BT-Drucksache 15/4431

Bessere Rahmenbedingungen für die Charta für Holz

Vom 1. Dezember 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4431
15. Wahlperiode 01. 12. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann,
Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Birgit Homburger, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern),
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Bessere Rahmenbedingungen für die Charta für Holz

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Seit 1984 erstellt die Bundesregierung in jedem Jahr den Waldzustandsbericht.
In einem repräsentativen Verfahren wird auf dem bundesweiten 16 × 16 km-
Netz der Kronenzustand der Bäume erfasst und den vier Schadstufen zuge-
ordnet. Bereits seit 1990 werden die Wälder aller Bundesländer untersucht. Im
Schnitt der letzten 15 Jahre schwankt der Flächenanteil, auf dem die Bäume
deutliche Schäden aufweisen um 30 Prozent, der Flächenanteil, auf dem die
Bäume keine Schäden zeigen um 25 Prozent. Damit liegt in Deutschland der
Anteil der Bäume, die Schäden aufweisen, leicht über dem europäischen
Durchschnitt.
Inzwischen sind in Presseberichten einzelne Ergebnisse der letzten Waldscha-
densinventur dargestellt worden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Waldschäden
deutlich größer sind als in den vorangegangenen Jahren. Die von Bundesminis-
terin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, im
vergangenen Jahr getroffene Aussage, dass eine Trendumkehr erreicht wurde,
ist falsch. In diesem Jahr soll der Anteil der am meisten geschädigten Bäume
inzwischen sogar 31 Prozent betragen, während deren Anteil in den vergange-
nen Jahren bei etwa 23 Prozent gelegen hat.
Die verschiedenen Baumarten zeigen unterschiedliche Schädigungen. Die
Fichte (Picea abies) ist die häufigste Baumart in Deutschland und wächst auf
einem Drittel der Waldfläche. Die Schäden sind leicht rückläufig, 2003 wurden
auf 30 Prozent der Fläche keine Schäden gefunden. Die Kiefer (Pinus sylvestris)
ist die zweithäufigste Baumart (Flächenanteil 28 Prozent) und zeigt die gerings-
ten Schäden (2003: ohne Schäden: 34 Prozent). Die Buche (Fagus sylvatica) ist
die wichtigste Laubbaumart (Flächenanteil: 14 Prozent), der Anteil der geschä-
digten Bäume steigt, 2003 waren nur 24 Prozent ohne Schäden. Die bei der
Eiche (Quercus robur und Quercus petraea), der zweitwichtigsten Laubbaumart
(Flächenanteil 9 Prozent) registrierten Schäden steigen ebenfalls, 2003 lag der
Flächenanteil mit nicht geschädigten Bäumen bei nur 17 Prozent.

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Die wesentliche Ursache für die beobachteten Schädigungen der Waldbäume
sind die Schadstoffeinträge der letzten Jahrzehnte. Insbesondere die Einträge an
Schwefeldioxid aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, an Stickstoffoxiden
aus dem Verkehr und an Ammoniak aus der landwirtschaftlichen Produktion
haben eine Versauerung der Böden, eine Minderung des pH-Werts, bewirkt, die
die Bodenökologie verändert und zum Absterben der Feinwurzeln der Bäume,
zur Auswaschung von Pflanzennährstoffen wie Magnesium und dem Austrag
von toxisch wirkenden Metallen ins Grundwasser geführt hat.
Jede weitere Minderung der Schadstoffeinträge ist im Interesse des Waldes
sinnvoll, aber sie kann nicht die Einträge der vergangenen Jahrzehnte rück-
gängig machen. Diese sind nach den Aussagen der Waldzustandsberichte der
vergangenen Jahre die wesentliche Ursache der Waldschäden. Eine weitere Ur-
sache ist ein hoher Ozongehalt der Luft. Größere Veränderungen des Waldscha-
densbildes der letzten Jahre wurden von Witterungsschwankungen verursacht.
Trockene Sommer wie in den Jahren 2002 und 2003 schädigen insbesondere
die Laubbäume. Das vermehrte Auftreten trockener Sommer kann möglicher-
weise auf einen sich abzeichnenden Klimawandel zurückgeführt werden.
Der Versauerung von Böden kann durch Bodenschutzkalkungen entgegenge-
wirkt werden. Der Waldzustandsbericht 2003 bezeichnet die Bodenschutz-
kalkung als eine zentrale Vorsorgemaßnahme. Die Bundesministerin für Ver-
braucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, hat nach
Presseberichten ebenfalls Bodenschutzkalkungen gefordert. Im Jahr 2003 wur-
den nach amtlichen Zahlen Bodenschutzkalkungen auf nur etwa 100 000 Hek-
tar, d. h. nur auf etwa einem Prozent der Gesamtwaldfläche durchgeführt, in
2004 auf etwa 80 000 Hektar. Für 2005 weisen die Planungen einen weiteren
Rückgang aus. Damit ist fraglich, ob Bodenschutzkalkungen im erforderlichen
Umfang in Deutschland durchgeführt werden.
Etwa 60 Prozent der Wälder in Deutschland sind vom pan-europäischen Holz-
und Forstzertifizierungssystem (PEFC) zertifiziert. PEFC gestattet Boden-
schutzkalkungen zur Abwehr einer anthropogen bedingten Versauerung. Der
von der Bundesregierung finanziell geförderte Forstzertifizierer Forest Ste-
wardship Council (FSC) erlaubt Bodenschutzkalkungen erst ab einem pH-Wert
von 4,2, und dies unabhängig von dem im Boden natürlicherweise und ohne
anthropogen verursachte Schadstoffeinträge gegebenen pH-Wert. Dadurch wer-
den die imWaldzustandsbericht der Bundesregierung geforderten vorsorgenden
Bodenschutzkalkungen in vielen FSC-zertifizierten Wäldern verhindert.
Der Waldzustandsbericht des Jahres 2003 stellt fest, dass der Kronenzustand
der Bäume ein sehr unspezifisches Merkmal ist, das vielfältige Umweltein-
flüsse abbildet. Daher ist es nicht möglich, durch die Bewertung des Kronen-
zustands der Bäume die spezifische Ursache von jährlichen Veränderungen des
Waldzustands festzustellen.
Die kürzlich vorgestellte Bundeswaldinventur II hat gezeigt, dass Deutschland
über enorme Holzvorräte im Wald verfügt. Von dem jährlichen Zuwachs wer-
den derzeit lediglich rund 50 Prozent genutzt (zum Vergleich: Finnland nutzt
nachhaltig rund 95 Prozent seines Jahreszuwachses).
In der Charta für Holz hat die Bundesregierung gemeinsam mit wichtigen ge-
sellschaftlichen Gruppen eine Steigerung der Verwendung des Rohstoffes Holz
aus heimischer nachhaltiger Waldwirtschaft vereinbart. Sie hat festgestellt, dass
die verstärkte Verwendung des Rohstoffes Holz für die Gesellschaft „klima-,
energie-, umwelt-, und ressourcenpolitisch vorteilhafte Wirkungen erzielt, für
die forst- und holzwirtschaftlichen Betriebe die wirtschaftliche Situation ver-
bessert sowie Arbeitsplätze gesichert und neue geschaffen werden können.“
Holz ist ein Rohstoff mit hervorragenden Eigenschaften, dessen vielseitige Ver-
wendungsmöglichkeiten in Deutschland nicht genügend Beachtung finden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4431

Um eine Steigerung der Holznutzung zu erzielen, müssen die Rahmenbedin-
gungen für die Nutzung von Holz und das Ansehen des Werkstoffes Holz
verbessert werden. In Deutschland hat Holz beim Bau von Ein- und Zwei-
familienhäusern nur einen Anteil von etwa 15 Prozent, in Österreich sind dies
35 Prozent, in Finnland 50 Prozent und in den USA 95 Prozent (nach Charta für
Holz, Verband deutscher Papierfabriken (VDP)). Ursache dafür sind rechtliche
Vorschriften, die die Verwendung von Holz im Hausbau erschweren, und die
fehlende Ausbildung verschiedener Akteure in der Baubranche. Die hohen
Bereitstellungskosten für Holz machen für Privatwaldbesitzer die Holzernte
unattraktiv. Deshalb sind die Holzvorräte im Privatwald besonders hoch. Die
Holzpreise in Deutschland sind weiter rückläufig; sie befinden sich zurzeit auf
dem Holzpreisniveau vom Anfang der 90er Jahre. Eine Steigerung der Holz-
preise ist nicht zu erwarten. Um die Attraktivität der Nutzung von Holz zu stei-
gern, müssen daher die Bereitstellungskosten gesenkt, das heißt, Einschlag und
Transport kostengünstiger organisiert werden.
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen der Holzwirtschaft
in Deutschland werden in einem Gutachten, das in der Schweiz erstellt wurde,
in wichtigen Punkten negativ bewertet (Struktur- und Potentialanalyse, Studie:
Dr. Bernhard Pauli, J. Pöyry, Management Consulting, Freising, 2003). Der
europaweite Vergleich der Investitionsbedingungen in der Nutzholzwirtschaft
weist für Deutschland ungenügende bzw. mangelhafte Noten für die Bereiche:
Bürokratie, Unternehmerfreiheit und Reglementierungen, insbesondere im
Umweltbereich aus. Auch die Rohstoffversorgung wird nur als ausreichend, da-
gegen werden Stabilität, Sicherheit und Infrastruktur als sehr gut, bewertet.
Nach dieser Studie stellt weiterhin der sehr hohe Personalkostenanteil im Ver-
gleich zu den Nachbarländern einen erheblichen Nachteil dar. Deutschland be-
legt unter den EU-Staaten zuzüglich USA und Japan den ersten Platz bei den
Lohnkosten pro Stunde. Das Steuersystem wird als sehr komplex eingeschätzt.
Besondere Probleme bereiten die Reglementierungen im Transportbereich: Das
in Deutschland zulässige Gesamtlastzuggewicht beträgt 40 Tonnen, während in
Österreich 44, in Frankreich 52 und in Schweden und Finnland, beim Transport
mit sechsachsigen Schleppern, 60 Tonnen (nach Angaben des Deutschen Holz-
wirtschaftsrates, 2004) erlaubt sind. Das bedeutet, dass in Deutschland beim
Holztransport die erlaubten Nutzlasten um fast 50 Prozent unter denen in an-
deren Mitgliedsländern liegen. Da die Transportkosten etwa ein Drittel der
Gesamtkosten der Bereitstellung von Holz verursachen, bedeutet dies für hei-
mische Betriebe eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung. Diese Einschränkung
kann nicht mit der Straßenabnutzung begründet werden, da die auf die Straße
wirkende Kraft bei Rundholz-Zügen deutlich geringer ist als bei Speditionssat-
telzügen. Die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen und
Bayern hatten nach dem verheerenden Orkan „Lothar“ eine Ausnahmegeneh-
migung für Holztransporte (vom 15. Januar 2000 bis 31. März 2002) erteilt.
Diese Genehmigung, die vom Bundesverkehrsministerium geduldet wurde, er-
laubte Holztransporte mit einem Lastzuggewicht von 46 Tonnen. Wie erwartet,
führte dies zu keinerlei Problemen.
Unter den Holzvorräten befindet sich ein großer Anteil von Starkholz, das
aufgrund der modernen Sägewerkstechnologie nur in geringem Umfang nach-
gefragt wird. Eine intensivere Forschung und Entwicklung im Bereich hoch-
wertiger Holzprodukte aus Starkholz könnte weitere Investitionen und damit
die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Zukunftsbranchen Forst- und Holz-
wirtschaft initiieren.
Die derzeit noch im Entwurfsstadium befindliche „Verordnung zur Anpassung
der Gefahrstoffverordnung an die Richtlinie EG 98/24“ sieht vor, die bereits
bestehenden zum Umgang mit Holzstaub von Eiche und Buche auf alle Hart-
holzstäube auszudehnen. Dies würde zu einer deutlichen Kostensteigerung für

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die holzverarbeitende Industrie in Deutschland führen. Wissenschaftlich ge-
sehen ist eine Einteilung von Hölzern in „Hartholz“ und „Weichholz“ nicht
haltbar. Nach einer Forschungsstudie vom IARC (International Agency for
Research on Cancer, Bd. 62, 1996/97) wurden 31 unterschiedliche Holzarten-
Stäube auf epidemiologisch krebserzeugende Eigenschaften hin untersucht.
Neun dieser Arten (Eiche, Buche, Mahagoni, Walnuss, Birke, Kastanie, Wild-
kirsche, Pappel und Teak) werden als potentiell gesundheitsgefährdend einge-
stuft. Die restlichen 22 Holzarten werden in dieser Studie als nicht gefährdend
angeführt. Vor diesem Hintergrund ist eine pauschale Übertragung der bei der
Verarbeitung von Buchen- und Eichenholz geltenden Vorschriften auf alle Hart-
holzarten nicht erforderlich.

II. Der Deutsche Bundestag fordert:
1. Die Bundesregierung gibt einen umfassenden Bericht über den Zustand der

Waldböden in Deutschland, deren Veränderungen durch anthropogen be-
dingte Schadstoffeinträge, die Beeinflussung der Qualität des Grundwassers
durch die von der Versauerung der Böden bedingten Austräge von Alumi-
nium- und Mangan-Ionen ins Grundwasser.

2. Die jährlich abgegebenen Waldzustandsberichte werden ersetzt durch
Berichte über den Zustand der Waldböden; der Kronenzustand wird in fünf-
jährigem Intervall bewertet.

3. Die Bundesregierung setzt sich bei dem von ihr geförderten Forstzertifizie-
rer Forest Stewardship Council (FSC) für Bodenschutzkalkungen auch ober-
halb eines pH-Wertes von 4,2 ein, wenn er durch anthropogene Schadstoff-
einträge verursacht ist.

4. Betrieben der Forst- und Holzwirtschaft und Holzspediteuren wird im Be-
schaffungsumfeld der Betriebe die Erlaubnis für erhöhte Fahrzeuggesamt-
gewichte erteilt.

5. Die Bundesregierung setzt sich für eine europaweit einheitliche Regelung
des Fahrzeuggesamtgewichts ein.

6. Die Bundesregierung wirkt durch Öffentlichkeitsarbeit, durch besondere Be-
rücksichtigung des Baustoffes Holz bei eigenen Ausschreibungen, durch die
Überarbeitung von bau- und brandschutzrechtlichen Vorschriften sowie
durch Fortbildungsangebote zur Verwendung von Holz darauf hin, dass bei
Neubauten vermehrt Holz eingesetzt wird.

7. Bei der Novellierung der Gefahrstoffverordnung zur Umsetzung der Richt-
linie EG 98/24 werden nur solche Hartholzstäube in den Geltungsbereich
der Verordnung einbezogen, die als potentiell gesundheitsgefährdend an-
zusehen sind.

8. Die aus ökologischen Gründen erwünschte Erhöhung des Todholzes im
Wald erhöht das Risiko, dass Menschen durch herabfallende Äste oder
umfallende Bäume zu Schaden kommen. Die Bundesregierung erarbeitet
Vorschläge, die sicherstellen, dass Waldeigentümer von der daraus erhöhten
Verkehrssicherungspflicht freigestellt werden.

Berlin, den 1. Dezember 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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