BT-Drucksache 15/428

Hungerkatastrophe in Simbabwe weiter bekämpfen - Internationalen Druck auf die Regierung Simbabwes aufrechterhalten

Vom 12. Februar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/428
15. Wahlperiode 12. 02. 2003

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Wimmer (Karlsruhe), Walter Riester, Karin Kortmann,
Detlef Dzembritzki, Siegmund Ehrmann, Gabriele Groneberg, Anke Hartnagel,
Klaus Werner Jonas, Dr. Sascha Raabe, René Röspel, Dagmar Schmidt
(Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Franz Müntefering und der
Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Thilo Hoppe, Hans-Christian Ströbele, Katrin Dagmar
Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hungerkatastrophe in Simbabwe weiter bekämpfen – Internationalen Druck
auf die Regierung Simbabwes aufrechterhalten

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Analyse der Entwicklungen in Simbabwe darf nicht den historischen Hin-
tergrund des schweren kolonialen Erbes mit seiner massiv ungerechten Ver-
teilung des fruchtbaren Landes außer Acht lassen. Simbabwe, das als eine der
letzten weißen Siedlerkolonien im Jahr 1980 die Unabhängigkeit errang, hat
seither die Chance auf eine rechtsstaatliche Landreform, die zu einer gerechten
und legalen Verteilung der Ressourcen geführt hätte, verpasst. Dies hat die
despotische, autokratische und rassistische Herrschaft von Präsident Robert
Mugabe und der Regierungspartei ZANU-PF dazu ausgenutzt, um seine eige-
nen politischen und wirtschaftlichen Interessen voranzutreiben und damit das
Land ins Chaos gestürzt.
Die Rechtsstaatlichkeit im Land ist durch massive Menschenrechtsverletzun-
gen ausgehöhlt. Korruption und Klientelismus sind fundamentale Bestandteile
des Herrschaftssystems Robert Mugabes. Die Präsidentschaftswahlen, die im
März 2002 in Simbabwe stattfanden, sind u. a. nach den Einschätzungen des
Wahlunterstützungsnetzwerkes, ein Zusammenschluss von 38 Nichtregierungs-
organisationen, und einer Beobachtergruppe von SADC-Parlamentariern mani-
puliert worden. Die EU stellte in einer entsprechenden Erklärung fest, dass die
Präsidentschaftswahlen weder frei noch fair gewesen seien. Die Repressionen
gegen die politische Opposition dauern an.
Die Rückwirkungen dieser politischen Entwicklungen auf die wirtschaftliche
Situation des Landes sind fatal: das Bruttoinlandsprodukt ging 2002 um 12 Pro-
zent zurück, die Auslandsschulden liegen bei 5 Mrd. US-Dollar, die Inflations-
rate lag Ende 2002 bei 198 Prozent, die Realeinkommen sind um ein Drittel
gesunken, so dass nach Informationen des UN Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs im Jahr 2001 inzwischen 75 Prozent der Bevölkerung
unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Arbeitslosigkeit im formellen Sektor
wird auf 80 Prozent geschätzt. Arbeitslos gewordene Landarbeiter bilden zu-
sammen mit ihren Familienangehörigen eine gesellschaftliche Schicht von etwa
einer Million Menschen, die als interne Vertriebene gelten.

Drucksache 15/428 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Diese katastrophalen sozio-ökonomischen Entwicklungen sind durch die chao-
tisch und ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen sowie unter Miss-
achtung rechtsstaatlicher Grundsätze durchgeführte Landreform und durch die
aktuellen klimatischen Verhältnisse weiter verschärft worden. Die aktuelle
Nahrungsmittelknappheit ist die schlimmste seit der Dürre von 1992.
Nach letzten Schätzungen des Welternährungsprogramms der Vereinten Natio-
nen (WFP) sind 7,2 Millionen der insgesamt 13 Millionen Einwohner Simbab-
wes von Hunger bedroht. Nirgends in den Hungergebieten im südlichen Afrika
ist der Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung so hoch. Seit Anfang
Januar 2003 hat die Unruhe in der simbabwischen Bevölkerung aufgrund der
Nahrungsmittelknappheit spürbar zugenommen, nicht zuletzt auch weil das Re-
gime Robert Mugabes Nahrungsmittellieferungen nach politischen Kriterien
verteilt und sich Mitglieder der politischen Elite an der aktuellen Notlage der
Bevölkerung bereichern. Vereinzelt kam es zu gewaltsamen Auseinanderset-
zungen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat Deutschland bereits im Mai
2000 weitestgehend und ab Juni 2002 vollständig die bilaterale staatliche Ent-
wicklungszusammenarbeit mit Simbabwe eingestellt. Die Bundesregierung för-
dert jedoch weiterhin Projekte von Nichtregierungsorganisationen (NRO) und
Kirchen in den Bereichen Armutsbekämpfung, HIV/Aids, Demokratieförde-
rung und Krisenprävention sowie humanitäre Hilfsprojekte einschließlich Nah-
rungsmittelprogramme. Sie hat hierfür zusätzliche Mittel bereitgestellt. Dies
soll verhindern, dass die Bevölkerung noch mehr unter der wirtschaftlichen
Krise Simbabwes leidet.
In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung gleichzeitig bilateral und
im Rahmen der EU massiv den politischen Zusammenhang zwischen unverant-
wortlicher Regierungsführung und der Verschärfung der Hungerkrise heraus-
gestellt. Ebenso wurde die Mitgliedschaft Simbabwes in den Gremien des
Commonwealth im März 2002 vorläufig für ein Jahr suspendiert. Und die
Europäische Union hat gegen führende Mitglieder von Regierung und Regie-
rungspartei ZANU-PF im Februar 2002 Sanktionen verhängt. Im südlichen
Afrika hat die Situation in Simbabwe allerdings noch nicht zu einer Isolation
der Regierung Robert Mugabes geführt. Bemühungen Nigerias und Südafrikas
zur Verbesserung der Lage in Simbabwe, auch im Auftrag des Commonwealth,
haben noch nicht zu greifbaren Ergebnissen geführt.
Zurzeit gibt es eine Debatte zwischen den Regierungen des südlichen Afrika
und den USA über die Folgen des Imports von gentechnisch verändertem Mais,
der in großen Mengen als Nahrungsmittelspende von Seiten der USA zur Ver-
fügung gestellt wird.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
– die bilaterale staatliche Entwicklungszusammenarbeit ruhen zu lassen, aber

gleichzeitig weiter Hilfsmaßnahmen von internationalen NRO und Kirchen
zur Linderung der Not der Bevölkerung zu fördern. Eine verstärkte Entwick-
lungszusammenarbeit auf allen Gebieten, insbesondere auch bei der Durch-
führung einer Landreform und bei der Förderung regierungsunabhängiger
Organisationen in den Bereichen der Nothilfe, der Konfliktlösung und der
Verbesserung der Menschenrechtssituation, soll für den Fall angeboten wer-
den, dass rechtsstaatliche und demokratische Verhältnisse im Land wieder-
hergestellt werden,

– sich gegenüber den europäischen Partnern dafür einzusetzen, dass die am
18. Februar 2003 auslaufenden Strafmaßnahmen der EU gegen Simbabwe
verlängert werden. Gleichzeitig sollte die Bundesregierung die Unterstüt-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/428

zung für den Dialog mit Opposition, Zivilgesellschaft, Nichtregierungsorga-
nisationen und Kirchen ausbauen,

– als neues nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat darauf hinzuwirken,
dass die aktuelle Krise in Simbabwe im Sicherheitsrat mit dem Ziel auf die
Tagesordnung gesetzt wird, den Konflikt in der Region einzudämmen und
einer Lösung näher zu bringen. In diesem Zusammenhang sollte folgenden
Forderungen besondere Beachtung geschenkt werden: sofortige Beendigung
der politischen Verfolgung von Oppositionellen, Aufklärung politischer
Morde und Folterfälle unter Beteiligung internationaler Menschenrechts-
organisationen, die ungehinderte Verteilung von Nothilfe durch unabhängige
nationale und internationale Hilfsorganisationen,

– sich bei den Regierungen der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen
Afrika (SADC), insbesondere bei der Regierung Südafrikas, nachdrücklich
dafür einzusetzen, dass eine Regionalisierung der Krise in Simbabwe ver-
hindert und jede Möglichkeit genutzt wird, auf das Regime und die Regie-
rung Simbabwes Druck auszuüben, um einen Kurswechsel in Richtung
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu erreichen.

– dass sie bei aller gebotenen Schärfe der Sanktionen gegen das Regime in
Simbabwe darauf achtet, dass die dortige Krise den wichtigen politischen
Dialog mit Afrika insgesamt (EU-Afrika-Dialog, NEPAD) nicht so stark
überschattet, dass dadurch eine konstruktive inhaltliche Zusammenarbeit
insgesamt faktisch nicht mehr möglich wird,

– Empfängerländer von gentechnisch veränderten Nahrungsmittelhilfen ge-
zielt darauf hinzuweisen, dass dies – neben ungeklärten Folgen für die
Konsumenten – auch zu Problemen beim Export führen kann,

– verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, dass die auf Nahrungsmittelhilfe
angewiesenen Länder nicht zur Einfuhr von gentechnisch verändertem Mais
genötigt werden.

Berlin, den 12. Februar 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Dagmar Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.