BT-Drucksache 15/361

Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre

Vom 29. Januar 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/361
15. Wahlperiode 29. 01. 2003

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Otto Fricke, Daniel Bahr
(Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Dr. Christian Eberl,
Horst Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle
Laurischk, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Marita Sehn, Dr. Max
Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre

A. Problem
Gegenwärtig besteht eine strafrechtliche Lücke im Bereich der Verletzung des
persönlichen Lebens und Geheimbereiches durch Bildaufnahmen. Anders als
die Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) und der Verletzung
des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB), des unbefugten Ausspähen von Daten
(§ 202a StGB) sowie der Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB), ist
der höchstpersönliche Lebensbereich vor unbefugten Bildaufnahmen und opti-
schen Beobachtungen nicht ausreichend strafrechtlich geschützt. Diese Straf-
barkeitslücke wollte die Bundesregierung bereits in der letzten Legislaturpe-
riode schließen, wie sie dieses in der Antwort auf die schriftliche Frage des
Abgeordneten Jörg van Essen (Bundestagsdrucksache 14/6117, S. 6) angekün-
digt hatte. Bisher ist dieses Vorhaben noch nicht umgesetzt worden.

B. Lösung
Schaffung eines neuen Tatbestandes der Verletzung der Intimsphäre durch
Beobachtung.

C. Alternativen
Die Bundesregierung hat angekündigt, dass sie eine Änderung der Vorschrift
erst gemeinsam mit einer weiteren Überarbeitung des Besonderen Teils des
Strafgesetzbuches beabsichtigt. Es ist gegenwärtig nicht erkennbar, wann ein
entsprechender Gesetzentwurf seitens der Bundesregierung eingebracht werden
wird. Weder in der letzten Legislaturperiode ist dieses geschehen, noch ist die-
ses für die jetzige Legislaturperiode angekündigt worden.

D. Kosten
Keine

Drucksache 15/361 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Intimsphäre

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt
geändert durch …, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 201 wird folgender § 201a eingefügt:

㤠201a
Verletzung der Intimsphäre durch

unbefugte Bildaufnahme und Beobachtung
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder mit Geld-

strafe wird bestraft, wer die Intimsphäre einer anderen
Person dadurch verletzt, dass er
1. sie unbefugt auf einen Bildträger aufnimmt oder
2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem

Dritten zugänglich macht.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt die Intims-

phäre einer anderen Person dadurch verletzt, dass er sie
mit einem Bildaufnahmegerät oder anderen technischen
Mitteln beobachtet.

(3) Die Tat ist nur strafbar, wenn sie geeignet ist, be-
rechtigte Interessen der verletzten Person zu beeinträch-
tigen. Die Tat nach Absatz 1 Nr. 2 ist nicht rechtswidrig,
wenn sie zur Wahrnehmung überragender öffentlicher
Interessen begangen wird.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geld-

strafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den
öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Intim-
sphäre verletzt (Absätze 1 und 2).
(5) Der Versuch ist strafbar.
(6) Die Bildaufnahmegeräte, Bildträger oder andere

technischen Mittel, die der Täter oder Teilnehmer ver-
wendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzu-
wenden.“

2. In § 205 Abs. 1 wird nach der Angabe „… Abs. 1 und 2“
die Angabe „, des § 201a Abs. 1 und 2“ eingefügt.

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 28. Januar 2003
Jörg van Essen
Rainer Funke
Otto Fricke
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Dr. Christian Eberl
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Karlheinz Guttmacher
Dr. Christel Happach-Kasan
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer

Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/361

Begründung

A. Allgemeines
In der heutigen, durch die elektronische Datenverarbeitung
und die schnelle Verbreitung von Text-, Bild- und Toninfor-
mationen bestimmten Zeit, besteht eine immer höhere Be-
drohung für das Rechtsgut des persönlichen Lebens- und
Geheimbereiches. Allerdings hat das Strafgesetzbuch bisher
darauf verzichtet, dass unbefugte Aufnehmen des Bildes
von Menschen und die Veröffentlichung solcher Aufnah-
men unter Strafe zu stellen.
Sinn einer strafrechtlichen Regelung im Bereich der Ver-
letzung des persönlichen Lebens und Geheimbereiches ist
es, die für den Bürger in einer freiheitlichen Demokratie
bestehende Notwendigkeit eines effektiven lückenlosen
Schutzes sicherzustellen. Die Unverletzlichkeit des persön-
lichen Lebens- und Geheimbereiches ist ein selbständiges
hochrangiges Rechtsgut, welches eines besonderen Schut-
zes bedarf. Denn nur dann kann der Einzelne sich zu einer
verantwortungsvollen Persönlichkeit entwickeln, wenn ihm
hierfür ein freier Raum vor der Gemeinschaft, dem Staat so-
wie anderen einzelnen Personen gewährleistet wird.
Das Recht jeder Persönlichkeit, seine Intimsphäre gegen-
über der Außenwelt zu beschützen, ist in immer stärkerem
Maße bedroht. Es ist die Aufgabe des Staates, diesen, von
Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 des GG auch von Arti-
kel 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten geschützten Bereich im Zweifel auch unter
einem besonderen strafrechtlichen Schutz zu stellen.
Der Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches hat ur-
sprünglich in § 146 Abs. 2 und 3 StGB vorgesehen, auch
unerlaubte Bildaufnahmen etc. unter strafrechtlichen Schutz
zu stellen. Mag Ende der 60er Jahre hierfür noch kein drän-
gendes Bedürfnis bestanden haben, so hat insbesondere die
Digitalisierung, speziell das Internet, erheblich mit dazu
beigetragen, dass die Verbreitung von Bildaufnahmen inner-
halb kürzester Zeit und auch von Personen, die nicht zum
öffentlichen Leben gezählt werden können, erheblich zuge-
nommen hat. Hinzu kommt, dass durch neue technische
Entwicklungen, insbesondere die Möglichkeit der Verklei-
nerung von Bildaufnahmegeräten aber auch der Möglich-
keiten, auf große Entfernungen detaillierte Aufnahmen vor-
zunehmen, die Intimsphäre in weit häufigerem Maße ver-
letzt wird, als dieses noch vor Jahren der Fall war.
In der EU-Richtlinie 2002/56/EG vom 12. Juli 2002 zum
Datenschutz für elektronische Kommunikation erkennt die
Europäische Union bereits die Brisanz dieser Entwicklung.
Das Internet revolutioniere die herkömmlichen Marktstruk-
turen, indem es eine gemeinsame weltweite Infrastruktur für
die Bereitstellung eines breiten Spektrums elektronischer
Kommunikationsdienste biete. Öffentlich zugängliche elek-
tronische Kommunikationsdienste über das Internet eröff-
neten neue Möglichkeiten für die Nutzer, bildeten aber auch
neue Risiken in Bezug auf ihre personenbezogenen Daten
und ihrer Privatsphäre. Die EU fordert die Bundesregierung
dazu auf, für öffentliche Kommunikationsnetze besondere
rechtliche, ordnungspolitische und technische Vorschriften
zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten zu erlas-

sen, insbesondere im Hinblick auf die zunehmenden Fähig-
keiten zur automatischen Speicherung und Verarbeitung
personenbezogener Daten über Teilnehmer und Nutzer.
Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat schon
in seinem Tätigkeitsbericht 1999 und 2000 diese Problema-
tik angesprochen (Bundestagsdrucksache 14/555 Seite 22)
und die nach seiner Meinung bestehende Strafbarkeitslücke
gerügt. So berichtet der Bundesbeauftragte für den Daten-
schutz, dass im Internet Fotos von Personen veröffentlicht
werden, die weder von der Aufnahme noch von der Veröf-
fentlichung Kenntnis haben. Dabei bewegten sich diese Per-
sonen nur zum Teil in der Öffentlichkeit, zum Teil aber in
Bereichen, in denen sie sich bewusst der Öffentlichkeit ent-
ziehen wollten und deshalb auch gar nicht mit der Auf-
nahme von Bildern rechnen können oder müssen. Aufge-
zählt werden durch den Bundesbeauftragten für den Da-
tenschutz hier Privatwohnungen, Umkleidekabinen in
Schwimmbädern oder in Geschäften. Der Gesetzgeber ist
auch aufgefordert, den Wertungswiderspruch aufzulösen,
dass die Veröffentlichung von heimlichen Tonaufnahmen
unter Strafe gestellt ist, während es für den ebenso tiefen
Eingriff in die Persönlichkeitsrechte durch Nutzung oder
Veröffentlichung von Bildaufnahmen dann gilt, wenn dieses
in Verbindung mit anderen bereits bestehenden Straftaten
geschieht. Die Schaffung eines neuen Tatbestandes trägt zur
Harmonisierung des Strafrechts bei.
Auch im Bereich des Mobilfunks ist es bereits möglich,
Bildaufnahmen zu machen, sie zu versenden und sie somit
auch zweckwidrig, also ohne Einwilligung des Betroffenen
der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Veröffent-
lichung wird so unkontrolliert, Eingriffe in das Persönlich-
keitsrecht immer wahrscheinlicher.
Das Bundesministerium der Justiz hat den Bundesbeauf-
tragten für den Datenschutz bisher auf Nachfragen mitge-
teilt, dass es die Problematik seit längerem aufmerksam be-
obachtet. Reaktionen des Bundesministeriums der Justiz im
Hinblick auf eine gesetzgeberische Tätigkeit sind bisher
nicht erkennbar.

B. Begründung der einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)
Zu Nummer 1
Es ist äußerst unbefriedigend, wenn die Veröffentlichung
von heimlichen Tonbandaufnahmen unter Strafe gestellt
wird, während die mindestens ebenso tiefen Eingriffe in die
Persönlichkeitsrechte darstellende Veröffentlichung oder
Nutzung von heimlichen Bildaufnahmen jedoch bisher
nicht.
Eine Strafbarkeit, die alleine aufgrund anderer strafrechtli-
cher Regelungen gegeben ist, wie etwa dem Hausfriedens-
bruch (§ 123 StGB), reicht nicht aus. Auch die völlig veral-
tete Regelung des § 33 Kunsturhebergesetz beseitigt nicht
die bestehende Strafbarkeitslücke.

Drucksache 15/361 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wegen der Vergleichbarkeit des Eingriffs mit der in § 201
StGB unter Strafe gestellten heimlichen Aufnahme des
nichtöffentlich gesprochenen Wortes wird die Regelung als
neuer § 201a StGB eingefügt.
Die Formulierungen und der Strafrahmen orientieren sich
wesentlich an denjenigen des § 201 StGB.
Bisher taucht der Begriff der Intimssphäre in der Gesetzge-
bung nicht auf. Allerdings hat sich das Bundesverfassungs-
gericht im Rahmen der Fortentwicklung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts mit der Entwicklung dieses der
Menschenwürde erwachsenen Persönlichkeitsrechts befasst.
Das Gebot der Achtung der Intimsphäre des Einzelnen hat
seine Grundlage in den durch Artikel 2 Abs. 1 GG verbürg-
ten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der
Menschenwürde nach Artikel 1 Abs. 1 GG.
Im Rahmen der so genannten Dreistufentheorie ist zwischen
Sozial-, Privat- und Intimsphäre zu unterscheiden.
Der Gesetzentwurf will ausdrücklich nur den engen Bereich
der Intimsphäre unter den strafrechtlichen Schutz gegen-
über unbefugten Beobachtungen und Aufnahmen stellen.
Demnach ist die Intimsphäre im Sinne dieses Gesetzentwur-
fes der letzte unantastbare Kernbereich privater Lebensge-
staltung. Insoweit findet es auch Berücksichtigung, inwie-
weit ein Wille des Betroffen besteht, den beobachteten Le-
benssachverhalt geheimhalten zu wollen. Schließlich muss
der beobachtete Sachverhalt höchstpersönlichen Charakter
haben und es ist zu berücksichtigen, in welchem Umfang er
die Sphäre anderer Personen oder der Gemeinschaft berührt.
Auch wenn eine abstrakte Umschreibung der Intimsphäre
nicht möglich ist, sind beispielhaft jedoch Tagebuchauf-
zeichnungen und etwa die Gestaltung des Geschlechtsle-
bens grundsätzlich Teil dieser Intimsphäre.

Der Täter muss stets unbefugt handeln, also rechtswidrig,
also etwa ohne gesetzliche Erlaubnis. Dieses spielt etwa –
insoweit allerdings nur für den Absatz 4 bedeutsam – eine
Rolle bei strafprozessualen Maßnahmen etwa nach § 100c
StPO.
Bedeutsamer sind jedoch die Fälle der Einwilligung des Be-
troffenen.
Absatz 3 Satz 1 ist eine Bagatellklausel, die den Anwen-
dungsbereich des § 201a auf strafwürdige Fälle beschränkt.
Absatz 3 Satz 2 trägt der Notwendigkeit Rechnung, dass sich
aus Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes ein Rechtfertigungs-
grund ergeben kann. Dieses ist dann der Fall, wenn die Be-
deutung der Information für die Unterrichtung der Öffent-
lichkeit und deren Meinungsbildung die Nachteile des
Rechtsbruches überwiegt. Es muss sich also um erhebliche
Missstände handeln und ein überragendes öffentliches Inte-
resse an deren Aufdeckung bestehen.
Absatz 4 ist ein Qualifikationstatbestand für Amtsträger
(§ 11 Nr. 2 StGB) und besonders Verpflichtete (§ 11 Nr. 4
StGB) und anders als die Absätze 1 und 2 ein Offizialdelikt.
Gemäß Absatz 5 ist der Versuch strafbar,
Absatz 6 trägt dafür Sorge, dass nicht nur die Einziehung
nach § 74 StGB möglich ist, sondern auch bei Dritten ge-
mäß § 74a StGB.
Zu Nummer 2
Die Nummer 2 regelt die Erforderlichkeit des Strafantrages
in den Fällen des § 201a Abs. 1 und 2.
Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)
Artikel 2 bestimmt den Zeitpunkt, zu dem das Gesetz in
Kraft treten soll.

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