BT-Drucksache 15/44

Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten

Vom 12. November 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/44
15. Wahlperiode 12. 11. 2002

Antrag
der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Wolfgang Schäuble, Christian
Schmidt (Fürth), Peter Hintze, Ulrich Adam, Dr. Wolfgang Bötsch, Erich G. Fritz,
Klaus-Jürgen Hedrich, Jürgen Herrmann, Thomas Kossendey, Dr. Karl A.
Lamers (Heidelberg), Ursula Lietz, Dr. Gerd Müller, Bernward Müller (Gera),
Claudia Nolte, Ruprecht Polenz, Hans Raidel, Helmut Rauber, Dr. Klaus Rose,
Volker Rühe, Anita Schäfer (Saalstadt), Bernd Schmidbauer, Dr. Andreas
Schockenhoff, Bernd Siebert, Dr. Hans-Peter Uhl und der Fraktion der CDU/CSU

Die NATO auf die neuen Gefahren ausrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der NATO-Gipfel in Prag am 21./22. November 2002 ist für die Zukunft der
Nordatlantischen Allianz von herausragender Bedeutung. Die NATO muss sich
den neuen Gefahren stellen, die sich für die Sicherheit ihrer Mitglieder aus zu-
nehmender Instabilität in den europäischen Nachbarregionen, aus wachsendem
internationalen Terrorismus, aus zusammenbrechenden Staaten und aus Mas-
senvernichtungswaffen in den Händen unverantwortlicher politischer Führer
ergeben. Die Verbindung von internationalem Terrorismus und Massenvernich-
tungswaffen ist die größte Gefahr für unsere Sicherheit. Um diesen Herausfor-
derungen im Interesse der Sicherheit unserer Bürger erfolgreich begegnen zu
können, benötigt die NATO eine umfassende politische Strategie gegenüber den
neuen Bedrohungen und moderne militärische Fähigkeiten. Die Bedeutung der
Nato als Kernstück der Sicherheit des Transatlantischen Raums ist nach dem
11. September 2001 nicht zurückgegangen, sondern gestiegen. Die Aktivierung
von Artikel 5 des Vertrags war richtig und ist angesichts der aktuellen Bedro-
hungslage Ausdruck unserer anhaltenden Wachsamkeit.
Europa muss dabei zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um die wach-
sende Kluft der amerikanischen und der europäischen Fähigkeiten zu stoppen,
die sich inzwischen zu einer Gefährdung des militärischen Zusammenhalts in-
nerhalb der Atlantischen Allianz ausgeweitet hat. Nur gemeinsam mit Amerika
kann Europa den neuen Bedrohungen für seine Sicherheit wirksam begegnen.
Die NATO muss auch in Zukunft das wichtigste Forum für die Entscheidungs-
findung der Partner in Nordamerika und Europa bleiben. Beim Gipfel in Prag
muss die NATO ihre Geschlossenheit gegenüber den genannten Herausforde-
rungen zeigen.
Der Deutsche Bundestag kritisiert, dass sich die Bundesregierung mit ihrer
Irak-Politik gegenüber den Vereinigten Staaten sowie den wichtigsten Partnern
in der Europäischen Union in unverantwortlicher Weise isoliert hat. Dadurch
hat sich die Bundesregierung ihre Möglichkeiten, in der Irak-Politik Einfluss
auf die USA und die europäischen Partner – insbesondere auf die Ständigen

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VN-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich – zu nehmen,
verbaut. Der Vertrauens- und Gewichtsverlust Deutschlands in der internatio-
nalen Politik ist besorgniserregend. Deutschland wird in der transatlantischen
Gemeinschaft nicht mehr als glaubwürdiger und zuverlässiger Partner ange-
sehen, ein wesentlicher Grundkonsens erfolgreicher deutscher Außenpolitik
wurde damit verlassen.
Der Deutsche Bundestag stellt mit tiefem Bedauern fest, dass die deutsch-
amerikanischen Beziehungen durch verletzende und beleidigende Äußerungen
des Bundeskanzlers und anderer führender SPD-Politiker erheblich gestört
worden sind. Der Vorwurf einer kriegerischen Abenteuerpolitik gegenüber dem
Irak, den der Bundeskanzler an die Adresse des amerikanischen Präsidenten ge-
richtet hat, entbehrt nicht nur jeder Grundlage. Vielmehr hat er in der deutschen
Bevölkerung den Eindruck erweckt, als seien die USA gefährlicher als die von
den Massenvernichtungswaffen des Iraks ausgehende Bedrohung. Das hat die
über Jahrzehnte gewachsene deutsch-amerikanische Freundschaft beschädigt.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. alle Anstrengungen zu unternehmen, damit die deutsch-amerikanischen Be-

ziehungen so schnell wie möglich wieder besser werden. Dafür muss der
Bundeskanzler bei seinem ersten Zusammentreffen mit Präsident George
W. Bush beim NATO-Gipfel in Prag am 21./22. November 2002 auf geeig-
nete Weise die antiamerikanischen Äußerungen seiner Regierung korrigie-
ren;

2. alles zu tun, dass die NATO in Prag ein Bild der Geschlossenheit in ihrem
Vorgehen gegen die neuen Gefahren abgibt. Insbesondere muss die Bundes-
regierung zu einer gemeinsamen Position der Allianz gegenüber dem Irak
beitragen. Dafür muss sie ihre selbstverschuldete Isolierung aufgeben, den
Kurs ihrer Irak-Politik korrigieren und sich wieder in das Vorgehen der inter-
nationalen Staatengemeinschaft in den Vereinten Nationen einreihen: Sie
muss sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass im Irak wirksam und lü-
ckenlos sichergestellt wird, dass der von den Vereinten Nationen geforderte
und vom Irak fortwährend gebrochene bedingungslose Verzicht auf Erwerb
und Entwicklung von Massenvernichtungswaffen gewährleistet wird und be-
reits produzierte Waffen vernichtet werden. Das muss einschließen, dass die
Bundesregierung ernste Konsequenzen, die die Völkergemeinschaft bei
einem Zuwiderhandeln des Iraks ergreift, voll mitträgt. Ziel muss es sein,
einen Krieg zu vermeiden. Mit ihrer Verweigerungspolitik bewirkt die Bun-
desregierung jedoch das Gegenteil;

3. darauf zu drängen, dass es im Bündnis möglichst bald zu einer gemeinsamen
Bedrohungsanalyse mit abgestimmten Schlussfolgerungen kommt, mit wel-
chen Strategien und mit welchen militärischen Fähigkeiten und Strukturen
die Allianz die Sicherheit ihrer Mitglieder gegen die neuen Bedrohungen
schützen will, die von hochgerüsteten und skrupellosen Gegnern wie al
Qaida oder Saddam Hussein ausgehen. Unsere Sicherheit kann heute an je-
dem Punkt der Erde herausgefordert sein; dieser Herausforderung muss sich
die NATO stellen. Der Deutsche Bundestag fordert in diesem Zusammen-
hang die Bundesregierung auf, das Projekt einer schnellen Eingreiftruppe,
mit der das Bündnis auf Bedrohungen durch Terrorismus und Massenver-
nichtungswaffen reagieren soll, zu unterstützen. Dabei muss die Bundes-
regierung sicherstellen, dass die dafür notwendigen Fähigkeiten geschaffen
und finanziert werden, wofür die Bundeswehr mehr und nicht wie in der Pla-
nung vorgesehen weniger Geld erhalten muss. Die NATO-Eingreiftruppe
muss möglichst bald einsatzfähig werden und Deutschland sollte hierzu
substanzielle Beiträge leisten. Gleichzeitig muss die Bundesregierung dafür
sorgen, dass die Krisenreaktionskräfte der ESVP endlich in ihrem vollen

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Aufgabenspektrum einsatzfähig werden. Es muss zu sinnvollen komplemen-
tären Ergänzungen der beiden Strukturen kommen. Die Bundesregierung
muss die finanzielle Grundlage für die sichere und verlässliche Ausführung
der gegenüber NATO und EU eingegangenen Verpflichtungen schaffen, be-
sonders im Bereich der Transport- und Aufklärungskapazitäten;

4. sich dafür einzusetzen, dass die NATO gegenüber den Ländern des Nahen
Ostens, des Persischen Golfs und Zentralasiens ihre Bereitschaft anbietet,
durch Dialog und Zusammenarbeit einen eigenen Beitrag zur Stabilisierung
der Region zu leisten. Dabei sollten neben der politischen Zusammenarbeit
die aktive Unterstützung des Aufbaus demokratischer Strukturen, etwa
durch die Arbeit der politischen Stiftungen, die Öffnung der Märkte und der
Ausbau des Handels eine ebenso wichtige Rolle spielen wie ein intensiverer
Dialog der Kulturen;

5. sicherzustellen, dass Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die
Slowakei und Slowenien zum Beitritt in die NATO eingeladen werden. Der
Deutsche Bundestag ist überzeugt davon, dass die Erweiterung des Bünd-
nisses um diese Staaten die Stabilität in ganz Europa erhöhen und zugleich
die Fähigkeit der Allianz verbessern wird, den neuen Bedrohungen zu be-
gegnen. Die NATO muss auch weiterhin für die Mitgliedschaft weiterer Län-
der Europas offen sein, sobald diese die notwendigen Voraussetzungen er-
füllt haben;

6. sich dafür einzusetzen, dass die Zusammenarbeit zwischen der NATO und
Russland intensiviert und ausgebaut wird, damit Russland fest in einer glo-
balen Koalition gegen die neuen Risiken eingebunden bleibt.

Berlin, den 12. November 2002
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Wolfgang Schäuble
Christian Schmidt (Fürth)
Peter Hintze
Ulrich Adam
Dr. Wolfgang Bötsch
Erich G. Fritz
Klaus-Jürgen Hedrich
Jürgen Herrmann
Thomas Kossendey
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)
Ursula Lietz
Dr. Gerd Müller
Bernward Müller (Gera)
Claudia Nolte
Ruprecht Polenz
Hans Raidel
Helmut Rauber
Dr. Klaus Rose
Volker Rühe
Anita Schäfer (Saalstadt)
Bernd Schmidbauer
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernd Siebert
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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