BT-Drucksache 15/4750

zu 23 gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des sechsten Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Wahleinsprüchen

Vom 28. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4750
15. Wahlperiode 28. 01. 2005

Zweite Beschlussempfehlung
des Wahlprüfungsausschusses

zu 23 gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des sechsten Europäischen
Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland eingegangenenWahleinsprüchen

A. Problem
Gemäß § 26 Abs. 2 des Europawahlgesetzes (EuWG) finden für das Wahlprü-
fungsverfahren zur Europawahl die Bestimmungen des Wahlprüfungsgesetzes
(WPrüfG) entsprechende Anwendung. Der Deutsche Bundestag hat danach über
die Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Euro-
päischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland vom 13. Juni 2004 auf
der Grundlage von Beschlussempfehlungen des Wahlprüfungsausschusses zu
entscheiden.
Insgesamt waren 46 Wahleinsprüche eingegangen. Die jetzt zur Beschluss-
fassung vorgelegten Entscheidungen behandeln 23 Einsprüche; über 23 andere
Einsprüche hat das Plenum bereits auf der Grundlage der Ersten Beschluss-
empfehlung (Bundestagsdrucksache 15/4250) entschieden. Weitere Einsprüche
stehen nicht zur Beratung an.

B. Lösung
Zurückweisung von 23 Wahleinsprüchen ohne mündliche Verhandlung wegen
offensichtlicher Unbegründetheit oder wegen Unzulässigkeit (§ 26 Abs. 2
EuWG i. V. m. § 6 Abs. 1a Nr. 3 bzw. Nr. 1 und 2 WPrüfG) (vgl. Nummer 1 der
Beschlussempfehlung);
Offensichtlich unbegründet sind Einsprüche,
a) die einen Sachverhalt vortragen, der einen Fehler bei der Vorbereitung und

Durchführung der Wahl nicht erkennen lässt;
b) die die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen behaupten; im Rahmen des

Wahlprüfungsverfahrens im Deutschen Bundestag kann eine derartige Fest-
stellung nicht erfolgen (seit der 1. Wahlperiode ständige Praxis des Deut-
schen Bundestages; diese Kontrolle blieb stets dem Bundesverfassungs-
gericht vorbehalten);

c) die mangels ausreichender Angabe von Tatsachen nicht erkennen lassen, auf
welchen Tatbestand der Einspruch gestützt wird (BVerfGE 40, 11/30);

d) die sich zwar auf nachprüfbare Mängel bei der Vorbereitung oder Durchfüh-
rung der Wahl stützen, wobei diese Mängel jedoch angesichts des Stimmen-
verhältnisses keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben können
(BVerfGE 4, 370/372 f.).

Drucksache 15/4750 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

In Nummer 2 der Beschlussempfehlung wird die Bundesregierung um Prüfung
einiger im Zusammenhang mit der Behandlung von Wahleinsprüchen aufge-
kommener Fragen gebeten.

C. Alternativen
Keine hinsichtlich der Ergebnisse der Entscheidungen.
Der Wahlprüfungsausschuss ist jedoch entsprechend seinem Selbstverständnis
und seiner ständigen Praxis allen behaupteten Wahlmängeln nachgegangen,
auch wenn sie keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung der deutschen Abge-
ordneten im sechsten Europäischen Parlament hatten. Diese Art der Behand-
lung soll dafür Sorge tragen, dass sich festgestellte Wahlmängel bei künftigen
Wahlen möglichst nicht wiederholen.

D. Kosten
Keine

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4750

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
1. die aus den Anlagen 1 bis 22 ersichtlichen Entscheidungen zu treffen.
2. die Bundesregierung aufgrund der Erfahrungen in Wahlprüfungsangelegen-

heiten um Prüfung und Vorlage eines Berichts bis Januar 2006 zu bitten, ob
durch geeignete Maßnahmen sichergestellt werden kann,
– dass Hinweise auf der Wahlbenachrichtigungskarte – z. B. der nach dem

Muster in Anlage 4 zu § 18 Abs. 2 der Europawahlordnung vorgesehene
Hinweis, dass der Wahlscheinantrag bei Postversand in einem frankierten
Umschlag abzusenden sei – deutlich lesbar sind;

– dass die Wahlbehörden Obdachlosen rechtlich zutreffende Auskünfte
über die Möglichkeit, ihr Wahlrecht auszuüben, erteilen;

– dass sich die Tätigkeit einer Hilfsperson bei der Stimmabgabe behinder-
ter Wähler auf eine technische Hilfestellung bei der Kundgabe des Wäh-
lerwillens beschränkt (§ 50 der Europawahlordnung, § 57 der Bundes-
wahlordnung).

Berlin, den 27. Januar 2005

Der Wahlprüfungsausschuss
Erika Simm
Vorsitzende und Berichterstatterin

Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Hans-Joachim Hacker
Berichterstatter

Petra-Evelyne Merkel
Berichterstatterin

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Berichterstatter

Manfred Grund
Berichterstatter

Thomas Strobl (Heilbronn)
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Jürgen Koppelin
Berichterstatter

Drucksache 15/4750 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Inhaltsverzeichnis zum Anlagenteil:

Beschlussempfehlungen zu den einzelnen Wahleinsprüchen

*) Die beiden textidentischen Einsprüche EuWP 41/04 und EuWP 42/04 sind in einer Beschlussempfehlung behandelt worden.

Aktenzeichen Betreff Berichterstatter/in Anlage Nr. Seite
EuWP 29/04 Durchführung der Urnenwahl Abg. Bachmaier 1 5
EuWP 34/04 Nichteintragung in das Wählerverzeichnis Abg. Bachmaier 2 9
EuWP 11/04 Nichteintragung in das Wählerverzeichnis Abg. Bachmaier 3 11
EuWP 10/04 Durchführung der Urnenwahl Abg. Dr. Friedrich (Hof) 4 15
EuWP 43/04 Listenaufstellung durch Parteien, Stimmen-auszählung, Fünf-Prozent-Sperrklausel u. a. Abg. Dr. Friedrich (Hof) 5 19

EuWP 24/04 Nichtzugang der Briefwahlunterlagen(Übersendung in das Ausland) Abg. Grund 6 29
EuWP 36/04 Nichtzugang der Briefwahlunterlagen Abg. Grund 7 33
EuWP 26/04 Informationen zur Wahlteilnahme anAuslandsdeutsche Abg. Grund 8 35

EuWP 02/04
Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergeb-
nisses, Öffnungszeiten der Wahllokale,
Fünf-Prozent-Sperrklausel, Stimmenaus-
zählung u. a.

Abg. Hacker 9 39

EuWP 13/04 Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergeb-nisses Abg. Hacker 10 49

EuWP 18/04 Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergeb-nisses, Informationen über Wahlvorschläge Abg. Hacker 11 51

EuWP 45/04 Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergeb-nisses Abg. Hacker 12 55
EuWP 41/04
EuWP 42/04 Gestaltung des Stimmzettels Abg. Koppelin 13* 61
EuWP 08/04 Durchführung der Urnenwahl Abg. Merkel 14 65
EuWP 17/04 Elektronische Stimmabgabe Abg. Montag 15 67
EuWP 30/04 Nichteintragung in das Wählerverzeichnis Abg. Montag 16 71
EuWP 31/04 Wahlausschluss Abg. Montag 17 75
EuWP 37/04 Gestaltung der Wählbarkeitsbescheinigung Abg. Montag 18 77
EuWP 39/04 Listenaufstellung durch Parteien Abg. Simm 19 79
EuWP 40/04 Fünf-Prozent-Sperrklausel, Berechnungs-verfahren für die Sitzverteilung Abg. Strobl (Heilbronn) 20 83

EuWP 46/04 Fünf-Prozent-Sperrklausel, Berechnungs-verfahren für die Sitzverteilung Abg. Strobl (Heilbronn) 21 89

EuWP 38/04 Fünf-Prozent-Sperrklausel, Erstellen derWählerverzeichnisse u. a. Abg. Strobl (Heilbronn) 22 95

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4750

Anlage 1

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn J. M., 76131 Karlsruhe

– Az.: EuWP 29/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 9. Juli 2004, das beim Deutschen Bun-
destag am 13. Juli 2004 eingegangen ist, hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Gültigkeit derWahl der Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 eingelegt.
Der Einspruchsführer, derMitglied in einemWahlvorstand in
Karlsruhe war, beanstandet,
– dass eineMutter ihrer behinderten Tochter in unzulässiger

Weise bei der Ausübung der Wahl geholfen habe (1),
– dass das Wählerverzeichnis nach Beendigung der Wahl

keinen korrekten Abschlussvermerk enthalten habe (2),
– dass mehrere Wählerinnen und Wähler ihre Stimmzettel

nicht korrekt gefaltet hätten (3).
(1) Der ersten Beanstandung des Einspruchsführers liegt fol-
gender Sachverhalt zugrunde:
Am Wahltag gegen 9.25 Uhr erschien eine offenbar behin-
derte Wählerin in Begleitung ihrer Mutter im Wahllokal, um
an der Europawahl teilzunehmen. Auf Nachfrage erklärte die
Mutter, dass ihreTochter nicht lesenund schreibenkönne.Die
Tochter selbst sagte nichts. Auf Intervention des Einspruchs-
führers fasste derWahlvorstand mit seiner Gegenstimme den
Beschluss, die behinderteWählerin zurWahl zuzulassen. Der
der Beschlussfassung zugrunde liegende Sachverhalt wurde
in einer Anlage zur Wahlniederschrift festgehalten.
Der Einspruchsführer trägt hierzu vor, dass nach den wahl-
rechtlichen Vorschriften der Wähler selbst, nicht aber die
Hilfsperson dem Wahlvorstand mitzuteilen habe, wenn er
sich einer Hilfsperson bedienen wolle. Da die nach Ansicht
des Einspruchsführers geistig behinderte Wählerin den
Stimmzettel nicht eigenhändig gekennzeichnet habe und dem
Wahlvorstand nicht mitgeteilt habe, dass sie sich einer Hilfs-
person bedienen wolle, liegt nach Auffassung des Ein-
spruchsführers ein Wahlfehler vor. Er kritisiert, dass die Be-
schlussfassung über die Zulassung der Wählerin nicht in der
Wahlniederschrift festgehalten worden sei.
Zu dieser Beanstandung hat der Stadtwahlleiter für die Stadt
Karlsruhe unter Einbeziehung des Wahlvorstehers und des

stellvertretenden Wahlvorstehers wie folgt Stellung genom-
men:
Die durch die Mutter benötigte Hilfestellung bei der Wahl-
ausübung der behinderten Tochter sei dem Wahlvorsteher
von früheren Wahlen bekannt gewesen, so dass eine erneute
Information nicht als notwendig erachtet worden sei. Da die
Vorschrift des § 33 Bundeswahlgesetz (BWG) eine Kenn-
zeichnung und das Falten des Stimmzettels durch eine Hilfs-
person zulasse, habe der Wahlvorstand mehrheitlich be-
schlossen, die Wählerin zur Wahl zuzulassen. Da dieser Be-
schluss keine Zurückweisung, sondern eine Zulassung zur
Wahl zur Folge gehabt habe, sei eine gesonderteNiederschrift
mit dem Inhalt dieses Beschlusses nicht für erforderlich ge-
halten worden.
Die Stellungnahme des Stadtwahlleiters ist dem Einspruchs-
führer bekannt gegeben worden. Er hat sich zu diesem Punkt
wie folgt geäußert:
Bezüglich der behinderten Wählerin sei es seiner Meinung
nach zwar richtig, dass geistig Behinderte, für die keine Be-
treuung für alleAngelegenheit angeordnetworden sei, von ih-
remWahlrecht Gebrauch machen könnten. Allerdings könne
dies nur dann gelten, wenn die betreffende Wählerin eine ei-
genständige Wahlentscheidung habe treffen können, die sie
dann mit Unterstützung ihrer Hilfsperson kundtun dürfe. Der
Einspruchsführer habe in diesem Fall nicht diesen Eindruck
gehabt. Das Wahlrecht als höchst persönliches Grundrecht
könne nicht auf eine Hilfsperson übertragen werden; die
Hilfsperson könne nur ein Mittel zu seiner Ausübung sein.
Hierzu ist der Stadtwahlleiter umMitteilung gebetenworden,
ob die behinderte Wählerin die Hilfsperson selbst bestimmt
habe und ob sie materiell wahlberechtigt gewesen sei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme hat der Stadtwahlleiter
hierzu mitgeteilt, dass nach Aussage des Wahlvorstehers die
Mutter auf Wunsch der behinderten Wählerin auch bei frühe-
renWahlen regelmäßig alsHilfspersonzugelassenworden sei.
Die Wählerin sei nicht gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 2 Europawahl-
gesetz (EuWG) vom Wahlrecht ausgeschlossen gewesen.
Die ergänzende Stellungnahme ist dem Einspruchsführer
bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht mehr ge-
äußert.

Drucksache 15/4750 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

(2) Der Einspruchsführer führt zu seiner zweiten Beanstan-
dung aus, dass das Formblatt für das Wählerverzeichnis ord-
nungsgemäß mit dem Dienstsiegel des Wahlamtes versehen
gewesen sei, jedoch keinen korrektenAbschlussvermerk ent-
halten habe, weil keine Zahlen eingetragen gewesen seien.
Diese seien am Wahltag telefonisch übermittelt und vom
Wahlvorsteher eingetragen worden. Streng genommen – so
der Einspruchsführer – stelle dies eine Urkundenfälschung
dar, zumindest sei jedoch der Abschlussvermerk durch diese
Eintragung nicht gültig geworden, da er von der Gemeinde-
wahlbehörde und nicht vom Wahlvorstand zu erstellen sei.
Offenbar seien auch die Abschlussvermerke in anderen
Wahlbezirken fehlerhaft gewesen.
Zu diesem Punkt hat der Stadtwahlleiter wie folgt Stellung
genommen:
Der Abschluss des Wählerverzeichnisses habe am Freitag,
dem 11. Juni 2004, um 18 Uhr stattgefunden. Anschließend
sei der Druck der Papierform der Wählerverzeichnisse er-
folgt. Die Anzahl der Wahlberechtigten, die laut Wählerver-
zeichnis keinen Sperrvermerk „W“ hätten, sei imWählerver-
zeichnis unter dem Kennbuchstaben A1 aufzuführen, wäh-
rend die Anzahl der Wahlberechtigten, die einen Wahlschein
und damit den Sperrvermerk „W“ erhalten hätten, dort unter
dem Kennbuchstaben A2 aufzuführen sei. Die Summe der
Abschlussbescheinigung unter A1 und A2 ergebe die Anzahl
der im Wählerverzeichnis insgesamt eingetragenen Wahlbe-
rechtigten (Kennbuchstabe A). Seitens des Wahlamtes sei es
bei dem Wählerverzeichnis für dieses Wahllokal irrtümli-
cherweise unterblieben, die Summen handschriftlich in das
Deckblatt zu übernehmen. Die Summen der Abschlussbe-
scheinigung (A1,A2 undA) desWählerverzeichnisses hätten
sich jedoch aus dessen Inhalt ergeben.
Die Stellungnahme des Stadtwahlleiters ist dem Einspruchs-
führer bekannt gegeben worden. Er hat sich in seiner Rück-
äußerung zu diesem Punkt nicht mehr geäußert.
(3) Der dritten Beanstandung des Einspruchsführers liegt fol-
gender Sachverhalt zugrunde:
Einige Wählerinnen und Wähler in dem betreffenden Wahl-
lokal falteten den gekennzeichneten Stimmzettel mit dem
letztenAbschnitt nach außen.Dadurchwar der untereTeil des
Stimmzettelsmit den letzten vier aufgeführtenWahlvorschlä-
gen von außen erkennbar. Der Einspruchsführer hat seinen in
diesem Zusammenhang zunächst erhobenen Vorwurf, Wäh-
lerinnen und Wähler hätten den Stimmzettel außerhalb der
Wahlkabine gefaltet, unter Hinweis auf die grundsätzliche
Übereinstimmung im Wahlvorstand bezüglich der Notwen-
digkeit einer korrekten Faltung der Stimmzettel der Sache
nach zurückgenommen.
Der Einspruchsführer trägt zur seiner Ansicht nach nicht kor-
rekten Faltung der Stimmzettel vor, dass, selbstwenn nicht zu
sehen gewesen sei, welche Partei die betreffendenWählerin-
nen und Wähler gewählt hätten, zumindest erkennbar gewe-
sen sei, dass bestimmte Parteien nicht gewählt worden seien.
Er habe jedoch davon abgesehen, über jeden einzelnen Fall
der seiner Ansicht nach gebotenen Zurückweisung von der
Wahl einen Beschluss des Wahlvorstandes herbeizuführen.
Er halte es für sinnvoll, wenn in der Geschäftsanweisung für
die Mitglieder des Wahlvorstandes die wesentlichen Grund-
lagen einer demokratischen Wahl ausführlich erläutert wür-

den und die Befolgung derselben stichprobenartig überprüft
würde.
Hierzu hat der Stadtwahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Gemäß § 49 Europawahlordnung (EuWO) sei der Stimmzet-
tel so zu falten, dass die Stimmabgabe nicht erkennbar sei.
Hierauf seien die Mitglieder der Wahlvorstände sowohl bei
den einschlägigen Schulungen als auch in der schriftlichen
Geschäftsanweisung für die Wahlvorstände hingewiesen
worden. Es dürfte – so der Stadtwahlleiter – unerheblich ge-
wesen sein, dass von einigenwenigenWählerinnenundWäh-
lern der untere Teil des gekennzeichneten Stimmzettels mit
vier aufgeführten Wahlvorschlägen nach außen gefaltet ge-
wesen sei. Eine stichprobenartige Kontrolle der ordnungsge-
mäßen Durchführung der Wahl entsprechend den Vorschrif-
ten werde vom Wahlamt der Stadt Karlsruhe bei jeder Wahl
durch den unangemeldeten Besuch von etwa 20 Prozent der
Wahlräume bzw. der Wahlvorstände durchgeführt.
Die Stellungnahme ist dem Einspruchsführer bekannt gege-
ben worden. Er hat sich zu diesem Punkt wie folgt geäußert:
Es sei seines Erachtens nicht unerheblich, wenn der untere
Teil des Stimmzettels nach außen gefaltet werde. Er bekräf-
tigt, dass erkennbar gewesen sei, dass der betreffendeWähler
„eine ganze Reihe von Parteien“ nicht gewählt habe. Es habe
in diesen Fällen im Wahlvorstand keinen Konsens darüber
gegeben, dass die Wähler zurückzuweisen und aufzufordern
seien, in der Wahlkabine einen neuen Stimmzettel zu kenn-
zeichnen und korrekt, also unter Wahrung des Wahlgeheim-
nisses, zu falten. Auf seine diesbezüglichen Interventionen
hätten die anderen Wahlvorstandsmitglieder mit beschwich-
tigenden Bemerkungen reagiert.
Hierzu ist der Stadtwahlleiter umMitteilung gebetenworden,
in wie vielen Fällen der untere Teil des Stimmzettels mit vier
aufgeführten Wahlvorschlägen nach außen gefaltet gewesen
sei.
Der Stadtwahlleiter hat in seiner ergänzenden Stellungnahme
hierzu mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit dem Wahl-
vorsteher der Stimmzettel in vier bis sechs Fällen so gefaltet
gewesen sei, dass die unteren vier – jedoch ungekennzeich-
neten – Wahlvorschläge nach außen gezeigt hätten.
Die ergänzende Stellungnahme ist dem Einspruchsführer be-
kannt gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht mehr geäu-
ßert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 Europawahl-
gesetz (EuWG) in Verbindung mit § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz (WPrüfG) von einer mündlichen Verhand-
lung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Der Einspruch kann trotz eines festzustellenden Wahlfehlers
und einesweiterenmöglicherweise geschehenenWahlfehlers
keinen Erfolg haben.
(1) Soweit der Einspruchsführer geltend macht, eine behin-
derte Wählerin sei zu Unrecht zur Wahl zugelassen worden,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/4750

so kann dahingestellt bleiben, ob ein Wahlfehler geschehen
ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann der Wahlein-
spruch keinen Erfolg haben, denn er kann jedenfalls keinen
Einfluss auf die Mandatsverteilung haben. Es lässt sich an-
hand des vorliegenden Sachverhalts nicht klären, ob die be-
treffendeWählerin geistig in der Lage war, denWahlvorgang
zu bewältigen.
Nach § 4 EuWG i. V. m. § 33 Abs. 2 Bundeswahlgesetz
(BWG) kann sich ein Wähler, der des Lesens unkundig ist
oder der durch körperliche Gebrechen gehindert ist, den
Stimmzettel zu kennzeichnen, zu falten oder selbst in die
Wahlurne zu werfen, der Hilfe einer anderen Person bedie-
nen. In § 50 Abs. 1 EuWO wird dies dahin gehend konkreti-
siert, dass der behinderte Wähler bzw. die behinderte Wähle-
rin eine andere Person bestimmt, deren Hilfe er bzw. sie sich
bei der Stimmabgabe bedienen will, und dies dem Wahlvor-
stand bekannt gibt. Nach § 50 Abs. 2 EuWO hat sich die Hil-
feleistung auf die Erfüllung der Wünsche des Wählers bzw.
der Wählerin zu beschränken. Die Hilfsperson darf gemein-
sammit demWähler bzw. der Wählerin die Wahlzelle aufsu-
chen, soweit das zur Hilfeleistung erforderlich ist.
Die Tatsache, dass sich die betreffendeWählerin nicht verbal
gegenüber dem Wahlvorstand geäußert hat, lässt nicht ohne
weiteres auf einen Verstoß gegen § 50 Abs. 1 EuWO schlie-
ßen. Aufgrund der nach Rücksprachemit demWahlvorsteher
und dessen Stellvertreter erfolgtenEinlassung des Stadtwahl-
leiters, die Notwendigkeit der Hilfestellung durch die Mutter
sei dem Wahlvorsteher bereits von früheren Wahlen her be-
kannt gewesen, ist nämlich nicht auszuschließen, dass die be-
hinderte Wählerin ihre Mutter durch schlüssiges Handeln als
Hilfsperson bestimmt und dies – ebenso durch schlüssiges
Handeln – demWahlvorstand bekannt gegeben hat. Anderer-
seits erscheint es aufgrund der Darstellung des Einspruchs-
führers als möglich, dass sich die betreffende Wählerin des-
halb nicht zur Bestimmung ihrer Mutter als Hilfsperson ge-
äußert hat, weil sie geistig dazu gar nicht in der Lage war.
Träfe dies zu, so läge ein Wahlfehler vor. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat hierzu festgestellt, dass bei geistigen Gebre-
chen keine Hilfe zulässig ist. Ein Wähler, der des Lesens un-
kundig ist, muss daher – so das Bundesverfassungsgericht –
im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und im Stande sein, die
Vertrauensperson sinnvoll auszuwählen (BVerfGE 21,
S. 200/207). Ob dies der Fall ist, muss anhand der konkreten
Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Dem Um-
stand, dass die betreffende Wählerin nicht nach § 6a EuWG
vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, mag eine gewisse In-
dizwirkung zukommen. Aufgrund des Vortrags des Ein-
spruchsführers mussten sich im vorliegenden Fall jedoch
Zweifel aufdrängen, ob die betreffendeWählerin in der Lage
war, den Wahlvorgang geistig zu bewältigen.
Im Wahlvorstand gab es unterschiedliche Auffassungen zu
der Frage, ob die betreffendeWählerin hierzu in derLagewar.
Allein die Tatsache, dass der Wahlvorstand mehrheitlich ent-
schieden hat, dass eine Hilfeleistung zulässig sei, führt nicht
zu der Feststellung, dass diewahlrechtlichenVorschriften zur
Stimmabgabe behinderter Wähler eingehalten worden seien.
Andererseits kann ein Wahlfehler nicht bereits daraus abge-
leitet werden, dass der Beschluss über die Zulassung der be-
hindertenWählerin nicht als solcher in derWahlniederschrift
vermerkt ist. Nach § 49 Abs. 7 Satz 1 EuWO beschließt der
Wahlvorstand über die Zulassung oder Zurückweisung,wenn

aus der Mitte des Wahlvorstandes Bedenken gegen die Zu-
lassung einesWählers bzw. einerWählerin zur Stimmabgabe
erhoben werden. Nach § 49 Abs. 7 Satz 2 EuWO ist der Be-
schluss in derWahlniederschrift zu vermerken. In der Anlage
zur Wahlniederschrift ist zwar der Sachverhalt, der zur Be-
schlussfassung geführt hat, vermerkt. Die Beschlussfassung
selbst ist jedoch in derWahlniederschrift nicht dokumentiert.
Dies widerspricht – streng genommen – zwar der Vorgabe in
§ 50 Abs. 7 Satz 2 EuWO. Jedoch ist dieser formale Verstoß
irrelevant, wenn – wie hier – der Sachverhalt in der Wahlnie-
derschrift vermerkt ist und sich die Beschlussfassung nach-
träglich ohneweiteres aufklären lässt. Esmuss somit auch un-
ter diesem Blickwinkel offen bleiben, ob im Hinblick auf die
Fähigkeit der betreffendenWählerin, denWahlvorgang geis-
tig zu bewältigen, ein Wahlfehler geschehen ist. Selbst wenn
man dies unterstellt, kann der Wahleinspruch mangels Man-
datserheblichkeit – wie noch weiter unten darzulegen ist –
keinen Erfolg haben.
(2) Ein Wahlfehler liegt nicht vor, soweit der Einspruchsfüh-
rer meint, das Wählerverzeichnis habe keinen korrekten Ab-
schlussvermerk enthalten. Nach § 23 Abs. 1 EuWO ist das
Wählerverzeichnis spätestens am Tage vor der Wahl, jedoch
nicht früher als am dritten Tage vor der Wahl, durch die Ge-
meindebehörde abzuschließen. Sie stellt dabei die Zahl der
Wahlberechtigten des Wahlbezirks fest. Der Abschluss wird
nach dem Muster der Anlage 7 der Europawahlordnung be-
urkundet. DieseVoraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der
Abschluss des Wählerverzeichnisses für den betreffenden
Wahlbezirk ist amFreitag, dem11. Juni 2004, um18Uhr kor-
rekt beurkundet worden, auch wenn versehentlich die Eintra-
gung der Summen der Wahlberechtigten unterblieben ist. Es
war ein korrektes und pragmatisches Verfahren, die betref-
fenden Summen nachträglich telefonisch zu übermitteln. Zu
Rechtweist der Stadtwahlleiter darauf hin, dass sich die in die
Abschlussbescheinigung nach dem Muster der Anlage 7 der
Europawahlordnung einzutragendenSummen aus dem Inhalt
des Wählerverzeichnisses ergeben haben, das zusammen mit
der Bescheinigung eine untrennbare Einheit bildet. Ein der-
artiges Versehen beeinträchtigt deshalb die Korrektheit des
Wahlverfahrens nicht und führt auch nicht zur Ungültigkeit
des Abschlussvermerks. Von einer Falschbeurkundung kann
– entgegen der Auffassung des Einspruchsführers – keine
Rede sein. Soweit der Einspruchsführer vermutet, die Ab-
schlussvermerke in anderen Wahlbezirken seien fehlerhaft
gewesen, so besteht kein Anlass, einer solchen allgemeinen,
nicht durch Tatsachen belegten Behauptung nachzugehen.
(3) EinWahlfehler liegt vor, soweit in vier bis sechs Fällen die
Stimmzettel so gefaltet waren, dass die unteren vier – jedoch
ungekennzeichneten – Wahlvorschläge nach außen gezeigt
haben.
Nach § 4 EuWG i. V. m. § 34 Abs. 2 Satz 2 BWG faltet der
Wähler den Stimmzettel in der Weise, dass seine Stimm-
abgabe nicht erkennbar ist, und wirft ihn in die Wahlurne. In
§ 49 Abs. 2 Satz 1 EuWOwird diese Vorgabe wiederholt und
dahin gehend konkretisiert, dass die Faltung des Stimmzettels
in der Wahlzelle erfolgt. An der Notwendigkeit, das Wahlge-
heimnis zu wahren, hat sich durch die Abschaffung der amt-
lichenWahlumschläge mit dem 15. Gesetz zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 (BGBl. I S. 698)
nichts geändert. In der Begründung zu dieser Gesetzesände-
rung wird vielmehr klargestellt, dass es auch in Zukunft nicht

Drucksache 15/4750 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

erlaubt ist, dass Wähler mit offenem Stimmzettel aus der
Wahlkabine heraustreten und erkennen lassen, wie sie ge-
wählt haben (Bundestagsdrucksache 14/3764, S. 9).
Aufgrund der Faltung des letzten Abschnittes des Stimmzet-
tels nach außen konnten andere Wählerinnen und Wähler
erkennen, dass die vier dort aufgeführten Wahlvorschläge
nicht angekreuzt waren. Hierdurch war die Stimmabgabe
teilweise erkennbar und somit das Wahlgeheimnis verletzt.
Der Wahlvorstand hätte die betreffenden Wähler nach § 49
Abs. 6 Nr. 5 EuWO zurückweisen müssen. Auf deren Ver-
langen hätte ihnen – wie vom Einspruchsführer beschrieben
– nach Vernichtung des alten, nach außen gefalteten Stimm-
zettels gemäß § 49 Abs. 8 EuWO ein neuer Stimmzettel
ausgehändigt und ihnen Gelegenheit zur erneuten Stimm-
abgabe gegeben werden müssen. Der Umstand, dass der
Wahlvorstand die Faltung nach außen gebilligt hat und die
betreffenden Wähler auf eine weitergehende Einhaltung des
Wahlgeheimnisses verzichtet haben, macht deren Stimm-
abgabe nicht im Nachhinein gültig. Die Vorschriften, die der
Wahrung des Wahlgeheimnisses dienen, sind zwingend; we-
der die Wählerinnen und Wähler noch die Wahlorgane kön-
nen auf deren Befolgung verzichten. Es handelt sich um Be-
stimmungen, die nicht nur dem Schutz des einzelnen Wahl-
berechtigten dienen, sondern um solche, die im öffentlichen
Interesse zur Gewährleistung eines geordneten Wahlverfah-
rens zwingend erforderlich sind (Schreiber, Kommentar
zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 1 Rn. 26 und § 33

Rn. 3). Da es sich um einen Verstoß gegen grundlegende
Wahlvorschriften handelt, ist die Stimmabgabe in den be-
treffenden vier bis sechs Fällen ungültig.
DieserWahlfehler und dermöglicherweise aufgrund der oben
dargestellten Zulassung einer behinderten Wählerin gesche-
hene Wahlfehler führen nicht zum Erfolg des Wahlein-
spruchs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts, der sich der Wahlprüfungsausschuss und der
Deutsche Bundestag stets angeschlossen haben, können näm-
lich nur solche Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolgreich
begründen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluss sind
oder hätten sein können. Infolgedessen scheiden alle Verstöße
von vornherein als unerheblich aus, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/372
ständige Rechtsprechung). Selbst solche Wahlfehler, die die
ErmittlungdesWahlergebnisses betreffen, sind dann unerheb-
lich, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses keinen
Einfluss auf dieMandatsverteilung haben können.Unterstellt
man, dass die Stimme der behinderten Wählerin ungültig ist,
und rechnet man sechs weitere ungültige Stimmen wegen
Verletzung des Wahlgeheimnisses hinzu, so verändert sich
dadurch nichts an der Verteilung der Mandate der 99 deut-
schen Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/4750

Anlage 2

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn C. K., 61231 Bad Nauheim

– Az.: EuWP 34/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 21. Juli 2004, das beim Deutschen Bun-
destag am 23. Juli 2004 eingegangen ist, hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Gültigkeit derWahl der Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 eingelegt. Der Einspruchsfüh-
rer beanstandet, dass er trotz seiner Bemühung nicht an der
Wahl habe teilnehmen können.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Einspruchsführer meldete sich am 23. März 2004 bei der
Gemeinde Wehrheim ohne festen Wohnsitz ab. Am 23. Juni
2004 meldete er sich mit einem neuen Hauptwohnsitz in
Fulda und am 7. Juli 2004 mit einem Nebenwohnsitz in der
Gemeinde Wehrheim an. Am 19. Mai 2004 wandte sich der
Einspruchsführer hinsichtlich der Ausstellung von Wahl-
unterlagen für die Europawahl telefonisch an die Gemeinde
Wehrheim, in der er – wie dargestellt – seinen letzten Wohn-
sitz gehabt hatte. Hierbei wurde ihm mitgeteilt, dass dies
nicht möglich sei, weil er nicht mit einemWohnsitz angemel-
det sei. Am 11. Juni 2004 sprach der Einspruchsführer bei der
Stadt Bad Nauheim vor und bat um Auskunft darüber, ob er
an der Europawahl 2004 teilnehmen könne. Dies wurde unter
Hinweis auf die fehlende Wohnsitzanmeldung und den Ab-
lauf derAntragsfrist zur Eintragung in dasWählerverzeichnis
gemäß § 15 Abs. 1 Europawahlordnung (EuWO) am 9. Mai
2004 verneint.
Der Einspruchsführer trägt hierzu vor, dass ihm als wohnsitz-
loser und nicht vorbestrafter Bürger das Wahlrecht vorent-
halten worden sei. Auf eine weitere telefonische Anfrage am
11. Juni 2004 beim Hessischen Amt für Statistik undWahlen
sei ihm mitgeteilt worden, dass er die Ausstellung der Wahl-
unterlagen „bei einer Gemeinde oder Stadt“ hätte beantragen
müssen. Zu diesemZeitpunkt sei dies jedoch nichtmehrmög-
lich gewesen.
Der Landeswahlleiter für das Land Hessen hat zu der Ange-
legenheit unter Einbeziehung der Kreiswahlleiter des Hoch-
taunuskreises und des Wetteraukreises wie folgt Stellung ge-
nommen:
Entgegen der aus von den Kreiswahlleitern vorgelegten Be-
richten hervorgehenden Auffassung der Gemeinde Wehr-

heimund der Stadt BadNauheim sei der Einspruchsführer für
die Europawahl wahlberechtigt gewesen. Nach § 6 Abs. 1
Satz 1 Europawahlgesetz (EuWG) sei für die Europawahl
wahlberechtigt, wer u. a. seit mindestens drei Monaten in der
Bundesrepublik Deutschland eineWohnung innegehabt oder
sich sonst gewöhnlich aufgehalten habe.Nach der Einlassung
des Einspruchsführers sei davon auszugehen, dass er sich seit
mindestens dreiMonaten vor derWahl in der Bundesrepublik
Deutschland gewöhnlich aufgehalten habe.
Da der Einspruchsführer jedoch am 9. Mai 2004, dem Stich-
tag für die Aufstellung derWählerverzeichnisse, wohnsitzlos
verzogen gewesen sei, habe er nicht von Amts wegen gemäß
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EuWO in das Wählerverzeichnis der Ge-
meinde Wehrheim eingetragen werden können. Um in das
Wählerverzeichnis eingetragen werden zu können, hätte der
Einspruchsführer einen entsprechenden Antrag gemäß § 17
Abs. 1 EuWO bis zum 23. Mai 2004 bei der zuständigen Ge-
meindebehörde stellenmüssen. Da der Einspruchsführer die-
sen Antrag nicht gestellt habe, sei er zu Recht nicht in das
Wählerverzeichnis eingetragen worden.
DerEinspruchsführer könne sich nicht darauf berufen, dass er
am 19. Mai 2004 bei der Gemeinde Wehrheim und am
11. Juni 2004 bei der Stadt BadNauheim die – jeweils unrich-
tige – Auskunft erhalten habe, dass er nur bei Anmeldung ei-
nes Wohnsitzes an der Europawahl habe teilnehmen können,
da er trotz dieserAuskünfte auch nach dem23.Mai 2004 noch
einen Wahlschein gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 1 EuWO hätte be-
antragen können. Der Einspruchsführer müsse sich zurech-
nen lassen, dass er durch die öffentliche Bekanntmachung
über das Recht auf Einsicht in dasWählerverzeichnis und die
Erteilung vonWahlscheinenGelegenheit zurKenntnisnahme
vondieserMöglichkeit gehabt habe.Da er keinenWahlschein
beantragt habe, sei eine Teilnahme an der Europawahl für ihn
nicht möglich gewesen.
Die Stellungnahme ist dem Einspruchsführer bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Drucksache 15/4750 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Der Einspruch kann trotz eines festzustellenden Wahlfehlers
keinen Erfolg haben. Der Einspruchsführer hat zweimal – am
19.Mai 2004 durch die GemeindeWehrheim und am 11. Juni
2004 durch die Stadt Bad Nauheim – die unzutreffende Aus-
kunft erhalten, als Wohnsitzloser habe er kein Recht, an der
Europawahl teilzunehmen. Diese fehlerhaften Auskünfte be-
gründen einen Wahlfehler.
Ein Wahlfehler liegt vor, wenn die rechtlichen Regelungen
über die Vorbereitung und Durchführung der Wahl nicht ein-
gehalten worden sind. Zu den Pflichten der Wahlbehörden
und des Wahlvorstandes gehört es insoweit auch, richtige
Auskünfte zurWahrnehmung desWahlrechts zu geben (Bun-
destagsdrucksache 15/1150, Anlage 12). Dies gilt grundsätz-
lich auch für mündliche Auskünfte. Hier kommt eine Aus-
nahme nur dann in Betracht, wenn der wahlrechtliche Sach-
verhalt sehr differenziert ist und nach den Umständen von
einer mündlichen Beantwortung keine abschließende und
erschöpfende Auskunft erwartet werden kann (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 15/1150, Anlage 8). Ein solcher differenzier-
ter Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben, so dass die feh-
lerhafte Auskunft an den Einspruchsführer einen Wahlfehler
begründet. Wie in der Stellungnahme des Landeswahlleiters
zutreffend ausgeführt wird, war und ist der Einspruchsführer
aufgrund seines mindestens dreimonatigen gewöhnlichen
Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland wahlberech-
tigt (§ 6 Abs. 1 Nr. 2a EuWG). Bei einem fristgemäßen An-
trag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis – bis zum 23.
Mai 2004 – hätte er auch eingetragen werden müssen (§ 17
Abs. 1 EuWO). Die Falschauskunft der GemeindeWehrheim
vom19.Mai 2004 hat imErgebnis dazu geführt, dass der Ein-
spruchsführer einen solchen Antrag nicht gestellt hat und so-
mit sein Wahlrecht nicht wahrnehmen konnte. Die weitere
Falschauskunft der Stadt BadNauheimvom11. Juni 2004 hat
dazu beigetragen, dass er keinen Wahlschein beantragt hat.
Entgegen derAuffassung des Landeswahlleiters kann hierge-
gen nicht eingewendet werden, der Einspruchsführer hätte
trotz der falschen Auskünfte einen Wahlschein gemäß § 24
Abs. 2 Nr. 1 EuWO beantragen können. Es mag sein, dass
dem Einspruchsführer gerade im Hinblick auf die erteilten
Falschauskünfte der Nachweis gelungen wäre, dass er ohne
sein Verschulden die Antragsfrist für eine Eintragung in das

Wählerverzeichnis versäumt hat, und deshalb noch einen
Wahlschein erhalten hätte können. Ermuss sich jedochweder
die unterlassene Antragstellung bezüglich einer Eintragung
in das Wählerverzeichnis noch den Umstand zurechnen las-
sen, dass er keine Einsicht in das Wählerverzeichnis genom-
men hat. Nach ständiger Praxis gilt zwar folgende Grundre-
gel: Wer keine Wahlbenachrichtigung erhalten hat und den-
noch keine Einsicht in das Wählerverzeichnis nimmt, muss
die sich aus einer eventuellen Nichteintragung in das Wäh-
lerverzeichnis resultierende Folge, z. B. keine Möglichkeit
der Wahlteilnahme, tragen (vgl. Bundestagsdrucksache 15/
1150,Anlage 8 undSchreiber, Kommentar zumBundeswahl-
gesetz, 7. Auflage, § 14 Rn. 5, S. 312). Diese Grundregel gilt
jedoch dann nicht,wenn–wie hier – eineFalschauskunft über
die Wahlberechtigung dazu führt oder zumindest in erhebli-
chemMaße dazu beiträgt, dass der Wahlberechtigte es unter-
lässt, einen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis
zu stellen und Einsicht in das Wählerverzeichnis zu nehmen.
Maßgeblich ist, dass der Einspruchsführer hier keinenAnlass
hatte, weitere Schritte zur Wahrnehmung seines Wahlrechts
zu ergreifen, da er ja aufgrund der ihm erteilten Auskunft da-
von ausgehen musste, er sei zu Recht nicht in dasWählerver-
zeichnis eingetragen worden. Vor diesem Hintergrund kann
ihm auch nicht zugerechnet werden, dass er keine weiteren
Initiativen zurWahrnehmung seinesWahlrechts ergriffen hat.
Der Wahleinspruch kann trotz dieses Wahlfehlers keinen Er-
folg haben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts, der sich der Wahlprüfungsausschuss und
der Deutsche Bundestag stets angeschlossen haben, können
nämlich nur solche Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolg-
reich begründen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluss
sind oder hätten sein können. Infolgedessen scheiden alle
Verstöße von vornherein als unerheblich aus, die die Ermitt-
lung des Wahlergebnisses nicht berühren (seit BVerfGE 4,
370/372 ständigeRechtsprechung). Selbst solcheWahlfehler,
die die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, sind dann
unerheblich, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses
keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben können.
Auch wenn der Einspruchsführer seine Stimme abgegeben
hätte, hätte sich dieMandatsverteilung der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutsch-
land hierdurch nicht geändert.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/4750

Anlage 3

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. W., 40885 Ratingen

– Az.: EuWP 11/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 13. Juni 2004, das am 16. Juni 2004 beim
Deutschen Bundestag eingegangen ist, und mit einem am
2. Juli 2004 an den Deutschen Bundestag weitergeleiteten
Schreiben an denBundeswahlleiter vom14. Juni 2004 hat der
Einspruchsführer gegen die Gültigkeit derWahl der Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Er be-
gründet diesen imWesentlichen damit, dass er im Wahllokal
zu Unrecht an der Stimmabgabe gehindert worden sei. Die
Wahlvorsteherin habe sogar die Polizei gerufen, was im Hin-
blick auf dieBedeutung des verfassungsrechtlich gewährleis-
teten Wahlrechts nicht hinnehmbar sei.
Für den Einspruchsführer ist ausweislich der Bestellungsur-
kunde des Amtsgerichts Viersen vom 25. November 2003
(Geschäftsnummer: 9 XVII 2239) ein Betreuer bestellt wor-
den, dessenAufgabenkreis dieWahrnehmung der Rechte und
Interessen des Betroffenen in allen von ihmund gegen ihn be-
triebenen gerichtlichen Verfahren umfasst. Hierbei wurde
dem Betreuer die Befugnis zuerkannt, den Betroffenen in ge-
eigneten Fällen zur eigenständigen Prozessführung zu er-
mächtigen. Die Willenserklärungen in dem genannten Auf-
gabenkreis wurden unter einen Einwilligungsvorbehalt des
Betreuers gestellt. Mit Schreiben vom 5. August 2004 ist der
Betreuer des Einspruchsführers unter Hinweis darauf, dass es
sich beim Wahlprüfungsverfahren um ein gerichtsförmiges
Verfahren handelt, um Mitteilung gebeten worden, ob er die
Einlegung des Einspruchs genehmige und ob er den Ein-
spruchsführer ggf. zur eigenständigen Führung des Ein-
spruchsverfahrens ermächtige. Mit Schreiben vom 12. Au-
gust 2004, das am selben Tag per Telefax übermittelt worden
ist, hat der Betreuer die Einlegung des Einspruchs genehmigt
und ihn zur eigenständigen Führung des Einspruchsverfah-
rens ermächtigt.
Dem Wahleinspruch liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Ausweislich von Vermerken, die der Wahlniederschrift bei-
gefügt sind, betrat der Einspruchsführer am Wahltag gegen
15 Uhr ein Wahllokal in Viersen und verlangte einen Stimm-
zettel. Da er nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen war,
wurde er vom Wahlvorstand zurückgewiesen. Als der Ein-
spruchsführer daraufhin bemerkte, dass die stellvertretende

Wahlleiterin die Polizei informierte, verließ er dasWahllokal.
Zu einem späteren Zeitpunkt – gegen 17.50Uhr – betrat er er-
neut den Wahlraum, um dort einen „Protestbrief“ wegen an-
geblicherWahlfälschung anzubringen. Aufgrund seines Auf-
tretens wurde er des Raumes verwiesen, was etwas später mit
Hilfe der Polizei durchgesetzt wurde.
Im Zusammenhang mit dem Streit um die Berechtigung zur
Wahlteilnahme steht die melderechtliche Situation des Ein-
spruchsführers. Er ist Eigentümer einesGebäudes in der Stadt
Viersen. In diesemGebäude brannte es am 30. Oktober 1995,
wobei erhebliche Schäden entstanden. Zwischen dem Ein-
spruchsführer und der Stadt Viersen ist seither streitig, ob das
Gebäude noch bewohnbar ist. Am 2. Oktober 1996 meldete
sich der Einspruchsführer unter dieser Anschrift an; am
2. April 1997meldete er sich jedoch vonViersen nachDüssel-
dorf ab. Einige Tage später – am 11. April 1997 – meldete er
sich in Düsseldorf wieder ab. Vom 1. April 1998 bis zum
26. Juni 1998war der Einspruchsführer inRatingen gemeldet
und meldete sich dann nach Vaals (Belgien) ab. Am 10. Fe-
bruar 1999 meldete er sich in Duisburg an. Dort meldete er
sich am 14. April 1999 wieder ab. Als neue Anschrift gab er
seinGebäude inViersen an, ohne sich dann bei der StadtVier-
sen anzumelden. Seither hat er versucht, eine Anmeldung un-
ter der Anschrift des Gebäudes in Viersen u. a. mit Hilfe der
Verwaltungsgerichte durchzusetzen.NachAngaben der Stadt
Viersen hat er die Anmeldung jedoch nicht bei der dortigen
Meldebehörde beantragt. Seit dem 18. Juni 2004 ist der Ein-
spruchsführer für eine Hauptwohnung in Ratingen gemeldet.
Im Vorfeld der Europawahl hatte der Einspruchsführer auf
einem entsprechenden Formblatt (Anlage 14 zu § 32 Abs. 3
Europawahlordnung – EuWO) eine Unterstützungsunter-
schrift für einen Wahlvorschlag unter der Anschrift seines
Gebäudes in Viersen geleistet und legte dieses zur Beschei-
nigung seines Wahlrechts der Stadt Viersen vor. Da die Stadt
Viersen eine Bescheinigung desWahlrechts ablehnte, wandte
sich der Einspruchsführer mit einer Petition an den Landtag
Nordrhein-Westfalen und erhob Klage beim Verwaltungsge-
richt Düsseldorf.
Der Petitionsausschuss des Landtages Nordrhein-Westfalen
hat am 22. Juni 2004 beschlossen, die Weigerung der Stadt
Viersen, die vom Einspruchsführer begehrten Bescheinigun-

Drucksache 15/4750 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

gen über das Wahlrecht zum Europäischen Parlament auszu-
stellen, sei nicht zu beanstanden.
DasVerwaltungsgerichtDüsseldorf hatmitUrteil vom4. Juni
2004 (1 K 724/04) die u. a. auf die Feststellung gerichtete
Klage, dass die Stadt Viersen verpflichtet gewesenwäre, dem
Einspruchsführer die Wahlberechtigung für die Wahl zum
EuropäischenParlament 2004 zu bestätigen, abgewiesen.Die
Klage sei bereits unzulässig, weil sich dieser Antrag auf eine
Maßnahme bzw. Entscheidung im Zusammenhang mit Wah-
len und deren Vorbereitung beziehe und das Europawahlge-
setz in § 14 Abs. 4 und § 26 Rechtsbehelfe vorsehe, die eine
verwaltungsgerichtliche Überprüfung vor der Wahl aus-
schlössen. Die Klage hätte auch bei unterstellter Zulässigkeit
verwaltungsgerichtlichenRechtsschutzes keinenErfolg,weil
sie jedenfalls ersichtlich unbegründetwäre. EinAnspruch auf
Erteilung einer Wahlrechtsbescheinigung im Rahmen der
Unterstützungsunterschrift bestehe nicht, weil mangels eines
Nachweises einer Wohnung in Viersen die Grundlage zur
Überprüfung des Wahlrechts nach § 6 EuWG fehle. Wegen
der weiteren Ausführungen in diesem Urteil wird auf den In-
halt der Akten Bezug genommen.
Der Kreiswahlleiter des Kreises Viersen hat zu demWahlein-
spruch wie folgt Stellung genommen:
Der Einspruchsführer habe von der Stadt Viersen nicht in das
Wählerverzeichnis eingetragen werden können, weil er dort
nicht mit Wohnsitz gemeldet sei und innerhalb der gesetzli-
chen Frist auch keinen Antrag auf Eintragung in das Wähler-
verzeichnis unterNachweis seinesAufenthaltes gestellt habe.
Dieses Problem bestehe schon seit mehreren Jahren beiWah-
len, weil der Einspruchsführer seiner gesetzlichen Melde-
pflicht nicht nachkomme. Darüber hinaus nimmt der Kreis-
wahlleiter auf die Stellungnahme des Innenministeriums des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 2004 gegenüber
dem Petitionsausschuss des Landtages zur Petition des Ein-
spruchsführers Bezug.
In dieser Stellungnahme wird ausgeführt, die Stadt Viersen
könne dasWahlrecht des Einspruchsführers nur dann auf dem
amtlichen Formblatt für eine Unterstützungsunterschrift be-
scheinigen, wenn er in der Stadt Viersenmit einer Hauptwoh-
nung gemeldet sei oderwenn auf andereWeise feststehe, dass
er in Viersen wohnhaft sei. Da beides nicht der Fall sei, habe
es die Stadt Viersen zu Recht abgelehnt, dem Einspruchsfüh-
rer die Bescheinigung über das Wahlrecht zur Wahl des Eu-
ropäischen Parlaments zu erteilen. Es bestünden erhebliche
Zweifel, ob er unter der von ihm angegebenen Anschrift in
seinem Gebäude in Viersen wohnhaft sei. Die Stadt Viersen
habe die Petition zumAnlass genommen, dasGebäude inAu-
genschein zu nehmen. Nach deren Bericht ist das Gebäude
nach dem äußeren Erscheinungsbild unbewohnt. Mehrere
Fenster seien entweder mit braunem Packpapier zugeklebt
oder dauerhaft mit Rollläden verschlossen. Eine Klingel sei
nicht vorhanden. EinTelefonanschluss unter derAnschrift sei
nicht bekannt. Der Anschluss an die Wasserversorgung sei
seit Jahren abgesperrt. Das Gebäude sei nicht an die städti-
sche Abfallentsorgung angeschlossen. Derzeit sei beim
Amtsgericht Viersen ein Zwangsversteigerungsverfahren für
das Grundstück anhängig. Der Einspruchsführer könne viel-
fach unter der angegebenenAdresse nicht erreichtwerden. Im
Ergebnis sei somit festzustellen, dass der Einspruchsführer
weder in der Stadt Viersen mit einer Wohnung gemeldet sei,
noch mit der für eine Berichtigung des Melderegisters von

Amts wegen notwendigen Sicherheit davon ausgegangen
werden könne, dass er tatsächlich unter der von ihm angege-
benen Anschrift wohnhaft sei. Die vom Einspruchsführer be-
gehrte Bescheinigung für dasWahlrecht sei deshalb zu Recht
nicht ausgestellt worden.
Die Stellungnahme des Kreiswahlleiters und die beigefügte
Stellungnahme des Innenministeriums von Nordrhein-West-
falen sind demEinspruchsführer bekannt gegebenworden. Er
hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Bei dem Brand in seinem Gebäude in Viersen im Jahre 1995
seien entgegen derDarstellung in denStellungnahmen „keine
umfassenden mechanischen“ Schäden entstanden, so dass
von einerUnbewohnbarkeit desGebäudes nicht ausgegangen
werden könne. Er habe sich in Viersen nicht förmlich anmel-
den wollen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er vor-
her seinen melderechtlichen Verpflichtungen nicht nachge-
kommen wäre. Es widerspreche rechtsstaatlichen Prinzipien,
wenn die Anwesenheit des Einspruchsführer in seinem Ge-
bäude in Viersen nur dann angenommen werde, wenn für ihn
nachteilige Entscheidungen übersandt würden, nicht jedoch,
wenn es um die Wahrnehmung seiner Rechte, wie etwa des
Wahlrechts, gehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Ein-
spruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genom-
men.
Dem Wahlprüfungsausschuss liegen zwei Schreiben der
Stadt Viersen vom 5. Januar 2004 und vom 9.März 2004 vor,
in denen demEinspruchsführer mitgeteilt wird, dass ihm sein
Wahlrecht nicht bescheinigt werden könne, da er gemäß dem
Melderegister nicht in der Stadt Viersen mit Hauptwohnsitz
gemeldet sei und somit dieGrundlage zurÜberprüfung seines
Wahlrechts nach § 6 Europawahlgesetz (EuWG) fehle. Ge-
mäß den §§ 15 und 17 EuWOkönne der Einspruchsführer bis
spätestens zum 23. Mai 2004 einen Antrag auf Eintragung in
das Wählerverzeichnis stellen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegrün-
det.
Er ist form- und fristgerecht beim Deutschen Bundestag ein-
gegangen und erfüllt auch die weiteren Zulässigkeitsvoraus-
setzungen.
Da der Betreuer die Einlegung des Einspruchs genehmigt und
den Einspruchsführer zur eigenständigen Führung des Ein-
spruchsverfahrens ermächtigt hat, ist der Einspruch wirksam
eingelegt worden (§ 1903 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetz-
buchs) und der Einspruchsführer ist in Bezug auf den Gegen-
stand des Einspruchsverfahrens verfahrensfähig. Hierbei be-
trifft der Aufgabenkreis des Betreuers auch das vorliegende
Wahlprüfungsverfahren, da es sichbei diesemumeingerichts-
ähnlich ausgestaltetes Verfahren handelt (vgl. OVG Berlin,
Beschluss vom 9. April 2003 – OVG 2 M 8.03), in dem ma-
teriell Rechtsprechung ausgeübt wird.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/4750

Der Einspruchsführer ist nach § 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 2
Abs. 2WPrüfG einspruchsberechtigt. Nach dieser Vorschrift
kann u. a. jederWahlberechtigte Einspruch erheben. Der Ein-
spruchsführer ist als Wahlberechtigter im Sinne der Vor-
schriften der §§ 6 und 6a EuWG zu behandeln. Da der Ein-
spruchsführer nicht zurBesorgung aller seinerAngelegenhei-
ten, sondern nur hinsichtlich eines bestimmten Aufgaben-
kreises unter Betreuung steht, ist er nicht nach § 6 Abs. 1
Satz 1 Nr. 3 EuWG i. V. m. § 6a Abs. 1 Nr. 2 EuWG vom
Wahlrecht ausgeschlossen. Anhand des vorliegenden Sach-
verhalts lässt sich zwar nicht mit letzter Sicherheit klären, ob
sich derEinspruchsführer seitmindestens dreiMonaten in der
Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Mit-
gliedstaat der Europäischen Gemeinschaft aufgehalten hat
(§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 EuWG). Diese Frage kann
jedoch dahingestellt bleiben, da der Einspruchsführer seinen
Einspruch gerade darauf stützt, dass sein Wahlrecht zu Un-
recht nicht anerkannt worden sei (Seifert, Kommentar zum
Bundeswahlrecht, 3. Auflage § 2 WPrüfG Anm. 2). Dies ist
für die Einspruchsberechtigung im Rahmen der Zulässigkeit
des Einspruchs ausreichend.
Der Einspruch ist offensichtlich unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Einspruchsfüh-
rer mag zwar – wie dargelegt – materiell wahlberechtigt sein.
Bei der Europawahl lagen jedoch die formellen Vorausset-
zungen für die Ausübung seines Wahlrechts nicht vor, da er
nicht in dasWählerverzeichnis eingetragenwar und es zudem
versäumt hat, seine Eintragung in dasselbe zu beantragen
(vgl. § 4 EuWG i. V. m. § 14 Abs. 1 BWG).
Der Einspruchsführer ist zu Recht nicht von Amts wegen in
das Wählerverzeichnis eingetragen worden. Nach § 15
Abs. 1 EuWOhätte dies vorausgesetzt, dass er am35. Tag vor
der Wahl (Stichtag: 9. Mai 2004) bei der Meldebehörde ge-
meldet gewesen wäre. Der Einspruchsführer war jedoch zu
diesem Zeitpunkt nicht bei der Stadt Viersen gemeldet. So-
weit der Einspruchsführer mit seiner Behauptung, es seien
„keine umfassenden mechanischen“ Schäden bei dem Brand
im Jahre 1995 entstanden, geltend machen möchte, dass sein
Gebäude doch bewohnbar sei und er deshalb zuUnrecht nicht
in das Melderegister eingetragen worden sei, so braucht die-
sem Einwand im Wahlprüfungsverfahren nicht nachgegan-
genwerden.Gemäß § 26Abs. 4 EuWGkönnen nur Entschei-
dungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahl-

verfahren beziehen, im Wahlprüfungsverfahren angefochten
werden. Etwaige Fehler im melderechtlichen Verfahren be-
rühren jedoch das Wahlverfahren nur mittelbar (Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlagen 8 und 40). Davon abgesehen
haben die Stadt Viersen, andere Behörden, der Petitionsaus-
schuss des Landestages von Nordrhein-Westfalen sowie das
VerwaltungsgerichtDüsseldorf diemelderechtlicheSituation
des Einspruchsführers umfassend geprüft.
Um wählen zu können, hätte der Einspruchsführer einen An-
trag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis nach § 15
Abs. 2EuWOstellenmüssen.Obwohl er darauf von der Stadt
Viersen sogar ausdrücklich hingewiesen worden war, hat er
einen solchen Antrag nicht gestellt. Gegenüber denjenigen
Bürgerinnen und Bürgern, die im Vorfeld einer Wahl keine
Wahlbenachrichtigung erhalten haben, besteht die Erwar-
tung, dass sie sich um die Wahrnehmung ihres Wahlrechts
kümmern. Wer dies nicht tut, muss die aus einer eventuellen
Nichteintragung in das Wählerverzeichnis resultierende
Folge, dass eineWahlteilnahmenichtmöglich ist, tragen (vgl.
Bundestagsdrucksache 15/1150, Anlage 40; Schreiber, Kom-
mentar zumBundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 14 Rn. 5). Dies
gilt umsomehr,wenn einWahlberechtigter –wie hier der Ein-
spruchsführer – positive Kenntnis davon haben muss, dass er
nicht von Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen
ist. Der Einspruchsführer wusste aufgrund derWeigerung der
Stadt Viersen, ihm eineWahlrechtsbescheinigung zu erteilen,
dass er dort nicht mit einer Hauptwohnung gemeldet war und
somit zur Wahrnehmung seines Wahlrechts bei der Europa-
wahl einen Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis
zu stellen hatte. Die Stadt Viersen hat ihm dies mit Schreiben
vom 9. März 2004 ausdrücklich mitgeteilt. Darüber hinaus
war die Frage der Erteilung einer Wahlrechtsbescheinigung
Gegenstand der Klage des Einspruchsführers beim Verwal-
tungsgericht Düsseldorf und des Petitionsverfahrens beim
Landtag Nordrhein-Westfalen.
Vor diesem Hintergrund wäre auch im Falle eines entspre-
chendenAntrags des Einspruchsführers amWahltag die Ertei-
lung einesWahlscheins nach § 24Abs. 2Nr. 1EuWO i. V. m.
§ 26 Abs. 4 Satz 2 EuWO nicht in Betracht gekommen, da er
die Frist für einen Antrag auf Eintragung in das Wählerver-
zeichnis schuldhaft versäumt hat.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 15 – Drucksache 15/4750

Anlage 4

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. K., 06766 Wolfen

– Az.: EuWP 10/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 14. Juni 2004, das vom Landeswahlleiter
des Landes Sachsen-Anhalt an den Deutschen Bundestag
weitergeleitet worden und hier am 14. Juli 2004 eingegangen
ist, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit
derWahl derAbgeordneten des Europäischen Parlaments aus
der BundesrepublikDeutschland am 13. Juni 2004 Einspruch
eingelegt.
Der Einspruchsführer beanstandet, dass in seinemWahllokal
behinderten Menschen in unzulässiger Weise bei der Aus-
übung der Wahl geholfen worden sei. Als er bei der Europa-
wahl 2004 zur Stimmabgabe in seinem Wahllokal gewesen
sei, hätten sich dort sieben geistig behinderte Wählerinnen
und Wähler mit zwei Betreuerinnen befunden. Er habe beo-
bachtet, wie die Betreuerinnen mit den Behinderten gemein-
samdieWahlkabine betreten und gemeinsamdie Stimmzettel
gekennzeichnet hätten. Dabei habe eine Betreuerin gesagt:
“Wählen tut man immer die Leute, die man kennt. Hier schau
mal, diesen Doktor kennst Du doch, wollen wir ihn ankreu-
zen?“ Die Beantwortung mit „Ja“ sei dadurch bereits „vor-
programmiert“ gewesen.
Nach Ansicht des Einspruchsführers sollten geistig behin-
derte Wahlberechtigte, die aufgrund des Grades ihrer Behin-
derung nur unter Betreuung lebten, nicht alsMultiplikator der
Stimme ihres Betreuers „ausgenutzt“ werden. Er wirft die
Frage auf, ob diese Menschen in ihrem Dasein eingeschränkt
oder gar verärgert wären, wenn sie nicht an der Wahl teilneh-
men würden.
Der Einspruchsführer weist darauf hin, dass er keinesfalls die
Diskriminierung von Menschen in Betracht ziehen wolle.
Ihm sei jedoch unverständlich, dass „gewisse Politiker aus
Angst vor einer eventuellenAbwahl“ geistig behinderteMen-
schen missbrauchten, um ihre Position zu sichern. Er wisse
nicht genau, wie viele Behinderte in dem betreffendenWohn-
heim in Wolfen wohnten. Wenn er von 30 Personen ausgehe,
dann seien dies „30manipulierte Stimmen für diesenDoktor“
gewesen, der auf dem Stimmzettel leicht herauszufinden ge-
wesen sei.
Zu dem Wahleinspruch hat die Kreiswahlleiterin für den
Landkreis Bitterfeld wie folgt Stellung genommen:

Auf Nachfrage beim Einwohnermeldeamt der Stadt Wolfen
sei das aktive Wahlrecht der behinderten Wählerinnen und
Wähler bestätigt worden. Gemäß § 50 Abs. 2 der Europa-
wahlordnung (EuWO) dürfe die Hilfsperson gemeinsam mit
dem Wähler die Wahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hilfe-
leistung erforderlich sei. Dabei habe sich die Hilfsperson auf
die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken.
Der behinderte Wähler bestimme selbst, ob ihm geholfen
werden solle und in welchem Umfang diese Hilfe bean-
sprucht werde. Helfende Personen könnten z. B. Verwandte,
Vertraute, Betreuer oder auch ein vom Wähler bestimmtes
Mitglied des Wahlvorstandes sein. Insoweit sei der gemein-
same Aufenthalt von Wähler und Hilfsperson in der Wahl-
zelle nicht zu beanstanden gewesen. Sofern die Frage der
Betreuerin in der Wahlzelle „… wollen wir ihn ankreuzen?“
so gestellt worden sei, so sei dies als Hilfsangebot für die
praktische Stimmabgabe, z. B. die Markierung des Stimm-
zettels, zu werten gewesen. Ob diese Frage mit „Ja“ beant-
wortet worden sei, habe im Übrigen der Einspruchsführer in
seiner Einspruchsschrift offen gelassen. Es lasse sich objek-
tiv nicht nachvollziehen, welche Liste letztendlich die abge-
gebenen Stimmen erhalten habe. Hinweise für eine Stimm-
abgabe, die dem erklärten Willen der Wählerinnen und
Wähler widersprochen hätten, hätten nicht vorgelegen. In-
soweit hätte auch keine unzulässige Beeinflussung vorge-
legen.
Das Wahlsystem zur Europawahl sei eine reine Verhältnis-
wahl nach starren Listen. Eine direkte Stimmabgabe für
einen auf dem Stimmzettel aufgeführten Bewerber sei nicht
möglich gewesen. Insoweit habe für einen bestimmten
„Doktor“, der nach Ansicht des Einspruchsführers auf dem
Stimmzettel leicht zu identifizieren gewesen sei, zumindest
bei der Europawahl auch keine direkte Stimme abgegeben
werden können. Auf dem Stimmzettel für die Wahl der Ab-
geordneten des Europäischen Parlaments im Land Sachsen-
Anhalt hätten 15 der 22 Listenvorschläge einen promovier-
ten Bewerber bzw. eine promovierte Bewerberin enthalten.
Allerdings stamme davon nur ein Bewerber aus Sachsen-
Anhalt. Ein Muster des für die Europawahl im Land Sach-
sen-Anhalt verwendeten Stimmzettels und die Wahlnieder-
schrift aus dem betreffendenWahllokal liegen demWahlprü-
fungsausschuss vor.

Drucksache 15/4750 – 16 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Neben dem Einspruch gegen die Europawahl 2004 hat der
Einspruchsführer gegen die am gleichen Tage durchgeführte
Kreistagswahl im Landkreis Bitterfeld und gegen die Ge-
meinderatswahl in Wolfen Einspruch erhoben. Diese Ein-
sprüche sind vom Kreistag Bitterfeld und vom Stadtrat Wol-
fen jeweils zurückgewiesen worden. Wegen der jeweiligen
Begründungwird auf den Inhalt derAktenBezuggenommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Wahlfehler geschehen
ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann der Wahlein-
spruch keinen Erfolg haben, denn er kann jedenfalls keinen
Einfluss auf dieMandatsverteilung haben. Nach demVortrag
des Einspruchsführers lässt sich nicht ausschließen, dass die
Hilfeleistung der beiden Betreuerinnen über das nach § 50
Abs. 2 EuWO zulässige Maß hinausgegangen ist. Sollte dies
der Fall gewesen sein, so läge ein Wahlfehler vor.
Da die betreffenden sieben Personen ausweislich der Stel-
lungnahme der Kreiswahlleiterin nach § 6 EuWG wahlbe-
rechtigt und nicht nach § 6a EuWG vom Wahlrecht ausge-
schlossen waren, kann ihnen nicht – wie vomEinspruchsfüh-
rer unter Hinweis auf eine seiner Ansicht nach bestehende
geistige Behinderung intendiert – von vornherein die Berech-
tigung zur Teilnahme an der Europawahl abgesprochen wer-
den. Deshalb können die betreffenden Stimmen nicht unter
diesemAspekt als ungültig angesehen werden. Allerdings ist
es für die Ausübung des Wahlrechts notwendig, dass der
Wähler generell in der Lage ist, denWahlvorgang zu überbli-
cken und zu steuern (vgl. BVerfGE 21, S. 200/206 f.).
Nach § 4 EuWG i. V. m. § 33Abs. 2 Bundeswahlgesetz kann
sich ein Wähler, der des Lesens unkundig ist oder der durch
körperliche Gebrechen gehindert ist, den Stimmzettel zu
kennzeichnen, zu falten oder selbst in die Wahlurne zu wer-
fen, der Hilfe einer anderen Person bedienen. In § 50 Abs. 1
EuWO wird dies dahin gehend konkretisiert, dass der behin-
derte Wähler bzw. die behinderte Wählerin eine andere Per-
son bestimmt, deren Hilfe er bzw. sie sich bei der Stimm-
abgabe bedienen will, und dies dem Wahlvorstand bekannt
gibt. Vorliegend ist davon auszugehen, dass die beiden Be-
treuerinnen jeweils konkludent als Hilfsperson bestimmt
worden sind und dies – ebenso durch schlüssiges Handeln –
demWahlvorstand bekannt gegebenworden ist. Das Bundes-
verfassungsgericht hat hierzu festgestellt, dass bei geistigen
Gebrechen keine Hilfe zulässig ist. Ein Wähler, der des Le-
sens unkundig ist, muss daher im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte und imStande sein, dieVertrauensperson sinnvoll aus-
zuwählen (BVerfGE 21, S. 200/207). Der Wahlvorstand hat
die Betreuerinnen als Hilfspersonen zugelassen und damit

das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 EuWO
bejaht.
Nach § 50 Abs. 2 Satz 1 EuWO hat sich die Hilfeleistung auf
die Erfüllung der Wünsche des Wählers zu beschränken.
NachSatz 2 dieserVorschrift darf dieHilfsperson gemeinsam
mit demWähler dieWahlzelle aufsuchen, soweit das zur Hil-
feleistung erforderlich ist. Aufgrund der vomEinspruchsfüh-
rer geschilderten Frage einer Betreuerin an einen Wähler in
der Wahlkabine ist nicht auszuschließen, dass die gewährte
Hilfeleistung über das nach § 50 Abs. 2 EuWO zulässige
Maß hinausgegangen ist. Die vom Einspruchsführer darge-
stellte Äußerung einer Betreuerin „Hier schau mal, diesen
Doktor kennst du doch, wollen wir ihn ankreuzen?“ lässt –
unterstellt, dass sie so getan worden ist – darauf schließen,
dass es sich nicht lediglich um eine „technische“ Hilfeleis-
tung bei der Kundgabe des Wählerwillens (Schreiber, Kom-
mentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 33 Rn. 5) ge-
handelt hat. Zwar hat der Hilfsbedürftige jederzeit das Recht,
sich den Stimmzettel erläutern zu lassen und, soweit ihm
möglich, zu überprüfen, ob ihn die Hilfsperson an der ge-
wünschten Stelle angekreuzt hat. Jedoch ist eine Einfluss-
nahme auf die Stimmabgabe seitens der auserwählten Person
unstatthaft (a. a. O. § 33Rn. 5).Ob es eine derartigeEinfluss-
nahme auf die betreffenden Wählerinnen und Wähler gege-
ben hat, ließe sich nur anhand der konkreten Umstände des
Einzelfalls beantworten. Hierbei kommt es nicht entschei-
dend darauf an, ob die Frage der Betreuerin letztendlich mit
„Ja“ beantwortet worden ist. Es ist auch nicht maßgeblich,
dass es sich bei der Europawahl um eine Listenwahl gehan-
delt hat und somit darauf befindliche promovierte Listenbe-
werber nicht direkt gewählt werden konnten. Insoweit ist es
nämlich durchaus denkbar, dassmit demHinweis auf „diesen
Doktor“ auf dieWahl einer bestimmten Liste bei der Europa-
wahl abgezielt worden ist. Im Ergebnis muss offen bleiben,
ob eine unzulässige Beeinflussung und damit ein Verstoß ge-
gen dieWahlfreiheit stattgefundenhat. In diesemFall läge zu-
gleich ein Verstoß gegen eine grundlegende Vorschrift des
Wahlverfahrens vor, was die Ungültigkeit der betreffenden
Stimmen zur Folge hätte (vgl. Schreiber, Kommentar zum
Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 39 Rn. 2).
Selbst wenn man einen Wahlfehler unterstellt, kann der Ein-
spruch keinen Erfolg haben. Nach ständiger Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts, der sich der Wahlprüfungs-
ausschuss und der Deutsche Bundestag stets angeschlossen
haben, können nämlich nur solcheWahlfehler einenWahlein-
spruch erfolgreich begründen, die auf die Mandatsverteilung
von Einfluss sind oder hätten sein können. Infolgedessen
scheiden alleVerstöße von vornherein als unerheblich aus, die
die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht berühren (seit
BVerfGE 4, 370/372 ständige Rechtsprechung). Selbst solche
Wahlfehler, die die Ermittlung desWahlergebnisses betreffen,
sind dann unerheblich, wenn sie angesichts des Stimmenver-
hältnisses keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben
können. Wenn man unterstellt, die betreffenden sieben Stim-
men seien als ungültig zuwerten, so hätte dies keinen Einfluss
auf die konkrete Verteilung der 99 Mandate aus der Bundes-
republikDeutschland für dasEuropäischeParlament.Wie eine
dem Wahlprüfungsausschuss vorliegende Berechnung des
Bundeswahlleiters ergeben hat, wäre eine Mandatsverschie-
bung nur bei einer wesentlich größeren Zahl von zu Unrecht
als gültig gewerteten Stimmen denkbar.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17 – Drucksache 15/4750

Soweit der Einspruchsführer die Überlegung anstellt, es
könneweitere Fälle gegeben haben, in denenmöglicherweise
anderen Bewohnern des betreffenden Wohnheims in Wolfen
in unzulässiger Weise bei der Ausübung des Wahlrechts ge-
holfen worden sein könnte, so kann derartigen Vermutungen
im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens nicht nachgegan-
gen werden. Nur wenn genügend substantiierte Tatsachen
vorgetragen werden, die erkennen lassen, worauf die Wahl-
anfechtung konkret gestützt wird, erforscht der Wahl-
prüfungsausschuss diesen Tatbestand von Amts wegen
(BVerfGE 40, 11/30). Im Hinblick auf mögliche künftige
Fälle der vorliegendenArt ist festzustellen, dass es nach stän-
diger Praxis zwar auch Zweck der Wahlprüfung ist, die Wie-
derholung festgestellter bzw. nicht auszuschließender Wahl-
fehler zu vermeiden; das konkreteWahlprüfungsverfahren ist
jedoch auf die Prüfung des Vorliegens von Wahlfehlern und
deren Mandatsrelevanz beschränkt.
Soweit sich der Einspruch zugleich auf die Gültigkeit der
Stadtratswahl und der Kreistagswahl bezieht, so unterliegt
dies nicht der Entscheidungskompetenz des Deutschen Bun-
destages. Insoweit wird auf die betreffenden Entscheidungen
desKreistagesBitterfeld und des StadtratsWolfen verwiesen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 19 – Drucksache 15/4750

Anlage 5

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
von C. M. S., 60327 Frankfurt

– Az.: EuWP 43/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird teilweise als unzulässig, teilweise als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 13. August 2004 eingegangenen Telefax hat
der Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Ab-
geordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesre-
publik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Er
hat seinen Einspruch mit weiteren Schreiben, die am 14. Au-
gust 2004, am 1. November 2004, am 5. November 2004, am
11. November 2004 und am 27. Januar 2005 eingegangen
sind, erläutert.
Der Einspruchsführer beanstandet,
– dass er bei der Aufstellung der Kandidaten für die Liste

der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Nichtmit-
glied benachteiligt worden sei (1),

– dass in Baden-Württemberg Stimmzettel, die in einen
Wahlumschlag für die gleichzeitig durchgeführte Kom-
munalwahl gelegt worden seien, fehlerhaft gewertet wor-
den seien (2),

– dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel in derBundesrepublik
Deutschland gegen die Verfassung verstoße (3),

– dass die Anzahl der deutschen Abgeordneten im Euro-
päischen Parlament nicht der Größe der Bundesrepublik
Deutschland im Vergleich zu anderenMitgliedstaaten der
Europäischen Union entspreche (4),

– dass bei der Europawahl das Wahlgebiet nicht in Wahl-
kreise eingeteilt worden sei (5),

– dass das Wahlsystem nicht in der Verfassung selbst fest-
gelegt sei (6),

– dass die Parteien ein Nominierungsmonopol hätten und
die Bürgerinnen und Bürger wegen des Systems starrer
Listen keinen Einfluss auf die Listengestaltung nehmen
könnten (7),

– dass die Bürgerinnen undBürger aufgrund derweitgehen-
den Beschränkung des Wahlkampfes auf nationale The-
men nicht hinreichend informiert worden seien (8),

– dass das Europawahlgesetz gegen die bundesdeutsche
Verfassung verstoße (9),

– dass der Status der Abgeordneten des Europäischen Par-
laments nicht mit dem europäischen Recht sowie mit dem
deutschen Verfassungsrecht vereinbar sei (10),

– dass die Verlagerung von Kompetenzen an die Europäi-
sche Union zu einer „Entleerung“ des Wahlrechts führe
(11) und

– dass das Volk sich noch keine Verfassung gemäß Artikel
146 Grundgesetz (GG) gegeben habe (12).

Der Einspruchsführer hatte u. a. mit der zuletzt genannten
Begründung gegen die Bundestagswahl 2002 (Bundestags-
drucksache 15/1850, Anlage 11) und gegen frühere Bundes-
tags- und Europawahlen Einspruch erhoben.
(1) Der Beanstandung des Einspruchsführers, er sei bei der
Kandidatenaufstellung für die Liste der Partei BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN benachteiligt worden, liegt folgender Sach-
verhalt zugrunde:
Der Einspruchsführer bewarb sich auf der Bundesdelegier-
tenkonferenz der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die
vom 28. bis 30. November 2003 in Dresden stattfand, als
Kandidat für Platz 6 der gemeinsamen Liste für alle Länder.
Mit Schreiben vom 25. März 2004 wandte er sich diesbezüg-
lich an den Bundeswahlleiter und beschwerte sich darüber,
dass er benachteiligt worden sei und die Wahl der Listenkan-
didaten aufgrund der Verwendung eines technischen Systems
der elektronischen Stimmabgabe (Televoting-System) nicht
geheim gewesen sei. Trotz mehrfacher Aufforderung durch
den Bundeswahlleiter machte der Einspruchsführer keine
weiteren, konkreteren Angaben zum Sachverhalt.
Nach dem zu Beginn der Bundesdelegiertenkonferenz auf
Vorschlag des Präsidiums von den Delegierten des Parteita-
ges festgelegten Verfahren waren zunächst mit dem elektro-
nischenTelevoting-SystemVorschläge des Parteitages für die
Listenplätze 1 bis 25 ermittelt worden. Dabei wurde jedem
Kandidaten – auch dem Einspruchsführer – die Möglichkeit
eingeräumt, sich und sein Programm der Versammlung vor-
zustellen. JedemKandidaten standen dafür zehnMinuten zur
Verfügung. Der Einspruchsführer kandidierte bei der Ermitt-
lung der Kandidatenvorschläge erfolglos für Platz 6 und
reiste daraufhin ab. Nachdem die Vorschläge für die 25 Lis-
tenplätzemit demTelevoting-Systemermitteltwaren, stimm-

Drucksache 15/4750 – 20 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ten die stimmberechtigtenDelegierten schriftlichmit Stimm-
zetteln und geheim – was vom Einspruchsführer bestritten
wird – im Einzelwahlverfahren über die Vorschläge ab. Das
Präsidium hatte vor der schriftlichen Abstimmung nachge-
fragt, ob es weitere Vorschläge zu den zuvor per Televoting
ermittelten Vorschlägen für die Listenplätze 1 bis 25 gebe.
Dies war nicht der Fall. Der Einspruchsführer kandidierte bei
der schriftlichen Wahl nicht, da er bereits abgereist war.
Der Bundeswahlausschuss beschloss am 16. April 2004 ein-
stimmig, den Wahlvorschlag der Partei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN mit den hierzu eingereichten Bewerbern zuzulas-
sen. Die vom Einspruchsführer vorgetragenen Beanstandun-
gen erachtete er als unbegründet. Ein Verstoß gegen die in
§ 10 Abs. 3 Satz 1 bis 3 Europawahlgesetz (EuWG) festge-
legten Grundsätze des Kandidatenaufstellungsverfahrens sei
nicht erkennbar.
Mit Urteil vom5.April 2004wies das Landgericht Berlin den
Antrag des Einspruchsführers zurück, imWege der einstwei-
ligen Verfügung die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu
verpflichten, die Kandidatenwahl für die Wahl zum Europa-
parlament am 13. Juni 2004 zu wiederholen (Az.: 3 O 103/
04). Weder unmittelbar aus § 10 Abs. 5 EuWG noch aus der
Parteisatzung lasse sich ein Anspruch des Einspruchsführers
herleiten. Letzteres folge bereits daraus, dass der Einspruchs-
führer keinMitglied der Partei BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN
sei. Aus der Satzung ergebe sich lediglich ein Recht, sich an
der politischen Arbeit und Diskussion in der Partei zu betei-
ligen. Dem Einspruchsführer stehe auch kein Anspruch auf-
grund der tatsächlichen Art der Durchführung der Wahl ge-
genüber der ParteiBÜNDNIS90/DIEGRÜNENzu.DerEin-
spruchsführer könne sich nicht auf eine Verletzung der fun-
damentalen Grundsätze einer demokratischen und fairen und
auch geheimen Wahl berufen, weil hierfür Voraussetzung
wäre, dass sich der Einspruchsführer an der eigentlichen
Wahl der Kandidaten überhaupt als Kandidat beteiligt hätte.
Dies sei jedoch –wie sich in dermündlichenVerhandlung he-
rausgestellt habe – gar nicht der Fall gewesen. Seinem Aus-
scheiden bei der Vorauswahl habe eine erneute Kandidatur
bei der verbindlichen Wahl nicht entgegengestanden. Der
Einspruchsführer könne sich auch nicht darauf berufen, er sei
nicht hinreichend über das Wahlprozedere informiert wor-
den. Er habe jedenfalls die Pflicht gehabt, sich die notwendi-
gen Informationen ggf. anlässlich derBundesdelegiertenkon-
ferenz zu verschaffen. Es sei unstreitig, dass im Foyer des
Veranstaltungssaales Delegiertenunterlagen mit den Einzel-
heiten desWahlverfahrens ausgelegen hätten. ImÜbrigen sei
es zu einemVerstoß gegen die fundamentalen Grundsätze ei-
ner demokratischen, fairen und auch geheimen Wahl entge-
gen der Auffassung des Einspruchsführers nicht gekommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsgründe wird auf
den Inhalt der Akten verwiesen.
Das Kammergericht wies die Berufung des Einspruchsfüh-
rers gegen dieses Urteil mit Beschluss vom 23. Juni 2004
(Az.: 25 U 40/04) zurück. Eine sog. Gegenvorstellung des
Einspruchsführers gegen diesen Beschluss wurde durch Be-
schluss desKammergerichts vom14. Juli 2004 (Az.: 25U 40/
04) zurückgewiesen. Durch Beschluss des Landgerichts Ber-
lin vom 17. April 2004 (Az.: 3 O 103/04) wurde die dem Ein-
spruchsführer vorher bewilligte Prozesskostenhilfe mit rück-
wirkender Kraft aufgehoben. Zur Begründung wurde ausge-
führt, dass der Einspruchsführer vorsätzlich unwahre Anga-

ben gemacht hatte, indem er behauptet hatte, dass er an der
streitgegenständlichen Wahl der Partei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN teilgenommen habe und diese nicht dem Grund-
satz der geheimen Wahl entsprochen habe. Durch Beschluss
des Landgerichts Berlin vom 23. Juni 2004 (Az.: 3 O 11/04)
wurde ein Ablehnungsgesuch gegen einen Vorsitzenden
Richter am Landgericht als unbegründet zurückgewiesen.
Ein weiteres Ablehnungsgesuch wegen angeblicher Befan-
genheit dreier Richter am Landgericht wurde durch Be-
schluss des Landgerichts Berlin vom 16. Juli 2004 (Az.: 3 O
103/04) zurückgewiesen. Der hiergegen eingelegten „Be-
schwerde“ des Einspruchsführers wurde durch Beschluss des
Landgerichts Berlin vom 25. August 2004 (Az.: 3 O 103/04)
nicht abgeholfen.
Der Einspruchsführer stützt seinen Wahleinspruch auf § 10
Abs. 3 Satz 3 EuWG,wonach den Bewerbern Gelegenheit zu
geben ist, sich und ihr Programm der Versammlung in ange-
messener Zeit vorzustellen. Die Delegierten seien jedoch
nicht rechtzeitig – vor der Versammlung – über die Kandida-
tur des Einspruchsführers in Kenntnis gesetzt worden, ob-
wohl er seinen Bewerbungstext der Geschäftsstelle rechtzei-
tig vorgelegt gehabt hätte. Da er nicht in die Unterlagen für
die Delegierten aufgenommen worden sei, sei er gegenüber
den anderen Kandidaten benachteiligt worden. Dieser Vor-
trag ist vom Bundesvorstand der Partei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN u. a. in einem Schreiben an den Bundeswahlleiter
vom 30. März 2004 bestritten worden. Hiernach hat der Ein-
spruchsführer seine schriftliche Bewerbung erst auf dem Par-
teitag nachgereicht; außerdem hatte er von der Möglichkeit
Gebrauch gemacht, sich in der Mitgliederzeitung der Partei
vorzustellen.
Außerdem liege ein Verstoß gegen den Grundsatz der gehei-
men Wahl gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 EuWG vor. Die Dele-
gierten hätten sich aufgrund der Verhältnisse im Wahlraum
nicht unbeobachtet fühlen können und es sei möglich gewe-
sen zu sehen, welcheWahlentscheidung benachbarte Wähler
getroffen hätten.Das Televoting und die schriftlicheWahl der
Kandidaten für das Europaparlament bildeten zwei Elemente
eines einheitlich zu beurteilendenWahlvorgangs. Im Televo-
ting sei eineVorauswahl getroffenworden. Da das Televoting
als erster Teilschritt der Wahl nicht den Anforderungen an
eine geheime Wahl genügt habe, genüge die Wahl der Kan-
didaten insgesamt nicht diesen Anforderungen. Selbst wenn
man das Televoting als einen getrennten Vorgang, als Vor-
phase des Wahlverfahrens, einordne, liege ein Verstoß gegen
den Grundsatz der geheimen Wahl vor. In einem am 14. Au-
gust 2004 eingegangenen weiteren Telefax hat der Ein-
spruchsführer behauptet, dass nicht nur beim Televoting be-
nachbarteDelegierte dasAbstimmungsverhalten andererDe-
legierter hätten beobachten können. Sie seien „praktischArm
an Arm“ gesessen.
Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen die fundamentalen
Grundsätze einer demokratischen und fairen Wahl vor. Das
Wahlverfahren sei erst auf derDelegiertenkonferenz zurKan-
didatenaufstellung modifiziert worden. Insbesondere sei es
einen Tag vor der Kandidatenwahl zur Einführung des sog.
Televoting gekommen. Er sei imVorfeld der Delegiertenkon-
ferenz und auch vor Ort nicht über die beabsichtigte Neuge-
staltung des Abstimmungsmodus informiert worden. Ihm ge-
genüber als Nichtmitglied hätte es jedoch besonderer Infor-
mationen bedurft. Ursprünglich habe die Absicht bestanden,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21 – Drucksache 15/4750

ausschließlich per Televoting abzustimmen. Eine derartige
Modifizierung des Wahlverfahrens hätte nach Ansicht des
Einspruchsführers einer Satzungsänderung bedurft.
Das Televoting habe zudem zu einer unzulässigen Vorabfest-
legung der Kandidaten geführt. Es bedeute eine Vorauswahl
bzw. eine Kandidatenselektion, und nicht etwa eine Kandida-
tensammlung. Die Ergebnisse des zweiten Wahlganges wür-
den letztlich vorweggenommen. Aus der Perspektive der ab-
stimmenden Delegierten habe das Televoting einen verbind-
lichen Charakter gehabt. Zudem werde durch die Mitteilung
des Ergebnisses des Televoting die Stimmenverteilung für je-
dermann sichtbar. Zumindest das Verhalten der Delegierten
bei der Wahl werde hierdurch zumindest taktisch determi-
niert. Aufgrund des vorliegenden Sachverhalts sei seine An-
wesenheit bei der anschließenden schriftlichen Wahl unzu-
mutbar und sachlich nicht geboten gewesen, da er berechtigte
und nachvollziehbare Zweifel an deren Rechtmäßigkeit ge-
habt habe.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Es bestehe keinAnlass, an derRichtigkeit derDarstellung des
Bundesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in des-
sen Schreiben vom 18. und 30.März 2004, die demWahlprü-
fungsausschuss vorliegen, zu zweifeln. Nach diesen Aus-
künften seien die zur Europawahl aufgestellten Bewerber un-
beschadet des vorherigen „Televotings“ in geheimer Wahl
bestimmt worden. Eine dem Europawahlrecht widerspre-
chende Benachteiligung des Einspruchsführers bei der Be-
werberaufstellung sei nicht ersichtlich. Dementsprechend
habe der Bundeswahlleiter demEinspruchsführermit Schrei-
ben vom 2. April 2004, dem die Stellungnahmen des Bundes-
vorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 18. und
30.März 2004beigefügt gewesen seien,mitgeteilt, dass er die
Beanstandungen des Einspruchsführers als unbegründet an-
sehe. Der Bundeswahlausschuss habe sich dieser Auffassung
einstimmig angeschlossen.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat mitgeteilt, es bleibe bei seinemVortrag
zu diesem Punkt. Bevor eine Partei das Televoting überhaupt
anwenden könne, sei diesbezüglich Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit im Europawahlgesetz zu schaffen. Insoweit
liege eine Gesetzeslücke vor.
(2) Soweit der Einspruchsführer die Wertung bestimmter
Stimmzettel in Baden-Württemberg anspricht, so liegt dem
folgender Sachverhalt zugrunde:
In Baden-Württemberg wurde die Europawahl am 13. Juni
2004 zeitgleichmit der dortigenKommunalwahl (Wahlen des
Gemeinderats, des Kreistags, des Ortschaftsrats und des Be-
zirksbeirats) sowie mit der Wahl der Regionalversammlung
desVerbandsRegionStuttgart durchgeführt.Währendbei der
Europawahl die zusammengefaltetenStimmzettel ohneWahl-
umschlag in die Wahlurne zu werfen waren, waren bei der
Kommunalwahl (und bei der Wahl der Regionalversamm-
lung) in Baden-Württemberg für die Stimmzettel Wahlum-
schläge vorgeschrieben. Bei der Auszählung der Kommunal-
wahl wurde festgestellt, dass Stimmzettel für die Europawahl
in Umschlägen für die Kommunalwahl steckten. Für diese
Fallgestaltung stellte sich die Frage, ob solche Stimmzettel
für die Europawahl als gültig oder als ungültig zu zählen wa-
ren.

Der Einspruchsführer behauptet hierzu, die Stimmzettel von
147 860Wählerinnen undWählern seien nicht gewertet wor-
den, weil die Stimmzettel in falschen Wahlumschlägen ge-
steckt hätten. Die zuständigen Wahlorgane hätten dafür zu
sorgen, dass dies nicht möglich sei. Es sei nicht auszuschlie-
ßen, dass insoweit dieMöglichkeit bestehe, dass dies Einfluss
auf die Mandatsverteilung gehabt habe.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Nach seiner Auffassung seien die betroffenen Europawahl-
stimmzettel in das endgültige Ergebnis der Europawahl 2004
einzubeziehen. Dafür seien u. a. folgende Gründe ausschlag-
gebend gewesen:Die in § 4EuWG i. V. m. § 39Abs. 1 Satz 1
Bundeswahlgesetz (BWG) aufgeführten Ungültigkeits-
gründe seien für diesen Fall nicht einschlägig. § 49 Abs. 6
Nr. 6 EuWO normiere einen Zurückweisungsgrund. Sofern
jedoch der Wähler nicht zurückgewiesen worden sei, sei die
Stimmabgabe als gültig zu bewerten. § 4 EuWG i. V. m. § 39
Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BWG regele die formellen Ungültigkeits-
gründe bei der Urnenwahl abschließend und enthalte den Fall
des § 49 Abs. 6 Nr. 6 EuWO gerade nicht. Die in § 39 Abs. 1
Satz 3 BWG für die Briefwahl getroffene Regelung habe der
Gesetzgeber für die Urnenwahl nicht angeordnet. Ebenso
liege auch kein Fall des § 39Abs. 2BWGvor, der nur Stimm-
zettel derselben Wahl erfasse.
Die Landeswahlleiterin von Baden-Württemberg sei seiner
dementsprechenden Empfehlung gefolgt. Nach den Fest-
stellungen der Kreis- und Stadtwahlausschüsse sowie des
Landeswahlausschusses in Baden-Württemberg seien 3 531
Europawahlstimmzettel betroffen gewesen. Der Landeswahl-
ausschuss habe die betroffenen Stimmzettel in das Gesamt-
ergebnis einbezogen, während er weitere 33 bei der Auszäh-
lung der Kommunalwahl aufgefundene Europawahlstimm-
zettel aus den Landkreisen Schwäbisch-Hall und Karlsruhe
sowie aus dem Stadtkreis Ulm nicht berücksichtigt habe, da
diese 33 Stimmzettel nicht in die Beschlussfassung der be-
troffenen Kreiswahlausschüsse einbezogen worden seien.
Der Bundeswahlausschuss habe sich für eine Einbeziehung
der vom Landeswahlausschuss berücksichtigten 3 531 Euro-
pawahlstimmzettel in das amtliche Ergebnis für das Wahlge-
biet ausgesprochen. Die Darstellung des Einspruchsführers,
dass die Stimmzettel von 147 860 Wählern nicht gewertet
worden seien,weil diese Stimmzettel in „falsche“Umschläge
gesteckt worden seien, sei daher unzutreffend. Vielmehr
seien nach demendgültigenErgebnis der Europawahl 2004 in
Baden-Württemberg 147 043 Stimmzettel (3,7 Prozent) un-
gültig gewesen, wobei die Ungültigkeit auf den in § 4 EuWG
i. V. m. § 39 Abs. 1 bis 3 BWG genannten Tatbeständen be-
ruht habe.
Die Landeswahlleiterin des Landes Baden-Württemberg hat
in einer zu einem vergleichbarenWahleinspruch eingeholten
Stellungnahme erklärt, sie teile hinsichtlich der rechtlichen
Bewertung der betreffenden Stimmzettel nicht die Auffas-
sung des Bundeswahlleiters. Nach Wegfall der amtlichen
Wahlumschläge für die Urnenwahl durch Artikel 1 des Ge-
setzes vom 15. August 2003 (BGBl. I S. 1655) und Artikel 1
der Vierten Verordnung zur Änderung der Europawahlord-
nung vom12.Dezember 2003 (BGBl. I S. 2551) sei derWäh-
ler nicht berechtigt, seinen Stimmzettel in einen Wahlum-
schlag für eine andereWahl oder in einen sonstigenUmschlag
zu stecken und in die Wahlurne zu werfen. Ein Wähler, der

Drucksache 15/4750 – 22 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

trotz entsprechender Hinweise seitens der Wahlorganisation
gleichwohl mit Wahlumschlag gewählt habe, habe nicht da-
von ausgehen können, dass er seine Stimme ordnungsgemäß
abgegeben habe. Er habe durch sein Verhalten vielmehr dazu
beigetragen, dass die nach § 49 Abs. 6 Nr. 6 EuWO an sich
gebotene Zurückweisung durch den Wahlvorstand gar nicht
habe erfolgen können, weil er seine Stimme für die Europa-
wahl für den Wahlvorstand unerkennbar, d. h. versteckt, ab-
gegeben habe. Eine solche in Widerspruch zu § 16 Abs. 2
Satz 2 EuWG i. V. m. § 49 Abs. 4 Satz 2 EuWO stehende
Wahlhandlung sei deshalb als eine fehlgeschlageneund damit
nicht gültige Stimmabgabe im Sinne eines materiellen Un-
gültigkeitsgrundes zu qualifizieren. Bei der vorliegenden
Fallkonstellation liege keine wirksame Stimmabgabe vor. In-
soweit sei es folgerichtig, dass der vorliegende Fall nicht in
den Stimmenungültigkeitsgründen nach § 4 EuWG i. V. m.
§ 39 Abs. 1 BWG enthalten sei.
Die Einbeziehung der betreffenden Stimmzettel in die Be-
schlussfassungen der Kreiswahlausschüsse sei auf Veranlas-
sung des Bundeswahlleiters erfolgt. Sie habe u. a. darauf be-
ruht, dass das Europawahlrecht diese Fallkonstellation nicht
gesondert und eindeutig regele. Der Landeswahlausschuss
habe in seiner Sitzung am 2. Juli 2004 von der Einbeziehung
der 3 531 Stimmzettel Kenntnis genommen. Wegen der wei-
teren Ausführungen der Landeswahlleiterin wird auf deren
Stellungnahme Bezug genommen.
DemEinspruchsführer sind die Stellungnahmen des Bundes-
wahlleiters und der Landeswahlleiterin des Landes Baden-
Württemberg bekannt gegeben worden. Er hat hierzu mitge-
teilt, er favorisiere die Auffassung der Landeswahlleiterin
und gehe davon aus, dass ein mandatserheblicherWahlfehler
vorliege.
(3) Zur Fünf-Prozent-Sperrklausel vertritt der Einspruchs-
führer die Auffassung, dass diese gerade für die Europawahl
verfassungsrechtlich nicht haltbar sei. Soweit mit der Funk-
tionsfähigkeit des Europäischen Parlaments und einer „Re-
gierungsfähigkeit“ argumentiert werde, könne dies offen-
sichtlich nicht für den derzeitigen Status des Europäischen
Parlaments zutreffen. Die Sperrklausel habemit zu der gerin-
gen Wahlbeteiligung bei der Europawahl 2004 beigetragen,
da die Wählerinnen und Wähler keine echte Auswahlmög-
lichkeit gehabt hätten. Sie würden faktisch daran gehindert,
neue Parteien zu wählen.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu anlässlich eines vergleich-
baren Wahleinspruchs wie folgt Stellung genommen:
Artikel 3 des Beschlusses und Aktes zur Einführung allge-
meiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Eu-
ropäischenParlaments vom20. September 1976 (BGBl. 1977
II S. 733 ff.), zuletzt geändert durchBeschluss des Rates vom
25. Juni 2002 und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810)
– Direktwahlakt – erlaube es den Mitgliedstaaten explizit,
prozentuale Mindestschwellen für den Einzug ins Europä-
ische Parlament festzulegen, die jedoch landesweit nicht
mehr als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen betragen
dürften.NebenDeutschland enthielten auch dieWahlsysteme
anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Frank-
reich, Litauen, Polen, die Slowakei, die Tschechische Repu-
blik und Ungarn für die Wahl der Abgeordneten des Euro-
päischen Parlaments eine Sperrklausel von fünf Prozent. In
Österreich und Schweden gelte für die Europawahl eineVier-

Prozent-Hürde und in Griechenland eine Sperrklausel von
drei Prozent.
Das Bundesverfassungsgericht habe die Fünf-Prozent-Sperr-
klausel gemäß § 2 Abs. 6 EuWG als verfassungskonform an-
gesehen, weil sie an dem durch besondere, zwingende
Gründe gerechtfertigtenZiel, einer übermäßigenParteienzer-
splitterung im Europäischen Parlament entgegenzuwirken,
orientiert sei und dasMaß des zur Erreichung dieses Ziels Er-
forderlichen nicht überschreite (BVerfGE 51, 222/233). Der
Gleichheitssatz fordere nicht, dass der Gesetzgeber die Ein-
zelnen und ihre relevanten gesellschaftlichen Gruppen unbe-
dingt gleichmäßig behandele; er lasse Differenzierungen zu,
die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt seien. Ob und
in welchemAusmaß der Gleichheitssatz bei der Ordnung be-
stimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierungen er-
laube, richte sich nach der Natur des jeweils in Frage stehen-
den Sachbereichs (BVerfGE 6, 84/91 und BVerfGE 11, 266/
272). Aus den Grundsätzen der formalen Gleichheit und der
Chancengleichheit der politischen Parteien undWählergrup-
pen folge mithin, dass dem Gesetzgeber bei der Ordnung des
Wahlrechts zu politischenKörperschaften nur ein eng bemes-
sener Spielraum für Differenzierungen verbleibe. In diesem
Bereich bedürften Differenzierungen stets eines besonderen,
rechtfertigenden, zwingendenGrundes (BVerfGE 1, 208/249
und 255; ständige Rechtsprechung).
Die Verhältniswahl begünstige das Aufkommen kleiner Par-
teien und Wählervereinigungen. Daraus könnten sich ernst-
hafte Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit der zu
wählenden Volksvertretung ergeben. Eine Wahl habe nicht
nur das Ziel, eine Volksvertretung zu schaffen, die ein Spie-
gelbild der in derWählerschaft vorhandenen politischenMei-
nungen darstelle, sondern sie solle auch ein funktionsfähiges
Organ hervorbringen.Würde der Grundsatz der getreuenAb-
bildung der politischen Meinungsschichtung in der Wähler-
schaft bis zur letztenKonsequenz durchgeführt, so könnte das
nachAuffassung desBundeswahlleiters eineAufspaltung der
Volksvertretung in viele kleine Gruppen zur Folge haben, die
die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde.
Der unbegrenzte Proporz würde es erleichtern, dass auch sol-
che kleinen Gruppen eine Vertretung erlangten, die nicht ein
am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm, sondern
im Wesentlichen nur einseitige Interessen verträten. Klare
und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl bewusste
Mehrheiten in einer Volksvertretung seien aber für eine Be-
wältigung der ihr gestellten Aufgaben unentbehrlich. Des-
halb dürfe derGesetzgeberDifferenzierungen imErfolgswert
der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen, soweit dies
zur Sicherung des Charakters derWahl als eines Integrations-
vorganges bei der politischenWillensbildung im Interesse der
Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung
der mit der Wahl verfolgten Ziele unbedingt erforderlich sei
(BVerfGE 51, 222/236). Unter diesem Blickpunkt habe das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das
Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung und die Gebote des grundsätzlich gleichen Erfolgs-
wertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWettbewerbs-
chancen der politischen Parteien und Wählervereinigungen
im Rahmen der Verhältniswahl gegeneinander abgewogen.
Was in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen als
zwingender Grund für eine begrenzte Differenzierung anzu-
erkennen sei, variiere von Bereich zu Bereich und bestimme
sich vor allem nach dem Aufgabenkreis der zu wählenden

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 23 – Drucksache 15/4750

Volksvertretung (BVerfGE51, 222/236 und 236 f.). Die Fünf-
Prozent-Sperrklausel beziehe sich hier auf die Wahlen zu
einem supranationalen Organ, dem Europäischen Parlament.
Der dem Europäischen Parlament im Verfassungsgefüge der
Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Aufgabenkreis
und die ihm auf demWege zu „einem immer engeren Zusam-
menschluss der europäischen Völker“ zugedachte Rolle er-
forderten ein handlungsfähiges Organ. Das Europäische Par-
lament könne die ihm gestellten Aufgaben nur dann wirksam
bewältigen, wenn es durch eine, den vielschichtigen Spezial-
materien angemessene, interne Arbeitsteilung allen seinen
Mitgliedern die notwendige Sachkenntnis verschaffe und zu
einer überzeugenden Mehrheitsbildung in der Lage sei. Bei-
des könne gefährdet werden, wenn die durch die große Zahl
der Mitgliedstaaten ohnehin nicht vermeidbare Aufgliede-
rung des Parlaments in viele Gruppen ein Ausmaß annehme,
das dessen Funktionsfähigkeit ernsthaft in Frage stelle. Dies
sei ein zwingender Grund, der Vorkehrungen gegen eine
übermäßige Parteienzersplitterung zu rechtfertigen vermöge
(BVerfGE 51, 222/246 f.).
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten
Parlaments wie des Europäischen Parlaments hänge in noch
stärkeremMaße als bei einem nationalen Parlament von dem
Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielset-
zungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab. Schon
unter diesem Blickpunkt erwiesen sich Vorkehrungen, die
wie die in das Europawahlgesetz aufgenommene Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel darauf abzielten, den Einzug einer Gruppe
von weniger als fünf Abgeordneten in das Parlament zu ver-
hindern, als sachlich gerechtfertigt und zur Gewährleistung
der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zwin-
gend geboten. Eine solch kleine Gruppe wäre – so der Bun-
deswahlleiter – kaum in der Lage, die zahlreichen Maßnah-
men der Europäischen Gemeinschaften in ihrem vielschich-
tigen und weiträumigen Tätigkeitsbereich zu verfolgen und
kritisch zu beurteilen; sie wäre damit außerstande, in einer
dem Ineinandergreifen der vielfältigen Aktivitäten gerecht
werdendenWeise ihren Teil zur Kontrolle eines so hoch qua-
lifizierten und großen bürokratischen Apparates wie der
Kommission beizutragen. Eine solche Kontrolle sei wirksam
nur möglich, wenn sie arbeitsteilig erfolge und eine größere
Organisation den einzelnen Abgeordneten unterstütze. Ent-
sprechendes gelte für die Mitwirkung des Europäischen Par-
laments im Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschie-
dung des Haushalts (BVerfGE 51, 222/247).
Dem Europäischen Parlament komme ferner für die weitere
Integration der durch die Europäischen Gemeinschaften ver-
bundenen Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu.
Demgerecht zuwerden, sei nur einParlament in derLage, das
zu einer überzeugenden Mehrheitsbildung und damit zu
einem möglichst geschlossenen Auftreten fähig sei.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat hierzu ausgeführt, es habe eine Über-
prüfungspflicht desWahlgesetzgebers bestanden, die verletzt
worden sei. Dies gelte insbesondere im Hinblick darauf, dass
bei der Europawahl 1994 wegen der Fünf-Prozent-Sperrklau-
sel achtzehn Prozent der abgegebenen Stimmen „weggefal-
len“ seien.
(4)Bezüglich derAnzahl der deutschenAbgeordneten imEu-
ropäischenParlament führt der Einspruchsführer aus, dass in-
soweit die Proportionalität nicht gewahrt sei. Das Repräsen-

tationsprinzip sei nicht grenzenlos verhandelbar. Einige Mit-
gliedstaaten hätten im Vergleich zu Deutschland das zwölf-
fache Gewicht im Hinblick auf die Zahl ihrer Abgeordneten.
Dies verstoße gegen das Demokratieprinzip und führe zu
einer „Entleerung“ des subjektiven Wahlrechts.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Die Anzahl der deutschen Abgeordneten im Europäischen
Parlament sei in Artikel 190 Abs. 2 des EG-Vertrages festge-
legt. Die Bundesrepublik Deutschland habemit 99Mandaten
in der 6.Wahlperiodemit einigemAbstand die größte Zahl an
Repräsentanten. Die Repräsentanz der Mitgliedstaaten im
Europäischen Parlament sei nach dem Prinzip der fallenden
Proportionalität geregelt: Staaten mit einer relativ geringen
Einwohnerzahl seien überproportional stark imEuropäischen
Parlament vertreten, während die Länder mit den höchsten
Bevölkerungsanteilen unterrepräsentiert seien. Grundge-
danke des gesetzlich geregelten Sitzverteilungsschlüssels sei
eine gewisse Proportionalität zwischen den Sitzen im Parla-
ment und der Bevölkerung derMitgliedstaaten einerseits und
andererseits der Gewährleistung, dass auch die verschiede-
nen politischen Strömungen aus den bevölkerungsschwäche-
ren Mitgliedstaaten die Möglichkeit einer Vertretung hätten.
Die bevölkerungsarmen Mitgliedstaaten hätten einen An-
spruch auf Mindestrepräsentation, welche deren Parteiplura-
lismus wiedergeben könne. Um jedoch die Effizienz der Ar-
beit des Parlaments nicht zu beeinträchtigen, dürfe die Ge-
samtzahl der Abgeordneten eine gewisse Schwelle nicht
überschreiten. Der Erhöhung der Gesamtzahl der Mandate
zugunsten einer entsprechenden proportionalen Repräsenta-
tion der bevölkerungsreichen Mitgliedstaaten würden also
dadurch Grenzen gesetzt, dass die Arbeitsfähigkeit des Or-
gans gewährleistet bleiben müsse. Entsprechend der Rege-
lung in Artikel 190 Abs. 2 EG-Vertrag sehe § 1 Abs. 1 Satz 1
EuWG vor, dass auf die Bundesrepublik Deutschland 99 Ab-
geordnete entfielen. Eine Verletzung wahlrechtlicher Vor-
schriften sei nicht erkennbar.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich zu diesem Punkt nicht mehr geäu-
ßert.
(5) Seine Beanstandung, dass bei der Europawahl das Wahl-
gebiet nicht in Wahlkreise eingeteilt sei, begründet der Ein-
spruchsführer damit, dass nur bei Bestehen von Wahlkreisen
die persönliche Bindung zwischen Kandidaten und Wählern
gewährleistet sei. Nur in diesem Fall seien die Abgeordneten
demokratisch legitimiert und das Repräsentationsprinzip ge-
währleistet.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
NachArtikel 2Direktwahlakt könnten dieMitgliedstaaten für
dieWahl des Europäischen ParlamentsWahlkreise einrichten
oder ihreWahlgebiete auf andereWeise unterteilen, ohne das
Verhältniswahlsystem insgesamt in Frage zu stellen. Der Di-
rektwahlakt überlasse damit den Mitgliedstaaten die Ent-
scheidung über die Einrichtung von Wahlkreisen. Die Euro-
pawahl erfolge gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EuWG in Deutsch-
land nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Wahlkreise
seien nach § 3 Abs. 2 EuWG für die Europawahl nicht zu
bilden. ZurWahl stünden Listenwahlvorschläge von Parteien
und sonstigen politischen Vereinigungen und keine Direkt-

Drucksache 15/4750 – 24 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kandidaten. Die Beanstandung des Einspruchsführers sei
daher nicht nachvollziehbar.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich zu diesem
Punkt nicht mehr geäußert.
(6) Das Wahlsystem bedürfe deshalb der Festlegung in der
Verfassung, weil hierdurch der Missbrauch aus Anlass der
Wahlgesetzgebung ausschließlich durch das Parlament redu-
ziert werde.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
In Ausführung des Regelungsauftrags des Artikels 38 Abs. 3
GG dürfe der Gesetzgeber das Wahlsystem bei Bundestags-
wahlen gestalten, wobei ihm ein breiter Entscheidungsspiel-
raum zustehe. Es bestünden keine Anhaltspunkte, die für Eu-
ropawahlen eine andere Beurteilung erforderten.
Der Einspruchsführer hat sich nach Bekanntgabe der Stel-
lungnahme zu diesem Punkt nicht mehr explizit geäußert.
(7) Der Einspruchsführer begründet seine Beanstandung zum
sog. Nominierungsmonopol der Parteien und zum System
starrer Listen damit, dass es in 18 von 25 Mitgliedstaaten der
Europäischen Union offene Listen gebe. Faktisch handele es
sich in Deutschland um eine bloße Parteienwahl. Das Wahl-
ergebnis werde auf diese Weise weitgehend vorweggenom-
men. Das Volk sei somit an der politischen Willensbildung
nicht hinreichend beteiligt. Da eine Direktkandidatur in
Deutschland nicht möglich sei, sei der Zugang zumWahlsys-
tem nur mittelbar gewährleistet. Darüber hinaus widerspre-
che es auch den Wahlrechtsgrundsätzen, dass die Bürgerin-
nen und Bürger keinen Einfluss auf die Gestaltung der Listen
durch die Parteien hätten und bei derWahl weder kumulieren
noch panaschieren könnten.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Bei einerVerhältniswahl –wie sie das Europawahlgesetz vor-
sehe – seien Listenwahlvorschläge der Parteien unabdingbar.
Es handele sich um eine auf politische Parteien zugeschnit-
tene Besonderheit der Verhältniswahl, die mit den Wahl-
rechtsprinzipien des Artikels 38 Abs. 1 GG vereinbar sei.
Der Einspruchsführer hat sich nach Bekanntgabe der Stel-
lungnahme zu diesem Punkt nicht mehr geäußert.
(8) Soweit der Einspruchsführer die weitgehende Beschrän-
kung desWahlkampfes in Deutschland auf nationale Themen
beanstandet, sieht er darin eineUrsache für die geringeWahl-
beteiligung.Diese habeAuswirkungen auf die demokratische
Legitimation.Hieraus folgert er für künftigeWahlen, dass die
Mandate nach dem Maß der Wahlbeteiligung zu vergeben
seien und dass eine Mindestwahlbeteiligung festzulegen sei.
Die Wählerinnen und Wähler hätten sich kein zutreffendes
Bild von der Situation und der Politik in der Europäischen
Union sowie von den Konzepten der Parteien machen kön-
nen. Damit leide die politische Willensbildung unter einem
wesentlichen Mangel.
Der Bundeswahlleiter hat von einer inhaltlichen Stellung-
nahme zu diesem und zu den nachfolgend aufgeführten Ein-
spruchsgründen abgesehen, da insoweit kein substantiierter
Wahleinspruch vorliege.

(9) Zu seiner weiteren Beanstandung, das Europawahlgesetz
verstoße gegen nationales Verfassungsrecht, trägt der Ein-
spruchsführer vor, das novellierte Gesetz sei hinsichtlich we-
sentlicher Regelungen nicht hinreichend bestimmt, wider-
spreche dem Gebot der Rechtsklarheit oder regele Sachver-
halte, die eigentlich in die Verfassung gehörten. Darüber hi-
naus enthalte es nicht hinnehmbare Lücken, so dass es sich
teilweise um eine verfassungswidrige Rechtsgrundlage han-
dele.
(10) Zum Status der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments trägt der Einspruchsführer vor, dass insoweit dasWahl-
verhalten beeinflusst werden könne. Wären die Wählerinnen
und Wähler ausreichend über die diesbezügliche Rechtslage
informiert gewesen, so hätten sie womöglich anders oder gar
nicht gewählt. Die Abhängigkeit des jeweiligen Status der
Abgeordneten von der Ausgestaltung in den nationalen
Rechtsordnungen und die Unterschiede in den Regelungen
der Diäten beeinträchtigten die persönliche Unabhängigkeit
der Abgeordneten und die Funktionsfähigkeit des Europäi-
schen Parlaments insgesamt.
(11) Im Hinblick auf die Verlagerung von Kompetenzen auf
die Europäische Union befürchtet der Einspruchsführer, dass
hierdurch das demokratische Prinzip in der Bundesrepublik
Deutschland ausgehöhlt werden könne. Über 60 Prozent des
nationalen Rechts würden derzeit nach Vorgaben der Euro-
päischen Union gestaltet und angewendet. In diesem Zusam-
menhang nimmt er auf die Verfassung der Europäischen
Union Bezug. Hätten die Wählerinnen und Wähler gewusst,
dass hierdurch in großemUmfangweitere Kompetenzen ver-
lagert würden, so hätten sie sich nach Auffassung des Ein-
spruchsführers wahrscheinlich noch weniger an der Wahl
beteiligt oder einer anderen Partei ihre Stimme gegeben.
(12) Der Einspruchsführer hält die Europawahl – unabhängig
von den anderenEinspruchsgründen– bereits deshalb für ver-
fassungswidrig, weil noch keine Verfassung gemäß Artikel
146 GG in Kraft getreten ist, die von dem deutschen Volke in
freier Entscheidung beschlossen worden sei. Das Deutsche
Reich habe als Staat noch nicht aufgehört zu existieren. Erst
durch einen Volksentscheid über eine Verfassung gemäß
Artikel 146GGund nach zwingendemVölkerrechtwerde der
2+4-Vertrag Rechtsgültigkeit erlangen.
Der Einspruchsführer vertritt die Auffassung, dass zumindest
eine Gesamtschau aller Einspruchsgründe zur Ungültigkeit
der Europawahl 2004 führen müsse. Wegen seines weiteren
Vortrags sowiewegen zweier von ihmvorgelegter Flugblätter
zu einer von ihm befürchteten Militarisierung der Europäi-
schenUnionwird auf den Inhalt derAktenBezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Hinsichtlich der unter (9) bis (12) aufgeführten Einspruchs-
gründe – Verfassungsmäßigkeit des Europawahlgesetzes,
Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments,
Kompetenzverlagerung auf die Europäische Union und

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25 – Drucksache 15/4750

Nichtvorhandensein einer Verfassung gemäßArtikel 146GG
– ist der Einspruch unzulässig, weil er insoweit nicht substan-
tiiert begründet ist. Im Übrigen – also hinsichtlich der unter
(1) bis (8) aufgeführten Einspruchsgründe – ist er offensicht-
lich unbegründet.
(1) Ein Wahlfehler liegt nicht vor, soweit der Einspruchsfüh-
rer eine Benachteiligung bei seiner Kandidatur für die Liste
der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Nichtmitglied
geltend macht. Entsprechend den Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts (BVerfGE 89, S. 243/253) können imWahl-
prüfungsverfahren bezüglich der Verfahrensweise der Par-
teien bei der Aufstellung der Wahlbewerber nur Verstöße ge-
gen elementare Regeln des demokratischen Wahlvorgangs
gerügt werden. Die Verfahrensweise zur Aufstellung der
Wahlbewerber ist hierbei an den von den Wahlgesetzen
bestimmten zwingenden Anforderungen zu messen. Die Ge-
staltung des innerparteilichen Wahlrechts unterliegt grund-
sätzlich nicht der Überprüfung im Wahlprüfungsverfahren.
Rechtsfehler können insoweit nur dann durchgreifen, wenn
sie gleichzeitig eineVerletzung zwingender gesetzlicher Vor-
schriften über die Bewerberaufstellung oder einen Verstoß
gegen Wahlrechtsgrundsätze enthalten (Bundestagsdrucksa-
che 15/2400, Anlage 14).
Nach diesen Maßstäben ist zunächst ein Verstoß gegen § 10
Abs. 3 Satz 3 EuWG nicht festzustellen. Nach dieser Vor-
schrift ist den Bewerbern Gelegenheit zu geben, sich und ihr
ProgrammderVersammlung in angemessener Zeit vorzustel-
len. Dem Einspruchsführer standen für seine Vorstellung wie
jedem anderen Kandidaten und jeder anderen Kandidatin
zehn Minuten zur Verfügung und er hat von dieser Möglich-
keit Gebrauch gemacht. Damit ist die Partei BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN ihren Verpflichtungen nach dieser Vorschrift
nachgekommen. Soweit der Einspruchsführer in diesem Zu-
sammenhang geltend machen möchte, er sei nicht in die De-
legiertenunterlagen aufgenommen worden, so kommt es im
Rahmen von § 10 Abs. 3 Satz 3 EuWG darauf nicht an. Maß-
geblich ist, dass jedenfalls ein willkürliches Verhalten gegen-
über dem Einspruchsführer in Bezug auf die im Einzelnen
streitige Frage seiner Aufnahme in die Delegiertenunterlagen
nicht zu erkennen ist.
Bei der Kandidatenaufstellung der Partei BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN ist nicht gegen den Grundsatz der geheimenWahl
gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 EuWG verstoßen worden. Bei der
schriftlichen Wahl der Kandidaten im Anschluss an die Er-
mittlung der Vorschläge für die Listenplätze mit dem Televo-
ting-Systemwurde – wie bereits vomBundeswahlausschuss,
vom Bundeswahlleiter und vom Landgericht Berlin näher
dargelegt – geheim abgestimmt. Das Landgericht Berlin hat
in seinem Urteil vom 5. April 2004 (Az.: 3 O 103/04) ausge-
führt, dass es in Bezug auf die eigentlicheWahl unstreitig ist,
dass diese verdeckt und mithin dem Grundsatz der Geheim-
haltung genügend abgehaltenworden ist. Der Einspruchsfüh-
rer behauptet nunmehr abweichend von seinem Vortrag ge-
genüber dem Landgericht, der Grundsatz der geheimenWahl
sei auch bei der eigentlichen, schriftlichen Abstimmung über
die Kandidaten verletzt worden. Da der Einspruchsführer
zum Zeitpunkt dieser Wahl gar nicht mehr bei der Delegier-
tenkonferenz anwesend war und sich bei dieser Behauptung
auch nicht auf eine Beobachtung durch anwesende Personen
stützt, handelt es sich um eine Behauptung „ins Blaue hin-

ein“, die aufgrund der vorliegenden Umstände als irrelevant
zu bewerten ist.
Soweit sich derEinspruchsführermit demTelevoting-System
auseinandersetzt und dieses als untrennbar mit der schriftli-
chen Wahl verbunden ansieht, so handelt es sich hier vor-
nehmlich um Fragen der Gestaltung des innerparteilichen
Wahlrechts, denen in Wahlprüfungsverfahren grundsätzlich
nicht nachgegangen wird. Maßgeblich ist, dass das Wahlver-
fahren vorher durch die Delegierten entsprechend beschlos-
sen und dann auf der Delegiertenkonferenz bekannt gegeben
worden ist; dementsprechend ist die Kandidatenaufstellung
auch durchgeführt worden. EineModifizierung desWahlver-
fahrens hat entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
nicht stattgefunden. Seine Befürchtung, durch die Ermittlung
der Kandidatenvorschläge sei eine unzulässige Vorabfestle-
gung erfolgt, ist nicht nachvollziehbar, zumal die Delegierten
anschließend in einer schriftlichen und geheimen Wahl ab-
stimmen konnten. Auch insoweit bestehen keinerlei Anhalts-
punkte dafür, dass gegenüber dem Einspruchsführer willkür-
lich gehandelt worden wäre.
(2) Der Wahleinspruch hat auch keinen Erfolg, soweit die
Wertung von Stimmzetteln in Baden-Württemberg beanstan-
det wird.
Der Einspruchsführer hat – nachdem ihm in der Stellung-
nahme des Bundeswahlleiters der richtige Sachverhalt mit-
geteilt worden war – seine Argumentation insofern geändert,
als er nunmehr die versehentlich in amtlicheWahlumschläge
gesteckten Europawahlstimmzettel als ungültig gewertet
wissen möchte. Entgegen dieser Auffassung sind jedoch die
3 531 betroffenenEuropawahlstimmzettel zuRecht als gültig
gewertet worden. Wie bereits anlässlich des Wahleinspruchs
EuWP 02/04 näher ausgeführt wurde, handelt es sich um eine
atypische Fallkonstellation, für die das Europawahlgesetz
und die Europawahlordnung keine ausdrückliche Regelung
enthalten. Aus der Abschaffung der amtlichen Wahlum-
schläge bei der Urnenwahl durch das Fünfzehnte Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001
(BGBl. I S. 698) lässt sich ebenso wenig wie aus der Begrün-
dung des Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache 14/3764)
ein Wille des Gesetzgebers entnehmen, die betreffenden
Stimmen als ungültig zu behandeln. Der Bundeswahlleiter
weist zuRecht darauf hin, dass ein Fall des § 4EuWG i. V. m.
§ 39 Abs. 2 BWG nicht vorliegt, weil diese Vorschrift nur für
Stimmzettel derselben Wahl gilt. Nach dieser Vorschrift gel-
ten mehrere in einem Wahlumschlag enthaltene Stimmzettel
als ein Stimmzettel, wenn sie gleich lauten oder nur einer von
ihnengekennzeichnet ist; sonst zählen sie als einStimmzettel,
der als ungültig zu werten ist. Schließlich liegt kein sog. ma-
terieller Ungültigkeitsgrund, der nicht im Gesetz geregelt ist,
vor. Ein solcher Ungültigkeitsgrund wäre etwa anzunehmen,
wenn gegen grundlegende Vorschriften der Wahlhandlung
oder des Wahlverfahrens verstoßen oder wenn die Wahl in
rechtswidriger (bzw. strafbarer) Weise beeinflusst worden
wäre (Schreiber,Kommentar zumBundeswahlgesetz, 7.Auf-
lage, § 39 Rn. 2). Ein derart schwerwiegender Verstoß ist bei
der vorliegenden, auf einer Unachtsamkeit der Wähler be-
ruhenden Stimmabgabe nicht anzunehmen.
(3) Darüber hinaus kann der Einspruchsführer auch nicht mit
Erfolg geltend machen, die Fünf-Prozent-Sperrklausel des
§ 2 Abs. 6 EuWG verstoße gegen die Verfassung.

Drucksache 15/4750 – 26 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss
sehen sich nach ständiger Praxis nicht dazu berufen, die Ver-
fassungswidrigkeit von Rechtsvorschriften festzustellen.
Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfassungsgericht
vorbehalten worden (Bundestagsdrucksache 14/1560, An-
lage 77).Unabhängig hiervon halten derDeutscheBundestag
und derWahlprüfungsausschuss die Vorschrift des § 2Abs. 6
EuWG für verfassungsgemäß.
Nach Artikel 3 Satz 1 des geänderten Direktwahlakts können
dieMitgliedstaaten eineMindestschwelle für die Sitzvergabe
festlegen. Diese Schwelle darf jedoch nach Satz 2 dieser Vor-
schrift landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebe-
nen Stimmen betragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 8. Juni 2004 in einem Organstreit-
verfahren zur Fünf-Prozent-Sperrklausel des § 2 Abs. 6
EuWG (2 BvE 1/04), in dem die diesbezügliche Organklage
der NPD wegen Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 3
Bundesverfassungsgerichtsgesetz als unzulässig verworfen
worden ist, auf die Änderung des Direktwahlaktes hingewie-
sen und hierzu ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem am
21. August 2003 verkündeten Vierten Gesetz zur Änderung
des Europawahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur
Änderung des Europaabgeordnetengesetzes zum Ausdruck
gebracht hat, dass er an der Fünf-Prozent-Klausel festhalten
möchte. Er hat sich dabei – so das Bundesverfassungsgericht
– auf die Ermächtigung derMitgliedstaaten imBeschluss des
Rates der Europäischen Union stützen können, eine Sperr-
klausel zu erlassen. Der Rat der EuropäischenUnion hat nach
Zustimmung des Europäischen Parlaments mit Beschluss
vom 25. Juni und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 811)
den Direktwahlakt geändert, damit die Wahlen zum Europä-
ischen Parlament „gemäß den allen Mitgliedstaaten gemein-
samen Grundsätzen stattfinden können, die Mitgliedstaaten
zugleich aber dieMöglichkeit erhalten, für Aspekte, die nicht
durch diesen Beschluss geregelt sind, ihre jeweiligen natio-
nalen Vorschriften anzuwenden“. Dieser Änderung des
Direktwahlaktes hat der deutsche Gesetzgeber mit Artikel 1
des Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung
des Direktwahlaktes vom 15. August 2003 (BGBl. 2003 II
S. 810) zugestimmt.
Zwar kann aus dieser erstmalig verankerten ausdrücklichen
Ermächtigung zum Erlass einer Fünf-Prozent-Sperrklausel
durch den Direktwahlakt nicht unmittelbar die Verfassungs-
mäßigkeit einer solchen Sperrklausel nach dem deutschen
Verfassungsrecht abgeleitet werden. Sie ist jedoch als starkes
Indiz dafür anzusehen, dass § 2 Abs. 6 EuWG – wie auch
schon bisher – nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Auch
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts verstößt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht gegen
die Verfassung (BVerfGE 51, 222/233 ff.; BVerfGE 95, 335/
366). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung werden in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt.
Soweit der Einspruchsführer vermutet, die Sperrklausel habe
zu einer geringen Wahlbeteiligung geführt, so spielt dies für
die verfassungsrechtliche Zulässigkeit keine Rolle. Eine Ab-
wägung des Postulats der Funktionsfähigkeit der zu wählen-
den Volksvertretung mit den Geboten des grundsätzlich glei-
chen Erfolgswertes aller Wählerstimmen sowie der gleichen
Wettbewerbschancen der politischenParteien imRahmen der
Verhältniswahl ergibt die Zulässigkeit der begrenzten Diffe-
renzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen. Die vom

Einspruchsführer angeführten Auswirkungen der Sperrklau-
sel bei der Europawahl 1994 sind im Rahmen dieser Abwä-
gung nicht maßgeblich.
(4) Soweit der Einspruchsführer geltend macht, die Anzahl
der deutschenAbgeordneten imEuropäischenParlament ver-
stoße gegen höherrangiges Recht, so ist auch insoweit darauf
hinzuweisen, dass sich der Deutsche Bundestag und der
Wahlprüfungsausschuss nicht berufen sehen, eine derartige
Feststellung zu treffen. Wie vom Bundeswahlleiter in seiner
Stellungnahme dargelegt, entspricht die Anzahl von 99Man-
daten für die Bundesrepublik Deutschland – unabhängig von
der politischenDiskussion über diese Problematik imZusam-
menhang mit der Frage der Schaffung eines einheitlichen
Wahlrechts in der Europäischen Union – sowohl den natio-
nalen Vorschriften als auch den europarechtlichen Vorgaben.
(5) Soweit der Einspruchsführer die Einteilung des Wahlge-
bietes inWahlkreise postuliert, so ist einWahlfehler ebenfalls
nicht erkennbar. Nach § 3 Abs. 1 EuWG ist Wahlgebiet das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Das Wahlgebiet
wird nach § 3 Abs. 2 EuWG für die Stimmabgabe in Wahl-
bezirke eingeteilt. Der Verzicht auf Wahlkreise mit Direkt-
wahlkandidaten–wie dies beiBundestagswahlenvorgesehen
ist – entspricht der Vorgabe imDirektwahlakt, nach demVer-
hältniswahlsystem zu wählen (Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 8
Abs. 2 Direktwahlakt). Die demokratische Legitimation der
Abgeordneten und das Repräsentationsprinzip werden hier-
durch nicht angetastet.
(6) Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers bedarf
das Wahlsystem keiner weitergehenden Festlegung im
Grundgesetz als dies bislang in Artikel 38 GG bereits erfolgt
ist. Weder der Direktwahlakt noch andere europarechtliche
Vorgaben legen dies nahe. Auch aus dem Grundgesetz selbst
lässt sich nicht ableiten, dass eine weitergehende Festlegung
des Wahlrechts und des Wahlsystems verfassungsrechtlich
geboten wäre. Abgesehen davon sehen sich der Deutsche
Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss – wie schon dar-
gelegt – ohnehin nicht dazu berufen, ein derartiges „verfas-
sungswidriges Verfassungsrecht“ festzustellen.
(7) Soweit sich der Einspruchsführer gegen das sog. Nomi-
nierungsmonopol der Parteien (§ 10 Abs. 1 EuWG) wendet,
so ist ein Wahlfehler ebenfalls nicht festzustellen. Zunächst
ist darauf hinzuweisen, dass bei Europawahlen neben den
Parteien auch sonstige mitgliedschaftlich organisierte, auf
Teilnahme an der politischen Willensbildung und Mitwir-
kung inVolksvertretungen ausgerichteteVereinigungen (sog.
sonstige politische Vereinigungen) Wahlvorschläge einrei-
chen können, so dass insoweit nicht von einem echten Nomi-
nierungsmonopol der Parteien gesprochenwerden kann.Dar-
über hinaus ist daran zu erinnern, dass bei Bundestagswahlen
laut Bundesverfassungsgericht das auf Parteien beschränkte
Vorschlagsrecht für deren Listen sich „aus der Natur der Sa-
che“ ergibt und mit Artikel 38 GG im Einklang steht
(BVerfGE 46, 196/199). Soweit sich der Einspruchsführer
auch gegen das System starrer Listen (§ 9 Abs. 3 und § 2
Abs. 4EuWG)wendet,wonachdieReihenfolgederBewerber
auf den Listen der Parteien festgelegt ist und bei der Stimm-
abgabe nicht verändert werden kann, so hat das Bundesver-
fassungsgericht wiederholt festgestellt, dass sich dieses Sys-
tem im Rahmen der dem Gesetzgeber eingeräumten Freiheit
zurAusgestaltung desWahlrechts bewegt und nicht gegen die

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 27 – Drucksache 15/4750

Grundsätze der unmittelbaren, freien und gleichenWahl ver-
stößt (vgl. z. B. BVerfGE 7, 63/68 ff.; BVerfGE 47, 253/282).
(8) Die vom Einspruchsführer beanstandete Beschränkung
desWahlkampfes in Deutschland auf nationale Themen führt
schließlich ebenfalls nicht zur Feststellung eines Wahlfeh-
lers. Der Einspruchsführer stellt nicht in Abrede, dass vor der
Europawahl 2004 ein Wahlkampf stattgefunden hat. Der
Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss neh-
men keine inhaltliche Bewertung von Wahlvorschlägen,
Wahlprogrammen oder Wahlaussagen vor. Maßgeblich ist,
dass es einenWahlwettbewerb gegeben hat, in dem die zuge-
lassenen Wahlvorschläge mit ihren Programmen der Öffent-
lichkeit vorgestellt wurden. Es obliegt u. a. auch den Wähle-
rinnen und Wählern selbst, sich durch eigene Initiative über
die nationalen und europabezogenenProgrammeder Parteien
und sonstigen zurWahl stehenden politischen Vereinigungen
zu informieren. Eine Beeinträchtigung der politischen Wil-
lensbildung und des Grundsatzes der Chancengleichheit sind
vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Soweit der Ein-
spruchsführer in diesem Zusammenhang auch Folgerungen
für künftigeWahlen (z. B. Einführung einer Mindestwahlbe-
teiligung) ableitet, so kann dies nichtGegenstand einesWahl-
prüfungsverfahrens sein; dieses ist auf die Feststellung von
Wahlfehlern und deren Mandatsrelevanz beschränkt.
Hinsichtlich der weiteren Beanstandungen des Einspruchs-
führers unter (9) bis (12) ist der Einspruch unzulässig, weil er
insoweit keine gemäß § 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 2 Abs. 3
WPrüfG erforderliche Begründung enthält.
Die Wahlprüfung findet weder von Amts wegen statt, noch
erfolgt sie stets in Gestalt einer Durchprüfung der gesamten
Wahl. Sie erfolgt vielmehr nur auf Einspruch, der zu begrün-
den ist. Die Begründung muss mindestens den Tatbestand,
auf den die Anfechtung gestützt wird, erkennen lassen und
genügend substantiierte Tatsachen enthalten. Ihr Umfang
richtet sich also nach dem Einspruch, durch den der Ein-
spruchsführer den Anfechtungsgegenstand bestimmt. Der
Prüfungsgegenstand ist nach dem erklärten, verständig zu

würdigenden Willen des Einspruchsführers unter Berück-
sichtigung des gesamten Einspruchsvorbringens sinngemäß
abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist auch danach vorzuneh-
men, inwieweit der Einspruchsführer seinen Einspruch sub-
stantiiert hat. Nur im Rahmen des so bestimmten Anfech-
tungsgegenstandes hat der Wahlprüfungsausschuss dann den
Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt wird, von Amts
wegen zu erforschen und alle auftauchenden rechtserhebli-
chenTatsachen zu berücksichtigen (BVerfGE40, 11/30; stän-
dige Rechtsprechung).
Soweit der Einspruchsführer das Europawahlgesetz pauschal
und undifferenziert als verfassungswidrig bezeichnet (9),
ohne dies konkret darzulegen, ist dem Deutschen Bundestag
und dem Wahlprüfungsausschuss – abgesehen davon, dass
diese sich ohnehin nicht dazu berufen sehen, dieVerfassungs-
widrigkeit von Vorschriften festzustellen – eine nähere Prü-
fung nicht möglich. Soweit der Einspruchsführer einen
Zusammenhang zwischen dem Status der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments und demWahlverhalten der Bürge-
rinnen und Bürger herstellen möchte (10), so fehlt es an einer
nachvollziehbaren und überprüfbaren Darlegung eines Sach-
verhalts mit wahlrechtlichem Bezug, der einer Überprüfung
zugänglich wäre. Dies gilt auch für die von ihm geäußerte
Befürchtung, die Verlagerung von Kompetenzen auf die
EuropäischeUnion höhle das demokratischePrinzip aus (11).
Schließlich enthält auch dasPostulat, das deutscheVolkmöge
gemäßArtikel 146GG in freier Entscheidung eineVerfassung
beschließen (12), keinen hinreichenden wahlrechtlichen Be-
zug, um in eine Prüfung in der Sache einzutreten. Artikel 146
GG regelt nicht das Wahlverfahren der deutschen Abgeord-
neten für das Europäische Parlament; die Vorschrift regelt
lediglich, unter welchen Bedingungen das derzeit geltende
Grundgesetz außer Kraft treten kann (Bundestagsdrucksache
15/1850, Anlage 11).
Der Einspruch ist somit teilweise als unzulässig und teilweise
als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 26 Abs. 2
EuWG i. V. m. § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29 – Drucksache 15/4750

Anlage 6

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
der Frau A. L., Gordon NSW 2072 Australien und des Herrn R. L., Gordon NSW 2072 Australien

– Az.: EuWP 24/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 25. Juni 2004, das beim Deutschen Bun-
destag am 30. Juni 2004 eingegangen ist, haben die Ein-
spruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordne-
ten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 gemeinschaftlich Einspruch
eingelegt.
Zur Begründung führen sie aus, dass ihnen die beantragten
Briefwahlunterlagen nicht an ihren aus beruflichen Gründen
gewählten Wohnort in Australien zugesandt worden seien.
Eine Teilnahme an der Europawahl sei ihnen somit nicht
möglich gewesen.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 29. März 2004 gingen die Anträge der Einspruchsführer
auf Eintragung in das Wählerverzeichnis und auf Übersen-
dung der Briefwahlunterlagen bei der Stadtverwaltung Ho-
hen Neuendorf ein. Die Einspruchsführer wurden daraufhin
in dasWählerverzeichnis eingetragen.Am18.Mai 2004wur-
den die Wahlscheine ausgestellt und per Luftpost an die Ein-
spruchsführer abgesandt. Die Zweitausfertigungen der An-
träge wurden an den Bundeswahlleiter ebenfalls am 18. Mai
2004 übersandt. Die entsprechenden Nachweise über die
Ausstellung der Wahlscheine und den Versand der Unterla-
gen am18.Mai 2004 (Kopie der Postausgangsliste,Kopie der
von den Einspruchsführern ausgefüllten Anträge auf Eintra-
gung in das Wählerverzeichnis, auf denen der Absendever-
merk dokumentiert ist) liegen dem Wahlprüfungsausschuss
vor. Am 27. Mai 2004 baten die Einspruchsführer per E-Mail
– adressiert an den zuständigen Mitarbeiter der Stadtverwal-
tung – um Mitteilung zum Sachstand, weil ihnen noch keine
Briefwahlunterlagen zugegangen seien. Diese E-Mail ging
zwar auf dem E-Mail-Server der Stadtverwaltung Hohen
Neuendorf ein, wurde aber –wie sich aus einem von der Stadt
Hohen Neuendorf vorgelegten Auszug aus dem E-Mail-Ser-
ver ergibt – aufgrund der Bedrohung des Internets durch
Viren blockiert und ausgefiltert. DerAuszug enthielt u. a. fol-
gende Hinweise: „Mail von der Homepage!“, „Deleted“,
„Sender blacklisted“.ZwischendenEinspruchsführern einer-
seits und dem Kreiswahlleiter bzw. der Stadtverwaltung
Hohen Neuendorf andererseits ist streitig, ob die Einspruchs-
führer ihre E-Mail über die Homepage der Stadt Hohen Neu-

endorf gesandt haben und ob die Einspruchsführer über die
Ausfilterung ihrer E-Mail informiert worden sind.
Zu demWahleinspruch hat der Kreiswahlleiter des Landkrei-
ses Oberhavel unter Einbeziehung von Stellungnahmen der
Stadt Hohen Neuendorf in einer Stellungnahme und einer er-
gänzend hierzu erbetenen Stellungnahme Folgendes ausge-
führt:
Die Ende Mai 2004 übermittelte Anfrage per E-Mail ändere
nichts an der Tatsache, dass die Briefwahlunterlagen korrekt
bearbeitet undmit der Luftpost auf denWeg gebracht worden
seien. Es sei festzustellen, dass die für die Europawahl 2004
eingesetzten Mitarbeiter korrekt gearbeitet hätten und ihrer-
seits kein Verschulden vorliege. Es sei bedauerlich, dass die
Wahlunterlagen nicht rechtzeitig bei den Einspruchsführern
angekommen seien und ihnen somit dieMöglichkeit zur Teil-
nahme an derWahl des Europäischen Parlaments genommen
worden sei. Die von den Einspruchsführern aufgestellte
Behauptung, sie hätten eine E-Mail direkt über die Webseite
der Stadt Hohen Neuendorf geschickt, treffe nicht zu. Diese
E-Mail sei über den Provider „WEB.de“ gesandt worden.
Hätten die Einspruchsführer dieMöglichkeit der E-Mail-Ver-
sendung über die Webseite der Stadt genutzt, so wäre diese
nach Auffassung des Kreiswahlleiters auch nicht ausgefiltert
worden. Über die Ausfilterung der E-Mail seien die Ein-
spruchsführer durch eine in solchen Fällen automatisch ge-
nerierte E-Mail-Antwort informiert worden.
Den Einspruchsführern sind die Stellungnahmen einschließ-
lich der vomKreiswahlleiter vorgelegtenUnterlagen bekannt
gegebenworden. Sie haben sich daraufhinwie folgt geäußert:
Die in Rede stehenden Wahlunterlagen seien auch nach der
Wahl nicht bei den Einspruchsführern eingetroffen. Auch sei
den Einspruchsführern eine Mitteilung über die Ausfilterung
ihrer an den Wahlleiter gerichteten E-Mail nicht bekannt.
Außerdem werde die Behauptung des Kreiswahlleiters, die
E-Mail der Einspruchsführer sei nicht über die Webseite der
Stadt Hohen Neuendorf übersandt worden, von den Ein-
spruchsführern zurückgewiesen. Dass die E-Mail-Adresse
der Einspruchsführer in dem Auszug aus dem E-Mail-Server
erschienen sei, sei selbstverständlich gewesen, da sie dort zu
den Angaben des Absenders eingetragen worden sei. In die-
semZusammenhang sei jedoch der Eintrag des Servers „Mail

Drucksache 15/4750 – 30 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

von der Homepage“ hinter der Mailadresse des Wahlleiters
verwunderlich.
Unabhängig davon werfen die Einspruchsführer die Frage
auf, ob es „bei einer so offensichtlich unverfänglichen Ab-
senderadresse“ nicht bürgerfreundlicher gewesen wäre, an
die Absenderadresse eine kurze Nachricht mit der Bitte um
erneuteMitteilung über den „angeblich so sicherenWeg“ der
Webseite der Stadtverwaltung zu senden und darauf hinzu-
weisen, dass die ursprüngliche E-Mail ausgefiltert worden
sei. Nach Ansicht der Einspruchsführer sollte erwartet wer-
den, dass imVorfeld einerWahl gerade die E-Mail-Nachrich-
ten an die dafür verantwortlichen Mitarbeiter der Wahlbe-
hörde besonders sorgfältig beobachtet würden.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist im Ergebnis
nicht festzustellen. Die Stadt Hohen Neuendorf hat das Ri-
siko dafür, dass die beantragtenBriefwahlunterlagendenEin-
spruchsführern nicht zugegangen sind, nicht zu tragen. Die
Einspruchsführer haben imErgebnis auch dasRisiko dafür zu
tragen, dass ihre E-Mail-Nachricht darüber, dass sie noch
keineWahlunterlagen erhalten hätten, der Gemeindebehörde
nicht zugegangen ist.
Die Stadtverwaltung Hohen Neuendorf hat die Einspruchs-
führer auf ihren Antrag hin gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 EuWO
korrekt in das Wählerverzeichnis eingetragen. Die ebenfalls
beantragten Wahlscheine wurden – wie aus den vorgelegten
Dokumenten hervorgeht – am 18. Mai 2004 ausgestellt und
am gleichen Tag zusammenmit den Briefwahlunterlagen per
Luftpost abgesandt. Das Risiko des Nichtzugangs der Brief-
wahlunterlagen ist von der Gemeindebehörde nicht zu vertre-
ten. Ist der Wahlschein nebst Briefwahlunterlagen von der
Gemeindebehörde nachweislich ordnungsgemäß und recht-
zeitig erteilt und nachweislich ordnungsgemäß und rechtzei-
tig der Post übergeben worden, ist er aber auf dem Postweg
verloren gegangen oder zumindest den betreffendenWahlbe-
rechtigten nicht rechtzeitig zugegangen, kann sich die Ge-
meindebehörde grundsätzlich auf den rechtzeitigen Zugang
verlassen (Bundestagsdrucksache 15/1150, Anlage 10; Bun-
destagsdrucksache 13/3035,Anlage 17; Schreiber, Kommen-
tar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 36 Rn. 8).
Ein Wahlfehler lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der
durch E-Mail übermittelte Hinweis der Einspruchsführer auf
die fehlendenBriefwahlunterlagen ausgefiltertwurde und die
Stadtverwaltung die Einspruchsführer anschließend nicht
aufgefordert hat, die Nachricht noch einmal zu schicken.
Maßgeblich ist der in § 27 Abs. 10 Satz 1 EuWO festgelegte
Grundsatz, dass verloreneWahlscheine nicht ersetzt werden.
Nach § 27Abs. 10 Satz 2 EuWOkann ausnahmsweise einem
Wahlberechtigten bis zum Tage vor der Wahl, 12.00 Uhr, ein

neuer Wahlschein erteilt werden, wenn er glaubhaft versi-
chert, dass ihm der beantragte Wahlschein nicht zugegangen
ist. Die Stadtverwaltung Hohen Neuendorf konnte die Vor-
aussetzungen dieser Ausnahmevorschrift nicht prüfen, da ihr
der betreffende Antrag imRechtssinne nicht zugegangen und
somit nicht wirksam gestellt worden ist (vgl. § 130 Bürgerli-
ches Gesetzbuch). Hierbei ist es unschädlich, dass die Ein-
spruchsführer diesen Antrag per E-Mail auf den Weg ge-
bracht haben, da für den Antrag auf Ausstellung eines neuen
Wahlscheins dieselben Formvorschriften gelten wie für die
(erstmalige) Erteilung einesWahlscheines. Nach § 26 Abs. 1
Satz 2 EuWO gilt die Schriftform u. a. auch durch E-Mail als
gewahrt.
Eine Erklärung ist zugegangen, wenn sie so in den Machtbe-
reich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen
Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung
Kenntnis zu nehmen (Heinrichs, in: Palandt, BGB-Kommen-
tar, 63. Auflage, § 130 Rn. 5). An einen Empfänger, der – wie
die Stadt Hohen Neuendorf – im Rechtsverkehr mit einer E-
Mail-Adresse auftritt, gehen Erklärungen dann zu, wenn sie
in seiner Mailbox oder der seines Providers abrufbar gespei-
chert sind (Heinrichs, a. a. O. Rn. 7a). Da der Mitarbeiter, an
den die E-Mail adressiert war, diese nicht auf seinem PC auf-
rufen konnte, ist diese Voraussetzung nicht erfüllt.
Der Zugang des Antrags kann vorliegend auch nicht unter
dem Gesichtspunkt fingiert werden, die Stadt Hohen Neuen-
dorf habe durch die Blockierung undAusfilterung der E-Mail
der Einspruchsführer deren Zugang zu Unrecht vereitelt.
Zwar ist anerkannt, dass eine unberechtigteAnnahmeverwei-
gerung oder eine Zugangsvereitelung eine schuldhafte Oblie-
genheitsverletzung mit der Folge darstellen kann, dass der
Zugang der Erklärung fingiert wird (Einsele, in: Münchner
Kommentar zumBGB, 4. Auflage, § 130 Rn. 36). Jedoch hat
sich die Stadt Hohen Neuendorf nicht objektiv pflichtwidrig
oder gar schuldhaft verhalten, als sie auf ihrem Server Maß-
nahmen zur Abwehr von Computer-Viren ergriff. Im Hin-
blick auf die zu diesem Zeitpunkt festgestellte besondere Be-
drohung des Internets durchViren erscheint dieseMaßnahme
als sachlich gerechtfertigt.
Somit kommt es im Ergebnis nicht darauf an, ob die E-Mail
über die Homepage der Stadt Hohen Neuendorf oder in an-
derer Weise abgesandt wurde. Für die Frage des Zugangs im
Rechtssinne ist es auch nicht von Bedeutung, ob die Ein-
spruchsführer eine automatisch generierte Nachricht über die
Ausfilterung ihrer E-Mail (Fehlermeldung) erhalten haben.
Allein die Tatsache, dass die Maßnahmen zur Virenabwehr
von der Stadt Hohen Neuendorf und damit vom potentiellen
Empfänger des Antrags veranlasst wurden, bewirkt noch kei-
nen Übergang des Verlust- und Verzögerungsrisikos auf die-
sen. Dies ist auch sachgerecht, weil die Einspruchsführer eine
andere Art der Übermittlung hätten wählen können (Ultsch:
Zugangsproblemebei elektronischenWillenserklärungen, in:
NJW 1997, S. 3007/3008).
Schließlich ergibt sich auch kein Wahlfehler, soweit die Ein-
spruchsführer geltend machen, im Vorfeld einer Wahl seien
die E-Mail-Nachrichten besonders sorgfältig zu beobachten.
Hätten die Mitarbeiter der Stadt Hohen Neuendorf die Aus-
züge aus demE-Mail-Server auf unverfänglicheAdressen hin
durchgesehen und die Einspruchsführer im Hinblick auf die
bevorstehendenWahlen gebeten, ihre Nachricht erneut zuzu-
senden, sowäre esmit einer gewissenWahrscheinlichkeit zur

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 31 – Drucksache 15/4750

erneuten Ausstellung eines Wahlscheins und damit zur Teil-
nahme der Einspruchsführer an der Europawahl gekommen.
Eine solche Verpflichtung lässt sich jedoch weder aus der
Vorschrift des § 27Abs. 10EuWOnoch aus den verfassungs-
rechtlich fundierten Grundsätzen der allgemeinen und glei-
chen Wahl (§ 1 Abs. 1 Satz 2 EuWG) ableiten. Hierbei legt
§ 27 Abs. 10 Satz 1 EuWO die grundsätzliche Risikovertei-
lung fest, wonach verlorene Wahlscheine nicht ersetzt wer-
den. Durch die – verfassungsrechtlich nicht gebotene – Re-
gelung des § 27 Abs. 10 Satz 2 EuWOwird zwar eine Abhil-
femöglichkeit für die Fälle geschaffen, in denen der bean-
tragte Wahlschein dem Wahlberechtigten nicht zugegangen
ist.
Es ist jedoch Sache des Wahlberechtigten, in einem solchen
Fall mit dem Wahlamt Kontakt aufzunehmen (Bundestags-
drucksache 15/1850,Anlage 27).Misslingt dies ausGründen,
die weder er noch das Wahlamt zu vertreten hat, so verbleibt
es bei der grundsätzlichen Regelung des § 27 Abs. 10 Satz 1
EuWO, dass derWahlschein nicht ersetzt wird. Auch aus den
Grundsätzen der allgemeinen und gleichen Wahl ergibt sich
keine Verpflichtung der Wahlbehörden, im positiven Sinne
dafür Sorge zu tragen, dass die Wahlbürger, die aus einem in
ihrer Person oder in der Ausübung ihres Berufes liegenden
Grunde freiwillig oder unfreiwillig amWahltag ihrWahlrecht
am „eigentlichen“ Wahlort nicht eigenhändig durch Urnen-
wahl ausüben können, von ihrem Wahlrecht tatsächlich Ge-
brauch machen können (vgl. BVerfGE 12, 139/142; Schrei-
ber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 36
Rn. 8). Nach diesen Maßstäben ist die von den Einspruchs-
führern geforderte besondere Prüfung bezüglich ausgefilter-
ter E-Mail und eine anschließendeBenachrichtigung der Ein-
spruchsführer mit der Bitte, ihre Nachricht noch einmal zu
übersenden, rechtlich nicht geboten. Es liegen auch keinerlei
Anhaltspunkte dafür vor, dass die E-Mail der Einspruchsfüh-
rer mit der Intention ausgefiltert worden wäre, die Ausübung
des Wahlrechts zu erschweren oder zu verhindern.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33 – Drucksache 15/4750

Anlage 7

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn D. B., 72574 Bad Urach

– Az.: EuWP 36/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 9. Juli 2004, welches dem Deutschen
Bundestag am 16. Juli 2004 zugegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordne-
ten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Zur Be-
gründung trägt er vor, die von ihm beantragten Briefwahlun-
terlagen nicht erhalten zu haben. Als Wahlberechtigter habe
er jedoch ein Recht, an Wahlen teilzunehmen.
Der Kreiswahlleiter des Landkreises Reutlingen hat hierzu
unter Einbeziehung der Gemeinde Bad Urach wie folgt Stel-
lung genommen:
Der Einspruchsführer habe eineWahlbenachrichtigungskarte
erhalten und habe somit die Möglichkeit gehabt, in seinem
Wahllokal zu wählen. Briefwahl habe er entgegen seiner Be-
hauptung jedoch nicht beantragt. Der Einspruchsführer habe
einenBetreuer, sei aber nicht vomWahlrecht ausgeschlossen.
Nach Mitteilung der Gemeinde Bad Urach war der Ein-
spruchsführer für die Europawahl 2004 in das dortige Wäh-
lerverzeichnis eingetragen. Dem Wahlprüfungsausschuss
liegt ein Beschluss des Vormundschaftsgerichts Notariat I
Reutlingen vom 2. April 2003 (I GRN Nr. 79/2003) vor, wo-
nach für den Einspruchsführer ein Betreuer bestellt wurde.
Die Betreuung ist hiernach auf bestimmte Aufgabenbereiche
beschränkt. Diese sind Gesundheitsfürsorge einschließlich
der Abgabe von Einwilligungserklärungen in Behandlungs-
maßnahmen, Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Ent-
scheidung über freiheitsbeschränkendeMaßnahmen, Vermö-
genssorge sowie Post- und Fernmeldeverkehr.
Dem Einspruchsführer ist die oben dargestellte Stellung-
nahme des Kreiswahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat
sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig.
Er ist form- und fristgerecht beim Deutschen Bundestag ein-
gegangen. Der Einspruchsführer ist gemäß § 26 Abs. 2
EuWG i. V. m. § 2 Abs. 2 WPrüfG einspruchsberechtigt, da
er für die Europawahl gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 a EuWGwahl-
berechtigt war. Für den Einspruchsführer ist zwar ein Be-
treuer bestellt worden. Die Betreuung bezieht sich jedoch nur
auf einzelne Bereiche und nicht auf alle seine Angelegenhei-
ten, so dass einAusschluss vomWahlrecht gemäߧ 6aAbs. 1
Nr. 2 EuWG nicht gegeben ist.
Der Einspruch ist allerdings offensichtlich unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Wahlfehler geschehen
ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann der Wahlein-
spruch keinen Erfolg haben, denn er kann jedenfalls keinen
Einfluss auf die Mandatsverteilung haben.
Aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts lässt sich nicht
aufklären, ob der Einspruchsführer einen Antrag auf Ertei-
lung eines Wahlscheins (§ 26 Europawahlordnung – EuWO)
und auf Übersendung von Briefwahlunterlagen gestellt hat.
Zwar widerspricht der Kreiswahlleiter in seiner Stellung-
nahme der Behauptung des Einspruchsführers, er habe Brief-
wahlunterlagen beantragt. Diese Behauptung kann jedoch im
Ergebnis nicht widerlegt werden, auch wenn einiges dafür
sprechen mag, dass ein solcher Antrag der Gemeinde Bad
Urach nicht zugegangen ist. Es lässt sich nicht gänzlich aus-
schließen, dass im Rahmen der Bearbeitung der betreffenden
Anträge ein einzelner Antrag übersehen worden ist. Sollte
dies der Fall gewesen sein, so läge ein Wahlfehler vor.
Ein Wahlfehler kann schließlich auch nicht mit der Begrün-
dung ausgeschlossen werden, der Einspruchsführer habe die
Möglichkeit gehabt, amWahltag an derUrnenwahl teilzuneh-
men. Es ist zwar rechtlich möglich, am Wahltag in seinem
Wahllokal zu wählen, selbst wenn man vorher Briefwahl be-
antragt hat. Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass der
Einspruchsführer aus einem der in § 24 Abs. 1 EuWO ge-
nannten Gründe am Wahltag das Wahllokal nicht aufsuchen
konnte und gerade deshalb Briefwahl beantragt hatte.

Drucksache 15/4750 – 34 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

EinWahlfehler lässt sich somit nicht ausschließen.Nach stän-
diger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der
sich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche Bundes-
tag stets angeschlossen haben, können jedoch nur solche
Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die
auf die Mandatsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein
können. Infolgedessen scheiden alleVerstöße von vornherein
als unerheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses
nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/372 ständige Rechtspre-
chung). Selbst solche Wahlfehler, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie
angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf die
Mandatsverteilung haben können. Auch wenn man unter-
stellt, der Einspruchsführer hätte eine gültige Stimme abge-
geben, sowürde dies an derVerteilung der 99 deutschenMan-
date im Europäischen Parlament nichts verändern.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 35 – Drucksache 15/4750

Anlage 8

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. L., CH-9100 Herisau

– Az.: EuWP 26/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 3. Juli 2004, das beim Deutschen Bun-
destag am 6. Juli 2004 eingegangen ist, hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Gültigkeit derWahl der Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am13. Juni 2004 eingelegt. Er beanstandet, dass
die in der Ostschweiz lebenden Deutschen und auch der
„Deutsche Verein für St. Gallen und die Ostschweiz“, dessen
Vorsitzender er ist, nicht über die Europawahlen informiert
worden seien. Dadurch seien den Auslandsdeutschen ihre
Rechte als deutsche Staatsbürger vorenthalten worden. Von
einer Gleichbehandlung könne keine Rede sein.
Der Einspruchsführer hatte mit einer ähnlichen Begründung
– zum Teil zusammen mit anderen Bürgern – bereits Ein-
spruch gegen die Bundestagswahl 1998, gegen die Europa-
wahl 1999 sowie gegen die Bundestagswahl 2002 erhoben
(Bundestagsdrucksachen 14/1560, Anlage 64; 14/2761, An-
lage 29 und 15/1850, Anlage 25). Er bittet vorsorglich darum,
dass ihn im Falle der Zurückweisung seines Einspruchs die
Beibringungvon 100Unterschriften, die für eineBeschwerde
beim Bundesverfassungsgericht erforderlich seien, erlassen
werde. Er begründet dies mit dem Verbot der politischen Be-
tätigung in der Schweiz, zu der die Teilnahme an einer Wahl
gehöre.
Mit seiner Einspruchsschrift legt der Einspruchsführer einen
mit der deutschenBotschaft in der Schweiz geführten Schrift-
wechsel vor. Das darin enthaltene Schreiben der deutschen
Botschaft vom 14. Mai 2004 enthält Angaben über die Ver-
öffentlichung der Bekanntmachung für Deutsche zur Wahl
zumEuropäischen Parlament 2004 in drei in der Schweiz und
zwei in Liechtenstein erscheinenden Zeitungen; diesem
Schreiben sind der Text der Bekanntmachung und 100 An-
tragsformulare auf Eintragung in das Wählerverzeichnis für
die Teilnahme an der Europawahl 2004 beigefügt. Zu den
Einzelheiten des Schriftwechsels wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen. Des Weiteren hat der Einspruchs-
führer ein von der Stadt Ulm an ihn gerichtetes Schreiben
vom 9. Juni 2004 beigefügt. In diesem Schreiben wurde dem
Einspruchsführer mitgeteilt, dass sein Antrag auf Eintragung
in das Wählerverzeichnis nach Fristablauf eingegangen sei
und daher nicht mehr berücksichtigt werden könne. Nach

Auffassung des Einspruchsführers ist diesem Schreiben zu
entnehmen, dass die deutschen Staatsbürger – und auch der
Einspruchsführer – zu spät bzw. gar nicht benachrichtigtwor-
den seien.
Hinsichtlich der Veröffentlichungen der Bekanntmachung
für Deutsche zur Wahl zum Europäischen Parlament 2004 in
schweizerischen Zeitungen trägt der Einspruchsführer vor,
dass die in Zürich veröffentlichten Zeitungen „Neue Zürcher
Zeitung“ und „Sonntagszeitung“ von den in der Ostschweiz
lebenden Deutschen nicht gelesen würden. Dort würden
überwiegend andereZeitungen,wie z. B. das „ St.Galler Tag-
blatt“ oder die „Südostschweiz“, gelesen. Daneben habe die
deutsche Botschaft mit Zustimmung des Auswärtigen Amts
dieBekanntmachung in der deutschsprachigen „Tessiner Zei-
tung“ mit einer Auflage von 10 180 Stück, im „Liechtenstei-
ner Volksblatt“ mit einer Auflage von 7 319 Stück und im
„Liechtensteiner Vaterland“ mit einer Auflage von 10 363
Stück veröffentlicht. In der ganzen Ostschweiz mit einer Be-
völkerung von rund 865 000 Einwohnern sei eine Veröffent-
lichung überhaupt nicht erfolgt. In diesem Zusammenhang
könne man nach Ansicht des Einspruchsführers nicht mehr
von einem Versehen sprechen. Seiner Meinung nach handele
es sich um eine bewusste Desavouierung der deutschen Bür-
ger in der Ostschweiz. Mit einem einzigen Schreiben könne
die deutsche Botschaft rund 100 Mitglieder des „Deutschen
Vereins“ erreichen.Der Einspruchsführer habe denEindruck,
dass hier eine „systematische Abstraf-Wahlbehinderung“
vorliege. Aus Kontakten zu anderen Ausländervereinen
könne der Einspruchsführer beurteilen, dass die Betreuung
derAuslandsdeutschen durch dieAuslandsvertretungen – zu-
mindest in der Schweiz – generell nicht ausreichend sei.
Das AuswärtigeAmt hat zu der Angelegenheit wie folgt Stel-
lung genommen:
Im Ausland lebende Deutsche, die gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2
Alternative b bzw. § 6 Abs. 3 Europawahlgesetz (EuWG)
i. V. m. § 12 Abs. 2 Nr. 2 und 3 Bundeswahlgesetz (BWG)
wahlberechtigt seien, könnten an der Wahl der deutschen
Kandidaten zum Europäischen Parlament per Briefwahl teil-
nehmen, sofern sie in ein Wählerverzeichnis eingetragen
seien. Danach würden die im Ausland lebenden Deutschen
nur auf Antrag, der formgebunden sei, in das vor jeder Wahl

Drucksache 15/4750 – 36 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

neu zu erstellende Wählerverzeichnis der Gemeinde einge-
tragen, in der sie vor ihrem Wegzug aus der Bundesrepublik
Deutschland zuletzt gemeldet gewesen seien (vgl. § 15 ff.
Europawahlordnung – EuWO).
Eine automatische Zusendung der Wahlunterlagen durch die
letzte Heimatgemeinde an die ins Ausland verzogenenWahl-
berechtigten sei weder in den genannten Vorschriften vorge-
sehen, noch überhaupt praktisch durchführbar, da die lokalen
Einwohnermelderegister nicht die aktuellen Auslandsan-
schriften der im Ausland ansässigen Deutschen enthielten.
Die Eintragung in das Wählerverzeichnis sei im Interesse ei-
ner ordnungsgemäßen Wahldurchführung und zur Gewähr-
leistung der Wahlrechtsgleichheit erforderlich. Das Verfah-
ren der Eintragung auf Antrag in das Wählerverzeichnis am
letzten deutschen Wohnsitz, verbunden mit dem in der Euro-
pawahlordnung festgehaltenen Verfahren der gegenseitigen
EU-weiten Benachrichtigung bei anderenorts begehrten Ein-
tragungen in das Wählerverzeichnis, ermögliche dem Wahl-
amt der letzten deutschen Wohnsitzgemeinde die Prüfung,
dass das Wahlrecht, wie in § 6 Abs. 4 EuWG gefordert, tat-
sächlich nur einmal ausgeübt werde. Diese Prüfungen könn-
ten die Auslandsvertretungen vor Ort nicht vornehmen.
Damit interessierte Wahlberechtigte den erforderlichen An-
trag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis des letzten
deutschen Wohnortes rechtzeitig stellen könnten, machten
die diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen
der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entsprechend
ihres in § 19 Abs. 2 EuWO postulierten gesetzlichen Auf-
trags unverzüglich nach der Bestimmung des Wahltages in
überregionalen bzw. regionalen Tageszeitungen öffentlich
bekannt, unterwelchenVoraussetzungen imAusland lebende
Deutsche an der Wahl der deutschen Kandidaten zum Euro-
päischen Parlament teilnehmen könnten und welche Form
und Fristen für die Eintragung in ein deutsches Wählerver-
zeichnis gelten.
Eine Unterrichtung jedes einzelnen im Ausland lebenden
Wahlberechtigten durch die deutschen Vertretungen sei we-
der praktikabel noch möglich, da für Deutsche keine gesetz-
liche Meldepflicht bei den deutschen Auslandvertretungen
bestehe und diese aus Datenschutzgründen keine Meldeda-
teien über Deutsche im Ausland, von deren Anwesenheit sie
erführen, anlegen dürften. Eine öffentliche Bekanntmachung
seiwegen ihrerVerbreitung demgegenüber einVerfahren,mit
demdiesesZielmitwenigerAufwand effektiver erreichtwer-
den könne. In der Schweiz seien vor der Wahl der deutschen
Kandidaten zum Europäischen Parlament folgende durch die
Botschaft inBern veranlasste öffentlicheBekanntmachungen
erfolgt:
– in der „Neuen Zürcher Zeitung“ am 20./21. März 2004,
– in der „Zürcher Sonntagszeitung“ als überregionale Wo-

chenzeitung am 21. März 2004,
– in der „Tessiner Zeitung“ am 20. März 2004,
– im „Liechtensteiner Volksblatt“ am 18. März 2004,
– im „Liechtensteiner Vaterland“ am 20. März 2004,
sowie über das Generalkonsulat in Genf in den regionalen
Zeitungen
– „Tribune de Genève“ am 19. März 2004 und
– „Walliser Bote“ am 20. März 2004.

Die durch die deutschen Vertretungen in der Schweiz veran-
lassten Veröffentlichungen gingen somit über die gesetz-
lichen Vorgaben des § 19 Abs. 2 EuWO hinaus.
Die Walbekanntmachung sei darüber hinaus seit Anfang
März 2004 in die Homepage der Botschaft Bern (www.deut-
sche-botschaft.ch/de/home/index.html) sowie des General-
konsulats Genf eingestellt und in gedruckter Form in den
Besucherwarteräumen der Botschaft Bern und des General-
konsulats Genf ausgelegt gewesen. Auch über die deutschen
Honorarkonsuln in Zürich, Basel und Lugano sowie über
die Deutsch-Schweizerische Handelskammer Zürich seien
Merkblätter der Botschaft Bern und Anträge auf Eintragung
in dasWählerverzeichnis zu erhalten gewesen. Ein Anspruch
des „Deutschen Vereins für St. Gallen und die Ostschweiz“,
von einer deutschen Auslandsvertretung separat über die be-
vorstehende Wahl informiert zu werden, habe nicht bestan-
den. Zudem habe der Bundeswahlleiter Informationen für
wahlberechtigte Auslandsdeutsche sowie das Antragsformu-
lar im Internet als Download unter www.bundeswahlleiter.de
zur Verfügung gestellt. Die Botschaft habe einen Link auf das
Internetangebot des Bundeswahlleiters und des Auswärtigen
Amts angeboten.
Die Ausübung des Wahlrechts vom Ausland aus sei stärker
von der Eigeninitiative derWähler abhängig. Es sei daher rat-
sam, sich möglichst einige Monate vor der Wahl mit der
nächstgelegenen Auslandsvertretung, in diesem Fall mit der
deutschenBotschaft in Bern, in Verbindung zu setzen und um
Informationen und Übersendung der Anträge auf Eintragung
in das Wählerverzeichnis zu bitten. Die von der Botschaft in
Bern für diesbezügliche Anfragen erstellten Merkblätter lie-
gen dem Wahlprüfungsausschuss vor.
Im Übrigen überrasche die bei jeder Wahl neu vorgetragene
Klage des Einspruchsführers, als in der Schweiz lebender
deutscher Staatsangehöriger durch die als mangelhaft emp-
fundene Informationsarbeit der deutschen Auslandsvertre-
tungen in der Schweiz nicht rechtzeitig von den bevorstehen-
den Wahlen erfahren zu haben. Der Einspruchsführer lebe in
einemNachbarstaat der BundesrepublikDeutschland, in dem
alle technischen Möglichkeiten gegeben seien, terrestrisch
und über Kabel deutsche Radio- und Fernsehprogramme zu
empfangen. Zudem hätten auch die Schweizer Medien aus-
führlich imVorfeld derWahlen zumEuropäischen Parlament
berichtet. Davon, dass den in der Schweiz lebenden deut-
schen Staatsangehörigen allgemein bzw. demEinspruchsfüh-
rer imBesonderen durch eine deutscheAuslandsvertretung in
der Schweiz das Wahlrecht vorenthalten werde, könne keine
Rede sein.
Dem Einspruchsführer dürften die Modalitäten der Wahl-
rechtsausübung, insbesondere auch das Erfordernis der vor-
herigen Eintragung in das Wählerverzeichnis auf Antrag,
durch seine bisherige intensive Beschäftigung mit dem deut-
schen Wahlrecht zur Genüge bekannt sein. Es könne auch
davon ausgegangen werden, dass dem Einspruchsführer be-
kannt gewesen sei, dass die Wahl der deutschen Abgeordne-
ten zum Europäischen Parlament alle fünf Jahre stattfinde.
Selbst wenn man unterstelle, dass der Einspruchsführer we-
der aus den deutschen oder Schweizer Medien noch durch
Bekannte oder aus sonstigenQuellen von der bevorstehenden
Wahl erfahren habe, sollte er – so das Auswärtige Amt – als
Vorsitzender eines Deutschen Vereines in der Ostschweiz
organisatorisch in der Lage sein, sich rechtzeitig aus eigener

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 37 – Drucksache 15/4750

Initiative bei der nächstgelegenen deutschen Auslandsvertre-
tung nach den bevorstehenden Wahlen zu erkundigen.
Angesichts dieserÜberlegungen hätte es demEinspruchsfüh-
rer gelingenmüssen, rechtzeitig einen Antrag auf Eintragung
in das Wählerverzeichnis zu stellen. Nach Einschätzung des
Auswärtigen Amts gehe aus dem vom Einspruchsführer vor-
gelegten Schreiben der Stadt Ulm vom 9. Juni 2004 keines-
wegs hervor, dass die Auslandsvertretungen in der Schweiz
ihn nicht rechtzeitig über sein Wahlrecht in Kenntnis gesetzt
hätten. Das Auswärtige Amt habe – wie bereits dargelegt –
dem Einspruchsführer über den Rahmen des gesetzlich Er-
forderlichen hinaus Gelegenheit gegeben, von seinemWahl-
recht rechtzeitig Kenntnis zu nehmen, weshalb auch die dies-
bezüglichen Vorwürfe des Einspruchsführers unzutreffend
seien.
Die Stellungnahme ist dem Einspruchsführer bekannt gege-
benworden. Er hat sich hierzumit Schreiben vom 28. August
2004, 10. Oktober 2004 und 18. Dezember 2004wie folgt ge-
äußert:
Er bekräftigt seine Behauptung, dass die in der Schweiz ver-
anlassten Veröffentlichungen der deutschen Botschaft die
deutschen Bürger nicht in ausreichendemMaße erreicht hät-
ten. Die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Zürcher Sonntags-
zeitung“ seien nach Auffassung des Einspruchsführers in der
Ostschweiz keine überregionalenZeitungen.DieLeser dieser
Zeitungen, u. a. imTessin lebendeDeutsche, gäben sich nicht
als Deutsche zu erkennen. Die deutsche Botschaft kümmere
sich um diese Deutschen, während dies bei den „normalen
Deutschen“ nicht der Fall sei. Die Veröffentlichung in der
„Tessiner Zeitung“ sei somit eine „Alibi-Übung“ gewesen.
Die doppelte Veröffentlichung in Liechtenstein sei ein „glat-
terAffront“ gegendie in derOstschweiz lebendenDeutschen,
da in Liechtenstein nur wenige Deutsche wohnhaft seien. Die
deutschen Bürger, die in Genf wohnhaft seien, läsen bevor-
zugt die „Neue Zürcher Zeitung“ und die „Zürcher Sonntags-
zeitung“ und nicht die Zeitung „Tribune deGenève“. ImKan-
ton Wallis lebten nur sehr wenige deutsche Staatsbürger, so
dass die Bekanntmachung im „Walliser Boten“ nicht sinnvoll
gewesen sei.
Es möge zutreffen, dass die Fragen hinsichtlich der Informa-
tionen zur Teilnahme an der Wahl zu sehr an den Informati-
onen gemessen worden seien, die er von anderen Ausländer-
vereinen erhalten habe. Andererseits erscheine es so, dass die
Richtlinien anderer Staaten ihren Wahlberechtigten mehr
Rechte und Möglichkeiten gäben, als es bei der Bundesrepu-
blik Deutschland der Fall sei. Nach Auffassung des Ein-
spruchsführers schade es den deutschen Auslandsvertretun-
gen nicht, wenn sie sich besonders bei Wahlen für die Deut-
schen im Ausland einsetzten. Hierzu gehöre auch die Infor-
mation des bereits erwähnten Deutschen Vereins.
Das Grundgesetz bestimme an keiner Stelle, dass die Aus-
übung des Wahlrechts von im Ausland lebenden Deutschen
stärker von der Eigeninitiative abhängig sei. Die Einführung
einer solchen Voraussetzung komme einer „Wahlrechtsver-
hinderung“ gleich. Die Informationsarbeit der deutschen
Auslandvertretungen in der Schweiz sei seiner Ansicht nach
insgesamt „mangelhaft bis ungenügend“.
Hinsichtlich des Datenschutzes spreche nichts dagegen, die
in der Schweiz lebenden Deutschen zu erfassen, da sich jeder
Deutschemindestens einmal in zehn Jahren bei der Botschaft

melden müsse. Allerdings würden dann auch jene Deutschen
erfasst, die sich aus finanziellen Gründen in die Schweiz zu-
rückgezogen hätten. Der Einspruchsführer vermutet, dass
dies der eigentliche Grund dafür sein könnte, dass von einer
Erfassung der Deutschen abgesehen werde.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers und zu den von
ihm vorgelegten Unterlagen, die sich hauptsächlich auf die
Arbeit des „Deutschen Vereins für St. Gallen und die Ost-
schweiz“ beziehen, wird auf den Inhalt der Akten Bezug ge-
nommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Zu Unrecht bean-
standet der Einspruchsführer, er und andere in derOstschweiz
lebende Deutsche seien nicht hinreichend über die Europa-
wahl 2004 informiert worden. Die Rechtslage hat sich inso-
weit gegenüber den vorangegangenen Wahlen (Europawahl
1999 sowie Bundestagswahlen 1998 und 2002) nicht geän-
dert. Dem Einspruchsführer ist aus den Entscheidungen über
seine früheren Wahleinsprüche bekannt, dass die außerhalb
der Bundesrepublik Deutschland lebenden Deutschen zur
Wahrnehmung ihres Wahlrechts selbst aktiv werden müssen.
Nach§ 15Abs. 2Nr. 2EuWOmüssen die in den übrigenMit-
gliedstaaten des Europarates lebenden Deutschen einen An-
trag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis stellen, um ihr
Wahlrecht ausüben zu können. Dieser Antrag ist innerhalb
der Frist des § 17 Abs. 1 Satz 1 EuWO – also bis spätestens
zum 21. Tag vor derWahl (23.Mai 2004) – bei der Gemeinde
in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen, in der der
Wahlberechtigte nach seiner Erklärung vor seinem Fortzug
aus dem Wahlgebiet zuletzt gemeldet war (§ 16 Abs. 2 Nr. 4
EuWO). Wie dem Einspruchsführer von der Stadt Ulm mit-
geteilt wurde, hat er diese Antragsfrist versäumt.
Die deutsche Botschaft und das Generalkonsulat in Genf ha-
ben ihre Verpflichtung zur Bekanntmachung der Europawahl
erfüllt. Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 EuWO ist die Bekanntma-
chung über die Wahl von den Botschaften durch mindestens
eine deutschsprachige Anzeige in jeweils einer überregiona-
len Tages- und Wochenzeitung, von den Berufskonsulaten
durch mindestens eine deutschsprachige Anzeige in einer re-
gionalen Tageszeitung vorzunehmen. Vom Einspruchsführer
wird nicht in Abrede gestellt, dass die Bekanntmachung in
drei überregionalen und zwei regionalen Schweizer Zeitun-
gen, wie in der Stellungnahme des Auswärtigen Amts darge-
legt, stattgefunden hat. Hierbei ist die Frage, ob eine Zeitung
als überregional anzusehen ist, nicht – wie der Einspruchs-
führer meint – nach dem subjektiven Empfinden eines be-
stimmten Leserkreises, etwa den Leserinnen und Lesern in
der Ostschweiz, zu beurteilen, sondern nach der allgemeinen
Verkehrsauffassung. Insoweit ist der Einwand des Ein-
spruchsführers unbeachtlich, die „Neue Zürcher Zeitung“

Drucksache 15/4750 – 38 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

und die „Zürcher Sonntagszeitung“ seien in der Ostschweiz
nicht als überregionale Zeitungen anzusehen. Soweit der Ein-
spruchsführer geltend macht, die Bekanntmachungen hätten
die in der Ostschweiz lebenden Deutschen nicht in ausrei-
chendem Maße erreicht, so bedarf dies keiner Überprüfung
im Wahlprüfungsverfahren. Die Verpflichtungen aus § 19
Abs. 2 Satz 2 EuWO sind bereits mit der Veröffentlichung in
den entsprechenden Zeitungen erfüllt. Auf die vom Ein-
spruchsführer aufgeworfeneFrage,wie vielewahlberechtigte
Deutsche diese Anzeigen gelesen haben, kommt es hierbei
nicht an.
Soweit der Einspruchsführer einwendet, die den im Ausland
lebenden deutschen Wahlberechtigten durch § 15 Abs. 2
Nr. 2 EuWO auferlegte Obliegenheit zurMitwirkung sei ver-
fassungswidrig, so liegt ein Wahlfehler ebenfalls nicht vor.
Der Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss
sehen sich nach ständiger Praxis nicht dazu berufen, die
Verfassungswidrigkeit von Rechtsvorschriften festzustellen.
Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfassungsgericht vor-
behalten worden. Unabhängig hiervon halten der Deutsche
Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss die vom Ein-
spruchsführer beanstandete Obliegenheit zur Mitwirkung für
verfassungsgemäß. Eine Eintragung in das Wählerverzeich-
nis von Amts wegen knüpft nach § 15 Abs. 1 EuWO an eine
Meldung bei der Meldebehörde an. Da im Ausland lebende
Deutsche nicht in Melderegistern verzeichnet sind, ist es
sachgerecht und nichtwillkürlich, von diesenWahlberechtig-
ten die Stellung eines Antrags auf Eintragung in das Wähler-
verzeichnis zu verlangen.
Soweit der Einspruchsführer in diesem Zusammenhang vor-
schlägt, künftig die in der Schweiz lebenden Deutschen zum
Zwecke der Wahrnehmung ihres Wahlrechts zu erfassen, so
bedarf dieser Vorschlag keiner Behandlung im Wahlprü-
fungsverfahren. Die Wahlprüfung ist nämlich allein auf die
FeststellungvonWahlfehlern und derenRelevanz für dieVer-
teilung der Mandate bei der Europawahl 2004 beschränkt.
Schließlich ist bezüglich derBitte desEinspruchsführers, ihm
die Beibringung von 100 Unterschriften für eine eventuelle
Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht
zu erlassen, darauf hinzuweisen, dass keine Möglichkeit be-
steht, die zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen für eine
Wahlprüfungsbeschwerde (§ 26Abs. 3 EuWG, § 48Bundes-
verfassungsgerichtsgesetz) im Einzelfall zu ändern.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 39 – Drucksache 15/4750

Anlage 9

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn T. M.-F., 76646 Bruchsal

– Az.: EuWP 02/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 14. und 23. Juni 2004, die beim Deut-
schen Bundestag am 16. und 28. Juni 2004 eingegangen sind,
hat der Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der
Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundes-
republik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt.
Der Einspruchsführer beanstandet,
– dass das Wahlergebnis in den Niederlanden vorzeitig be-

kannt gegeben und damit das Wahlverhalten in der Bun-
desrepublik Deutschland beeinflusst worden sei (1),

– dass die Wahllokale in der Bundesrepublik Deutschland
bereits um 18 Uhr geschlossen worden seien (2),

– dass die Fünf-Prozent-Sperrklausel in derBundesrepublik
Deutschland gegen dieWahlrechtsgleichheit verstoße (3),

– dass in Baden-Württemberg Stimmzettel für die Europa-
wahl als gültig gewertet worden seien, die in einen Wahl-
umschlag für die gleichzeitig durchgeführte Kommunal-
wahl gelegt worden seien (4),

– dass der Antrag auf Briefwahl (Wahlscheinantrag) auf der
Rückseite der Wahlbenachrichtigung den Fall der Inhaf-
tierung bei der Versicherung an Eides statt nicht enthalte
(5) und

– dass die Strafgefangenen in der Bundesrepublik Deutsch-
land generell bei der Ausübung des Wahlrechts nicht aus-
reichend informiert und unterstützt worden seien (6).

(1) Zu seiner Beanstandung einer vorzeitigen Veröffentli-
chung des Wahlergebnisses in den Niederlanden führt der
Einspruchsführer aus, die Radio- und Fernsehsender der öf-
fentlich-rechtlichenRundfunkanstalten hätten am12. und 13.
Juni 2004 ausführlich über die Wahlergebnisse der Europa-
wahl in den Niederlanden berichtet. Die dortigen Behörden
hätten unterVerstoß gegenAuflagen der EU-Kommission die
Wahlergebnisse der in den Niederlanden am 10. Juni 2004
durchgeführtenEuropawahlen bekannt gegeben, obwohl dies
erst am 13. Juni 2004 ab 22 Uhr statthaft gewesen wäre. Es
liege nahe, dass sich dieWählerinnen undWähler in der Bun-
desrepublik Deutschland von der Berichterstattung in ARD
und ZDF sowie in den Radiosendern der ARD hätten wahl-
entscheidend beeinflussen lassen.

Das Bundesministerium des Innern hat hierzu wie folgt Stel-
lung genommen:
Die sechste Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments habe im Zeitraum vom 10. bis 13. Juni 2004 statt-
gefunden. Nach Artikel 10 Abs. 2 des Aktes zur Einführung
allgemeinerWahlen derAbgeordneten desEuropäischenPar-
laments (Direktwahlakt – BGBl 1977 II S. 733/734, BGBl.
2003 II S. 810, BGBl. 2004 II S. 520) dürfe einMitgliedstaat
das ihn betreffende Wahlergebnis erst bekannt geben, wenn
dieWahl in demMitgliedstaat, dessenWähler als letzte wäh-
len, abgeschlossen sei. Nach Mitteilung der Europäischen
Kommission hätten die zuletzt wählenden Mitgliedstaaten
am 13. Juni 2004 das Wahlende auf 22 Uhr festgelegt. Die
niederländischenWähler hätten bereits am 10. Juni 2004 ihre
Stimme abgegeben. Nach Mitteilung des niederländischen
Innenministeriums vom 19. Juli 2004 habe der Wahlrat der
Niederlande in öffentlicher Sitzung am15. Juni 2004 das amt-
liche Ergebnis für die Niederlande festgestellt und bekannt
gegeben. Die Medienberichterstattung habe auf nicht amtli-
chen lokalen Einzelergebnissen beruht. Das niederländische
Ergebnis sei somit in Übereinstimmung mit den Bestimmun-
gen desDirektwahlakts nach demEnde derWahl in allenMit-
gliedstaaten bekannt gegeben worden. Bei den in der Medi-
enberichterstattung dargestellten angeblichen „Auflagen der
Kommission“ habe es sich um eineAuslegung vonArtikel 10
Abs. 2 des Direktwahlakts durch die Europäische Kommis-
sion gehandelt, die nicht mit dem Rechtsverständnis aller
Mitgliedstaaten übereinstimme. In einem Schreiben von
Anfang Juni 2004 habe die Kommission gegenüber den Mit-
gliedstaatendieAuffassungvertreten, dass dieWahlbehörden
der Mitgliedstaaten nicht nur das Ergebnis des jeweiligen
Mitgliedstaates, wie es Artikel 10 Abs. 2 des Direktwahlakts
vorschreibe, sondern darüber hinaus auch einzelne lokale
Teil- und Zwischenergebnisse nicht vor dem Ende der Wahl-
zeit in allen Mitgliedstaaten bekannt geben dürften. Die nie-
derländische Regierung sowie Regierungen anderer Mit-
gliedstaaten teilten diese Auffassung nicht.
Inwieweit eine Wahlbeeinflussung der Wählerinnen und
Wähler in Deutschland erfolgt sein solle, sei nicht erkennbar.
Es sei zu bezweifeln, dass infolge der Medienberichterstat-
tung eineWahlbeeinflussung erfolgt sei. Denn in den 25Mit-

Drucksache 15/4750 – 40 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

gliedstaaten der EuropäischenUnion stellten sich keine trans-
nationalen europäischen politischen Parteien, sondern – je-
denfalls derzeit noch – nationale Parteien mit überwiegend
nationalen Wahlbewerbern zur Wahl der jeweils nationalen
Abgeordneten. Die Parteienlandschaft sei zudem in den ver-
schiedenen Mitgliedstaaten nicht bzw. wenig vergleichbar.
Das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler orientiere
sich daher in erster Linie an der nationalen Parteienland-
schaft.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich zu diesem Punkt nicht mehr geäu-
ßert.
(2) Zur Frage der Schließung der Wahllokale führt der Ein-
spruchsführer aus, dass inDeutschlanddieWahllokale bereits
um 18 Uhr geschlossen hätten, während in anderen EU-Staa-
ten die Bürgerinnen undBürger an bis zu zwei Tagen bzw. zu-
mindest bis 21 Uhr oder 22 Uhr hätten wählen dürfen. Milli-
onen vonWählerinnen undWählern seien auf dieseWeise ih-
resWahlrechts „beraubt“ worden. Diese Benachteiligung der
Wählerinnen und Wähler in Deutschland habe das Wahl-
ergebnis beeinflusst. Es stehe nicht im Belieben des Gesetz-
gebers, die Wahlzeit schon um 18 Uhr enden zu lassen, wenn
das Europaparlament eine Wahlzeit bis 21 Uhr vorsehe.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Der Rat der Europäischen Union habe den Zeitraum der Eu-
ropawahl vom 10. bis 13. Juni 2004 aufgrund von Artikel 10
Abs. 1 des Direktwahlakts unter Berücksichtigung der fünf-
jährigen Wahlperiode festgelegt. An einer einheitlichen und
verbindlichen europarechtlichen Regelung zur Wahlzeit für
die Wahlen zum Europäischen Parlament fehle es bislang.
Der genaue Termin und der zeitliche Rahmen derWahl in den
jeweiligen Mitgliedstaaten würden von diesen unter Beach-
tung der individuellen nationalen Wahlgepflogenheiten be-
stimmt. In der Bundesrepublik Deutschland sei die Wahl auf
Anordnung der Bundesregierung am Sonntag, dem 13. Juni
2004, durchgeführt worden. Infolge einer Neufassung des
Artikels 10 Abs. 1 Direktwahlakt (BGBl. 2003 II S. 810, in
Kraft getreten am 1. April 2004) und einer dadurch ermög-
lichten Änderung des § 40 Abs. 1 Europawahlordnung
(EuWO) sei das Ende der Wahlzeit in der Bundesrepublik
Deutschland für die Europawahl am 13. Juni 2004 – entspre-
chendder inDeutschlandüblichenWahlzeit – auf 18Uhr fest-
gelegt worden. Diese Änderung sei vom Bundeswahlleiter
öffentlich bekannt gegeben, in einer Pressemitteilung vom
3. Mai 2004 veröffentlicht und auf denWahlbenachrichtigun-
gen angegeben worden. Auch die Medien hätten über das
Ende der Wahlzeit informiert.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich zu diesem Punkt nicht geäußert.
(3) Zur Fünf-Prozent-Sperrklausel trägt der Einspruchsführer
vor, dass diese gegen die Wahlrechtsgleichheit verstoße und
undemokratisch sei. Während es in anderen Staaten der Eu-
ropäischen Union eine Fünf-Prozent-Klausel nicht gebe,
würden in Deutschland Millionen von Wählerinnen und
Wählern hierdurch daran gehindert, an der Wahl zum Euro-
päischen Parlament mitzuwirken. Die etablierten Parteien
hätten auf diese Weise bewusst und gezielt verhindert, dass
kleinere Gruppierungen in das Europaparlament hätten ein-
ziehen können.

Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Artikel 3Direktwahlakt erlaube es denMitgliedstaaten expli-
zit, prozentuale Mindestschwellen für den Einzug ins Euro-
päische Parlament festzulegen, die jedoch landesweit nicht
mehr als 5 Prozent der abgegebenen Stimmen betragen
dürften.NebenDeutschland enthielten auch dieWahlsysteme
anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Frank-
reich, Litauen, Polen, die Slowakei, die Tschechische Repu-
blik und Ungarn für die Wahl der Abgeordneten des Euro-
päischen Parlaments eine Sperrklausel von 5 Prozent. In
Österreich und Schweden gelte für die Europawahl eineVier-
Prozent-Hürde und in Griechenland eine Sperrklausel von
3 Prozent.
Das Bundesverfassungsgericht habe die Fünf-Prozent-Sperr-
klausel gemäß § 2Abs. 6 Europawahlgesetz (EuWG) als ver-
fassungskonform angesehen, weil sie an dem durch beson-
dere, zwingende Gründe gerechtfertigten Ziel, einer über-
mäßigen Parteienzersplitterung im Europäischen Parlament
entgegenzuwirken, orientiert sei und das Maß des zur
Erreichung dieses Ziels Erforderlichen nicht überschreite
(BVerfGE 51, 222/233). Der Gleichheitssatz fordere nicht,
dass der Gesetzgeber die Einzelnen und ihre relevanten ge-
sellschaftlichen Gruppen unbedingt gleichmäßig behandele;
er lasse Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägun-
gen gerechtfertigt seien. Ob und in welchem Ausmaß der
Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem
Gesetzgeber Differenzierungen erlaube, richte sich nach der
Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs (BVerfGE
6, 84/91 und BVerfGE 11, 266/272). Aus den Grundsätzen
der formalen Gleichheit und der Chancengleichheit der poli-
tischen Parteien und Wählergruppen folge mithin, dass dem
Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts zu politischen
Körperschaften nur ein eng bemessener Spielraum für Diffe-
renzierungen verbleibe. In diesem Bereich bedürften Diffe-
renzierungen stets eines besonderen, rechtfertigenden, zwin-
genden Grundes (BVerfGE 1, 208/249 und 255; ständige
Rechtsprechung).
Die Verhältniswahl begünstige das Aufkommen kleiner Par-
teien und Wählervereinigungen. Daraus könnten sich ernst-
hafte Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit der zu
wählenden Volksvertretung ergeben. Eine Wahl habe nicht
nur das Ziel, eine Volksvertretung zu schaffen, die ein Spie-
gelbild der in derWählerschaft vorhandenen politischenMei-
nungen darstelle, sondern sie solle auch ein funktionsfähiges
Organ hervorbringen.Würde der Grundsatz der getreuenAb-
bildung der politischen Meinungsschichtung in der Wähler-
schaft bis zur letztenKonsequenz durchgeführt, so könnte das
nachAuffassung desBundeswahlleiters eineAufspaltung der
Volksvertretung in viele kleine Gruppen zur Folge haben, die
die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde.
Der unbegrenzte Proporz würde es erleichtern, dass auch sol-
che kleinen Gruppen eine Vertretung erlangten, die nicht ein
am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm, sondern
im Wesentlichen nur einseitige Interessen verträten. Klare
und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl bewusste
Mehrheiten in einer Volksvertretung seien aber für eine Be-
wältigung der ihr gestellten Aufgaben unentbehrlich. Des-
halb dürfe derGesetzgeberDifferenzierungen imErfolgswert
der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen, soweit dies
zur Sicherung des Charakters derWahl als eines Integrations-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 41 – Drucksache 15/4750

vorganges bei der politischenWillensbildung im Interesse der
Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung
der mit der Wahl verfolgten Ziele unbedingt erforderlich sei
(BVerfGE 51, 222/236). Unter diesem Blickpunkt habe das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das
Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung und die Gebote des grundsätzlich gleichen Erfolgs-
wertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWettbewerbs-
chancen der politischen Parteien und Wählervereinigungen
im Rahmen der Verhältniswahl gegeneinander abgewogen.
Was in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen als
zwingender Grund für eine begrenzte Differenzierung anzu-
erkennen sei, variiere von Bereich zu Bereich und bestimme
sich vor allem nach dem Aufgabenkreis der zu wählenden
Volksvertretung (BVerfGE51, 222/236 und 236 f.). Die Fünf-
Prozent-Sperrklausel beziehe sich hier auf die Wahlen zu
einem supranationalen Organ, dem Europäischen Parlament.
Der dem Europäischen Parlament im Verfassungsgefüge der
Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Aufgabenkreis
und die ihm auf demWege zu „einem immer engeren Zusam-
menschluss der europäischen Völker“ zugedachte Rolle er-
forderten ein handlungsfähiges Organ. Das Europäische Par-
lament könne die ihm gestellten Aufgaben nur dann wirksam
bewältigen, wenn es durch eine, den vielschichtigen Spezial-
materien angemessene, interne Arbeitsteilung allen seinen
Mitgliedern die notwendige Sachkenntnis verschaffe und zu
einer überzeugenden Mehrheitsbildung in der Lage sei. Bei-
des könne gefährdet werden, wenn die durch die große Zahl
der Mitgliedstaaten ohnehin nicht vermeidbare Aufgliede-
rung des Parlaments in viele Gruppen ein Ausmaß annehme,
das dessen Funktionsfähigkeit ernsthaft in Frage stelle. Dies
sei ein zwingender Grund, der Vorkehrungen gegen eine
übermäßige Parteienzersplitterung zu rechtfertigen vermöge
(BVerfGE 51, 222/246 f.).
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten
Parlaments wie des Europäischen Parlaments hänge in noch
stärkeremMaße als bei einem nationalen Parlament von dem
Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielset-
zungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab. Schon
unter diesem Blickpunkt erwiesen sich Vorkehrungen, die
wie die in das Europawahlgesetz aufgenommene Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel darauf abzielten, den Einzug einer Gruppe
von weniger als fünf Abgeordneten in das Parlament zu ver-
hindern, als sachlich gerechtfertigt und zur Gewährleistung
der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zwin-
gend geboten. Eine solch kleine Gruppe wäre – so der Bun-
deswahlleiter – kaum in der Lage, die zahlreichen Maßnah-
men der Europäischen Gemeinschaften in ihrem vielschich-
tigen und weiträumigen Tätigkeitsbereich zu verfolgen und
kritisch zu beurteilen; sie wäre damit außerstande, in einer
dem Ineinandergreifen der vielfältigen Aktivitäten gerecht
werdendenWeise ihren Teil zur Kontrolle eines so hoch qua-
lifizierten und großen bürokratischen Apparates wie der
Kommission beizutragen. Eine solche Kontrolle sei wirksam
nur möglich, wenn sie arbeitsteilig erfolge und eine größere
Organisation den einzelnen Abgeordneten unterstütze. Ent-
sprechendes gelte für die Mitwirkung des Europäischen Par-
laments im Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschie-
dung des Haushalts (BVerfGE 51, 222/247).
Dem Europäischen Parlament komme ferner für die weitere
Integration der durch die Europäischen Gemeinschaften ver-

bundenen Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu.
Demgerecht zuwerden, sei nur einParlament in derLage, das
zu einer überzeugenden Mehrheitsbildung und damit zu
einem möglichst geschlossenen Auftreten fähig sei.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich zu diesem Punkt nicht geäußert.
(4)Der viertenBeanstandungdesEinspruchsführers liegt fol-
gender Sachverhalt zugrunde:
In Baden-Württemberg wurde die Europawahl am 13. Juni
2004 zeitgleichmit der dortigenKommunalwahl (Wahlen des
Gemeinderats, des Kreistags, des Ortschaftsrats und des Be-
zirksbeirats) sowie mit der Wahl der Regionalversammlung
desVerbandsRegionStuttgart durchgeführt.Währendbei der
Europawahl die zusammengefalteten Stimmzettel ohneWah-
lumschlag in die Wahlurne zu werfen waren, waren bei der
Kommunalwahl (und bei der Wahl der Regionalversamm-
lung) in Baden-Württemberg für die Stimmzettel Wahlum-
schläge vorgeschrieben. Bei der Auszählung der Kommunal-
wahl wurde festgestellt, dass Stimmzettel für die Europawahl
in Umschlägen der Kommunalwahl steckten. Für diese Fall-
gestaltung stellte sich die Frage, ob solche Stimmzettel für die
Europawahl als gültig oder als ungültig zu zählen waren.
Der Einspruchsführer vertritt die Auffassung, die – wie nach-
folgend noch dargestellt wird – zunächst als ungültig gewer-
teten Stimmen hätten nicht als gültig behandelt werden dür-
fen. Die Wählerinnen und Wähler seien in angemessener
Form darüber aufgeklärt worden, welche Stimmzettel in ei-
nenWahlumschlag zu legenwaren undwelche nicht. Sei dies
nicht beachtet worden, so müsse eine solche Unaufmerksam-
keit zu Lasten der Wählerinnen und Wähler gehen. Es stelle
einen gravierendenWahlfehler dar, diese Stimmen nachträg-
lich als gültig zu bewerten.
Hierzu haben die Landeswahlleiterin des Landes Baden-
Württemberg und der Bundeswahlleiter Stellung genommen.
DieLandeswahlleiterin hat in ihrer StellungnahmeFolgendes
ausgeführt:
In Ziffer 18.5 der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des
Innenministeriums und der Landeswahlleiterin zur Vorberei-
tung und Durchführung der Kommunalwahlen und der Euro-
pawahl vom 7. April 2004 (GABl. Baden-Württemberg,
S. 338) sei bestimmt gewesen, dass bei Stimmzetteln für die
Europawahl, die gemeinsam mit den Stimmzetteln für die
Kommunalwahlen in Umschläge für die Kommunalwahlen
gelegt worden seien, eine ungültige Stimmabgabe (nicht un-
gültige Stimme) vorliege. Wegen der Verwechslungsgefahr
sei denGemeinden imVorfeld derWahlenmit Schreiben vom
19. Mai 2004 empfohlen worden, über die gesetzlich vorge-
sehene Information der Bürger hinaus die Wählerinnen und
Wähler bei der Aushändigung des amtlichen Stimmzettels in
geeigneter Weise darauf hinzuweisen (z. B. durch Plakate
oder mündlich durch ein Mitglied des Wahlvorstands), dass
der gekennzeichnete Stimmzettel für die Europawahl nicht in
einen Wahlumschlag für die Kommunalwahlen zu stecken
sei, sondern dass dieser gefaltet in die Wahlurne zu werfen
sei. Zudem sei empfohlen worden, dass seitens des Wahlvor-
stands darauf auch geachtet werde, bevor der Wahlvorsteher
die für die Europawahl vorgesehene Wahlurne freigebe und
der Schriftführer die Stimmabgabe im Wählerverzeichnis
vermerke. Dieser Empfehlung seien die Wahlvorstände weit
überwiegend vorbildlich nachgekommen.

Drucksache 15/4750 – 42 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Bundeswahlleiter habe noch in derWahlnacht darum ge-
beten, die Stimmzettel der Europawahl, die in einenWahlum-
schlag gesteckt worden seien, so auszusondern und zu ver-
wahren, dass sie einer späteren Einbeziehung in das Ergebnis
der Europawahl zugänglich gemacht werden könnten. Dieser
Bitte habe die Landeswahlleiterinmit Schreiben an dieKreis-
wahlleiter vom 14. Juni 2004 entsprochen. Am 16. Juni 2004
sei die Landeswahlleiterin durch den Bundeswahlleiter dar-
über unterrichtet worden, dass er Stimmabgaben für die Eu-
ropawahl bei der Urnenwahl nicht deshalb als ungültig be-
werte, weil der Stimmzettel vom Wähler in einen Wahlum-
schlag für die Kommunalwahlen gesteckt worden sei. Sofern
sich die Landeswahlleiterin seinerAuffassung nicht anschlie-
ßen könne, sei sie um Ermittlung der betreffenden Fälle ge-
betenworden, damit diese demBundeswahlausschuss vorge-
tragen werden könnten.
Am 17. Juni 2004 seien die Kreiswahlleiter gebeten worden,
die ausgesonderten und ihnen übermittelten Stimmzettel in
die Beschlussfassung der Kreiswahlausschüsse einzubezie-
hen. Mit Schreiben vom 22. Juni 2004 seien die Kreiswahl-
leiter um eine erneute Einberufung der Kreiswahlausschüsse
gebetenworden, umalle betreffendenStimmzettel, die inzwi-
schen aufgefunden worden seien, in dasWahlergebnis einzu-
beziehen.
In den 44 Stadt- und Landkreisen in Baden-Württemberg hät-
ten insgesamt 80 Sitzungen der Kreiswahlausschüsse zur
Feststellung der endgültigen Wahlergebnisse stattgefunden.
In diesenErgebnissen seien insgesamt 3 531Stimmzettel ent-
halten, die in einemWahlumschlag für die Kommunalwahlen
in die Wahlurne geworfen worden seien. Davon seien 2 545
Stimmzettel von denKreiswahlausschüssen als gültig bewer-
tet worden. 986 Stimmzettel seien aus anderen Gründen als
ungültig zu bewerten gewesen, weil sie beispielsweise durch-
gestrichen, ohne Kennzeichnung oder mit einer Beleidigung
versehen abgegeben worden seien. Von 33 weiteren Stimm-
zetteln, die nicht in die Beschlussfassung der Kreiswahllaus-
schüsse einbezogen worden seien, seien 27 ebenfalls ungül-
tig. Die verbleibenden sechs gültigen Stimmzettel hätten zum
Zeitpunkt der Beschlussfassung des betreffenden Kreiswahl-
ausschusses noch nicht vorgelegen. Der Landeswahlaus-
schuss habe in seiner Sitzung am 2. Juli 2004 von der Einbe-
ziehung der 3 531 Stimmzettel Kenntnis genommen. Der
Bundeswahlausschuss habe sich in seiner Sitzung am 6. Juli
2004 für die Einbeziehung dieser Stimmzettel in das amtliche
Endergebnis für das Wahlgebiet ausgesprochen.
Die Niederschriften über die Sitzung des Landeswahlaus-
schusses am 2. Juli 2004 und des Bundeswahlausschusses am
6. Juli 2004 liegen demWahlprüfungsausschuss vor. Auf die
dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.
Die Landeswahlleiterin erklärt weiterhin in ihrer Stellung-
nahme, sie teile nicht die Auffassung des Bundeswahlleiters.
Nach § 16 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 49 Abs. 2 bis 4 EuWO
habe der Wähler bei der Urnenwahl seine Stimme auf dem
amtlichen Stimmzettel in derWeise abzugeben, dass er in der
Wahlzelle auf diesem kenntlich mache, welchem Wahlvor-
schlag seine Stimme gelten solle. Daraufhin habe er den
Stimmzettel so zu falten, dass seine Stimmabgabe nicht er-
kennbar sei und nach Abgabe seiner Wahlbenachrichtigung,
ggf. nach weiterer Ausweisung über seine Person, der Fest-
stellung seinerWahlberechtigung durch den Schriftführer des
Wahlvorstandes und – wenn kein Anlass zur Zurückweisung

desWählers nach § 49Abs. 6 EuWObestehe – nach Freigabe
der Wahlurne durch den Wahlvorsteher den gefalteten
Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Im Anschluss an die
Wahlhandlung habe der Schriftführer die Stimmabgabe im
Wählerverzeichnis zu vermerken. Nach Wegfall der amtli-
chen Wahlumschläge für die Urnenwahl durch Artikel 1 des
Gesetzes vom 15. August 2003 (BGBl. I S. 1655) und Arti-
kel 1 der Vierten Verordnung zur Änderung der Europawahl-
ordnung vom 12. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2551) sei der
Wähler nicht berechtigt, seinen Stimmzettel in einen Wahl-
umschlag für eine andere Wahl oder in einen sonstigen Um-
schlag zu stecken und in dieWahlurne zu werfen. Eine solche
Berechtigung ergebe sich auch nicht deshalb, weil wegen der
gleichzeitig durchgeführten Kommunalwahlen, bei denen
mitWahlumschlägen gewählt werde, eine erhöhte Verwechs-
lungsgefahr gegeben gewesen sei. Der erhöhten Verwechs-
lungsgefahr sei durch eine erhöhte Sorgfalt auf Seiten der
Wähler und der Wahlorganisation zu begegnen. Entspre-
chende Vorkehrungen seitens der Wahlorganisation seien bei
der Europawahl getroffen worden.
Ein Wähler, der trotz dieser Hinweise und Informationen
gleichwohl mit Wahlumschlag gewählt habe, habe nicht da-
von ausgehen können, dass er seine Stimme ordnungsgemäß
abgegeben habe. Er habe durch sein Verhalten vielmehr dazu
beigetragen, dass die nach § 49 Abs. 6 Nr. 6 EuWO an sich
gebotene Zurückweisung durch denWahlvorstand – Einwurf
des Stimmzettels mit einem weiteren Gegenstand in die
Wahlurne – gar nicht habe erfolgen können, weil er seine
Stimme für die Europawahl für denWahlvorstand unerkenn-
bar, d. h. versteckt, abgegeben habe. Eine solche im Wider-
spruch zu § 16 Abs. 2 Satz 2 EuWG i. V. m. § 49 Abs. 4
Satz 2 EuWO stehende Wahlhandlung sei deshalb als eine
fehlgeschlagene und damit nicht gültige Stimmabgabe im
Sinne eines materiellen Ungültigkeitsgrundes zu qualifizie-
ren. Die gegenteilige Rechtsauffassung führe im Ergebnis
dazu, die Einhaltung der vomGesetzgeber ausnahmslos fest-
gelegten Stimmabgabe – so unter anderembei derUrnenwahl
ohneWahlumschlag zuwählen – in das Belieben desWählers
zu stellen und die Verpflichtung des Wahlvorstandes auf Zu-
rückweisung eines Wählers, der seinen Stimmzettel in einen
Wahlumschlag gesteckt habe, zu unterlaufen. Dies habe auch
praktische Bedeutung, da die Stimmabgabe ohne Wahl-
umschlag nicht unumstritten sei, wie die Einsprüche gegen
die Bundestagswahl 2002 gezeigt hätten.
Es sei zwar zutreffend, dass für betreffende Stimmen eine
spezielle Ungültigkeitsregelung in § 4 EuWG i. V. m. § 39
BWG nicht mehr bestehe. Es könne aber nicht davon aus-
gegangen werden, dass der Gesetzgeber mit der Streichung
des Ungültigkeitsgrundes in § 39 Abs. 1 Nr. 1 BWG durch
das Fünfzehnte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgeset-
zes vom 27. April 2001 (BGBl. I S. 698) auch habe zulassen
wollen, dass entgegen der generellen Abschaffung des Wahl-
umschlags bei der Urnenwahl eine Stimmabgabe mit Wahl-
umschlag weiterhin möglich sei. Bei dem vom Gesetzgeber
gestrichenenUngültigkeitsgrundhandele es sich umeineFol-
geänderung. Dass auch weiterhin eine richtige Stimmabgabe
notwendig sei, habe der Gesetzgeber durch Einfügung des
Satzes 3 in Absatz 1 verdeutlicht. Bei der Briefwahl liege
hiernach Ungültigkeit vor, wenn der Stimmzettel nicht in
einem amtlichen Wahlumschlag für die Europawahl abge-
geben worden sei. Dies seien ebenfalls Folgeänderungen ge-
wesen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 43 – Drucksache 15/4750

Es möge zwar zutreffen, dass den Zurückweisungsgründen
des § 49 Abs. 6 EuWO keine identischen Stimmenungültig-
keitsgründe nach § 4 EuWG i. V. m. § 39 Abs. 1 BWG ge-
genüber stünden. Dies könne schon deshalb nicht sein, weil
Stimmen nur dann als ungültig gewertet werden könnten,
wenn sich der Mangel aus dem Stimmzettel selbst ergebe,
weil in aller Regel eine Identifikation des durch die Wahl-
handlung fehlerhaften Stimmzettels gar nicht möglich sei.
Bei der vorliegenden Fallkonstellation liege jedoch bereits
keine wirksame Stimmabgabe vor. Dass auch der Gesetzge-
ber selbst in diesen Fällen von einer fehlgeschlagenen Wahl
oder von einer Nichtwahl ausgehe, ergebe sich auch aus § 49
Abs. 4 Satz 3 EuWO und § 60 ff. EuWO. Da der Wähler für
den Wahlvorstand unerkennbar eine Stimme abzugeben ver-
sucht habe, könne bereits der Schriftführer nach § 49 Abs. 4
Satz 3 EuWO eine Stimmabgabe im Wählerverzeichnis gar
nicht vermerken.
Nach § 60 EuWOhabe derWahlvorstand zudem ohne Unter-
brechung das Wahlergebnis im Wahlbezirk festzustellen und
nach § 61 EuWO die der Wahlurne entnommenen und ent-
falteten Stimmzettel sowie die Stimmabgabevermerke ein-
schließlich der eingenommenen Wahlscheine jeweils zu
zählen und abzugleichen. Ausschließlich darauf aufbauend
schließe sich die weitere Ergebnisfeststellung und -ermitt-
lung nach § 62 EuWO an. Nach den gesetzlichen Vorgaben
könne aber weder zunächst mit der Auszählung der Kommu-
nalwahlen durch Öffnen der entsprechenden Umschläge be-
gonnen werden, noch ergebe sich aufgrund der fehlgeschla-
genen bzw. verborgenen Stimmabgaben eine Differenz zwi-
schen Stimmabgabevermerken einschließlich eingenomme-
nen Wahlscheinen und den der Urne entnommenen und
entfalteten Stimmzetteln. Sämtliche weitere Beschlussfas-
sungen der Wahlvorstände könnten und dürften deshalb die
fehlgeschlagenen Stimmabgaben nicht umfassen. Für die Be-
schlussfassungen der Kreiswahlausschüsse nach § 69 EuWO
gelte Entsprechendes. Der Kreiswahlausschuss sei zwar be-
rechtigt, BeschlussfassungenderWahlvorstände inhaltlich zu
berichtigen, nicht aber über Stimmabgaben oder Stimmen zu
befinden, die von den Beschlussfassungen der Wahlvor-
stände gar nicht umfasst seien. Dass die Europawahl vorran-
gig vor den anderenWahlen ausgezählt werde, habe der Bun-
deswahlleiter wiederholt erbeten. Dieser Vorrang sei auch in
§ 9 der Verordnung des Innenministeriums über die gleich-
zeitige Durchführung der Kommunalwahlen mit der Europa-
wahl (GIWVO) vom 15. Februar 1994 (GBl. S. 130), geän-
dert durch Verordnung vom 23. März 2004 (GBl. S. 157),
festgelegt.
Ferner sei zu berücksichtigen, dass im Falle einer entgegen
§ 60 EuWO und § 9 GIWVO zunächst begonnenen Auszäh-
lung der Kommunalwahlen bis zu fünf weitere Wahlen be-
troffen gewesenwären. Dies hätte zur Folge gehabt, dass sich
dieAuszählung der Europawahlwesentlich verzögert und die
Gefahr erheblicher Verwechslungen bei den anderenWahlen
bestanden hätte. Eine weitere Folge wäre dann gewesen, dass
Europawahlstimmzettel in Kommunalwahlumschlägen bei
den Kommunalwahlen angefallen wären, die nach § 23
Abs. 1 Nr. 2 Kommunalwahlgesetz für die Kommunalwahl
als ungültig und nach den dortigen Vorschriften (§ 37 Abs. 3,
§ 38 Abs. 4 und § 39 Kommunalwahlordnung) als Kommu-
nalwahlunterlagen zu behandeln gewesen wären, deren Her-
ausgabe durch die Landeswahlleitung gar nicht hätte ange-
ordnet werden können.

Darüber hinaus seien noch folgende Gesichtpunkte zu be-
rücksichtigen:
Wenn Wahlberechtigte trotz umfassender Information, die
weit überwiegend erfolgt sei, gleichwohl ihre Stimme nicht
ordnungsgemäß abgegeben hätten, so sei bereits zweifelhaft,
ob sie überhaupt an der Europawahl hätten teilnehmenwollen
und dieBerücksichtigung der Stimmen ihremWillen entspre-
che. Die Auswertung der hohen Ungültigkeitsquote von an-
sonsten fehlerfrei abgegebenen Stimmen habe bereits erge-
ben, dass bei der Europawahl ein erheblicher Anteil dieser
Wahlberechtigten bewusst ungültig gewählt habe.Die extrem
hohe Ungültigkeitsquote der versteckt abgegebenen Stim-
men mache diese noch deutlicher. Somit könne in der Nicht-
beachtung der Informationen gerade auch derWille zumAus-
druck gebrachtworden sein, an der Europawahl nicht teilneh-
men zu wollen, auch wenn eine Kennzeichnung erfolgt sei.
Es könne auch nicht pauschal davon ausgegangen werden,
dass eine Einbeziehung der betreffenden Stimmen mit dem
Wahlgeheimnis vereinbar sei. Je nach denGegebenheiten vor
Ort und dem jeweiligen Einzelfall könne eine Identifizierung
des Wählers möglich und damit das Wahlgeheimnis verletzt
sein.
Des Weiteren könne die Berücksichtigung entsprechender
Stimmabgaben die verfassungsrechtlich vorgeschriebene
Stimmenwertgleichheit verletzen und die Möglichkeiten ei-
ner Wahlfälschung erhöhen. Ein Wähler könne z. B. auf aus
den Briefwahlunterlagen anderer Wahlberechtigter stam-
menden und beschafften Stimmzetteln mehrmals wählen,
einmal „offiziell“mit Stimmabgabevermerkundbei derWahl
am13. Juni 2004 unerkannt bis zu vierweitereMal. Ist bereits
vor derWahl bekannt, dass entsprechende Stimmzettel zu be-
rücksichtigen seien, sei der Gefahr der Manipulation ein
umso größeres Gewicht beizumessen.
Die gegenteilige Auffassung lasse berechtigte Belange der
Wahlorganisation und der Allgemeinheit außer Betracht.
EineZusammenlegungvonWahlen, die zu einer erwünschten
höheren Wahlbeteiligung führe, verlange der Wahlorganisa-
tion hohen Einsatz und eine strikte Konzentration auf die je-
weils zügig vorzunehmenden Ergebnisfeststellungen ab. Das
Aussondern versteckter Stimmzettel für eine andereWahl be-
einträchtige dieErfüllung dieserAufgabe ganz erheblich, ins-
besondere dann, wenn – wie vorliegend – eine Identität der
Wahlorgane lediglich auf der Ebene derWahlvorstände sowie
bezogen auf die Kreistagswahl teilweise auch auf der Ebene
der Kreiswahlausschüsse bestehe und sich die auszusondern-
denStimmzettel je nachVerfahrensstand bei den unterschied-
lichsten Wahlorganen und Rechtsaufsichtsbehörden befän-
den. Angesichts der Herausforderung der Wahlorganisation
bei zusammengelegtenWahlen könne und dürfe vomWähler
erwartet werden, dass er seine Stimme entsprechend der er-
folgten Information abgebe.
Die Einbeziehung der betreffenden Stimmzettel in die Be-
schlussfassungen der Kreiswahlausschüsse sei auf Veranlas-
sung des Bundeswahlleiters erfolgt. Sie habe u. a. darauf be-
ruht, dass das Europawahlrecht diese Fallkonstellation nicht
gesondert und eindeutig regele. Zwar könne vorliegend wohl
dahinstehen, ob die Stimmzettel zu Unrecht in das Wahler-
gebnis einbezogenworden seien und einWahlfehler vorliege,
denn dieEinbeziehungder 2 545 als gültig bewertetenStimm-
zettel (0,066 Prozent der gültigen Stimmzettel in Baden-
Württemberg) habe auf die konkrete Mandatsverteilung

Drucksache 15/4750 – 44 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

gemäß § 18 Abs. 4 EuWG keinen Einfluss gehabt. Die Frage
habe aber für künftige zusammengelegte Wahlen erhebliche
Bedeutung und bedürfe deshalb einer Klärung sowie ggf.
einer Rechtsänderung, die auch den Belangen der Wahlorga-
nisation gerecht werde.
Der Bundeswahlleiter hat zu der Angelegenheit wie folgt
Stellung genommen:
Die betroffenen Stimmzettel für die Europawahl seien seiner
Ansicht nach als gültig zu bewerten. Dieser Auffassung habe
sich der Bundeswahlausschuss in seiner 2. Sitzung am 6. Juli
2004 einstimmig angeschlossen. Dafür seien folgende
Gründe ausschlaggebend gewesen: Die in § 4 EuWG i. V. m.
§ 39 Abs. 1 Satz 1 BWG aufgeführten Ungültigkeitsgründe
seien für diesen Fall nicht einschlägig. § 49 Abs. 6 Nr. 6
EuWO normiere einen Zurückweisungsgrund. Sofern jedoch
der Wähler nicht zurückgewiesen worden sei, sei die Stimm-
abgabe als gültig zu bewerten. § 4 EuWG i. V. m. § 39Abs. 1
Nr. 1 bis 4 BWG regele die formellen Ungültigkeitsgründe
bei der Urnenwahl abschließend und enthalte den Fall des
§ 49 Abs. 6 Nr. 6 EuWO gerade nicht. Die in § 39 Abs. 1
Satz 3 BWG für die Briefwahl getroffene Regelung habe der
Gesetzgeber für die Urnenwahl nicht angeordnet. Ebenso
liege auch kein Fall des § 39Abs. 2BWGvor, der nur Stimm-
zettel derselben Wahl erfasse.
Auch das von der Landeswahlleiterin angeführte Vorliegen
eines materiellen Ungültigkeitsgrundes, der nicht von § 39
BWG erfasst werde, hält der Bundeswahlleiter für nicht ein-
schlägig. Dafür ergäben sich aus dem Sachverhalt – insbe-
sondere im Vergleich mit den einschlägigen Beispielsfällen
(Nichtvorliegen derWahlrechtsvoraussetzungen,Verstoß ge-
gen grundlegende Vorschriften der Wahlhandlung, rechts-
widrigeWahlbeeinflussung; vgl. Schreiber, Kommentar zum
Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 39 Rn. 2) keine Anhalts-
punkte. Vielmehr müsse demWählerwillen soweit wie mög-
lich Rechnung getragen werden.
Dem Einspruchsführer sind die Stellungnahmen der Landes-
wahlleiterin und des Bundeswahlleiters bekannt gegeben
worden. Er hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Seiner Ansicht nach sei der Stellungnahme der Landeswahl-
leiterin beizupflichten, wonach die betreffenden Stimmzettel
als ungültig zu werten seien. Es handele sich nicht um eine
„lässliche Formalie“. Insoweit schließe er sich den Ausfüh-
rungen in der Stellungnahme der Landeswahlleiterin an. Je-
doch liege nach seiner Auffassung sehr wohl ein Wahlfehler
vor, der zur Wiederholung der Wahl führen müsse. Andern-
falls käme eine solche erst dann in Frage, wenn ein Einfluss
auf die Mandatsverteilung zu einhundert Prozent feststehe.
Vorliegend sei es durchaus möglich, dass die 2 545 Stimmen
zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wenn sie als
ungültig gewertet worden wären.
(5) Zu seiner Beanstandung der Formulierungen des Wahl-
scheinantrags auf der Rückseite der Wahlbenachrichtigungs-
karte trägt der Einspruchsführer vor, er sei genötigt worden,
eine unwahre eidesstattliche Versicherung abzugeben. Auf
demWahlscheinantrag sei nämlich nur vonKrankheit und be-
ruflich bedingterAbwesenheit die Rede gewesen, während er
in Haft sitze und somit weder krank noch „beruflich bedingt“
abwesendgewesen sei. SeinerAnsicht nach habe sich aus die-
sem Grund bestimmt eine Vielzahl von Strafgefangenen da-
von abhalten lassen, Briefwahlunterlagen anzufordern. Das

Wahlergebnis sei damit in unzulässiger Weise beeinflusst
worden. Dies wäre nur dann nicht der Fall gewesen, wenn in
jedem Gefängnis ein beweglicher Wahlvorstand eingerichtet
worden wäre. Beispielsweise den Wahlberechtigten in den
Justizvollzugsanstalten Bruchsal und Schwäbisch-Gmünd
sei jedoch ein beweglicherWahlvorstand verweigert worden.
Dies sei jedenfalls dann unzumutbar, wenn gleichzeitig
„quasi unter Vorspiegelung falscher Tatsachen“ Briefwahl-
unterlagen angefordert werden müssten.
(6) Schließlich macht der Einspruchsführer geltend, die
Wahlberechtigten in den Justizvollzugsanstalten seien gene-
rell nicht hinreichend unterstützt worden. § 73 Strafvollzugs-
gesetz sehe jedoch vor, dass die Justizvollzugsanstalten ihre
Insassen bei der Ausübung des Wahlrechts zu unterstützen
hätten. So habe man sich geweigert, blinden oder sehbehin-
derten Menschen, die in regulären Wahllokalen bereit gehal-
tenen Stimmzettelschablonen zur Verfügung zu stellen, und
habe auf dieseWeise eine geheimeWahl verhindert, auf wel-
che auch Strafgefangene einAnrecht hätten.DenBürgern aus
anderen Staaten der Europäischen Union seien die Informa-
tionen zur Europawahl und die Eintragung in die Wählerver-
zeichnisse nicht in ihrer Heimatsprache zur Verfügung ge-
stellt worden.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet. Ein Wahlfehler ist aufgrund der vom Ein-
spruchsführer vorgetragenen Beanstandungen nicht zu er-
kennen.
(1) Dies gilt zunächst für seinen Einwand, die von ihm be-
hauptete vorzeitige Bekanntgabe desWahlergebnisses in den
Niederlanden sei als unzulässigeWahlbeeinflussung anzuse-
hen. Hierbei bedarf die Frage, ob in den Niederlanden gegen
Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt verstoßenworden ist, keiner
abschließenden Entscheidung. Hierbei spricht der Umstand,
dass derWahlrat der Niederlande das dortige amtliche Ergeb-
nis am15. Juni 2004 festgestellt und bekannt gegeben hat und
dass nach Mitteilung des niederländischen Innenministeri-
ums die Medienberichterstattung vor dem 13. Juni 2004 auf
nicht amtlichen lokalen Einzelergebnissen beruht hatte, eher
für eine Einhaltung der Vorschrift. Der vorliegende Sachver-
halt gibt auch keinen Anlass zur Entscheidung der Frage, ob
und ggf. inwieweit der DeutscheBundestag und derWahlprü-
fungsausschuss ausnahmsweise eine Beurteilung der Recht-
mäßigkeit des Verhaltens von Wahlorganen in anderen Mit-
gliedstaaten der Europäischen Union vornehmen können.
Jedenfalls ist es in erster Linie derenAufgabe festzustellen, ob
durch die in § 5 EuWG aufgeführten deutschen Wahlorgane
bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl wahlrecht-
liche Regelungen und Rechtsgrundsätze eingehalten worden
sind.
Die Frage einer Einflussnahme auf das Wahlergebnis in
Deutschland durch die Veröffentlichung von Wahlergebnis-
sen im Ausland ist nach denselben Maßstäben zu bewerten,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 45 – Drucksache 15/4750

die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für
Handlungen nichtstaatlicher Stellen und privater Dritter ent-
wickelt hat und die bereits Eingang in die Praxis des Deut-
schenBundestages und desWahlprüfungsausschusses gefun-
den haben (Bundestagsdrucksache 15/1150,Anlage 41). Eine
unzulässige Wahlbeeinflussung liegt hiernach nur dann vor,
wenn durch sie die Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahl-
gleichheit verletzt worden sind (BVerfGE 40, 11/39). Das
Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2001 entschieden,
dass eine Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht von
staatlichen Stellen ausgeht, und in mehr als nur unerheb-
lichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wähler-
willens einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren bean-
standet werden kann, wenn diese nichtstaatlichen Stellen mit
Mitteln des Zwangs oder Drucks oder in ähnlich schwer wie-
gender Art und Weise auf die Willensbildung der Wählerin-
nen und Wähler eingewirkt haben, ohne dass eine hinrei-
chende Möglichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs dieser
Beeinträchtigung bestanden hätte (vgl. BVerfGE 103, 111/
132 f.). Außerhalb dieses Bereichs erheblicher Verletzungen
der Freiheit oder Gleichheit der Wahl stellt ein solches Ein-
wirken nichtstaatlicher Stellen auf die Bildung des Wähler-
willens kein Verhalten dar, das einen Wahlfehler begründet,
selbst wenn es als unlauter zu werten sein und gegen gesetz-
licheBestimmungenverstoßensollte (BVerfGE103, 111/133).
Die Berichterstattung in deutschen Medien über das (ver-
meintliche oder tatsächliche) niederländische Wahlergebnis
hat in der Endphase des Wahlkampfs in der Bundesrepublik
Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle
gespielt. Somit liegt jedenfalls keine mehr als nur unerheb-
liche Einwirkung auf dieWählerwillensbildung vor. Darüber
hinaus ist weder in dieser Berichterstattung noch in der zuvor
erfolgten Veröffentlichung von Ergebnissen in den Nieder-
landen ein Verhalten zu sehen, das gegenüber den Wählerin-
nen und Wählern in Deutschland ähnlich schwer wiegen
könnte wie die Mittel des Zwangs oder Drucks. Zudem ist zu
berücksichtigen, dass sich – worauf das Bundesministerium
des Innern zu Recht hinweist – bislang keine transnationalen
europäischen politischen Parteien herausgebildet haben. Al-
lein die abstrakte Möglichkeit eines anderen Wahlverhaltens
aufgrund einer vorzeitigenBekanntgabe einesWahlergebnis-
ses in einem anderen Mitgliedstaat ist nicht geeignet, unter
dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Wählerbeeinflussung
oder unter einem anderen Gesichtspunkt einenWahlfehler zu
begründen.
(2) Der Einspruchsführer beanstandet auch zu Unrecht, dass
dieWahllokale inDeutschland bereits um18Uhr geschlossen
haben. Wie der Bundeswahlleiter dargelegt hat, ist die Fest-
legung des Wahltages und der Wahlzeit in Deutschland ent-
sprechend den Vorgaben des Artikels 10 Abs. 1 Direktwahl-
akt, des § 7 EuWG sowie des § 40 EuWO erfolgt. Soweit der
Einspruchsführer darin eine Benachteiligung der Bürgerin-
nen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber
den Bürgerinnen und Bürgern anderer Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sieht, so ist auf die Regelung des Arti-
kels 10 Abs. 1 des Direktwahlakts hinzuweisen, wonach die
Europawahl zu dem von jedem Mitgliedstaat festgelegten
Terminund zudenvon ihm festgelegtenUhrzeiten stattfindet.
Abgesehen davon ist im Rahmen des Wahlprüfungsverfah-
rens lediglich zu prüfen, ob die Wahl der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutsch-
land nach gleichen Voraussetzungen erfolgt ist.

Soweit der Einspruchsführer die Verfassungswidrigkeit der
Regelung der Wahlzeit in der Bundesrepublik Deutschland
geltend machen möchte, so ist zunächst auf die ständige Pra-
xis des Deutschen Bundestages und des Wahlprüfungsaus-
schusses zu verweisen, wonach diese sich nicht berufen
sehen, die Verfassungswidrigkeit vonWahlrechtsvorschriften
festzustellen. Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfas-
sungsgericht vorbehaltenworden (exemplarisch:Bundestags-
drucksache 15/1150,Anlage 28). Unabhängig davon bestehen
jedoch keine Zweifel daran, dass § 40 Abs. 1 EuWO verfas-
sungsgemäß ist. Die dortigen Vorgaben regeln die Wahlzeit
hinreichend bestimmt und entsprechen höherrangigemRecht.
Insbesondere ist durch die Bestimmung, dass die Wahlräume
am Wahltag mindestens zehn Stunden durchgehend für die
Stimmabgabe geöffnet sein müssen (§ 10 Abs. 1 Satz 2
EuWO), die Ausübung des Wahlrechts für die Bürgerinnen
und Bürger hinreichend gewährleistet.
(3) Soweit sich der Einspruchsführer gegen die Fünf-Prozent-
Sperrklausel im Europawahlgesetz wendet, ist auch insoweit
auf die ständige Praxis zu verweisen,wonach die Prüfung und
Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvor-
schriften dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten wird.
Unabhängig davon ist die Fünf-Prozent-Sperrklausel verfas-
sungsgemäß.
Nach Artikel 3 Satz 1 des geänderten Direktwahlakts können
dieMitgliedstaaten eineMindestschwelle für die Sitzvergabe
festlegen. Diese Schwelle darf jedoch nach Satz 2 dieser Vor-
schrift landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebe-
nen Stimmen betragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 8. Juni 2004 in einem Organstreit-
verfahren zur Fünf-Prozent-Sperrklausel des § 2 Abs. 6
EuWG (2 BvE 1/04), in dem die diesbezügliche Organklage
der NPD wegen Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 3
Bundesverfassungsgerichtsgesetz als unzulässig verworfen
worden ist, auf die Änderung des Direktwahlakts hingewie-
sen und hierzu ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem am
21. August 2003 verkündeten Vierten Gesetz zur Änderung
des Europawahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur
Änderung des Europaabgeordnetengesetzes zum Ausdruck
gebracht hat, dass er an der Fünf-Prozent-Klausel festhalten
möchte. Er hat sich dabei – so das Bundesverfassungsgericht –
auf die Ermächtigung der Mitgliedstaaten im Beschluss des
Rates der Europäischen Union stützen können, eine Sperr-
klausel zu erlassen. Der Rat der EuropäischenUnion hat nach
Zustimmung des Europäischen Parlaments mit Beschluss
vom 25. Juni und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 811)
den Direktwahlakt geändert, damit die Wahlen zum Europä-
ischen Parlament „gemäß den allen Mitgliedstaaten gemein-
samen Grundsätzen stattfinden können, die Mitgliedstaaten
zugleich aber dieMöglichkeit erhalten, für Aspekte, die nicht
durch diesen Beschluss geregelt sind, ihre jeweiligen natio-
nalen Vorschriften anzuwenden“. Dieser Änderung des
Direktwahlakts hat der deutsche Gesetzgeber mit Artikel 1
des Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung
des Direktwahlakts vom 15. August 2003 (BGBl. 2003 II
S. 810) zugestimmt.
Zwar kann aus dieser erstmalig verankerten ausdrücklichen
Ermächtigung zum Erlass einer Fünf-Prozent-Sperrklausel
durch den Direktwahlakt nicht unmittelbar die Verfassungs-
mäßigkeit einer solchen Sperrklausel nach dem deutschen
Verfassungsrecht abgeleitet werden. Sie ist jedoch als starkes

Drucksache 15/4750 – 46 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Indiz dafür anzusehen, dass § 2 Abs. 6 EuWG – wie auch
schon bisher – nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Auch
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts verstößt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht gegen
die Verfassung (BVerfGE 51, 222/233 ff.; BVerfGE 95, 335/
366). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung werden in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt.
Soweit der Einspruchsführer einenVerstoß gegen denGrund-
satz der Wahlrechtsgleichheit wegen des unterschiedlichen
Erfolgswertes der Stimmen derjenigen Wählerinnen und
Wähler, die eine Partei gewählt haben, die die Fünf-Prozent-
Sperrklausel überwunden hat, und derjenigen Wählerinnen
und Wähler, die eine Partei gewählt haben, die an der Fünf-
Prozent-Hürde gescheitert ist, geltend macht, so greift dieser
Einwand nicht durch. Wie in der vom Bundeswahlleiter in
seiner Stellungnahme zitierten Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts dargelegt wird, ist die Fünf-Prozent-
Sperrklausel gemäߧ 2Abs. 6EuWGdurch dasZiel gerecht-
fertigt, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Europä-
ischen Parlament entgegenzuwirken. Eine Abwägung des
Postulats der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung mit den Geboten des grundsätzlich gleichen Erfolgs-
wertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWettbewerbs-
chancen der politischen Parteien im Rahmen der Verhältnis-
wahl ergibt die Zulässigkeit dieser begrenzten Differenzie-
rung des Erfolgswertes derWählerstimmen. Die Behauptung
des Einspruchsführers, in anderen Staaten der Europäischen
Union gebe es keine Fünf-Prozent-Sperrklausel, ist –wie sich
aus der Stellungnahme des Bundeswahlleiters ergibt – unzu-
treffend.
(4) Der Wahleinspruch hat auch keinen Erfolg, soweit der
Einspruchsführer geltend macht, die in Baden-Württemberg
versehentlich in einen Wahlumschlag gelegten Stimmzettel
für die Europawahl hätten als ungültig gewertet werden müs-
sen. Diese Stimmen sind zuRecht als gültig gewertet worden.
Das Europawahlgesetz und die Europawahlordnung enthal-
ten keine ausdrückliche Regelung für diese atypische Fall-
konstellation. Die Abschaffung der amtlichen Wahlum-
schläge bei der Urnenwahl durch das Fünfzehnte Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001
(BGBl. I S. 698) gibt keinen Anlass dafür, bei der gemein-
samen Durchführung mehrerer Wahlen an einem Tag, bei
denen teilweisemit amtlichenWahlumschlägenund teilweise
ohne amtlicheWahlumschläge zuwählen ist, versehentlich in
amtlicheWahlumschläge gelegte Stimmzettel als ungültig zu
behandeln. Ein derartiger Wille des Gesetzgebers ist der
Begründung des Gesetzentwurfs (Bundestagsdrucksache
14/3764) nicht zu entnehmen.
Nach § 4 EuWG i. V. m. § 39 Abs. 1 Satz 1 BWG sind Stim-
men ungültig, wenn der Stimmzettel
1. nicht amtlich hergestellt ist oder für einen anderen Wahl-

kreis gültig ist,
2. keine Kennzeichnung enthält,
3. den Willen des Wählers nicht zweifelsfrei erkennen lässt

oder
4. einen Zusatz oder Vorbehalt enthält.
Keiner dieser vier sog. formellen Ungültigkeitsgründe ist
vorliegend gegeben. Es kann auch nicht geltend gemacht
werden, der Wille des Wählers sei wegen der hohen Ungül-

tigkeitsquote bei den betreffenden Stimmzetteln nicht zwei-
felsfrei zu erkennen. Bei der Ermittlung des Wählerwillens
dürfen keine Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die sich
nicht bereits aus dem Stimmzettel selbst ergeben. Weder aus
der von der Landeswahlleiterin angeführten „Gültigkeits-
quote“ der betreffenden Stimmen noch aus der Nichtbeach-
tung einer Information durch denWähler kann die Folgerung
gezogen werden, eine gültige Stimmabgabe sei gar nicht ge-
wollt gewesen.
Aus dem Umstand, dass die Stimmabgabe in atypischer Art
undWeise erfolgt ist, kann nicht gefolgert werden, die Stimm-
abgabe sei fehlgeschlagen. Ist der Stimmzettel derWahlorga-
nisation vomWähler übergeben worden, so spricht eine Ver-
mutung dafür, dass die Stimme abgegeben werden sollte. Die
Wahlvorstände haben nicht deshalb einen Wahlfehler began-
gen, weil sie die betreffenden Wähler nicht zurückgewiesen
haben.EinZurückweisungsgrund ist nicht gegeben. Insbeson-
dere liegen die Voraussetzungen des § 49 Abs. 6 Nr. 6 EuWO
nicht vor, wonach einWähler zurückzuweisen ist, der für den
Wahlvorstand erkennbar mehrere oder einen nicht amtlich
hergestellten Stimmzettel abgeben oder mit dem Stimmzettel
einen weiteren Gegenstand in die Wahlurne werfen will. Die
für dieKommunalwahl abgegebenenWahlumschlägeunddie
darin enthaltenenStimmzettel sind nicht als „weitererGegen-
stand“ im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Die Vorschrift
regelt Fälle, in denen der Wähler bewusst seine Stimme
entgegen dem vorgesehenen Ablauf für die Stimmabgabe
abgeben möchte.
Der Bundeswahlleiter weist zu Recht darauf hin, dass ein Fall
des § 4 Abs. 4 EuWG i. V. m. § 39 Abs. 2 BWG nicht vor-
liegt, weil diese Vorschrift nur für Stimmzettel derselben
Wahl gilt. Nach dieser Vorschrift gelten mehrere in einem
Wahlumschlag enthaltene Stimmzettel als ein Stimmzettel,
wenn sie gleich lauten oder nur einer von ihnen gekennzeich-
net ist; sonst zählen sie als ein Stimmzettel, der als ungültig
zu werten ist. Dieser Vorschrift ist im Übrigen der Wille des
Gesetzgebers zu entnehmen, eine Stimmabgabe nach Mög-
lichkeit als gültig zu behandeln.
Schließlich liegt auch kein sog. materieller Ungültigkeits-
grund vor, der nicht in § 4 EuWG i. V. m. § 39 BWGgeregelt
ist. Ein solcher Ungültigkeitsgrund wäre etwa anzunehmen,
wenn gegen grundlegende Vorschriften der Wahlhandlung
oder des Wahlverfahrens verstoßen oder wenn die Wahl in
rechtswidriger (bzw. strafbarer) Weise beeinflusst worden
wäre (Schreiber,Kommentar zumBundeswahlgesetz, 7.Auf-
lage, § 39 Rn. 2). Die Stimmabgabe müsste mit Mängeln be-
haftet sein, die es wegen ihres Gewichts als nicht vertretbar
erscheinen ließen, die Stimme als gültig anzusehen. Zwar
mag vorliegend wegen der atypischen Situation eine Stimm-
abgabe für die Europawahl im Wählerverzeichnis nicht ver-
merkt worden sein. Ein solcher Formmangel kann jedoch
nicht als Verstoß gegen grundlegende Vorschriften desWahl-
verfahrens gewertet werden, wenn dies – wie hier – lediglich
auf ein Versehen des Wählers zurückzuführen ist und die
Wahlrechtsgrundsätze gewahrt worden sind. Entgegen der
Auffassung des Einspruchsführers darf deshalb das Versehen
nicht zu Lasten der Wählerinnen und Wähler gehen. Auch
praktische Belange der Wahlorganisation bei mehreren
gleichzeitig durchzuführenden Wahlen erfordern es nicht,
eine Stimmabgabe aufgrund einer Unachtsamkeit derWähler
trotz vorheriger Information als ungültig anzusehen. Da so-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 47 – Drucksache 15/4750

mit kein Wahlfehler vorliegt, ist für die Frage der Mandats-
erheblichkeit kein Raum.
(5) Soweit sich der Einspruchsführer gegen die Formulierung
desWahlscheinantrags wendet, kann der Einspruch ebenfalls
keinen Erfolg haben. Die Formulierung des Vordrucks für ei-
nen Antrag auf Ausstellung eines Wahlscheines beruht ge-
mäß § 18Abs. 2 EuWOauf demMuster der Anlage 4 der Eu-
ropawahlordnung. Die dort aufgeführten Gründe haben ihre
gesetzliche Grundlage in § 4 EuWG i. V. m. § 17 Abs. 2
BWG. Hiernach erhält ein Wahlberechtigter, der verhindert
ist, in demWahlbezirk zu wählen, in dessenWählerverzeich-
nis er eingetragen ist, auf Antrag einen Wahlschein. Nach
§ 24 Abs. 1 EuWO ist dies der Fall,
1. wenn er sich am Wahltage während der Wahlzeit aus

wichtigem Grunde außerhalb seines Wahlbezirks aufhält,
2. wenn er seineWohnung in einen anderenWahlbezirk ver-

legt und nicht in das Wählerverzeichnis des neuen Wahl-
bezirks eingetragen worden ist und

3. wenn er aus beruflichen Gründen oder wegen Krankheit,
hohen Alters, einer körperlichen Beeinträchtigung oder
sonst seines körperlichenZustandeswegendenWahlraum
nicht oder nur unter nicht zumutbaren Schwierigkeiten
aufsuchen kann.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Nummer 1 dieser Vor-
schrift liegt bei einem Aufenthalt in einer Justizvollzugs-
anstalt vor (Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz,
7. Auflage, § 36 Rn. 3). Den Strafgefangenen ist die Mög-
lichkeit der Briefwahl in der Regel bekannt und sie werden
zudem vor der Wahl durch Merkblätter und in anderer Form
auf die Modalitäten der Ausübung ihres Wahlrechts hin-
gewiesen. Für eine unzulässige Wahlbeeinflussung bestehen

insoweit keinerlei Anhaltspunkte. Soweit der Einspruchsfüh-
rer in diesem Zusammenhang die Einrichtung beweglicher
Wahlvorstände anspricht, so ist darauf hinzuweisen, dass
hierfür ein entsprechendes Bedürfnis vorausgesetzt ist und
die Entscheidung im Ermessen der Gemeindebehörde steht
(§§ 8, 57 EuWO).
(6)Der Einspruch kann schließlich auch keinenErfolg haben,
soweit der Einspruchsführer behauptet, dieWahlberechtigten
in den Justizvollzugsanstalten seien generell nicht hinrei-
chend unterstützt worden. Insoweit trägt er keine konkreten
Tatsachen vor, die diese Behauptung untermauern könnten.
Den pauschalen Behauptungen, blinde oder sehbehinderte
Menschen seien in der Ausübung ihres Wahlrechts behindert
worden und Bürger aus anderen Staaten der Europäischen
Union hätten die Wahlinformationen nicht in ihrer Heimat-
sprache erhalten, gehen der Deutsche Bundestag und der
Wahlprüfungsausschuss nicht nach. Mangels eines hinrei-
chend bestimmten Anfechtungsgegenstandes ist eine nähere
Prüfung dieser Behauptungen nicht geboten. Denn dieWahl-
prüfung findet weder von Amts wegen statt, noch erfolgt sie
stets in Gestalt einer Durchprüfung der gesamtenWahl. Viel-
mehr erfolgt nach § 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 2 Abs. 1 und
3WPrüfGdieWahlprüfung nur auf Einspruch, der zu begrün-
den ist. Hierbei muss die Begründung mindestens den Tatbe-
stand, auf den die Anfechtung gestützt wird, erkennen lassen
und genügend substantiierte Tatsachen enthalten (BVerfGE
40, 11/30). Werden demgegenüber – wie vorliegend – keine
substantiierten Tatsachen vorgetragen, so gilt die Vermutung,
dass die Wahlbehörden und die Justizvollzugsanstalten die
wahlrechtlichen Vorschriften befolgt haben.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49 – Drucksache 15/4750

Anlage 10

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. G., 51709 Marienfelde

– Az.: EuWP 13/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 11. Juni 2004, das vom Kreiswahlleiter
des Oberbergischen Kreises an den Deutschen Bundestag
weitergeleitet worden und hier am 23. Juni 2004 eingegangen
ist, hat der Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl
der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bun-
desrepublik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch ein-
gelegt.
Zur Begründung führt er aus, dass die Wahlergebnisse in den
Niederlanden seiner Ansicht nach vorzeitig bekannt gegeben
worden seien. Dies sei eine nicht akzeptable Wahlbeeinflus-
sung. Nach allgemeiner Rechtsauffassung dürften bei einer
unter demokratischen Gesichtspunkten abgehaltenen Wahl
die Ergebnisse erst dann verbreitet werden, wenn das letzte
Wahllokal geschlossen sei.
Das Bundesministerium des Innern hat zu einem inhaltlich
vergleichbaren Wahleinspruch folgende Stellungnahme ab-
gegeben:
Die sechste Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments habe im Zeitraum vom 10. bis 13. Juni 2004 statt-
gefunden. Nach Artikel 10 Abs. 2 des Aktes zur Einführung
allgemeinerWahlen derAbgeordneten desEuropäischenPar-
laments (Direktwahlakt – BGBl. 1977 II S. 733/734, BGBl.
2003 II S. 810, BGBl. 2004 II S. 520) dürfe einMitgliedstaat
das ihn betreffende Wahlergebnis erst bekannt geben, wenn
dieWahl in demMitgliedstaat, dessenWähler als letzte wäh-
len, abgeschlossen sei. Nach Mitteilung der Europäischen
Kommission hätten die zuletzt wählenden Mitgliedstaaten
am 13. Juni 2004 das Wahlende auf 22 Uhr festgelegt. Die
niederländischenWähler hätten bereits am 10. Juni 2004 ihre
Stimme abgegeben. Nach Mitteilung des niederländischen
Innenministeriums vom 19. Juli 2004 habe der Wahlrat der
Niederlande in öffentlicher Sitzung am15. Juni 2004 das amt-
liche Ergebnis für die Niederlande festgestellt und bekannt
gegeben. Die Medienberichterstattung habe auf nicht amt-
lichen lokalenEinzelergebnissen beruht.Das niederländische
Ergebnis sei somit in Übereinstimmung mit den Bestimmun-
gen des Direktwahlakts nach dem Ende der Wahl in allen
Mitgliedstaaten bekannt gegeben worden. Bei den in der
Medienberichterstattung dargestellten angeblichen „Aufla-
gen der Kommission“ habe es sich um eine Auslegung von

Artikel 10 Abs. 2 des Direktwahlakts durch die Europäische
Kommission gehandelt, die nicht mit dem Rechtsverständnis
allerMitgliedstaaten übereinstimme. In einemSchreiben von
Anfang Juni 2004 habe die Kommission gegenüber den Mit-
gliedstaatendieAuffassungvertreten, dass dieWahlbehörden
der Mitgliedstaaten nicht nur das Ergebnis des jeweiligen
Mitgliedstaates, wie es Artikel 10 Abs. 2 des Direktwahlakts
vorschreibe, sondern darüber hinaus auch einzelne lokale
Teil- und Zwischenergebnisse nicht vor dem Ende der Wahl-
zeit in allen Mitgliedstaaten bekannt geben dürften. Die nie-
derländischeRegierung sowieRegierungen andererMitglied-
staaten teilten diese Auffassung nicht.
Inwieweit eine Wahlbeeinflussung der Wählerinnen und
Wähler in Deutschland erfolgt sein solle, sei nicht erkennbar.
Es sei zu bezweifeln, dass infolge der Medienberichterstat-
tung eineWahlbeeinflussung erfolgt sei. Denn in den 25Mit-
gliedstaaten der EuropäischenUnion stellten sich keine trans-
nationalen europäischen politischen Parteien, sondern – je-
denfalls derzeit noch – nationale Parteien mit überwiegend
nationalen Wahlbewerbern zur Wahl der jeweils nationalen
Abgeordneten. Die Parteienlandschaft sei zudem in den ver-
schiedenen Mitgliedstaaten nicht bzw. wenig vergleichbar.
Das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler orientiere
sich daher in erster Linie an der nationalen Parteienland-
schaft.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Die vom Ein-

Drucksache 15/4750 – 50 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

spruchsführer behauptete vorzeitige Bekanntgabe des Wahl-
ergebnisses in den Niederlanden ist nicht als unzulässige
Wahlbeeinflussung anzusehen.
Hierbei bedarf die Frage, ob in den Niederlanden gegen Ar-
tikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt verstoßen worden ist, keiner
abschließenden Entscheidung. Hierbei spricht der Umstand,
dass derWahlrat der Niederlande das dortige amtliche Ergeb-
nis am15. Juni 2004 festgestellt und bekannt gegeben hat und
dass nach Mitteilung des niederländischen Innenministeri-
ums die Medienberichterstattung vor dem 13. Juni 2004 auf
nicht amtlichen lokalen Einzelergebnissen beruht hatte, eher
für eine Einhaltung der Vorschrift. Der vorliegende Sachver-
halt gibt auch keinen Anlass zur Entscheidung der Frage, ob
und ggf. inwieweit der Deutsche Bundestag und der Wahl-
prüfungsausschuss ausnahmsweise eine Beurteilung der
Rechtmäßigkeit des Verhaltens von Wahlorganen in anderen
Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion vornehmen können.
Jedenfalls ist es in erster Linie deren Aufgabe, festzustellen,
ob durch die in § 5 EuWG aufgeführten deutschen Wahl-
organe bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl
wahlrechtliche Regelungen und Rechtsgrundsätze eingehal-
ten worden sind.
Die Frage einer Einflussnahme auf das Wahlergebnis in
Deutschland durch die Veröffentlichung von Wahlergebnis-
sen im Ausland ist nach denselben Maßstäben zu bewerten,
die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für
Handlungen nichtstaatlicher Stellen und privater Dritter ent-
wickelt hat und die bereits Eingang in die Praxis des Deut-
schenBundestages und desWahlprüfungsausschusses gefun-
den haben (Bundestagsdrucksache 15/1150,Anlage 41). Eine
unzulässige Wahlbeeinflussung liegt hiernach nur dann vor,
wenn durch sie die Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahl-
gleichheit verletzt worden sind (BVerfGE 40, 11/39). Das
Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2001 entschieden,
dass eine Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht von
staatlichenStellen ausgeht und inmehr als nur unerheblichem
Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens

einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren beanstandet
werden kann, wenn diese nichtstaatlichen Stellen mit Mitteln
des Zwangs oder Drucks oder in ähnlich schwer wiegender
Art und Weise auf die Willensbildung der Wählerinnen und
Wähler eingewirkt haben, ohne dass eine hinreichendeMög-
lichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs dieser Beeinträch-
tigung bestanden hätte (vgl. BVerfGE103, 111/132 f.). Außer-
halb dieses Bereichs erheblicher Verletzungen der Freiheit
oder Gleichheit der Wahl stellt ein solches Einwirken nicht-
staatlicher Stellen auf die Bildung des Wählerwillens kein
Verhalten dar, das einenWahlfehler begründet, selbstwenn es
als unlauter zu werten sein und gegen gesetzliche Bestim-
mungen verstoßen sollte (BVerfGE 103, 111/133).
Die Berichterstattung in deutschen Medien über das (ver-
meintliche oder tatsächliche) niederländische Wahlergebnis
hat in der Endphase des Wahlkampfs in der Bundesrepublik
Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle
gespielt. Somit liegt jedenfalls keine mehr als nur unerhebli-
che Einwirkung auf die Wählerwillensbildung vor. Darüber
hinaus ist weder in dieser Berichterstattung noch in der zuvor
erfolgten Veröffentlichung von Ergebnissen in den Nieder-
landen ein Verhalten zu sehen, das gegenüber den Wählerin-
nen und Wählern in Deutschland ähnlich schwer wiegen
könnte wie die Mittel des Zwangs oder Drucks. Zudem ist zu
berücksichtigen, dass sich – worauf das Bundesministerium
des Innern zu Recht hinweist – bislang keine transnationalen
europäischen politischen Parteien herausgebildet haben.
Allein die abstrakte Möglichkeit eines anderen Wahlverhal-
tens aufgrund einer vorzeitigen Bekanntgabe eines Wahler-
gebnisses in einem anderen Mitgliedstaat ist nicht geeignet,
unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Wählerbeein-
flussung oder unter einem anderen Gesichtspunkt einen
Wahlfehler zu begründen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 51 – Drucksache 15/4750

Anlage 11

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. F., 79761 Waldshut-Tiengen

– Az.: EuWP 18/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 13. Juni 2004, das von der Landeswahl-
leiterin des Landes Baden-Württemberg an den Deutschen
Bundestag weitergeleitet worden und hier am 28. Juni 2004
eingegangen ist, hat der Einspruchsführer gegen die Gültig-
keit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni 2004
Einspruch eingelegt. Zur Begründung führt er aus, dass ihm
die zurWahl stehendenParteien erst amWahltag bei der Stim-
mabgabe bekannt geworden seien. Daneben trägt er vor, dass
das Wahlergebnis in den Niederlanden vorzeitig bekannt ge-
geben worden sei und dies eine „Beeinflussung eines Trends
egal in welcher Richtung“ sei.
Der Einspruchsführer beanstandet, dass er sich weder im
Amtsblatt der Gemeinde noch in der Tageszeitung darüber
habe informieren können, welche Parteien sich insgesamt zur
Europawahl gestellt hätten. Das Argument, dass die Wähle-
rinnen und Wähler meist gewusst hätten, welche Partei sie
wählen wollten, sei nicht stichhaltig. Es gebe mehrere Par-
teien, die eine ähnliche Grundrichtung verträten. Er wirft die
Frage auf, wie dieWählerinnen undWähler sich innerhalb ei-
nerMinute entscheiden sollen,wenn sie bei der Stimmabgabe
zum ersten Mal die Namen der Parteien sähen.
Zur Frage der Veröffentlichung der Wahlergebnisse in den
Niederlanden vertritt er die Auffassung, dass – auch wenn
diese Ergebnisse nicht vorzeitig veröffentlicht worden
wären –, auf jeden Fall die Verschiedenheit der Wahltermine
bleibe. Er schlägt vor, dass man sich bei der Europawahl auf
einen Wahltag einigen solle, wenn die Wahl „wirklich so
wichtig“ sei.
Dem Wahlprüfungsausschuss hatten bereits zu vergleichba-
ren Wahleinsprüchen Stellungnahmen vorgelegen, die dem
Einspruchsführer bekannt gegeben worden sind. Hierbei hat
der Bundeswahlleiter zumThema der Informationen über die
Wahlbewerber ausgeführt, er habe die zugelassenen Wahl-
vorschläge (Listen für die einzelnen Länder und gemeinsame
Listen für alle Länder) gemäß § 14 Abs. 5 Europawahlgesetz
(EuWG) im Bundesanzeiger (Nr. 78 vom 24. April 2004,
S. 9034) bekannt gemacht.Außerdemhabe er sie in demSon-
derheft „Die Wahlbewerber für die Wahl zum Europäischen
Parlament aus der Bundesrepublik Deutschland 2004“ und in

seinem Internetangebot (www.bundeswahlleiter.de) veröf-
fentlicht. Im Übrigen sei es Aufgabe der Parteien und sonsti-
gen politischen Vereinigungen, die Wähler über Kandidaten
und politische Programme zu informieren.
Dem Einspruchsführer ist vom Wahlprüfungsausschuss Ge-
legenheit gegeben worden, sich hierzu zu äußern. Er hat sich
daraufhin wie folgt geäußert:
Mit der Art und Weise der Information über die Wahlvor-
schläge, wie sie der Bundeswahlleiter in seiner Stellung-
nahme vorgeschlagen habe, sei er nicht einverstanden. Unter
Information verstehe er eine ortsübliche Bekanntmachung,
wie z. B. einen Aushang im Rathaus oder eine Veröffentli-
chung in einem amtlichen Mitteilungsblatt. Ob die Informa-
tion in den Medien noch zur ortsüblichen Bekanntmachung
zähle, könne wegen der meist parteiischen Ausrichtung be-
zweifelt werden. In jedem Falle seien die in den Ausführun-
gen des Bundeswahlleiters genannten Quellen auf zu wenige
Wählerinnen und Wähler ausgerichtet. Wenn jede Partei, die
an der Wahl teilgenommen habe, ihre Informationen an die
Haushalte gesandt hätte, so wäre der Postverkehr zusammen
gebrochen. Diese Informationskriterien seien zu speziell für
den „Normalwähler“.
Darüber hinaus habe er den Eindruck gehabt, dass einige Par-
teien nicht ernsthaft amEinzug in das Europäische Parlament
interessiert gewesen seien. Er schlägt hierzu vor, die Anzahl
der an der Wahl teilnehmenden Parteien zu reduzieren. Jede
Partei müsse eine bestimmteAnzahl vonUnterschriften einer
„Zulassungskommission“ vorlegen. Bei den Parteien müsse
geprüft werden, ob sie ernsthaft an einem Sitz im Europäi-
schen Parlament interessiert seien. Diese kleinere Liste von
Parteien sei dann ortsüblich durch Aushang, lokales Amts-
blatt und eventuell durch die Presse bekannt zu machen.
Ebenso sollten die Wahlergebnisse veröffentlicht werden.
Zur Frage einer vorzeitigenBekanntgabe derWahlergebnisse
hat das Bundesministerium des Innern wie folgt Stellung ge-
nommen:
Die sechste Direktwahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments habe im Zeitraum vom 10. bis 13. Juni 2004 statt-
gefunden. Nach Artikel 10 Abs. 2 des Aktes zur Einführung
allgemeinerWahlen derAbgeordneten desEuropäischenPar-

Drucksache 15/4750 – 52 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

laments (Direktwahlakt – BGBl. 1977 II S. 733/734, BGBl.
2003 II S. 810, BGBl. 2004 II S. 520) dürfe einMitgliedstaat
das ihn betreffende Wahlergebnis erst bekannt geben, wenn
dieWahl in demMitgliedstaat, dessenWähler als letzte wäh-
len, abgeschlossen sei. Nach Mitteilung der Europäischen
Kommission hätten die zuletzt wählenden Mitgliedstaaten
am 13. Juni 2004 das Wahlende auf 22 Uhr festgelegt. Die
niederländischenWähler hätten bereits am 10. Juni 2004 ihre
Stimme abgegeben. Nach Mitteilung des niederländischen
Innenministeriums vom 19. Juli 2004 habe der Wahlrat der
Niederlande in öffentlicher Sitzung am15. Juni 2004 das amt-
liche Ergebnis für die Niederlande festgestellt und bekannt
gegeben. Die Medienberichterstattung habe auf nicht amt-
lichen lokalenEinzelergebnissen beruht.Das niederländische
Ergebnis sei somit in Übereinstimmung mit den Bestimmun-
gen desDirektwahlakts nach demEnde derWahl in allenMit-
gliedstaaten bekannt gegeben worden. Bei den in der Medi-
enberichterstattung dargestellten angeblichen „Auflagen der
Kommission“ habe es sich um eineAuslegung vonArtikel 10
Abs. 2 des Direktwahlakts durch die Europäische Kommis-
sion gehandelt, die nicht mit dem Rechtsverständnis aller
Mitgliedstaaten übereinstimme. In einem Schreiben von An-
fang Juni 2004 habe die Kommission gegenüber den Mit-
gliedstaatendieAuffassungvertreten, dass dieWahlbehörden
der Mitgliedstaaten nicht nur das Ergebnis des jeweiligen
Mitgliedstaates, wie es Artikel 10 Abs. 2 des Direktwahlakts
vorschreibe, sondern darüber hinaus auch einzelne lokale
Teil- und Zwischenergebnisse nicht vor dem Ende der Wahl-
zeit in allen Mitgliedstaaten bekannt geben dürften. Die
niederländische Regierung sowie Regierungen anderer Mit-
gliedstaaten teilten diese Auffassung nicht.
Inwieweit eine Wahlbeeinflussung der Wählerinnen und
Wähler in Deutschland erfolgt sein solle, sei nicht erkennbar.
Es sei zu bezweifeln, dass infolge der Medienberichterstat-
tung eineWahlbeeinflussung erfolgt sei. Denn in den 25Mit-
gliedstaaten der EuropäischenUnion stellten sich keine trans-
nationalen europäischen politischen Parteien, sondern – je-
denfalls derzeit noch – nationale Parteien mit überwiegend
nationalen Wahlbewerbern zur Wahl der jeweils nationalen
Abgeordneten. Die Parteienlandschaft sei zudem in den ver-
schiedenen Mitgliedstaaten nicht bzw. wenig vergleichbar.
Das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler orientiere
sich daher in erster Linie an der nationalen Parteienland-
schaft.
Der Einspruchsführer hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Die vorzeitige Veröffentlichung der Wahlergebnisse sei, wie
der Stellungnahme zu entnehmen sei, auf dieMedien zurück-
zuführen. Dies solle bei der nächsten Europawahl unterbun-
den werden. Es mache nämlich keinen Unterschied, ob ein
Ergebnis in einem anderen Land amtlich oder nur von den
Medien veröffentlicht sei. Eine Beeinflussung zumindest bei
ähnlichen Parteien sei immer gegeben.
Schließlich führt der Einspruchsführer aus, dass Zweck sei-
ner Ausführungen zu beiden von ihm vorgetragenen Ein-
spruchsgründen sei, eine Vereinfachung bei der nächsten
Wahl herbeizuführen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Dies gilt sowohl für
die im Vorfeld der Europawahlen erfolgten Informationen
über die Wahlvorschläge als auch für die behauptete vorzei-
tige Bekanntgabe des Wahlergebnisses in den Niederlanden.
Soweit der Einspruchsführer mangelhafte Informationen
über die zurWahl stehenden Parteien geltendmacht, so ist auf
die Vorschrift des § 14Abs. 5 EuWG zu verweisen. Hiernach
macht der Bundeswahlleiter die zugelassenen Wahlvor-
schläge (Listen für die einzelnen Länder und gemeinsame
Listen für alle Länder) spätestens am 48. Tage vor der Wahl
öffentlich bekannt. Der Bundeswahlleiter hat die Wahlvor-
schläge für die Europawahl im Bundesanzeiger Nr. 78 vom
24. April 2004 (S. 9034) veröffentlicht. Hierbei sind die in
§ 37Abs. 1 EuWOenthaltenenVorgaben für die Bekanntma-
chung derWahlvorschläge beachtet worden. Der Einspruchs-
führer trägt auch nicht konkret vor, in welcherHinsicht gegen
die Vorschriften des § 14 Abs. 5 EuWG und des § 37 Abs. 1
EuWO verstoßen worden sein soll.
Soweit er geltend macht, erst bei der Stimmabgabe seien ihm
die zurWahl stehenden Parteien bekannt geworden, so ist zu-
nächst darauf hinzuweisen, dass auf jeden Fall die Möglich-
keit bestand, sich amGebäude desWahllokals über dieWahl-
vorschläge zu informieren.Nach § 41Abs. 2 Satz 1EuWOist
die Wahlbekanntmachung oder ein Auszug aus ihr vor Be-
ginn derWahlhandlung amoder imEingang desGebäudes, in
dem sich der Wahlraum befindet, anzubringen. Diesem Aus-
zug ist nach Satz 2 dieser Vorschrift ein Stimmzettel alsMus-
ter beizufügen. Die Gemeindebehörde ist darüber hinaus ge-
mäß § 41 Abs. 1 EuWO verpflichtet, die Wahlbekanntma-
chung spätestens am sechsten Tage vor Wahl nach dem vor-
gegebenen Muster öffentlich bekannt zu machen. Diese
Wahlbekanntmachung enthielt inhaltliche und organisatori-
sche Hinweise zur Europawahl. Es liegen keine Anhalts-
punkte dafür vor, dass inWaldshut-Tiengen gegen diese Vor-
schriften zur Bekanntmachung verstoßen worden wäre. Für
den Einspruchsführer bestand daher auf jeden Fall die Mög-
lichkeit, sich noch vor der Stimmabgabe in der Wahlkabine
über die Wahlvorschläge zu informieren. Darüber hinaus ist
es Sache derWählerinnen undWähler, sich über die durch ge-
setzliche Vorschriften vorgesehenen Bekanntmachungen hi-
naus von sich aus überWahlvorschlägeundProgrammezu in-
formieren und den Wahlkampf über die Medien und die ört-
licheWahlwerbung der Parteien zu verfolgen. Tut einWähler
dies nicht, so muss er etwaige Informationsdefizite in Bezug
auf seine Wahlentscheidung in Kauf nehmen. Sowohl durch
die vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachungen als
auch durch die weiteren Informationsmöglichkeiten war es
möglich, sich rechtzeitig verlässlich mit den Wahlvorschlä-
gen vertraut zu machen. Dadurch ist gewährleistet, dass die
Wählerinnen und Wähler ihre Wahlentscheidung in einem
freien, offenen Prozess der Willensbildung treffen konnten.
Soweit der Einspruchsführer in diesem Zusammenhang ei-
gene Vorschläge zur Art und Weise der Information über die
Wahlvorschläge sowie zu einem Zulassungsverfahren für
Parteien, die an einer Wahl teilnehmen möchten, unterbreitet
und damit auf eine Änderung von Vorschriften für künftige

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53 – Drucksache 15/4750

Wahlen abzielt, so ist dem nicht im Rahmen eines Wahlprü-
fungsverfahrens nachzugehen.DieWahlprüfung ist allein auf
die Feststellung vonWahlfehlern und deren Relevanz für die
Verteilung derMandate bei der Europawahl 2004 beschränkt.
Ein Wahlfehler ist ebenfalls nicht erkennbar, soweit der Ein-
spruchsführer geltend macht, die von ihm behauptete vorzei-
tige Bekanntgabe des Wahlergebnisses in den Niederlanden
sei als unzulässige Wahlbeeinflussung anzusehen. Hierbei
bedarf die Frage, ob in den Niederlanden gegen Artikel 10
Abs. 2 Direktwahlakt verstoßen worden ist, keiner abschlie-
ßenden Entscheidung. Hierbei spricht der Umstand, dass der
Wahlrat der Niederlande das dortige amtliche Ergebnis am
15. Juni 2004 festgestellt und bekannt gegeben hat und dass
nach Mitteilung des niederländischen Innenministeriums die
Medienberichterstattung vor dem 13. Juni 2004 auf nicht
amtlichen lokalen Einzelergebnissen beruht hatte, eher für
eine Einhaltung der Vorschrift.
Der vorliegendeSachverhalt gibt auch keinenAnlass zur Ent-
scheidung der Frage, ob und ggf. inwieweit der Deutsche
Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss ausnahmsweise
eine Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verhaltens von
Wahlorganen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union vornehmen können. Jedenfalls ist es in erster Linie
deren Aufgabe festzustellen, ob durch die in § 5 EuWG auf-
geführten deutschen Wahlorgane bei der Vorbereitung und
Durchführung der Wahl wahlrechtliche Regelungen und
Rechtsgrundsätze eingehalten worden sind.
Die Frage einer Einflussnahme auf das Wahlergebnis in
Deutschland durch die Veröffentlichung von Wahlergebnis-
sen im Ausland ist nach denselben Maßstäben zu bewerten,
die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für
Handlungen nichtstaatlicher Stellen und privater Dritter
entwickelt hat und die bereits Eingang in die Praxis des
Deutschen Bundestages und des Wahlprüfungsausschusses
gefunden haben (Bundestagsdrucksache 15/1150, Anlage
41). Eine unzulässige Wahlbeeinflussung liegt hiernach nur
dann vor, wenn durch sie dieGrundsätze derWahlfreiheit und
Wahlgleichheit verletzt worden sind (BVerfGE 40, 11/39).
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2001 entschie-
den, dass eine Handlung imVorfeld einerWahl, die nicht von
staatlichen Stellen ausgeht, und in mehr als nur unerheb-
lichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wähler-
willens einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren bean-

standet werden kann, wenn diese nichtstaatlichen Stellen mit
Mitteln des Zwangs oder Drucks oder in ähnlich schwer
wiegender Art und Weise auf die Willensbildung der Wähle-
rinnen und Wähler eingewirkt haben, ohne dass eine hin-
reichende Möglichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs die-
ser Beeinträchtigung bestanden hätte (vgl. BVerfGE 103,
111/132 f.). Außerhalb dieses Bereichs erheblicher Verlet-
zungender Freiheit oderGleichheit derWahl stellt ein solches
Einwirken nichtstaatlicher Stellen auf die Bildung des
Wählerwillens kein Verhalten dar, das einen Wahlfehler be-
gründet, selbst wenn es als unlauter zu werten sein und gegen
gesetzliche Bestimmungen verstoßen sollte (BVerfGE 103,
111/133).
Die Berichterstattung in deutschen Medien über das (ver-
meintliche oder tatsächliche) niederländische Wahlergebnis
hat in der Endphase des Wahlkampfs in der Bundesrepublik
Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung keine Rolle
gespielt. Somit liegt jedenfalls keine mehr als nur unerhebli-
che Einwirkung auf die Wählerwillensbildung vor. Darüber
hinaus ist weder in dieser Berichterstattung noch in der zuvor
erfolgten Veröffentlichung von Ergebnissen in den Nieder-
landen ein Verhalten zu sehen, das gegenüber den Wählerin-
nen und Wählern in Deutschland ähnlich schwer wiegen
könnte wie die Mittel des Zwangs oder Drucks. Zudem ist zu
berücksichtigen, dass sich – worauf das Bundesministerium
des Innern zu Recht hinweist – bislang keine transnationalen
europäischen politischen Parteien herausgebildet haben.
Allein die abstrakte Möglichkeit eines anderen Wahlverhal-
tens aufgrund einer vorzeitigen Bekanntgabe eines Wahl-
ergebnisses in einem anderenMitgliedstaat ist nicht geeignet,
unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Wählerbeein-
flussung oder unter einem anderen Gesichtspunkt einen
Wahlfehler zu begründen.
Soweit schließlich der Einspruchsführer die Durchführung
künftiger Europawahlen in allen Mitgliedstaaten an einem
Tag vorschlägt, so ist dem nicht im Rahmen eines Wahlprü-
fungsverfahrens nachzugehen, da dieses – wie bereits darge-
legt – allein auf die Feststellung von Wahlfehlern und deren
Relevanz für die Verteilung der Mandate bei der Europawahl
2004 beschränkt ist.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 55 – Drucksache 15/4750

Anlage 12

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn Dr. J. L., 52062 Aachen

– Az.: EuWP 45/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 13. August 2004 übermittelten Telefax hat der
Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abge-
ordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepu-
blik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Er
beanstandet, dass am 13. Juni 2004 in Deutschland von den
Landeswahlleitern und auf lokaler Ebene bereits vor Schlie-
ßung der letzten Wahllokale in anderen Mitgliedstaaten der
EuropäischenUnion (22Uhr) Teilergebnisse der Europawahl
bekannt gegeben worden seien. Dies verstoße gegen Arti-
kel 10 Abs. 2 des Aktes zur Einführung allgemeiner unmit-
telbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments vom 20. September 1976 (BGBl. 1977 II S. 733/734),
zuletzt geändert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni und
vom 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810) – Direkt-
wahlakt.
Diese Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
„EinMitgliedstaat darf das ihn betreffendeWahlergebnis erst
dann amtlich bekannt geben, wenn dieWahl in demMitglied-
staat, dessen Wähler innerhalb des in Absatz 1 genannten
Zeitraums [Donnerstagmorgen bis zu dem unmittelbar nach-
folgenden Sonntag; 10. bis 13. Juni 2004] als Letzte wählen,
abgeschlossen ist.“
In Italien, Polen und Slowenien schlossen dieWahllokale am
13. Juni 2004 um 22 Uhr, in Deutschland bereits um 18 Uhr.
Im Anschluss daran wurden in Deutschland Hochrechnun-
gen, in die nach und nach auch Teil- und Zwischenergebnisse
einflossen, veröffentlicht.
Nach der bis zum 31. März 2004 gültig gewesenen Fassung
des Artikels 9 Abs. 2 Direktwahlakt a. F. durfte mit der Er-
mittlung des Wahlergebnisses erst begonnen werden, wenn
die Wahl in dem Mitgliedstaat, dessen Wähler als Letzte
wählten, abgeschlossen war. Vor diesem Hintergrund hatte
der Bundeswahlleiter bei den fünf Europawahlen von 1979
bis 1999 das Ende der Wahlzeit unter Berücksichtigung der
Beendigung der Stimmabgabe in den anderen Mitglied-
staaten in Deutschland jeweils auf 21 Uhr festgelegt.
Im Vorfeld der Europawahl 2004 sind Meinungsunter-
schiede über die Auslegung von Artikel 10 Abs. 2 Direkt-

wahlakt in Bezug auf die Bekanntgabe von Teil- und Zwi-
schenergebnissen vor 22 Uhr erkennbar geworden. In einem
Schreiben vom 4. Mai 2004 an das Bundesministerium des
Innern vertrat der Generaldirektor für Justiz und Inneres der
Europäischen Kommission die Auffassung, dass die Wahl-
behörden in Deutschland die Ergebnisse ihrer Auszählung
frühestens um 22 Uhr öffentlich bekannt geben dürften. Er
hob hervor, dass die Wahlbehörden weder erste Ergebnisse
noch Teilergebnisse vor diesem Zeitpunkt öffentlich be-
kannt geben dürften. Mit der Bestimmung des Artikels 10
Abs. 2 Direktwahlakt solle sichergestellt werden, dass durch
die Bekanntgabe der Ergebnisse in einem Mitgliedstaat
nicht die noch laufende Stimmabgabe in anderen Mitglied-
staaten beeinflusst werde. In einem weiteren Schreiben, das
dem Bundeswahlleiter am 7. Juni 2004 zuging, bekräftigte
der Generaldirektor für Justiz und Inneres unter Bezug-
nahme auf zahlreiche unterschiedliche Reaktionen aus den
Mitgliedstaaten seine Auslegung von Artikel 10 Abs. 2 Di-
rektwahlakt. Wenn man berücksichtige, dass bei den Wah-
len zum Europäischen Parlament alle Wähler in der gesam-
ten Union die Abgeordneten für ein Gremium wählten, dann
stütze sich Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt auf die An-
nahme, dass die Union hinsichtlich der Wahlen als ein ein-
ziges Gesamtgebilde betrachtet werden könne. Darüber
hinaus solle zur Kenntnis genommen werden, dass überein-
stimmend mit dem Ziel, eine freie und unbeeinflusste Stim-
mabgabe sicherzustellen, die ursprüngliche Fassung der
Vorschrift so weit gegangen sei, dass selbst die Stimmen-
auszählung vor der Schließung der Wahllokale in dem letz-
ten Mitgliedstaat verboten gewesen sei. Die vom Europäi-
schen Rat mit der Änderung dieser Bestimmung verfolgte
Absicht sei offenbar praktischer Natur, d. h. es sollten unnö-
tige Verzögerungen und administrative Schwierigkeiten
beim Hinauszögern des Beginns der Stimmenauszählung
vermieden werden, vor allem in jenen Mitgliedstaaten, wo
die Stimmabgabe bereits früher als am Sonntag stattfinde.
Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt berücksichtige die unter-
schiedlichen Zeitpläne und verfolge die Absicht, schädliche
Auswirkungen auf demokratische Grundsätze zu vermei-
den. Die Wahlbehörden dürften die Ergebnisse ihrer Aus-
zählung – dies schließe sowohl Teilergebnisse als auch Vor-
abergebnisse ein – frühestens am 13. Juni 2004 um 22 Uhr

Drucksache 15/4750 – 56 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

offiziell bekannt geben. Der Grundsatz der öffentlichen
Auszählung der Stimmen werde durch Artikel 10 Abs. 2 Di-
rektwahlakt nicht in Frage gestellt.
Der Einspruchsführer kritisiert, dass diese Vorgaben von den
deutschen Wahlbehörden nicht beachtet worden seien. Hier-
bei stützt er sich auf den Zweck der Regelung in Artikel 10
Abs. 2 Direktwahlakt, wonach Wähler in Staaten der Euro-
päischen Union, in denen die Wahl noch nicht beendet sei, in
ihrer Wahlentscheidung nicht durch bereits veröffentlichte
Ergebnisse aus anderen Staaten der Europäischen Union be-
einflusst werden dürften. Diese Gefahr sei nicht nur theore-
tischer Natur gewesen. So habe beispielsweise die Internet-
Präsenz des italienischen Rundfunksenders RAI bereits um
18.27Uhr desWahlabends, also über dreieinhalb Stunden vor
Schließung der Wahllokale in Italien, als Topp-Meldung auf
der „Leitseite“ über erste Trendmeldungen aus Deutschland
berichtet. Der Einspruchsführer macht sich die oben darge-
stellteArgumentation desEU-Generaldirektors für Justiz und
Inneres zu Eigen, wonach die Bekanntgabe von Teilergebnis-
sen vor 22 Uhr einen Verstoß gegen Artikel 10 Abs. 2 Direkt-
wahlakt bedeute. In diesem Zusammenhangweist er die Dar-
stellung desBundeswahlleiters in einer Pressemitteilungvom
7. Juni 2004 als unzutreffend zurück, wonach es sich um die
Auswertung vonWählerbefragungen nach der Stimmabgabe
und der öffentlichen Stimmenauszählung in einzelnenWahl-
lokalen handeln werde, soweit Wahlforschungsinstitute am
Wahltag bereits vor der Bekanntgabe des vorläufigen amtli-
chen Wahlergebnisses Hochrechnungsergebnisse veröffent-
lichten. Auf die Befragung von Wählern und auf die in den
Wahllokalen mündlich vom Wahlvorstand bekannt gegebe-
nen Ergebnisse hätten sich die Wahlforschungsinstitute gar
nicht stützen müssen, da sie auf den Internetseiten der Lan-
deswahlleiter bzw. Kreiswahlleiter fortlaufend die Landes-
bzw.Kreisergebnisse ablesen hätten können.Vor diesemHin-
tergrund sei die amtliche Bekanntgabe des Wahlergebnisses
durch den Bundeswahlleiter (nach 22 Uhr) unerheblich ge-
wesen.
DieNeufassung desArtikels 10Abs. 2Direktwahlakt beziehe
sich nur auf den frühestmöglichen Beginn der Stimmenaus-
zählung, nicht jedoch auf den zulässigen Zeitpunkt der Be-
kanntgabe von Wahlergebnissen. Vor diesem Hintergrund
könne sich der Bundeswahlleiter nicht darauf berufen, er
habe die o. g. Schreiben des Generaldirektors für Justiz und
Inneres aus Zeitgründen nicht mehr umsetzen können.
Der Einspruchsführer weist auf seinen gegen die Europawahl
1999 erhobenen Wahleinspruch auf der Grundlage der vor-
herigenFassung der entsprechendenBestimmungdesDirekt-
wahlakts hin (Bundestagsdrucksache 14/2761, Anlage 16).
Ergänzend zu seinemWahleinspruch schlägt der Einspruchs-
führer vor, langfristig einen einheitlichen Wahltermin mit
gleichen Öffnungszeiten der Wahllokale in allen Mitglied-
staaten der Europäischen Union und hilfsweise eine Schlie-
ßung derWahllokale in derBundesrepublikDeutschland zum
spätestmöglichen Zeitpunkt innerhalb der Europäischen
Union (derzeit 22 Uhr) – bei gleichzeitiger Erhöhung der
Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlichen Wahlhelfer
– anzustreben. Sofern an einer Schließung der Wahllokale in
Deutschland um 18Uhr festgehaltenwerde, so schlägt er vor,
vor Ende derWahlen in allen EU-Mitgliedstaatenweder End-
ergebnisse noch Zwischen- oder Teilergebnisse bekannt zu
geben und zudem die Veröffentlichung von Umfragergebnis-

sen, Prognosen, Hochrechnungen und dergleichen zu unter-
binden.
Der Bundeswahlleiter hat in Abstimmung mit dem Bundes-
ministerium des Innern zu dem Einspruch wie folgt Stellung
genommen:
Der Zweck der Änderung des Direktwahlakts, die maßgeb-
lich aufgrund deutscher Initiative zustande gekommen sei,
werde in der Denkschrift zum Entwurf eines Zweiten Geset-
zes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahlakts
(unter II., zu Artikel 1, Nr. 9; Bundesratsdrucksache 237/03,
S. 8) wie folgt verdeutlicht:
„Nach der Neuregelung in Artikel 9 Abs. 2 Direktwahlakt
darf ein Mitgliedstaat das ihn betreffende Wahlergebnis erst
dann amtlich bekannt geben, wenn die Wahl in allen Mit-
gliedstaaten beendet ist. Bisher durfte zu diesem Zeitpunkt
erst mit der Ergebnisfeststellung begonnen werden. Die neue
Regelung reicht aus, um die Beeinflussung von Wählern
durch Ergebnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu vermeiden,
ohne dass wie bisher mit der Stimmenauszählung bis zur
Schließung der Wahllokale in allen Mitgliedstaaten gewartet
werdenmuss unddie ehrenamtlichenWahlvorständedement-
sprechend lange in Anspruch genommen werden. Deutsch-
land ist damit in der Lage, auch bei Europawahlen die Wahl-
zeit um 18 Uhr zu beenden und unmittelbar anschließend mit
der Stimmenauszählung zu beginnen. Dies wird seit langem,
insbesondere mit Nachdruck von den Kommunen, gefordert.
Mit der Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergeb-
nisses müsste bis zur Beendigung derWahl in allenMitglied-
staaten gewartet werden. Dieses liegt jedoch erfahrungsge-
mäß ohnehin erst nach diesem Zeitpunkt vor. Eine Änderung
von § 18 Abs. 1 Europawahlgesetz (EuWG) wäre erforder-
lich, um in Deutschland bei Europawahlen die Wahlzeit um
18 Uhr zu beenden und anschließend mit der Stimmenaus-
zählung zu beginnen.“
Aus Wortlaut und Zweck von Artikel 10 Abs. 2 Direktwahl-
akt ergebe sich folgende Rechtslage:
Die Vorschrift beziehe sich ausschließlich auf den Zeitpunkt
der Bekanntgabe des amtlichen Wahlergebnisses für das ge-
samteWahlgebiet einesMitgliedstaates. Untersagt werde da-
her, dass der Bundeswahlleiter das vorläufige Ergebnis im
Wahlgebiet bekannt gebe, bevor die Stimmabgabe in allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union beendet sei (§ 64
Abs. 6 Satz 2 Europawahlordnung – EuWO). Die Bekannt-
gabe und Verbreitung vorläufiger amtlicher Einzelergebnisse
auf regionaler Ebene (Länder, Kreise bzw. kreisfreie Städte,
Gemeinden,Wahlbezirke) werde durch dieseVorschrift nicht
berührt. Dementsprechend habe der Verordnungsgeber die
bisherige allgemeineRegelung über die Bekanntgabe vorläu-
figer Einzelergebnisse durch die Wahlleiter – abgesehen von
der Ergänzung von § 64 Abs. 6 EuWO durch Artikel 2 Nr. 2
der Vierten Verordnung zur Änderung der Europawahlord-
nung – nicht geändert. Danach gäben die Wahlleiter nach
Durchführung der ohne Vorliegen der Wahlniederschriften
möglichen Überprüfungen die vorläufigen Wahlergebnisse
mündlich oder in geeigneter Form bekannt (§ 64 Abs. 6
Satz 1 EuWO). Diese vorläufigen Ergebnisse seien mit der
Bekanntgabe der Öffentlichkeit zugänglich.
Es sei nunmehr zulässig, auch dann unmittelbar nach Ende
der Wahlzeit in Deutschland mit der Stimmenauszählung zu
beginnen, wenn dieser Zeitpunkt vor der Beendigung der

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 57 – Drucksache 15/4750

Stimmabgabe in einem anderen Mitgliedstaat liege. Deshalb
habe derGesetzgeber in § 18Abs. 1 EuWGden Satzteil „ , je-
doch nicht vor Ende der Stimmabgabe in den anderen Mit-
gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften,“ gestrichen
(vgl. Artikel 2 Nr. 3 des Vierten Gesetzes zur Änderung des
Europawahlgesetzes und Neunzehnten Gesetzes zur Ände-
rung des Europaabgeordnetengesetzes). Nach § 64 Abs. 6
Satz 2 EuWOwerde untersagt, dass der Bundeswahlleiter das
vorläufige Ergebnis im Wahlgebiet bekannt gebe, bevor die
Stimmabgabe in allen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union beendet sei. Außerdembestimme – entsprechend der in
Deutschland bei politischen Wahlen bestehenden Tradition –
der neu gefasste § 40 Abs. 1 EuWO, dass dieWahl von 8 Uhr
bis 18Uhr dauere. DieNeufassung dieserVorschrift sei durch
Artikel 2 Nr. 1 der Vierten Verordnung zur Änderung der Eu-
ropawahlordnung vom12.Dezember 2003 (BGBl. I S. 2551)
erfolgt und sei am 1. April 2004 in Kraft getreten.
Da Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt nur die amtliche Be-
kanntgabe des Wahlergebnisses erwähne, blieben die Veröf-
fentlichung der Ergebnisse vonWählerbefragungen nach der
Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung (vgl.
§ 32 Abs. 2 Bundeswahlgesetz) und Hochrechnungen der
Wahlforschungsinstitute unberührt.
Von dieser Sach- und Rechtslage seien die Wahlorgane und
Behörden in Deutschland bei der Vorbereitung und Durch-
führung der Europawahl 2004 ausgegangen. Aufgrund des
o. g. Schreibens des Generaldirektors für Justiz und Inneres
der EU-Kommission vom 4. Mai 2004 habe sich für mehrere
Mitgliedstaaten einschließlich Deutschland erheblicher Klä-
rungsbedarf ergeben. Obwohl der Bundeswahlleiter die Auf-
fassung der Kommission zur Auslegung des Artikels 10
Abs. 2 Direktwahlakt nicht teile, habe er im Einvernehmen
mit dem Bundesministerium des Innern entschieden, am
Wahlabend des 13. Juni 2004 vor 22Uhr keineErgebnisse der
Länder sowie der Kreise bzw. kreisfreien Städte zu veröffent-
lichen, um demAnliegen der Kommission entgegen zu kom-
men. Das vorläufige amtliche Ergebnis der sechsten Direkt-
wahl der 99 Abgeordneten aus der Bundesrepublik Deutsch-
land habe er am 14. Juni 2004 um 1 Uhr bekannt gegeben.
Von einer Empfehlung an die Landeswahlleiter sowie die
Kreis- und Stadtwahlleiter, in ihrem jeweiligen Zuständig-
keitsbereich entsprechend der Auffassung der Kommission
zu verfahren, habe er im Einvernehmen mit dem Bundesmi-
nisterium des Innern aus folgenden Gründen abgesehen: Vor
derWahl am 13. Juni 2004 hätten von den verbleibenden fünf
Werktagen nur noch drei Tage zur Verfügung gestanden, weil
der 10. Juni 2004 (Fronleichnam) in vielen Bundesländern
gesetzlicher Feiertag gewesen sei und am Samstag, dem
12. Juni 2004, öffentliche Einrichtungen in Deutschland
nicht gearbeitet hätten. In dieser Situation habe er es nicht für
vertretbar gehalten, in die aufGemeinde-, Kreis- und Landes-
ebene bereits eingerichteten und getesteten Verfahren der
Ergebniszusammenstellung und Veröffentlichung bei der
Europawahl ändernd einzugreifen. Diese Arbeitsschritte
seien bei über 13 000 Gemeinden, 439 Kreisen und kreis-
freien Städten sowie 16 Bundesländern in Deutschland so
komplex und sensibel, dass kurzfristige Veränderungen in
dem von der Kommission angestrebten Sinne die ordnungs-
gemäße und zügige Ergebnisermittlung bei der Europawahl
auf höchste gefährdet hätten. Darüber hinaus seien am
13. Juni 2004 in Deutschland nicht nur die Europawahlen,

sondern zahlreiche andere Wahlen (Landtagswahl in Thürin-
gen, Kommunalwahlen in sechs weiteren Bundesländern so-
wie Wahlen von Bürgermeistern und Landräten in weiteren
fünf Ländern und in Hamburg ein Volksentscheid) durchge-
führtworden.Woneben derEuropawahlweitereWahlen oder
Abstimmung durchgeführt worden seien, sei vorrangig das
Ergebnis der Europawahl zu ermitteln gewesen.
Die Bekanntgabe von regionalen Ergebnissen der Europa-
wahl 2004 vor 22 Uhr stelle keinen Verstoß gegen Artikel 10
Abs. 2 Direktwahlakt dar, so dass kein Wahlfehler vorliege.
DieseRegelung stelle in der amtlichendeutschenFassung un-
zweideutig auf das Wahlergebnis „des Mitgliedstaates“ ab,
das nicht vor Schließung des letzen Wahllokals in anderen
Mitgliedstaaten amtlich bekannt gegeben werden dürfe. Ge-
meint sei also das Gesamtergebnis; die Veröffentlichung von
Teil- und Zwischenergebnissen bzw. Hochrechnungen sei
nach dem deutschen amtlichen Text nicht untersagt. Diese
Auslegung führe auch nicht zu einer Verletzung des Grund-
satzes der Freiheit der Wahl. Eine Beeinflussung der Wähler
anderer Mitgliedstaaten sei durch die Bekanntgabe von Teil-
und Zwischenergebnissen nicht zu befürchten, selbst wenn
sich die Hochrechnungen der Meinungsforschungsinstitute
im Laufe des Wahlabends auch hierauf gestützt hätten. Auch
nach Änderung des Direktwahlakts seien weiterhin keine
transnationalen Wahlvorschläge, bei denen ein Einfluss auf
das Wahlverhalten über Ländergrenzen hinweg denkbar
wäre, zugelassen. Vielmehr wähle jeder Mitgliedstaat nach
eigenen Wahlvorschlägen die eigenen Abgeordneten. Da
auch keine supranationalen Parteien angetreten seien, sei da-
von auszugehen, dass dieWahlentscheidung bei Europawah-
len vor allem national bestimmt sei. Dies sei durch die Be-
wertungen derWahlforschungsinstitute nach derWahl bestä-
tigt worden.
Selbst wenn man einen Wahlfehler bejahen würde, könnte
dieser – so derBundeswahlleiter – einenWahleinspruchman-
gels Einfluss auf die Mandatsverteilung der Abgeordneten
des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland (Mandatsrelevanz) nicht erfolgreich begründen.
Der Deutsche Bundestag prüfe im Falle einer Wahlanfech-
tung nur die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Par-
laments aus der BundesrepublikDeutschland.Abgesehen da-
von, dass der Einspruchsführer eine Beeinflussung vonWäh-
lern in anderen Mitgliedstaaten durch die amtliche Bekannt-
gabe von deutschen Wahlergebnissen auf regionaler Ebene
am Wahlabend vor 22 Uhr lediglich vermute, ohne hierzu
konkrete Fälle vorzutragen, seien Auswirkungen dieser na-
turgemäß nach Ende der Wahlzeit in Deutschland erfolgten
Veröffentlichungen auf die Wahl der deutschen Abgeordne-
ten ersichtlich ausgeschlossen.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu wie
folgt geäußert:
Soweit auf die Denkschrift der Bundesregierung zum Ent-
wurf eines Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Än-
derung des Direktwahlakts Bezug genommen werde, so sei
darauf hinzuweisen, dass dort immerhin die Zielsetzung des
Artikels 10 Abs. 2 Direktwahlakt anerkannt werde, eine Be-
einflussung von Wählern durch Ergebnisse aus anderen Mit-
gliedstaaten zu vermeiden. Aus der Denkschrift gehe jedoch
nicht hinreichend hervor, dass die „amtlicheBekanntgabe des
Wahlergebnisses“ wesentlich mehr umfasse als nur die Be-

Drucksache 15/4750 – 58 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses. Es
gebe nämlich auch andere amtliche Stellen, die mit der
Durchführung der Europawahl betraut seien (z. B. Landes-
wahlleiter oder kommunale Wahlämter). Die „Bekanntgabe
des Wahlergebnisses“ umfasse weit mehr als die abschlie-
ßende Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses durch
den Bundeswahlleiter. Auch Teil- und Zwischenergebnisse
seien Bestandteil desWahlergebnisses. Darüber hinaus sei zu
berücksichtigen, dass die Denkschrift der Bundesregierung
nur deren Interpretation des neugefassten Direktwahlakts
enthalte. Ob diese Verhandlungsposition der Bundesregie-
rung bei den anderen Regierungen der Europäischen Union
auf Zustimmung gestoßen sei, werde nicht belegt. Für die In-
terpretation des Direktwahlakts sei jedoch die Intention der
Regierungen aller EU-Mitgliedstaaten maßgeblich. Die o. g.
Schreiben des Generaldirektors für Justiz und Inneres der
EU-Kommission zeigten, dass es der Bundesregierung nicht
gelungen sei, in den Verhandlungen einen Konsens in dem in
der Denkschrift dargestellten Sinne zu erzielen.
Dem Bundeswahlleiter sei auch insoweit zu widersprechen,
als er die Veröffentlichung von Hochrechnungen vor der
Schließung der Wahllokale in denjenigen Mitgliedstaaten,
die als Letzte wählten, für zulässig halte. In die Hochrech-
nungen würden nämlich die zum Zeitpunkt ihrer Erstellung
bereits bekannten Teil- und Zwischenergebnisse der Auszäh-
lung mit einbezogen. Der Bundeswahlleiter könne sich auch
nicht darauf berufen, dass er imAnschluss an die o. g. Schrei-
ben des Generaldirektors nicht mehr genügend Zeit gehabt
habe, die dort dargestellte Rechtslage an die Wahlleiter und
Wahlbehörden weiterzugeben. Das Verbot der Bekanntgabe
des Wahlergebnisses vor Schließung der Wahllokale in allen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelte nämlich be-
reits seit 1976 unverändert. Aufgrund der fehlerhaften Inter-
pretation des Artikels 10 Abs. 2 Direktwahlakt durch den
Bundeswahlleiter sei der Termindruck letztlich selbst ver-
schuldet gewesen.
Das Argument, es seien keine supranationalen Parteien bei
der Europawahl angetreten, treffe nicht zu. Am 21. Februar
2004 hätten nämlich 32 europäische grüne Parteien, darunter
auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aus Deutschland, die
„European Green Party“ als supranationale Partei gegründet.
Eine Beeinflussung der Wähler in anderen Mitgliedstaaten
sei – entgegen der Auffassung des Bundeswahlleiters – kon-
kretmöglich gewesen,wie sein o. g. Beispiel der Internet-Be-
richterstattung durch die italienische Rundfunkanstalt RAI
zeige. Es gebe bei jeder Wahl Wählerinnen und Wähler, die
ihre Wahlentscheidung spontan im Hinblick auf die aktuelle
Berichterstattung in den Medien träfen.
Im Hinblick auf die vomBundeswahlleiter geltend gemachte
fehlendeMandatsrelevanz für dieAbgeordneten aus derBun-
desrepublik Deutschland führt der Einspruchsführer aus, der
DeutscheBundestagmüsse sich dieMöglichkeit offen halten,
einen Wahlfehler festzustellen und ggf. auf eine Wiederho-
lung der Europawahl in allen EU-Mitgliedstaaten hinzuwir-
ken. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des
Einspruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug ge-
nommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Ein wahlprüfungsrechtlich relevanter Wahlfehler ist nicht
festzustellen.Die am13. Juni 2004 bereits vor 22Uhr erfolgte
Bekanntgabe von Teil- und Zwischenergebnissen der Euro-
pawahl 2004 durch bundesdeutscheWahlbehörden stellt kei-
nen Verstoß gegen bundesdeutsche Rechtsvorschriften dar
und trägt dem Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt insoweit
Rechnung, als hierdurch – entsprechend dem Zweck der Vor-
schrift – die noch laufende Stimmabgabe in anderen Mit-
gliedstaaten nicht konkret beeinflusst worden ist.
Ein Verstoß gegen § 64 Abs. 6 Satz 2 EuWO liegt nicht vor.
Nach dieser Vorschrift gibt der Bundeswahlleiter das vorläu-
fige Wahlergebnis im Wahlgebiet frühestens dann bekannt,
wenn die Stimmabgabe in allen Mitgliedstaaten der Europä-
ischen Union beendet ist. In den Mitgliedstaaten, die als
Letzte gewählt haben, schlossen die Wahllokale am 13. Juni
2004 um 22 Uhr. Der Bundeswahlleiter gab das vorläufige
amtliche Ergebnis der sechsten Direktwahl der 99 Abgeord-
neten aus der Bundesrepublik Deutschland am 14. Juni 2004
um 1 Uhr bekannt und hat damit dieser Vorschrift entspro-
chen.
Es liegt auch kein Verstoß gegen § 64 Abs. 6 Satz 1 EuWO
vor. Nach dieser Vorschrift geben dieWahlleiter nach Durch-
führung der ohne Vorliegen der Wahlniederschriften mögli-
chen Überprüfungen die vorläufigen Wahlergebnisse münd-
lich oder in geeigneter anderer Formbekannt.Die unmittelbar
im Anschluss an die jeweilige Stimmenauszählung erfolgte
öffentliche Bekanntgabe der betreffenden vorläufigen Teiler-
gebnisse durch Landes-, Kreis- und Stadtwahlleiter bereits
vor 22 Uhr verstößt nicht gegen den Wortlaut der Vorschrift.
Ein bestimmter Zeitpunkt der Bekanntgabe ist darin nicht an-
gegeben. Auch eine europarechtskonforme, an Artikel 10
Abs. 2 Direktwahlakt orientierte Auslegung des § 64 Abs. 6
Satz 1 EuWO führt nicht zu einer Interpretation dieser Vor-
schrift in dem Sinne, dass eine Veröffentlichung von Teiler-
gebnissen bereits vor 22 Uhr dagegen verstoßen würde.
Ebensowenig, wie derDeutscheBundestag sich dazu berufen
sieht, im Rahmen des deutschen Wahlprüfungsverfahrens zu
klären, ob deutsche Vorschriften zur Wahl des Europäischen
Parlaments wegen einer Verletzung europäischen Rechts zu
verwerfen sind, sieht er sich dazu berufen, im Rahmen einer
– grundsätzlich möglichen – europarechtskonformen Ausle-
gung einer deutschenWahlrechtsvorschrift eine verbindliche
EntscheidungüberMeinungsverschiedenheiten zwischender
Europäischen Kommission und einzelnen Mitgliedstaaten
zur Auslegung des Direktwahlakts zu treffen. Eine solche
verbindliche Entscheidung müsste auf einem anderen Wege
erfolgen (Bundestagsdrucksache 14/2761, Anlage 1). Für die
Feststellung, dass kein Wahlfehler vorliegt, ist maßgeblich,
dass die von den Wahlbehörden vorgenommene Auslegung
nach den allgemeinen Auslegungsregeln vertretbar ist und
dass die Zielsetzung von Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt
nicht unterlaufen wird. Diese Voraussetzungen müssen des-
halb erfüllt sein, weil in den einzelnen Mitgliedstaaten ein
einheitliches europäisches Organ, nämlich das Europäische
Parlament, gewählt wird und weil Artikel 10 Abs. 2 Direkt-
wahlakt diesen Vorgang im Sinne eines kooperativen Zusam-
menwirkens der Mitgliedstaaten unterstützt. Aus der Denk-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59 – Drucksache 15/4750

schrift der Bundesregierung zum Entwurf eines Zweiten Ge-
setzes über die Zustimmung zur Änderung des Direktwahl-
akts geht hervor, dass die Bundesregierung zumindest auch
das Ziel verfolgt, die Beeinflussung von Wählern durch Er-
gebnisse aus anderen Mitgliedstaaten zu vermeiden. Nach
den allgemeinen Auslegungsregeln erscheint die vom Bun-
deswahlleiter in Abstimmung mit dem Bundesministerium
des Innern bei der Europawahl 2004 vorgenommene Ausle-
gung der Vorschrift, wonach mit der Veröffentlichung von
Teilergebnissen durch die Landes-, Kreis- und Stadtwahllei-
ter nicht bis 22 Uhr gewartet werden musste, als vertretbar.
Hierbei ist – wie aus der Stellungnahme des Bundeswahllei-
ters hervorgeht – der Bedeutungsgehalt des Artikels 10Abs. 2
Direktwahlakt in einer Art undWeise berücksichtigt worden,
die das Auslegungsergebnis weder als schlechterdings un-
haltbar noch alswillkürlich erscheinen ließe. Somit liegt auch
unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts einer europa-
rechtskonformen Auslegung kein Verstoß gegen die Vor-
schrift des § 64 Abs. 1 Satz 1 EuWO vor.
Ein wahlprüfungsrechtlich relevanter Wahlfehler kann auch
nicht festgestellt werden, soweit es der Bundeswahlleiter – in
Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern – un-
terlassen hat, entsprechend der in den beiden Schreiben des
Generaldirektors für Justiz und Inneres übermittelten Ausle-
gung des Artikels 10 Abs. 2 Direktwahlakt durch die Euro-
päische Kommission gegenüber denWahlorganen undWahl-
behörden inDeutschland darauf hinzuwirken, dass Teilergeb-
nisse und Vorabergebnisse am 13. Juni 2004 nicht vor 22 Uhr
bekannt gegeben werden dürfen. Bei der Frage, ob ein Ver-
stoß gegen Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt vorliegt, gilt
einerseits der – bereits erwähnte – Grundsatz, dass sich der
Deutsche Bundestag nicht berufen sieht, im Wahlprüfungs-
verfahren eine verbindliche Entscheidung überMeinungsun-
terschiede zwischen der Europäischen Kommission undMit-
gliedstaaten im Vorfeld einer Europawahl eine verbindliche
Entscheidung zu treffen. Andererseits sieht er seine Aufgabe
darin, im Sinne einer geordneten Durchführung der Europa-
wahl und eines möglichst kooperativen Zusammenwirkens
der Bundesrepublik Deutschland mit der Europäischen
Union und den anderenMitgliedstaaten zu überprüfen, ob der
Direktwahlakt – vorliegend die Vorschrift des Artikels 10
Abs. 2 – nach den allgemeinen Auslegungsregeln vertretbar
ausgelegt worden ist und dessen Zielsetzung im Grundsatz
beachtet worden ist (vgl. Bundestagsdrucksache 14/2761,
Anlage 16). Die vom Bundeswahlleiter vorgenommene Aus-
legung von Artikel 10 Abs. 2 Direktwahlakt verstößt nicht
gegen denWortlaut der Vorschrift und ist zumindest auch am
Zweck der Vorschrift orientiert, eine Beeinflussung der noch
laufendenStimmabgabe in anderenMitgliedstaaten durch die
Bekanntgabe von Ergebnissen zu vermeiden. Auch unter Be-
rücksichtigungdesUmstandes, dass die Stimmenauszählung,
die bereits unmittelbar nach Schließung der Wahllokale be-

ginnen durfte, öffentlich ist, ist die vom Bundeswahlleiter
vorgenommene Auslegung jedenfalls nicht schlechterdings
unhaltbar oder gar willkürlich. Entscheidend ist, dass durch
die Veröffentlichung von vorläufigen Teilergebnissen in
Deutschland bereits vor 22 Uhr eine konkrete Beeinflussung
der freienWahlentscheidung in anderenMitgliedstaatennicht
stattgefunden hat und somit die Zielsetzung der Vorschrift
– jedenfalls in ihrem Kern – erreicht worden ist.
Der Bundeswahlleiter weist zu Recht darauf hin, dass bei der
Europawahl 2004 keine transnationalen Wahlvorschläge zu-
gelassen waren und auch keine supranationalen Parteien an-
getreten sind. Die vom Einspruchsführer in diesem Zusam-
menhang erwähnte Gründung einer supranationalen Partei
bedeutet nicht, dass diese auch als solche zur Europawahl an-
getreten wäre. Das vom Einspruchsführer angeführte Bei-
spiel der Internet-Berichterstattung durch die italienische
Rundfunkanstalt RAI belegt ebenfalls keine konkrete Be-
einflussung der freien Wahlentscheidung von italienischen
Wählern aufgrund der Bekanntgabe von Teilergebnissen in
Deutschland. Insoweit kann allenfalls von einer abstrakten
und nach den derzeitigen Verhältnissen eher theoretischen
Möglichkeit einer Beeinflussung gesprochen werden.
Dem Einspruchsführer ist zuzugestehen, dass Artikel 10
Abs. 2 Direktwahlakt nach der Auslegung der Europäischen
Kommission imHinblick auf die Annahme, dass die Europä-
ische Union hinsichtlich derWahlen als ein einziges Gesamt-
gebilde betrachtet werden könne, eine noch weiterreichende
Zielsetzung haben kann. Nach dem oben dargestellten – ein-
geschränkten – Prüfungsmaßstab des Deutschen Bundes-
tages im Hinblick auf dessen Aufgabe reicht die abstrakte,
theoretische Möglichkeit einer Beeinflussung nicht für die
Feststellung eines Wahlfehlers aus. Hierbei ist auch zu
berücksichtigen, dass – entgegen der Auffassung des Ein-
spruchsführers –Hochrechnungen nicht in denAnwendungs-
bereich des Artikels 10 Abs. 2 Direktwahlakt fallen.
Da somit ein wahlprüfungsrechtlich relevanter Wahlfehler
nicht festzustellen ist, kommt es auf die vom Bundeswahl-
leiter zu Recht angeführte fehlende Mandatsrelevanz eines
etwaigen Wahlfehlers für die Wahl der 99 Abgeordneten aus
der Bundesrepublik Deutschland nicht an.
Soweit schließlich der Einspruchsführer Vorschläge zur zeit-
lichen Gestaltung künftiger Europawahlen und zur künftigen
HandhabungderVorschrift desArtikels 10Abs. 2Direktwahl-
akt macht, so ist dem nicht im Rahmen eines Wahlprüfungs-
verfahrens nachzugehen, da dieses allein auf die Feststellung
von Wahlfehlern und deren Relevanz für die Verteilung der
Mandate bei der Europawahl 2004 beschränkt ist.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 61 – Drucksache 15/4750

Anlage 13

Tatbestand
Mit textidentischen Schreiben vom 6. August 2004, die beim
Deutschen Bundestag jeweils am 13. August 2004 eingegan-
gen sind, haben die DEUTSCHE PARTEI (Einspruchsführe-
rin zu Nummer 1) und die Einspruchsführerin zu Nummer 2
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Euro-
päischenParlaments aus derBundesrepublikDeutschland am
13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Die Einspruchsführerin-
nen machen eine Verletzung des Grundsatzes der Chancen-
gleichheit geltend, weil zum einen Name und Kurzbezeich-
nung der Partei auf den meisten Stimmzetteln fehlerhaft dar-
gestellt worden seien und ihr zudem nicht das Führen der von
ihr gewünschten Zusatzbezeichnung erlaubt worden sei.
Zur Begründung führen die Einspruchsführerinnen an, dass
derName und dasKürzel der Partei entgegen den vorgelegten
Unterlagen in den meisten Bundesländern – mit Ausnahme
vonHessen – auf den Stimmzetteln falsch angegebenworden
sei. Auf dem linken Abschnitt des Stimmzettels hätte ihrer
Ansicht nach der ausgeschriebene Name DEUTSCHE PAR-
TEI stehen müssen, während auf dem rechten Abschnitt des
Stimmzettels die Kurzbezeichnung „DP“ hätte aufgeführt
sein müssen. In den übrigen Bundesländern sei die Kurzbe-
zeichnung auf dem linken Abschnitt des Stimmzettels aufge-
führt gewesen und auf der rechten Seite habe der ausgeschrie-
bene Name der Partei gestanden. Wegen des einheitlichen
Bildes in der Öffentlichkeit und derWahlwerbung habe diese
Abweichung für unerfahrene Wählerinnen und Wähler eine
Irritation bei der Stimmabgabe bedeutet, da auch andere po-
litische Parteien die Bezeichnung „deutsch“ oder „Deutsch-
land“ in ihrer Namensbezeichnung hätten. Es sei auf die ge-
naue Angabe der DEUTSCHEN PARTEI angekommen, so
dass die Chancengleichheit gegenüber denMitbewerbern be-
einträchtigt gewesen sei.
Daneben tragen die Einspruchsführerinnen vor, dass derBun-
deswahlleiter der Partei „AB JETZT···BÜNDNIS FÜR
DEUTSCHLAND“ gestattet habe, in deren Namensbezeich-

nung die Werbeaussage „Keine Zuwanderung ins soziale
Netz“ aufzunehmen, obwohl dies kein Name, sondern eine
Wahlaussage gewesen sei. Demgegenüber habe es der Bun-
deswahlleiter abgelehnt, zusätzlich zum Namen der DEUT-
SCHEN PARTEI die Zusatzbezeichnung „endlich Politik für
Deutschland“ als Untertitel in den Parteinamen aufzuneh-
men. In dieser „Weigerung“ werde ein Verstoß gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz und die Chancengleichheit al-
ler politischen Parteien gesehen. Dieser Zusatz sei nämlich in
gleicher Weise als Aussage zu beurteilen wie bei der Mitbe-
werberin „ABJETZT···BÜNDNISFÜRDEUTSCHLAND“.

Der Bundeswahlleiter hat hierzu unter Einbeziehung einer
Stellungnahme des Landeswahlleiters für das Land Hessen
wie folgt Stellung genommen:

Inhalt und äußere Gestaltung des Stimmzettels seien sowohl
im Europawahlgesetz (EuWG) als auch in der Europawahl-
ordnung (EuWO) näher geregelt. § 15 Abs. 2 EuWG be-
stimme dessen notwendigen Inhalt und § 15 Abs. 3 EuWG
die Reihenfolge der Wahlvorschläge auf dem Stimmzettel,
während § 38 Abs. 1 EuWO einige Voraussetzungen der äu-
ßeren Gestaltung wie Größe, Papierqualität und Lage des
Kennzeichnungsfeldes festlege. Auf diesen Normen basiere
dasMuster des Europawahlstimmzettels inAnlage 22 der Eu-
ropawahlordnung. Die Abfolge bei der Nennung von Name
und Kurzbezeichnung bzw. Kennwort des Wahlvorschlags-
trägers sei in den genannten Bestimmungen nicht geregelt.
Das Muster nach Anlage 22 der Europawahlordnung, das
eine Angabe der Kurzbezeichnung bzw. des Kennwortes
links vor dem Namen der Partei bzw. der sonstigen politi-
schen Vereinigung vorsehe, sei insoweit nicht als zwingende
gestalterische Vorgabe zu verstehen. Die Reihenfolge bei der
Nennung von Namen und Kurzbezeichnung bzw. Kennwort
auf dem beim Bundeswahlleiter oder dem jeweils zuständi-
gen Landeswahlleiter eingereichten Wahlvorschlag habe
keine weitergehende bindende Wirkung, soweit die Angabe

Beschlussempfehlung

Zu den Wahleinsprüchen
1. der DEUTSCHEN PARTEI, vertreten durch den Bundesvorstand,

dieser vertreten durch Herrn Dr. H. K., 65812 Bad Soden
– Az.: EuWP 41/04 –

und
2. der Frau C. W., 06784 Kakau

– Az.: EuWP 42/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Die Wahleinsprüche werden zurückgewiesen.

Drucksache 15/4750 – 62 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

auf dem Stimmzettel mit dem eingereichten Wahlvorschlag
inhaltlich übereinstimme.
Die Landeswahlleiter der Länder, die gemäß § 81 Abs. 2
Nr. 9 EuWO für die Beschaffung und daher auch für den
Druck der Stimmzettel zuständig gewesen seien, hätten be-
züglich der Positionierung desNamens und der Kurzbezeich-
nung bzw. des Kennwortes des Wahlvorschlagsträgers vom
vorgeschlagenenMuster beim Aufbaus des Stimmzettels ab-
weichen dürfen, sofern sie die Bestimmungen in § 15 Abs. 2
und 3 EuWG sowie § 38 Abs. 1 EuWO beachtet hätten.
15 Bundesländer hätten ihre Stimmzettel für die Europawahl
2004 nach dem Muster der Anlage 22 der Europawahlord-
nung gestaltet und die Kurzbezeichnungen bzw. das Kenn-
wort aller im jeweiligen Bundesland mit einer gemeinsamen
Liste für alle Länder oder mit einer Liste für das jeweilige
Bundesland kandidierenden Parteien bzw. sonstigen politi-
schenVereinigungen auf die linke Seite des Stimmzettels und
die vollständigen Namen rechts davon gedruckt. Der von den
Einspruchsführerinnen beanstandete Aufbau der Europa-
wahlstimmzettel habe daher in diesen Bundesländern den ge-
setzlichen Vorgaben desWahlrechts und demMuster der An-
lage 22 der Europawahlordnung entsprochen. Das Land Hes-
sen sei insoweit von diesem Muster abgewichen, als es auf
dem Europawahlstimmzettel den vollständigen Namen des
Wahlvorschlagsträgers auf der linken Seite und rechts dane-
ben dessen Kurzbezeichnung bzw. Kennwort positioniert
habe. Eine solche Veränderung des unverbindlichen Musters
der Anlage 22 der Europawahlordnung sei rechtlich nicht zu
beanstanden gewesen, da die gesetzlichen Vorgaben des § 15
Abs. 2 und 3 EuWG sowie des § 38 Abs. 1 EuWO eingehal-
ten worden seien.
Im Übrigen sei nicht davon auszugehen, dass die Nennung
der Kurzbezeichnung des Wahlvorschlagsträgers vor dem
vollständigen Namen eine Verwirrung beim Wähler hervor-
gerufen habe oder gar eine Verwechslung habe befürchten
lassen. Alle auf dem Stimmzettel aufgeführten Wahlvor-
schlagsträger seien in derselben Weise und auf allen Stimm-
zetteln im jeweiligen Bundesland genannt gewesen. Der
Wähler habe beim Lesen des Stimmzettels die Kurzbezeich-
nung bzw. das Kennwort dem entsprechenden dahinter- oder
davorstehendenNamen desWahlvorschlagsträgers zuordnen
können. Die Namen undKurzbezeichnungen bzw. Kennwör-
ter der zur Europawahl zugelassenen Wahlvorschlagsträger
hätten sich deutlich voneinander unterschieden.
Wegen der Ausführungen in der vom Bundeswahlleiter
hierzu eingeholten Stellungnahme des Landeswahlleiters des
Landes Hessen, die den Einspruchsführerinnen bekannt ge-
macht worden ist, wird auf den Inhalt der Akten Bezug
genommen.
Zum Vortrag der Einspruchsführerinnen hinsichtlich der Zu-
satzbezeichnung zum Parteinamen auf den Stimmzetteln
führt der Bundeswahlleiter aus, dass die DEUTSCHE PAR-
TEI mit Schreiben vom 26. Januar 2004 mitgeteilt habe, dass
sie auf ihrem Parteitag am 24. Januar 2004 beschlossen habe,
ihrem Parteinamen für die Europawahl den Zusatz „für deut-
sche Interessen“ anzufügen. Der Bundeswahlleiter sei um
Prüfung gebeten worden, ob diese Ergänzung des Parteina-
mens auf dem Stimmzettel für die Europawahl am 13. Juni
2004 mit aufgeführt werden könne. Eine Zusatzbezeichnung
„endlich Politik für Deutschland“, wie imWahleinspruch der
DEUTSCHEN PARTEI aufgeführt, sei dem Bundeswahl-

leiter gegenüber nicht erwähnt worden. Mit Schreiben vom
2. Februar 2004 sei der DEUTSCHEN PARTEI mitgeteilt
worden, dass der Zusatz „für deutsche Interessen“ weder auf
dem Stimmzettel noch auf den Formblättern für Unterstüt-
zungsunterschriften verwendet werden könne, da er nicht
satzungsgemäß sei. Dem Wahlprüfungsausschuss liegt das
Schreiben der DEUTSCHEN PARTEI vom 26. Januar 2004
und das Antwortschreiben des Bundeswahlleiters vom
2. Februar 2004 vor.
Gemäߧ 4Abs. 1 Satz 2Parteiengesetz (PartG) dürfe – so der
Bundeswahlleiter in seiner Stellungnahme weiter – eine Par-
tei im Rahmen der Wahlwerbung und im Wahlverfahren nur
ihren satzungsmäßigen Namen oder ihre Kurzbezeichnung
führen; Zusatzbezeichnungen könnten weggelassen werden.
Daraus folge, dass auch Zusatzbezeichnungen in der Satzung
verankert sein müssten (vgl. Schreiber, Kommentar zum
Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 20 Rn. 21 und § 27 Rn. 10).
Die Einspruchsführerin zu Nummer 1 führe nach § 1 ihrer
Satzung den Namen „DEUTSCHE PARTEI“, so dass nur
dieserNameauf denStimmzetteln derEuropawahl 2004 habe
berücksichtigt werden können. Nach den maßgeblichen
gesetzlichen Regelungen sei es nicht möglich gewesen, den
Parteinamen nur zur Verwendung bei einer bestimmtenWahl
zu ändern bzw. zu ergänzen. Die von den Einspruchsführe-
rinnen erwähnte Zusatzbezeichnung der Partei „AB JETZT···
BÜNDNIS FÜR DEUTSCHLAND“ sei in der Parteisatzung
verankert und habe daher im Wahlverfahren verwendet wer-
den dürfen. In der Wahl ihres Namen sowie ihrer Kurzbe-
zeichnung seien die Parteien grundsätzlich frei, ebenso hin-
sichtlich einer möglichen Zusatzbezeichnung. Im Gegensatz
zumVorbringen der Einspruchsführerinnen sei es daher auch
nicht „abgelehnt“ worden, dass die DEUTSCHE PARTEI
ihren Namen um die Zusatzbezeichnung „endlich Politik für
Deutschland“ ergänzen könne. In dem Schriftverkehr mit der
DEUTSCHEN PARTEI sei es lediglich um die Verwendung
eines Namenszusatzes bei der Europawahl 2004 ohne ent-
sprechende Änderung der in der Satzung festgelegten Partei-
bezeichnung gegangen.
Die Stellungnahme ist beiden Einspruchsführerinnen be-
kannt gegeben worden. Sie haben sich hierzu nicht mehr ge-
äußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Die Einsprüche sind form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Sie sind zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Die Gestaltung der
Stimmzettel entspricht sowohl im Land Hessen als auch in
den anderen Bundesländern den wahlrechtlichen Vorschrif-
ten. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 2 EuWG enthält der Stimmzettel
für die Europawahl u. a. die Namen der Parteien und, sofern
sie eine Kurzbezeichnung verwenden, auch diese. Aus dieser
Vorschrift kann bezüglich der Gestaltung des Stimmzettels
nicht abgeleitet werden, dass die Kurzbezeichnung der Par-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63 – Drucksache 15/4750

teien auf jeden Fall nach deren Namen aufgeführt sein
müsste. Umgekehrt kann aus dem Muster in Anlage 22 der
Europawahlordnung nicht abgeleitet werden, dass die Kurz-
bezeichnung auf jeden Fall vorangestellt werden müsste. Im
§ 38 Abs. 1 Satz 6 EuWOwird ausdrücklich auf „ein Muster
für den Stimmzettel“ in Anlage 22 verwiesen. Lediglich für
Länderabkürzungen bei Bewerbern für gemeinsame Listen
für alle Länderwerden dieAngaben inAnlage 22 für verbind-
lich erklärt (§ 38Abs. 1 Satz 7 EuWO). Die in diesemMuster
vorgeschlagene Reihenfolge (Kurzbezeichnung – Partei-
name), in der die Stimmzettel in 15 Bundesländern gestaltet
waren, entspricht auf jeden Fall derVorschrift des § 15Abs. 2
Nr. 2 EuWG.Wird ein Muster für die Gestaltung des Stimm-
zettels angeboten, so können sich die Wahlbehörden darauf
verlassen, dass sie bei Verwendung des Musters rechtmäßig
handeln (vgl. Schreiber,Kommentar zumBundeswahlgesetz,
7. Auflage, § 30 Rn. 3). Die gesetzlichen Vorgaben für den
Stimmzettel in § 15 Abs. 2 EuWG haben den Zweck, die
Grundlage für eine gültige Stimmabgabe zu schaffen und der
Gefahr einer Verwirrung oder Beeinflussung der Wählerin-
nen und Wähler vorzubeugen (Schreiber, a. a. O.). Dieses
Ziel wird sowohl durch die Gestaltung in der Reihenfolge
Parteiname – Kurzbezeichnung als auch in der umgekehrten
Reihenfolge erreicht. Unabhängig davon ist nicht erkennbar,
wie die DEUTSCHE PARTEI von der auf den Stimmzettel-
vordrucken gewählten Reihenfolge gegenüber anderen
Parteien nachteilig betroffen sein könnte.
EinWahlfehler ist auch nicht darin zu sehen, dass der DEUT-
SCHEN PARTEI nicht gestattet worden ist, ihrem Partei-
namen und ihrer Kurzbezeichnung einen weiteren Zusatz an-
zufügen. Wie der Bundeswahlleiter überzeugend dargelegt
hat, müsste eine derartige Zusatzbezeichnung satzungsmäßig
verankert sein. Dies ist der DEUTSCHEN PARTEI (Ein-
spruchsführerin zu Nummer 1) mit Schreiben vom 2. Februar
2004 mitgeteilt worden. Bei der Partei „AB JETZT···BÜND-
NIS FÜR DEUTSCHLAND“ war eine solche satzungsmä-
ßige Verankerung der Zusatzbezeichnung im Gegensatz zur
DEUTSCHEN PARTEI gegeben. Somit ist der Grundsatz
der Chancengleichheit nicht verletzt worden.
Die Einsprüche sind somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 65 – Drucksache 15/4750

Anlage 14

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. S., 26798 Moormerland

– Az.: EuWP 08/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 6. Juni 2004, das von der Bezirksregie-
rung Weser-Ems an den Deutschen Bundestag weitergeleitet
worden und hier am 23. Juni 2004 eingegangen ist und das in-
haltsgleich an weitere Stellen – u. a. den Bundeswahlleiter –
übersandt wurde, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen
die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni
2004 eingelegt. Der Einspruchsführer beanstandet im We-
sentlichen, dass sein Wahllokal im Ems-Sperrwerk nicht be-
hindertengerecht sei.
Er trägt vor, dass dieses Wahllokal aufgrund seiner schweren
körperlichen Behinderung für ihn nicht erreichbar sei. Weder
die Zufahrt noch das Gebäude seien für ihn erreichbar. Der
Fahrstuhl sei für ihn ungeeignet und zu klein. Er könne nicht
im Pkw befördert werden undmüsse sich in seinemRollstuhl
zu seinemWahllokal begeben. Daneben sei für ihn als „Stau-
werksgegner“ die Einrichtung desWahllokals imEms-Sperr-
werk nicht akzeptabel. Der Einspruchsführer vertritt die
Auffassung, dass er nicht zur Teilnahme an der Briefwahl
verpflichtet sei und dass ihmdie Teilnahme an derUrnenwahl
ermöglichtwerdenmüsse. Daher sehe er sich an derWahlteil-
nahme gehindert. Schließlich trägt er vor, dass die Europa-
wahl nicht zulässig gewesen sei, weil es keinen EU-Wahl-
leiter gegeben habe und damit eine internationale Wahl nach
nationalem Recht durchgeführt worden sei.
Der Kreiswahlleiter des Landkreises Leer hat zu der Angele-
genheit unter Einbeziehung der GemeindeMoormerland wie
folgt Stellung genommen:
Der Wahlbezirk, in dem der Einspruchsführer seinen Wohn-
sitz habe, umfasse lediglich 89 Einwohner. In diesem Wahl-
bezirk gebe es derzeit lediglich zwei öffentliche Gebäude. Es
handele sich dabei um die evangelisch-reformatorische Kir-
che und um das Betriebsgebäude des Ems-Sperrwerkes. Ein
Gemeindegebäude gebe es in dieser Ortschaft nicht. Bis zum
Jahre 2002 sei das Wahllokal in der früheren einklassigen
Grundschule imNachbarort der GemeindeMoormerland un-
tergebracht gewesen. Dieses ehemalige Schulgebäude sei be-
reits vor Jahrzehnten an Privateigentümer veräußert worden.
Im Kaufvertrag habe sich die Gemeinde eine Nutzung des
früheren Klassenraumes für öffentliche Zwecke vorbehalten.

Dieser Klassenraum sei allerdings von außen nur über meh-
rere Stufen erreichbar gewesen, wodurch behinderten Wäh-
lerinnen und Wählern die Teilnahme an der Wahl erschwert
worden sei. Insbesondere sei der Raum für Rollstuhlfahrer
nicht zugänglich gewesen.
Seit der Fertigstellung des Ems-Sperrwerkes sei das Wahllo-
kal des Wahlbezirks in dem im ersten Obergeschoss des Be-
triebsgebäudes gelegenen Vortragsraum untergebracht. Das
Gebäude könne ohne Barrieren erreicht und betreten werden.
Der Wahlraum im ersten Stock sei über einen Fahrstuhl er-
reichbar. Nach Ansicht der GemeindeMoormerland sei nach
den örtlichen Verhältnissen in der Ortschaft der neue Wahl-
raum so ausgewählt und eingerichtet worden, dass möglichst
vielen Wählerinnen und Wählern, insbesondere auch behin-
dertenMenschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen, die Teil-
nahme an der Wahl soweit wie möglich erleichtert werden
könne. Dabei sei nicht auszuschließen, dass Menschen mit
ganz besonderen Mobilitätsbeeinträchtigungen diesenWahl-
raum dennoch nicht erreichen könnten.
Die Stellungnahme ist dem Einspruchsführer bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegrün-
det.
Er ist form- und fristgerecht beim Deutschen Bundestag ein-
gegangen und erfüllt auch die weiteren Zulässigkeitsvoraus-
setzungen. Der Umstand, dass sich der Einspruchsführer
schon einige Tage vor der Europawahl (am 6. Juni 2004) an
die Bezirksregierung Weser-Ems und an andere Stellen ge-
wandt hat, führt vorliegend nicht zur Unzulässigkeit des Ein-
spruchs. Zum einen ist der Einspruch erst am 24. Juni 2004
und damit nach demWahltag (§ 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 2

Drucksache 15/4750 – 66 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Abs. 4 Satz 1 WPrüfG) beim Deutschen Bundestag einge-
gangen. Zum anderen hat sich das Begehren des Einspruchs-
führers, das zumindest auch auf eine Auswechslung des
Wahllokals bereits vor der Wahl gerichtet war, nicht mit der
Durchführung der Europawahl erledigt. Da ein solcher vor-
beugender Rechtsschutz im Rahmen der Durchführung der
Europawahl nicht vorgesehen ist und auch, weil die betref-
fenden Schreiben vom Einspruchsführer jeweils als „Wah-
leinspruch“ bezeichnet worden sind, ist sein Begehren als
Wahleinspruch mit dem Petitum, die Wahl nachträglich für
ungültig zu erklären, auszulegen.
Der Einspruch ist offensichtlich unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Nach § 39 Abs. 1
Satz 1 Europawahlordnung (EuWO) bestimmt die Gemein-
debehörde für jeden Wahlbezirk einen Wahlraum. Soweit
möglich, stellen die Gemeinden Wahlräume in Gemeinde-
gebäuden zur Verfügung (§ 39 Abs. 1 Satz 2 EuWO). Nach
Satz 3 dieser Vorschrift sollen die Wahlräume nach den ört-
lichen Verhältnissen so ausgewählt und eingerichtet werden,
dass allen Wahlberechtigten, insbesondere behinderten und
anderen Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen, die
Teilnahme an der Wahl möglichst erleichtert wird. Die
Gemeindebehörden teilen nach Satz 4 dieser Vorschrift früh-
zeitig und in geeigneter Weise mit, welche Wahlräume barri-
erefrei sind.
Die Sätze 3 und 4 des § 39 Abs. 1 EuWO sind dieser Vor-
schrift durch das Gesetz zur Gleichstellung behinderterMen-
schen und zur Änderung anderer Gesetze vom 27. April 2002
(BGBl. I S. 1467) angefügt worden. Durch diese Ergänzung
sollte darauf hingewirkt werden, dass Wahllokale besser von
Rollstuhlfahrern sowie Gehbehinderten barrierefrei erreicht
und genutzt werden können (Bundestagsdrucksache 14/
7420, S. 21). Es handelt sich umeineErmessensentscheidung
der Gemeindebehörde, in die diese alle in Betracht kommen-
den Aspekte einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen
hat, damit allenWahlberechtigten die Teilnahme an derWahl
nachMöglichkeit erleichtert wird. Hierbei sind die Interessen
behinderter Menschen in besonderemMaße zu berücksichti-
gen. Es sollen nach Möglichkeit barrierefreie Wahlräume
ausgewählt werden, die so einzurichten sind, dass beispiels-
weise Rollstuhlfahrer die Wahlräume ohne fremde Hilfe er-
reichen (Bundestagsdrucksache 14/7420, S. 31 und Bundes-
tagsdrucksache 14/8331, S. 51). Daneben sind auch andere
Aspekte wie etwa die örtlichen Verhältnisse und die sich dar-
aus ergebende Kostenfrage zu berücksichtigen (vgl. Gegen-
äußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bun-
desrates in Bundestagsdrucksache 14/8043, S. 16).

Der Kreiswahlleiter hat in seiner Stellungnahme, zu der der
Einspruchsführer sich nicht mehr geäußert hat, dargelegt,
dass das Wahllokal im Ems-Sperrwerk barrierefrei erreicht
werden kann und somit grundsätzlich für Menschen mit Mo-
bilitätsbeeinträchtigungen geeignet ist. Sollten diese Vorkeh-
rungen – wie nach dem Vortrag des Einspruchsführers anzu-
nehmen ist – nicht ausgereicht haben, um auch dem Ein-
spruchsführer das Erreichen des Wahllokals zu ermöglichen,
so wäre die in § 39 Abs. 1 Satz 3 EuWO zumAusdruck kom-
mende Zielsetzung des Gesetzgebers in diesem Einzelfall
nicht erreicht worden. Ein Ermessensfehler der Gemeinde
Moormerland bei der Auswahl und Einrichtung des Wahl-
raums ist gleichwohl nicht zu erkennen. Sie hat, wie aus der
Stellungnahme hervorgeht, die in Betracht kommenden Al-
ternativen geprüft und hierbei u. a. in Betracht gezogen, dass
ein anderer Raum von draußen nur über mehrere Stufen er-
reichbar gewesenwäre. ImHinblick auf weitergehendeMaß-
nahmen durften die örtlichen Verhältnisse und Kostenge-
sichtspunktemitberücksichtigtwerden.EntgegenderAuffas-
sung des Einspruchsführers brauchte die Gemeinde bei ihren
Überlegungen nicht zu berücksichtigen, dass auch potentielle
Gegner des Ems-Sperrwerkes in dessen Betriebsgebäude
wählen mussten, weil dies ohne weiteres zumutbar ist.
Obmöglicherweise ein anderesWahllokal imLandkreis Leer
für eine Urnenwahl durch den Einspruchsführer in Betracht
gekommen wäre, lässt sich aufgrund des Vortrags des Ein-
spruchsführers und des Kreiswahlleiters nicht abschließend
beurteilen. Wäre für den Einspruchsführer ein anderesWahl-
lokal im Landkreis erreichbar gewesen, so hätte er dort an-
stelle der ohnehin möglichen Briefwahl an der Urnenwahl
teilnehmen können. Wer nämlich nach entsprechender An-
tragstellung einen Wahlschein hat, kann nach § 6 Abs. 5
EuWG in dem Kreis, in dem der Wahlschein ausgestellt ist,
durch Stimmabgabe in einem beliebigen Wahlbezirk an der
Wahl teilnehmen.
Soweit sich der Einspruchsführer dagegen wendet, dass es
keinen EU-Wahlleiter gab, so entspricht dies den wahlrecht-
lichen Vorschriften. Der Akt zur Einführung allgemeiner un-
mittelbarerWahlen der Abgeordneten des Europäischen Par-
laments vom 20. September 1976 (BGBl. 1977 II S. 733), zu-
letzt geändert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002
und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810) – Direkt-
wahlakt – sieht ein solches Amt nicht vor. Vorbehaltlich der
Vorschriften des Direktwahlakts bestimmt sich das Wahlver-
fahren in jedemMitgliedstaat nach den innerstaatlichen Vor-
schriften (Artikel 8 Abs. 1 Direktwahlakt).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67 – Drucksache 15/4750

Anlage 15

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. H., 56068 Koblenz

– Az.: EuWP 17/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem an den Bundeswahlleiter gerichteten Schreiben
vom 14. Juni 2004, das an den Deutschen Bundestag weiter-
geleitet worden und hier am 25. Juni 2004 eingegangen ist,
hat der Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der
Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundes-
republik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt.
Zur Begründung führt er imWesentlichen aus, dass in seinem
Wahllokal in Koblenz die Europawahl mit Wahlgeräten
durchgeführt worden sei und nicht den Anforderungen an
eine freie und geheime Wahl entsprochen habe.
Die Wahl mit Stimmzetteln, wie dies überall in Deutschland
und in Europa üblich gewesen sei, sei nicht ermöglicht wor-
den. In den Fernsehberichten habe er keinen Politiker bei der
Stimmabgabe mit einem Wahlgerät gesehen. Er habe diese
Methode der Stimmabgabe als diskriminierend empfunden.
Auf seinen Protest imWahllokal gegen diese Art der Stimm-
abgabe hin sei ihm mitgeteilt worden, dass er auch die Mög-
lichkeit habe, den Schaltknopf „ungültig“ zu drücken. Sein
Ziel sei es jedoch gewesen, ordnungsgemäß an derWahl teil-
zunehmen.
Der Einspruchsführer beanstandet, dass vor der Wahl hätte
bekannt gemachtwerdenmüssen, dass imWahlkreisKoblenz
die Wahl ausschließlich mit Wahlgeräten durchgeführt
werde, um den Wählerinnen und Wählern Gelegenheit zur
Gewöhnung bzw. zum Einspruch zu geben. Entsprechend
dem Alter der Wählerinnen undWähler habe die CDU durch
diese „rigorose“ Methode der Stimmabgabe Nachteile ge-
habt.
Durch die Anordnung der Wahlgeräte in einer Reihe hinter-
einander habe einMitglied desWahlvorstandes an demWahl-
gerät für die Stadtratswahl immer Gelegenheit gehabt, die
Wählerinnen undWähler bei der Stimmabgabe amWahlgerät
für die Europawahl zu beobachten. Nach Ansicht des Ein-
spruchsführers sei dadurch die geheimeWahl nicht mehr ge-
währleistet worden. Auch sei es durch die „unordentliche
Wahldurchführung“ seiner Ansicht nach durchaus möglich
gewesen, mehrmals an die Wahlgeräte heranzutreten und
somit mehrmals seine Stimme abzugeben. Weiterhin sehe er
bei der Stimmabgabemit einemWahlgerät keineMöglichkeit
einer „kontrollierbaren Stimmabgabe“.

Der Stadtwahlleiter der Stadt Koblenz hat zu diesem Wahl-
einspruch wie folgt Stellung genommen:
Seitens der StadtverwaltungKoblenz sei die erstmalig durch-
geführte Wahl mit elektronischen Wahlgeräten sehr ge-
wissenhaft vorbereitet worden. Es seien für beide Wahlen
insgesamt 215 Wahlgeräte zum Einsatz gekommen, wobei
73 Geräte für die Europawahl verwendet worden seien. Eine
Bauartzulassung habe hierfür vorgelegen.
Des Weiteren seien alle 584 Wahlhelfer im Hinblick auf die
Anwendung und den Aufbau der Wahlgeräte geschult wor-
den. Den vom Einspruchsführer vorgetragenen Einwand,
dass die Bevölkerung nicht auf die Wahlgeräte hingewiesen
worden sei, weise er entschieden zurück. Bereits sechs Wo-
chen vor der Europawahl sei seitens der Stadtverwaltung
Koblenzmit der Präsentation derWahlgeräte zur Information
der Koblenzer Wählerinnen und Wähler begonnen worden.
Es seien zahlreiche vorher öffentlich angekündigteVeranstal-
tungen zu den unterschiedlichsten Zeiten durchgeführt wor-
den, so dass jeder die Möglichkeit gehabt habe, sich mit den
Wahlgeräten vertraut zu machen. Die Resonanz bei diesen
Veranstaltungen sei sehr gut gewesen,wobei insbesondere äl-
tere Bürgerinnen undBürger dieGelegenheit zur Information
genutzt und demEinsatz derGeräte positiv gegenüber gestan-
den hätten. Die Information der Wählerinnen undWähler sei
auch durch eine stetige Berichterstattung durch die örtliche
Presse und den Rundfunk unterstützt worden. Dem Stadt-
wahlleiter sei „unbegreiflich“, wie der Einspruchsführer sich
diesem Informationsfluss habe entziehen können.
Bezüglich der weiteren, vom Einspruchsführer vorgebrach-
ten Beanstandungen verweist der Stadtwahlleiter auf sein
Antwortschreiben an den Einspruchsführer vom 23. Juni
2004. Darin ist dem Einspruchsführer u. a. Folgendes mitge-
teilt worden:
Die einheitliche Durchführung der Wahl in Koblenz aus-
schließlich mit elektronischen Wahlgeräten sei vorab festge-
legt worden. Lediglich die Briefwahl sei mit Stimmzetteln
durchgeführt worden. Die Durchführung der Wahl mittels
elektronischer Wahlgeräte erfolge derzeit nicht bundesweit
flächendeckend, sondern lediglich in 74 deutschen Städten.
Dies könne der Grund dafür gewesen sein, dass der Ein-
spruchsführer in der Fernsehberichterstattung keinen Politi-

Drucksache 15/4750 – 68 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ker bei der Stimmabgabe an einem elektronischenWahlgerät
gesehen habe.
Soweit der Einspruchsführer eine mangelhafte öffentliche
Bekanntgabe der Wahl mit Wahlgeräten beanstande, so sei
u. a. auf folgende Medienberichte hinzuweisen: Der Stimm-
zettel mit den Kandidaten sei am 7. Juni 2004 in der „Rhein-
Zeitung“ bekannt gegeben worden. Eine detaillierte Darstel-
lung des Wahlverfahrens mit den Wahlgeräten sei nochmals
am9. Juni 2004 im „Koblenzer Schängel“ veröffentlichtwor-
den. Eine Benachteiligung der CDU durch die Nutzung von
elektronischen Wahlgeräten in Koblenz könne auch im Hin-
blick auf die Teilnahme zahlreicher älterer Wählerinnen und
Wähler an den Informationsveranstaltungen nicht nachvoll-
zogen werden.
Die Anordnung der Wahlgeräte in den Wahllokalen sei im
Rahmen der Schulung derWahlvorstände und derWahlhelfer
weitestgehend festgelegt worden. Eine geheime Wahl sei
durch die Anordnung derWahlgeräte sichergestellt gewesen.
Eine mehrmalige Stimmabgabe durch eine Person sei jeder-
zeit ausgeschlossen gewesen. Für jeden Wähler habe durch
entsprechenden Tastendruck an einem beim Wahlvorstand
befindlichen Steuergerät die Stimmabgabe freigegeben wer-
den müssen. Unmittelbar nach erfolgter Stimmabgabe eines
Wählers seien die Tasten so lange gesperrt gewesen, bis eine
erneute Freigabe durch den Wahlvorstand erfolgt sei.
Das Wahlergebnis sei jederzeit überprüfbar, da jedes Wahl-
gerät für sich die Wahlergebnisse vierfach in einem Modul
abgespeichert habe und darüber hinaus noch einen schrift-
lichen, ebenfalls abgleichbaren Ausdruck ausgegeben habe.
Der Einspruchsführer habe die Möglichkeit gehabt, die Taste
„ungültig“ zu drücken, wenn er bewusst habe ungültig wäh-
len wollen. Er sei selbstverständlich nicht verpflichtet gewe-
sen, infolge seiner persönlichen Haltung eine ungültige
Stimme abzugeben.
In einer zur Anordnung der Wahlkabinen (Wahlgeräte) ein-
geholten ergänzenden Stellungnahme hat der Stadtwahlleiter
unter Einbeziehung des Wahlvorstehers ausgeführt, die Be-
hauptung des Einspruchsführers, von der Wahlkabine zur
Stimmabgabe für die Kommunalwahl sei es möglich gewe-
sen, Einsicht in die Wahlkabine für die Europawahl zu neh-
men, treffe nicht zu. Die beiden Wahlkabinen seien vom
Wahlvorstand so versetzt zueinander aufgestellt worden, dass
eine solche Einsichtnahme nicht möglich gewesen und das
Wahlgeheimnis somit gewahrt worden sei. Die Anordnung
der Wahlkabinen sei vom Wahlvorstand einvernehmlich be-
schlossen worden. Während der gesamten Wahlhandlung
seien dieWahlkabinen von denMitgliedern desWahlvorstan-
des beaufsichtigt worden, so dass bei der Stimmabgabe ge-
währleistet gewesen sei, dass derWahlberechtigte unterWah-
rung desWahlgeheimnisses seine Stimme habe abgeben kön-
nen.
Die Wahlkabinen seien in folgender Anordnung im Wahl-
raum aufgestellt gewesen: Vom Eingang aus gesehen rechts
habe sich am ersten Empfangstisch das Wählerverzeichnis
befunden. Auf dem zweiten Empfangstisch sei die Wahlka-
bine für die Europawahl platziert gewesen; auf dem nächsten
Tisch habe sich die Wahlkabine für die Kommunalwahl be-
funden. Gegenüber dieser Wahlkabine sei auf einem Emp-
fangstisch die zweiteWahlkabine für die Kommunalwahl ge-
wesen. Die Empfangstische auf der rechten Seite hätten eine

halbrunde Form gehabt und seien schräg hintereinander auf-
gestellt gewesen. Das Betreten der Wahlkabinen sei den
Wahlberechtigten nur einzeln gestattet worden.
Der Bundeswahlleiter hatte in einem Antwortschreiben an
den Einspruchsführer vom 18. Juni 2004 zu dessen Beanstan-
dungen wie folgt Stellung genommen:
Bei der Wahl zum sechsten Europäischen Parlament am
13. Juni 2004 seien in verschiedenen Städten undGemeinden
elektronische Wahlgeräte eingesetzt worden. Die Entschei-
dung über dieAnschaffung elektronischer odermechanischer
Wahlgeräte sowie deren Einsatz bei einer Europawahl habe
– sofern die Geräte allgemein und für die konkreteWahl vom
Bundesministerium des Innern zugelassen worden seien –
allein bei den Städten und Gemeinden gelegen. Diese hätten
eigenverantwortlich darüber zu entscheiden gehabt, ob und in
welchen Wahlbezirken die Wahlgeräte eingesetzt worden
seien.
Die Rechtsgrundlage für die Stimmabgabe mit Wahlgeräten
sei § 17 Europawahlgesetz (EuWG). Die Einzelheiten der
Wahl mit Wahlgeräten seien in der Verordnung über den Ein-
satz von Wahlgeräten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag
und der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der
Bundesrepublik Deutschland (Bundeswahlgeräteverordnung
– BWahlGV) vom 3. September 1995 (BGBl. I S. 259), zu-
letzt geändert durchVerordnung vom20.April 1999 (BGBl. I
S. 749), geregelt worden. Nach § 17 EuWG hätten zur Er-
leichterung der Abgabe und der Zählung der Stimmen an-
stelle von Stimmzetteln auch Wahlgeräte eingesetzt werden
können. Diese Wahlgeräte hätten die Geheimhaltung der
Stimmabgabe zu gewährleisten. Ihre Bauart müsse für die
Verwendung bei Wahlen zum Europäischen Parlament amt-
lich für einzelneWahlen oder allgemein zugelassen sein (§ 17
EuWG). Durch die Bauartzulassung werde festgestellt, dass
Wahlgeräte einer bestimmten Bauart für die Verwendung bei
Wahlen zum Deutschen Bundestag und zum Europäischen
Parlament allgemeinoder für einzelneWahlen geeignet seien.
Geprüft werde durch die Physikalisch-Technische Bundes-
anstalt nach den Richtlinien für die Bauart von Wahlgeräten
nach Anlage 1 zu § 2 BWahlGV. ZugelasseneWahlgeräte be-
dürften für ihre Verwendung bei einer Europawahl zusätzlich
der Genehmigung durch das Bundesministerium des Innern.
Diese Regelungen hätten bei der Europawahl sichergestellt,
dass bei einer Stimmabgabe mit Wahlgeräten die Wahrung
des Wahlgeheimnisses gewährleistet und Manipulations-
möglichkeiten ausgeschlossen gewesen seien. Die Bauart-
zulassung für Wahlgeräte erfolge in dem in der Bundeswahl-
geräteverordnung vorgeschriebenen Verfahren. Wahlgeräte
müssten für ihre Zulassung zur Verhinderung von Störungen
derWahl und zur Gewährleistung der verfassungsrechtlichen
Wahlgrundsätze folgende Voraussetzungen erfüllen:
– Elektronisch betriebeneWahlgeräte seien gegen kurzfris-

tigen Stromausfall oder Spannungsausfall zu sichern; bei
längerem Stromausfall müsse das Gerät durch Verwen-
dung einer Ersatzstromquelle oder durch mechanische
Bedienung betriebsfähig bleiben.

– Das Wahlgerät dürfe nur bedient werden können, wenn
der Wahlvorstand die Stimmabgabe freigegeben habe.
Nach der Freigabe dürfe bis zur Stimmenregistrierung nur
der jeweiligeWähler zwischen denWahlvorschlägen aus-
wählen und seine Stimme abgeben können.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69 – Drucksache 15/4750

– Nach Registrierung der Stimmabgabe eines Wählers
müsse sich das Wahlgerät selbständig sperren.

– Es müsse sichergestellt sein, dass keine unzulässigen Da-
ten oder Informationen auf dasWahlgerät übertragenwer-
den könnten (rückwirkungsfreier Betrieb beimAnschluss
externer Komponenten).

Bei Einhaltung dieser Voraussetzungen erscheine das Risiko
einer etwaigen Manipulation der Stimmabgabe durch Dritte
bei der Benutzung von Wahlgeräten nicht höher als bei einer
Urnenwahl mit Stimmzetteln.
Der Ablauf der Stimmabgabe vollziehe sich im Übrigen im
Wesentlichen wie bei der Urnenwahl:
– Zunächst überprüfe der Wahlvorstand die Wahlberechti-

gung des Wählers.
– Dann schalte der Wahlvorstand das Wahlgerät frei.
– Der Wähler gebe bei den hier in Rede stehenden elektro-

nischen Wahlgeräten seine Stimmen durch Druck auf die
denWahlvorschlägen zugeordneten Felder auf der Benut-
zerfläche ab; diese Fläche sei dem Erscheinungsbild des
jeweiligen Stimmzettels nachgebildet.

– Nach Schluss derWahlhandlungwürden dieGeräte gegen
weitere Stimmabgaben gesichert und versiegelt. Danach
erstelle der Wahlvorstand einen Ausdruck der Ergebnisse
im Wahlbezirk und übertrage die Angaben in die Wahl-
niederschrift.

– Habe der Wahlvorstand seine Arbeit beendet, so verpacke
der Wahlvorsteher die eingenommenen Wahlscheine, so-
weit sie nicht der Wahlniederschrift beigefügt seien, ver-
siegele das Paket, versehe es mit Inhaltsangabe und über-
gebees zusammenmit demWählerverzeichnis, demWahl-
gerät nebst Schlüsseln und Zubehör sowie den ihm sonst
zur Verfügung gestellten Gegenständen und Unterlagen
einschließlich der eingenommenenWahlbenachrichtigun-
gen dem Gemeindewahlleiter. Der Gemeindewahlleiter
habedasWahlgerät unddasPaketmit denWahlscheinenzu
verwahren, bis die Sperrung und Versiegelung des Wahl-
gerätes aufgehoben und die Vernichtung der Wahlunter-
lagen zugelassen sei. Er habe sicherzustellen, dass diese
Gegenstände Unbefugten nicht zugänglich seien.

Die Bundeswahlgeräteverordnung normiere umfangreiche
Informations- und Prüfungspflichten der Wahlbehörden auf
Gemeindeebene beim Einsatz von Wahlgeräten. Nach § 6
BWahlGV sei in der Wahlbekanntmachung auf den Einsatz
von Wahlgeräten hinzuweisen. Zusätzlich seien der Wahlbe-
kanntmachung eine Abbildung der Benutzerfläche desWahl-
gerätes sowie eine gerätespezifische Darstellung der Wahl-
vorschläge beizufügen. Darüber hinaus müssten die Wähler
durch eindeutige Bedienhinweise und Vorlage einer Bedie-
nungsanleitung im Wahllokal informiert werden. Die zur
Wahl des 6. Europäischen Parlaments zugelassenen elektro-
nischen Wahlgeräte ließen sich so einfach bedienen, dass je-
der Wähler – gleich welchen Alters oder Bildungsstandes –
seine Stimme an einem solchen Wahlgerät abgeben könne.
Unmittelbar vor dem Wahltag müssten die Wahlgeräte auf
ihre Funktionsfähigkeit geprüft werden. Die Wahlvorsteher
und ihre Stellvertreter würden sodann mit den Wahlgeräten
vertraut gemacht. Am Wahltag selbst habe eine erneute Prü-
fung der Wahlgeräte durch die Wahlvorstände zu erfolgen.
Gegenstand dieser Prüfung sei gemäß § 10 Abs. 1 BWahlGV

die Feststellung, ob der Inhalt der gerätespezifischenDarstel-
lung der Wahlvorschläge mit dem amtlichen Stimmzettel
übereinstimme, ob sämtliche Zähl- und Speichervorrichtun-
gen auf null stünden und ob die nicht benötigten Zähl- und
Speichervorrichtungen für die Stimmabgabe gesperrt seien.
Dem Bundeswahlleiter lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür
vor, dass die zuständigenWahlbehörden die dargestellten In-
formations- und Prüfungspflichten bei den in Koblenz einge-
setzten elektronischen Wahlgeräten nicht hinreichend wahr-
genommen hätten.
Dem Einspruchsführer ist Gelegenheit gegeben worden, sich
zu den Stellungnahmen des Stadtwahlleiters einschließlich
dessen Ausführungen im Antwortschreiben an den Ein-
spruchsführer vom 23. Juni 2004 sowie zur Stellungnahme
des Bundeswahlleiters in dessen Antwortschreiben vom
18. Juni 2004 zu äußern. Der Einspruchsführer hat sich
daraufhin nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Dies gilt sowohl
hinsichtlich der vomEinspruchsführer geäußerten generellen
Bedenken gegenüber dem Einsatz von Wahlgeräten als auch
hinsichtlich des geschilderten Dialogs im Wahllokal zur
Möglichkeit, die Taste „ungültig“ zu drücken.
Soweit der Einspruchsführer vorträgt, auf seinen Protest ge-
gen den Einsatz vonWahlgeräten sei er imWahllokal auf die
Möglichkeit hingewiesen worden, die Taste „ungültig“ zu
drücken, so liegt hierin keinVerstoß gegen denGrundsatz der
Freiheit derWahl (§ 1Abs. 1 Satz 2 EuWG,Artikel 38Abs. 1
Satz 1 Grundgesetz – GG). Durch eine derartige Bemerkung
seitens eines Wahlhelfers oder einer anderen Person ist kein
Druck auf denEinspruchsführer ausgeübtworden, seinWahl-
recht in einer bestimmten Art und Weise auszuüben. Viel-
mehr ist darin der Versuch zu sehen, aufgrund des Protestes
des Einspruchsführers die Funktionsweise des Wahlgerätes
zu erläutern. Aufgrund der von ihm vorgetragenen Situation
hatte der Einspruchsführer keinen Grund zu der Annahme, er
dürfe keine gültige Stimme abgeben.
Auch die generellen Bedenken des Einspruchsführers gegen-
über demEinsatz vonWahlgeräten vermögen einenWahlfeh-
ler nicht zu begründen.
Dies gilt zunächst für seinen Einwand, er fühle sich durch die
Vorgabe, ein Wahlgerät zu benutzen, diskriminiert. Es stellt
keinen Verstoß gegen die Wahlrechtsgleichheit (§ 1 Abs. 1
Satz 2 EuWG, Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG) dar, dass der
größte Teil derjenigen Wählerinnen und Wähler, die an der
Urnenwahl teilnahmen, ihre Stimme mit Stimmzetteln abge-
ben konnten,während der Einspruchsführer und andereWäh-
lerinnen und Wähler auf die Stimmabgabe mit Wahlgeräten
verwiesenwaren.Die StimmabgabemitWahlgeräten ist nach

Drucksache 15/4750 – 70 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

§ 17 EuWG ebenso gesetzlich vorgesehen wie die Stimm-
abgabe mit Stimmzetteln (§ 15 EuWG). Soweit der Ein-
spruchsführer in dieser gesetzlichen Regelung einen Verstoß
gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl sieht, ist zu-
nächst auf die ständige Praxis des Deutschen Bundestages
und des Wahlprüfungsausschusses zu verweisen, wonach
diese sich nicht berufen sehen, die Verfassungswidrigkeit
von Wahlrechtsvorschriften festzustellen.DieseKontrolle ist
stets dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden.
Unabhängig davon bestehen jedoch keineZweifel daran, dass
der Gesetzgeber unter Wahrung der Wahlrechtsgrundsätze
auch die Stimmabgabe mit Wahlgeräten vorsehen kann. Bei
der Regelung der Durchführung der Stimmabgabe mit elek-
tronischen Wahlgeräten braucht hierbei nicht in schema-
tischer Art und Weise darauf geachtet werden, dass jede
typischerweise mit Stimmzetteln verbundene Besonderheit
auf die StimmabgabemitWahlgeräten übertragenwird (Bun-
destagsdrucksache 15/1150, Anlage 19). Es gibt keinen
Anspruch darauf, seine Stimme in einer bestimmten Art und
Weise abzugeben. Darüber hinaus kann aus dem Grundsatz
derWahlrechtsgleichheit keineAuswahlmöglichkeit abgelei-
tet werden, ob einWähler seine Stimme in einem bestimmten
Wahllokalmit Stimmzettel odermitWahlgeräten abgibt. Eine
solche Auswahlmöglichkeit könnte schon aus organisatori-
schen Gründen schwerlich realisiert werden.
Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen das Wahlgeheimnis
(§ 1 Abs. 1 Satz 2 EuWG, Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht
vor. Wahlgeräte im Sinne von § 17 EuWG müssen nach § 4
EuWG i. V. m. § 35 Abs. 2 BWG die Geheimhaltung der
Stimmabgabe gewährleisten.Wegen der hierfür imEinzelnen
zu beachtenden Vorgaben wird auf die Ausführungen in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters Bezug genommen.
Bei der Stimmabgabe achtet nach § 11 Abs. 3 Satz 5
BWahlGV der Wahlvorstand darauf, dass sich immer nur ein
Wähler und dieser nur solange wie notwendig in der Wahl-
zelle aufhält. Hierbei ist es selbstverständlich auch den Mit-
gliedern des Wahlvorstandes nicht gestattet, Wählerinnen
und Wähler bei der Stimmabgabe zu beobachten. Soweit der
Einspruchsführer behauptet, ein Wahlhelfer habe die Mög-
lichkeit gehabt, die Wählerinnen und Wähler bei der Stimm-
abgabe für die Europawahl zu beobachten, so wird dies durch
die nachvollziehbaren Ausführungen in der ergänzenden
Stellungnahme des Stadtwahlleiters unter Einbeziehung des
Wahlvorstehers widerlegt. DieWahlkabinen für die Kommu-
nalwahl und die gleichzeitig durchgeführte Europawahl wa-

ren hiernach so angeordnet, dass eine gegenseitige Einsicht-
nahme ausgeschlossen war. Es bestehen auch keine Anhalts-
punkte dafür, dass gerade aufgrund des Einsatzes von Wahl-
geräten eine Einsichtnahme leichter möglich gewesen wäre.
Darüber hinaus gibt es keine Indizien, dieAnlass geben könn-
ten, an den Darlegungen des Stadtwahlleiters und des Wahl-
vorstehers zu zweifeln, zumal sich der Einspruchsführer
hierzu nicht mehr geäußert hat.
Soweit der Einspruchsführer vermutet, einige Wählerinnen
undWähler hätten entgegen dem in § 2 Abs. 1 Satz 2 EuWG
normierten Verbot mehrfach gewählt, so bedarf dies keiner
näheren Prüfung. Wird eine solche allgemeine Mutmaßung
nichtmit Tatsachen belegt, so braucht dem imWahlprüfungs-
verfahren nicht nachgegangen zu werden. In der Stellung-
nahme des Stadtwahlleiters ist überzeugend dargelegt wor-
den, dass derartige Manipulationen aufgrund der Zulassung
der Wahlgeräte und deren Genehmigung für die Europawahl
ausgeschlossen waren. Der Einspruchsführer hat auf die ihm
bekannt gegebene Stellungnahme nicht reagiert und somit
seine allgemein gehaltenen Vorwürfe nicht konkretisiert. Der
Einspruchsführer hat darüber hinaus auf die eben bekannt ge-
gebene Stellungnahme auch insoweit nicht reagiert.
Dies gilt auch für seine weiteren Einwendungen, die sich auf
den Einsatz vonWahlgeräten an sich beziehen. Beim Einsatz
vonWahlgeräten wird – wie der Bundeswahlleiter zutreffend
dargelegt hat – die Einhaltung derWahlrechtsgrundsätze, ins-
besondere der Grundsätze der freien, gleichen und geheimen
Wahl, durch ein vielschichtiges System vonKontroll- und In-
formationspflichten in gleichem Maße gewährleistet wie bei
der Urnenwahl (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1150, Anlage
36). In den Stellungnahmen des Bundeswahlleiters und des
Stadtwahlleiters, auf die auch insoweit Bezug genommen
wird, wird insbesondere überzeugend dargelegt, dass entge-
gen der Auffassung des Einspruchsführers auch bei Wahlge-
räten eine korrekte Stimmenauszählung möglich ist und dass
vor dem Einsatz der Wahlgeräte bei der Europawahl in der
vorgeschriebenen Art und Weise hierüber informiert worden
ist. Auch insoweit hat der Einspruchsführer die ihmgegebene
Gelegenheit zur Äußerung nicht wahrgenommen und seine
Vorwürfe auch insoweit nicht konkretisiert.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 71 – Drucksache 15/4750

Anlage 16

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn K.-D. S., 22335 Hamburg

– Az.: EuWP 30/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 14. Juni 2004, das vom Kreiswahlleiter
Hamburg-Nord an den Deutschen Bundestag weitergeleitet
worden und hier am 13. Juli 2004 eingegangen ist, hat der
Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abge-
ordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepu-
blik Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt.
Der Einspruchsführer beanstandet, dass er sowie weitere
Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (JVA) von der
Teilnahme an der Europawahl und der gleichzeitig in Ham-
burg durchgeführten Volksabstimmung „Mehr Bürgerrechte
– Ein neuesWahlrecht für Hamburg“ ausgeschlossen worden
seien. Die Teilnahme an der Wahl sei verhindert worden, in-
dem seitens der JVA die erforderlichenWahlunterlagen beim
zuständigen Wahlbezirk nicht angefordert oder diese Unter-
lagen den wahlberechtigten Häftlingen nicht ausgehändigt
worden seien. In den vergangenen Jahren sei vor jeder Wahl
für jeden wahlberechtigten Strafgefangenen ein Antragsfor-
mular zur Teilnahme an der Briefwahl verteilt worden. Bei
der Europawahl 2004 und der Abstimmung zum Volksent-
scheid sei das übliche Verfahren nicht eingehalten worden.
Selbst auf entsprechenden Antrag seien die erforderlichen
Wahlunterlagen nicht ausgehändigt worden. Die JVA habe
dadurch ihre gesetzliche und verfassungsrechtlicheFürsorge-
pflicht gegenüber den Strafgefangenen verletzt.
Der Einspruchsführer vertritt daneben die Ansicht, dass die
„Volksparteien“ in Hamburg den Wahlausschluss der Min-
derheit der wahlberechtigten Häftlinge billigend in Kauf ge-
nommen hätten, um insbesondere denAusgang desVolksent-
scheides in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Neben demWahleinspruch hat der Einspruchsführer eine Pe-
tition an den Eingabenausschuss der Bürgerschaft der Freien
und Hansestadt Hamburg gerichtet. Das Petitionsverfahren
ist noch nicht abgeschlossen.
Zu diesemWahleinspruch hat der Kreiswahlleiter Hamburg-
Nord wie folgt Stellung genommen:
Der Einspruchsführer sei für keine Wohnung im Inland ge-
meldet; er erfülle im Übrigen die sonstigen Wahlrechtsvor-
aussetzungen zur Teilnahme an der Europawahl. Für wahl-
berechtigte Personen, die sich im Vollzug gerichtlich an-

geordneter Freiheitsentziehung befänden, gelte gemäß § 4
Europawahlgesetz (EuWG) i. V. m. § 12 Abs. 4 Nr. 3 Bun-
deswahlgesetz (BWG) die Haftanstalt fiktiv als Wohnung.
Die Eintragung in dasWählerverzeichnis erfolge gemäß § 15
Abs. 1 Nr. 4 Europawahlordnung (EuWO) für die Wahl-
berechtigten, die am 35. Tage vor der Wahl bei der Meldebe-
hörde für eine JVA gemeldet seien, von Amts wegen. Sei der
Wohnungslose nicht für die JVAgemeldet, so erfolge die Ein-
tragung auf Antrag (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe d EuWO).
Laut Melderegisterauskunft vom 22. Juni 2004 sei der Ein-
spruchsführer am 19. April 2004 unter seiner letzten Haupt-
meldeanschrift von Amts wegen abgemeldet worden. Der
melderechtliche Status laute „Unbekannt“. Der Einspruchs-
führer hätte – so der Kreiswahlleiter – insoweit einen Antrag
auf Eintragung in dasWählerverzeichnis bei derWahldienst-
stelle im Ortsamt Fuhlsbüttel des Bezirksamtes Hamburg-
Nord stellen müssen. Dieser persönlichen Mitwirkungs-
pflicht sei derEinspruchsführer jedochnicht nachgekommen,
da ein solcher Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeich-
nis nicht gestellt worden sei.
Über dieses Verfahren und die zugrunde liegenden Rechts-
vorschriften seien die Justizvollzugsanstalten in Hamburg
von der Geschäftsstelle des Landeswahlleiters wie zu jeder
Wahl in einem Rundschreiben umfassend unterrichtet wor-
den. Dieses Schreiben liegt demWahlprüfungsausschuss vor.
Mit der Unterrichtung habe es der JVA Fuhlsbüttel oblegen,
die wahlberechtigten Häftlinge in geeigneter Form über die
Möglichkeiten zur Teilnahme an der Europawahl zu unter-
richten. In der JVA sei hierzu ab dem 18. Mai 2004 das mit
demRundschreiben des Landeswahlleiters übersandteMerk-
blatt zusammen mit dem amtlichen Wahlbekanntmachungs-
plakat für alle Strafgefangenen sichtbar auf allen Stationen
ausgehängt worden. Das Merkblatt zur Europawahl und zur
Abstimmung zum Volksentscheid enthält u. a. folgende Hin-
weise:
„Wenn Sie wahlberechtigt/abstimmungsberechtigt sind, sol-
len Sie bis zum 10. Mai 2004 automatisch die amtlichen
Wahl- und Abstimmungsunterlagen an ihre Meldeanschrift
bzw. an die Anschrift der Vollzuganstalt erhalten.
Für denBriefwahlantrag/Abstimmungsantrag verwendenSie
am einfachsten dieWahlbenachrichtigungskarte, die Sie aus-

Drucksache 15/4750 – 72 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

füllen und an die auf der Vorderseite der Karte eingedruckte
„Ausgabestelle für Briefwahlunterlagen“ senden. Sie erhal-
ten dann die Briefwahl-/Abstimmungsunterlagen an die von
Ihnen gewünschte Anschrift zugeschickt.
Falls Sie als wahlberechtigte/abstimmungsberechtigte Per-
son keineWahlbenachrichtigungskarte erhalten haben, so be-
antragen Sie die Briefwahlunterlagen/Abstimmungsunterla-
gen mit dem Vordruck 64 (erhältlich bei der Anstaltsleitung)
oder in sonstiger Schriftform bei der für Ihre Meldeanschrift
oder für die Anstalt zuständigenWahldienststelle. Ihr Antrag
sollte dort bis spätestens zum 11. Juni 2004 vorliegen.

Dieses Merkblatt kann nicht alle Wahlrechts- und Abstim-
mungsrechtsvoraussetzungen und Antragsgründe aufzählen.
Sollte Ihnen im Zusammenhangmit demAblauf derWahl et-
was unklar erscheinen, wenden Sie sich bitte rechtzeitig an
Ihren Abteilungsleiter, Sozialpädagogen oder Anstaltsleiter.
Außerdem erteilt Ihnen die für die Anschrift der Vollzugsan-
stalt zuständige Wahldienststelle verbindliche Rechtsaus-
kunft zu Ihrem Wahlrecht.“
Den wahlberechtigten Strafgefangenen sei – so der Kreis-
wahlleiter – hinreichend die Möglichkeit eröffnet worden,
sich sowohl über ihre Rechte als auch imBesonderen über die
Möglichkeiten und Verfahren zur Eintragung in das Wähler-
verzeichnis, der Briefwahlbeantragung und zur Ausübung
der Briefwahl zu informieren. Die Art und Weise der Be-
kanntmachung sowie der Umfang der bekanntgegebenen In-
formationen sei wie bei bisherigen Wahlen erfolgreich und
die Voraussetzung dafür gewesen, dass die gegebenen Mög-
lichkeiten zur Wahlteilnahme rege in Anspruch genommen
worden seien. Die Feststellung des Einspruchsführers, dass
das übliche Verfahren nicht eingehalten worden sei, sei un-
zutreffend.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Die JVA Fuhlsbüttel sei nicht in der Lage gewesen, die Wahl
und die Abstimmung zum Volksentscheid ordnungsgemäß
durchzuführen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob dies
„bewusst und vorsätzlich“ geschehen sei. Der Kreiswahllei-
ter behaupte in seiner Stellungnahme zu Unrecht, dass der
Einspruchsführer seiner Mitwirkungspflicht nicht nachge-
kommen sei. Wie sich aus seiner in der JVA geführten Perso-
nalakte ergebe, habe der Einspruchsführer seine Wohnung
ordnungsgemäß aufgelöst und sich beim zuständigen Bezirk-
samt Fuhlsbüttel abgemeldet.
Der Kreiswahlleiter sei den Nachweis darüber schuldig ge-
blieben, dass er in Bezug auf die nicht erfolgte Teilnahme des
Einspruchsführers an der Briefwahl ordnungsgemäß gehan-
delt habe. Der Einspruchsführer habe den der Stellungnahme
des Kreiswahlleiters beigefügten Anlagen zwar entnommen,
wie das Verfahren der Teilnahme an der Wahl in Justizvoll-
zugsanstalten generell ordnungsgemäß durchzuführen gewe-
sen sei. Er habe jedoch nicht erkennen können, dass konkrete
Ausführungen über eine ordnungsgemäße Durchführung der
Wahl in der JVA Fuhlsbüttel gemacht worden wären. Inso-
weit sei der Kreiswahlleiter verpflichtet, die ordnungsge-
mäße Durchführung der Wahl in der JVA nachzuweisen. Ins-
besondere treffe diesen die Beweislast dafür, dass er in An-
betracht der Tatsache, dass der Einspruchsführer und andere
Strafgefangene trotz rechtzeitiger Beantragung der Brief-

wahlunterlagen an der Wahl und an der Abstimmung zum
Volksentscheid nicht hätten teilnehmen können, dennoch
ordnungsgemäß gehandelt habe.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers wird auf den
Inhalt der Akten Bezug genommen.
DemWahlprüfungsausschuss liegt ein Auszug aus demMel-
deregister vom 22. Juni 2004 vor, aus dem sich ergibt, dass
der Einspruchsführer am 19. April 2004 von Amts wegenmit
demVermerk „Wegzug nachUnbekannt“ abgemeldet wurde.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Einspruchsfüh-
rer ist zwar materiell wahlberechtigt. Bei der Europawahl la-
gen jedoch die formellen Voraussetzungen für die Ausübung
seines Wahlrechts nicht vor, da er nicht in das Wählerver-
zeichnis eingetragen war und es zudem versäumt hat, seine
Eintragung in dasselbe zu beantragen.
Wahlberechtigt sind gemäß § 6 Abs. 1 EuWG alle Deutschen
im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, die am
Wahltage das 18. Lebensjahr vollendet haben, seit mindes-
tens dreiMonaten in der BundesrepublikDeutschland oder in
den übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft
eineWohnung innehaben oder sich sonst gewöhnlich aufhal-
ten und nicht nach § 6a Abs. 1 EuWG vomWahlrecht ausge-
schlossen sind. Für Wahlberechtigte im Vollzug gerichtlich
angeordneter Freiheitsentziehung gilt als Wohnung im Sinne
des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EuWG gemäß § 4 EuWG i. V. m. § 12
Abs. 4 Nr. 3 BWG die Vollzugsanstalt.
Der Einspruchsführer erfüllte die materiellen Wahlrechtsvo-
raussetzungen des § 6 Abs. 1 EuWG, da er sich als Strafge-
fangener in der JVAFuhlsbüttel – ungeachtet dermelderecht-
lichen Situation – jedenfalls seitmindestens dreiMonaten ge-
wöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt. Da er
ausweislich des Melderegisters am 19. April 2004 von Amts
wegen abgemeldet worden war, ist er zu Recht nicht von
Amts wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen worden.
Dies hätte gemäß § 15 Abs. 1 EuWO vorausgesetzt, dass er
am Stichtag – also am 9. Mai 2004 – bei der Meldebehörde
entweder für eine Wohnung (Nummer 1 der Vorschrift) oder
für eine Justizvollzugsanstalt (Nummer 4 der Vorschrift) bei
der Meldebehörde gemeldet gewesen wäre. Der Einspruchs-
führer hätte aber die Möglichkeit gehabt, einen Antrag auf
Eintragung in das Wählerverzeichnis zu stellen. Als Strafge-
fangener in einer Justizvollzugsanstalt wäre er nach § 15
Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe d EuWO einzutragen gewesen, da er
– wie dargelegt – nicht zu dem Personenkreis gehört hat, der
von Amts wegen einzutragen war. Einen solchen Antrag hat
er jedoch ebenso wenig gestellt wie er Einspruch gegen das
Wählerverzeichnis erhoben hat. Gegenüber denjenigen Bür-
gerinnen und Bürgern, die imVorfeld einerWahl keineWahl-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 73 – Drucksache 15/4750

benachrichtigung erhalten haben, besteht die Erwartung, dass
sie sich, z. B. durch Stellung eines Antrags auf Eintragung in
das Wählerverzeichnis, um die Wahrnehmung ihres Wahl-
rechts kümmern (vgl. auch § 4 EuWG i. V. m. § 17 Abs. 1
Satz 2 BWG). Wer dies nicht tut, muss die aus einer eventu-
ellenNichteintragung in dasWählerverzeichnis resultierende
Folge, dass eineWahlteilnahmenichtmöglich ist, tragen (vgl.
Bundestagsdrucksache 15/1150, Anlage 40; Schreiber, Kom-
mentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 14 Rn. 5).
Ein Wahlfehler ergibt sich nicht aus dem Einwand des Ein-
spruchsführers, er habe seine Wohnung ordnungsgemäß auf-
gelöst und sich beim zuständigen Bezirksamt Fuhlsbüttel ab-
gemeldet. Einem etwaigen Verstoß der Meldebehörde gegen
melderechtliche Vorschriften braucht im Wahlprüfungsver-
fahren nicht nachgegangenwerden. Die Frage, ob ein solcher
Verstoß vorliegt, ist ggf. in dem betreffenden Verwaltungs-
verfahren zu klären. Gemäß § 26 Abs. 4 EuWG können nur
Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf
das Wahlverfahren beziehen, im Wahlprüfungsverfahren an-
gefochten werden. Etwaige melderechtliche Fehler berühren
das Wahlverfahren nur mittelbar (Bundestagsdrucksache 15/
1150, Anlagen 8 und 40). Somit ist der Anregung des Ein-
spruchsführers, anhand seiner Personalakte zu klären, ob er
seinen melderechtlichen Verpflichtungen nachgekommen
sei, nicht nachzugehen.
Der Einspruchsführer kann auch nicht mit Erfolg einwenden,
die JVA Fuhlsbüttel habe ihm gegenüber ihre gesetzliche und
verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht verletzt, indem sie ihn
nicht hinreichend über seine Möglichkeiten zur Wahrneh-
mung des Wahlrechts informiert habe. Nach § 73 Strafvoll-
zugsgesetz wird der Gefangene in dem Bemühen unterstützt,
u. a. seinWahlrecht auszuüben.Die JVAhat dasMerkblatt für
Wahlberechtigte in Justizvollzugsanstalten ab dem 18. Mai
2004 und damit noch rechtzeitig vor der Einsichtsfrist und
gleichzeitig der Einspruchsfrist gegen dasWählerverzeichnis
vom 24. bis 28. Mai 2004 (§ 21 Abs. 1 EuWO) ausgehängt.
Der Personenkreis, der – wie der Einspruchsführer – keine
Wahlbenachrichtigungskarte erhalten hat, ist dort ausdrück-
lich angesprochen. Außerdem wird am Ende des Merkblatts
all denjenigen Unterstützung angeboten, denen etwas unklar
erscheint in Bezug auf die Wahrnehmung ihres Wahlrechts.
Die Wahlbehörden und die JVA sind ihren Informations-
pflichten gegenüber dem Einspruchsführer somit nachge-

kommen. Dies ist auch angesichts der Erwiderung des Ein-
spruchsführers auf die Stellungnahme des Kreiswahlleiters
unstreitig, da das Aushängen des Merkblatts auf allen Stati-
onen nicht bestritten worden ist.
DerEinspruch kann schließlich auch keinenErfolg haben, so-
weit der Einspruchsführer geltend macht, die JVA habe bei
der Europawahl generell ihre gesetzliche und verfassungs-
rechtliche Fürsorgepflicht gegenüber den Strafgefangenen
verletzt, so dass außer dem Einspruchsführer auch andere
Strafgefangene nicht an der Europawahl hätten teilnehmen
können. Insoweit trägt er keine konkreten Tatsachen vor, die
diese Behauptung untermauern könnten. Vielmehr vertritt er
– gestützt auf die Vermutung, die „Volksparteien“ hätten dies
billigend in Kauf genommen – die Auffassung, die Strafge-
fangenen sollten an derWahlteilnahme gezielt gehindert wer-
den. Derartigen pauschalen Behauptungen und Vermutungen
gehen der Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsaus-
schuss nicht nach. Mangels eines hinreichend bestimmten
Anfechtungsgegenstandes ist eine nähere Prüfung dieserVor-
würfe nicht geboten. Die Wahlprüfung findet nämlich weder
von Amts wegen statt noch erfolgt sie stets in Gestalt einer
Durchprüfung der gesamten Wahl. Vielmehr erfolgt nach
§ 26 Abs. 2 EuWG i. V. m. § 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG die
Wahlprüfung nur aufEinspruch, der zu begründen ist.Hierbei
muss die Begründungmindestens den Tatbestand, auf den die
Anfechtung gestützt wird, erkennen lassen und genügend
substantiierteTatsachen enthalten (BVerfGE40, 11/30).Wer-
den demgegenüber – wie vorliegend – keine substantiierten
Tatsachen vorgetragen, so gilt die Vermutung, dass dieWahl-
behörden und die Justizvollzugsanstaltendiewahlrechtlichen
Vorschriften befolgen. Somit trifft die Auffassung des Ein-
spruchsführers nicht zu, der Kreiswahlleitermüsse beweisen,
dass die Wahl in der JVA ordnungsgemäß durchgeführt wor-
den sei.
Soweit der Einspruchsführer auch Einwendungen gegen die
gleichzeitig mit der Europawahl in Hamburg durchgeführte
Abstimmung zum Volksentscheid „Mehr Bürgerrechte – ein
neues Wahlrecht für Hamburg“ vorbringt, so besteht für den
Deutschen Bundestag und denWahlprüfungsausschuss keine
Prüfungskompetenz.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75 – Drucksache 15/4750

Anlage 17

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. M., 21147 Hamburg

– Az.: EuWP 31/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom13. Juni 2004, das von der Behörde für In-
neres der Freien und Hansestadt Hamburg an den Deutschen
Bundestag weitergeleitet worden und hier am 14. Juli 2004
eingegangen ist, hat der Einspruchsführer gegen die Gültig-
keit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni 2004
Einspruch eingelegt.
Der Einspruchsführer ist der Auffassung, dass er „wider-
rechtlich“ von derWahl ausgeschlossenworden sei, da er kei-
nen gültigenAusweis besitze. Der Einspruchsführer hattemit
dieser Begründung bereits gegen dieWahl der Abgeordneten
des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland vom 12. Juni 1994, dieWahl zum 13. Deutschen
Bundestag am 6. Oktober 1994, dieWahl zum 14. Deutschen
Bundestag am 27. September 1998, die Wahl der Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland vom 13. Juni 1999 sowie die Wahl zum 15.
Deutschen Bundestag am 22. September 2002 Einspruch er-
hoben.
Er führt aus, auf der Wahlbenachrichtigungskarte sei „un-
missverständlich“ vermerkt, dass derWähler einen Personal-
ausweis oder einen Reisepass mitzubringen habe. Sein fester
Wille, sich bei der Wahl auszuweisen, sei ignoriert worden.
Ihm werde seit mehr als zehn Jahren die Aushändigung eines
Ausweises verweigert. So sei die Herausgabe seines damals
gültigen Personalausweises, den er am 1. Juli 2003 beim
Ortsamt habe abholen wollen, verweigert worden. Am 9. Juli
2003 sei der Personalausweis „amtlich sichergestellt“ wor-
den. Die Herausgabe habe über das Amtsgericht Harburg erst
nach Ablauf der Gültigkeit des Personalausweises erfolgen
können. Auch existiere ein auf den Einspruchsführer regist-
rierter, bis zum Jahre 2008 gültiger Reisepass, dessen Her-
ausgabe ebenfalls verweigert werde. Dadurch sei ihm die
Neubeantragung eines Reisepasses unmöglich gemacht wor-
den. Dem Einspruchsführer sei vom Ortsamt auferlegt wor-
den, dessenVerbleib zu klären. Dies sei ihm aus eigenerKraft
nicht möglich.
Der Kreiswahlleiter Hamburg-Harburg hat hierzu wie folgt
Stellung genommen:

Die Teilnahme des Einspruchsführers an der Wahl sei durch
geeignete Maßnahmen ermöglicht worden. Dem Wahlvor-
stand sei es möglich gewesen, den Einspruchsführer für den
Fall der Teilnahme an der Wahl bei Erscheinen imWahllokal
zu identifizieren. Der Einspruchsführer sei somit nicht von
derWahl ausgeschlossen gewesen. Im Übrigen habe der Ein-
spruchsführer die Möglichkeit gehabt, auch ohne Vorlage
eines Ausweisdokuments im Wege der Briefwahl an der
Europawahl teilzunehmen. Der Einspruchsführer habe aber
weder seine Stimme persönlich im Wahllokal abgegeben,
noch habe er die Möglichkeit der Briefwahl genutzt.
Es treffe zu, dass der Einspruchsführer zumZeitpunkt der Eu-
ropawahl nicht im Besitz eines gültigen Personalausweises
oder eines Reisepasses gewesen sei. Ein Reisepass sei weder
im Jahre 1998 noch zu einem späteren Zeitpunkt ausgestellt
worden. Der Grund hierfür sei, dass kein formgerechter An-
trag auf Ausstellung eines Reisepasses gestellt worden sei.
Hinsichtlich des Personalausweises führt der Kreiswahlleiter
aus, dass im November 1993 ein Personalausweis mit Gül-
tigkeit bis zum7. November 2003 ausgestellt worden sei. Der
Einspruchsführer habe in diesem Zeitraum trotz mehrerer
Aufforderungen, den Personalausweis abzuholen, den Aus-
weis nicht entgegengenommen. Diesbezüglich habe es meh-
rere gerichtliche Verfahren gegeben, in denen das Verwal-
tungsgericht Hamburg, zuletzt mit Beschluss vom 2. März
2004, dem Einspruchsführer rechtsmissbräuchliche Inan-
spruchnahme des Gerichts attestiert habe, weil die für die
Aushändigung des Ausweises zuständige Behörde dem Ein-
spruchsführer mehrfach mitgeteilt habe, dass der Ausweis
ohneVorschaltung einesGerichtsverfahrens abgeholtwerden
könne. Das Bezirksamt Harburg habe dem Einspruchsführer
mit mehreren Schreiben, wobei auch auf die Ordnungswid-
rigkeits-Tatbestände des § 5 des Gesetzes über Personalaus-
weise hingewiesen worden sei, die Notwendigkeit eines
formgerechten Antrags erläutert. Am 20. Juli 2004 sei ein
formgerechter Antrag auf Ausstellung eines Personalauswei-
ses gestellt worden. An diesem Tage sei ein vorläufiger Per-
sonalausweis ausgestellt worden, dessen Annahme der Ein-
spruchsführer verweigert habe, weil der abgelaufene Perso-
nalausweis aufgrund von § 8 des Hamburgischen Personal-
ausweisgesetzes habe einbehalten werden müssen. Es werde
davon ausgegangen, dass der Einspruchsführer auch künftig

Drucksache 15/4750 – 76 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

die Entgegennahme des vorläufigen und nach Ausstellung
auch des regulären Personalausweises verweigern werde.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 Europawahlge-
setz (EuWG) in Verbindung mit § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahlprü-
fungsgesetz (WPrüfG) von einer mündlichen Verhandlung
abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Der Vortrag des Einspruchsführers lässt einen Fehler bei der
Anwendung der für die Europawahl geltenden wahlrechtli-
chen Regelungen nicht erkennen. Er ist bereits mehrfach dar-
auf hingewiesen worden, dass die Vorlage eines Personalaus-
weises oder eines Reisepasses zur Teilnahme an der Wahl
nicht unbedingt erforderlich ist. Nach § 49 Abs. 3 Satz 2 Eu-
ropawahlordnung (EuWO) hat sich ein Wähler auf Verlan-
gen, insbesondere wenn er seineWahlbenachrichtigung nicht
vorlegt, über seine Person auszuweisen. Soweit in der Wahl-
benachrichtigung nach § 18 Abs. 1 Nr. 5 EuWO dazu aufge-
fordert wird, den Personalausweis oder einen Reisepass be-
reitzuhalten, so handelt es sich hierbei lediglich um eine
„Soll-Vorschrift“. Aus der Stellungnahme des Kreiswahllei-
ters geht hervor, dass es demWahlvorstand möglich war, den
Einspruchsführer für den Fall der Teilnahme an der Wahl zu
identifizieren. Wegen der weiteren Begründung für diese
Rechtslage wird auf die früheren Wahlprüfungsentscheidun-
gen in derAngelegenheitBezug genommen (zuletzt: Bundes-
tagsdrucksache 15/1150, Anlage 38). Es ist im Übrigen nicht
Sache des Deutschen Bundestages, zu den vom Einspruchs-
führer angeführten Gründen, die einer Herausgabe des Rei-
sepasses und des Personalausweises an ihn entgegenstehen
sollen, Stellung zu nehmen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 77 – Drucksache 15/4750

Anlage 18

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. W., 22303 Hamburg

– Az.: EuWP 37/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 27. Juli 2004, das am 28. Juli 2004 beim
Deutschen Bundestag eingegangen ist, hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutsch-
land am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Er beanstandet,
dass die Bescheinigungen derWählbarkeit nicht von der hier-
für zuständigen Stelle ausgestellt worden seien.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass der Senat der Freien und
Hansestadt Hamburg in Anwendung von § 85 der Europa-
wahlordnung (EuWO) die Behörde für Inneres des Landes
Hamburg für die Ausstellung von Bescheinigungen der
Wählbarkeit gemäß § 32 Abs. 4 Nr. 2 EuWO bestimmt habe.
Dem Einspruchsführer lägen Unterlagen vor, aus denen der
Schluss gezogen werden könne, dass nicht die seiner Mei-
nung nach zuständige Behörde für Inneres des Landes Ham-
burg, sondern ein „Statistisches Amt für Hamburg und
Schleswig-Holstein – Anstalt des öffentlichen Rechts“ die
Bescheinigungen der Wählbarkeit ausgestellt habe.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Landeswahlleiter der
Freien und Hansestadt Hamburg wie folgt Stellung genom-
men:
Die Auffassung des Einspruchsführers treffe nicht zu. Nach
der Anordnung über Zuständigkeiten für dieWahlen zumEu-
ropäischen Parlament und zum Deutschen Bundestag vom
20. September 1983 (Amtl. Anz. S. 1679), zuletzt geändert
durch Artikel 1 der Anordnung über Zuständigkeiten für
Wahlen undVolksabstimmungenvom15. Januar 2004 (Amtl.
Anz. S. 245 – Anlage 1), sei für die Bescheinigungen der
Wählbarkeit gemäß § 32 Abs. 3 Nr. 3 und Abs. 4 Nr. 2
EuWO das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-
Holstein – Anstalt des öffentlichen Rechts – zuständig gewe-
sen. Dieser Regelung entsprechend sei auch bei der Vorberei-
tung und der Durchführung der Europawahl 2004 verfahren
worden. Zur Verdeutlichung ist der Stellungnahme ein Mus-
ter der Bescheinigung über die Wählbarkeit beigefügt wor-
den.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Landes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu wie
folgt geäußert:

Die vom Landeswahlleiter in Kopie vorgelegte Bescheini-
gung derWählbarkeit scheine seiner Ansicht nach rechtswid-
rig zu sein. Der Einspruchsführer beanstandet, dass anstelle
des verlangten Dienstsiegels der zuständigen Behörde ledig-
lich ein runder Stempel mit der Umschrift „Statistisches Amt
für Hamburg und Schleswig-Holstein – Anstalt des öffentli-
chen Rechts“ verwendet worden sei. Ein Dienstsiegel zeige
aber im Unterschied zu einem Stempel wegen der damit do-
kumentierten hoheitlichen Aufgabe das jeweilige Landes-
wappen.
Der Staatsvertrag zwischen der Freien und Hansestadt Ham-
burg und dem Land Schleswig-Holstein über die Errichtung
eines gemeinsamen Statistischen Amtes vom 27. August
2003 (HmbGVBl. 2003 S. 543) lege in § 1 Abs. 2 Satz 1 als
Sitz der Anstalt Hamburg fest und bestimme in § 1 Abs. 3 die
Führung eines kleinen Dienstsiegels. Nach der Regelung der
Rechtsverhältnisse zwischen der Anstalt und ihren Trägern
gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 des Staatsvertrages sei im vorlie-
genden Falle hamburgisches Recht anzuwenden. Somit sei
das Dienstsiegel gemäß der Anordnung des Senats überWap-
pen, Flaggen und Siegel der Freien und Hansestadt Hamburg
vom 21. Juni 1982 (Amtl. Anz. S. 1278, Ziffer 1.1 und Zif-
fer 5) mit dem Wappen des Landes Hamburg zu versehen.
Dem Wahlprüfungsausschuss liegt die Satzung des Statisti-
schen Amtes für Hamburg und Schleswig-Holstein – Anstalt
des öffentlichen Rechts (Amtl. Anz. 2004, S. 1) vor.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
EineVerletzungwahlrechtlicherVorschriften ist aus demvor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Soweit der Ein-

Drucksache 15/4750 – 78 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

spruchsführer geltend macht, das Statistische Amt für Ham-
burg und Schleswig-Holstein sei für die Ausstellung der Be-
scheinigungen der Wählbarkeit nicht zuständig gewesen, so
wird auf die Stellungnahme des Landeswahlleiters verwie-
sen. Darin hat dieser überzeugend und nachvollziehbar dar-
gelegt, weshalb ein Wahlfehler nicht vorliegt. Der Deutsche
Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss machen sich
diese Begründung zu Eigen.
Soweit der Einspruchsführer in seiner Rückäußerung zur
Stellungnahme des Landeswahlleiters geltend macht, das
Dienstsiegel des Statistischen Landesamtes müsse mit einem
Wappen des Landes Hamburg versehen sein, so liegt auch in-
soweit keinWahlfehler vor. Dabei kann hier offen bleiben, ob
die aufgeworfene Frage überhaupt einen für die ordnungsge-
mäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl relevanten
Fehler betreffen kann. Wäre nämlich das verwendete Siegel
formal nicht ganz ordnungsgemäß gestaltet, sowürde dies die
Gültigkeit der Bescheinigungen der Wählbarkeit grundsätz-
lich nicht infrage stellen. Hierauf ist der Einspruchsführer be-
reits in einerWahlprüfungsentscheidung zurBundestagswahl
2002 anlässlich einer vergleichbaren Fragestellung zu den in
Hamburg verwendeten Wahlscheinen hingewiesen worden
(Bundestagsdrucksache 15/1850, Anlage 51).
Davon abgesehen ist eine fehlerhafte Gestaltung des Dienst-
siegels auf der Bescheinigung der Wählbarkeit nicht erkenn-
bar. ImStaatsvertrag zwischenHamburg und Schleswig-Hol-
stein ist in § 1 Abs. 3 Satz 1 – worauf auch der Einspruchs-
führer hinweist – festgelegt, dass das Statistische Amt ein
kleines Dienstsiegel führt. Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 des Staats-
vertrages regelt das Nähere die Satzung. § 1 Abs. 3 der am
18. Dezember 2003 durch Senatsbeschluss im Verfügungs-
wege beschlossenen Satzung des Statistischen Amtes (Amtl.
Anz. 2004, S. 1) beinhaltet eine Abbildung des zu führenden
Dienstsiegels, das kein Landeswappen zeigt.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79 – Drucksache 15/4750

Anlage 19

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn F. W. M., 21217 Seevetal

– Az.: EuWP 39/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom9.August 2004, beimDeutschenBundes-
tag eingegangen am 10. August 2004 hat der Einspruchsfüh-
rer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Eu-
ropäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland
am13. Juni 2004Einspruch eingelegt. Er beanstandet die sog.
Frauenquote der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Die Satzung des Bundesverbandes der Partei regelt in § 10
Abs. 5 Folgendes:
„Wahllisten sind grundsätzlich alternierend mit Frauen und
Männern zu besetzen,wobei den Frauen die ungeraden Plätze
zur Verfügung stehen (Mindestparität). Frauen können auch
auf den geraden Plätzen kandidieren. Reine Frauenlisten sind
möglich.“
Der Einspruchsführer erhebt seinen Einspruch beim Deut-
schen Bundestag nur hilfsweise für den Fall, dass sein in
dieser Angelegenheit auch beim Europäischen Parlament
erhobener Einspruch keinen Erfolg haben sollte. Werde ein
Verstoß gegen Artikel 1 Abs. 3 des Aktes zur Einführung all-
gemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten im Euro-
päischen Parlament vom 20. September 1976 (BGBl. 1977 II
S. 733 f.), zuletzt geändert durch Beschluss des Rates von
25. Juni 2002 und23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810)
– Direktwahlakt, wonach die Wahl allgemein, unmittelbar,
frei und geheim erfolge, geltend gemacht, so befinde das
Europäische Parlament nach Artikel 12 Satz 2 Direktwahlakt
über diese Anfechtung.
Das Europäische Parlament hat in seiner Sitzung vom14.De-
zember 2004 entsprechend einem Vorschlag des Rechtsaus-
schusses die Anfechtung gemäßArtikel 12 Direktwahlakt für
unbegründet erachtet (zur Begründung dieses Beschlusses
siehe unten).
Der Einspruchsführer trägt vor, er mache mit seinem Wahl-
einspruch beim Deutschen Bundestag ausschließlich die
Verletzung innerstaatlicher Vorschriften der Bundesrepublik
Deutschland geltend. Neben einem Verstoß gegen europäi-
sches Recht liege zugleich auch ein Verstoß gegen innerstaat-
liche Vorschriften vor, zumal das europäische Recht über Ar-
tikel 23 ff. des Grundgesetzes in das innerstaatliche Recht
„einfließe“. Nach innerstaatlichem Recht sei zusätzlich zu

prüfen, ob der geltend gemachte Verstoß weitere Aus-
wirkungen auf die Mandatsverteilung gehabt haben könne.
Der Einspruchsführer benennt Bewerberinnen für die Listen-
plätze mit ungeraden Zahlen der gemeinsamen Liste für alle
Länder der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, derenWahl
gegen den Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts verstoße.
Diese Bewerberinnen seien in einer „speziellen“ innerpartei-
lichenWahl aufgestellt worden, bei der nur Frauen von ihrem
passiven Wahlrecht hätten Gebrauch machen dürfen. Ledig-
lich die Listenplätze mit geraden Zahlen seien von der Partei
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach den Grundsätzen des
allgemeinen und gleichen Wahlrechts besetzt worden. Dies
verstoße unmittelbar gegen Artikel 1 Abs. 3 Direktwahlakt.
Kein Wahlberechtigter dürfe aufgrund seines Geschlechtes,
seiner Rasse, seiner Hautfarbe, seiner Religion, seines Stan-
des etc. von der Kandidatur für einen Listenplatz ausge-
schlossen werden.
DerEinspruchsführer übtKritik an der Zurückweisung seines
mit ähnlicher Begründung erhobenen Wahleinspruchs gegen
die Bundestagswahl 2002 (Bundestagsdrucksache 15/2400,
Anlage 14). Die dort vorgenommene Auslegung wahlrecht-
licher Grundsätze könne nicht Bestandteil des europäischen
Rechts sein und entspringe einem „falschen Denken“. Gegen
diesen Bundestagsbeschluss ist eine Wahlprüfungsbe-
schwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Wegen
derweiteren Einzelheiten desVortrags des Einspruchsführers
wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Das Europäische Parlament hat seine Entscheidung, die An-
fechtung des Einspruchsführers für unbegründet zu erachten,
wie folgt begründet:
„Diesbezüglich ist festzustellen, dass der Grundsatz der all-
gemeinen Wahlen in keiner Weise eingeschränkt ist. Dieser
bezieht sich auf das aktive und passive Wahlrecht, das alle
Bürger der Europäischen Union unterschiedslos haben. Im
vorliegendenFall verstoßen dieRegeln einer Partei oder einer
unabhängigen Bürgervereinigung zum Zwecke der Aufstel-
lung einer Liste für dieWahlen zum Europäischen Parlament
mit derVorgabe, einGleichgewicht zwischendenKandidaten
beider Geschlechter herzustellen, mit Sicherheit nicht gegen
das allgemeine Wahlrecht, da die Bürger der Europäischen
Union und des Mitgliedstaates vor der Wahl mehrere Listen

Drucksache 15/4750 – 80 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

vorlegen und dann auf jeden Fall aus den vorgelegten Listen
auswählen können, unabhängig von denKriterien desGleich-
gewichts und der bestehenden Reihenfolge zwischen den
Kandidatinnen und Kandidaten.
Ferner stehen die konkreten Maßnahmen zur Herstellung ei-
nes Gleichgewichts zwischen den beiden Geschlechtern auf
einerWahlliste voll und ganz imEinklangmit demGrundsatz
der Gleichheit von Männern und Frauen, der von der Mehr-
heit der Mitgliedstaaten vertreten wird und in Artikel 23 der
Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert
ist. Dieser Grundsatz, der weit davon entfernt ist, nur für for-
maleZwecke konzipiertworden zu sein, erlaubt, ja fördert so-
gar Maßnahmen, die besondere Vorteile für das unterreprä-
sentierte Geschlecht vorsehen. Wie das Europäischen Parla-
ment wiederholt feststellen konnte, liegt der Anteil der ge-
wählten weiblichenMitglieder des Europäischen Parlaments
unstreitbar noch weit unter der Hälfte der Mitglieder der Ver-
sammlung.“
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 des Gesetzes
über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments aus der Bundesrepublik Deutschland (EuWG) in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch wird als zulässig behandelt.
DerUmstand, dass der Einspruch beimDeutschenBundestag
nur hilfsweise erhobenworden ist, steht einerwirksamenEin-
legung des Einspruchs nicht entgegen. Zwar können auch im
Wahlprüfungsverfahren Verfahrenshandlungen grundsätz-
lich nichtmit einerBedingungversehenwerden (Bundestags-
drucksache 15/2400, Anlage 13). Vorliegend darf es jedoch
dem Einspruchsführer im Ergebnis nicht zumNachteil gerei-
chen, dass er die Wahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland nur dann
beim Deutschen Bundestag anfechten und damit eine Über-
prüfung seiner Einwendungen nach den innerstaatlichen
Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland herbeiführen
möchte, wenn das Europäische Parlament nicht in seinem
Sinne entschieden hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es
im Falle der Europawahl zwei voneinander unabhängige Or-
gane undVerfahrensweisen für derenÜberprüfunggibt – zum
einen das Europäischen Parlament, das eineMandatsprüfung
auf der Grundlage von Artikel 12 Direktwahlakt vornimmt,
und zum anderen den Deutschen Bundestag, der gemäß § 26
Abs. 2 EuWG in Verbindung mit dem Wahlprüfungsgesetz
über Wahleinsprüche nach den innerstaatlichen Vorschriften
entscheidet. In dieser Situation und zu diesem Zeitpunkt
konnte aus der Sicht des Einspruchsführers nicht feststehen,
ob und ggf.mitwelchem Inhalt das von ihm in erster Linie an-
gegangene Europäischen Parlament über seine Einwendun-
gen entscheiden würde. Zudem enthält das Wahlprüfungsge-
setz in § 2Abs. 4 Satz 1 eine zweimonatige Frist, die als Aus-
schlussfrist verstanden wird. Es darf im Ergebnis nicht zu
Lasten des Einspruchsführers gehen, wenn – wie hier – ein-
und derselbe Sachverhalt sowohl Regelungen des europäi-
schen als auch des innerstaatlichen Rechts betrifft. Die vom
Einspruchsführer aufgestellte Verfahrensbedingung wird so-
mit als zulässig behandelt.

Eine Sachentscheidungunterbleibt imvorliegendenFall auch
nicht deshalb, weil das Europäische Parlament bereits über
den Sachverhalt entschieden hat. Im Hinblick auf eine teil-
weise Überschneidung der Prüfungsgesichtspunkte bei der
Mandatsprüfung durch das Europäische Parlament und bei
der Wahlprüfung durch den Deutschen Bundestag stellt sich
grundsätzlich die Frage, wie deren Prüfungskompetenzen auf
der Grundlage von Artikel 12 Direktwahlakt im Einzelnen
abzugrenzen sind. Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall
keiner Entscheidung, da derDeutscheBundestag in der Sache
ebenso wie das Europäische Parlament zu dem Ergebnis ge-
langt, dass der Wahleinspruch in der Sache keinen Erfolg hat
und somit divergierende Entscheidungen auf jeden Fall ver-
mieden werden. Der Einspruch wird daher – auch im Inter-
esse einer umfassenden Prüfung der Wahl nach den inner-
staatlichenVorschriften – im Ergebnis auch unter diesemGe-
sichtspunkt als zulässig behandelt.
Der Einspruch ist jedoch offensichtlich unbegründet.
Ein wahlprüfungsrechtlich erheblicher Verstoß gegen Wahl-
rechtsgrundsätze bei der Kandidatenaufstellung innerhalb
der Partei BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENwegen der vomEin-
spruchsführer gerügten Quotenregelung dieser Partei lässt
sich im Ergebnis nicht feststellen. Hierbei gehen Deutscher
Bundestag und Wahlprüfungsausschuss von dem Grundsatz
aus, dass nicht allenMaßnahmen von Parteien oder sonstigen
politischen Vereinigungen im Zusammenhang mit der
Kandidatenaufstellung wahlrechtliche Bedeutung zukommt.
Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 89, 243/253) können in Wahlprüfungsverfahren
nur Verstöße gegen elementare Regeln des demokratischen
Wahlvorgangs gerügt werden. Die Verfahrensweise zur Auf-
stellung der Wahlbewerber ist hierbei an den von den Wahl-
gesetzen bestimmten zwingendenAnforderungen zumessen.
Die Gestaltung des innerparteilichenWahlrechts und die Ein-
haltung der Satzungsvorschriften unterliegen grundsätzlich
nicht der Überprüfung im Wahlprüfungsverfahren. Rechts-
fehler im Zusammenhang mit der satzungsrechtlich geregel-
ten Aufstellung der Kandidaten können hier nur dann durch-
greifen, wenn sie gleichzeitig eine Verletzung der zwingen-
den gesetzlichen Vorschriften über die Bewerberaufstellung
enthalten. Eine Parteimuss hiernach die Regelungen des § 10
EuWG für die Aufstellung der Wahlvorschläge sowie de-
mokratischen Grundsätzen im Sinne des Artikels 21 Abs. 1
Satz 3 Grundgesetz (GG) entsprechen. Darüber hinaus unter-
liegt eine Parteisatzung als Recht der inneren Ordnung der
Partei grundsätzlich keiner staatlichen Nachprüfung (vgl.
Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage,
§ 21 Rn. 22).
Der Gesetzgeber schreibt keine geschlechtsbezogenen Quo-
ten für Listenbewerber bei öffentlichen Wahlen vor und hat
die Regelungskompetenz für diese Materie dem autonomen
Parteisatzungsgeber überlassen. Ausschließlich unter forma-
len Gleichheitsaspekten (Artikel 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3
Satz 1 GG) können Privilegierungen eines Geschlechtes bei
der Aufstellung der Wahlvorschläge und bei innerparteili-
chen Wahlen wegen der auch hier prinzipiell geltenden
Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl durchaus
bedenklich erscheinen. Wenn jedoch, wie letztlich nach der
Satzung der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegeben,
eine ausgewogene personale Auswahl möglich ist, bestehen
angesichts der Zielsetzung von Quotenregelungen bei sach-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 81 – Drucksache 15/4750

gemäßer Ausgestaltung undHandhabung gegen deren Zuläs-
sigkeit keinedurchgreifendenBedenken (vgl. Schreiber,Kom-
mentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 27 Rn. 13a).
Für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Quotenrege-
lung sind die Wahlrechtsgrundsätze des § 1 Abs. 1 Satz 2
EuWG i. V. m. Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG heranzuziehen.
Die hiernach gewährleistete Gleichheit der Wahl ist grund-
sätzlich formal und nur unter eingeschränkten Bedingungen
differenzierungsfähig (BVerfGE11, 266/272). SachlicheDif-
ferenzierungen bedürfen einer rechtfertigenden Begründung.
Zwar reduziert eine Quotierung im Reißverschlussverfahren
den Entscheidungsspielraum bei der Aufstellung der Wahl-
vorschläge, da die Reihenfolge der Kandidaten von den
Wahlberechtigten nicht mehr geändert werden kann (zur ge-
nerellen Zulässigkeit sog. starrer Listen vgl. BVerfGE 47,
253/283). Andererseits ist bei der gebotenen verfassungs-
rechtlichen Abwägung im Rahmen der Wahlrechtsgleich-
heit auch der programmatische Auftrag des Artikels 3 Abs. 2
Satz 2 GG und des Sozialstaatsprinzips zu berücksichtigen.
Hierbei ist der Funktion der politischen Parteien und der be-
sonderen Struktur der innerparteilichen Willensbildung
Rechnung zu tragenmit der Folge, dass dieWahlrechtsgrund-
sätze der Gleichheit und der Freiheit der Wahl modifiziert
auszulegen sind.
Im Ergebnis der gebotenen umfassenden verfassungsrechtli-
chenAbwägung ist festzustellen, dass dieQuotenregelung im
Sinne der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts notwendigeDifferenzierung zu rechtfertigen und da-
mit zulässig ist. Angesichts der Ergänzung des Artikels 3 GG
durch Absatz 2 Satz 2, der eine bevorzugte Ungleichbehand-
lung von Frauen unter bestimmtenVoraussetzungen rechtfer-
tigt, sowie bestimmter Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts kann im Ergebnis nicht festgestellt werden,
dass von der Unanwendbarkeit der Quotenregelung auszuge-
hen ist. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung
wird auf die dem Einspruchsführer bekannte Wahlprüfungs-
entscheidung zur Bundestagswahl 2002 in Anlage 14 der
Bundestagsdrucksache 15/2400 verwiesen. In gleicherWeise
hatte der Deutsche Bundestag bereits über Einsprüche gegen
die Bundestagswahlen 1994 und 1998 entschieden (Bundes-
tagsdrucksache 14/1560, Anlage 82; Bundestagsdrucksache
13/3927, Anlagen 15 und 21).
Der Einspruch ist deshalb als offensichtlich unbegründet zu-
rückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83 – Drucksache 15/4750

Anlage 20

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. S., 81541 München

– Az.: EuWP 40/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 11. August 2004, das am 12. August 2004
beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordne-
ten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik
Deutschland am 13. Juni 2004 Einspruch eingelegt. Der Ein-
spruchsführer beanstandet, dass dieVorschrift des § 2 des Eu-
ropawahlgesetzes (EuWG), insbesondere die Fünf-Prozent-
Sperrklausel und das gesetzlich bestimmte Berechnungsver-
fahren zur Sitzverteilung, den gleichen Erfolgswert derWäh-
lerstimmen nicht gewährleistet habe.
Wie durch denAkt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer
Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom
20. September 1976 (BGBl. 1977 II S. 733 ff.), zuletzt geän-
dert durch Beschluss des Rates vom 25. Juni 2002 und 23.
September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810) – Direktwahlakt –
bestimmt worden sei, komme bei der Europawahl das Ver-
hältniswahlsystem zur Anwendung. Demzufolge müsse der
Gesetzgeber die Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen
gewährleisten.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass durch die Vorschrift des
§ 2 Abs. 2 EuWG nur die Wahlvorschläge berücksichtigt
worden seien, diemindestens fünf vomHundert der imWahl-
gebiet abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hätten. Da-
durch sei der Erfolgswert von „annähernd zehn vomHundert
der gültigen Wählerstimmen willkürlich auf null gesetzt“
worden. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Ent-
scheidung vom 22. Mai 1979 (BVerfGE 51, 222) festgestellt,
dass Eingriffe in die Erfolgswertgleichheit, die der Gesetzge-
ber in § 2 EuWG bestimmt habe, eines besonderen, rechtfer-
tigenden, zwingendenGrundes bedürften.DerZweck und die
Natur desWahlverfahrensmüssten diese zwingend erfordern.
Dieser Grund bestehe nach Auffassung des Einspruchsfüh-
rers heute nicht mehr. Wie das Bundesverfassungsgericht be-
reits in dieser Entscheidung festgestellt habe, hätten die Frak-
tionen des Europäischen Parlaments in der Praxis mehr und
mehr an Bedeutung gewonnen. Dieser Prozess habe sich fort-
gesetzt.
So sei in die Fraktionen auch ein großer Teil derjenigen Ab-
geordneten eingebunden, die sehr kleinen nationalen Kontin-
genten entstammten oder sogar ganz ohne Mitstreiter aus

einer nationalen Liste seien. Mehrere nationale Listen seien
teilweise in einer gemeinsamen Fraktion vereint. Anderer-
seits sei es durchaus üblich, dass sich die gewählten Mitglie-
der nationaler Listen auf mehrere Fraktionen verteilten. Teil-
weise würden imLaufe einerWahlperiode auchAbgeordnete
großer nationaler Kontingente fraktionslos. Spätere Wechsel
zwischen den Fraktionen seien nicht unüblich.
Die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen nationalen Liste ist
nach Auffassung des Einspruchsführers kein geeignetes Kri-
terium mehr, die Bündnisfähigkeit oder den Grad der Zer-
splitterung im Europäischen Parlament zu prognostizieren.
Das Bundesverfassungsgericht habe in der Entscheidung
vom 22. Mai 1979 angenommen, dass eine lediglich aus vier
oder weniger Abgeordneten bestehende Gruppe den vielfäl-
tigen Anforderungen, die die Parlamentsarbeit an sie stelle,
schwerlich in umfassender Weise genügen könne. Nun sei es
aber durchaus möglich gewesen, dass eine aus vier oder we-
niger Abgeordneten bestehende Gruppe in das Europäische
Parlament habe gelangen können. Neben zahlreichen Bei-
spielen aus anderen Ländern sei das trotz Sperrklausel von
1979 bis 1984 und von 1989 bis 1994 bei der FDP der Fall ge-
wesen. Es gebe keinerlei Belege dafür, dass die damaligen
Befürchtungen des Bundesverfassungsgerichts eingetreten
seien. Zudem habe die Sperrklausel in der gewählten Form
auch dazu geführt, dass Listen, denen die laut Bundesverfas-
sungsgericht nötigen fünf Sitze zugestanden hätten, von der
Verteilung ausgeschlossen worden seien, wie es 1994 der
PDS tatsächlich passiert sei. Auch die FDP hätte damals noch
fünf Sitze erreicht, wenn schrittweise die noch kleineren Lis-
ten ausgeschlossen gewesen wären.
Prinzipiell sei es schon im Jahre 1979 möglich gewesen, eine
Liste mit einem grundsätzlichen Anspruch von fünf Sitzen
durch die Sperrklausel von der Sitzvergabe auszuschließen,
aber zumindest habe es der Gesetzgeber versäumt, die Sperr-
klausel zu korrigieren, nachdem zurWahl von 1994 das deut-
sche Kontingent von 78 auf 99 direkt zu wählende Sitze er-
höht worden sei. Seither seien Listen mit einem grundsätzli-
chen Anspruch von fünf Sitzen regelmäßig von der Sitzver-
gabe ausgeschlossen worden. Deshalb sei auch die damalige
Annahme des Bundesverfassungsgerichts, dass lediglich der
Einzug von Splittergruppen von höchstens vier Abgeordne-

Drucksache 15/4750 – 84 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ten verhindert werde, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das
Bundesverfassungsgericht habe in der Entscheidung vom
22. Mai 1979 betont, dass im damaligen Stadium der Integra-
tion ein erfolgreiches Wirken des Europäischen Parlaments
noch sehr stark davon abgehangen habe, dass eine enge Ver-
bindung und Zusammenarbeit zwischen den Abgeordneten
des Europäischen Parlaments und den tragenden politischen
Kräften ihrer Heimatländer bestanden habe. Einerseits sei die
Entwicklung der Europäischen Union seither fortgeschritten,
was schon allein am geänderten Namen deutlich werde. An-
dererseits sei demGericht in diesem Zusammenhang entgan-
gen, dass mit demDirektwahlakt gerade das Recht der Wahl-
berechtigten begründet worden sei, eine Besetzung des Eu-
ropäischen Parlaments zu bestimmen, die von der der natio-
nalen Parlamente abweiche. Die Wähler hätten regelmäßig
von diesem Recht Gebrauch gemacht. Zudem habe sich kein
erkennbarer Zusammenhang zwischen einer Verbindung zu
den tragenden politischenKräften der Heimatländer und dem
Überwinden der Sperrklausel gezeigt. Insbesondere sei die
FDP dazu 1984 und 1994 nicht in der Lage gewesen, obwohl
sie zu dieser Zeit in der Bundesrepublik Deutschland sogar
die Regierung mitgetragen habe. In diesen Fällen habe die
Sperrklausel dieVerbindung, die sie habe sicherstellen sollen,
gerade unterbrochen.
Das Bundesverfassungsgericht habe die Bestimmungen des
Europawahlgesetzes (EuWG) mit denen der anderen Länder
verglichen. Dieser Vergleich sei heute teilweise nicht mehr
zutreffend und zumindest in einem Punkt auch sachlich und
mathematisch unrichtig: Die faktische Sperrwirkung sei
selbst bei Anwendung des Divisorverfahrens mit Abrundung
(d’Hondt) geringer als die angegebenen Zahlen, die lediglich
den nötigen Stimmenanteil zu einem Idealanspruch von
einem Mandat angegeben hätten. In Irland, Nordirland und
heute auchMalta sei zudem der Erfolgswert derWählerstim-
men nicht von einer solchen Sperrwirkung berührt, weil die
Wählerinnen undWähler in den dortigenWahlsystemen Fol-
gepräferenzen hätten angeben können, die zum Tragen ge-
kommen seien, wenn ihr zunächst präferierter Kandidat nicht
genügend Stimmen bekommen hätte. Wenn es in Deutsch-
land demWähler in ähnlicher Weise möglich gewesen wäre,
Listen anzugeben, an die seine Stimme hätte übergehen sol-
len, falls die zunächst präferierte Liste die Sperrklausel nicht
überwunden hätte, hätte die Sperrklausel ebenfalls nichtmehr
in die Erfolgswertgleichheit eingegriffen und wäre damit un-
bedenklich gewesen.
Außerdemsei zu bemerken, dass eine faktischeSperrwirkung
zwar je nach Größe des Kontingents eines Landes eine deut-
liche prozentuale Hürde darstellen könne, aber dennoch er-
laube, dass ein einzelner Abgeordneter ohne zugehörige grö-
ßere Gruppe Mitglied des Europäischen Parlaments werden
könne, und damit nicht geeignet sei, dessen Zersplitterung
wirksam einzuschränken.
Wie die Erfahrung gezeigt habe, sei es weder möglich noch
nötig zu verhindern, dass Abgeordnete ohne Mitstreiter aus
ihren eigenen Ländern im Europäischen Parlament seien.
Darauf, ob ein Abgeordneter Mitstreiter im Europäischen
Parlament finde, habe diese Frage nur einen äußerst unterge-
ordneten Einfluss. Trotz der hohen Zahl anAbgeordneten aus
kleinen und kleinsten nationalen Gruppierungen sei die An-
zahl der fraktionslosen Abgeordneten stets vernachlässigbar
gering gewesen, zumal darunter auch größere nationale

Gruppen zu finden gewesen seien. Bezüglich der strengeren
Voraussetzungen für eine Kandidatur in anderen Ländern sei
darauf hinzuweisen, dass derartige Hürden auch in Deutsch-
land dasmildereMittel gewesenwären und demnachVorrang
vor dem massiven Eingriff in die Erfolgswertgleichheit hät-
ten habenmüssen. Aus heutiger Sicht sei es nicht richtig, dass
sich das Europawahlgesetz in größtmöglichem Umfang an
das Bundeswahlrecht anlehne. Vielmehr seien die beiden zu
beanstandenden Punkte – Sperrklausel und „Stimmenver-
rechnungsverfahren“ – die einzigen wesentlichen Gemein-
samkeiten, die nicht durch europäisches Recht erzwungen
worden seien.
Im Gegensatz zum Stand von 1979 sei heute ein Verhältnis-
wahlsystem bereits durch denDirektwahlakt vorgeschrieben.
Darüber hinaus gebe es lediglich die Übereinstimmung bei-
der Systeme, dass es sich nicht um ein Verfahren mit über-
tragbaren Einzelstimmen handele. Ansonsten habe dem bei
der Europawahl verwendeten System die Personalisierung
des Bundeswahlrechts völlig gefehlt, was aus Sicht desWäh-
lers zu einer ganz anderen Stimmabgabe mit nur einer
Stimme geführt habe. Auch auf Landesebene sei eine derar-
tige Stimmabgabe inzwischen die Ausnahme, so dass man
kaum noch behaupten könne, dass dieses Verfahren der Be-
völkerung von anderen Wahlen her vertraut wäre.
Zudem seien dem Bundeswahlrecht die bei der Europawahl
vorherrschenden Bundeslisten fremd. Übereinstimmung
gebe es allenfalls noch im Detail; aber es seien auch Abwei-
chungen festzustellen. Zu nennen seien hier insbesondere die
Bestimmungen zumNachrückenmit derMöglichkeit vonEr-
satzbewerbern. Das Bundesverfassungsgericht habe das Eu-
ropawahlgesetz 1979 alsÜbergangsgesetz aufgefasst und aus
diesem Grund gewisse Abstriche bei der Gleichbehandlung
zugelassen. 25 Jahre später sei diese Auffassung aber nicht
mehr angemessen. Wenn auch die Entwicklung noch nicht
abgeschlossen sei (sofern das überhaupt jemals der Fall sein
könne), handele es sich jedenfalls nicht mehr um ein Kon-
strukt, an dasman dieMaßstäbe einerÜbergangsregelung an-
legen könne.
Seit 1979 sei die Integration der europäischen Parteien deut-
lich fortgeschritten. Inzwischen könne keine Rede mehr da-
von sein, dass es sich um verhältnismäßig lockere Zusam-
menschlüsse und nicht um organisatorisch verfestigte über-
nationale Parteien handele. Zwar gebe es hier durchaus Aus-
nahmen, aber eine Sperrklausel sei nicht geeignet, hier eine
Selektion zu treffen. Tatsächlich hätten die Parteien inzwi-
schen sogar damit begonnen, als einheitliche Parteien in allen
Mitgliedstaaten gemeinsam aufzutreten. Mittlerweile domi-
nierten im Europäischen Parlament nicht mehr die nationalen
Unterschiede, sondern die politischen Anschauungen, die
sich zu einem guten Teil in den Fraktionen manifestiert hät-
ten.Dass sich die Parteien trotzdemauch als selbständigePar-
teien in der Bundesrepublik Deutschland präsentiert hätten,
sei nicht zuletzt eine Folge der Sperrklausel. Sie hätten nicht
die Möglichkeit gehabt, sich den europäischen Wählern ins-
gesamt zu stellen, sondern hätten eine rein national konzi-
pierte Sperrklausel überwinden und sich damit speziell an die
Wähler in Deutschland wenden müssen.
Weiter trägt der Einspruchsführer vor, dass das in § 2 Abs. 3
EuWG vorgesehene Berechnungsverfahren zur Sitzvertei-
lung regelmäßig größere Abweichungen der Erfolgswert-
gleichheit als nötig verursache, soweit es zu einer anderen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 85 – Drucksache 15/4750

Verteilung komme. Besonders von der unbilligen Erhöhung
bzw. Verringerung des Erfolgswerts seien dabei die Wähler
von Listen mit geringem Stimmenanteil betroffen. Im vorlie-
genden Fall seien dieWähler der PBC unangemessen gegen-
über denWählern der SPDbevorzugtworden. Es existiere ein
mathematisch eindeutig bestimmtesVerfahren zurVerteilung
der Sitze nach erhaltenen Stimmen, das die Erfolgswert-
gleichheit optimal gewährleiste, nämlich das Divisorverfah-
ren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers.
Nach Auffassung des Einspruchsführers steht die Wahl eini-
ger von ihm namentlich benannter Personen nicht im Ein-
klangmit denWahlrechtsgrundsätzen. Stattdessen hätten sei-
nen Berechnungen zufolge andereWahlbewerber einMandat
erhalten müssen. Zu den Einzelheiten wird auf den Inhalt der
Akten Bezug genommen.
Zu den Ausführungen des Einspruchsführers hat der Bundes-
wahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
vom 22. Mai 1979 die Fünf-Prozent-Sperrklausel gemäß § 2
Abs. 6 EuWGals verfassungskonform angesehen,weil sie an
dem durch besondere, zwingende Gründe gerechtfertigten
Ziel, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Europäi-
schen Parlament entgegenzuwirken, orientiert gewesen sei
und das Maß des zur Erreichung dieses Ziels Erforderlichen
nicht überschreite (BVerfGE 51, 222/233). Dies sei wie folgt
begründet worden:
Der Gleichheitssatz fordere nicht, dass der Gesetzgeber die
Einzelnen und ihre relevanten gesellschaftlichen Gruppen
unbedingt gleichmäßig behandele; er lasse Differenzierun-
gen zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt seien.
Ob und in welchemAusmaß der Gleichheitssatz bei der Ord-
nung bestimmter Materien dem Gesetzgeber Differenzierun-
gen erlaube, richte sich nach der Natur des jeweils in Frage
stehenden Sachbereichs (BVerfGE 6, 84/91 und BVerfGE 11,
266/272). Aus den Grundsätzen der formalen Gleichheit und
der Chancengleichheit der politischen Parteien und Wähler-
gruppen folge mithin, dass für den Gesetzgeber bei der
Ordnung des Wahlrechts zu politischen Körperschaften nur
ein eng bemessener Spielraum für Differenzierungen ver-
bleibe. In diesem Bereich bedürften Differenzierungen stets
eines besonderen, rechtfertigenden, zwingenden Grundes
(BVerfGE 1, 208/249 und 255; ständige Rechtsprechung).
Die Verhältniswahl begünstige das Aufkommen kleiner Par-
teien und Wählervereinigungen. Daraus könnten sich ernst-
hafte Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit der zu
wählenden Volksvertretung ergeben. Eine Wahl habe nicht
nur das Ziel, eine Volksvertretung zu schaffen, die ein Spie-
gelbild der in derWählerschaft vorhandenen politischenMei-
nungen darstelle, sondern sie solle auch ein funktionsfähiges
Organ hervorbringen.Würde der Grundsatz der getreuenAb-
bildung der politischen Meinungsschichtung in der Wähler-
schaft bis zur letzten Konsequenz durchgeführt, so hätte das
nachAuffassung desBundeswahlleiters eineAufspaltung der
Volksvertretung in viele kleineGruppen zur Folge haben kön-
nen, die die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern
würde. Der unbegrenzte Proporz würde es erleichtern, dass
auch solche kleinen Gruppen eine Vertretung erlangten, die
nicht ein am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm,
sondern im Wesentlichen nur einseitige Interessen vertreten
würden. Klare und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl
bewusste Mehrheiten in einer Volksvertretung seien aber für

eine Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben unentbehrlich.
Deshalb dürfe der Gesetzgeber Differenzierungen im Er-
folgswert der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen,
soweit dies zur Sicherung des Charakters der Wahl als eines
Integrationsvorganges bei der politischenWillensbildung im
Interesse der Einheitlichkeit des ganzenWahlsystems und zur
Sicherung der mit derWahl verfolgten Ziele unbedingt erfor-
derlich sei (BVerfGE 51, 222/236). Unter diesem Blickpunkt
habe das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtspre-
chung das Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden
Volksvertretung und die Gebote des grundsätzlich gleichen
Erfolgswertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWett-
bewerbschancen der politischen Parteien undWählervereini-
gungen im Rahmen der Verhältniswahl gegeneinander abge-
wogen. Was in diesem Zusammenhang von Verfassungs we-
gen als zwingenderGrund für eine begrenzteDifferenzierung
anzuerkennen sei, variiere von Bereich zu Bereich und be-
stimme sich vor allem nach dem Aufgabenkreis der zu wäh-
lenden Volksvertretung (BVerfGE 51, 222/236 und 236 f.).
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel beziehe sich hier auf dieWah-
len zu einem supranationalen Organ, dem Europäischen Par-
lament.
Der dem Europäischen Parlament im Verfassungsgefüge der
Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Aufgabenkreis
und die ihm auf demWege zu „einem immer engeren Zusam-
menschluss der europäischen Völker“ zugedachte Rolle er-
forderten ein handlungsfähiges Organ. Das Europäische Par-
lament könne die ihm gestellten Aufgaben nur dann wirksam
bewältigen, wenn es durch eine, den vielschichtigen Spezial-
materien angemessene, interne Arbeitsteilung allen seinen
Mitgliedern die notwendige Sachkenntnis verschaffe und zu
einer überzeugenden Mehrheitsbildung in der Lage sei. Bei-
des könne gefährdet werden, wenn die durch die große Zahl
der Mitgliedstaaten ohnehin nicht vermeidbare Aufgliede-
rung des Parlaments in viele Gruppen ein Ausmaß annehme,
das dessen Funktionsfähigkeit ernsthaft in Frage stelle. Dies
sei ein zwingender Grund, der Vorkehrungen gegen eine
übermäßige Parteienzersplitterung zu rechtfertigen vermöge
(BVerfGE 51, 222/246 f.).
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten
Parlaments wie des Europäischen Parlaments hänge in noch
stärkeremMaße als bei einem nationalen Parlament von dem
Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielset-
zungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab. Schon
unter diesem Blickpunkt erwiesen sich Vorkehrungen, die
wie die in das Europawahlgesetz aufgenommene Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel darauf abzielten, den Einzug einer Gruppe
von weniger als fünf Abgeordneten in das Parlament zu ver-
hindern, als sachlich gerechtfertigt und zur Gewährleistung
der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zwin-
gend geboten. Eine solch kleine Gruppe wäre – so der Bun-
deswahlleiter – kaum in der Lage, die zahlreichen Maßnah-
men der Europäischen Gemeinschaften in ihrem vielschich-
tigen und weiträumigen Tätigkeitsbereich zu verfolgen und
kritisch zu beurteilen; sie wäre damit außerstande, in einer
dem Ineinandergreifen der vielfältigen Aktivitäten gerecht
werdendenWeise ihren Teil zur Kontrolle eines so hoch qua-
lifizierten und großen bürokratischen Apparates wie der
Kommission beizutragen. Eine solche Kontrolle sei wirksam
nur möglich, wenn sie arbeitsteilig erfolge und eine größere
Organisation den einzelnen Abgeordneten unterstütze. Ent-
sprechendes gelte für die Mitwirkung des Europäischen Par-

Drucksache 15/4750 – 86 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

laments im Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschie-
dung des Haushalts (BVerfGE 51, 222/247).
Die seit dieser Entscheidung aus dem Jahr 1979 eingetretenen
Veränderungen des Europarechts und der tatsächlichen Ver-
hältnisse in der Europäischen Union hätten die darin getrof-
fenen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bestä-
tigt und sogar verstärkt. Die Arbeitsweise des Parlaments
habe sich seit der o. g. Entscheidung nicht grundlegend ver-
ändert. Jedoch habe das Parlament deutlich an Kompetenzen
gewonnen und sei der zentralen Funktion eines nationalen
Parlaments bei der Gesetzgebung und der Regierungsbildung
durch die Einheitliche Europäische Akte von 1986, die Ver-
träge von Maastricht 1992, von Amsterdam 1996 und von
Nizza 2001 erheblich näher gekommen. Die Einführung und
Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens gemäß Artikel
251 des EG-Vertrages habe das Europäische Parlament in den
meisten Bereichen der gemeinschaftlichen Rechtsetzung
neben dem Rat zum gleichberechtigten Gesetzgeber der EU
gemacht.
Auch dieAnwendbarkeit desAnhörungs- und Zustimmungs-
verfahrens sei kontinuierlich ausgeweitet worden. So müsse
das Parlament der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zustim-
men und bei Abschluss völkerrechtlicher Verträge angehört
werden und für bestimmte Arten wichtiger Abkommen sogar
zustimmen. Das Parlament habe also inzwischen eine erheb-
liche gesetzgeberische Funktion und einen stärkeren politi-
schen Einfluss auf die europäische Rechtsetzung. Auch im
Verhältnis zur Kommission sei mit dem Zustimmungserfor-
dernis bei der Ernennung der Kommissionsmitglieder und
des Präsidenten die Stellung des Parlaments verstärkt wor-
den. Der Kontrollaufgabe gegenüber dem Rat und der Kom-
mission könne das Parlament nun auch durch Erhebung einer
Nichtigkeitsklage nachkommen. Die dem Europäischen Par-
lament im institutionellen Gefüge der Europäischen Union
zugewiesenen Aufgaben und seine Rolle hätten ein hand-
lungs- und entscheidungsfähiges Organ erfordert. Dieses Er-
fordernis habe angesichts der Stärkung und des Kompetenz-
zuwachses seit 1979 noch erheblich anBedeutunggewonnen.
DasParlamentmüsse zu effektiverTätigkeit und überzeugen-
der Mehrheitsbildung in der Lage sein. Über den Regelfall
einer absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Arti-
kel 198 Abs. 1 EG-Vertrag) seien teilweise qualifizierte
Mehrheiten und im Haushaltsrecht eine besonders qualifi-
zierte Mehrheit von drei Fünftel der abgegebenen Stimmen
bei Parlamentsentscheidungen erforderlich.
Das Gemeinschaftsrecht erkenne inzwischen das Ziel der Si-
cherung eines funktionsfähigen Parlaments sowie das Instru-
ment der Sperrklausel auf europäischer Ebene als legitim an.
Die Zulässigkeit einer Sperrklausel in Höhe von bis zu fünf
Prozent für die Wahlen zum Europäischen Parlament im
nationalen Wahlrecht der Mitgliedstaaten sei seit dem Jahr
2002 in Artikel 3 des Direktwahlaktes normiert. Deutschland
sei nicht der einzige Mitgliedstaat, der eine Mindestschwelle
für die Verteilung der Abgeordnetensitze im innerstaatlichen
Wahlrecht vorsehe. Eine Sperrklausel von fünf Prozent gebe
es außer in Deutschland auch in Frankreich, Litauen, Polen,
in der Slowakei, der Tschechischen Republik und in Ungarn.
In Griechenland normiere das nationaleWahlrecht eine Drei-
Prozent-Hürde und in Österreich und Schweden müssten die
Wahlvorschläge eine Vier-Prozent-Klausel überwindenmüs-
sen.

Die Sicherung mehrheitsfähiger Strukturen im Europäischen
Parlament sei angesichts zehn neuer Mitgliedstaaten und den
aus diesen Ländern in das Europäische Parlament gewählten
weiterenGruppen undParteien umsowichtiger geworden. Im
5. und 6. Europäischen Parlament hätten sich die nationalen
Parteien und Gruppen zu sieben Fraktionen gleicher politi-
scher Richtung zusammengeschlossen, was angesichts einer
Gesamtzahl von nun 732 Abgeordneten recht hoch sei. Auch
hier sei einer weiterenVermehrung von Fraktionen durch den
Einzug kleiner Parteien vorzubeugen. Zudem sei nicht aus-
geschlossen, dass bei Beschlüssen mit nationaler Bedeutung
die Einigkeit in den Fraktionen für nationale Interessen ge-
opfert werden könne, was bei der großen Anzahl von Mit-
gliedstaaten zur Gefährdung von Mehrheiten führen könne.
Die Gefahr der Zersplitterung werde verschärft durch den
möglichen Beitritt neuer Mitgliedstaaten.
Zudem begünstige dasWahlsystem der Europawahl, die Ver-
hältniswahl, das Aufkommen kleiner Parteien. Der unbe-
grenzte Proporz würde es erleichtern, dass auch solche
kleinen Gruppen eine Vertretung erlangen könnten, die nicht
ein am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm, son-
dern im Wesentlichen nur einseitige Interessen verträten
(BVerfGE 51, 222/236).
Zu dem vom Einspruchsführer beanstandeten Berechnungs-
verfahren zur Sitzverteilung gemäß § 2 Abs. 3 bis 5 EuWG
(Hare/Niemeyer) führt der Bundeswahlleiter aus, es liege im
Ermessen des Gesetzgebers, welches mathematische Verfah-
ren er im Rahmen der Wahlrechtsgrundsätze für die Berech-
nung der Verteilung der 99 Sitze deutscher Abgeordneter im
Europäischen Parlament festlege. Die Verteilung der Sitze
nach Bruchteilen entspreche der Regelung des § 2 Abs. 3
bis 5 EuWG und sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ent-
scheidung des Gesetzgebers für eine Berechnung nach dem
Verfahren der mathematischen Proportion nach Hare/Nie-
meyer genüge den Anforderungen an ein für die Verhältnis-
wahl unabdingbares Sitzverteilungssystem. Das gewählte
Verfahren trage dem in § 1 Satz 2 EuWG niedergelegten
Grundsatz der Gleichheit der Wahl Rechnung, obwohl
mathematisch eine absolute Gleichheit des Erfolgswertes der
Stimmenauchmit dieserBerechnungsart nicht erreichtwerde
(vgl. Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auf-
lage, § 6 Rn. 6a m. w. N. zu Hare/Niemeyer im Bundestags-
wahlrecht).
Soweit derEinspruchsführer vortrage, dass dasBerechnungs-
verfahren Sainte-Laguë/Schepers die Erfolgswertgleichheit
besser gewährleiste als das Verfahren Hare/Niemeyer, werde
auf den Bericht des Bundesministeriums des Innern zu Num-
mer 3 der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschus-
ses vom 8. September 1999 hingewiesen. In diesem Bericht
werden die Abweichungen der Sitzverteilung von der Stim-
menverteilung bei demVerfahren Sainte-Laguë/Schepers und
bei demVerfahren nachHare/Niemeyer anhand von verschie-
denen mathematischen Maßen beispielhaft berechnet und
dargestellt. Zu den Einzelheiten der Berechnungen wird auf
den Inhalt der Akten Bezug genommen. Da beim Verfahren
nach Sainte-Laguë/Schepers bestimmte Ungereimtheiten
nicht auftreten könnten und es in der Praxis kaumvorkommen
dürfte, dass sich bei der Verteilung nach Sainte-Laguë/Sche-
pers die Sitzzahlen nicht im Rahmen der sog. Idealansprüche
bewegten, könne dieses Verfahren gegenüber dem Verfahren
nach Hare/Niemeyer als geringfügig vorzugswürdig betrach-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 87 – Drucksache 15/4750

tet werden. Das Bundesverfassungsgericht habe es allerdings
der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen, für wel-
ches System der Berechnung und Verteilung der Mandate er
sich entscheiden wolle (BVerfGE 79, 169/171). Die dafür im
Wesentlichen angeführte Begründung, dass bei beiden Ver-
fahren Reststimmen unberücksichtigt blieben und deshalb
keine absolute Gleichheit des Erfolgswertes der Stimmen er-
reicht werden könne, gelte grundsätzlich auch für das Verfah-
ren nach Sainte-Laguë/Schepers.
Zu den vom Einspruchsführer vorgenommenen Berechnun-
gen hat der Bundeswahlleiter drei Modellrechnungen durch-
geführt. Hierbei wurde in der erstenModellrechnung der Be-
rechnung der Sitzverteilung das Verfahren Hare/Niemeyer
(§ 2 Abs. 3 EuWG) ohne Anwendung der in § 2 Abs. 6
EuWG vorgesehenen Fünf-Prozent-Sperrklausel zugrunde
gelegt. In der zweiten Modellrechnung wurde der Berech-
nung der Sitzverteilung das Verfahren Sainte-Laguë/Sche-
pers – ebenfalls ohne Anwendung der in § 2 Abs. 6 EuWG
vorgesehenen Fünf-Prozent-Sperrklausel – zugrunde gelegt.
In der dritten Modellrechnung wurde die Berechnung der
Sitzverteilung bei der Europawahl 2004 unter Berücksichti-
gung der Sperrklausel des § 2 Abs. 6 EuWG nach den Ver-
fahren Sainte-Laguë/Schepers und Hare/Niemeyer durchge-
führt. Zu den Einzelheiten der Berechnungenwird auf den In-
halt der Akten Bezug genommen.
Die Berechnungen des Einspruchsführers seien – so der Bun-
deswahlleiter – zutreffend, sofernmandavon ausgehe, dass er
seinen Ausführungen eine Berechnung der Sitzverteilung
ohne Sperrklausel nach dem Verfahren Sainte-Laguë/Sche-
pers zugrunde gelegt habe. Abweichungen ergäben sich fol-
gerichtig bei einer Anwendung des gesetzlich vorgeschriebe-
nen Berechnungsverfahrens Hare/Niemeyer.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht
geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Ein Wahlfehler liegt nicht vor, weil der Einspruchsführer
nicht mit Erfolg geltend machen kann, die Fünf-Prozent-
Sperrklausel in § 2 Abs. 6 EuWG und das in § 2 Abs. 3
EuWG festgelegte Berechnungsverfahren für die Verteilung
der Sitze der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus
der Bundesrepublik Deutschland seien verfassungswidrig.
Der Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss
sehen sich nach ständiger Praxis nicht dazu berufen, die Ver-
fassungswidrigkeit von Rechtsvorschriften festzustellen.
Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfassungsgericht vor-
behalten worden (exemplarisch: Bundestagsdrucksache 14/
1560, Anlage 77). Unabhängig hiervon halten der Deutsche
Bundestag undderWahlprüfungsausschuss dieVorschrift des
§ 2 EuWG für verfassungsgemäß.

Dies gilt zunächst für die Fünf-Prozent-Sperrklausel. Nach
Artikel 3 Satz 1 des geänderten Direktwahlakts können die
Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe
festlegen. Diese Schwelle darf jedoch nach Satz 2 dieser Vor-
schrift landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebe-
nen Stimmen betragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 8. Juni 2004 in einem Organstreit-
verfahren zur Fünf-Prozent-Sperrklausel des § 2 Abs. 6
EuWG (2 BvE 1/04), in dem die diesbezügliche Organklage
der NPD wegen Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 3
Bundesverfassungsgerichtsgesetz als unzulässig verworfen
worden ist, auf die Änderung des Direktwahlakts hingewie-
sen und hierzu ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem am
21. August 2003 verkündeten Vierten Gesetz zur Änderung
des Europawahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur
Änderung des Europaabgeordnetengesetzes zum Ausdruck
gebracht hat, dass er an der Fünf-Prozent-Sperrklausel fest-
haltenmöchte. Er hat sich dabei – so das Bundesverfassungs-
gericht – auf die Ermächtigung der Mitgliedstaaten im
Beschluss des Rates der EuropäischenUnion stützen können,
eine Sperrklausel zu erlassen. Der Rat der Europäischen
Union hat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments
mit Beschluss vom 25. Juni und 23. September 2002 (BGBl.
2003 II S. 811) den Direktwahlakt geändert, damit die Wah-
len zumEuropäischen Parlament „gemäß den allenMitglied-
staaten gemeinsamen Grundsätzen stattfinden können, die
Mitgliedstaaten zugleich aber die Möglichkeit erhalten, für
Aspekte, die nicht durch diesen Beschluss geregelt sind, ihre
jeweiligen nationalenVorschriften anzuwenden“. Dieser Än-
derung des Direktwahlakts hat der deutsche Gesetzgeber mit
Artikel 1 des ZweitenGesetzes über die Zustimmung zur Än-
derung des Direktwahlakts vom 15. August 2003 (BGBl. II
S. 810) zugestimmt.
Zwar kann aus dieser erstmalig verankerten ausdrücklichen
Ermächtigung zum Erlass einer Fünf-Prozent-Sperrklausel
durch den Direktwahlakt nicht unmittelbar die Verfassungs-
mäßigkeit einer solchen Sperrklausel nach dem deutschen
Verfassungsrecht abgeleitet werden. Sie ist jedoch als starkes
Indiz dafür anzusehen, dass § 2 Abs. 6 EuWG – wie auch
schon bisher – nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Auch
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts verstößt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht gegen
die Verfassung (BVerfGE 51, 222/233 ff.; BVerfGE 95, 335/
366). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung werden in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt.
Soweit der Einspruchsführer einenVerstoß gegen denGrund-
satz der Wahlrechtsgleichheit wegen des unterschiedlichen
Erfolgswertes der Stimmen derjenigen Wählerinnen und
Wähler, die eine Partei gewählt haben, die die Fünf-Prozent-
Sperrklausel überwunden hat, und derjenigen Wählerinnen
und Wähler, die eine Partei gewählt haben, die an der Fünf-
Prozent-Hürde gescheitert ist, geltend macht, so greift dieser
Einwand nicht durch. Wie in der vom Bundeswahlleiter in
seiner Stellungnahme zitierten Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts dargelegt wird, ist die Fünf-Prozent-
Sperrklausel gemäߧ 2Abs. 6EuWGdurch dasZiel gerecht-
fertigt, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Euro-
päischen Parlament entgegenzuwirken. Eine Abwägung des
Postulats der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung mit den Geboten des grundsätzlich gleichen Erfolgs-
wertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWettbewerbs-
chancen der politischen Parteien im Rahmen der Verhältnis-

Drucksache 15/4750 – 88 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

wahl ergibt die Zulässigkeit dieser begrenzten Differenzie-
rung des Erfolgswertes der Wählerstimmen.
Soweit der Einspruchsführer die Praxis der Fraktionsbildung
im Europäischen Parlament aus seiner Sicht darstellt und
bezüglich der wahlrechtlichen Auswirkungen der Fünf-Pro-
zent-SperrklauselBeispiele aus derVergangenheit anführt, so
kann hierdurch nicht widerlegt werden, dass die Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel generell ein geeignetes und wirksames
Mittel ist, um einer Zersplitterung des Europäischen Parla-
ments entgegenzuwirken.Hierbei liegt es in derNatur der Sa-
che, dass vereinzelt auch gegenläufige Effekte auftreten kön-
nen, solange kein einheitliches Wahlrecht in allen Mitglied-
staaten gilt. Somag es zutreffen, dass es einem einzelnenAb-
geordneten, der aus einem kleinen Mitgliedstaat als einziges
Mitglied einer bestimmten Liste in das Europäischen Parla-
ment gewählt worden ist, des Öfteren gelingt, Mitglied einer
Fraktion im Europäischen Parlament zu werden. Dieser Um-
stand lässt aber keine Schlussfolgerung des Inhalts zu, dass
eine Fünf-Prozent-Sperrklausel in einem größeren Mitglied-
staat wie der Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer ein-
facheren Fraktionsbildung im Europäischen Parlament bei-
tragen könnte. Das Verhältniswahlrecht birgt von vornherein
dieGefahr einer Parteienzersplitterung in sich.Wie vomBun-
deswahlleiter dargelegt, tragen Sperrklauseln in den einzel-
nenMitgliedstaatenderEuropäischenUnionund ähnlichwir-
kende Mechanismen der Wahlsysteme auf jeden Fall dazu
bei, einer noch weitergehenden Zersplitterung des Europäi-
schen Parlaments vorzubeugen.
Der Einspruchsführer kann auch nicht mit Erfolg geltendma-
chen, nach der Erhöhung des deutschen Kontingents auf 99
Sitze hätte die Sperrklausel vomGesetzgeber niedriger ange-
setzt werden müssen. Dieses Argument ist schon deshalb
nicht plausibel, weil diese Erhöhung u. a. eine Folge der deut-
schen Einheit war und die 99 Sitze eine zahlenmäßig wesent-
lich größer gewordene Bevölkerung repräsentiert, wenn-
gleich die seinerzeitige Erhöhung der Zahl der Sitze nicht
proportional zum vereinigungsbedingten Anstieg der Bevöl-
kerungszahl inDeutschland erfolgt ist (vgl. Schreiber, NVwZ
2004, 21/24). In diesem Zusammenhang versucht der Ein-
spruchsführer zu Unrecht, aus der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts vom 22. Mai 1979 abzuleiten, dass die
Sperrklausel nach dessen Auffassung stets so wirken müsse,
dass ein Wahlvorschlag mit weniger als fünf gewählten Ab-
geordneten unabhängig von der gesamten Sitzzahl im Euro-
päischen Parlament oder von anderen Faktoren nicht berück-
sichtigt werden solle.
Die Verfassungswidrigkeit der Fünf-Prozent-Sperrklausel
kann auch nicht mit demArgument geltend gemacht werden,
dem Gesetzgeber stehe ein milderes Mittel als die Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel zur Verfügung, um das Ziel, einer übermä-
ßigen Parteienzersplitterung im Europäischen Parlament ent-
gegenzuwirken, zu erreichen. Es bedarf hier keiner näheren
Erörterung, ob dieses Zielmöglicherweisemit strengerenVo-
raussetzungen für eine Kandidatur erreicht werden könnte
oder ob es sinnvoll sein könnte, den Wählerinnen und Wäh-
lern Folgepräferenzen für den Fall einzuräumen, dass der von
ihnen gewählte Wahlvorschlag nicht genügend Stimmen be-

käme. Denn es gehört zumGestaltungsspielraum des Gesetz-
gebers, das vomDirektwahlakt vorgegebeneVerhältniswahl-
system in einer mehr oder weniger starken Anlehnung an das
Bundeswahlgesetz auszugestalten.
Schließlich spricht auch nicht die seit 1979 erfolgte stärkere
Integration der europäischen Parteien gegen eine Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel. Hierbei mag dahinstehen, ob der Integra-
tionsprozess vom Einspruchsführer zutreffend beschrieben
worden ist. Aufgrund des national ausgestaltetenWahlrechts
treten jedenfalls nach wie vor nationale Parteien und sonstige
politische Vereinigungen zu den Europawahlen an. Der Bun-
deswahlleiter weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf
einen Kompetenzgewinn des Europäischen Parlaments im
Zuge des europäischen Integrationsprozesses hin.DessenAr-
beitsfähigkeit muss durch die Sicherung mehrheitsfähiger
Strukturen in größeremUmfang als bisher gewährleistet wer-
den. Insoweit spricht der europäische Integrationsprozess zu-
sätzlich für eine Differenzierung des Erfolgswertes derWäh-
lerstimmen, wie dies zwischenzeitlich in Artikel 3 Direkt-
wahlakt ausdrücklich als Möglichkeit der Mitgliedstaaten
verankert ist.
Soweit sich der Einspruchsführer gegen das in § 2 Abs. 3
EuWG verankerte Berechnungsverfahren für die Sitzvertei-
lung (Hare/Niemeyer) wendet, so liegt darin kein Verstoß ge-
gen die Verfassung. Es verstößt insbesondere nicht gegen die
Wahlrechtsgleichheit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 EuWG i. V. m.
Artikel 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Der Deutsche Bundes-
tag hat sich in derVergangenheit wiederholtmit der Frage des
verfassungsrechtlich richtigen Berechnungsverfahrens be-
fasst (Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 67; Bundes-
tagsdrucksache 15/1850, Anlage 5). Hierbei ist ebenso wie in
der Stellungnahme des Bundeswahlleiters herausgestellt
worden, dass die Auswahl des Berechnungsverfahrens im
Ermessen des Gesetzgebers liegt (BVerfGE 79, 169/171).
Durch keines der drei üblichen Berechnungsverfahren (Hare/
Niemeyer, Sainte-Laguë/Schepers, d’Hondt) können mathe-
matisch exakt die Stimmenverhältnisse auf die Verteilung der
Sitze der deutschen Abgeordneten des Europäischen Parla-
ments übertragen werden. Hierbei sind jeweils gewisse Ab-
striche bei der Erfolgswertgleichheit aller Stimmen hinzu-
nehmen.
Hiervon zu trennen ist die nicht auf der verfassungsrechtli-
chen Ebene angesiedelte Frage, ob angesichts bestimmter Ef-
fekte das Verfahren Hare/Niemeyer durch dasjenige nach
Sainte-Laguë/Schepers ersetzt werden sollte. Der hierzu vom
Bundesministerium des Innern vorgelegte Bericht vom
8. September 1999 ist Gegenstand parlamentarischer Bera-
tungen. Diese Frage bedarf aber keiner Behandlung in einem
Wahlprüfungsverfahren. Die Wahlprüfung ist nämlich allein
auf die Feststellung vonWahlfehlern und deren Relevanz für
die Verteilung der Mandate bei der Europawahl 2004 be-
schränkt.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 89 – Drucksache 15/4750

Anlage 21

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. C., 18109 Rostock

– Az.: EuWP 46/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einer E-Mail vom 13. August 2004, die eine eingescannte
Unterschrift des Einspruchsführers enthält, hat dieser beim
Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl derAbgeordneten des Europäischen Parlaments aus der
BundesrepublikDeutschland am13. Juni 2004 eingelegt. Der
Einspruchsführer beanstandet, dass sowohl die Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel in § 2 Abs. 6 Europawahlgesetz (EuWG)
als auch das im Europawahlgesetz festgelegte Berechnungs-
verfahren für die Verteilung der Sitze (Hare/Niemeyer) den
Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit verletzten.
DieFünf-Prozent-Sperrklausel verletze die sich bei einerVer-
hältniswahl aus der Wahlrechtsgleichheit ergebende Erfolgs-
wertgleichheit der Wählerstimmen. Die in der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 22.Mai 1979 (BVerfGE
51, 222) angeführte Begründung könne zumindest seit der
Europawahl am 13. Juni 2004 eine Abweichung von der Er-
folgswertgleichheit der Wählerstimmen nicht mehr rechtfer-
tigen.
Der Einspruchsführer benennt diejenigenWahlbewerber, die
seiner Ansicht nach unter Verletzung der Erfolgswertgleich-
heit ein Mandat erhalten haben, sowie diejenigen, die bei
strikter Einhaltung des Prinzips der Erfolgswertgleichheit
(ohne Anwendung der Fünf-Prozent-Sperrklausel) stattdes-
sen ein Mandat hätten erhalten müssen.
Die Auswahl des Berechnungsverfahrens für die Sitzvertei-
lung (Hare/Niemeyer) genüge nicht den Anforderungen der
Wahlrechtsgleichheit in seiner Ausprägung als Erfolgswert-
gleichheit. Das Bundesverfassungsgericht habe in ständiger
Rechtsprechung betont, alle Wähler sollten mit der Stimme,
die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis
haben (BVerfGE 1, 208/246). Hieraus folgert er, dass bei der
Europawahl das Divisorverfahren mit Standardrundung
(Sainte-Laguë/Schepers) zwingend hätte eingesetzt werden
müssen. Hiernach ergebe sich gegenüber seiner eigenen,
oben angeführten Berechnung zur Mandatszuteilung in Be-
zug auf die Fünf-Prozent-Sperrklausel die Verschiebung ei-
nes Mandats. Anstelle einer (gewählten) SPD-Abgeordneten
stehe einem Bewerber der Partei Bibeltreuer Christen ein
Mandat zu.

Zu den Ausführungen des Einspruchsführers hat der Bundes-
wahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
vom 22. Mai 1979 die Fünf-Prozent-Sperrklausel gemäß § 2
Abs. 6 EuWGals verfassungskonform angesehen,weil sie an
dem durch besondere, zwingende Gründe gerechtfertigten
Ziel, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Europäi-
schen Parlament entgegenzuwirken, orientiert gewesen sei
und das Maß des zur Erreichung dieses Ziels Erforderlichen
nicht überschreite (BVerfGE 51, 222/233). Dies sei wie folgt
begründet worden:
Der Gleichheitssatz fordere nicht, dass der Gesetzgeber die
Einzelnen und ihre relevanten gesellschaftlichen Gruppen
unbedingt gleichmäßig behandelt; er lasse Differenzierungen
zu, die durch sachliche Erwägungen gerechtfertigt seien. Ob
und inwelchemAusmaß derGleichheitssatz bei der Ordnung
bestimmterMaterien demGesetzgeberDifferenzierungen er-
laube, richte sich nach der Natur des jeweils in Frage stehen-
den Sachbereichs (BVerfGE 6, 84/91 und BVerfGE 11, 266/
272). Aus den Grundsätzen der formalen Gleichheit und der
Chancengleichheit der politischen Parteien undWählergrup-
pen folge mithin, dass für den Gesetzgeber bei der Ordnung
desWahlrechts zu politischenKörperschaften nur ein eng be-
messener Spielraum für Differenzierungen verbleibe. In die-
sem Bereich bedürften Differenzierungen stets eines beson-
deren, rechtfertigenden, zwingenden Grundes (BVerfGE 1,
208/249 und 255; ständige Rechtsprechung).
Die Verhältniswahl begünstige das Aufkommen kleiner Par-
teien und Wählervereinigungen. Daraus könnten sich ernst-
hafte Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit der zu
wählenden Volksvertretung ergeben. Eine Wahl habe nicht
nur das Ziel, eine Volksvertretung zu schaffen, die ein Spie-
gelbild der in derWählerschaft vorhandenen politischenMei-
nungen darstelle, sondern sie solle auch ein funktionsfähiges
Organ hervorbringen.Würde der Grundsatz der getreuenAb-
bildung der politischen Meinungsschichtung in der Wähler-
schaft bis zur letzten Konsequenz durchgeführt, so hätte das
nachAuffassung desBundeswahlleiters eineAufspaltung der
Volksvertretung in viele kleineGruppen zur Folge haben kön-
nen, die die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern
würde. Der unbegrenzte Proporz würde es erleichtern, dass

Drucksache 15/4750 – 90 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

auch solche kleinen Gruppen eine Vertretung erlangten, die
nicht ein am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm,
sondern im Wesentlichen nur einseitige Interessen vertreten
würden. Klare und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl
bewusste Mehrheiten in einer Volksvertretung seien aber für
eine Bewältigung der ihr gestellten Aufgaben unentbehrlich.
Deshalb dürfe der Gesetzgeber Differenzierungen im Er-
folgswert der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen,
soweit dies zur Sicherung des Charakters der Wahl als eines
Integrationsvorganges bei der politischenWillensbildung im
Interesse der Einheitlichkeit des ganzenWahlsystems und zur
Sicherung der mit derWahl verfolgten Ziele unbedingt erfor-
derlich sei (BVerfGE 51, 222/236). Unter diesem Blickpunkt
habe das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtspre-
chung das Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden
Volksvertretung und die Gebote des grundsätzlich gleichen
Erfolgswertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWett-
bewerbschancen der politischen Parteien undWählervereini-
gungen im Rahmen der Verhältniswahl gegeneinander abge-
wogen. Was in diesem Zusammenhang von Verfassungs we-
gen als zwingenderGrund für eine begrenzteDifferenzierung
anzuerkennen sei, variiere von Bereich zu Bereich und be-
stimme sich vor allem nach dem Aufgabenkreis der zu wäh-
lenden Volksvertretung (BVerfGE 51, 222/236 und 236 f.).
Die Fünf-Prozent-Sperrklausel beziehe sich hier auf dieWah-
len zu einem supranationalen Organ, dem Europäischen Par-
lament.
Der dem Europäischen Parlament im Verfassungsgefüge der
Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Aufgabenkreis
und die ihm auf demWege zu „einem immer engeren Zusam-
menschluss der europäischen Völker“ zugedachte Rolle er-
forderten ein handlungsfähiges Organ. Das Europäische Par-
lament könne die ihm gestellten Aufgaben nur dann wirksam
bewältigen, wenn es durch eine, den vielschichtigen Spezial-
materien angemessene, interne Arbeitsteilung allen seinen
Mitgliedern die notwendige Sachkenntnis verschaffe und zu
einer überzeugenden Mehrheitsbildung in der Lage sei. Bei-
des könne gefährdet werden, wenn die durch die große Zahl
der Mitgliedstaaten ohnehin nicht vermeidbare Aufgliede-
rung des Parlaments in viele Gruppen ein Ausmaß annehme,
das dessen Funktionsfähigkeit ernsthaft in Frage stelle. Dies
sei ein zwingender Grund, der Vorkehrungen gegen eine
übermäßige Parteienzersplitterung zu rechtfertigen vermöge
(BVerfGE 51, 222/246 f.).
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten
Parlaments wie des Europäischen Parlaments hänge in noch
stärkeremMaße als bei einem nationalen Parlament von dem
Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielset-
zungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab. Schon
unter diesem Blickpunkt erwiesen sich Vorkehrungen, die
wie die in das Europawahlgesetz aufgenommene Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel darauf abzielten, den Einzug einer Gruppe
von weniger als fünf Abgeordneten in das Parlament zu ver-
hindern, als sachlich gerechtfertigt und zur Gewährleistung
der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments zwin-
gend geboten. Eine solch kleine Gruppe wäre – so der Bun-
deswahlleiter – kaum in der Lage, die zahlreichen Maßnah-
men der Europäischen Gemeinschaften in ihrem vielschich-
tigen und weiträumigen Tätigkeitsbereich zu verfolgen und
kritisch zu beurteilen; sie wäre damit außerstande, in einer
dem Ineinandergreifen der vielfältigen Aktivitäten gerecht
werdendenWeise ihren Teil zur Kontrolle eines so hoch qua-

lifizierten und großen bürokratischen Apparates wie der
Kommission beizutragen. Eine solche Kontrolle sei wirksam
nur möglich, wenn sie arbeitsteilig erfolge und eine größere
Organisation den einzelnen Abgeordneten unterstütze. Ent-
sprechendes gelte für die Mitwirkung des Europäischen Par-
laments im Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschie-
dung des Haushalts (BVerfGE 51, 222/247).
Die seit dieser Entscheidung aus dem Jahr 1979 eingetretenen
Veränderungen des Europarechts und der tatsächlichen Ver-
hältnisse in der Europäischen Union hätten die darin getrof-
fenen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts bestä-
tigt und sogar verstärkt. Die Arbeitsweise des Parlaments
habe sich seit der o. g. Entscheidung nicht grundlegend ver-
ändert. Jedoch habe das Parlament deutlich an Kompetenzen
gewonnen und sei der zentralen Funktion eines nationalen
Parlaments bei der Gesetzgebung und der Regierungsbildung
durch die Einheitliche Europäische Akte von 1986, die Ver-
träge von Maastricht 1992, von Amsterdam 1996 und von
Nizza 2001 erheblich näher gekommen. Die Einführung und
Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens gemäß Arti-
kel 251 des EG-Vertrages habe das Europäische Parlament in
den meisten Bereichen der gemeinschaftlichen Rechtsetzung
neben dem Rat zum gleichberechtigten Gesetzgeber der EU
gemacht.
Auch dieAnwendbarkeit desAnhörungs- und Zustimmungs-
verfahrens sei kontinuierlich ausgeweitet worden. So müsse
das Parlament der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten zustim-
men und bei Abschluss völkerrechtlicher Verträge angehört
werden und für bestimmte Arten wichtiger Abkommen sogar
zustimmen. Das Parlament habe also inzwischen eine erheb-
liche gesetzgeberische Funktion und einen stärkeren politi-
schen Einfluss auf die europäische Rechtsetzung. Auch im
Verhältnis zur Kommission sei mit dem Zustimmungserfor-
dernis bei der Ernennung der Kommissionsmitglieder und
des Präsidenten die Stellung des Parlaments verstärkt wor-
den. Der Kontrollaufgabe gegenüber dem Rat und der Kom-
mission könne das Parlament nun auch durch Erhebung einer
Nichtigkeitsklage nachkommen. Die dem Europäischen Par-
lament im institutionellen Gefüge der Europäischen Union
zugewiesenen Aufgaben und seine Rolle hätten ein hand-
lungs- und entscheidungsfähiges Organ erfordert. Dieses Er-
fordernis habe angesichts der Stärkung und des Kompetenz-
zuwachses seit 1979 noch erheblich anBedeutunggewonnen.
DasParlamentmüsse zu effektiverTätigkeit und überzeugen-
der Mehrheitsbildung in der Lage sein. Über den Regelfall
einer absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Arti-
kel 198 Abs. 1 EG-Vertrag) seien teilweise qualifizierte
Mehrheiten und im Haushaltsrecht eine besonders qualifi-
zierte Mehrheit von drei Fünftel der abgegebenen Stimmen
bei Parlamentsentscheidungen erforderlich.
Das Gemeinschaftsrecht erkenne inzwischen das Ziel der Si-
cherung eines funktionsfähigen Parlaments sowie das Instru-
ment der Sperrklausel auf europäischer Ebene als legitim an.
Die Zulässigkeit einer Sperrklausel in Höhe von bis zu fünf
Prozent für die Wahlen zum Europäischen Parlament im
nationalen Wahlrecht der Mitgliedstaaten sei seit dem Jahr
2002 in Artikel 3 des Direktwahlakts normiert. Deutschland
sei nicht der einzige Mitgliedstaat, der eine Mindestschwelle
für die Verteilung der Abgeordnetensitze im innerstaatlichen
Wahlrecht vorsehe. Eine Sperrklausel von fünf Prozent gebe
es außer in Deutschland auch in Frankreich, Litauen, Polen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91 – Drucksache 15/4750

in der Slowakei, der Tschechischen Republik und in Ungarn.
In Griechenland normiere das nationaleWahlrecht eine Drei-
Prozent-Hürde und in Österreich und Schweden müssten die
Wahlvorschläge eine Vier-Prozent-Klausel überwindenmüs-
sen.
Die Sicherung mehrheitsfähiger Strukturen im Europäischen
Parlament sei angesichts zehn neuer Mitgliedstaaten und den
aus diesen Ländern in das Europäische Parlament gewählten
weiterenGruppen undParteien umsowichtiger geworden. Im
5. und 6. Europäischen Parlament hätten sich die nationalen
Parteien und Gruppen zu sieben Fraktionen gleicher politi-
scher Richtung zusammengeschlossen, was angesichts einer
Gesamtzahl von nun 732 Abgeordneten recht hoch sei. Auch
hier sei einer weiterenVermehrung von Fraktionen durch den
Einzug kleiner Parteien vorzubeugen. Zudem sei nicht aus-
geschlossen, dass bei Beschlüssen mit nationaler Bedeutung
die Einigkeit in den Fraktionen für nationale Interessen ge-
opfert werden könne, was bei der großen Anzahl von Mit-
gliedstaaten zur Gefährdung von Mehrheiten führen könne.
Die Gefahr der Zersplitterung werde verschärft durch den
möglichen Beitritt neuer Mitgliedstaaten.
Zudem begünstige dasWahlsystem der Europawahl, die Ver-
hältniswahl, das Aufkommen kleiner Parteien. Der unbe-
grenzte Proporz würde es erleichtern, dass auch solche
kleinen Gruppen eine Vertretung erlangen könnten, die nicht
ein am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm,
sondern im Wesentlichen nur einseitige Interessen verträten
(BVerfGE 51, 222/236).
Zu dem vom Einspruchsführer beanstandeten Berechnungs-
verfahren zur Sitzverteilung gemäß § 2 Abs. 3 bis 5 EuWG
(Hare/Niemeyer) führt der Bundeswahlleiter aus, es liege im
Ermessen des Gesetzgebers, welches mathematische Verfah-
ren er im Rahmen der Wahlrechtsgrundsätze für die Berech-
nung der Verteilung der 99 Sitze deutscher Abgeordneter im
Europäischen Parlament festlege. Die Verteilung der Sitze
nach Bruchteilen entspreche der Regelung des § 2 Abs. 3
bis 5 EuWG und sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Ent-
scheidung des Gesetzgebers für eine Berechnung nach dem
Verfahren der mathematischen Proportion nach Hare/Nie-
meyer genüge den Anforderungen an ein für die Verhältnis-
wahl unabdingbares Sitzverteilungssystem. Das gewählte
Verfahren trage dem in § 1 Satz 2 EuWG niedergelegten
Grundsatz der Gleichheit der Wahl Rechnung, obwohl
mathematisch eine absolute Gleichheit des Erfolgswertes der
Stimmenauchmit dieserBerechnungsart nicht erreichtwerde
(vgl. Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auf-
lage, § 6 Rn. 6a m. w. N. zu Hare/Niemeyer im Bundestags-
wahlrecht).
Soweit derEinspruchsführer vortrage, dass dasBerechnungs-
verfahren Sainte-Laguë/Schepers die Erfolgswertgleichheit
besser gewährleiste als das Verfahren Hare/Niemeyer, werde
auf den Bericht des Bundesministeriums des Innern zu Num-
mer 3 der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschus-
ses vom 8. September 1999 hingewiesen. In diesem Bericht
werden die Abweichungen der Sitzverteilung von der Stim-
menverteilung bei dem Verfahren Sainte-Laguë/Schepers
und bei demVerfahren nach Hare/Niemeyer anhand von ver-
schiedenen mathematischen Maßen beispielhaft berechnet
und dargestellt. Zu den Einzelheiten der Berechnungen wird
auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Da beim Verfah-
ren nach Sainte-Laguë/Schepers bestimmte Ungereimtheiten

nicht auftreten könnten und es in der Praxis kaum vorkom-
men dürfte, dass sich bei der Verteilung nach Sainte-Laguë/
Schepers die Sitzzahlen nicht im Rahmen der sog. Idealan-
sprüche bewegten, könne dieses Verfahren gegenüber dem
Verfahren nach Hare/Niemeyer als geringfügig vorzugswür-
dig betrachtet werden. Das Bundesverfassungsgericht habe
es allerdings der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers über-
lassen, für welches System der Berechnung und Verteilung
der Mandate er sich entscheiden wolle (BVerfGE 79, 169/
171). Die dafür im Wesentlichen angeführte Begründung,
dass bei beiden Verfahren Reststimmen unberücksichtigt
blieben und deshalb keine absolute Gleichheit des Erfolgs-
wertes der Stimmen erreicht werden könne, gelte grundsätz-
lich auch für das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers.
Zu den vom Einspruchsführer vorgenommenen Berechnun-
gen hat der Bundeswahlleiter drei Modellrechnungen durch-
geführt. Hierbei wurde in der erstenModellrechnung der Be-
rechnung der Sitzverteilung das Verfahren Hare/Niemeyer
(§ 2 Abs. 3 EuWG) ohne Anwendung der in § 2 Abs. 6
EuWG vorgesehenen Fünf-Prozent-Sperrklausel zugrunde
gelegt. In der zweiten Modellrechnung wurde der Berech-
nung der Sitzverteilung das Verfahren Sainte-Laguë/Sche-
pers – ebenfalls ohne Anwendung der in § 2 Abs. 6 EuWG
vorgesehenen Fünf-Prozent-Sperrklausel – zugrunde gelegt.
In der dritten Modellrechnung wurde die Berechnung der
Sitzverteilung bei der Europawahl 2004 unter Berücksichti-
gung der Sperrklausel des § 2 Abs. 6 EuWG nach den Ver-
fahren Sainte-Laguë/Schepers und Hare/Niemeyer durchge-
führt. Zu den Einzelheiten der Berechnungen wird auf den
Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Berechnungen des
Einspruchsführers seien – so der Bundeswahlleiter – unter
Zugrundelegung von dessen Auffassung zur Erfolgswert-
gleichheit der Wählerstimmen zutreffend.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht
geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Einspruch zulässig ist.
Er ist jedenfalls offensichtlich unbegründet.
ImRahmen der Zulässigkeit ist zweifelhaft, ob der Einspruch
das Schriftformerfordernis gemäߧ 26Abs. 2EuWG i. V. m.
§ 2 Abs. 3 WPrüfG erfüllt. Zur Schriftform gehört nach der
ständigen Praxis des Deutschen Bundestages und des Wahl-
prüfungsausschusses auch die eigenhändige Unterschrift des
Einspruchsführers (Bundestagsdrucksache 15/1850, Anlage
41; Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 6). Der Ein-
spruchsführer hat seine Unterschrift eingescannt und seinen
Wahleinspruch dem Deutschen Bundestag lediglich per
E-Mail übermittelt. Nach einemBeschluss desGemeinsamen
Senats der Obersten Gerichte des Bundes vom 5. April 2000
(GmS/OGB 1/98 – NJW 2000, S. 2340) ist in Prozessen mit
Vertretungszwang die Übermittlung bestimmender Schrift-
sätze auch durch elektronische Übertragung einer Textdatei
mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevollmächtigten

Drucksache 15/4750 – 92 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

auf ein Faxgerät des Gerichts als ausreichend zur Wahrung
der Schriftform angesehen worden (näher hierzu: Bundes-
tagsdrucksache 15/1850, Anlage 41). Der vorliegende Fall
weicht von dem diesem Beschluss zugrunde liegenden Sach-
verhalt u. a. insofern ab, als der Einspruch nicht auf ein Fax-
gerät desDeutschenBundestages übermitteltwurde.Der vor-
liegende Einspruch gibt keinen Anlass für die Entscheidung
der Frage, ob diesemBeschluss des Gemeinsamen Senats der
Obersten Gerichte des Bundes für das Wahlprüfungsverfah-
ren generell gefolgtwerden soll, sowie derweiteren Frage, ob
– darüber hinausgehend – die Übermittlung auf ein Faxgerät
zur Wahrung der Schriftform entbehrlich ist. Da der vorlie-
gende Einspruch in der Sache –wie noch darzulegen ist – kei-
nen Erfolg haben kann, wird – auch im Interesse einer zügi-
gen Durchführung der Wahlprüfung – von einer Entschei-
dung dieser Zulässigkeitsfragen abgesehen.
Der Einspruch ist offensichtlich unbegründet.
Ein Wahlfehler liegt nicht vor, weil der Einspruchsführer
nicht mit Erfolg geltend machen kann, die Fünf-Prozent-
Sperrklausel in § 2 Abs. 6 EuWG und das in § 2 Abs. 3
EuWG festgelegte Berechnungsverfahren für die Verteilung
der Sitze der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus
der Bundesrepublik Deutschland seien verfassungswidrig.
Der Deutsche Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss
sehen sich nach ständiger Praxis nicht dazu berufen, die Ver-
fassungswidrigkeit von Rechtsvorschriften festzustellen.
Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfassungsgericht vor-
behalten worden (exemplarisch: Bundestagsdrucksache 14/
1560, Anlage 77). Unabhängig hiervon halten der Deutsche
Bundestag undderWahlprüfungsausschuss dieVorschrift des
§ 2 EuWG für verfassungsgemäß.
Dies gilt zunächst für die Fünf-Prozent-Sperrklausel. Nach
Artikel 3 Satz 1 des geänderten Direktwahlakts können die
Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe
festlegen. Diese Schwelle darf jedoch nach Satz 2 dieser Vor-
schrift landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebe-
nen Stimmen betragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 8. Juni 2004 in einem Organstreit-
verfahrenzurFünf-Prozent-Sperrklauseldes§ 2Abs. 6EuWG
(2BvE1/04), in demdie diesbezüglicheOrganklage derNPD
wegen Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 3 Bundesver-
fassungsgerichtsgesetz als unzulässig verworfen worden ist,
auf dieÄnderung desDirektwahlakts hingewiesen und hierzu
ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem am 21. August
2003 verkündeten Vierten Gesetz zur Änderung des Europa-
wahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur Änderung
des Europaabgeordnetengesetzes zum Ausdruck gebracht
hat, dass er an der Fünf-Prozent-Klausel festhalten möchte.
Er hat sich dabei – so das Bundesverfassungsgericht – auf die
Ermächtigung der Mitgliedstaaten im Beschluss des Rates
der EuropäischenUnion stützen können, eine Sperrklausel zu
erlassen. Der Rat der Europäischen Union hat nach Zustim-
mung des Europäischen Parlaments mit Beschluss vom
25. Juni und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 811) den
Direktwahlakt geändert, damit dieWahlen zumEuropäischen
Parlament „gemäß den allen Mitgliedstaaten gemeinsamen
Grundsätzen stattfindenkönnen, dieMitgliedstaaten zugleich
aber die Möglichkeit erhalten, für Aspekte, die nicht durch
diesen Beschluss geregelt sind, ihre jeweiligen nationalen
Vorschriften anzuwenden“. Dieser Änderung des Direkt-
wahlakts hat der deutsche Gesetzgeber mit Artikel 1 des

Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur Änderung des
Direktwahlakts vom 15. August 2003 (BGBl. 2003 II S. 810)
zugestimmt.
Zwar kann aus dieser erstmalig verankerten ausdrücklichen
Ermächtigung zum Erlass einer Fünf-Prozent-Sperrklausel
durch den Direktwahlakt nicht unmittelbar die Verfassungs-
mäßigkeit einer solchen Sperrklausel nach dem deutschen
Verfassungsrecht abgeleitet werden. Sie ist jedoch als starkes
Indiz dafür anzusehen, dass § 2 Abs. 6 EuWG – wie auch
schon bisher – nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Auch
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts verstößt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht gegen
die Verfassung (BVerfGE 51, 222/233 ff.; BVerfGE 95, 335/
366). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung werden in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt.
Soweit der Einspruchsführer einenVerstoß gegen denGrund-
satz der Wahlrechtsgleichheit wegen des unterschiedlichen
Erfolgswertes der Stimmen derjenigen Wählerinnen und
Wähler, die eine Partei gewählt haben, die die Fünf-Prozent-
Sperrklausel überwunden hat, und derjenigen Wählerinnen
und Wähler, die eine Partei gewählt haben, die an der Fünf-
Prozent-Hürde gescheitert ist, geltend macht, so greift dieser
Einwand nicht durch. Wie in der vom Bundeswahlleiter in
seiner Stellungnahme zitierten Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts dargelegt wird, ist die Fünf-Prozent-
Sperrklausel gemäߧ 2Abs. 6EuWGdurch dasZiel gerecht-
fertigt, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Euro-
päischen Parlament entgegenzuwirken. Eine Abwägung des
Postulats der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volks-
vertretung mit den Geboten des grundsätzlich gleichen Er-
folgswertes aller Wählerstimmen sowie der gleichen Wett-
bewerbschancen der politischen Parteien im Rahmen der
Verhältniswahl ergibt die Zulässigkeit dieser begrenzten
Differenzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen. Der
Bundeswahlleiter hat in seiner Stellungnahme überzeugend
dargelegt, dass die seit dem Jahr 1979 eingetretenen Verän-
derungen des Europarechts und der tatsächlichen Verhält-
nisse in der Europäischen Union die in der damaligen Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts getroffenen Fest-
stellungen bestätigt und – auch im Hinblick darauf, dass die
Sicherungmehrheitsfähiger Strukturen imEuropäischen Par-
lament angesichts zehn neuerMitgliedstaaten noch wichtiger
geworden ist – sogar verstärkt haben.
Auch soweit sich der Einspruchsführer gegen das in § 2
Abs. 3 EuWGverankerte Berechnungsverfahren für die Sitz-
verteilung (Hare/Niemeyer) wendet, so liegt darin kein Ver-
stoß gegen die Wahlrechtsgleichheit nach § 1 Abs. 1 Satz 2
EuWG i. V. m. Artikel 38 Abs. 1 Grundgesetz. Der Deutsche
Bundestag hat sich in derVergangenheit – auch anlässlich von
Wahlprüfungsverfahren – wiederholt mit der Frage des ver-
fassungsrechtlich richtigen Berechnungsverfahrens befasst
(vgl. z. B. Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 67). Dies
geschah auch anlässlich eines Einspruchs des Einspruchsfüh-
rers gegen die Bundestagswahl 2002. Auf die dortigen, dem
Einspruchsführer bekannten Ausführungen wird – soweit sie
nicht die spezifischen Auswirkungen des personalisierten
Verhältniswahlsystems der Bundestagswahl betreffen – ver-
wiesen (Bundestagsdrucksache 15/1850, Anlage 5). Hervor-
zuheben ist – wie dies auch in der Stellungnahme des Bun-
deswahlleiters zumAusdruck kommt –, dass dieAuswahl des
Berechnungsverfahrens im Ermessen des Gesetzgebers liegt

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 93 – Drucksache 15/4750

(BVerfGE 79, 179, 169/171). Durch keines der drei üblichen
Berechnungsverfahren (Hare/Niemeyer, Sainte-Laguë/Sche-
pers, d’Hondt) können mathematisch exakt die Stimmenver-
hältnisse auf die Verteilung der Sitze der deutschen Abgeord-
neten des Europäischen Parlaments übertragen werden.
Hiervon zu trennen ist die nicht auf der verfassungsrechtli-
chen Ebene angesiedelte Frage, ob angesichts bestimmter –
hier nicht näher zu erörternder – Effekte das Verfahren Hare/
Niemeyer durch dasjenige nach Sainte-Laguë/Schepers er-
setzt werden sollte. Der hierzu vom Bundesministerium des
Innern vorgelegte Bericht vom 8. September 1999 ist Gegen-
stand parlamentarischer Beratungen. Diese Frage bedarf aber
keiner Behandlung in einem Wahlprüfungsverfahren. Die
Wahlprüfung ist nämlich allein auf die Feststellung von
Wahlfehlern und deren Relevanz für die Verteilung der Man-
date bei der Europawahl 2004 beschränkt.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95 – Drucksache 15/4750

Anlage 22

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. Z., 74078 Heilbronn

– Az.: EuWP 38/04 –
gegen die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments

aus der Bundesrepublik Deutschland
am 13. Juni 2004

hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 27. Januar 2005 beschlossen,
dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:

Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem an den Landtag des Landes Baden-Württemberg
gerichteten Schreiben vom 10. Juli 2004, das an den Deut-
schen Bundestag weitergeleitet worden und hier am 29. Juli
2004 eingegangen ist, hat der Einspruchsführer gegen die
Gültigkeit derWahl der Abgeordneten des Europäischen Par-
laments aus der Bundesrepublik Deutschland am 13. Juni
2004 Einspruch eingelegt.
Der Einspruchsführer beanstandet,
– dass die Fünf-Prozent-Klausel nicht dem Demokratie-

prinzip entspreche,
– dass die Zahl derWahlberechtigten aufgrund einer Volks-

zählung zu ermitteln sei,
– dass Vertreter politischer Parteien inWahlvorständen ver-

treten seien,
– dass die Ergebnisermittlung nicht überprüfbar und die

Feststellung der Wahlergebnisse nicht transparent sei und
– dass die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent gelegen habe.
Der Einspruchsführer trägt zu seiner ersten Beanstandung
vor, dass der politische Wille der Wählerinnen und Wähler,
die diejenigen Parteien gewählt hätten, die die Fünf-Prozent-
Hürde nicht überschritten hätten, unberücksichtigt geblieben
sei. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel sei nicht demokratisch.
Hinzu komme, dass es in der Bundesrepublik Deutschland
keine Volksentscheide gebe.
Er führt zu seiner zweiten Beanstandung aus, dass zur Erstel-
lung derWählerverzeichnisse vorWahlen Volkszählungen in
jedem Wahlkreis und im ganzen Land durchgeführt werden
müssten, um mit einem amtlichen Endergebnis eine genaue
Zahl der Wählerinnen und Wähler ermitteln zu können. Da
sich die Zahl der Staatsbürger durch Einbürgerung verändere,
könne die genaue Anzahl der Wahlberechtigten nur durch
eineVolkszählung festgestellt werden.NachAnsicht des Ein-
spruchsführers komme es bei der Stimmenauszählung auf
zwei Stellen hinter dem Komma an. Daher würden genaue
Grunddaten benötigt.
Zu seiner dritten Beanstandung trägt der Einspruchsführer
vor, dass bei den Wahlvorbereitungen und bei der Stimmen-

auszählung Bürger mitbestimmend seien, die selbst zurWahl
stünden oder einer Partei angehörten. Seiner Ansicht nach
seien die Mitglieder der Wahlvorstände parteiisch.
Der Einspruchsführer vertritt zu seiner vierten Beanstandung
die Auffassung, dass die Ergebnisse in den einzelnen Stadien
des Auszählverfahrens nicht überprüfbar seien und daher die
Feststellung des Wahlergebnisses nicht transparent sei.
Schließlich hält der Einspruchsführer die Wahl für ungültig,
weil die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent gelegen habe. Die
Politiker hätten deshalb nicht dasVertrauen der Bevölkerung.
Zu dem Wahleinspruch ist eine Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters eingeholt worden. Soweit der Einspruchsführer
die Fünf-Prozent-Hürde für verfassungswidrig hält, hat der
Bundeswahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Artikel 3 des Beschlusses und Aktes zur Einführung allge-
meiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Eu-
ropäischenParlaments vom20. September 1976 (BGBl. 1977
II S. 733 ff.), zuletzt geändert durchBeschluss des Rates vom
25. Juni 2002 und 23. September 2002 (BGBl. 2003 II S. 810)
– Direktwahlakt – erlaube es den Mitgliedstaaten explizit,
prozentuale Mindestschwellen für den Einzug ins Europäi-
sche Parlament festzulegen, die jedoch landesweit nichtmehr
als fünf Prozent der abgegebenen Stimmen betragen dürften.
NebenDeutschland enthielten auch dieWahlsysteme anderer
Mitgliedstaaten der Europäischen Union wie Frankreich, Li-
tauen, Polen, die Slowakei, die Tschechische Republik und
Ungarn für die Wahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments eine Sperrklausel von fünf Prozent. In Österreich
und Schweden gelte für die Europawahl eine Vier-Prozent-
Hürde und in Griechenland eine Sperrklausel von drei Pro-
zent.
Das Bundesverfassungsgericht habe die Fünf-Prozent-Sperr-
klausel gemäß § 2Abs. 6 Europawahlgesetz (EuWG) als ver-
fassungskonform angesehen, weil sie an dem durch beson-
dere, zwingende Gründe gerechtfertigten Ziel, einer über-
mäßigen Parteienzersplitterung im Europäischen Parlament
entgegenzuwirken, orientiert sei und das Maß des zur Er-
reichung dieses Ziels Erforderlichen nicht überschreite
(BVerfGE 51, 222/233). Der Gleichheitssatz fordere nicht,
dass der Gesetzgeber die Einzelnen und ihre relevanten ge-

Drucksache 15/4750 – 96 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sellschaftlichen Gruppen unbedingt gleichmäßig behandele;
er lasse Differenzierungen zu, die durch sachliche Erwägun-
gen gerechtfertigt seien. Ob und in welchem Ausmaß der
Gleichheitssatz bei der Ordnung bestimmter Materien dem
Gesetzgeber Differenzierungen erlaube, richte sich nach der
Natur des jeweils in Frage stehenden Sachbereichs (BVerfGE
6, 84/91 und BVerfGE 11, 266/272). Aus den Grundsätzen
der formalen Gleichheit und der Chancengleichheit der poli-
tischen Parteien und Wählergruppen folge mithin, dass dem
Gesetzgeber bei der Ordnung des Wahlrechts zu politischen
Körperschaften nur ein eng bemessener Spielraum für Diffe-
renzierungen verbleibe. In diesem Bereich bedürften Diffe-
renzierungen stets eines besonderen, rechtfertigenden, zwin-
genden Grundes (BVerfGE 1, 208/249 und 255; ständige
Rechtsprechung).
Die Verhältniswahl begünstige das Aufkommen kleiner Par-
teien und Wählervereinigungen. Daraus könnten sich ernst-
hafte Beeinträchtigungen der Handlungsfähigkeit der zu
wählenden Volksvertretung ergeben. Eine Wahl habe nicht
nur das Ziel, eine Volksvertretung zu schaffen, die ein Spie-
gelbild der in derWählerschaft vorhandenen politischenMei-
nungen darstelle, sondern sie solle auch ein funktionsfähiges
Organ hervorbringen.Würde der Grundsatz der getreuenAb-
bildung der politischen Meinungsschichtung in der Wähler-
schaft bis zur letztenKonsequenz durchgeführt, so könnte das
nachAuffassung desBundeswahlleiters eineAufspaltung der
Volksvertretung in viele kleine Gruppen zur Folge haben, die
die Mehrheitsbildung erschweren oder verhindern würde.
Der unbegrenzte Proporz würde es erleichtern, dass auch sol-
che kleinen Gruppen eine Vertretung erlangten, die nicht ein
am Gesamtwohl orientiertes politisches Programm, sondern
im Wesentlichen nur einseitige Interessen verträten. Klare
und ihrer Verantwortung für das Gesamtwohl bewusste
Mehrheiten in einer Volksvertretung seien aber für eine Be-
wältigung der ihr gestellten Aufgaben unentbehrlich. Des-
halb dürfe derGesetzgeberDifferenzierungen imErfolgswert
der Stimmen bei der Verhältniswahl vornehmen, soweit dies
zur Sicherung des Charakters derWahl als eines Integrations-
vorganges bei der politischenWillensbildung im Interesse der
Einheitlichkeit des ganzen Wahlsystems und zur Sicherung
der mit der Wahl verfolgten Ziele unbedingt erforderlich sei
(BVerfGE 51, 222/236). Unter diesem Blickpunkt habe das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung das
Postulat der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung und die Gebote des grundsätzlich gleichen Erfolgs-
wertes allerWählerstimmen sowie der gleichenWettbewerbs-
chancen der politischen Parteien und Wählervereinigungen
im Rahmen der Verhältniswahl gegeneinander abgewogen.
Was in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen als
zwingender Grund für eine begrenzte Differenzierung anzu-
erkennen sei, variiere von Bereich zu Bereich und bestimme
sich vor allem nach dem Aufgabenkreis der zu wählenden
Volksvertretung (BVerfGE51, 222/236 und 236 f.). Die Fünf-
Prozent-Sperrklausel beziehe sich hier auf die Wahlen zu
einem supranationalen Organ, dem Europäischen Parlament.
Der dem Europäischen Parlament im Verfassungsgefüge der
Europäischen Gemeinschaften zugewiesene Aufgabenkreis
und die ihm auf demWege zu „einem immer engeren Zusam-
menschluss der europäischen Völker“ zugedachte Rolle er-
forderten ein handlungsfähiges Organ. Das Europäische Par-
lament könne die ihm gestellten Aufgaben nur dann wirksam
bewältigen, wenn es durch eine, den vielschichtigen Spezial-

materien angemessene, interne Arbeitsteilung allen seinen
Mitgliedern die notwendige Sachkenntnis verschaffe und zu
einer überzeugenden Mehrheitsbildung in der Lage sei. Bei-
des könne gefährdet werden, wenn die durch die große Zahl
der Mitgliedstaaten ohnehin nicht vermeidbare Aufgliede-
rung des Parlaments in viele Gruppen ein Ausmaß annehme,
das dessen Funktionsfähigkeit ernsthaft in Frage stelle. Dies
sei ein zwingender Grund, der Vorkehrungen gegen eine
übermäßige Parteienzersplitterung zu rechtfertigen vermöge
(BVerfGE 51, 222/246 f.).
Die Arbeitsfähigkeit eines so heterogen zusammengesetzten
Parlaments wie des Europäischen Parlaments hänge in noch
stärkeremMaße als bei einem nationalen Parlament von dem
Vorhandensein großer, durch gemeinsame politische Zielset-
zungen verbundener Gruppen von Abgeordneten ab. Schon
unter diesem Blickpunkt erwiesen sich Vorkehrungen, die
wie die in das Europawahlgesetz aufgenommene Fünf-Pro-
zent-Sperrklausel darauf abzielten, den Einzug einer Gruppe
von weniger als fünf Abgeordneten in das Parlament zu ver-
hindern, als sachlich gerechtfertigt und zur Gewährleistung
der Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlament zwin-
gend geboten. Eine solch kleine Gruppe wäre – so der Bun-
deswahlleiter – kaum in der Lage, die zahlreichen Maßnah-
men der Europäischen Gemeinschaften in ihrem vielschich-
tigen und weiträumigen Tätigkeitsbereich zu verfolgen und
kritisch zu beurteilen; sie wäre damit außerstande, in einer
dem Ineinandergreifen der vielfältigen Aktivitäten gerecht
werdendenWeise ihren Teil zur Kontrolle eines so hoch qua-
lifizierten und großen bürokratischen Apparates wie der
Kommission beizutragen. Eine solche Kontrolle sei wirksam
nur möglich, wenn sie arbeitsteilig erfolge und eine größere
Organisation den einzelnen Abgeordneten unterstütze. Ent-
sprechendes gelte für die Mitwirkung des Europäischen Par-
laments im Gesetzgebungsverfahren und bei der Verabschie-
dung des Haushalts (BVerfGE 51, 222/247).
Dem Europäischen Parlament komme ferner für die weitere
Integration der durch die Europäischen Gemeinschaften ver-
bundenen Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu.
Demgerecht zuwerden, sei nur einParlament in derLage, das
zu einer überzeugenden Mehrheitsbildung und damit zu
einem möglichst geschlossenen Auftreten fähig sei.
Zur zweiten Beanstandung des Einspruchsführers (Notwen-
digkeit einer Volkszählung zur Ermittlung der Zahl derWahl-
berechtigten) hat der Bundeswahlleiter wie folgt Stellung
genommen:
Bei der Ermittlung des endgültigen amtlichenWahlergebnis-
ses der sechsten Wahl der Abgeordneten des Europäischen
Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland und der dar-
aus resultierenden Sitzverteilung der 99 deutschen Abgeord-
neten im Europäischen Parlament seien gemäß § 2 Abs. 2
EuWGnur die abgegebenen gültigenStimmenberücksichtigt
worden. Nur in die Berechnung der Wahlbeteiligung sei die
Zahl derWahlberechtigten eingeflossen.DieseZahl habe sich
aus den aufgrund der Daten in den Melderegistern bis zum
9. Mai 2004 erstellten und aufgrund von Eintragungsanträ-
gen und Einsprüchen bis zum 9. Juni 2004 berichtigten
Wählerverzeichnissen ergeben. Die Durchführung einer
Volkszählung mit dem Zweck der Ermittlung der exakten
Anzahl aller Wahlberechtigten und eines daraus resultieren-
den notwendigen Abgleiches und einer Berichtigung der
Melderegister, auf denen die Wählerverzeichnisse beruhen,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97 – Drucksache 15/4750

sei wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
zum Volkszählungsgesetz 1983 vom 15. Dezember 1983
(BVerfGE 65, 1 [68]) nicht möglich. Dieses Urteil habe
zugunsten der „informationellen Selbstbestimmung“ jedes
Bürgers gemäß Artikel 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Arti-
kel 1 Abs. 1 GG ein Rückspiegelungsverbot ausgesprochen,
d. h. die gewonnenen Erkenntnisse aus der Volkszählung
dürften nicht an dieMeldebehörden mit dem Ziel der Berich-
tigung der Melderegister mitgeteilt werden.
Das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung ge-
währleiste die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst
über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Da-
ten zu bestimmen. Es bestehe demnach ein Schutz des Ein-
zelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwen-
dung und Weitergabe seiner persönlichen Daten. Das be-
deute, dass die möglicherweise in denMelderegistern enthal-
tenen Fehler (z. B. Nichtabmeldung bei Fortzug in das
Ausland, falsche Staatsbürgerschaft) nicht durch eine neue
Volkszählung hätten behoben werden können, sondern nur
durch eine Bereinigung der Melderegister durch die Melde-
behörden selbst.
Soweit der Einspruchsführer die Wahlvorbereitung und die
Ermittlung des Wahlergebnisses unter Beteiligung von Ver-
tretern politischer Parteien beanstandet (dritte Beanstan-
dung), hat der Bundeswahlleiter wie folgt Stellung genom-
men:
Für die organisatorische Vorbereitung der Europawahl, ihre
Durchführung und die Ermittlung des Wahlergebnisses in
Deutschland seien folgende Wahlorgane zuständig:
– der Bundeswahlleiter und der Bundeswahlausschuss für

das Wahlgebiet,
– ein Landeswahlleiter und ein Landeswahlausschuss für

jedes Land,
– ein Kreiswahlleiter und ein Kreiswahlausschuss für jeden

Kreis sowie für jede kreisfreie Stadt ein Stadtwahlleiter
und ein Stadtwahlausschuss,

– ein Wahlvorsteher und ein Wahlvorstand für jeden Wahl-
bezirk und

– mindestens ein Wahlvorsteher und ein Wahlvorstand für
jeden Kreis und für jede kreisfreie Stadt zur Feststellung
des Briefwahlergebnisses.

Bundeswahlleiter sei der Präsident des Statistischen Bundes-
amtes, während die Landeswahlleiter und Stellvertreter der
Landeswahlleiter in der Regel höhere Beamte in den Landes-
innenministerien oder die Leiter der statistischen Landes-
ämter seien. Bei den Kreiswahlleitern handele es sich häufig
umLeiter der allgemeinen staatlichen oder kommunalenVer-
waltung wie Landräte, Oberbürgermeister oder Oberstadt-
direktoren.
Die Beisitzer der Landeswahlausschüsse sowie der Kreis-
und Stadtwahlausschüsse würden aus den Wahlberechtigten
des jeweiligen Gebietes berufen (§ 4 Abs. 1 Europawahlord-
nung –EuWO).Gemäߧ 4Abs. 2EuWOsollten bei derAus-
wahl der Beisitzer derWahlausschüsse in der Regel dieWahl-
vorschlagsberechtigten in der Reihenfolge der bei der letzten
Wahl zum Europäischen Parlament in dem jeweiligen Gebiet
errungenen Stimmenzahlen angemessen berücksichtigt und
die von ihnen rechtzeitig vorgeschlagenen Wahlberechtigten
berufen werden. Bei der Berufung der Beisitzer derWahlvor-

stände seien nach § 5 Abs. 3 Satz 2 EuWG ebenfalls die in
dem jeweiligenBezirk vertretenenParteien nachMöglichkeit
zu berücksichtigen. Parteien hätten mittels ihres Vorschlags-
rechtes also einen Anspruch auf Repräsentation in denWahl-
organen (Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deut-
schen Bundestag, 7. Auflage 2002, § 9 Rn. 9). Der Gesetzge-
ber habe beabsichtigt, dass Interessenvertreter vonParteien in
denWahlorganen vertreten seien. Grundgedanke der Berück-
sichtigung der verschiedenen miteinander konkurrierenden
Parteien sei gerade bei der Besetzung der Wahlvorstände die
damit gegebene Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle bei
der Aufgabenwahrnehmung, um so das Vertrauen der Allge-
meinheit in die Korrektheit des Verfahrens bei der Wahl-
durchführung und der Ermittlung undFeststellung desErgeb-
nisses zu stärken (Schreiber, a. a. O., § 9 Rn. 12). Die Partei-
vertreter seien bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in den
Ausschüssen gemäß § 5 Abs. 5 EuWO und die Beisitzer und
der Wahlvorsteher in den Wahlvorständen gemäß § 6 Abs. 3
EuWO zur Unparteilichkeit und Verschwiegenheit verpflich-
tet und nicht an Weisungen der sie entsendenden Partei ge-
bunden.
Wahlbewerber dürften gemäß § 4 EuWG i. V. m. § 9 Abs. 3
Satz 2 BWG nicht Mitglied von Wahlorganen werden. Diese
Vorschrift solle möglichen Kollisionsgefahren bei Entschei-
dungen des Wahlorgans vorbeugen (Schreiber, a. a. O., § 9
Rn. 14; Seifert, Bundeswahlrecht – Kommentar, 3. Auflage
1976, § 9 Rn. 10).
Soweit der Einspruchsführer beanstandet, dass die Ergebnis-
ermittlung nicht überprüfbar sei und die Feststellung des
Wahlergebnisses nicht transparent sei (vierte Beanstandung),
hat der Bundeswahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Die Auszählung der Stimmen und die Feststellung des Wahl-
ergebnisses in den Wahllokalen sei gemäß § 47 EuWO öf-
fentlich erfolgt. Die Feststellung, Bekanntgabe und Weiter-
meldung der Ergebnisse für ihr jeweiliges Wahlgebiet sei
Aufgabe der Wahlorgane gewesen. Das vorläufige Wahler-
gebnis sei mittels Schnellmeldung durch den Wahlvorsteher
auf schnellstemWege dem Kreis- oder Stadtwahlleiter über-
mittelt worden. In einer Gemeinde mit mehreren Wahlbezir-
ken habe der Wahlvorsteher das Wahlergebnis seines Wahl-
bezirkes der Gemeindebehörde gemeldet, die dieWahlergeb-
nisse aller Wahlbezirke der Gemeinde zusammengefasst und
dem Kreiswahlleiter gemeldet habe. Der Kreis- oder Stadt-
wahlleiter habe unter Einbeziehung der Briefwahlergebnisse
das vorläufige Wahlergebnis im Kreis bzw. der kreisfreien
Stadt ermittelt und dieses auf dem schnellsten Wege an den
Landeswahlleiter geleitet, der die Wahlkreisergebnisse und
das daraus ermittelte Landesergebnis dem Bundeswahlleiter
mitgeteilt habe. Der Bundeswahlleiter habe das vorläufige
amtliche Wahlergebnis für das gesamte Wahlgebiet ermittelt
und es in der Wahlnacht bekannt gegeben (§ 64 Abs. 1 bis 5
EuWO). Danach sei die Ermittlung des endgültigen Wahl-
ergebnisses erfolgt. Diese Feststellung sei nach Prüfung der
Wahlniederschriftenmit denAnlagen aufVollständigkeit und
Ordnungsmäßigkeit durch den jeweiligen Wahlleiter Auf-
gabe der Kreis- oder Stadtwahlausschüsse, der Landeswahl-
ausschüsse und des Bundeswahlausschusses gewesen. Der
Bundeswahlleiter habe das endgültige Wahlergebnis für das
gesamte Wahlgebiet bekannt gemacht (§§ 69 bis 71 BWO).
Nach § 4 EuWG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 BWG hätten
die Wahlausschüsse in öffentlicher Sitzung verhandelt, bera-

Drucksache 15/4750 – 98 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ten und entschieden. Die Öffentlichkeit habe daher ihre Kon-
trollfunktion gegenüber den Wahlorganen ausüben können
und die Ermittlung der Ergebnisse vom Wahllokal bis zur
Feststellung des endgültigen amtlichen Wahlergebnisses
durch den Bundeswahlausschuss überprüfen können.
Zum Vortrag des Einspruchsführers hinsichtlich einer Min-
destwahlbeteiligung (fünfte Beanstandung) hat der Bundes-
wahlleiter wie folgt Stellung genommen:
Weder der Akt zur Einführung allgemeiner und unmittelbarer
Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments
–Direktwahlakt – noch dasEuropawahlgesetz sehe eineMin-
destwahlbeteiligung bei Europawahlen oder gar eine Wahl-
pflicht vor. Die Gültigkeit der Wahl der Abgeordneten des
Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutsch-
land sei unabhängig von der Höhe der Wahlbeteiligung. Das
Fehlen einer gesetzlichenRegelung bezüglich einerMindest-
wahlbeteiligung ergebe sich nicht zuletzt auch aus dem
Grundsatz der Freiheit der Wahl, wonach jeder wahlberech-
tigte Deutsche frei darüber entscheiden könne, wen er wähle,
und ob er überhaupt an der Wahl teilnehmen und somit von
seinem Wahlrecht Gebrauch machen wolle. Eine Wahl sei
nicht frei, wenn der Wähler gegen seinen Willen veranlasst
werde, zur Wahl zu gehen. Aus dem Prinzip der Allgemein-
heit der Wahl folge kein Zwang zur Einführung einer Wahl-
pflicht (Schreiber, Handbuch desWahlrechts zumDeutschen
Bundestag, 7. Auflage 2002, § 1 Rn. 13a).
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Bundes-
wahlleiters bekannt gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht
geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 26 Abs. 2 EuWG in Ver-
bindungmit § 6Abs. 1aNr. 3Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensichtlich
unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Einspruchs-
führer wendet sich im Wesentlichen gegen den Inhalt wahl-
rechtlicher Vorschriften und rügt diese der Sache nach als
verfassungswidrig. Der Deutsche Bundestag und der Wahl-
prüfungsausschuss sehen sich jedoch nach ständiger Praxis
nicht dazu berufen, die Verfassungswidrigkeit von Rechts-
vorschriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden. Unabhängig
hiervon halten der Deutsche Bundestag und der Wahlprü-
fungsausschuss die vom Einspruchsführer beanstandeten
Vorschriften für verfassungsgemäß.
Dies gilt zunächst für die Fünf-Prozent-Sperrklausel. Nach
Artikel 3 Satz 1 des geänderten Direktwahlakts können die
Mitgliedstaaten eine Mindestschwelle für die Sitzvergabe
festlegen. Diese Schwelle darf jedoch nach Satz 2 dieser Vor-
schrift landesweit nicht mehr als fünf Prozent der abgegebe-
nen Stimmen betragen. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seiner Entscheidung vom 8. Juni 2004 in einem Organstreit-
verfahren zur Fünf-Prozent-Sperrklausel des § 2 Abs. 6
EuWG (2 BvE 1/04), in dem die diesbezügliche Organklage

der NPD wegen Nichteinhaltung der Frist des § 64 Abs. 3
Bundesverfassungsgerichtsgesetz als unzulässig verworfen
worden ist, auf die Änderung des Direktwahlakts hingewie-
sen und hierzu ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit dem am
21. August 2003 verkündeten Vierten Gesetz zur Änderung
des Europawahlgesetzes und des Neunzehnten Gesetzes zur
Änderung des Europaabgeordnetengesetzes zum Ausdruck
gebracht hat, dass er an der Fünf-Prozent-Sperrklausel fest-
haltenmöchte. Er hat sich dabei – so das Bundesverfassungs-
gericht – auf die Ermächtigung der Mitgliedstaaten im
Beschluss des Rates der EuropäischenUnion stützen können,
eine Sperrklausel zu erlassen. Der Rat der Europäischen
Union hat nach Zustimmung des Europäischen Parlaments
mit Beschluss vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002
(BGBl. 2003 II S. 811) denDirektwahlakt geändert, damit die
Wahlen zum Europäischen Parlament „gemäß den allen Mit-
gliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen stattfinden können,
die Mitgliedstaaten zugleich aber die Möglichkeit erhalten,
für Aspekte, die nicht durch diesen Beschluss geregelt sind,
ihre jeweiligen nationalenVorschriften anzuwenden“. Dieser
Änderung des Direktwahlakts hat der deutsche Gesetzgeber
mit Artikel 1 des Zweiten Gesetzes über die Zustimmung zur
Änderung des Direktwahlakts vom 15. August 2003 (BGBl.
2003 II S. 810) zugestimmt.
Zwar kann aus dieser erstmalig verankerten ausdrücklichen
Ermächtigung zum Erlass einer Fünf-Prozent-Sperrklausel
durch den Direktwahlakt nicht unmittelbar die Verfassungs-
mäßigkeit einer solchen Sperrklausel nach dem deutschen
Verfassungsrecht abgeleitet werden. Sie ist jedoch als starkes
Indiz dafür anzusehen, dass § 2 Abs. 6 EuWG – wie auch
schon bisher – nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Auch
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts verstößt die Fünf-Prozent-Sperrklausel nicht gegen
die Verfassung (BVerfGE 51, 222/233 ff.; BVerfGE 95, 335/
366). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung werden in der
Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt.
Soweit der Einspruchsführer einenVerstoß gegen denGrund-
satz der Wahlrechtsgleichheit wegen des unterschiedlichen
Erfolgswertes der Stimmen derjenigen Wählerinnen und
Wähler, die eine Partei gewählt haben, die die Fünf-Prozent-
Sperrklausel überwunden hat, und derjenigen Wählerinnen
und Wähler, die eine Partei gewählt haben, die an der Fünf-
Prozent-Hürde gescheitert ist, geltend macht, so greift dieser
Einwand nicht durch. Wie in der vom Bundeswahlleiter in
seiner Stellungnahme zitierten Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts dargelegt wird, ist die Fünf-Prozent-
Sperrklausel gemäߧ 2Abs. 6EuWGdurch dasZiel gerecht-
fertigt, einer übermäßigen Parteienzersplitterung im Euro-
päischen Parlament entgegenzuwirken. Eine Abwägung des
Postulats der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volks-
vertretung mit den Geboten des grundsätzlich gleichen Er-
folgswertes aller Wählerstimmen sowie der gleichen Wett-
bewerbschancen der politischen Parteien im Rahmen der
Verhältniswahl ergibt die Zulässigkeit dieser begrenzten
Differenzierung des Erfolgswertes der Wählerstimmen. Der
vom Einspruchsführer in diesem Zusammenhang angeführte
Umstand, dass es in Bundesrepublik Deutschland auf Bun-
desebene keine Volksentscheide gibt, hat auf das Abwä-
gungsergebnis keinen Einfluss.
Hinsichtlich derweiterenBeanstandung, dass dieWählerver-
zeichnisse nicht auf der Grundlage von Volkszählungen er-
stellt würden, ist weder ein Verstoß gegen wahlrechtliche

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 99 – Drucksache 15/4750

Vorschriften noch gegen die Verfassung ersichtlich. Wie in
der Stellungnahme des Bundeswahlleiters dargelegt wird,
sind die Daten in den Melderegistern Grundlage für die Er-
stellung derWählerverzeichnisse. Soweit der Einspruchsfüh-
rer Ungenauigkeiten aufgrund von Einbürgerungen oder auf-
grund anderer Umstände geltend macht, so liegt ein Verstoß
gegen das Rechtsstaatsprinzip nicht vor. Etwaige Fehler kön-
nen im Vorfeld der Wahl von Amts wegen oder durch die ge-
botene Mitwirkung der Wahlberechtigten bereinigt werden.
Es ist zumutbar und rechtsstaatlich unbedenklich, dass von
Bürgerinnen und Bürgern, die keine Wahlbenachrichtigung
erhalten haben, erwartet wird, sich durch Einsichtnahme in
das Wählerverzeichnis selbst um ihre Eintragung in dasselbe
zu kümmern. Schließlich bedarf es im Rahmen des Wahl-
prüfungsverfahrens keiner Entscheidung darüber, ob eine
Volkszählung – wie sie vomEinspruchsführer vorgeschlagen
wird – als Grundlage des Wählerverzeichnisses verfassungs-
gemäß oder politischwünschenswert wäre. DieWahlprüfung
ist nämlich allein auf die Feststellung von Wahlfehlern und
deren Relevanz für die Verteilung der Mandate bei der Euro-
pawahl 2004 beschränkt.
Soweit der Einspruchsführer mit seiner dritten Beanstandung
meint, Parteimitglieder dürften sich nicht an der Wahlvorbe-
reitung und der Ergebnisermittlung beteiligen, so entspricht
diese Auffassung nicht dem geltenden Recht. Beispielsweise
bestimmt § 5 Abs. 3 Satz 2 EuWG, dass bei der Berufung der
Beisitzer für den Wahlvorstand die in dem jeweiligen Bezirk
vertretenen Parteien nach Möglichkeit zu berücksichtigen
sind. Die Korrektheit des Verfahrens und das Vertrauen der
Allgemeinheit in dieses sollen –worauf derBundeswahlleiter
zu Recht hinweist – gerade durch die Möglichkeit der gegen-
seitigen Kontrolle bei der Aufgabenwahrnehmung erreicht
werden.
Soweit der Einspruchsführer in seiner vierten Beanstandung
die Überprüfbarkeit und Transparenz der Feststellung des
Wahlergebnisses und der Ergebnisübermittlung anzweifelt,
so ist auf diewahlrechtlichenVorschriften, die dieÖffentlich-
keit und die damit verbundene Kontrollfunktion gegenüber
den Wahlorganen gewährleisten, hinzuweisen. So ist bei-
spielsweise in § 47 EuWO festgelegt, dass während der
Wahlhandlung sowie der Ermittlung und Feststellung des
Wahlergebnisses jedermann Zutritt zum Wahlraum hat, so-
weit das ohne Störung desWahlgeschäftsmöglich ist. Auf die
Ausführungen in der Stellungnahme des Bundeswahlleiters
wird verwiesen.
Schließlich ist auch der Einwand des Einspruchsführers, die
Europawahl müsse wegen der unter fünfzig Prozent liegen-
den Wahlbeteiligung ungültig sein, unbegründet. Es gibt
keine gesetzlicheRegelung, die eineMindestwahlbeteiligung
bei der Europawahl vorschreibt. Ob eine solche Regelung
überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre, bedarf im
Wahlprüfungsverfahren keinerKlärung.Dies gilt auch für die
Frage, ob eine solche Regelung imHinblick auf die Stärkung
des Vertrauens der Bevölkerung sinnvoll sein könnte. Die
Wahlprüfung ist nämlich – wie bereits dargelegt – allein auf
die Feststellung vonWahlfehlern und deren Relevanz für die
Verteilung derMandate bei der Europawahl 2004 beschränkt.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 26 Abs. 2 EuWG in Verbindung mit § 6 Abs. 1a
Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

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