BT-Drucksache 15/3811

Belarus vor den Parlamentswahlen und dem Referendum

Vom 29. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3811
15. Wahlperiode 29. 09. 2004

Antrag
der Abgeordneten Uta Zapf, Detlef Dzembritzki, Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Monika Heubaum, Jelena Hoffmann (Chemnitz), Hans-Ulrich Klose, Lothar Mark,
Markus Meckel, Dr. Rolf Mützenich, Volker Neumann (Bramsche), Dietmar Nietan,
Johannes Pflug, Rudolf Scharping, Dr. Hermann Scheer, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Gert Weisskirchen (Wiesloch), Dr. Christoph Zöpel, Franz Müntefering
und der Faktion der SPD
sowie der Abgeordneten Rainder Steenblock, Claudia Roth (Augsburg),
Marianne Tritz, Dr. Ludger Volmer, Volker Beck (Köln), Winfried Nachtwei,
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Belarus vor den Parlamentswahlen und dem Referendum

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 17. Oktober 2004 finden in Belarus Wahlen zur Nationalversammlung
statt. Zeitgleich führt die belarussische Regierung ein Referendum über eine
Verfassungsänderung durch, die die bisher gültige Beschränkung der belarussi-
schen Präsidentschaft auf maximal zwei Amtszeiten aufheben soll und dadurch
dem amtierenden belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko die Kan-
didatur für eine dritte Amtszeit und darüber hinausgehende weitere Amtszeiten
ermöglichen würde.
Die Durchführung freier und fairer Parlamentswahlen wäre eine Chance für
Belarus, den Weg zur Demokratisierung einzuschlagen. Ein Belarus, das sich
demokratischen Grundsätzen verschreibt, hat seinen Platz in der europäischen
Familie, kann die Angebote zur Annäherung an die europäischen Strukturen
nutzen und wirtschaftliche, soziale und politische Vorteile daraus ziehen. Mit
Bedauern nimmt der Deutsche Bundestag zur Kenntnis, dass die von der Orga-
nisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geforderten
substantiellen Änderungen des Wahlgesetzes vor der Wahl nicht stattgefunden
haben und dieses Gesetz nach wie vor nicht europäischen Standards entspricht.
Weder die Parlaments- noch die Präsidentschaftswahlen in den Jahren 2000 und
2001 in Belarus wurden von unabhängigen Wahlbeobachtern als frei und fair
bezeichnet.
Angesichts einer verschärften innenpolitischen Repression in Belarus befürch-
tet der Deutsche Bundestag, dass die Voraussetzungen für freie und faire Parla-
mentswahlen und ein freies und faires Referendum über eine Verfassungsände-
rung nicht gegeben sind. Besorgniserregend ist die fortgesetzte massive
Behinderung der demokratischen Opposition durch die belarussische Regie-
rung. Staatliche Stellen üben verstärkten Druck auf Vertreter und Unterstützer
der politischen Opposition aus. Oppositionelle werden wegen Bagatellen zu

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teilweise langen Haftstrafen verurteilt. Parteien werden verboten oder sind akut
von Schließung bedroht. Rund der Hälfte der Kandidaten der politischen Oppo-
sition wurde mit teils fadenscheinigen Begründungen die Registrierung zur
Teilnahme an der Wahl verweigert. Die Opposition hat praktisch keine
Möglichkeiten für eine unabhängige Überprüfung der Wahlen, denn ihre Ver-
treter sind in den Wahlkommissionen stark unterrepräsentiert.
Die Unterdrückung der Zivilgesellschaft und das Verbot diverser Nichtregie-
rungsorganisationen (NROs) durch staatliche Stellen beeinträchtigt weiterhin
die politische Meinungsbildung in Belarus. Allein in den letzten 18 Monaten
wurden mehr als 50 NROs in politisch motivierten Verfahren verboten. Eine
ausgewogene Berichterstattung in den staatlichen Medien über die politische
Opposition findet nicht statt. Behinderungen der freien Presse haben im Vorfeld
der Wahlen massiv zugenommen. Die Opposition hat praktisch keinen Zugang
zu den elektronischen Medien.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
dass die belarussische Regierung das Büro für Demokratische Institutionen und
Menschenrechte der OSZE zur Beobachtung der Wahlen eingeladen hat und
dieses Büro Anfang September 2004 mit der Beobachtung der Wahlvorberei-
tungen in Belarus beginnen konnte. Der Deutsche Bundestag begrüßt es auch,
dass sich die belarussische Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung
der OSZE gegenüber ihren OSZE-Kollegen verpflichtet hat, aktiv zur Erfüllung
von OSZE-Standards bei der Durchführung der Wahl beizutragen. Die Um-
setzung der Empfehlungen, die in dem Bericht der technischen Bewertungs-
kommission des Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte
der OSZE vom 28. Juni 2004 enthalten sind, würde zu freien und fairen Wahlen
beitragen.
Der Deutsche Bundestag sieht diese positiven Ansätze allerdings als nicht aus-
reichend an, um sicherzustellen, dass die Parlamentswahlen und das Referen-
dum den Anforderungen des Europarats und der OSZE an freie und faire
Wahlen genügen.
Der Deutsche Bundestag erwartet, dass die belarussische Regierung bei der
Durchführung der Parlamentswahlen am 17. Oktober 2004 und des Referen-
dums die Standards der OSZE und des Europarats einhält und insbesondere die
Verpflichtungen zur Durchführung von fairen und freien Wahlen einhält, die
auf dem OSZE-Gipfel 1999 in Istanbul bekräftigt wurden.
Der Deutsche Bundestag erwartet zudem von der belarussischen Regierung,
dass sie jegliche Unterdrückung und Behinderungen der politischen Opposition
und von zivilgesellschaftlichen Gruppen unverzüglich beendet. Einheimische
und ausländische Wahlbeobachter müssen auf allen Etappen der Vorbereitung
und Durchführung der Wahlen wie auch bei der Auszählung und Auswertung
der abgegebenen Stimmen freien und umfassenden Zugang in Wahllokalen und
zu Wahlkommissionen haben, um sich ein objektives Bild verschaffen zu kön-
nen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Verordnung der Zentralen Wahlkommis-
sion über den Zugang der Kandidaten zu den Medien und erwartet, dass die
belarussische Regierung diesen Erlass umsetzt und den freien Zugang von Ver-
tretern der Opposition zu den Medien und eine ungehinderte Berichterstattung
der Medien- und Presseorgane über die Parlamentswahlen tatsächlich sicher-
stellt.
Der Deutsche Bundestag wird den Verlauf des Wahlkampfs und der Wahlen
selbst mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3811

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
weiterhin im Rahmen der EU, des Europarats und der OSZE darauf hinzuwir-
ken, dass mit den Parlamentswahlen in Belarus ein Prozess der Abwendung
von autoritären und repressiven Herrschaftsmethoden und eine Rückkehr zu
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beginnt.
Er fordert die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der OSZE und des Europa-
rats dafür einzusetzen, dass Belarus die eingegangenen Verpflichtungen zur
Durchführung freier und fairer Wahlen einhält.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung zudem auf, die reform-
willigen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Belarus weiterhin zu
unterstützen, um so zur Demokratisierung des Landes beizutragen.
Unter Bezugnahme auf die Feststellung des Vorsitzenden des Europäischen
Rats vom 17./18. Juni 2004 über die Entwicklung neuer Partnerschaftsinitia-
tiven fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, dafür Sorge zu
tragen, dass die belarussische Zivilgesellschaft und die reformorientierten poli-
tische Kräfte im Rahmen der Demokratie- und Menschenrechtsprogramme der
Europäischen Union unterstützt werden.

Berlin, den 29. September 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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