BT-Drucksache 15/3231

Einhaltung der Menschenrechte in Nepal

Vom 26. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3231
15. Wahlperiode 26. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Rainer Funke, Ulrich Heinrich, Daniel Bahr (Münster), Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Dr. Christel Happach-Kasan, Klaus Haupt, Birgit
Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Markus Löning, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting,
Eberhard Otto (Godern), Gisela Piltz, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Einhaltung der Menschenrechte in Nepal

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Das Königreich Nepal ist nach seiner Verfassung eine konstitutionelle Monar-
chie mit einer parlamentarisch gewählten Regierung. Die absolute Monarchie
wurde in Nepal im Jahre 1990 abgeschafft. Der damalige König Birendra ver-
zichtete auf zunehmenden Druck der Demokratisierungsbewegung auf einen
Teil seiner Macht. Politische Parteien wurden wieder zugelassen, eine Mehr-
Parteien-Regierung eingesetzt und Nepal erhielt eine demokratische Verfassung.
Obwohl diese demokratische Revolution in Nepal viele Verbesserungen auch in
menschenrechtlicher Hinsicht hervorgebracht hat, sind die hohen Erwartungen
an eine bessere Zukunft des Landes nicht erfüllt worden. Die politische Situa-
tion in Nepal zeichnet sich durch eine besondere Instabilität aus. In den letzten
acht Jahren wechselte die Regierung insgesamt elf Mal in immer wieder ver-
schiedenen Koalitionen. Der heutige König Gyanendra bestieg den Thron nach-
dem Kronprinz Dipendra im Juni 2001 König Birendra und neun weitere
Mitglieder der königlichen Familie einschließlich sich selbst getötet hatte. Die
politische Instabilität in Nepal spitzte sich im Jahre 2002 weiter zu, als Minis-
terpräsident Sher Bahadur Deuba das Parlament auflöste und Neuwahlen für
November ausrief. Im Oktober 2002 setzte König Gyanendra jedoch Minister-
präsident Deuba wegen „Inkompetenz“ ab und übernahm selbst die Regie-
rungsgeschäfte. Anschließend ernannte er anstelle der gewählten Regierung
eine königstreue neue Regierungsriege und verschob die Neuwahlen zum Par-
lament auf unbestimmte Zeit.
Auch die wirtschaftliche Lage Nepals hat sich nur unwesentlich und punktuell
verbessert. Nepal ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt mit einem
jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von ca. 250 US-Dollar. Der öffentliche Haus-
halt des Landes speist sich zu einem Großteil aus finanziellen Hilfen aus dem
Ausland. Die Wirtschaft Nepals ist stark angeschlagen, insbesondere seit der
anhaltende gewaltsame Konflikt zwischen der nepalesischen Regierung und
den Maoisten im Land die Hauptzweige der Wirtschaft, den Tourismus und den
Export von Textilien, schwer geschädigt hat.

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Seit nunmehr acht Jahren währt der Konflikt zwischen der nepalesischen
Regierung und den Maoisten. Die ohnehin in Nepal bestehenden politischen
Probleme wurden durch diesen Konflikt massiv verschärft. Im Jahre 1996 hatte
die CPN-Maoist (The Communist Party in Nepal) den „Volkskampf“ („peo-
ple’s war“) ausgerufen, nachdem die Regierung einer 40-Punkte-Forderung zur
weiter gehenden Abschaffung königlicher Privilegien und einer Neufassung der
Verfassung nicht nachgekommen war. Die Maoisten hatten daraufhin weite
Teile des Landes gewaltsam unter ihre Kontrolle gebracht, „Volksregierungen“
eingesetzt, Wahlen abgehalten und „Volksgerichte“ eingesetzt. Dabei erhalten
die Maoisten Unterstützung vor allem von Menschen aus den Bevölkerungstei-
len, die wegen einer bestimmen Religions- oder Kasten-Zugehörigkeit in Nepal
traditionell unterdrückt wurden und deren Hoffnungen auf eine Verbesserung
ihrer Situation mit der demokratischen Wende 1990 größtenteils enttäuscht
wurden. Die Gewalt der Maoisten richtet sich jedoch nicht nur gegen die nepa-
lesischen Sicherheitskräfte sondern auch gegen Zivilisten, private Industrie-
betriebe und öffentliche Einrichtungen. Der bewaffnete Konflikt, in dem bisher
bereits über 9 000 Menschen getötet wurden, eskalierte, als die Maoisten Ende
2001 einen kurz zuvor vereinbarten Waffenstillstand gebrochen und vielzählige
Polizeistationen und Armeestützpunkte angegriffen hatten. Der König hatte da-
raufhin den landesweiten Ausnahmezustand ausgerufen und es trat die so ge-
nannte Verordnung 2001 (TADO) in Kraft, die viele verfassungsrechtlich gesi-
cherte Grundrechte außer Kraft setzte. Anfang des Jahres 2002 verabschiedete
das Parlament zur Ablösung der TADO-Verordnung das Anti-Terror Gesetz
TADA (Terrorist and Disruptive Activities Act), das für zwei Jahre erlassen
wurde und weite Teile der Sonderbefugnisse der Sicherheitskräfte aus der
TADO aufrecht erhielt. Das TADA-Gesetz ist inzwischen durch den König ver-
längert worden, nachdem seine Gültigkeit am 9. April 2004 abgelaufen war.
Der Konflikt zwischen der Regierung und den Maoisten hat die Menschen-
rechtslage in Nepal stark verschlechtert. Beiden Seiten des Konflikts werden
vielzählige Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Internationale Hilfsorga-
nisationen und Entwicklungsprogramme haben nunmehr ihren Rückzug aus
Nepal angekündigt, bzw. machen die Fortsetzung ihrer Arbeit von der Wieder-
herstellung demokratischer Bedingungen und einer Beendigung der Gewalt-
tätigkeiten abhängig.
Die Maoisten werden für Tötungen und Hinrichtungen von Angehörigen der
Sicherheitskräfte und Zivilisten, zahlreiche Entführungen und Folter an Ge-
fangenen oder Entführten verantwortlich gemacht. Darüber hinaus werden den
Maoisten grausame, unmenschliche und erniedrigende Bestrafungen ein-
schließlich öffentlicher Exekutionen und der Vollstreckung der von den „Volks-
gerichten“ verhängten Todesurteile vorgeworfen. Viele Bombenanschläge, bei
denen zumeist auch Zivilisten sterben oder verletzt werden, gehen auf das
Konto der Maoisten. Auch gibt es immer wieder Berichte, dass die Maoisten
Kindersoldaten rekrutieren oder ganze Schulklassen entführen, um sie zu
„indoktrinieren“.
Auch von den nepalesischen Sicherheitskräften werden regelmäßig massive
Menschenrechtsverletzungen begangen. Zu diesen gehören extralegale und ille-
gale Hinrichtungen von Maoisten oder von Zivilisten, die unter dem Verdacht
standen, mit den Maoisten zu sympathisieren. Zu Sympathisanten zählt die
Armee dabei alle Zivilisten, die den Maoisten Unterkunft, Geld oder Nahrungs-
mittel zur Verfügung stellen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass diese Unter-
stützung von den Maoisten zumeist unter starkem Druck erpresst wird. Auch
über Fälle von „Verschwindenlassen“ von Personen wird immer wieder berich-
tet. In den Jahren 2002 und 2003 war Nepal das Land mit der höchsten Anzahl an
„verschwundenen“ Personen in der Welt. Auch willkürliche Verhaftungen und
unbestätigte und zumeist überlange Inhaftierungen sind alltäglich. Inhaftierte
werden dabei nicht selten weit über die nach dem TADA-Gesetz zulässigen,

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ohnehin mit 90 Tagen schon sehr großzügigen Zeiträume festgehalten. Teilweise
sitzen Gefangene so bis zu einem Jahr in Haft, ohne einem Richter vorgeführt zu
werden, Zugang zu einem Anwalt oder zu Familienangehörigen zu erhalten oder
mitgeteilt zu bekommen, was ihnen vorgeworfen wird. Weiterhin wird von fast
täglichen Folterungen und grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden
Behandlungen von Gefangenen berichtet.
Diese Menschenrechtsverletzungen werden zum einen bedingt durch eine wenn
überhaupt nur rudimentäre Ausbildung der Soldaten und Sicherheitskräfte in
Fragen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts. Zum anderen
konnten sich die Sicherheitskräfte zumindest bis zum Beginn dieses Jahres auf
die Regelungen des TADA-Gesetzes verlassen, nach denen den Beteiligten an
der Terrorismusbekämpfung weitgehende Straffreiheitsprivilegien zugesichert
sind.
Aber auch außerhalb des Konfliktes zwischen der Regierung und den Maoisten
gibt die Menschenrechtslage in Nepal Grund zur Besorgnis. Seit der Ausrufung
des Ausnahmezustandes im Jahre 2001 wurden immer wieder Versammlungs-
und Demonstrationsverbote erlassen, auf deren vielfache Missachtung die ne-
palesischen Sicherheitskräfte stets mit Hunderten von Verhaftungen reagierten.
Darüber hinaus geraten immer mehr auch Journalisten, die über Demonstra-
tionen oder königsfeindliche Aktionen berichten, in die Schusslinie. In Nepal
sind nach Angaben von Reporter ohne Grenzen im Jahre 2003 mehr Journalis-
ten verhaftet worden als in jedem anderen Land auf der Welt. Die Unabhängig-
keit der Justiz ist zwar verfassungsrechtlich gesichert. Jedoch wird nur der
oberste Gerichtshof als weitgehend unabhängig angesehen; die Unabhängigkeit
der unteren Gerichte wird einerseits durch die Ernennung der Richter durch den
König und andererseits durch grassierende Korruption und politische Einfluss-
nahme geschmälert. Hinzu kommt, dass durch mangelnde Aufklärung nur sehr
wenige Nepalesen ihre Rechte und die Möglichkeiten gerichtlicher Durchset-
zung ihrer Ansprüche kennen. Wegen dieser Unkenntnis und wegen der ver-
breiteten Armut haben darüber hinaus nur wenige Zugang zu einem Rechts-
anwalt; im Rahmen des TADA-Gesetzes wird vielen Gefangenen der Zugang
zu einem Anwalt sogar ganz verweigert, bzw. wurden gar Sondergerichte ein-
gerichtet, die jeglichen Anforderungen an ein faires und öffentliches Verfahren
widersprachen. Hinzu kommt ein enormer Bearbeitungsrückstand bei den
Gerichten. Strafgefangene werden mitunter Jahre in Haft gehalten, bevor ein
Gericht über ihren Fall entscheiden kann, gerichtliche Anordnungen werden
von den Sicherheitskräften oft einfach ignoriert. Die Situation in den nepalesi-
schen Gefängnissen ist dementsprechend schlecht. Überfüllung und fehlende
medizinische und sanitäre Versorgung sind an der Tagesordnung.
Als problematisch stellt sich auch die Situation der Minderheiten in Nepal dar.
In Nepal gibt es über 70 verschiedene ethnische Gruppen. Die politischen Ämter
und Verwaltungsposten werden aber vorwiegend von drei Gruppen dominiert:
den Brahmanen, Chetri und den Newar, die traditionell zu den Eliten des
Landes gehören, aber nur einen kleinen Bevölkerungsanteil stellen. Obwohl in
der Verfassung die Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit ver-
bannt wurde, leiden immer noch viele Minderheiten wie beispielsweise die
Dalits an alltäglicher Diskriminierung und Ausgrenzung. Auch die Situation
der Frauen hat sich trotz einiger Änderungen vor allem im Eigentums- und
Erbrecht nur wenig verbessert. Frauen sehen sich noch immer vielfältigen
rechtlichen und tatsächlichen Diskriminierungen gegenüber. Gewalt gegen
Frauen und Mädchen ist noch weit verbreitet, auch weil Ärzte und Polizei sol-
che Taten nur selten anzeigen oder verfolgen. Darüber hinaus besteht in Nepal
ein florierender Menschenhandel mit Frauen und Mädchen, die vor allem in
indische Bordelle oder als Dienstmädchen und Arbeiterinnen nach Indien
gehandelt werden.

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In Nepal gibt es zwar eine Nationale Menschenrechtskommission (NHRC).
Diese untersucht und verfolgt Menschenrechtsverletzungen und gibt Empfeh-
lungen zu deren zukünftiger Verhinderung ab. Eine beachtenswerte Reaktion
seitens der Regierung ist bisher jedoch stets ausgeblieben.
Auf der 60. Sitzung der VN-Menschenrechtskommission im Frühjahr dieses
Jahres hat die VN-Menschenrechtskommission statt einer angesichts der anhal-
tenden Gewalt notwendigen Resolution zur Menschenrechtssituation in Nepal
lediglich eine milde „Erklärung des Vorsitzenden“ angenommen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
1. die beiden Konfliktparteien, die nepalesische Regierung und die Maoisten,

gemeinsam mit den EU-Partnern zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche
und zur Beendigung der gegenseitigen Gewalttätigkeiten und Menschen-
rechtsverletzungen aufzurufen;

2. die nepalesische Regierung nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass das
humanitäre Völkerrecht in Form der Genfer Konventionen insbesondere
nach deren gemeinsamen Artikel 3 auch in internen bewaffneten Konflikten
gilt und die nepalesische Regierung aufzufordern, der daraus folgenden Ver-
pflichtung zur Einhaltung und Implementierung des humanitären Völker-
rechts und zur Verfolgung und Bestrafung von Verletzungen Folge zu leisten;

3. die nepalesische Regierung eindringlich an ihre internationalen und men-
schenrechtlichen Verpflichtungen insbesondere aus den von Nepal unter-
zeichneten und ratifizierten VN-Menschenrechtspakten, dem Abkommen
über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau, dem Abkom-
men über die Rechte des Kindes, dem Abkommen über die Beseitigung
jeder Form der Rassendiskriminierung und der VN-Folterkonvention zu
erinnern und die Einhaltung dieser Verpflichtungen einzufordern;

4. die nepalesische Regierung aufzufordern, die Mitglieder ihrer Armee, der
Polizei sowie der paramilitärischen Polizeitruppe (Armed Police Force APF)
umfassend über die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts und über
die menschenrechtlichen Mindeststandards aufzuklären und Kontrollmecha-
nismen zu deren Einhaltung einzurichten;

5. den nepalesischen König aufzufordern, schnellstmöglich in Übereinstim-
mung mit der nepalesischen Verfassung Neuwahlen zum Parlament abzuhal-
ten;

6. gezielt deutsche Entwicklungshilfe zu nutzen, um sich in Nepal für eine
Wiederherstellung der demokratischen Ordnung einzusetzen;

7. die nepalesische Regierung dazu aufzufordern, sobald die demokratischen
Voraussetzungen wiederhergestellt sind, schnellstmöglich das unterzeich-
nete VN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende Kriminalität zu
ratifizieren und insbesondere dem Zusatzprotokoll zur Verhütung, Bekämp-
fung und Bestrafung des Menschenhandels beizutreten und die dort vorge-
sehenen Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels nach Indien zu
ergreifen.

Berlin, den 25. Mai 2004
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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