese Ungleichbehandlung ist klimapolitisch

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unbegründet und ökonomisch höchst unvorteilhaft: Um aus einem klima-
relevanten Investitionsprojekt im Rahmen des JI handelbare CO2-Zertifikate zuerhalten, müsste der deutsche Investor in diesem Fall die in Deutschland durch-
geführten Emissionsminderungen zunächst an einen Investor in einem anderen
Industrieland verkaufen. Erst anschließend könnten die CO2-Zertifikate nachDeutschland reimportiert und zugunsten des deutschen Investors in europäische
Zertifikate umgetauscht werden. Diese Ungleichbehandlung und die damit ver-
bundenen Nachteile könnten durch die Einführung von nationalen Projekten
aufgehoben werden. Damit würde inländischen Investoren die Möglichkeit
gegeben, JI-Projekte im eigenen Land durchzuführen, dafür Zertifikate zu er-
halten und damit erhebliche Senkungspotentiale für Klimagase in Deutschland
zu erschließen.
Dabei gilt es zu gewährleisten, dass die betreffenden Projekte dieselben Anfor-
derungen erfüllen, wie dies bereits von CDM- und JI-Projekten verlangt wird.
Sichergestellt sein muss demnach, dass durch entsprechende Projekte die Emis-
sion von Treibhausgasen in Anlagen vermieden oder verringert wird, die sich
außerhalb des Emissionshandelssystems befinden und es also nicht zu einer
Doppelzählung derselben Investition kommt. Außerdem muss die Reduktion
im Vergleich zu einer ohne die Projektaktivität eintretenden Situation berechnet
werden (Zusätzlichkeit).
Im Vergleich zu CDM- und JI-Projekten weist das Konzept nationaler Projekte
den Vorteil auf, dass die Suchfunktion des Marktes aktiviert wird, was einen
Beitrag zu einer stärkeren Flexibilisierung des Klimaschutzes in Deutschland
leisten würde. Dies erschließt systematisch weitere Potentiale zur allgemeinen
Kostensenkung. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen weisen
nationale Projekte im Vergleich zu CDM- und JI-Projekten geringere Trans-
aktionskosten auf (keine Sprachbarrieren, keine Absprachen mit einem Gast-
land, kein Wechselkursrisiko, Nutzung bereits bestehender Geschäftsbeziehun-
gen, weniger Reisekosten, geringere rechtliche Risiken, weil der Rahmen be-
kannt ist, geringerer administrative Aufwand, da nur noch die Genehmigung
der deutschen Behörden einzuholen ist).
Die besondere Leistungsfähigkeit einer Weiterentwicklung des JI-Mechanis-
mus im Sinne nationaler Projekte liegt ferner darin, dass die internationalen
Instrumente des Kyotoprotokolls weiterentwickelt und genutzt werden, zu-
gleich aber Klimaschutzaktivitäten auf nationaler Ebene vorangetrieben
werden. Deutschland könnte auf der Ebene konkreter Klimaschutzprojekte
Erfahrungen bei der Beantwortung der Frage sammeln, wie die Integration von
anderen Treibhausgase als CO2 und Emissionsminderungsmaßnahmen inbisher noch nicht erfassten Sektoren (Verkehr und Gebäude) in den Zertifi-
katehandel geleistet werden kann. Deutschland könnte sich auf diese Weise
substanziell an der Weiterentwicklung des internationalen und europäischen
Zertifikatehandels beteiligen. Dabei würden konkrete Projektinitiativen von
interessierten Investoren entwickelt. Es wären also private Initiativen und der
Marktmechanismus, der die Ideen und Vorschläge zur Lösung der beiden vor-
genannten Probleme generiert.
Das Verpassen der Chancen vergangener Jahre darf sich bei der Weiterentwick-
lung der Kyotomechanismen nicht wiederholen. An dieser Stelle gilt es für
Deutschland, kreativ und proaktiv die Initiative zu ergreifen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– sich auf europäischer Ebene mit eigenen Vorschlägen und Konzepten an der

Diskussion zur Weiterentwicklung der flexiblen Instrumente des Kyoto-
protokolls zu beteiligen und dabei insbesondere Programme zu Entwicklung
und Erprobung nationaler JI-Projekte zu erarbeiten, um Erfahrungen mit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4948

diesem Konzept zu sammeln, die Unternehmen in Deutschland beizeiten mit
dieser Weiterentwicklung des JI-Mechanismus vertraut zu machen und die-
ses Instrument insbesondere auch den kleinen und mittelständischen Unter-
nehmen in Deutschland zugänglich zu machen,

– auf der Grundlage entsprechender Erfahrungen konstruktiv, kompetent und
proaktiv auf die europäische Willensbildung und die Spielregeln zur Einbin-
dung nationaler Projekte in das europäische System handelbarer CO2-Zer-tifikate im Interesse der Unternehmen in Deutschland Einfluss zu nehmen
und geeignete Vorschläge einzubringen,

– darauf zu achten, dass die Nutzung der flexiblen Mechanismen (CDM und JI
einschließlich nationaler Projekte) im europäischen System handelbarer
CO2-Zertifikate nicht von vornherein in unnötig bürokratischen Vorgabenerstickt und

– darauf hinzuwirken, dass im europäischen System handelbarer CO2-Zertifi-kate schnellstmöglich alle Instrumente des Kyotoprotokolls (CDM und JI
einschließlich nationaler Projekte, Emission Trading, Carbon Sinks) ein-
gesetzt werden und in Deutschland die Voraussetzungen für deren Nutzung
unverzüglich zu schaffen.

Berlin, den 22. Februar 2005
Birgit Homburger
Angelika Brunkhorst
Michael Kauch
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L., Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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