BT-Drucksache 15/3778

Visa-Politik der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Gefahren für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland

Vom 21. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3778
15. Wahlperiode 21. 09. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl, Eckart von Klaeden, Matthias Sehling,
HartmutKoschyk, IlseAigner, ClemensBinninger, ReinhardGrindel, ErnstHinsken,
Volker Kauder, Thomas Strobl (Heilbronn), Ralf Göbel, Erwin Marschewski
(Recklinghausen), IngoWellenreuther und der Fraktion der CDU/CSU

Visa-Politik der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Gefahren
für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Volmer-Erlass
1. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der Erlass vom 15. Oktober 1999

einen umfassenden Bedeutungswandel für den Carnet de Touriste, wie er
durch Erlass vom 7. August 1995 eingeführt worden war, bewirkte, da dieser
nun in der Regel die Vorlage weiterer Unterlagen erübrigte, somit direkt zur
Erteilung eines Visums führte und in der Praxis einen – wenn nicht formalen,
so doch materialen – Rechtsanspruch auf ein Visum begründete; Zitat: bei
Vorlage eines Carnet de Touriste (CdT) „soll die Auslandsvertretung in der
Regel auf die Vorlage von weiteren Unterlagen zum Zweck der Reise (z. B.
Hotelbuchung), zur Finanzierung (einschließlich für den Krankheitsfall) so-
wie im Regelfall auf weitere Nachweise zur Rückkehrbereitschaft verzichten
(verzichten)“?

2. Wenn nein, wie erklärt sich die Bundesregierung den Umstand, dass die Mit-
arbeiter der Visa-Stellen der betroffenen Botschaften den Erlass als Aushöh-
lung der bisherigen Überprüfungspraxis empfanden und auf einer Regional-
konferenz deutlich kritisierten?

3. Haben zu den „Sachgründen“, die es „für angezeigt“ erscheinen ließen (Ant-
wort der Bundesregierung zu Frage 43 der Großen Anfrage der Fraktion der
CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670),
die Weisung des Bundesministers des Auswärtigen, Joseph Fischer, im sog.
Volmer-Erlass ausdrücklich zu erwähnen, auch die internen Proteste gegen
die vorangehenden Erlasse, insbesondere den Erlass vom 15. Oktober 1999,
gehört, denen durch die Autorität des Bundesministers Joseph Fischer am
besten entgegengetreten werden konnte?

4. Wie lauteten die schriftlichen und/oder mündlichen Überlegungen des Bun-
desministers des Innern, die er dem Bundesminister des Auswärtigen in
Bezug auf den Erlass vom 3. März 2000 und die damit verbundene Visums-
erteilungspraxis gemäß der Antwort der Bundesregierung auf Frage 31 der
Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf
Bundestagsdrucksache 15/3670 darlegte?

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5. Sind nach Auffassung der Bundesregierung die im „SPIEGEL“ vom
20. März 2000 ausgesagten Informationen frei erfunden und aus der Luft
gegriffen, dass (1.) der so genannte Volmer-Erlass Gegenstand einer Sitzung
des Bundeskabinetts war, dass (2.) das Bundeskanzleramt die Bundesminis-
ter Otto Schily und Joseph Fischer angewiesen habe, im Kabinett nicht „in-
haltlich“ über den Erlass zu diskutieren, dass (3.) diese beiden Minister sich
am Tag vor der Kabinettssitzung über eine „Schadensbegrenzung“ verstän-
digt hätten, dass (4.) zwischen Auswärtigem Amt (AA) und BMI „derb-
deutliche Depeschen“ ausgetauscht wurden, dass (5.) nach Auffassung von
Bundesministers des Innern, Otto Schily, der Erlass „gegen das Ausländer-
gesetz und den Vertrag von Schengen“ verstoße und dass (6.) Bundeskanz-
ler Gerhard Schröder diese „Befürchtungen“ Otto Schilys teilte?

6. Welchen Sinn misst die Bundesregierung dem System der Verpflichtungs-
erklärungen, die als Sicherheit für die Finanzierung einer Besuchsreise in
Deutschland dienen sollen, noch bei, wenn sie nach dem bis heute gültigen
„Volmer-Erlass“ auch dann akzeptabel sind, wenn sie keine Einschätzung
der Bonität des sich Verpflichtenden enthalten (wenn „die Ausländerbe-
hörde nur die Unterschrift des sich Verpflichtenden beglaubigt, aber keine
ausdrückliche Stellungnahme zu seiner finanziellen Leistungsfähigkeit ab-
gegeben hat, so soll die Auslandsvertretung in der Regel auf die Vorlage von
Unterlagen zur Glaubhaftmachung der Bonität des Einladenden verzich-
ten.“, Ziffer III.3. des sog. Volmer-Erlasses)?

7. Welche Möglichkeiten haben die Auslandsvertretungen nach Auffassung
der Bundesregierung, „Elemente“ einer fehlenden Bonität überhaupt zu er-
mitteln, (da Verpflichtungserklärungen nur dann nicht akzeptiert werden
dürfen, „wenn die Auslandsvertretung dem Sachverhalt Elemente ent-
nimmt, die offensichtlich gegen die Bonität des Einladenden sprechen“,
Ziffer III.3. des sog. Volmer-Erlasses), wenn andererseits schon Verpflich-
tungserklärungen als gültig zu betrachten sind, die durch amtlichen Stempel
dokumentieren, dass die Bonität von den zuständigen Stellen in Deutsch-
land nicht überprüft worden ist (vgl. Muster, Urteil des Landgerichts Köln
in der Strafsache A. B., S. 21)?

II. Visa-Stellen
8. Wir erklärt die Bundesregierung die Diskrepanz zwischen den Aussagen im

Urteil des Landgerichts Köln in der Strafsache A. B., wo das Gericht auf
Seite 56f ausführt: „Der Reiseschutzpass war faktisch die ‚Eintrittskarte‘ für
die Einreise in die Schengenstaaten. Die nach dem Schengener Überein-
kommen und dem Durchführungsübereinkommen (SDÜ) erforderliche de-
taillierte Prüfung fand nicht statt“, mit der Behauptung von der Staats-
ministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, in der Fragestunde am
11. Februar 2004 (Plenarprotokoll 15/90, S. 7991), alle Visa-Voraussetzun-
gen würden in Kiew gründlich geprüft?

9. Räumt die Bundesregierung den ihr vom Landgericht Köln vorgeworfenen
Rechtsbruch (vgl. Urteil S. 57: „Die nach dem Schengener Übereinkommen
und dem Durchführungsübereinkommen (SDÜ) erforderliche detaillierte
Prüfung vor der Visumerteilung fand nicht statt“) ein, wenn ja, welche Kon-
sequenzen zieht die Bundesregierung hieraus, wenn nein, wie will die Bun-
desregierung gegen diesen Vorwurf vorgehen?

10. Trifft es zu, dass der Staatssekretär im Auswärtiges Amt, Jürgen Chrobog,
Mitte 2004 eine Inspektionsreise zu den Deutschen Botschaften in Kiew
und Moskau unternommen und dabei unüblicherweise deren Visa-Stellen
inspiziert hat, und wenn ja, was war der Grund und wie lange vorher war
diese Inspektion den Botschaften angekündigt?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3778

11. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung aus dieser Inspektionsreise
gewonnen und welche Konsequenzen sind daraus gezogen worden?

12. Gibt es eindeutige Vorschriften, welche antragsbegründenden Unterlagen
zum Nachweis von Reisezweck, Finanzierung der Reise sowie der Rück-
kehrbereitschaft zur Beantragung eines Visums vom Ausländer vorzulegen
und von der Visa-Stelle zu prüfen sind, und werden diese Vorschriften im
Regelfall auch angewandt, vor dem Hintergrund der Antwort der Bundesre-
gierung auf Frage 20 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur
Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670, wo es heißt,
„Welche Unterlagen dafür konkret verlangt werden, ist neben den geltenden
Vorschriften auch von örtlichen Gegebenheiten sowie vom Einzelfall
abhängig“?

13. Wie hoch wird rückblickend die Zahl der Visa von Untersuchungskommis-
sionen vor Ort, dem AA und dem BMI geschätzt, die im Laufe der Zeit zu
Schleuserzwecken missbraucht worden sind?

14. Wie erklärt die Bundesregierung, dass trotz der in ihrer Antwort auf Fra-
ge 53 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkrimi-
nalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670 beschriebenen Maßnahmen zur
Abschaffung der bekannten Visa-Missbrauchsfälle die Visa-Zahlen aus den
GUS-Staaten nach wie vor auf äußerst hohem Niveau von weit über
700 000 Visa pro Jahr geblieben sind (allein 390 000 im 1. Halbjahr 2004),
obwohl offensichtlich ist, dass bei einem durchschnittlichen Monatsein-
kommen von z. B. unter 100 Euro in der Ukraine kein massenhafter Touris-
mus mit mehrmonatiger Dauer in Westeuropa finanziert werden kann (vgl.
WELT vom 7. September 2004), und welche weiterenMaßnahmen plant die
Bundesregierung diesbezüglich zu ergreifen?

15. Sind bei der angeblich im Durchschnitt dreiminütigen Bearbeitungszeit pro
Visumsantrag nur die Entscheidungszeit der entsandten deutschen Beamten
berücksichtigt oder schließt dies auch die Vorprüfungszeit der Ortskräfte am
Schalter mit ein (Antworten der Bundesregierung auf Frage 18 und 19 der
Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf
Bundestagsdrucksache 15/3670)?

16. Wie hat sich die Anzahl des deutschen Personals und der Ortskräfte in den
Jahren 2000, 2001, 2002, 2003 und 2004 jeweils in den Visa-Stellen der
Deutschen Botschaften in Kiew und Moskau entwickelt?

III. Reiseschutzversicherungen
17. Hatte die Bundesregierung bis Ende Juni 2002 Hinweise, dass die Reise-

schutzpässe nicht nur bei der Deutschen Botschaft in Kiew zu massiven
Visa-Missbrauch geführt haben, sondern auch bei anderen Deutschen Aus-
landsvertretungen, insbesondere in den GUS-Staaten (vgl. Antwort der
Bundesregierung zu Frage 61 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/
CSU zur Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670), und
wenn ja, warum wurden diese Verfahren nicht an allen Auslandsvertretun-
gen unverzüglich gestoppt?

18. Welche Gründe bzw. Befürchtungen hatten das AA nach Auffassung der
Bundesregierung bewogen, die Auslandsvertretungen per Erlass vom
22. Mai 2001 zu ermahnen, dass die Korrespondenz zwischen den Aus-
landsvertretungen und dem AA bezüglich des Carnet de Touriste „nicht un-
mittelbar an nachgeordnete Behörden des BMI (BKA, GSD u. a.) zu senden
ist“?

19. Um wie viele Missbrauchsfälle im Zusammenhang mit Reiseschutzver-
sicherungen handelte es sich, vor demHintergrund der Antwort der Bundes-

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regierung zu Frage 53 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur
Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670 „Nach dem Be-
kanntwerden weiterer Missbrauchsfälle wurde diese Weisung am 28. März
2003 auf alle Auslandsvertretungen für die Reiseschutzversicherungen jed-
weder Anbieter ausgedehnt“, worin genau bestand der Missbrauch, durch
wen in welchen Ländern mit welchen Papieren und welchen Auswirkun-
gen?

20. Wie viele Warnungen nach Art der Berichte aus den Generalkonsulaten No-
wosibirsk und St. Petersburg, die im November 2002 ausdrücklich darauf
hingewiesen hatten, dass z. B. der Einlader „Privater Freizeitclub e. V.“
zweifellos ein Bordell sei und somit die „Vermittlung von Reisen“ wohl
eher dem Zweck der Zwangsprostitution diente, erreichten das AA nach
Kenntnis der Bundesregierung vor dem Hintergrund der in ihrer Antwort
auf Frage 63 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleu-
serkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670 eingeräumten Miss-
brauchsfälle in Almaty, Minsk, Moskau, St. Petersburg, Saratow und Nowo-
sibirsk?

21. Welche Maßnahmen hat das AA unternommen auf die Anfrage der Bot-
schaft in Minsk vom 11. November 2002, die die Seriosität der örtlichen
Vertriebspartner und die Bonität der RS Reise-Schutz AG insgesamt aus-
drücklich in Zweifel gezogen und um ausdrückliche Weisung gebeten hat,
ob unter diesen Voraussetzungen die Reiseschutzpässe überhaupt noch an-
erkannt werden sollen?

22. Wurde der Botschaft in Minsk auf ihre Anfrage vom 11. November 2002,
ob und inwieweit hausinterne Unterlagen (Erlasse, Mail-Verkehr, sonstiger
Schriftwechsel) an die Ermittlungsbehörden im Hinblick auf die laufenden
Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln weitergegeben werden dürfen,
eine entsprechende Erlaubnis erteilt, und falls nein, warum nicht?

23. Wie erklärt sich die Bundesregierung im Hinblick auf ihre Antworten auf
die Fragen 20 und 45 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur
Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670, denen zur Folge
der Missstand, ungeprüft und ohne Vorlage weiterer Unterlagen Visa allein
aufgrund einer Reiseschutzversicherung zu erteilen, abgestellt worden sei
und die übrigen Voraussetzungen der Visaerteilung (z. B. Rückkehrbereit-
schaft, Verwurzelung im Heimatland, etc.) wieder zu prüfen wären, dass seit
dem betreffenden Runderlass vom 29. Januar 2002 die Visa-Zahlen nicht
oder nur geringfügig gesunken sind?

24. Beruht dies darauf, dass derartige Prüfungen weiterhin nicht stattgefunden
haben und durch denselben Runderlass die Auslandsvertretungen sogar an-
gewiesen wurden, Reiseschutzversicherungen selbst dann nicht abzulehnen,
wenn deren ausländische Vertriebspartner nicht das Vertrauen der Auslands-
vertretung genössen (vgl. Erlass vom 29. Januar 2002, III. 5)?

25. Welche Konsequenz hat die Bundesregierung daraus gezogen bzw. wird die
Bundesregierung ziehen, dass H. K. mit dem Vertrieb der Reiseschutzpässe
durch die RS Reise-Schutz AG ein von der Bafin zu genehmigendes Ver-
sicherungsgeschäft führte oder bis heute noch führt, ohne eine hierfür er-
forderliche versicherungsaufsichtliche Genehmigung zu haben (vgl. Tages-
spiegel vom 16. April 2004)?

26. Was waren die ermittlungstaktischen Gründe, weswegen der Reiseschutz-
pass erst im Frühjahr 2003 komplett eingestellt wurde, gegen wen wurde er-
mittelt, mit welchem Ergebnis, wurde auch gegen H. K. ermittelt, wenn ja,
durch wen mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/3778

27. Wie genau kam es dazu, dass die Reiseschutzpässe in der Bundesdruckerei
gedruckt wurden, wer stellte wann und warum den Kontakt zwischen H. K.
und der Bundesdruckerei her, war die Bundesdruckerei zu diesem Zeitpunkt
in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und wenn ja, wurden diese durch den
Druck der Reiseschutzpässe gemildert?

28. Hat H. K. nach Kenntnis bzw. Auffassung der Bundesregierung den Tatbe-
stand des Betreibens eines Versicherungsgeschäftes ohne eine hierzu erfor-
derliche Erlaubnis zu haben erfüllt, und hat das BMI und das AA ihn bei die-
ser strafbaren Handlung billigend unterstützt, vor dem Hintergrund, dass
beide Ministerien offenbar eine Garantenstellung einnehmen?

29. Wie erklärt die Bundesregierung ihr Antwortschreiben auf eine offizielle
Anfrage des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Uhl vom Juli 2002 (siehe Fra-
ge 86 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkrimi-
nalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670), demzufolge „durch die gute
Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes mit den Bundesinnenministe-
riums des Innern wird jeder Form einer Visaerschleichung unverzüglich,
schnell und wirkungsvoll entgegengetreten“ werde, vor dem Hintergrund,
dass der zuständige Fachbeamte im AA bei der Abstimmung des Antwort-
entwurfs die Zusammenarbeit zwischen beiden Ministerien (AA und BMI)
in seiner Stellungnahme gegenüber Kollegen mit folgenden Worten be-
schrieb: „Wenn dem so wäre, wie es das BMI im letzten Satz seines Ant-
wortentwurfs darstellt, würden wir in einer (fast) heilen Welt leben. Wir
wissen ja leider insbesondere seit Reiseschutzpaß, daß das durchaus anders
aussehen kann, habe aber trotzdem keine Bedenken, den Entwurf mitzu-
zeichnen, weil er doch unsere Position nach aussen hin stärkt“ (dienstliche
Email-Korrespondenz vom 16. Juli 2002)?

IV. Reisebüroverfahren
30. Galt die Entscheidung, das Reisebüroverfahren an der Botschaft Kiew zum

1. Oktober 2001 abzuschaffen, für weitere Botschaften, und wenn ja für
welche und wann?

31. Was bedeutet die Einschränkung „grundsätzlich“ für die tatsächliche Praxis
der Visa-Erteilung in der Antwort der Bundesregierung auf Frage 9 der
Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf
Bundestagsdrucksache 15/3670, wo es heißt, dass das Reisebüroverfahren
für Kiew zum 1. Oktober 2001 eingestellt worden sei und die Antragstel-
lung grundsätzlich eine persönliche Vorsprache erforderlich machte?

32. In wie vielen Fällen wurde von der o. g. grundsätzlichen Regelung (persön-
liche Vorsprache der Antragsteller) abgewichen?

33. Trifft es zu, dass das Reisebüroverfahren bzw. Verfahren, bei denen sich die
Antragsteller nicht persönlich bei der Visa-Stelle vorstellen mussten, an der
Deutschen Botschaft Moskau über den 1. Oktober 2001 hinaus praktiziert
wurde, und wenn ja, wie lange und in wie viel Prozent der Fälle?

34. Trifft es zu, dass das Reisebüroverfahren bzw. Verfahren, bei denen sich die
Antragsteller nicht persönlich bei der Visa-Stelle vorstellen mussten, an der
Deutschen Botschaft Peking über den 1. Oktober 2001 hinaus praktiziert
wurde, und wenn ja, wie lange und in wie viel Prozent der Fälle?

35. Trifft es zu, dass firmeninterne Prüfungen (Reisebüroverfahren) in zahlrei-
chen akkreditierten Reisebüros im Raum Moskau oder über sog. Notenstel-
len abgewickelt werden?

36. Trifft es zu, dass es in der Botschaft Moskau eine Liste von weiteren Ver-
bänden und Institutionen gibt, die entsprechende Prüfungen übernehmen?

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37. Wenn ja, in wie vielen Stellen aufgegliedert nach Reisebüros, Notenstellen,
Verbänden und Institutionen werden solche Verfahren praktiziert?

38. Werden Visa-Anträge über das russische Außenministerium gestellt, und
wenn ja, wie viele jährlich seit dem Jahr 2000 und ist für diese Anträge eine
persönliche Vorsprache bei der Visa-Stelle der Deutschen Botschaft erfor-
derlich?

39. Wie bewertet die Bundesregierung, dass in Moskau Firmen auf Plakaten in
U-Bahnstationen und mit Anzeigen in Zeitungen ihre Dienste anbieten, ge-
gen Bezahlung mit einer schnellen, unbürokratischen und diskreten Ab-
wicklung der Visa-Beschaffung behilflich zu sein, und wie möchte die Bun-
desregierung diesem Missstand entgegentreten?

V. Ermittlungen gegen Bedienstete
40. Wie viele strafrechtliche und/oder zivilrechtliche Ermittlungsverfahren und/

oder Anklagen gegen Bedienstete des AA und/oder des BMI und/oder deren
nachgeordneten Behörden – falls ja, welcher Behörden – sind bzw. waren
seit dem Jahr 2000 an welchen Orten anhängig, die im Zusammenhang mit
Visa-Erteilung, -Vergabe und/oder Reiseschutzpässen stehen, und was sind
die genauen Ermittlungsgründe?

41. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden gegen Mitarbeiter des AA im Zu-
sammenhang mit der Erteilung von Visa seit dem Jahr 2000 eingeleitet bzw.
durchgeführt, und welche Sacherhalte lagen jeweils zugrunde?

42. Wie viele Disziplinarverfahren wurden gegen Mitarbeiter des AA im Zu-
sammenhang mit der Erteilung von Visa seit dem Jahr 2000 eingeleitet bzw.
durchgeführt und welche Sachverhalte lagen jeweils zugrunde?

43. Welche Arbeitsebenen aus dem Geschäftsbereich des AA waren/sind von
Ermittlungsverfahren bzw. Disziplinarverfahren im Zusammenhang mit der
Erteilung von Visa betroffen?

44. Welche Delikte bzw. welche Unregelmäßigkeiten wurden gemäß der Ant-
wort der Bundesregierung auf Frage 10 der Großen Anfrage der Frak-
tion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache
15/3670 dem Mitarbeiter der Botschaft Kiew vorgeworfen, gegen den das
Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, und welche dienstrechtlichen Kon-
sequenzen wurden seitens des AA gezogen?

45. Wie ist der Stand der hausinternen Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter
des AA, gegen den wegen 12 000 „unsauberen“ Visa-Erteilungen ermittelt
wurde (Vorlage des Bundesgrenzschutzes an den Bundesminister des Innern
vom 19. Juni 2002) und trifft es zu, dass dieser in den vorzeitigen Ruhestand
versetzt wurde?

46. Wird die Ruhestandsversetzung rückgängig gemacht, wenn sich der Ver-
dacht gegen diesen Mitarbeiter nicht erhärtet, und welche dienstrechtliche
Quelle liegt zugrunde, einen Mitarbeiter, gegen den der Verdacht der Vor-
teilsannahme und Bestechlichkeit erhoben wird, seitens des AA lediglich in
den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen?

47. Gibt es im Zusammenhang mit Visa-Missbrauch Erkenntnisse gegen Mitar-
beiter des AA oberhalb der Referatsleiterebene, und wenn ja, wie viele, wel-
che und welche Personalebenen sind davon betroffen?

48. Warum bestreitet die Bundesregierung, dass gegen einen Abteilungsleiter
aus dem AA ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur
gewerbsmäßigen Schleusung durch Unterlassen läuft (Antwort auf Frage 11
der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität
auf Bundestagsdrucksache 15/3670), oder ist die Aussage lediglich formal

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/3778

richtig, weil der Betreffende mittlerweile anderweitig beschäftigt ist, bei-
spielsweise als Botschafter?

49. Wie ist der Ermittlungsstand gegen die fünf Mitarbeiter des AA, und welche
dienstrechtlichen Konsequenzen wurden daraus gezogen?

50. Hat die Bundesregierung – nachdem ihr bekannt wurde, dass gegen fünf
ihrer Bediensteten strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen des Ver-
dachts der Bestechlichkeit, des Verdachts der Beihilfe zur gewerbsmäßigen
Schleusung von Ausländern durch Unterlassen und wegen des Verdachts
der uneidlichen Falschaussage anhängig sind (vgl. Antwort der Bundes-
regierung auf Frage 10 der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zur
Schleuserkriminalität auf Bundestagsdrucksache 15/3670) – Disziplinar-
verfahren gegen die Bediensteten eingeleitet, und wenn nein, warum nicht?

51. Trifft es zu, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Bedienstete des AA bzw.
der Visa-Stelle der Deutschen Botschaft Colombo anhängig ist, und wenn
ja, seit wann und wogegen richtet sich der Verdacht?

52. WelcheMöglichkeiten hat das AA, bei Verdachtsmomenten gegen Ortskräf-
te zu ermitteln?

VI. Schleusungen
53. Liegen der Bundesregierung Schätzungen vor, wie viele der ursprünglich

4,4 Mio. Einwohner Moldawiens in Westeuropa arbeiten und in welchem
Größenverhältnis dies auf illegalem Weg erfolgte?

54. Zu welchem Ergebnis kam die Untersuchungskommission der Bundesregie-
rung an der deutschen Botschaft in Tirana hinsichtlich der zahlenmäßigen
Entwicklung der dort ausgestellten Visa, der geschätzten bzw. tatsächlichen
Anzahl von Visa-Vergehen und Schleuseraktivitäten?

55. Ist dieser Rückgang der Aufgriffe bei illegalen Ausreiseversuchen (vgl. Be-
richt des Bundesnachrichtendienstes vom Januar 2001 zum Thema „Illegale
Migration nach Europa“, über den auch DER SPIEGEL am 30. April 2001
berichtet hat, wo es heißt: „Schätzungen zur Zahl der illegalen Migranten in
der Ukraine schwanken stark und reichen bis zu einer Million. (…) Bei den
illegalen Ausreiseversuchen aus der Ukraine gingen die Aufgriffe sogar um
ca. 45 Prozent zurück (von 10 399 Personen im Jahr 1999 auf 5 694 im Jahr
2000.)“) auf die Erleichterung der „legalen“ Ausreise durch Carnet de Tou-
riste und/oder Reiseschutzpass zurückzuführen, und wenn nein, worauf
sonst?

56. Welche zahlenmäßigen Schätzungen liegen der Wertung der Wostok-Son-
derauswertung aus dem Jahre 2003 zugrunde, wo es heißt: „Die zu diesem
Zeitpunkt bereits in großem Umfang bei den Einreisekontrollen festgestell-
ten Reisegruppen ließen eine organisiert begangene Visa-Erschleichung in
bislang unbekanntem Ausmaß erahnen.“?

57. Welche geschätzten Fallzahlen liegen demWostok-Bericht zugrunde, wenn
es heißt: „Frauen werden nicht den ihnen versprochenen Arbeitsstellen, son-
dern zwangsweise der Prostitution zugeführt“?

58. Wie viel Firmen sind den Wostok-Ermittlern bekannt, die „von Schleusern
unter Druck gesetzt werden, um sie zu veranlassen, Illegale zu beschäf-
tigen“, und wie viel Beschäftigungsverhältnisse wurden dadurch eingegan-
gen?

59. Welche konkreten Maßnahmen wurden von der Bundesregierung – nach-
dem bereits im August 2001 das sog. Reisebüroverfahren abgeschafft wor-
den war – auf den BKA-Bericht vom 18. September 2001 hin getroffen, in
dem die immense kriminelle Energie der international organisierten Schleu-

Drucksache 15/3778 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sungssysteme und der daraus entstehende wirtschaftliche und politische
Schaden beschrieben sowie festgestellt wird, dass diese „in erster Linie bei
den deutschen Auslandsvertretungen erschlichen werden (35 Prozent aller
von Schengenstaaten ausgestellten Schengenvisa werden von deutschen
Auslandsvertretungen ausgestellt: in der Ukraine sogar 85 Prozent, wobei
die deutschen Vertretungen gleichzeitig die niedrigste Ablehnungsquote
aufweisen“)?

60. Wie viele Schengenvisa wurden – angesichts der Tatsache, dass eine ge-
meinsame Sicherheitspolitik im Schengenraum einer einheitlichen Visa-Er-
teilungspraxis bedarf und hierfür ein Datenaustausch über die erteilten Visa
Grundvoraussetzung ist – für die GUS-Staaten von den einzelnen Auslands-
vertretungen der Schengenstaaten jeweils in den Jahren 2000 bis einschließ-
lich 1. Halbjahr 2004 erteilt und wie hoch war hierbei jeweils der prozen-
tuale Anteil Deutschlands?

61. Wie viele Schengenvisa wurden für die GUS-Staaten im Jahr 2002 insbe-
sondere von Frankreich und Italien erteilt, nachdem im gleichen Zeitraum
die Staaten Belgien, Finnland, Griechenland, Holland, Norwegen, Öster-
reich, Portugal, Schweden und Spanien insgesamt 1 000 913 Visa und
Deutschland 902 073 Visa (was einem Anteil von 47 Prozent entspricht)
ausgestellt haben?

62. Wie viele Schengenvisa wurden – angesichts der Tatsache, dass eine ge-
meinsame Sicherheitspolitik im Schengenraum einer einheitlichen Visa-Er-
teilungspraxis bedarf und hierfür ein Datenaustausch über die erteilten Visa
Grundvoraussetzung ist – allein in Kiew von den einzelnen Auslandsvertre-
tungen der Schengenstaaten jeweils in den Jahren 2000 bis einschließlich
1. Halbjahr 2004 erteilt und wie hoch war hierbei jeweils der prozentuale
Anteil Deutschlands?

63. Wie hoch schätzt die Bundesregierung heute den politischen und wirtschaft-
lichen Schaden durch diese international organisierten Schleusungssysteme
für Deutschland ein, und welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ein-
geleitet, nachdem im BKA-Bericht ausdrücklich „neben dem volkswirt-
schaftlichen Schaden“ ausdrücklich auch vor der „Gefahr außenpolitischen
Schadens für die Bundesrepublik Deutschland“ gewarnt wurde und die
Visa-Zahlen aus den GUS-Staaten sich bis heute immer noch auf äußerst
hohem Niveau befinden?

64. Welche konkreten Maßnahmen wurden von der Bundesregierung ausge-
hend von den Beschwerden Italiens und Portugals (laut BKA-Bericht vom
September 2001) sowie der französischen Grenzpolizei vom Frühjahr 2001
über die Visa-Erteilungspraxis der deutschen Auslandsvertretungen ergrif-
fen, damit nicht weiterhin eine große Zahl von Bürgern aus GUS-Staaten
mit von deutschen Auslandsvertretungen erstellten Schengenvisa in jene
Länder einreisen und dort illegal arbeitet?

65. Wieso stellt die Bundesregierung in Abrede, dass ihre Erlasse zu Visa-
Verfahren in Strafverfahren gegen gewerbsmäßige Schleuser Beachtung
gefunden haben und in hohem Maß problematisiert worden sind (vgl. Ant-
worten der Bundesregierung auf Fragen 3 bis 11 der Großen Anfrage der
Fraktion der CDU/CSU zur Schleuserkriminalität auf Bundestagsdruck-
sache 15/3670), wenngleich aus dem Verfahren H. O. in Dresden und ins-
besondere aus dem Verfahren A. B. in Köln ersichtlich wird, dass dies sehr
wohl der Fall ist?

66. Wie erklärt und bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass in zwei be-
kannten Urteilen (Urteil A. B., Landgericht Köln sowie Urteil H. O., Land-
gericht Dresden) vom Gericht bei der Strafzumessung jeweils eine erheb-
liche Strafmilderung angerechnet werden musste – im Fall A. B. eine

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/3778

Milderung von acht auf fünf Jahre Freiheitsstrafe (vgl. Urteil, S. 343) –,
weil den Angeklagten die Begehung der Straftaten gegen das Ausländer-
gesetz leicht gemacht worden sei, im Fall A. B. mit der Begründung „Ob-
wohl den zuständigen Stellen des Auswärtigen Amts durch Schreiben der
Visumstelle bekannt war, dass wegen des nicht zu bewältigenden Mas-
senandrangs von Visumantragstellern bereits aus Zeitgründen keinerlei
Prüfung der Visumanträge stattfinden konnte, wurden zudem keinerlei
effektive Maßnahmen getroffen, wenigstens ein Minimum an Prüfungs-
dichte und -tiefe bei den Visumantragsverfahren zu erhalten. Im Gegenteil
wurden die Mitarbeiter der Visumabteilung der Botschaft in Kiew faktisch
durch Erlasse des politischen Führung des Auswärtigen Amts angewiesen,
Deutschland als weltoffenes Land erscheinen zu lassen und deswegen ent-
gegen der Gesetzeslage selbst bei Zweifeln für eine Visumerteilung zu ent-
scheiden. Bei dem Fehlverhalten der zuständigen Stellen handelte es sich
auch nicht um „Entgleisungen“ im Einzelfall. Vielmehr war das Versagen
der mit den anstehenden Fragen beschäftigten Behörden „flächendeckend“
und „allumfassend“ und im Fall H. O. mit der Begründung, die Deutsche
Botschaft in Kiew habe die Angaben des Angeklagten nicht kontrolliert und
ihn als „guten Kunden“ behandelt und so erst die Taten ermöglicht?

Berlin, den 21. September 2004
Dr. Hans-Peter Uhl
Eckart von Klaeden
Matthias Sehling
Hartmut Koschyk
Ilse Aigner
Clemens Binninger
Reinhard Grindel
Ernst Hinsken
Volker Kauder
Thomas Strobl (Heilbronn)
Ralf Göbel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Ingo Wellenreuther
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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