BT-Drucksache 15/4724

Kinderrechte in Deutschland stärken - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen

Vom 26. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4724
15. Wahlperiode 26. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Angelika Graf (Rosenheim),
Kerstin Griese, Sabine Bätzing, Ute Berg, Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann,
Renate Gradistanac, Gabriele Groneberg, Klaus Hagemann, Monika Heubaum,
Christel Humme, Klaus Werner Jonas, Karin Kortmann, Nicolette Kressl, Ute
Kumpf, Christine Lehder, Lothar Mark, Caren Marks, Dr. Sascha Raabe, Walter
Riester, Anton Schaaf, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter),
Karsten Schönfeld, Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Margrit Spielmann, Rita
Streb-Hesse, Hans-Jürgen Uhl, AndreasWeigel, HildegardWester, LydiaWestrich,
Jürgen Wieczorek (Böhlen), Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ekin Deligöz, Jutta Dümpe-Krüger, Volker Beck (Köln),
Irmingard Schewe-Gerigk, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinderrechte in Deutschland stärken –
Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 20. November 1989 beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen
das Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Damit wurden die Rechte von
Kindern erstmals verbindlich festgeschrieben. Die Konvention ist das am häu-
figsten gezeichnete Menschenrechtsdokument. In Deutschland trat die Kinder-
rechtskonvention am 5. April 1992 in Kraft.
Die Kinderrechtskonvention bedeutet nicht weniger als einen Paradigmenwech-
sel. Kinder werden nicht länger als das Objekt des Handelns Erwachsener gese-
hen, sondern als Träger eigener Rechte. Damit wird die Subjektstellung von Kin-
dern herausgestellt, die ihnen in der Gesellschaft eine neue Position verschafft.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, und sie sind nicht nur schutzbedürftige
Wesen, sondern sie sind entsprechend ihrem Alter und Entwicklungstand mit ih-
ren Bedürfnissen, Wünschen und Interessen ernst zu nehmen.
Die kinderpolitische Bilanz der Bundesregierung wird international allgemein
als hervorragend bewertet. Dies wurde auch bei der Anhörung zum 2. Staaten-
bericht zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention durch den UN-Ausschuss
für die Rechte des Kindes am 16. Januar 2004 in Genf deutlich. Bei der Anhö-
rung wurde Deutschland explizit eine Führungsrolle in Sachen Kinderpolitik
und Kinderrechte zugebilligt. Gleichzeitig machen die „Abschließenden Bemer-
kungen“, die der UN-Ausschuss am 30. Januar 2004 herausgab, jedoch deutlich,

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dass es auch für die Bundesrepublik Deutschland weiteren kinderpolitischen
Handlungsbedarf gibt.
In ihrem 2. Staatenbericht gab die Bundesregierung einen umfassenden Über-
blick darüber, wie Bund, Länder und Gemeinden sich in ihrem jeweiligen Be-
reich für die Rechte der Kinder und Jugendlichen einsetzen. Seit der Abgabe des
2. Staatenberichtes imMai 2001 hat es weitere kinderpolitische Verbesserungen
gegeben. Mit der Einrichtung seiner Kinderkommission hat sich der Deutsche
Bundestag dazu verpflichtet, den Belangen von Kindern und Jugendlichen im
parlamentarischen Verfahren eine vernehmbare Stimme zu geben. Die Bundes-
regierung setzt zudem darauf, Kinder und Jugendliche frühzeitig an politische
Entscheidungsprozesse heranzuführen bzw. sie daran zu beteiligen. Die Investi-
tionen in die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern wurden inten-
siviert. Und es wurden bzw. werden Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor
Gewalt bzw. gegen deren Ausbeutung und Missbrauch erarbeitet.
Der insgesamt positive Blick auf die Situation der Kinderrechte in Deutschland
wird jedoch durch die nach wie vor bestehende Vorbehaltserklärung, die die
Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonven-
tion im Jahr 1992 abgab, geschmälert. Die Erklärung besteht aus fünf Punkten.
Vier der fünf Punkte sind inzwischen mit Änderungen im Kindschaftsrecht so-
wie kind- und jugendgerechter Auslegung des Jugendstrafrechts im Sinne der
Kinderrechtskonvention geregelt worden bzw. werden mit dem Gesetzentwurf
zum Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten
Konflikten gerade geregelt.
Die Erklärung wird zwar in ihrem ausländerrechtlichen Teil (d. h. der vierte
Punkt der Erklärung) als Interpretationserklärung ohne Rechtsfolgen angesehen.
Dennoch leidet unter dem Festhalten an der Erklärung, das auf die ablehnende
Haltung der Mehrheit der Bundesländer zurückzuführen ist, die kinderpolitische
Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland. Die Erklärung zur UN-Kin-
derrechtskonvention wurde 1992 in Abstimmung mit den Bundesländern abge-
geben. Um die Rücknahme dieser Erklärung wird seit mehreren Jahren politisch
gerungen. Sie ist aus der Sicht des Deutschen Bundestages längst überfällig.
Dies wird umso deutlicher als nunmehr Artikel 2 Buchstabe i der EU-Richtlinie
über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsange-
hörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder Personen, die anderweitig inter-
nationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
(Richtlinie 2004/83/EG, ABl. EUNr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12) hin-
sichtlich der Einräumung einer besonderen Rechtsstellung für unbegleitete min-
derjährige Flüchtlinge eine Altersgrenze von 18 Jahren festlegt. Es besteht inso-
weit die gemeinschaftsrechtliche Pflicht, die Richtlinienvorgaben binnen zwei
Jahren in nationales Recht umzusetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die „Abschließenden Bemerkungen“ des UN-Ausschusses für die Rechte des

Kindes vom 30. Januar 2004 zum 2. Staatenbericht zur Umsetzung der Kin-
derrechtskonvention in Deutschland intensiv zu prüfen und auf dieser Basis
Vorschläge zur weiteren Verbesserung der Kinderrechte in Deutschland vor-
zulegen;

– in die Diskussionen über die „Abschließenden Bemerkungen“ auch die Län-
der und die Gemeinden sowie die Verbände einzubeziehen, um sicherzustel-
len, dass alle staatlichen Ebenen und auch die Zivilgesellschaft ihren Beitrag
zu mehr Kinderfreundlichkeit in Deutschland leisten;

– ihre erfolgreiche Informationspolitik zur Verbreitung der Kinderrechte fort-
zuführen, z. B. durch Übersetzungen der Kinderrechtskonvention in Spra-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4724

chen, die von vielen Kindern mit Migrationshintergrund gesprochen werden;
darüber hinaus sollte geprüft werden, wie die Konvention blinden Kindern
zugänglich gemacht werden kann;

– sich bei der Kultusministerkonferenz dafür einzusetzen, dass Kinderrechte
Teil der schulischen Curricula werden, da in der Schule alle Kinder erreicht
werden können;

– zu prüfen, für welche Berufsgruppen es sinnvoll und notwendig ist, ggf. in-
nerhalb von bestehenden Fortbildungsprogrammen Informationen über die
Konvention zu vermitteln, um für die Kinderrechte zu sensibilisieren und ihre
Anwendung zu unterstützen;

– die Möglichkeiten der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Ent-
scheidungen, die ihre Belange betreffen, auf allen staatlichen Ebenen und in
allen Lebensbereichen weiter zu stärken und die Entwicklung und Erprobung
neuer Formen der Beteiligung zu unterstützen;

– baldmöglichst den Nationalen Aktionsplan „Für eine kindergerechte Welt“
vorzulegen, mit dem die Beschlüsse des Weltkindergipfels der Vereinten Na-
tionen vom Mai 2002 umgesetzt werden können;

– das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über
die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, Kinderprostitu-
tion und Kinderpornografie zügig zu ratifizieren und in innerstaatliches
Recht umzusetzen;

– an die Landesregierungen erneut heranzutreten, um ihre Zustimmung zur
Rücknahme der Erklärung zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes
zu erwirken. Dabei sollte über eine öffentliche Diskussion aufgezeigt werden,
dass die kinderpolitische Glaubwürdigkeit Deutschlands insbesondere im in-
ternationalen Raum unter dem Festhalten an der Erklärung erheblich leidet;

– zu prüfen, inwieweit im Zuge der anstehenden Umsetzung europäischen
Rechts ungeachtet der politischen Rücksichtnahme auf die Länder der aus-
länderrechtliche Vorbehalt zurückgenommen werden könnte.

Berlin, den 26. Januar 2005
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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