BT-Drucksache 15/3773

Vorratsdatenspeicherung

Vom 22. September 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3773
15. Wahlperiode 22. 09. 2004

Kleine Anfrage
der AbgeordnetenGisela Piltz, Otto Fricke, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth),
Rainer Funke, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt und der
Fraktion der FDP

Vorratsdatenspeicherung

Nach den Anschlägen vom 11. März 2004 in Madrid hat sich die Diskussion um
die Einführung einer europaweit harmonisierten Vorratsspeicherung von Tele-
kommunikationsverkehrsdaten wieder verschärft.
Auf Empfehlung des Sonderrats der EU-Innenminister am 19. März 2004 wurde
auf dem EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am 25. März 2004 eine
Erklärung zum Kampf gegen den Terrorismus angenommen und der Rat beauf-
tragt, bis Juni 2005 Maßnahmen für die Erarbeitung von Rechtsvorschriften für
die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch Diens-
teanbieter und Netzbetreiber zu prüfen. Bereits am 28. April 2004 haben Frank-
reich, Irland, Schweden und Großbritannien einen gemeinsamen Entwurf für
einen Rahmenbeschluss des EU-Rates über die Vorratsdatenspeicherung vor-
gelegt.
Dieser Entwurf schlägt die Einführung von europaweit harmonisierten Regeln
zur Vorratsspeicherung von Daten für mindestens 12 Monate bis höchsten
36 Monate vor.
Betroffen sind Betreiber öffentlicher Kommunikationsnetze oder Anbieter
öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste.
Für den Bereich des Internets werden – nicht abschließend! – folgende Daten-
typen genannt:
Internet-Protokolle, einschließlich E-Mail, Protokolle für Sprachübermittlung
über das Internet, Dateiübertragungsprotokolle, Netzübertragungsprotokolle,
Hypertextübertragungsprotokolle, Sprachübermittlung über Breitband und Sub-
sets von Internet-Protokoll-Nummern, Daten zur Umsetzung der Netzadresse.
Lediglich reine Inhaltsdaten sollen nicht erfasst werden. Dies führt dazu, dass
die Daten in einem aufwändigen Verfahren „umgearbeitet“ werdenmüssen. Hier
besteht die Gefahr, dass aufgrund des Aufwandes und der damit verbundenen
Kosten die gebotene Abtrennung der Inhaltsdaten unterbleibt.

Drucksache 15/3773 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Eine Besonderheit bildet dabei noch der Umstand, dass im europäischen Raum
teilweise auch das Aufrufen einer Website als Kommunikationsdatum verstan-
den wird.
Die erheblichen Auswirkungen für Bürger und Unternehmen, aber auch für die
Bundesrepublik Deutschland selbst stehen in keinem Verhältnis zu einem nicht
erwiesenen Effekt für Strafverfolgungsbehörden.
So würde das Vertrauen der Bürger in E-Kommunikation und Telefon nachhaltig
gestört, wenn das gesamte Kommunikationsverhalten unter Umständen auf
Jahre abrufbar wäre.
Die Ausmaße der verlangten Speicherung, Aufbereitung und Sicherung sind da-
bei mit gegenwärtiger Technik gar nicht zu bewältigen, vielmehr müssten die
Unternehmen für Mrd. Euro nachrüsten und dies bei enormen laufenden Kosten.
Ausgaben, die nicht mehr für innovations- und arbeitsplatzfördernde Maßnah-
men genutzt werden könnten, welche dem Standort Deutschland zugute kämen.
Schließlich wurde im gerade erst veröffentlichten neuen Telekommunikations-
gesetz die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung aus guten Gründen abge-
lehnt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass den Sicherheitsbehörden durch die
Masse der Daten ein – wenn überhaupt – nur marginaler Informationsmehrwert
entstünde, der die erheblichen Belastungen der Wirtschaft und der betroffenen
Bürger (Grundsatz der Datensparsamkeit, Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung und Vertraulichkeit der eigenen Daten) nicht zu rechtfertigen vermag.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. WelcheMaßnahmen plant die Bundesregierung als Reaktion auf den Entwurf

eines Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über die Vor-
ratsspeicherung von Daten, Nr. 8958/04?

2. Wie bewertet die Bundesregierung das Spannungsfeld zwischen einer Vor-
ratsspeicherung von telefonischen und sonstigen Verbindungsdaten durch die
Anbieter einerseits und datenschutzrechtlichen Bestimmungen andererseits
unter Berücksichtigung insbesondere des Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung nicht nur des Anrufers, sondern auch des Angerufenen?

3. Wie schätzt die Bundesregierung dieMöglichkeit ein, dass Kriminelle die mit
der Vorratsspeicherung beabsichtigten Ermittlungsergebnisse gezielt ver-
eiteln bzw. einer Ermittlung entgehen?

4. Sind der Bundesregierung Statistiken bekannt, denen zufolge eine Datenspei-
cherung der genannten Art zur Verbesserung der Verbrechensbekämpfung
führt, und wenn ja, wie stellen sich diese Statistiken im Einzelnen dar?

5. Wie sieht die Bundesregierung das Verhältnis von Datensammlung und
Datenauswertung hinsichtlich der Effektivität von Verbrechensbekämpfung
mit Hilfe der genannten Datenerhebungen?

6. Hält die Bundesregierung für den Fall einer Vorratsspeicherung der genann-
ten Art eine Aufwandsentschädigung für die davon betroffenen Unternehmen
der Telekommunikationsbranche für erforderlich, wenn ja, in welchem Um-
fang, und wenn nein, warum nicht?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Gefahr, dass durch die genannte Vor-
ratsspeicherung ein Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger hinsicht-
lich der von ihnen genutzten Telekommunikationswege entsteht?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3773

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass dort, wo eine umfassende Vor-
ratsspeicherung vorgenommen wird, dies den Verlust von Wettbewerbs-
fähigkeit und wirtschaftlicher Dynamik nach sich ziehen kann?
Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht?

9. Von welcher Belastung für den Bundeshaushalt durch die Einführung der
Vorratsspeicherung geht die Bundesregierung aus?

10. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die durch eine Vorratsspeicherung
insgesamt volkswirtschaftlich entstehenden Kosten?

11. Geht die Bundesregierung davon aus, dass die zur Vorratsspeicherung
verpflichteten Unternehmen die Kosten an die Verbraucher weitergeben
werden, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, in welchemUm-
fang dies zu einer Verteuerung von Telekommunikations-Dienstleistungen
führte?

12. Durch welche Vorteile können nach Ansicht der Bundesregierung diese
Kosten gerechtfertigt werden?

13. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Personal- und Verwaltungsauf-
wand für die Einführung einer Vorratsspeicherung?

14. Von welchem zu speichernden Datenvolumen geht die Bundesregierung für
Deutschland aus, wenn eine Speicherung in dem im Entwurf genannten
Umfang erfolgt?

15. Welche Schutzmaßnahmen gegen Datenmissbrauch und allgemein zur
Sicherstellung der Datensicherheit hält die Bundesregierung auch ange-
sichts des Datenvolumens für erforderlich und notwendig?

16. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung die zivilrechtliche Haftung für
Fehler bei der Datenspeicherung ausgestaltet werden, beabsichtigt die Bun-
desregierung insbesondere Haftungserleichterungen für die zur Datenspei-
cherung verpflichteten Unternehmen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorratsspeicherung unter dem daten-
schutzrechtlich gebotenen Grundsatz der Sparsamkeit hinsichtlich perso-
nenbezogener Daten der Bürgerinnen und Bürger?

18. Wird die Bundesregierung bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses die
Meinung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz einholen, und in
welcher Weise wird sie diesen an der weiteren Entscheidungsfindung betei-
ligen?

Berlin, den 22. September 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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