BT-Drucksache 15/4722

Für ein stärkeres Engagement der Europäischen Union auf dem westlichen Balkan

Vom 25. Januar 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4722
15. Wahlperiode 25. 01. 2005

Antrag
der Abgeordneten Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Dr. Friedbert
Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Christian Schmidt (Fürth), Peter Hintze,
Dr. Christian Ruck, Hermann Gröhe, Dr. Wolfgang Bötsch, Anke Eymer (Lübeck),
Erich G. Fritz, Holger Haibach, Siegfried Helias, Joachim Hörster, Volker Kauder,
Dr. Gerd Müller, Claudia Nolte, Ruprecht Polenz, Dr. Klaus Rose, Volker Rühe,
Anita Schäfer (Saalstadt), Bernd Schmidbauer, Dr. Andreas Schockenhoff,
Dr. Hans-Peter Uhl, Arnold Vaatz, Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion
der CDU/CSU

Für ein stärkeres Engagement der Europäischen Union auf dem westlichen
Balkan

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der westliche Balkan ist Teil Europas. Dauerhafte Stabilität auf diesem Teil un-
seres Kontinents durch die Verwirklichung seiner europäischen Perspektive und
die Integration der Staaten in die euroatlantischen Strukturen sind zwei der
wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Aufgaben der EU.
Eine Politik des mutlosen Verharrens im Status quo, wie sie die Bundesregie-
rung betreibt, ist auf Dauer nicht hinnehmbar, sie zementiert hohe entwick-
lungspolitische und militärische Kosten, fördert die Profiteure anhaltender
Instabilität und hemmt die politische Eigenverantwortung der Menschen und
Staaten der Region.
Dem ist ein Ansatz entgegenzustellen, der ein verstärktes, zielgerichtetes und
berechenbares europäisches Engagement in eine plausible Annäherungsstrate-
gie an die Europäische Union einordnet und mit der sukzessiven Übernahme
von Eigenverantwortung und der Vermeidung neuer und weiterer Spaltungen in
der Region verbindet.
Um dieses Ziel zu erreichen, muss Europa
– politisch und militärisch stärker Verantwortung übernehmen. Die EU sollte

die zentrale Rolle im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit mit den
Ländern des westlichen Balkans wahrnehmen;

– seine Partnerschaftsinstrumente mit den Ländern effizienter gestalten und
zielführender auf deren Annäherung an die EU und ihre zukünftige Mit-
gliedschaft ausrichten;

– die Strukturen der EU dergestalt weiterentwickeln, dass genügend Flexibi-
lität geschaffen wird, um bei Einbeziehung der Staaten des westlichen
Balkans die nötige Effizienz zu erhalten.

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Dabei sollte die Europäische Union ihr Engagement auf dem westlichen Balkan
in enger Kooperation mit allen gestalten, die an einer gedeihlichen Entwicklung
der Region Interesse haben, insbesondere mit den USA sowie mit Russland.
Die Wahrung von Stabilität auf diesem Teil des eigenen Kontinents ist die
zentrale Bewährungsprobe für die EU und ihre Fähigkeit, sich in atlantischer
Partnerschaft für Sicherheit und faire Entwicklung zu engagieren.
Nach jahrelangem Krieg, Bürgerkrieg, Vertreibungen mit mehreren hunderttau-
send Toten und weit über 2 Millionen Vertriebenen hat sich die Region des
westlichen Balkans in der letzten Zeit positiv entwickelt. In einzelnen Ländern
sind deutliche Fortschritte bei der Stärkung von Frieden und Herstellung von
demokratischen Strukturen, bei der wirtschaftlichen Entwicklung und regiona-
len Zusammenarbeit erreicht worden. Ein Ausdruck dafür ist, dass mehr als
eine Million Flüchtlinge wieder in ihre Heimatregion zurückgekehrt sind. Die
Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien im März 2005 verdeut-
licht, dass eine europäische Perspektive als Antriebskraft für zukunftsgerichtete
Reformentwicklungen in der Region zu wirken vermag. Diese Fortschritte wur-
den nicht zuletzt durch die gute politische und militärische Zusammenarbeit
von Europäern und Amerikanern erreicht, die ein Beispiel für erfolgreiche tran-
satlantische Kooperation ist.
Der militärische Beitrag von NATO und Europäischer Union hat deutlich zur
Stabilisierung der Region beigetragen. In Mazedonien hat das schnelle Handeln
beider Institutionen das Ausbrechen eines ethnischen Konfliktes verhindert. In
Bosnien und Herzegowina konnte die Militärpräsenz von ursprünglich 60 000
Soldaten auf derzeit 7 000 Soldaten reduziert und die Führung des Stabili-
sierungseinsatzes auf die EU übertragen werden. Auch im Kosovo wurde die
Anzahl der Soldaten reduziert. Allerdings ist in beiden Ländern auch weiterhin
internationale Militär- und Polizeipräsenz zur Stabilisierung erforderlich.
In einzelnen Ländern wird eine weitere politische und wirtschaftliche Stabilisie-
rung und Entwicklung zum Teil erheblich erschwert durch ungelöste politische
Statusfragen, ethnische Konfliktpotenziale, unzureichende Strukturreformen,
unterentwickelte marktwirtschaftliche Institutionen, mangelnde Rechtssicher-
heit, organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Korruption.
Diese Konfliktpotenziale stellen große Risiken für Frieden und Stabilität in der
gesamten Region dar. Europa wäre von einemWiederaufflammen der Konflikte
ebenso direkt betroffen wie von den Konsequenzen, sollte sich die Region zu
einer dauerhaften Drehscheibe von Kriminalität entwickeln. Die erfolgreiche
Bewältigung dieser Herausforderung liegt deshalb im europäischen Sicher-
heitsinteresse. Europa stellt den größten Anteil der Stabilisierungskräfte. Es hat
ein nachhaltiges Interesse daran, dass die politischen Voraussetzungen dafür ge-
schaffen werden, dass die Militär- und Polizeikräfte weiter reduziert werden
können.
Die Europäische Union hat den Staaten des westlichen Balkans eine EU-
Beitrittsperspektive gegeben, die ein wichtiger Anreiz für die Entwicklung von
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft in diesen Ländern ist. Die
dafür erforderlichen politischen, gesellschaftlichen, rechtsstaatlichen und wirt-
schaftspolitischen Reformen müssen von diesen Ländern selbst unternommen
werden, die Erfüllung der vereinbarten Bedingungen und Kriterien bleibt un-
verzichtbar. Allerdings hat die EU für den Prozess besondere Mitverantwortung
übernommen, der sie gezielter und wirksamer gerecht werden muss. Nach der
im Mai 2004 erfolgten Erweiterung und nach einer Aufnahme Bulgariens,
Rumäniens und Kroatiens in die Europäische Union besteht die Gefahr, dass
sich insbesondere die wirtschaftlichen Unterschiede in der Region zwischen

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den derzeitigen und künftigen EU-Mitgliedern vergrößern. Dem muss mit
einem stärkeren Engagement der Europäischen Union zugunsten der Gesamt-
region und durch eine Intensivierung der nachbarschaftlichen Zusammenarbeit
entgegengewirkt werden.
Im Vorfeld des richtungsweisenden Jahres 2005 (zehn Jahre Dayton-Abkom-
men, aber auch zehn Jahre nach Srebrenica, Überprüfung der Standards im
Kosovo, die anstehende Überprüfung der Staatenunion Serbien und Montene-
gro, erste Parlamentswahl in Albanien seit 1997, Aufnahme von Beitrittsver-
handlungen zwischen der EU und Kroatien) muss dem Prozess der Annäherung
der Staaten der Region an die Europäische Union besonderer Nachdruck verlie-
hen werden, damit das auf dem Gipfel in Thessaloniki vom 19./20. Juni 2003
formulierte Fernziel der Integration der Region in die Europäische Union er-
reichbar bleibt.
Der Deutsche Bundestag hält deshalb deutliche Korrekturen an der Politik der
internationalen Gemeinschaft und an ihren Strukturen und eine Überprüfung
der bisherigen Schwerpunktsetzung für erforderlich. Dabei muss bedacht wer-
den, dass Programme für die Entwicklung des westlichen Balkans individuell
auf konkrete Länder zugeschnitten werden müssen, gleichzeitig aber den Inter-
dependenzen in der Region als Ganzes Rechnung zu tragen ist.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– Serbien und Montenegro nachdrücklich zu ermutigen, die Anstrengungen zu

verstärken, um möglichst bald die Voraussetzungen für die Verwirklichung
der EU-Perspektive erfüllen zu können. Die Europäische Union hat ein
besonderes Interesse an einer schnellen und deutlichen Stärkung von Demo-
kratie und Marktwirtschaft in Serbien und Montenegro und sollte diese
gezielter als bisher unterstützen. Dazu muss der baldige Abschluss eines
gemeinsamen Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens gehören, das
der spezifischen Situation der Staatenunion – u. a. durch zwei Protokolle
zum Wirtschaftsraum – Rechnung tragen muss;

– sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass die EU ein demo-
kratisch zustande gekommenes Ergebnis der im Belgrader Abkommen vom
14. März 2002 vorgesehenen Überprüfung der gemeinsamen Zukunft von
Serbien und Montenegro akzeptiert und ihre Unterstützung bei der Um-
setzung der getroffenen Entscheidung zusichert mit dem Ziel der Aufrecht-
erhaltung und Stärkung der Stabilität in der Region;

– sich im Rahmen der Europäischen Union um eine Unterstützung Serbiens
beim Aufbau von Infrastruktur und Siedlungsmöglichkeiten für serbische
Flüchtlinge aus dem Kosovo zu bemühen, die nicht in das Kosovo zurück-
kehren möchten;

– mit allem Nachdruck Serbien zur Zusammenarbeit mit dem Internationalen
Strafgerichtshof in Den Haag zu bewegen, was Voraussetzung für eine
engere Einbeziehung in die euroatlantischen Strukturen – wie beispielsweise
die Aufnahme in das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ (PFP) – sein
muss;

– die demokratischen Kräfte Serbiens zu einer verstärkten Zusammenarbeit
und einer entschiedeneren Reformpolitik zu ermuntern. Dazu gehört auch
die baldige Verabschiedung einer neuen Verfassung für das demokratische
Serbien;

– daran festzuhalten, dass Mitte 2005 Gespräche über den künftigen Status des
Kosovo geführt werden, indem zunächst überprüft wird, ob dafür substanti-
elle Fortschritte bei der Erfüllung der prioritären Standards wie insbesondere
Sicherheit, Minderheitenschutz, Flüchtlingsrückkehr, Dezentralisierung und

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Bewegungsfreiheit erzielt wurden. Die Erfüllung von Standards schafft
Status. Eine Änderung im Status muss zur Stabilität der gesamten Region
und insbesondere auch von Serbien und Montenegro beitragen. Eine Rück-
kehr zu einem Status aus der Zeit vor 1999 ist ebenso auszuschließen wie
eine sofortige Unabhängigkeit des Kosovo;

– in diesem Zusammenhang eine Strategie vorzulegen, wie im Prozess einer
Übertragung von UNMIK-Verantwortlichkeiten auf die provisorische Selbst-
verwaltungseinrichtung des Kosovo beziehungsweise auf regionale Organi-
sationen die Europäische Union eine zentrale Rolle wahrnehmen kann, die
eine Beseitigung von Doppelstrukturen gewährleistet und mehr Effizienz
schafft. Den Kosovaren sollten entsprechend der Erfüllung der Standards
schrittweise alle Rechte und Pflichten übertragen werden mit Ausnahme der
Zuständigkeit für die Außen- und Verteidigungspolitik;

– eine internationale Sicherheitspräsenz bleibt notwendig, bis selbsttragende
Strukturen sicherheitspolitischer Stabilität in der Region etabliert sind. Europa
sollte Bereitschaft zeigen, hierbei eine stärkere Verantwortung zu über-
nehmen. Zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der Sicherheitspräsenz ist
eine deutlich verbesserte Kooperation zwischen UNMIK bzw. einer sie
ersetzenden Struktur, KFOR und Polizei notwendig. Gerade für Aufgaben
der präventiven und reaktiven Abwehr von Aufständen und gewalttätigen
Ausschreitungen müssen Zuständigkeiten und Auftrag besser geregelt
werden;

– die Albaner im Kosovo zu mahnen, dass demokratische Standards nicht
allein über die Existenz und Funktion demokratischer Institutionen erreicht
werden, sondern auch davon abhängen, inwieweit sich die verantwortlichen
Politiker zum friedlichen multiethnischen Zusammenleben bekennen und
bereit sind, sich mit allen rechtsstaatlichen Mitteln für ein demokratisches,
friedliches und multiethnisches Kosovo einzusetzen;

– besondere Anstrengungen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung
des Kosovo zu unternehmen. Die EU muss hier ihrer Verantwortung wirksa-
mer gerecht werden. Um die hohe Arbeitslosigkeit von mindestens 60 Prozent
abzubauen und das Rekrutierungspotenzial für das organisierte Verbrechen zu
verringern, sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie die Privatisierung
von Unternehmen dringend erforderlich. Außerdem müssen alle rechtlichen
Hürden beseitigt werden, die der Privatisierung der sog. volkseigenen Be-
triebe im Weg stehen;

– gezielter als bisher müssen Defizite wie stockende Strukturreformen, schwa-
che oder fehlende marktwirtschaftliche Institutionen und unterentwickelte
Infrastrukturen ausgeräumt werden. Zudem muss, um die Investitionsbereit-
schaft zu erhöhen, von der internationalen Gemeinschaft für interessierte
Unternehmen die Möglichkeit von Investitionsbürgschaften geschaffen wer-
den. Ein besonderes Augenmerk ist der Herstellung von Rechtsstaatlichkeit
und Rechtssicherheit zu widmen, die zu den Grundvoraussetzungen für jede
nachhaltige Entwicklung auch im Kosovo zählt;

– zur Sicherung der multiethnischen Zukunft des Kosovo die Institutionen der
provisorischen Selbstverwaltungseinrichtung nachdrücklich zu drängen,
alles zu tun, damit die Sicherheit und Bewegungsfreiheit der Minderheiten
voll gewährleistet wird. Dies gilt vor allem auch für den ungehinderten
Zugang zu den religiösen Stätten und Einrichtungen. Auch ist der Dezentra-
lisierungsprozess seitens dieser Institution entschieden voranzutreiben. Die
Effizienz der Gemeindeverwaltungen muss durch die Erweiterung der
Selbstverwaltungsrechte einschließlich von Fragen der Sicherheit gestärkt
werden;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/4722

– alles zu tun, damit die EU-geführte Operation ALTHEA erfolgreich zur wei-
teren Stabilisierung und Befriedung von Bosnien und Herzegowina beiträgt.
Die Übernahme dieser Sicherheitspräsenz von der NATO ist ein weiteres
Beispiel für die Bereitschaft der Europäischen Union, sich stärker und mit
größerer Verantwortung in Bosnien und Herzegowina zu engagieren, nach-
dem sie bereits im Januar 2003 mit der Europäischen Polizeimission
(EUPM) erfolgreich die Nachfolge der UN-Polizeimission angetreten hatte.
ALTHEA ist zugleich Ausdruck vorbildlicher Zusammenarbeit von Europä-
ischer Union und NATO im Rahmen der sog. Berlin-Plus-Vereinbarung;

– ein Konzept vorzulegen, wie die Entscheidungsverantwortung der Verfas-
sungsorgane in Bosnien und Herzegowina nachhaltig gestärkt und die
Kompetenzen des Hohen Repräsentanten im Zuge dessen reduziert und
europäisiert werden können. Die Aufgaben und Kompetenzen des Hohen
Repräsentanten sollten spätestens mit den Wahlen im Jahr 2006 auf den EU-
Sondergesandten übergehen. Der Hohe Repräsentant/EU-Sondergesandte
sollte sich in der Ausübung der sog. Bonn-Powers beschränken. Seine Rolle
und Kompetenzen müssen enden, wenn das Daytoner Friedensabkommen
durch einen selbsttragenden Verfassungsprozess abgelöst wird;

– gemeinsam mit den europäischen Partnern die bosnische Seite nachdrück-
lich zu drängen, mehr Engagement, Dynamik und Eigenverantwortung bei
der Entwicklung von Reforminitiativen, bei der Gesetzesarbeit, bei dem Be-
mühen um demokratische Kompromissfindung sowie bei der Umsetzung
von Gesetzen und Vereinbarungen zu entwickeln. Vorrangig sind neben der
Stärkung der staatlichen Strukturen die Bekämpfung der organisierten Kri-
minalität, die Reform der Finanzstrukturen und der Aufbau eines einheit-
lichen Wirtschaftsraumes. Dies sind unverzichtbare Voraussetzungen, um
einerseits auf demWeg in die Europäische Union – mit dem Abschluss eines
Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens als nächsten Schritt – voran-
zukommen und andererseits die Privatinitiative und dringend benötigte aus-
ländische Investitionen zu fördern;

– sich für eine Reform der staatlichen Strukturen in Bosnien und Herzegowina
einzusetzen. Zur Stärkung des bisher nur schwach ausgebildeten landes-
weiten staatsbildenden Prozesses sowie zur Beseitigung ineffizienter kosten-
intensiver Doppelstrukturen sollte der Aufbau eines föderalen Systems ein-
geleitet werden. Im Rahmen dieses Verfassungsgebungsprozesses sollten die
gesamtstaatliche sowie die kommunale Ebene gestärkt werden, indem die
Entitäten abgeschafft und auf regionaler Ebene autonome Regionen aus den
bereits in der bosnisch-kroatischen Föderation bestehenden Kantonen sowie
der Republik Srpska und des Distrikts Brcko gebildet werden. Dieser Pro-
zess muss – unterstützt vom Hohen Repräsentanten/EU-Sondergesandten –
lokal und von allen Bevölkerungsgruppen getragen werden;

– mit den EU-Partnern Bosnien und Herzegowina in seinem Bemühen um
Verbesserung einer – trotz positiver Entwicklungen – weiterhin äußerst fra-
gilen Wirtschaftslage gezielter zu unterstützen. Dies gilt insbesondere für die
Entwicklung eines modernen ländlichen Raumes, durch die für viele Fami-
lien, Rückkehrer und Kleingewerbebetriebe neue Existenzen geschaffen
werden können. Das gilt weiterhin für den Neuaufbau des Tourismus. Eine
wesentliche Rahmenbedingung für den Erfolg dieser Zielsetzungen ist, dass
die Beseitigung der mehr als eine Million Minen – mit entsprechender finan-
zieller Unterstützung durch die EU – deutlich beschleunigt wird. Zudem
muss das Exportpotenzial insbesondere im Energiebereich, wo sich Bosnien
und Herzegowina als bedeutendster Energieexporteur der Region entwickeln
kann, besser genutzt werden;

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– entschiedener als bisher von den Verantwortlichen in Bosnien und Herze-
gowina eine bessere Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertri-
bunal einzufordern. Fortschritte bei der Integration in die euroatlantischen
Strukturen – wie beispielsweise die Aufnahme in das Programm „Partner-
schaft für den Frieden“ (PFP) – kann es nur geben, wenn die Verfolgung von
Kriegsverbrechern im gesamten Gebiet von Bosnien und Herzegowina
ernsthaft vorangetrieben wird;

– Mazedonien weiterhin eine klare europäische Perspektive aufzuzeigen, um
den Prozess der inneren Konsolidierung des Landes zu verstetigen. Aller-
dings müssen auf dem Wege zur beantragten EU-Mitgliedschaft noch
gravierende Defizite im Bereich Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Markt-
wirtschaft seitens der mazedonischen Führung beseitigt werden. Insbeson-
dere geht es darum, die Rahmenbedingungen für Investoren zu verbessern,
z. B. durch Abbau der überbordenden Bürokratie und Vereinfachung der
Zollbedingungen;

– mit Nachdruck die Umsetzung und Implementierung des Abkommens von
Ohrid durch die mazedonische Regierung zu unterstützen. Das Gesetz über
die Gemeindegebietsreform zur Umsetzung der im Rahmenabkommen vor-
gesehenen Dezentralisierung und territorialen Neuordnung darf keine neuen
ethnischen Probleme schaffen;

– Albanien schnellstmöglich dazu zu bewegen, Strukturreformen, Verbesse-
rungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie Maßnahmen zur
Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität umzusetzen, da-
mit die Verhandlungen für ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen
mit der EU zielgerichtet fortgeführt werden können. Die Durchführung
freier und fairer Parlamentswahlen im kommenden Jahr sind mitentschei-
dend für die weitere europäische Integration des Landes;

– sich dafür einzusetzen, dass der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess
(SAP) der Europäischen Union als die zentrale Strategie gegenüber den
Staaten des westlichen Balkans zur Verwirklichung der Beitrittsperspektive
den veränderten politischen Rahmenbedingen angepasst und effizienter ge-
staltet wird: Im SAP sollten gezielter als bisher Wachstum und Wohlstand
sowie die Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaften der Westbalkan-Staa-
ten gefördert werden (insbesondere durch Investitionen in Verkehr und
Umwelt, Unternehmensentwicklung, Bildung, Forschung und Technologie).
Die finanzielle Unterstützung sollte künftig durch einen administrativ leich-
ter handhabbaren Kohäsionsfonds für den westlichen Balkan erfolgen. Bei
der Vergabe der Hilfen sollte künftig stärker darauf geachtet werden, lokale
Expertise und institutionelle Kapazitäten besser auszuschöpfen;

– die Zusammenarbeit im Rahmen des SAP stärker als bisher an die Verpflich-
tung der Länder des westlichen Balkans zu einer engen regionalen Koopera-
tion zu verbinden. Der Stabilitätspakt in seiner komplementären Rolle zum
Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess muss seine spezifischen – auch
europäischen – Möglichkeiten zur Förderung der regionalen Zusammen-
arbeit verstärken – insbesondere für die Schaffung einer Freihandelszone,
eines regionalen Energiemarktes oder bei der grenzüberschreitenden Be-
kämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption. Die Bundesregie-
rung wird aufgefordert, ein Konzept zu entwickeln, wie die Aufgaben des
Stabilitätspaktes schrittweise in die Verantwortung der Region übertragen
werden können. Ziel der Stabilisierung muss es auch sein, dem anhaltenden
sog. BrainDrain entgegenzuwirken. Die Bundesrepublik Deutschland sollte
auch über das Jahr 2006 hinaus einen substanziellen bilateralen Beitrag zur
Finanzierung von Projekten im Rahmen des Stabilitätspaktes leisten;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/4722

– sich mit den Partnern in der EU dafür einzusetzen, dass die EU ihrer Verant-
wortung gegenüber dem westlichen Balkan und unserem Interesse an seiner
dauerhaften Stabilität durch die Verwirklichung der europäischen Perspek-
tive der Region gerecht wird und bereit ist, durch Übernahme größerer Ver-
antwortung im politischen und militärischen Bereich die zentrale Rolle in
der Region wahrzunehmen sowie dafür Sorge zu tragen, dass diese Politik in
enger Abstimmung insbesondere mit den USA sowie mit Russland ent-
wickelt wird.

Berlin, den 25. Januar 2005
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Wolfgang Schäuble
Christian Schmidt (Fürth)
Peter Hintze
Dr. Christian Ruck
Hermann Gröhe
Dr. Wolfgang Bötsch
Anke Eymer (Lübeck)
Erich G. Fritz
Holger Haibach
Siegfried Helias
Joachim Hörster
Volker Kauder
Dr. Gerd Müller
Claudia Nolte
Ruprecht Polenz
Dr. Klaus Rose
Volker Rühe
Anita Schäfer (Saalstadt)
Bernd Schmidbauer
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Hans-Peter Uhl
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