BT-Drucksache 15/3959

Für einen europäisch-kolumbianischen Dialog und einen erfolgreichen Friedensprozess in Kolumbien einsetzen

Vom 20. Oktober 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3959
15. Wahlperiode 20. 10. 2004

Antrag
der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck,
Hermann Gröhe, Dr. Wolfgang Bötsch, Anke Eymer (Lübeck), Erich G. Fritz,
Michael Glos, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Joachim Hörster,
Claudia Nolte, Ruprecht Polenz, Dr. Klaus Rose, Volker Rühe, Bernd Schmidbauer,
Dr. Andreas Schockenhoff, Dr. Hans-Peter Uhl, Peter Weiß (Emmendingen),
Willy Wimmer (Neuss) und der Fraktion der CDU/CSU

Für einen europäisch-kolumbianischen Dialog und einen erfolgreichen
Friedensprozess in Kolumbien einsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Nach der Hälfte seiner Amtszeit verfügt Präsident Álvaro Uribe Vélez noch im-
mer über eine ungebrochen hohe Popularität: Nach repräsentativen Meinungs-
umfragen wird seine Politik von 78 Prozent der Befragten unterstützt, was der-
zeit den höchsten Grad an Zustimmung in ganz Lateinamerika bedeutet. Zum
ersten Male erscheint eine dauerhafte Lösung des über 40-jährigen blutigen in-
neren Konfliktes möglich, der durch bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen
mit marxistischen Guerillagruppen, Paramilitärs (AUC) und mit Drogenbaro-
nen geprägt war. Dieser Konflikt hat die Staatlichkeit und Demokratie des Lan-
des in Frage gestellt und auf die gesamte Andenregion ausgestrahlt. Weiterhin
ist die internationale Gemeinschaft, einschließlich Europa gefragt, den Friedens-
prozess durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen. Wichtig ist hierbei, die
verschiedenen friedenspolitischen Anstrengungen zusammenzuführen.
Bei den verschiedenen Bemühungen um eine Beilegung des Konfliktes in
Kolumbien hat sich letztlich gezeigt, dass ein erfolgversprechender Weg nur in
der Kombination der beiden Elemente „militärischer Druck“ und „Verhandlun-
gen“ liegt. Präsident Álvaro Uribe Vélez hat mit seinem Programm „demokrati-
sche Sicherheit“ diesen Weg eingeschlagen. Seine bisherige Erfolgsbilanz liest
sich positiv: Die Anzahl der Entführungen und der Binnenflüchtlinge ist um die
Hälfte gesunken, Massaker und Überfälle auf ländliche Gemeinden haben stark
nachgelassen, Anschläge auf die Energieversorgung konnten um 64 Prozent ver-
mindert werden, die Anzahl der gewaltsamen Todesfälle ist die niedrigste seit
18 Jahren, und die Koka-Anbaufläche konnte insgesamt verringert werden.
6 000 bis 7 000 Paramilitärs haben sich nach Regierungsangaben freiwillig
„demobilisiert“ und nehmen an Wiedereingliederungsprogrammen teil. Dabei
gingen nach einer offiziellen Statistik für das Jahr 2003 70 Prozent der insgesamt
1 440 Opfer vonMassakern auf das Konto der Paramilitärs sowie 80 Prozent der
in demselben Jahr verübten 3 313 politischen Morde.
Der Friedensprozess bleibt äußerst fragil, und Rückschläge sowohl hinsichtlich
der Verhandlungen mit den Paramilitärs (AUC) als auch hinsichtlich der zaghaf-

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ten Friedensgespräche mit der Guerilla nicht ausgeschlossen. Schätzungen zu-
folge wurden in Kolumbien im letzten Jahr ca. 2 200 Personen entführt; unter
den Entführten ist auch die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid
Betancourt. Auch die Situation der Kommunalpolitiker, die wegen akuter Mord-
drohungen im Binnenexil leben müssen, hat sich kaum verbessert. Selbst für
ausländische Geschäftsleute und Diplomaten bleibt ein Risiko, entführt zu wer-
den. Seit drei Jahren ist ein deutscher Staatsbürger in der Hand der Guerilla.
Die Regierung Álvaro Uribe Vélez ist ferner bemüht, im Süden des Landes Ge-
biete wieder in den Griff zu bekommen, die bislang von der Guerilla kontrolliert
wurden, und damit im ganzen Land Staatlichkeit wiederzustellen und das Recht
durchzusetzen. All dies wurde durch die Indienststellung zusätzlicher 56 000
uniformierter Kräfte zwischen August 2002 und Mai 2004 ermöglicht. Gleich-
zeitig versucht die Regierung mit Beschäftigungsprogrammen im Bereich Um-
weltschutz und mit dem Anbau von Produkten, die die Koka-Pflanze substituie-
ren sollen, der ländlichen Bevölkerung – darunter viele interne Flüchtlinge –
eine Perspektive jenseits des Drogenanbaus zu geben. Dennoch gibt es Kritik,
dass trotzdem zu wenig Alternativen für die betroffenen Bauern angeboten wer-
den. Verstärkte Grenzkontrollen und regionale Sicherheitsprogramme sollen die
Verlagerung des Drogengeschäfts in die Nachbarstaaten verhindern. Gleichwohl
werden Kolumbiens lange und zum Teil unzugängliche Grenzen zu den Nach-
barstaaten eine sicherheitspolitische Herausforderung bleiben.
Die kolumbianische Bevölkerung hat diese Maßnahmen und auch die Arbeit der
Sicherheitsorgane positiv bewertet. Als Folge wird eine Verfassungsänderung
erwogen, die Präsident Álvaro Uribe Vélez eine direkte Wiederwahl ermögli-
chen und die Fortsetzung seiner Politik der „demokratischen Sicherheit“ garan-
tieren soll. Ohne die innenpolitischen Balancen und historischen Traditionen,
die mit der Frage der direktenWiederwahl in Kolumbien verknüpft sind, verken-
nen zu wollen, würde der Deutsche Bundestag die generelle Möglichkeit der
Wiederwahl des Staatspräsidenten begrüßen. Die Einschränkung der direkten
Wiederwahl zu Staatsämtern, wie sie zahlreiche lateinamerikanische Länder
vorsehen, weist auch klare Nachteile in punkto Kontinuität und Verantwortlich-
keit auf.
Waffenstillstand, Demobilisierung und Reintegration werden jedoch nur dann
erfolgreich sein, wenn sie von der Gesellschaft als ganzer getragen werden. Die
Reform der kolumbianischen Gesellschaft und die Überwindung der sozialen
Ungleichheit ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Frieden überhaupt
möglich wird und langfristig Bestand hat. Neue Formen von Staatlichkeit durch
Dezentralisierung, größere Verteilungsgerechtigkeit und gesellschaftliche Betei-
ligung sind noch nicht gefunden. Ein großes Problem ist die schwache Justiz und
die Straflosigkeit. Die Vereinten Nationen schätzen die menschenrechtliche
Lage in Kolumbien als nach wie vor kritisch ein.
Die USA haben seit 1999 den von der Regierung Pastrana vorgelegten „Plan
Colombia“ zur Überwindung des inner-kolumbianischen Konflikts mit
1,3 Mrd. US-Dollar unterstützt. Gleichzeitig haben die USA die Nachbarlän-
der in ihren Antidrogen-Maßnahmen gestärkt, um die Verlagerung des Anbaus
bzw. des Handels mit Drogen und deren Verarbeitung in die Nachbarländer von
vornherein zu verhindern. Über die Drogenpolitik hinaus sind die Stabilisierung
der Region und der Kampf gegen den Terrorismus in den Mittelpunkt der Au-
ßen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik der Vereinigten Staaten gerückt. Ko-
lumbien ist mittlerweile der drittgrößte Empfänger von US-Auslandshilfe.
Brasilien hat sich zu einem der wichtigsten Partner Kolumbiens im Kampf
gegen die Narkoguerilla entwickelt. Beide Staaten teilen eine gemeinsame
Bedrohungsanalyse. Während sich das Verhältnis zu Peru und Ecuador einfa-
cher gestaltet, da beide Länder ein Interesse an einer Befriedung Kolumbiens
und Bekämpfung der Drogenplage haben, ist Venezuela unter Hugo Chavez, der

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3959

sich fälschlicherweise als „bolivarianischer Präsident“ bezeichnet, der schwie-
rigste Nachbar. Nicht nur sind die venezolanischen Grenzkontrollen dürftig,
sondern das venezolanische Regime vollzieht auch keine klare ideologische und
faktische Abgrenzung zur kolumbianischen Guerilla, insbesondere zur FARC.
Die Beziehungen Kolumbiens zu Europa sind schwierig. Die EU hat trotz ihres
Engagements in Kolumbien, z. B. für „Friedenslaboratorien“, bisher keinen
konstruktiven Dialog mit der Regierung Álvaro Uribe Vélez etablieren können.
Beide Seiten können sich nicht darauf verständigen, wie eine Aufteilung zwi-
schen militärischer und ziviler Krisenbewältigung aussehen soll. In Kolumbien
wird die europäische Politik nicht selten als ambivalent und unkooperativ emp-
funden. Hinzu kommt eine „Paralleldiplomatie“ der kolumbianischen Guerilla-
Gruppen, die in der europäischen Öffentlichkeit zum Teil stark beachtet wird.
Der Deutsche Bundestag ist überzeugt, dass es sich bei den innerkolumbiani-
schen Auseinandersetzungen mit AUC, FARC und ELN längst nicht mehr al-
leine um einen Bürgerkrieg handelt, sondern um eine der politischen Inhalte
weitgehend entleerte Auseinandersetzung mit in den Drogenhandel eingebunde-
nen Kriminellen und Terroristen, die eine Demokratie bedrohen. Angesichts der
strategischen Bedeutung eines möglichst stabilen, demokratischen Lateiname-
rika auch für Europa und der negativen Auswirkungen des Drogenhandels und
der Geldwäsche auf Europa müssen die EU und ihreMitgliedstaaten ein gewich-
tiges Interesse daran haben, im internationalen Rahmen eine stärkere, gestal-
tende Rolle im kolumbianischen Konflikt zu übernehmen.
2005 läuft der „Plan Colombia“ aus. Die kolumbianische Regierung möchte ihn
verlängern. Bislang hat Kolumbien im Zusammenhang mit dem „Plan Colom-
bia“ überwiegend militärisch mit den USA und in der Entwicklungspolitik mit
Europa kooperiert. Erstmals im Juni 2003 wurde im Londoner Abkommen eine
gemeinsame Position der Geberländer und der kolumbianischen Regierung zu
einer friedlichen Konfliktlösung formuliert. Dennoch steht eine Zusammenfüh-
rung des zweigleisigen Ansatzes der kolumbianischen Regierung aus.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich bei der geplanten Neufassung des „Plan Colombia“ 2005 positiv einzu-

bringen und den kolumbianischen Staat bei den Friedensverhandlungen mit
den illegalen bewaffneten Gruppen zu unterstützen;

2. verbunden mit der geplanten Neufassung des „Plan Colombia“ gemeinsam
mit den europäischen Partnern im Rahmen einer neuen internationalen
Geberkonferenz, auf die Zusammenführung der bisher parallel geführten
Zusammenarbeit Kolumbiens mit den USA und mit Europa zu drängen und
damit die dringend gebotene Bündelung aller Anstrengungen herbeizu-
führen;

3. sich für die Wiederherstellung eines konstruktiven europäisch-kolumbiani-
schen Dialoges einzusetzen, der die legitimen Interessen der Regierung
Kolumbiens respektiert;

4. gemeinsammit den europäischen Partnern, der internationalen Gemeinschaft
sowie der OAS für eine Harmonisierung der Verhandlungsprozesse zwischen
der kolumbianischen Regierung und den irregulären Kräften einzutreten und
den kolumbianischen Staat bei der Demobilisierung bzw. der Re-Integration
von ehemaligen Angehörigen der Paramilitärs, der FARC und der ELN zu
unterstützen;

5. alle erdenklichen diplomatischen Anstrengungen – auch im Rahmen der VN
und der OAS – zu unternehmen, um auf den venezolanischen Präsidenten
Hugo Chavez einzuwirken, dass er den kolumbianischen Narkoguerillas
keine Ruheräume auf venezolanischem Territorium gewährt und den Kampf
gegen die Narkoguerilla und den weiteren Drogenhandel tatkräftig unter-
stützt;

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6. Präsident Álvaro Uribe Vélez bei seinen Bemühungen um die Freilassung
aller von der Guerilla und Paramilitärs gefangen gehaltenen Geiseln nach-
drücklich zu unterstützen, und dabei insbesondere sich um das Schicksal des
verschleppten deutschen Staatsbürgers intensiv zu kümmern;

7. im Verbund mit der internationalen Gemeinschaft darauf zu drängen, dass im
Interesse einer nationalen Versöhnung zwischen Tätern und Opfern des inter-
nen Konfliktes in Kolumbien eine „Wahrheitskommission“ eingerichtet wird;

8. die kolumbianische Regierung bei der Stärkung eines unabhängigen
Rechtssystems zu unterstützen; Ziel muss sein, die Verbrechen gegen die
Menschlichkeit zu ahnden;

9. an die kolumbianische Regierung zu appellieren, mit dem Menschenrechts-
büro der Vereinten Nationen in Bogota sowie den drei Regionalbüros in
Cali, Medellin und Bucaramanga weiterhin eng zusammenzuarbeiten und
den Empfehlungen des VN-Hochkommissars für Menschenrechte vom
17. Februar 2004 anlässlich der 60. Tagung der VN-Menschenrechtskom-
mission nachzukommen, um die Grundlage für eine Verbesserung der
menschenrechtlichen Situation in Kolumbien zu schaffen;

10. den kolumbianischen Friedensprozesse auch dadurch zu begleiten, dass Un-
terstützung für die Bekämpfung des Drogenanbaus und Drogenhandels so-
wie für die Verringerung des Anreizes, im Drogengeschäft aktiv zu sein, in
internationalen Verbund fortgesetzt und ausgebaut wird;

11. den kolumbianischen Staat bei der Räumung von Minenfeldern zu unter-
stützen;

12. die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Kolumbien über die gegen-
wärtig vereinbarten Schwerpunkte Friedensförderung und Umweltschutz
hinaus zu erweitern in Richtung einer engagierten Unterstützung der kolum-
bianischen Regierung bei der Überwindung der sozialen Ungleichheit;

13. beiderkolumbianischenRegierungdaraufzudrängen, eineDebatteüber innere
Reformen wie Landreform, Zugang zu Ressourcen, Öffnung des Parteien-
systems sowie Partizipation der Zivilgesellschaft zu eröffnen, und die interna-
tionale Flankierung angemessener Reformen in diesen Bereichen anzubieten.

Berlin, den 20. Oktober 2004
Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Christian Ruck
Hermann Gröhe
Dr. Wolfgang Bötsch
Anke Eymer (Lübeck)
Erich G. Fritz
Michael Glos
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Joachim Hörster
Claudia Nolte
Ruprecht Polenz
Dr. Klaus Rose
Volker Rühe
Bernd Schmidbauer
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Hans-Peter Uhl
Peter Weiß (Emmendingen)
Willy Wimmer (Neuss)
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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