BT-Drucksache 15/441

Agrar- und Forschungspolitische Auswirkungen der BSE-Krise

Vom 12. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/441
15. Wahlperiode 12. 02. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Gudrun
Kopp, Marita Sehn, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Helga Daub, Dr. Christian Eberl, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst
Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Dr. KarlheinzGuttmacher, ChristophHartmann
(Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und
der Fraktion der FDP

Agrar- und forschungspolitische Auswirkungen der BSE-Krise

Die BSE-Krise hat die deutschen Verbraucher in bisher nicht gekanntem Aus-
maß aufgerüttelt und verunsichert. Diese Vertrauenskrise war Auslöser für um-
wälzende Veränderungen in der deutschen Landwirtschafts- und der Verbrau-
cherpolitik. Zwei Jahre nach Ausbruch der Krankheit in Deutschland ist das
Thema nahezu völlig aus der medialen Berichterstattung und der öffentlichen
Wahrnehmung verschwunden. Das entspricht nicht den gravierenden Auswir-
kungen der Tierkrankheit BSE: Allein im Jahr 2002 gab es bundesweit 106 be-
stätigte BSE-Fälle, und erst innerhalb der letzten sechs Wochen des vergange-
nen Jahres hat sich die Gesamtzahl um 13 Fälle von 225 auf 238 erhöht. Es ist
daher wichtig, die Erforschung der Krankheit, Fragen der Bekämpfung des Rin-
derwahnsinns, seiner Folgen (wie z. B. die Übertragung auf Menschen) und der
geeigneten Maßnahmen zur Vermeidung und Behebung akuter Vorkommnisse
auf der politischen Tagesordnung zu halten. Am 1. Juli 2003 läuft das EU-weite
Verfütterungsverbot für tierische Proteine sowie der damit hergestellten Futter-
mittel, Futtermittelzusätze und Vormischungen aus. Es muss rechtzeitig geklärt
werden, ob danach weitere Maßnahmen erforderlich sind. Die dabei notwen-
dige Beteiligung des Deutschen Bundestages kann nur auf Basis gesicherter
Informationen erfolgen. Die Bundesregierung kommt ihrer Berichtspflicht im
Parlament jedoch nur unzureichend nach. Die Veröffentlichung des Sachstands-
berichts vom 22. November 2002 sowie der jeweils aktuellen Zahlen auf der
Internet-Seite des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (BMVEL) sind nicht ausreichend und genügen auch nicht dem
Anspruch einer umfassenden Verbraucheraufklärung.

Drucksache 15/441 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

I. BSE in Deutschland
1. Wie werden sich nach Einschätzung der Bundesregierung die Erkrankungs-

zahlen an BSE in den folgenden Jahren entwickeln?
2. Wie groß ist die Inzidenz von BSE in den einzelnen Bundesländern bezo-

gen auf die Anzahl der dort jeweils gehaltenen Rinder älter als 2 Jahre?
Bewertet die Bundesregierung die aufgetretenen Unterschiede als statis-
tisch auffällig, und wenn ja, welche Erklärung gibt es dafür?

3. Wie ist nach Einschätzung der Bundesregierung der Anstieg der BSE-Fälle
in Norddeutschland in 2002 gegenüber 2001 und insbesondere die unter-
schiedliche Entwicklung der Fallzahlen in Nord- und Süddeutschland zu
erklären?

4. In welchem Umfang wurden in der Bundesrepublik Deutschland bislang
freiwillige BSE-Tests bei Rindern jünger als zwei Jahre durchgeführt?
Wie viele freiwillige Tests sind in Deutschland in 2001, 2002 und 2003
durchgeführt worden und mit welchem Ergebnis?

5. Ist es richtig, dass bisher über 5 Millionen BSE-Tests bei Rindern durchge-
führt wurden und kein einziges Rind, bei dem die Krankheit nachweisbar
war, jünger als 24 Monate war?

6. Besteht nach Auffassung der Bundesregierung bei der Entfernung von
BSE-Risikomaterial in Deutschland und Europa weiterer Handlungsbedarf
zur Sicherung eines vorsorgenden Verbraucherschutzes?
Wenn ja, welche Maßnahmen sind erforderlich?

7. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass trotz des bestehen-
den Tiermehl-Fütterungsverbotes die Herstellung und das In-Verkehr-Brin-
gen von Futtermitteln mit tierischen Bestandteilen in der Europäischen
Union erlaubt und zudem der Export in Drittländer möglich ist?

8. Welche konkreten Initiativen unternimmt die Bundesregierung, um diese
Lücken zu schließen?

9. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Verbrennung von Fut-
termitteln mit tierischen Bestandteilen in Heizkraftwerken, Müllver-
brennungsanlagen und Zementwerken und den damit verbundenen hohen
Kosten, die ökologische und ökonomische Notwendigkeit für neue Verwer-
tungskonzepte?

II. Auswirkungen und Konsequenzen aus der BSE-Krise
10. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über die Verluste in der Land-

wirtschaft, bei Schlachtereien und Metzgereien und in der Ernährungs-
industrie für die zurückliegenden zwei Jahre infolge der BSE-Krise vor?

11. Wie viele landwirtschaftliche Betriebe sind nach Kenntnis der Bundes-
regierung durch die BSE-Krise in eine existentielle Krise geraten und
haben ihren Betrieb aufgeben müssen (bitte Angaben nach Bundesländern
aufschlüsseln)?

12. Wie viele Arbeitsplätze sind in der Landwirtschaft und in der Ernährungs-
branche infolge der BSE-Krise verloren gegangen?

13. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten – aufgeschlüsselt nach
Landwirtschaft, Metzgereien, Schlachtereien und Ernährungswirtschaft –
ein, die aus den verschiedenen Maßnahmen des vorsorgenden Verbraucher-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/441

schutzes – z. B. zur Entfernung und sicheren Entsorgung von BSE-Risiko-
material – resultieren?

14. Welche EU-Mitgliedstaaten und mit welcher Begründung treten zurzeit für
eine Lockerung des EU-weiten Verfütterungsverbotes von Futtermitteln
mit tierischen Bestandteilen ein?

15. Welche Erfolgsaussichten räumt die Bundesregierung einer Lockerung des
EU-Verfütterungsverbotes von Futtermitteln mit tierischen Bestandteilen
ein?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die Einfuhr von Rindfleisch in Bezug
auf die BSE-Sicherheit?

17. Wie bewertet die Bundesregierung Forderungen nach einer Beendigung der
Kohortentötung nach dem Auftreten eines BSE-Falles in einem Betrieb
angesichts der geringen Zahlen von Kohortentieren, bei denen BSE nach-
gewiesen wurde?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die Festlegung von rechtlich verbind-
lichen und für alle Laboratorien einheitlichen und verbesserten Anforde-
rungen in den für die Durchführung der BSE-Tests und der Zulassung der
Labors geltenden einschlägigen bundesrechtlichen Bestimmungen des
Fleischhygiene- und Tierseuchenrechts?

III. Forschungsstand von TSE/BSE
19. In welchen Ländern ist bisher BSE aufgetreten?
20. Wie ist der gegenwärtige Stand der Erforschung von BSE und TSE (über-

tragbare spongiforme Enzephalopathie)?
21. Welche Erkenntnisse gibt es über die unter natürlichen Bedingungen vor-

kommende Aufnahme des TSE-Erregers in den Organismus?
Welche Zusammenhänge bestehen zwischen der aufgenommenen Erreger-
menge und dem Eintritt von TSE?

22. Welche Zusammenhänge bestehen zwischen dem Lebensalter eines Tieres,
seiner Aufnahme von TSE-Erregern, der Menge der aufgenommenen Er-
reger und dem Ausbruch der Krankheit?

23. Welche Erkenntnisse liegen über die Ausbreitung des Erregers im Organis-
mus vor?

24. Welche Kenntnisse liegen vor über die Wirkungsweise des natürlichen
Prionproteins im Organismus?

25. Wie ist der gegenwärtige Stand der Forschung zur Entstehung von TSE?
Ist es nach Einschätzung der Bundesregierung wissenschaftlich gesichert,
dass TSE durch Verfütterung von Tiermehl hergestellt aus an der Traber-
krankheit erkrankten Schafen oder Ziegen entstanden ist, und wenn nein,
welche anderen relevanten Hypothesen zur Entstehung von BSE bestehen?

26. Welche gesicherten Erkenntnisse gibt es über die Ursachen der BSE-Epide-
mie in Großbritannien?

27. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede bestehen zwischen den
Prionproteinen, die BSE verursachen und denen, die die Traberkrankheit
verursachen?

28. Trifft es zu, dass im vergangenen Jahr in Deutschland bei Schafen ein An-
stieg der Erkrankungen an der Traberkrankheit zu verzeichnen war, und

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wenn ja, sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang mit dem BSE-
Geschehen?

29. Welche Kenntnisse gibt es über den Infektionsweg der Traberkrankheit?
Wie sind die hohen Fallzahlen in Großbritannien und die deutlich geringe-
ren in Deutschland zu erklären?

30. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, welches die Ur-
sache der BSE-Erkrankung von bislang 58 schweizerischen sowie 40 briti-
schen „BABs-Rindern“ (Born after the feed ban) ist, die alle deutlich nach
dem Tiermehlverfütterungsverbot von 1990 (bzw. 1996 in England) gebo-
ren wurden?
Gibt es weitere Erkrankungsrisiken außer der Verfütterung von infiziertem
Tiermehl?

31. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, welche Abschätzungen
zur minimalen Infektionsdosis für TSE bei oraler Exposition oder bei Blut-
transfusion bestehen?

32. Wie hat sich die neue Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit (vCJD) seit
1996 entwickelt?
Wie erklärt sich die Entwicklung der Fallzahlen?

33. Wie haben sich die Ausgaben der Bundesregierung zur Erforschung von
TSE, BSE und vCJD seit 1998 entwickelt?

34. Welche Chancen und Risiken sieht die Bundesregierung bei der Einführung
von Resistenzzuchtprogrammen (Scrapi-Resistenz) bei Schafen?

35. Welche Projekte mit welchem Forschungsziel und mit welchem Mittel-
ansatz werden zurzeit von welchem Bundesministerium gefördert?

36. Welche Forschungsprojekte werden auf der Insel Riems durchgeführt?
37. Werden von den in Deutschland an BSE erkrankten Rindern Hirnproben

genommen und für spätere Untersuchungen konserviert, und wenn nein,
warum nicht?

38. Steht für wissenschaftliche Untersuchungen ausreichend Material an BSE
erkrankter Rinder zur Verfügung?
Beteiligen sich alle Bundesländer an der Sicherung von Organproben infi-
zierter Rinder, und wenn nein, welche nicht?

39. In welcher Weise ist sichergestellt, dass die von den drei beteiligten
Bundesministerien (Gesundheit und Soziale Sicherung, Bildung und For-
schung, BMVEL) geförderten Projekte das gesamte Spektrum der notwen-
digen Forschungsansätze abdecken und nicht gleichgerichtete Fragestel-
lungen parallel bearbeiten und andere Bereiche unberücksichtigt bleiben?

IV. Diagnostik und Therapie von TSE/BSE
40. Welche Schnelltestverfahren zum Nachweis von BSE werden in Deutsch-

land angewendet?
Wie hat sich die Sensitivität dieser Verfahren im Laufe der letzten beiden
Jahre entwickelt?

41. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Stand der Entwick-
lung, Validierung und Zulassung praxistauglicher und preisgünstiger BSE-
Lebendtestverfahren?

42. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Entwicklung innova-
tiver Therapien zur Behandlung von TSE-Erkrankungen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/441

Gibt es neue Forschungsansätze, die aus Sicht der Bundesregierung die
Aussicht auf eine spätere Therapierbarkeit der TSE-Erkrankungen bieten?

Berlin, den 11. Februar 2003
Dr. Christel Happach-Kasan
Hans-Michael Goldmann
Gudrun Kopp
Marita Sehn
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann (Homburg)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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