BT-Drucksache 15/474

Die Kompetenzen des Sports bei Prävention und Rehabilitation besser nutzen

Vom 19. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/474
15. Wahlperiode 19. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Dieter Thomae, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Dr. Christian Eberl, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel
Happach-Kasan, Christoph Hartmann (Homburg), Jürgen Koppelin, Harald
Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Die Kompetenzen des Sports bei Prävention und Rehabilitation besser nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Prävention dient der Stärkung der Gesundheit und der Verhinderung von Krank-
heiten und ist somit ein direkter Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität
und langfristig auch zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen. Der Präven-
tion wird seit Jahren eine wachsende Bedeutung beigemessen. Sie ist im Sozial-
gesetzbuch V fest verankert und hat beispielsweise durch das von der Bundes-
regierung gegründete Deutsche Forum Prävention und Gesundheitsförderung
eine größere politische Bedeutung erhalten. Der Sport (im Rahmen von Präven-
tion und Rehabilitation wird gerne von körperlicher Bewegung gesprochen)
wird innerhalb der Prävention stiefmütterlich behandelt, obwohl seine Chancen
für die Verhinderung von Krankheiten wissenschaftlich erwiesen sind und von
der WHO (World Health Organization) an erster Stelle genannt werden. Denn
körperliche Inaktivität ist an sich schon ein Risikofaktor für die Gesundheit.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, Krebserkrankungen,
Schäden im Haltungs- und Bewegungsapparat, Leistungsabbau im Alter, aber
auch Depressionen kommen bei sportlich aktiven Personen seltener vor als bei
körperlich inaktiven Personen. Zwischen der zunehmenden Zahl dieser Erkran-
kungen in unserer Gesellschaft und der schwachen körperlichen Aktivität wird
daher auch ein direkter Zusammenhang gesehen. Sportmediziner weisen darauf
hin, dass sich in Deutschland zu wenig Menschen körperlich bewegen. Sport
wird als eine Freizeitgestaltung angesehen, die nur von einem bestimmten Per-
sonenkreis mit sportlichen Ambitionen wahrgenommen wird.
Gesundheitsorientierte Sportangebote geben die Chance zu einem eigenverant-
wortlichen Umgang mit der eigenen Gesundheit. Diese sprechen alle Menschen
an. Hierunter wird eine aktive, regelmäßige und systematische körperliche Be-
lastung verstanden mit dem Ziel, die Gesundheit sowohl somatisch als auch
psychosozial zu verbessern, zu erhalten oder wiederherzustellen. Mehr Bewe-
gung führt zu einer höheren Leistungsfähigkeit, größerer Gesundheitsstabilität
und höherer Zufriedenheit.

Drucksache 15/474 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Mit besonderer Sorge ist die mangelnde sportliche Aktivität bei Kindern ein-
hergehend mit oftmals falschen Ernährungsgewohnheiten zu sehen. Koordina-
tionsschwächen, motorische Leistungsschwächen und Adipositas sind die Fol-
gen, die zunehmend beobachtet werden. Jedes fünfte Kind gilt in Deutschland
als übergewichtig. So wird für die nächsten Jahre eine rasante Zunahme der
Erkrankung an Altersdiabetes auch schon im frühen Alter prognostiziert. Eine
Sensibilisierung der Gesellschaft ist dringend notwendig. Direkt angesprochen
werden müssen Eltern, Erzieher, Lehrer, Kommunen und Vereine. So fehlt bei-
spielsweise dem pädagogischen Konzept des Schulsports von heute der ge-
sundheitsorientierte Aspekt. Dabei läge hier eine Chance, Kindern im Sportun-
terricht, verstanden als praktische Gesundheitserziehung, gesundheitsbewusstes
Verhalten auch als lebenslange Grundeinstellung nahe zu bringen. Dies muss
schon im Kindergarten beginnen. Doch auch Schulhöfe und Schulwege müssen
so gestaltet sein, dass Kinder eine ausreichende Gelegenheit zur körperlichen
Bewegung erhalten. Durch eine verstärkte Kooperation von Schulen und Ver-
einen sollten mehr Kinder und Jugendliche dauerhaft beim Sport gehalten wer-
den können.
Ebenso liegen große Chancen der Prävention in der körperlichen Bewegung im
Alter. Weniger Unfälle, höhere Leistungsfähigkeit und geringerer körperlicher
Abbau sind wissenschaftlich erwiesene positive Aspekte, die der älteren Bevöl-
kerung eine höhere Lebensqualität bei stabilerer Gesundheit bieten.
Durch körperliches Training kann ebenfalls bei schon eingetretener Erkrankung
bzw. Behinderung, eine Verschlechterung verhütet, beziehungsweise das Leben
mit der Krankheit erleichtert werden (Rehabilitation). Körperliche Bewegung
als Medizin muss auch in diesem Zusammenhang stärker genutzt werden. Auch
wenn Krankenkassen die Notwendigkeit der Förderung von Prävention und Re-
habilitation erkannt haben, klagen betroffene Patienten über erhebliche Warte-
zeiten auf Rehabilitationsplätze im stationären Sektor zur so genannten An-
schlussheilbehandlung. Genehmigungsverfahren zur Kostenübernahme durch
die Krankenkassen sind auf Grund des Kostendrucks, der auf den Krankenkas-
sen lastet, langwieriger geworden. Dadurch entstehen schwer zu kalkulierende
Folgekosten für das Gesundheitswesen. Auch in diesem Bereich ist die Stär-
kung der Eigenverantwortung gefragt. Patienten werden in der Regel nach den
Therapiemaßnahmen in ihre gewohnte Lebenswelt entlassen. Die Patienten
müssen jedoch zu einer selbständigen und verantwortungsbewussten Verhal-
tensweise mit ihrer Krankheit bzw. Behinderung angeregt und zu einer dauer-
haften Veränderung ihres Lebensstils veranlasst werden. Die ambulanten Struk-
turen müssen in diesem Zusammenhang verbessert werden. Ambulante Rehabi-
litationsgruppen in enger Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten
und den Sportvereinen, wie es sie beispielsweise für Herzpatienten schon gibt,
müssen stärker etabliert werden.
ImWiderspruch stehen das Wissen um die Chancen des gesundheitsorientierten
Sports im Bereich der Prävention und Rehabilitation zu der tatsächlichen In-
anspruchnahme durch die breite Bevölkerung. Zu begrüßen sind Initiativen
„Sport pro Gesundheit“ und „Sport pro Reha“ des Deutschen Sportbundes ge-
meinsam mit der Bundesärztekammer, die durch eine Vergabe eines Qualitäts-
siegels eine Verknüpfung und Qualitätssicherung des vorhandenen Sportange-
botes mit der Arztpraxis suchen, sowie Modellvorhaben vieler sportmedizini-
scher Einrichtungen. Diese Initiativen müssen durch bundespolitische Impulse
intensiviert werden, damit sie zu flächendeckenden Angeboten werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
l bei der geplanten Reform des Gesundheitswesens Strukturen zu schaffen,

durch die den Versicherten im Rahmen der Prävention und der Rehabilita-
tion Anreize zu einem gesundheitsbewussten Verhalten gesetzt werden;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/474

l dafür Sorge zu tragen, dass die Krankenkassen den im Rahmen des in § 20
SGB V vorgegebenen Betrag von 2,56 Euro pro Versichertem für Prävention
und Selbsthilfe gezielter einsetzen und den gesundheitsorientierten Sport be-
rücksichtigen;

l die Kompetenzen für den gesundheitsorientierten Sport dem Bundesministe-
rium für Gesundheit und Soziale Sicherung klar zuzuordnen, damit dieser
Aspekt im Rahmen von Prävention und Rehabilitation auch politisch gebüh-
rend berücksichtigt werden kann;

l im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes das Thema der
körperlichen Bewegung und ihre Chance für Prävention und Rehabilitation
zu berücksichtigen;

l in Kooperation mit den Sport- und Heilmittelverbänden eine Aufklärungs-
kampagne zu starten, um über die positive Wirkung von körperlicher Bewe-
gung und die Risiken körperlicher Inaktivität aufzuklären;

l zu prüfen, wie durch eine Vernetzung von Kooperationen von niedergelas-
senen Ärzten und Heilmittelerbringern mit Sportvereinen die gesundheit-
liche Vorsorge und insbesondere Nachsorge von Rehapatienten verbessert
werden kann;

l im Rahmen der Aktivitäten zur Modernisierung des Bildungssystems das
pädagogische Konzept des Schulsports zu überarbeiten und Gesundheits-
erziehung einzubauen;

l die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Erzieherinnen und Erziehern sowie
Lehrerinnen und Lehrern auf diese Inhalte auszurichten;

l das schulische Umfeld – insbesondere auch bei dem geplanten Ausbau von
Ganztagsschulen – so anzulegen, dass die Schüler Gelegenheit zu täglicher
körperlicher Bewegung haben (Gestaltung der Schulhöfe – Pausensport);

l an die Bundesländer zu appellieren, für die entsprechende Infrastruktur zu
sorgen, damit genügendMöglichkeiten zur körperlichenBewegung bestehen;

l gemeinsam mit den Ländern und kommunalen Körperschaften den „Rah-
menplan zur Förderung des Seniorensports“ des Deutschen Sportbundes und
die Einrichtung der „Runden Tische für Bewegungsaktivitäten und Präven-
tivsport“ bei den Landkreisen und Kommunen zusammen mit dem Deut-
schen Sportbund und seinen Organisationen zu unterstützen;

l die Zusammenarbeit der Gesundheits- und der Sportminister der Länder zur
effektiven und effizienten Vernetzung von Gesundheit und Sport im Sinne
gesundheitsorientierter Sportangebote zu fördern;

l die systematische Qualitätsverbesserung gesundheitsorientierter Sportange-
bote zu fördern.

Berlin, den 19. Februar 2003
Detlef Parr
Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Dieter Thomae
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke

Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann (Homburg)
Jürgen Koppelin
Harald Leibrecht
Ina Lenke

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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