BT-Drucksache 15/430

Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen - Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen

Vom 12. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/430
15. Wahlperiode 12. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Rainer Brüderle, Daniel Bahr
(Münster), Ernst Burgbacher, Helga Daub, Dr. Christian Eberl, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael
Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Christoph Hartmann (Homburg),
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart,
Marita Sehn, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Reform des Kündigungsschutzgesetzes zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen –
Vorschlag des Sachverständigenrates jetzt aufgreifen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die hohe Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zeigt, dass das
deutsche Arbeitsrecht reformiert werden muss. Das bestehende Arbeitsrecht
hemmt die Entstehung von neuen Arbeitsplätzen. Besonderer Reformbedarf be-
steht im Kündigungsrecht. Die Mauer, die das Kündigungsschutzgesetz um den
Arbeitsmarkt zieht, schützt zwar die Inhaber eines Arbeitsplatzes, schadet aber
denen, die einen Arbeitsplatz suchen.
Obwohl das jetzt geltende Recht auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses ge-
richtet ist, führt es nur in wenigen Fällen zur Weiterbeschäftigung. Stattdessen
ist die arbeitsrechtliche Realität durch ein Feilschen um Abfindungszahlungen
und fragwürdige Vergleiche zu Lasten der Arbeitslosenversicherung gekenn-
zeichnet. Die Arbeitsgerichte werden durch diese Prozesspraxis bis an die
Grenze ihrer Leistungsfähigkeit belastet, Steuergelder und Sozialbeiträge wer-
den zu Lasten des Beitragszahlers vergeudet.
In seinem Jahresgutachten 2002/03 legt der Sachverständigenrat zur Begut-
achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) diese Zusammenhänge
beeindruckend dar. Punkt 12 der 20 Punkte des Jahresgutachtens „Zwanzig
Punkte für Beschäftigung und Wachstum“ fordert deshalb, den Kündigungs-
schutz weniger stringent zu gestalten. Der Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit hat sich öffentlich dafür ausgesprochen, den Kündigungsschutz zu
lockern.
An dem Grundgedanken des Gesetzes, die Beendigung oder auch die Änderung
des Inhalts eines Arbeitsverhältnisses nicht der Willkür des Arbeitgebers zu

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überlassen, sondern an eine soziale Rechtfertigung zu binden, ist nach wie vor
festzuhalten.
Der Vergleich mit erfolgreichen europäischen Nachbarn zeigt: Auch Deutsch-
land braucht ein zeitgemäßes und den Realitäten entsprechendes Kündigungs-
recht, um den Herausforderungen einer modernen Wirtschaftsordnung gerecht
zu werden. Das Kündigungsschutzrecht sollte daher durch ein Vertragsoptions-
modell ergänzt werden, das Arbeitgebern wie Arbeitnehmern erlaubt, Arbeits-
verhältnisse auf rechtssichere Weise zu beenden.
Die Abfindungslösung findet als eine der möglichen Kündigungsschutzmodelle
auch im Übereinkommen 158 der Internationalen Arbeitsorganisation über die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber Berücksichtigung.
Das Übereinkommen verlangt für die Kündigung des Vertrages seitens des
Arbeitgebers einen triftigen Grund, der ähnlich wie im deutschen Recht auf
Verhalten oder Person des Arbeitnehmers oder auch auf betriebliche Verhält-
nisse gestützt werden kann. Die Regelung sieht zunächst in ihrem Artikel 8
eine Anfechtungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer vor, eröffnet dann aber in
Artikel 10 dem staatlichen Gesetzgeber die Möglichkeit, vorzusehen, dass die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht für unwirksam erklärt oder die Wie-
dereinstellung des Arbeitnehmers angeordnet oder vorgeschlagen wird, son-
dern dass auch die Zahlung einer angemessenen Entschädigung oder ein ande-
rer für zweckmäßig angesehener Ausgleich angeordnet wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem das Kündigungsschutzgesetz wie
folgt neu ausgestaltet wird:

1. Der Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) setzt
erst nach Ablauf von zwei Jahren seit Bestehen des Arbeitsverhältnisses ein
(§ 1 Abs. 1 KSchG).

2. Der Geltungsbereich des KSchG erstreckt sich nur auf Betriebe mit mehr als
20 Arbeitnehmern (§ 23 Abs. 1 KSchG). Zur Berechnung wird wie bisher
die Pro-rata-temporis-Regel des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG angewendet.

3. Die Sozialauswahl in § 1 Abs. 3 KSchG wird durch die abschließende Auf-
zählung der sozialen Kriterien
l „Dauer der Betriebszugehörigkeit“,
l „Lebensalter“ und
l „Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers“
konkretisiert.
Die Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen
Interesse liegt, werden aus der Sozialwahl ausgenommen. Wer das ist, ent-
scheidet die Betriebsleistung.

4. In das KSchG wird eine Option zur vertraglichen Vereinbarung der Arbeits-
vertragsparteien über die Geltung des KSchG gegen Vereinbarung über Zah-
lung einer Abfindung oder eine Qualifizierungsabrede eingefügt.
Den Arbeitsvertragsparteien soll durch Ergänzung des § 23 Abs. 1 KSchG
erlaubt werden, für den Fall einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündi-
gung im Arbeitsvertrag zu vereinbaren, dass der Arbeitnehmer auf die An-
wendung des Kündigungsschutzgesetzes verzichtet. Der Arbeitgeber ver-
pflichtet sich im Gegenzug, eine bei Vertragsschluss zu vereinbarende, zum
Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Abfindung an den
Arbeitnehmer zu zahlen. Dem steht gleich, wenn der Arbeitgeber sich ver-
pflichtet, den Arbeitnehmer auf seine Kosten weiterzuqualifizieren. Der Ver-

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zicht des Arbeitnehmers auf die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes
wird im zweiten Falle mit Antritt der Weiterqualifikation wirksam.

5. Bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses müssen jegliche Ansprüche
aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Wochen
nach Zugang der Kündigung schriftlich geltend gemacht werden.

6. Im SGB III ist sicherzustellen, dass die Ausübung der Abfindungs- oder
Qualifizierungsoption nicht zu einer Sperr- oder Ruhefrist beim Bezug von
Arbeitslosengeld führt.

Berlin, den 11. Februar 2003
Dirk Niebel
Dr. Heinrich L. Kolb
Rainer Brüderle
Daniel Bahr (Münster)
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Dr. Christel Happach-Kasan
Christoph Hartmann (Homburg)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Marita Sehn
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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Begründung
Das geltende Kündigungsschutzrecht führt in der Praxis zu erheblichen Proble-
men für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.
Bei einer Verfahrensdauer vor den Arbeitsgerichten je nach Verfahrensgang
zwischen ein bis fünf Jahren sind gerade kleine Betriebe in besonderer Weise
dem Terminplan der Gerichte und dem taktischen Geschick der Arbeitnehmer-
seite ausgeliefert. Die unbefristeten Annahmeverzugsansprüche der Arbeit-
nehmer im Falle des Unterliegens der Arbeitgeberseite können bei mehrjähri-
ger Prozessdauer Kleinbetriebe in ihrer Existenz gefährden.
Um eine Abfindung vor dem Arbeitsgericht zu erreichen, muss der Arbeit-
nehmer einerseits ein erhebliches Prozessrisiko auf sich nehmen. Andererseits
muss sich ein Arbeitnehmer wegen der unsicheren Erfolgsaussicht einer Kündi-
gungsschutzklage in der Regel schnell um einen neuen Arbeitsplatz bemühen.
Hat der Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsplatz gefunden, wird er eher an einer
finanziellen Abfindung interessiert sein, als an einem Anspruch auf Wiederein-
stellung.
Das Kündigungsschutzgesetz erfüllt nur mangelhaft seine Hauptfunktion, dem
Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Nur in deutlich weniger als 10 %
aller Kündigungsschutzklagen kommt es zur Wiederaufnahme des Arbeitsver-
hältnisses. Mehr als die Hälfte aller Kündigungsschutzklagen enden mit einem
Vergleich.
Das geltende Kündigungsschutzrecht geht daher an den Interessen der Beteilig-
ten weitgehend vorbei und zwingt beide Parteien zum Taktieren. Der Ausgang
von Kündigungsschutzklagen hängt von sachfremden Umständen ab, wie der
tatsächlichen Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung durch den Arbeit-
nehmer und der regional unterschiedlichen Auslastung und Terminierungs-
praxis der Arbeitsgerichte.
Durch die Öffnung des Kündigungsschutzgesetzes für eine vertragliche Verein-
barung der Vertragsparteien über die Weite des Kündigungsschutzes wird dem
Bedürfnis nach einer stärkeren Flexibilisierung des Kündigungsrechts Rech-
nung getragen. Die Vertragsparteien können selbst festlegen, ob das Kündi-
gungsschutzgesetz im Falle einer arbeitgeberseitigen Kündigung gelten soll,
oder aber, ob die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss statt des gesetzlichen
Kündigungsschutzes eine Abfindung oder eine Weiterqualifizierungsmaß-
nahme vereinbaren.

Begründung im Einzelnen
Zu Nummer 1
Bislang findet das KSchG Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, die in dem-
selben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung mehr als sechs Monate
bestanden haben (§ 1 Abs. 1 KSchG). Um Kündigungshemmnissen, die das
Arbeitsrecht überreglementieren und die flexible Gestaltung des Personal-
bedarfs behindern, abzubauen, sollte der Kündigungsschutz nach dem KSchG
erst nach Ablauf von zwei Jahren einsetzen. Damit wäre auch die erforderliche
Harmonisierung mit den gesetzlichen Regelungen für befristete Arbeitsverhält-
nisse hergestellt, deren Vereinbarung ohne Vorliegen eines rechtfertigenden
sachlichen Grundes bis zu einer Dauer von zwei Jahren zulässig ist. Das Teil-
zeit- und Befristungsgesetz sieht zur Beschäftigungsförderung vor, dass bis zu
dieser zeitlichen Obergrenze Arbeitsverhältnisse unter erleichterten Bedingun-
gen zuzulassen sind. Konsequent ist es demnach, den Kündigungsschutz erst
nach zwei Jahren einsetzen zu lassen. Bis zum Ablauf von zwei Jahren unter-
lägen Arbeitsverhältnisse dann grundsätzlich anderen Regeln als diesen Zeit-
raum überschreitende unbefristete Beschäftigungsverhältnisse. Zu unterschei-

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den wäre innerhalb dieser zwei Jahre nur, ob es sich um ein befristetes oder ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis handelt. Erst danach würde bei unbefristeten
Beschäftigungsverhältnissen und bei befristeter Beschäftigung mit sachlichem
Grund, jedoch mit vorgesehener Kündigungsmöglichkeit einheitlich der Kündi-
gungsschutz nach dem KSchG eingreifen.

Zu Nummer 2
Kleine Unternehmen ohne eigene Personalabteilung haben nach wie vor große
Schwierigkeiten bei der Anwendung des sehr komplizierten und sehr viel-
schichtigen Kündigungsrechts. Es ist immer noch so gut wie unmöglich, im
Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes ohne rechtskundigen Rat eine wirk-
same Kündigung auszusprechen. Dies hat dazu geführt, dass gerade kleine
Unternehmen auch bei Nachfragespitzen weiterhin versuchen, mit der vorhan-
denen Belegschaft mittels Überstunden zurechtzukommen, anstatt neue Mit-
arbeiter einzustellen. Das Kündigungsschutzrecht hat sich damit von seiner
Funktion als soziales Schutzrecht zu einer Einstellungshürde für diejenigen
verkehrt, die arbeitslos sind und eine neue Stelle suchen. Gerade kleinere Be-
triebe gilt es, vor langwierigen Kündigungsschutzverfahren zu schützen. Große
Betriebe haben vielfach die Möglichkeit, zur Vermeidung von teuren Kündi-
gungsschutzprozessen Abfindungen zu zahlen. Dies stellt kleine Unternehmen
hingegen oft vor erhebliche Probleme. Gerade in kleinen Unternehmen ist per-
sonalwirtschaftliche Flexibilität von oft existenzsichernder Bedeutung. Die
Entwicklung der letzten Jahre zeigt außerdem, dass neue Arbeitsplätze weniger
in den großen, sondern vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen entste-
hen. Das Handwerk und der Dienstleistungsbereich haben sich hier besonders
hervorgetan. Von daher scheint es angezeigt, in diesem Bereich einstellungs-
hemmende Vorschriften zu beseitigen.
Laut einer Studie über „Impulse für den Arbeitsmarkt – Beschäftigungswirkun-
gen arbeitsmarktrelevanter Gesetzesänderungen“, die der Deutsche Industrie-
und Handelstag im Jahr 1998 veröffentlicht hat, haben die Änderungen des
Kündigungsschutzgesetzes im Rahmen des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungs-
förderungsgesetzes vom 26. Oktober 1996 positive Beschäftigungswirkungen
nach sich gezogen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Abschaffung
des gesetzlichen Kündigungsschutzes in Betrieben bis zu zehn Beschäftigten
die Bereitschaft dieser Unternehmen, neues Personal einzustellen, stark geför-
dert hat. Festgestellt werden konnte aber auch eine eindeutige Hemmschwelle,
den Personalbestand über zehn Beschäftigte hinaus auszuweiten, weil die Fol-
gen des Kündigungsschutzes gefürchtet werden.
Durch die Zurücknahme der Reformen im Kündigungsschutzgesetz und die
Absenkung des Schwellenwertes wieder auf fünf Beschäftigte ist die Schwel-
lenwertproblematik durch die Bundesregierung zum 1. Januar 1999 für die
kleinen Unternehmen wieder verschärft worden. Nicht zuletzt ist die katastro-
phale Arbeitsmarktbilanz der Bundesregierung von SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN im Jahre 2002 ein Ergebnis dieser und anderer Verschärfungen
der Arbeitsmarktregulierung.
Die Arbeitnehmer in Betrieben bis zu zwanzig Beschäftigten werden hierdurch
nicht im Fall einer Kündigung rechtlos gestellt, sondern sind in ihren Rechten
auch außerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes abgesichert.
Dies gewährleisten die generellen Schutzklauseln der §§ 138 und 242 BGB, die
den Arbeitnehmer vor sittenwidrigen und treuwidrigen Kündigungen schützen.
Auch das Verbot von willkürlichen oder sachfremden Kündigungen und das
Gebot der sozialen Rücksichtnahme, soweit unter mehreren Arbeitnehmern
eine Auswahl zu treffen ist, gelten unabhängig von der Anwendbarkeit des
Kündigungsschutzgesetzes. Ebenso darf bei einer Kündigung ein durch lang-

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jährige Mitarbeit erworbenes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsver-
hältnisses nicht unberücksichtigt bleiben.

Zu Nummer 3
Nach der derzeitigen Rechtslage ist eine betriebsbedingte Kündigung unwirk-
sam, wenn sie sozial nicht gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn der Arbeit-
geber bei der Auswahl des Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder
nicht ausreichend berücksichtigt hat. Diese nur auf soziale Aspekte abstellende
Betrachtungsweise geht oft an den Interessen der Betroffenen vorbei und er-
öffnet den Arbeitsgerichten ein zu weitgehendes Ermessen, was zu Rechts-
unsicherheit führt. Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ist notwen-
dig, darf aber nicht alleiniger Maßstab sein. Oftmals hat der Arbeitgeber auch
ein vitales Interesse an der Weiterbeschäftigung von Leistungsträgern. Nach
der derzeitigen Rechtslage muss der Arbeitgeber, um die Leistungsträger nicht
in die Sozialauswahl einbeziehen zu müssen, den praktisch nicht zu führenden
Nachweis erbringen, dass sie für einen geordneten Betriebsablauf unverzicht-
bar sind. Ebenso bedeutsam für die Unternehmen ist die Beibehaltung einer
ausgewogenen Altersstruktur.
Bei der derzeitigen Fassung des § 1 Abs. 3 KSchG sind die sozialen Gesichts-
punkte vollkommen unbestimmt, was zur Rechtsunsicherheit führt. Das Ar-
beitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 22. Oktober 1996 hatte
die Verpflichtung des Arbeitgebers im Rahmen einer betriebsbedingten Kündi-
gung bei der Auswahl der Arbeitnehmer „soziale Gesichtspunkte“ ausreichend
zu berücksichtigen, durch Einführung der Kriterien „Dauer der Betriebszuge-
hörigkeit“, „Lebensalter“ und „Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers“ in den
Gesetzestext konkretisiert. Die drei genannten Merkmale stellten eine abschlie-
ßende Regelung der vom Arbeitgeber zu berücksichtigenden Auswahlmerk-
male dar. Diese notwendige Konkretisierung wurde nach dem Regierungs-
wechsel zum 1. Januar 1999 wieder aufgehoben. Erforderlich ist die Rückkehr
zu der Fassung des § 1 Abs. 3 KSchG, die er durch das Arbeitsrechtliche Be-
schäftigungsförderungsgesetz erhalten hatte und somit eine Konkretisierung
der „sozialen Gesichtspunkte“ bei der Sozialauswahl.

Zu Nummer 4
Die Vereinbarung einer Abfindung, welche die Geltung des Kündigungsschutz-
gesetzes ausschließt, eröffnet den Arbeitsvertragsparteien den Freiraum, indivi-
duelle, auf das einzelne Arbeitsvertragsverhältnis abzielende Abmachungen für
den Fall der arbeitgeberseitigen Kündigung zu treffen. Im Gegensatz zu einer
zwingenden Abfindungsregelung, die gerade viele mittelständische Betriebe
überfordern könnte, ist es den Arbeitsvertragsparteien freigestellt, welche Form
des Kündigungsschutzes sie für das Arbeitsverhältnis wählen wollen.
Das Bundesverfassungsgericht weist in seinem Beschluss vom 27. Januar 1998
darauf hin, dass die Erwartung des Arbeitgebers, ein Arbeitsverhältnis nur
gegen Abfindungszahlung beenden zu können, sich im Vorfeld einer Kündi-
gung arbeitsplatzschützend auswirken könne. Der Arbeitgeber werde „... diese
Aufwendung nur in den Fällen in Kauf nehmen, die ihm besonders dringlich er-
scheinen“ (BVerfG NJW 1998, 1475). Der alternativ zum Kündigungsschutz-
gesetz im Arbeitsvertrag vereinbarte zwingende und nicht mehr durch prozess-
taktisches Verhalten des Arbeitgebers entziehbare Anspruch auf eine Abfin-
dung ist daher ausdrücklich keine Verschlechterung des Schutzes der Arbeit-
nehmer.
Denn die Erwartung des Arbeitgebers, ein Arbeitsverhältnis nur gegen Abfin-
dung beenden zu können, wirke sich im Vorfeld einer Kündigung arbeitsplatz-
schützend aus: Im Abfindungsvergleich wird der vom Gesetz in erster Linie er-

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strebte Bestandsschutz nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts von
den Parteien in einen Geldausgleich umgemünzt, dessen Höhe der übereinstim-
menden Bewertung der Prozessausichten entspricht. Auch darin schlägt sich
mithin der durch das Gesetz vermittelte Schutz nieder. Auf der Grundlage die-
ser verfassungsrechtlichen Bewertung kann auch der Gesetzgeber nicht gehin-
dert sein, das Kündigungsschutzrecht von einem System des Bestandsschutzes
auf ein System der Entlassungsentschädigung/Abfindung umzustellen.
Der Vorteil für den Arbeitnehmer liegt zudem in der Wahlmöglichkeit beim
Verhandeln seines Arbeitsvertrages. So kann der Arbeitnehmer für die Geltung
des Kündigungsschutzgesetzes auf sein Arbeitsverhältnis optieren oder eine in
dem Vertrag vereinbarte Abfindungsregelung vereinbaren. Das Risiko in einem
Kündigungschutzprozess zu unterliegen, der in den meisten Fällen nur mit dem
Ziel der Erlangung einer Abfindung geführt wird, besteht für den Arbeitnehmer
dann nicht mehr.
Der Arbeitgeber kann die Kosten bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor-
hersehen, die das rechtssichere Beenden des Arbeitsverhältnisses bedeuten.
Diese Kalkulierbarkeit der Kosten stellt an sich schon einen ökonomischen
Faktor dar, der sich positiv für das Unternehmen auswirkt, da jegliche Annah-
meverzugsansprüche, langjährige Unsicherheit durch einen Prozess und An-
walts- und Gerichtskosten ausgeschlossen sind.
Alternativ kann die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes auch durch die Ver-
einbarung einer Qualifizierungsmaßnahme zugunsten des Arbeitnehmers bei
Vereinbarung des Arbeitsvertrages abbedungen werden. Der Arbeitgeber ver-
pflichtet sich bei Abschluss des Arbeitsvertrages den Arbeitnehmer auf seine
Kosten und innerhalb der Arbeitszeit weiterzuqualifizieren, mit dem Ziel eines
Abschlusses einer beruflichen Zusatzqualifikation. Im Gegenzug verzichtet der
Arbeitnehmer auf die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes zu seinen Guns-
ten.
Wie bei der Abfindungsvereinbarung profitieren Arbeitgeber wie Arbeitnehmer
von dieser vertraglichen Vereinbarung. Der Arbeitnehmer erhält auf Kosten des
Arbeitgebers eine betriebliche Zusatzausbildung, die seine Wettbewerbs-
chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert und so eine etwaige Arbeitsplatz-
suche vereinfacht und zeitlich verkürzt.
Der Arbeitgeber erhält für die von ihm aufgewendeten Qualifizierungskosten
die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis rechtssicher und ohne weitere Kosten zu
beenden. Diese Regelung nimmt zudem die Herausforderung steigender Anfor-
derungen in der Arbeitswelt und die mit einer alternden Bevölkerung verbun-
denen Probleme an und entspricht mit der unterschiedlichen Beteiligung von
Arbeitgeber und Arbeitnehmer an den Kosten der Qualifizierungsmaßnahme
dem Interesse beider Seiten an einer verbesserten betrieblichen Weiterbildung.

Zu Nummer 5
Aus Gründen der Rechtssicherheit bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
sollte eine Vorschrift eingeführt werden, dass jegliche Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von 3 Wochen nach Zugang
der Kündigung schriftlich geltend zu machen sind. Mit einer solchen Regelung
analog § 4 KSchG wäre der Zustand beseitigt, dass für den Arbeitgeber (sofern
nicht bereits individualvertraglich oder tarifvertraglich in Form von Verfalls-
fristen Vorkehrungen getroffen wurden) häufig überhaupt nicht absehbar ist, ob
und wann mit der Geltendmachung welcher Ansprüche des Arbeitnehmers
noch zu rechnen ist.
Zu Problemen kann dies insbesondere im Bereich des § 623 BGB führen. Wird
das Schriftformerfordernis missachtet (und sei es bei einer Eigenkündigung des

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Arbeitnehmers oder bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags), so kann sich der
Arbeitnehmer nach derzeitiger Rechtslage noch nach geraumer Zeit auf die
Unwirksamkeit berufen. Die Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG für die Klage-
erhebung bildet hier keine Grenze. Für den Arbeitgeber bedeutet dies ein
unüberschaubares Risiko. In Einzelfällen kann er zur Leistung erheblicher
Arbeitsentgelte aufgrund Annahmeverzugs verpflichtet sein. Im Bereich des
§ 623 BGB überwiegen diese Nachteile sogar die vom juristischen Standpunkt
aus an sich begrüßenswerte Tatsache, dass keine Zweifel mehr bestehen, ob
eine Kündigung wegen Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses nichtig
oder unwirksam ist.
Mit der Einführung einer Drei-Wochen-Ausschlussfrist analog § 4 KSchG be-
züglich aller das Arbeitsverhältnis betreffenden Fragen wäre ein wesentlicher
Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet. Damit wäre das Arbeitsrecht ein Stück
weit besser kalkulierbar und weniger beschäftigungsfeindlich. Der Schutz der
Arbeitnehmer ist über eine Schutzvorschrift analog § 5 KSchG weiter zu ge-
währleisten, um eine nachträgliche Zulassung der Klage zuzulassen, wenn der
Arbeitnehmer die Frist zur Geltendmachung seiner Ansprüche trotz aller ihm
nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt nicht einhalten konnte. Wie in
§ 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG sollte die Geltendmachung von Ansprüchen nach
sechs Monaten ausgeschlossen sein.

Zu Nummer 6
Bei jeglicher Lockerung des Kündigungsschutzes und bei jeder Abfindungs-
regelung muss die bisherige Gesetzgebung zu Sperr- und Ruhensfristen beim
Bezug von Arbeitslosengeld berücksichtigt werden. Hier sind entsprechende
Änderungen, zumindest durch Runderlass der Bundesanstalt für Arbeit, erfor-
derlich.
Nach bisheriger Rechtslage muss der Arbeitnehmer bei Verzicht auf Kündi-
gungsschutz eine Sperrfrist von in der Regel drei Monaten akzeptieren. Dies
hat für ihn erhebliche finanzielle Nachteile. Bei Nichteinhalten der Kündi-
gungsfrist kommt noch eine Ruhensfrist hinzu. Es muss im Bereich des Sozial-
gesetzbuches sichergestellt werden, dass eine Verkürzung des Kündigungs-
schutzes oder ein entsprechender Verzicht nicht zu einer Sperrfrist oder einer
Ruhensfrist führt.
Abfindungen, die Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten (§ 3
Nr. 9 EStG), sollten darüber hinaus wieder der alten steuerlichen Regelung zu-
geführt werden: Höhere Freibeträge, hälftiger Steuersatz für die den Freibetrag
übersteigenden Beträge.

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