BT-Drucksache 15/4201

Novellierung des Kapitels 15 der Rheinschiffsuntersuchungsordnung (RheinSchUO)

Vom 10. November 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/4201
15. Wahlperiode 10. 11. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel
Happach-Kasan, KlausHaupt, UlrichHeinrich, Birgit Homburger, Dr.Werner Hoyer,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Novellierung des Kapitels 15 der Rheinschiffsuntersuchungsordnung
(RheinSchUO)

Bei den laufenden Verhandlungen zur Novelle der Rheinschiffsuntersuchungs-
ordnung sollen Hochseestandards auf Binnenfahrgastschiffe übertragen wer-
den. Diese Standards sollen über die Rheinzentralkommission Eingang in eine
EU-Richtlinie finden und alsdann europaweit auf allen schiffbaren Gewässern
gelten.
Vertreter des deutschen Binnenschifffahrtsgewerbes befürchten, dass durch die-
se angestrebte Angleichung an die Seeschifffahrt, die am 25. November 2004
durch das Plenum der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt (ZKR), Straß-
burg, beschlossen werden soll, die Existenzgrundlage vieler Fahrgastschiffsbe-
treiber bedroht wird.
Bedenken bestehen gegen die Übertragung sehr weitgehender Forderungen, die
in der Seeschifffahrt berechtigt sind, auf die Fahrgastschifffahrt in Binnen-
gewässern. Letztere arbeitet unter völlig anderen Bedingungen. Die Bedenken
betreffen im Wesentlichen die Forderung nach Einführung des so genannten
Zwei-Abteilungsstatus und die Verpflichtung zur Vorhaltung von Flößen bei
vorhandenen Schiffen.
Alle Schiffe, die den Zwei-Abteilungsstatus nicht erfüllen, sollen ab dem Jahr
2010 Rettungsflöße und Schwimmwesten für 100 % der zugelassenen Fahrgäste
mitführen. Nach Angaben des Binnenschiffsgewerbes betragen die Kosten eines
Floßes derzeit einschließlich Installation rund 50 000 Euro, wobei maximal
125 Personen aufgenommen werden können. Hinzu kommt, dass die Schiffe
aufgrund der zusätzlichen erheblichen Floßgewichte hinsichtlich der Stabilitäts-
kriterien neu gerechnet werden müssen. Für 500-Personen-Fahrgastschiffe, wie
sie beispielsweise auf dem Rhein verkehren, würden dadurch alleine Investi-
tionskosten in Höhe von 200 000 Euro entstehen, zuzüglich erheblicher War-
tungskosten.

Drucksache 15/4201 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Was den Sicherheitsnutzen der geforderten Flöße anlangt, hat das Europäische
Entwicklungszentrum für Binnen- und Küstenschifffahrt (VBD), jetzt Entwick-
lungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme e. V. (DST) an der Uni-
versität Duisburg im September 2003 im Auftrag des Bundesministeriums für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) Tests von Rettungsflößen und
-inseln durchgeführt. Das Institut kommt dabei unter anderem zu dem Er-
gebnis, dass die Evakuierung eines Fahrgastschiffes über Flöße oder andere
schwimmende Rettungsmittel mit den zurzeit zur Verfügung stehenden Geräten
in strömenden Gewässern mit erheblichen Gefahren für die Fahrgäste verbun-
den sein kann.
Das Institut bestätigte damit die Richtigkeit der Entscheidung des Wasser- und
Schifffahrtsamtes (WSA) Bingen, das eine Erprobung der Rettungsflöße unter
realistischen Bedingungen (mit Angehörigen der Bundeswehr als Testpersonen)
auf dem Rhein als zu gefährlich abgelehnt hatte. Dagegen sei eine direkte Eva-
kuierung der Fahrgäste auf das Ufer oder, wenn das havarierte Fahrgastschiff
noch ausreichend schwimmfähig ist, an einer geeigneten Landebrücke sinnvoll
und auf den deutschen Binnengewässern praktikabel.
Die im Plenum der ZKR gefassten Beschlüsse – die einstimmig erfolgen müs-
sen – sind anschließend in nationales Recht umzusetzen. Das gilt grundsätzlich
für den Rhein. Auf Grund einer Vereinbarung zwischen der ZKR und der EU
wird allerdings der Beschluss in eine EU-Richtlinie übernommen und gilt damit
verbindlich für alle weiteren Binnengewässer in der Bundesrepublik Deutsch-
land und den anderen EU-Staaten.
Für die Bundesrepublik Deutschland ergibt sich hieraus, dass die von der ZKR
beschlossenen Vorgaben des Kapitels 15 der Rheinschiffsuntersuchungsord-
nung für alle Fahrgastschiffe gelten würden. Demnach wären bundesweit rund
900 Fahrgastschiffe betroffen.
Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Ent-
schließung zur Novellierung des Kapitels 15 der RheinSchUO dem Bundesrat
zugeleitet, die am 5. November 2004 im Bundesrat mit großer Mehrheit ange-
nommen wurde.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Bundesregierung bereit, die Entschließung des Bundesrates aufzugrei-

fen und in diesem Sinne bei der Rheinzentralkommission zu intervenieren,
notfalls ein Veto einzulegen?

2. Welche Gründe waren entscheidend dafür, in die Erarbeitung neuer Stabili-
tätskriterien ausschließlich auf die Hochseeschifffahrt spezialisierte Klassi-
fikationsgesellschaften einzubeziehen und auf die Hinzuziehung wissen-
schaftlicher Institute im Flachwasserbereich zu verzichten?

3. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass ein von der Euro-
päischen Binnenschiffs-Union (EBU) in Auftrag gegebenes und vor dem
7. September 2004 den deutschen Vertretern in der ZKR zugeleitetes Gut-
achten der VBD/DST nicht zu einer Überprüfung der deutschen Position ge-
führt hat, obwohl seine Aussagen in wesentlichen Punkten der Novelle
widersprechen?

4. Warum hat das BMVBW die im November 2002 im Protokoll der ZKR
dokumentierte ablehnende Position zum Zwei-Abteilungsstatus aufgegeben?
Aus welchen Gründen beabsichtigt das BMVBW nunmehr der Neuregelung
zum Zwei-Abteilungsstatus zuzustimmen?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/4201

5. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über Unfälle von Fahr-
gastschiffen, insbesondere Tagesausflugsschiffen, in den letzten 50 Jahren
– insbesondere auf dem Rhein, aber auch den anderen Flüssen in Deutsch-
land – vor, bei denen Fahrgäste verletzt oder sogar getötet wurden?

6. Wie viele Fahrgastschiffe, insbesondere Tagesausflugsschiffe, sind in den
letzten 50 Jahren auf dem Rhein oder den anderen Flüssen in Deutschland
gesunken? Sind dabei Fahrgäste durch Ertrinken zu Tode gekommen?

7. Gab es in der Vergangenheit auf deutschen Flüssen Unfälle von Fahrgast-
schiffen, insbesondere Tagesausflugsschiffen, bei denen Menschen zu
Schaden gekommen sind, weil der Zwei-Abteilungsstatus nicht erfüllt wur-
de?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Schiffsneubauten auf See nach der
Europäischen Richtlinie 98/18/EG des Rates vom 17. März 1998 über
Sicherheitsvorschriften und -normen für Fahrgastschiffe bis zu 400 Perso-
nen ohne Zwei-Abteilungsstatus in Fahrt gehen können, während für Bin-
nenfahrgastschiffe ab einer Länge von 45 m oder einer Personenzahl von
über 250 Personen dieser vorgeschrieben werden soll?

9. Ist der Bundesregierung bekannt, nach welchen Kriterien in der ZKR eine
Beurteilung der Notwendigkeit erfolgte, zwingend den Zwei-Abteilungssta-
tus vorzuschreiben?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung den Nutzen bzw. Zugewinn an Sicherheit
durch den 2-Abteilungsstatus im Vergleich zu den bisher vorgekommenen
Unfällen von Tagesausflugsschiffen?

11. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor der Verabschiedung der
langfristig wirksamen neuen Stabilitätskriterien (Zwei-Abteilungsstatus)
eine gutachterliche Überprüfung auf wissenschaftlicher Basis und unter
Hinzuziehung anerkannter Spezialisten aus dem Bereich der Binnenschiff-
fahrt erforderlich ist?

12. Warum geht die Bemessung der Sammel- und Evakuierungsflächen und
sonstigen Anforderungen bei Tagesausflugsschiffen über die Anforderun-
gen an die Seeschifffahrt hinaus?

13. Welche Baumaßnahmen sind bei den derzeit betriebenen Tagesausflugs-
schiffen erforderlich, wenn diese nur den Ein-Abteilungsstatus erfüllen und
die Hauptabmessungen des Schiffes nicht verändert werden können bzw.
wenn eine Verbreiterung des Schiffes und Erhöhung des Tiefgangs möglich
ist?

14. Trifft es zu, dass mit der Einführung des Zwei-Abteilungsstatus zukünftig
höhere Gewichte der Schiffe, ein größerer Tiefgang, ein damit verbundenes
höheres Risiko der Grundberührung und eine kürzere Einsatzzeit der Schif-
fe in Niedrigwasserperioden verbunden wäre?

15. Trifft es zu, dass die Investitionskosten für eine entsprechende Nachrüstung
bei N.E.U. (Neubau, Ersatz und Umbau) je nach Schiffsgröße zwischen
250 000 Euro und 900 000 Euro betragen werden und wie bewertet die Bun-
desregierung ein solches Investitionserfordernis angesichts der Tatsache,
dass viele Schiffe selbst lediglich noch einen Marktwert von 350 000 bis
2 Mio. Euro besitzen?

16. Teilt die Bundesregierung die Sorge, dass die Höhe der Investition für die
Nachrüstung ein Ausscheiden für einen erheblichen Teil der überwiegend
mittelständisch geprägten Familienbetriebe aus demMarkt zur Folge haben
könnte?
Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 15/4201 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
17. Hat es in den letzten 50 Jahren Unfälle von Fahrgastschiffen, insbesondere
Tagesausflugsschiffen, gegeben, bei denen der Einsatz von Rettungsflößen
zwingend geboten gewesen wäre, um Menschenleben zu retten?

18. Ist der Bundesregierung bekannt, dass das WSA Bingen als zuständige
Behörde die Erprobung von Rettungsflößen auf dem Mittelrhein unter
realistischen Bedingungen als zu gefährlich einstuft und nur mit liegendem
Schiff ohne Evakuierungsstatisten (Bundeswehrsoldaten) genehmigt (vgl.
Monatszeitschrift „Binnenschifffahrt“, 10/2004, Seite 20)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den Einsatz von Ret-
tungsflößen auf dem Rhein und den anderen Flüssen in Deutschland, die
über die von ihr in Auftrag gegebene Auswertung des Versuches vom
23. September 2003 durch den VBD/DST hinausgehen?

20. Trifft es zu, dass die Gewerbevertreter ein bei der VBD/DST Duisburg ein-
geholtes wissenschaftliches Gutachten der EBU zum Einsatz von Rettungs-
flößen bei der letzten Sitzung der ZKR nicht vorstellen durften?
Wenn ja, warum nicht?

Berlin, den 21. September 2004
Hans-Michael Goldmann
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Otto Fricke
Rainer Funke
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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