BT-Drucksache 15/3467

Umsetzung des nationalen Radverkehrsplans 2002 - 2012 forcieren

Vom 30. Juni 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3467
15. Wahlperiode 30. 06. 2004

Antrag
der Abgeordneten Heidi Wright, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Hans-Günter
Bruckmann, Dr. Peter Danckert, Annette Faße, Rainer Fornahl, Monika Griefahn,
Gabriele Groneberg, Lothar Ibrügger, Brunhilde Irber, Astrid Klug, Dr. Heinz
Köhler, Ernst Kranz, Horst Kubatschka, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, Heinz
Paula, Karin Rehbock-Zureich, Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Siegfried Scheffler,
Dr. Angelica Schwall-Düren, Wolfgang Spanier, Ludwig Stiegler, Jörg Vogelsänger,
Petra Weis, Reinhard Weis (Stendal), Dr. Margrit Wetzel, Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Winfried Hermann, Albert Schmidt (Ingolstadt),
Volker Beck (Köln), Franziska Eichstädt-Bohlig, Peter Hettlich, Rainder Steenblock,
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2002–2012 forcieren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel, dessen Potenzial bei weitem noch nicht aus-
geschöpft ist. Die Einsatzmöglichkeiten des Fahrrads sind vielfältig. In Städten
ist es häufig das schnellste Verkehrsmittel, am Stau vorbei und ohne Parkplatz-
suche. In Kombination mit Bahn, Bus und Schiff ist es attraktiv für Pendler, für
Ausflügler und Reisende. Für Kinder schafft das Fahrrad einen neuen eigenen
Aktionsraum. Als Sportgerät fordert es zu körperlichen Höchstleistungen her-
aus, aber auch das Rad fahren im Alltag stärkt die körperliche Fitness und
schützt vor Krankheiten. Urlaub mit dem Rad ermöglicht neue Eindrücke und
Erfahrungen von Menschen und Landschaften, die das Auto nicht bietet.
Das Fahrrad leistet darüber hinaus wichtige Beiträge für die Umwelt durch die
Vermeidung von Luftschadstoffen, Lärm und Flächenverbrauch. Radfahren ist
gesund. Das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sinkt um die Hälfte bei
denjenigen, die täglich eine halbe Stunde in die Pedale treten. Zudem schaffen
und erhalten Produktion und Dienstleistungen rund um das Fahrrad zahlreiche
Arbeitsplätze in Deutschland.
Der Fahrradtourismus in Deutschland hat in den letzten Jahren stetig zweistel-
lige Zuwachsraten aufgewiesen. Auch 2004 verspricht für den Fahrradtouris-
mus ein gutes Jahr zu werden. Zur Internationalen Tourismusbörse (ITB) 2003
in Berlin berichtete der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC), dass die
Veranstalter pauschaler Radreisen zweistellige Zuwachsraten gegenüber dem
Vorjahr verbuchen konnten. Der ADFC schätzt den Umsatz von Radreisenden
alleine in Deutschland auf 5 Mrd. Euro.

Drucksache 15/3467 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag stellt darüber hinaus fest:
1. Mit dem von der Bundesregierung am 24. April 2002 beschlossenen Na-

tionalen Radverkehrsplan 2002–2012 (NRVP) auf Bundestagsdrucksache
14/9504 liegt erstmalig für Deutschland ein Masterplan für eine umfassende
Förderung des Fahrradverkehrs auf allen politischen Ebenen vor. Viele Maß-
nahmen zur Förderung des Radverkehrs liegen aufgrund unserer föderativen
Verfassung in der Verantwortung von Ländern und Kommunen. Dem Bund
kommt die Koordinierungsfunktion für die Umsetzung des NRVP zu. So
heißt es im NRVP (S. 8): „Mit Vorlage dieses Plans bekennt sich die Bundes-
regierung zu ihrer aktiven Rolle als Katalysator und Moderator bei der För-
derung des Fahrradverkehrs.“ Der Bund muss neben seiner Koordinierungs-
funktion und der Zuständigkeit für den Radwegebau an Bundesstraßen und
Bundeswasserstrassen aber auch Motor des NRVP sein und den Radverkehr
zu einem integralen Bestandteil seiner Bundesverkehrspolitik machen.

2. Das Ziel, eine Steigerung des Radverkehrsanteils am Gesamtverkehr zu er-
reichen, ist seit Verabschiedung des NRVP schwieriger geworden. Ging der
NRVP (S. 13) noch von einem Radverkehrsanteil von 12 Prozent aus, so
zeigen jüngste Zahlen der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen in Auftrag gegebenen Studie „Mobilität in Deutschland“,
dass der Radverkehrsanteil nur noch 9 Prozent beträgt (vgl. Ergebnis-
telegramm Mobilität in Deutschland 2002, http://www.kontiv2002.de/pdf/
ergebnistelegramm_mobiltaet_in_deutschland_2002.pdf). Es bedarf daher
verstärkter, zielgerichteter Anstrengungen auf allen Ebenen, um das Ziel
einer „deutlichen Erhöhung des Radverkehrs“ (NRVP S. 8) mit Orientierung
am Radverkehrsanteil der Niederlande (27 Prozent) bis 2012 in die Tat
umzusetzen. Dieses Ziel ist auch Bestandteil der nationalen Nachhaltigkeits-
strategie der Bundesregierung.

3. Radverkehr ist als System zu begreifen. Attraktive Bedingungen für Radfah-
rer in vielen Gemeinden sind kein Zufall, sondern Ergebnis einer kontinuier-
lichen Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Radverkehr. Diese be-
treffen weit mehr als die Quantität an Fahrradwegen. Sie stellen eine system-
bezogene Förderung dar, von der baulichen Infrastruktur über Wegweisungs-
und Informationssysteme bis hin zu lokalen Bündnissen mit vielen gesell-
schaftlichen Gruppen, die ein fahrradfreundliches Klima erzeugen und zu
sich gegenseitig verstärkenden Effekten für mehr Radverkehr entwickeln.

4. Insbesondere Rad fahrende Kinder sind im Stadtverkehr besonderen Gefähr-
dungen ausgesetzt. Die Bundesregierung will nun durch die vorgezogene und
ausgeweitete EU-Richtlinie zur Erweiterung des Sichtfeldes für LKW zur
Vermeidung des so genannten totenWinkels hier eine deutliche Verbesserung
erreichen.

5. Der Fahrradverkehr leistet einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. Min-
destens dreiMio. TonnenKohlendioxid können zusätzlich eingespart werden,
wenn sich der Radverkehrsanteil deutlich erhöht. Gemessen amMitteleinsatz
zur Förderung des Radverkehrs ist es zudem eine der kostengünstigsten
Maßnahmen zur Kohlendioxideinsparung. Fördermaßnahmen für den Rad-
verkehr nach dem Ansatz des Least-Cost-Transportation-Planning führen
gleichzeitig zu sinkenden Kosten für Unterhalt und Neubau von Infrastruktur
für den Autoverkehr.

6. Die Stadt- und Raumplanung muss sich stärker am Fahrrad als Maßstab
orientieren. Das Ziel der Stadt der kurzen Wege erfordert eine regionale und
miteinander durch Schnittstellen verbundene ÖPNV- und Fahrradverkehrs-
Netzstruktur als Basis.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3467

7. Der Fahrradtourismus in Deutschland erlebt eine rasante Aufwärtsentwick-
lung: Laut Radreiseanalyse 2004 des ADFC verzeichnet der Fahrradtouris-
mus weiterhin starke Zuwächse: 2,25 Millionen Deutsche verbrachten im
Jahr 2003 ihren Urlaub im Fahrradsattel. Dies entspricht einer Zunahme von
12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei bleiben Deutschlands Radler
vorwiegend im eigenen Land. 43,5 Prozent aller Deutschen sind im Urlaub
mit dem Fahrrad aktiv, und für 78 Prozent der Radreisenden ist der Fahrrad-
urlaub die Haupturlaubsreise. Erfreulich ist, dass sich die Zahl der fahrrad-
freundlichen Herbergen – Bett & Bike – in Deutschland in den letzten Jah-
ren auf mehr als 3 500 gesteigert hat.

8. Die Deutsche Bahn AG hat in den letzten Jahren massiv Fahrradstellplätze
in Fernverkehrszügen abgebaut, z. B. dadurch, dass im ICE, der auf immer
mehr Linien den IC ersetzt, keine Fahrradmitnahme möglich ist. Viele Orte
wurden für Radreisende abgehängt oder sind nur mit mehrmaligem Um-
steigen und deutlich erhöhtem Zeitaufwand zu erreichen. Als Resultat hat
sich nach Angaben der DB AG im Fernverkehr die Zahl der transportierten
Fahrräder seit 1998 (525 000) fast halbiert (270 000 im Jahr 2003). Dass
Radreisende auch ein lohnendes Geschäft sein können, zeigen starke Zu-
wächse bei CityNightLine (von 4 333 im Jahr 2001 auf 11 000 im Jahr
2003 = ca. 150 Prozent Steigerung) und DB Nachtzug (von 11 884 im Jahr
2002 auf 16 000 im Jahr 2003 = ca. 50 Prozent Steigerung) ebenso wie
positive Erfahrungen im Nahverkehrsbereich. Ähnlich beispielhaft können
dabei die Erfahrungen der französischen Staatsbahnen (SNCF) berücksich-
tigt werden, die die Fahrradmitnahme im TGV ermöglichen.

9. Der im NRVP geforderte Ausbau eines bundesweiten Radfernwegenetzes
(D-Netz) mit einer einheitlichen Beschilderung nimmt konkrete Züge an.
Die ersten D-Netz-Routen in Nordrhein-Westfalen werden bereits ausge-
schildert. Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Brandenburg
werden bald folgen.

10. Die Bundesregierung hat bereits finanzielle Maßnahmen zur Umsetzung
des NRVP eingeleitetet. Zu nennen sind hier:
l die Verdoppelung der Investitionssumme (100 Mio. Euro) für die Finan-

zierung von Radwegen an Bundesstraßen seit 2002;
l daraus die Bereitstellung von 2Mio. Euro für nicht investiveMaßnahmen

zur Umsetzung des NRVP;
l die Bereitstellung von 10 Mio. Euro für den Radwegebau an Bundeswas-

serstraßen;
l die Durchführung des bundesweiten Fahrradwettbewerbs „Best for

Bike“, der im Jahr 2003 mit 50 000 Euro gefördert wurde und im Jahr
2004 mit 100 000 Euro dotiert ist.

11. Die Bundesregierung wird in Kürze eine Fahrradnovelle der Straßenver-
kehrsordnung (StVO) und der Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-
StVO) vorlegen, die eine Verbesserung der straßenverkehrsrechtlichen
Bestimmungen für den Radverkehr enthalten wird.

12. Eine jüngst beschlossene Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur ist,
dass selbständig geführte Radwege aus Mitteln des Gemeindeverkehrs-
finanzierungsgesetz nach einer Empfehlung des Arbeitskreises „Finanzie-
rungsfragen des Gemeindeverkehrs“ (FAK) vom 27. Januar 2004 gefördert
werden können. Dies gilt auch für die Wegweisung für den Radverkehr als
eigenständiges Verkehrsleitsystem nach den Richtlinien der Forschungs-
gesellschaft Straßenverkehr (FGSV) als System nach dem GVFG förder-
fähig ist (Beschluss des FAK vom 27. Januar 2004).

Drucksache 15/3467 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- undWohnungswesen die vorhan-

denen personellen und fachlichen Kompetenzen zu einer eigenständigen Ar-
beitseinheit für die Belange des Radverkehrs zu bündeln. Diese soll Kraft der
ihr zugewiesen Ausstattung in der Lage sein, eine konkrete Maßnahmenpla-
nung und ein Controlling zur Umsetzung des NRVP vorzunehmen. Sie wird
begleitet durch den Bund-Länder-Arbeitskreis Radverkehr;

2. mit den Ländern eine Reform des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes
anzustreben, mit dem Ziel, mindestens 5 Prozent der Mittel zweckbestimmt
zur Förderung des Radverkehrs auszugeben;

3. im Haushalt 2005 im Einzelplan 12 eigene Fahrradtitel für investive und für
nicht investive Maßnahmen einzuführen, und die Mittel (100 Mio. Euro) aus
dem Titel „Bau von Radwegen einschließlich Erhaltung (Bundesstraßen)“ in
diese zu übertragen;

4. den Mittelansatz von 100 Mio. Euro für den Radwegebau an Bundesstraßen
zu verstetigen und davon dauerhaft mindestens 2 Mio. Euro für nicht inves-
tive Maßnahmen zur Umsetzung des NRVP einzustellen;

5. dafür Sorge zu tragen, dass die Mittel für den Radwegebau an Bundeswasser-
straßen zügig abfließen können;

6. aus der Analyse des Ordnungsrahmens bezüglich der Hemmnisse für die
Fahrradnutzung, wie dargestellt im NRVP, geeignete Vorschläge zu deren
Abbau zu machen;

7. Kampagnen zur Förderung des Radverkehrs durchzuführen. Diese sollen das
Image des Radfahrens stärken, das Fahrrad als Mittel der Gesundheitsförde-
rung thematisieren undMaßnahmen zur Sicherheit von Radfahrern unter Ein-
beziehung von Projekten der Verkehrssicherheitsforschung aufzeigen;

8. die Deutsche Bahn AG aufzufordern, ein Konzept für die Fahrradmitnahme
im Fernverkehr unter Berücksichtung des ICE vorzulegen, das geeignet ist,
verlorene Marktanteile bei der Beförderung von Fahrradtouristen von und zu
ihren Urlaubszielen zurückzugewinnen;

9. das Radfernwegenetz (D-Netz) weiter auszubauen und durch die Einrichtung
einer Koordinierungsstelle gemeinsam mit den Ländern für die Umsetzung
eines hohen Ausbau- und Beschilderungsstandards zu sorgen, da es an einer
länderübergreifenden Koordinierung mangelt. Dies gilt auch für die interna-
tionalen Radrouten (Euro-Velo-Routen).

Berlin, den 30. Juni 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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