BT-Drucksache 15/3219

Internationale Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismusentwicklung zügig umsetzen

Vom 26. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3219
15. Wahlperiode 26. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller, Annette Faße, Brunhilde Irber,
Ute Kumpf, Lothar Mark, Ulrike Mehl, Siegfried Scheffler, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Franz
Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Franziska Eichstädt-Bohlig,
Volker Beck (Köln), Winfried Hermann, Dr. Reinhard Loske, Katrin Göring-Eckardt,
Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internationale Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismusentwicklung
zügig umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Tourismus ist ein weltweiter Markt in Bewegung. Er bietet Chancen und
Herausforderungen. Immer mehr Reisen erfolgen mit immer schnelleren Ver-
kehrsmitteln in immer fernere Regionen bei immer kürzeren Aufenthalten.
Allein in den letzten 20 Jahren hat sich die Nachfrage im europäischen Touris-
mus mehr als verdoppelt, er macht heute 12 Prozent des europäischen Brutto-
inlandprodukts aus. Sein Anteil am Bruttosozialprodukt der Weltwirtschaft be-
trägt 10,7 Prozent, er ist damit eine der bedeutendsten Steuereinnahmequellen.
Das Wachstum der Tourismuswirtschaft wird anhalten, auch wenn diese Branche
besonders sensibel auf Bedrohungen jeder Art reagiert. Politische Unruhen,
Terroranschläge, kriminelle Übergriffe (z. B. spektakuläre Entführungen), Epi-
demien wie SARS und Umwelt- und Naturkatastrophen in den Zielregionen
sowie konjunkturelle Schwankungen in den Herkunftsländern können von
heute auf morgen die Nachfrage nach einem Reiseland zusammenbrechen und
neue Reisetrends entstehen lassen (Destinations-Hopping).
Das Wachstum des Tourismus und seine permanente geografische Wandlungs-
fähigkeit führen zu zahlreichen Klima und Umwelt belastenden Folgen. Ins-
besondere die Klimaschäden des zunehmenden Flugverkehrs sind ein globales
Problem mit zum Teil gravierenden regionalen Konsequenzen. Aber auch der
Flächen-, Energie- und Wasserverbrauch oder die Abfallentsorgung sind für die
Urlaubsregionen oftmals problematisch. Zusätzlich tragen Touristen, die ge-
fährdete Tier- und Pflanzenarten als Souvenirs aus dem Urlaub mitbringen, zur
Bedrohung der Biodiversität bei. Irreversible Schäden richten touristische
Übernutzungen von Schutzgebieten an. Gleichzeitig gilt, dass kein anderer
Wirtschaftssektor in so starkem Maße auf eine intakte Natur und Umwelt an-
gewiesen ist wie er; Natur- und Landschaftserleben gehören zu den wichtigen
Urlaubsmotiven. Deshalb gewinnen Konzepte und internationale Anstrengun-
gen an Bedeutung, die den Schutz des Natur- und Artenreichtums verbinden
mit seiner touristischen Nutzung. Einkommen aus dem Tourismus können

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helfen, Schutzgebiete zu finanzieren, ökologisch sensible Regionen vor
umweltschädlicher Nutzung zu bewahren und so positive Effekte für die Ein-
heimischen, auf deren Akzeptanz Tourismus immer angewiesen ist, zu erzielen.
Entscheidend für den Erfolg dieser Konzepte ist, dass Natur- und Umwelt-
probleme von den Reisenden zunehmend wahrgenommen werden und deren
Entscheidungen für ein Urlaubsziel mit beeinflussen.
Damit gewinnt der Aspekt der Nachhaltigkeit im Sinne der Agenda 21 immer
drängender Bedeutung. Der Tourismus spielt eine Schlüsselrolle, wenn es um
an Nachhaltigkeit orientierte ökologische und soziale Wirtschaftsentwicklung
geht. Das Wachstum des Tourismus muss so erfolgen, dass wirtschaftliche,
soziale und ökologische Vorteile ausgewogen sind.
Auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz (VSK) des Übereinkommens über die
biologische Vielfalt (CBD) im Februar 2004 in Kuala Lumpur beschlossen die
Mitgliedsländer die „Richtlinien für biologische Vielfalt und Tourismusent-
wicklung“. Die Annahme der Richtlinien ist das Ergebnis jahrelanger Vorarbei-
ten, an denen Deutschland maßgeblich beteiligt war. 1997 legte Deutschland
auf einer internationalen Ministerkonferenz in Berlin einen Vorschlag für die
Ausarbeitung globaler Richtlinien vor. In der „Berliner Erklärung“ stellten die
Konferenzteilnehmer fest, dass sich der Tourismus zunehmend Gebieten zu-
wendet, in denen die Natur noch in einem relativ intakten Status ist, so dass
eine beträchtliche Anzahl der verbleibenden Naturgebiete der Welt zunehmend
für touristische Aktivitäten erschlossen werden und deshalb Richtlinien und
Regeln zu definieren sind, die die Interessen der Naturerhaltung und des Touris-
mus miteinander in Einklang bringen, zu einer nachhaltigen Entwicklung des
Tourismus führen und dadurch zur Umsetzung des Übereinkommens über die
biologische Vielfalt und die Ziele der Agenda 21 beitragen.
1999 verabschiedete die Kommission für nachhaltige Entwicklung der Verein-
ten Nationen für nachhaltige Entwicklung (CSD) ein Arbeitsprogramm zum
nachhaltigen Tourismus und lud die CBD zur Mitarbeit ein. Auf ihrer 5. VSK
im Jahre 2000 in Nairobi nahmen die Vertragsstaaten diese Einladung an und
leiteten somit die Erarbeitung der Richtlinie ein. 2001 fand mit maßgeblicher
deutscher Hilfe in der Dominikanischen Republik ein internationaler Experten-
Workshop statt, an dem 48 Vertreter von Regierungen, internationalen Organi-
sationen, indigenen Völkern, Nichtregierungsorganisationen und der Touris-
musindustrie aus 24 Ländern teilnahmen. Der im Ergebnis entstandene Entwurf
wurde nach einem mehrjährigen Konsultationsprozess im März 2003 durch den
wissenschaftlichen Ausschuss der CBD (SBSTTA) in Montreal angenommen
und an die 7. VSK 2004 in Kuala Lumpur zur Annahme weitergeleitet.
Ihre besondere Bedeutung gewinnen die Richtlinien dadurch, dass sie sich nicht
nur auf einen Ausschnitt des Tourismus beziehen, sondern auf alle touristischen
Bereiche: auf den Ökotourismus genauso wie auf den konventionellen Massen-
tourismus, den Natur- und Kulturtourismus, den Kreuzfahrttourismus und den
Freizeit- und Sporttourismus. Angewandt werden sollen sie auf alle Ökosys-
teme. Sie definieren die erforderlichen Rahmenbedingungen, die für die Umset-
zung der empfohlenen Maßnahmen zu schaffen sind und geben Empfehlungen
für den Managementprozess von Tourismusprojekten. Des Weiteren enthalten
die Richtlinien Empfehlungen zur Gewährleistung einer vollständigen und
rechtzeitigen Information aller Beteiligten eines Vorhabens durch einen formel-
len Abstimmungsprozess. Vorgesehen sind auch zielgruppenorientierte Maß-
nahmen der Aufklärung und Bewusstseinsbildung der allgemeinen Öffentlich-
keit sowie der Fortbildung der Mitarbeiter der Verwaltungen. Die Regierungen
sind aufgefordert, die entsprechenden personellen Kapazitäten zu schaffen, die
eine effektive Umsetzung der Richtlinien gewährleisten.
Für die Umsetzung der Richtlinien ist es erforderlich, die Kooperation von
Naturschutz und Tourismus auf nationaler, aber auch auf europäischer und

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internationaler Ebene zu vertiefen. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden,
die sicherstellen, dass der notwendige Informationsaustausch zwischen den
Verantwortlichen für die Tourismusentwicklung und den für das Management
der Biodiversität beteiligten Verwaltungsebenen stattfindet.
Die Natur und die biologische Vielfalt sind Basis für eine nachhaltige, umwelt-
gerechte Entwicklung. Deshalb ist es notwendig, die Arten- und genetische
Vielfalt zu schützen. Nachhaltige Formen des Tourismus tragen zur Erhaltung
der biologischen Vielfalt, innerhalb und außerhalb von Schutzgebieten bei.
Empfindliche Gebiete wie kleine Inseln, Küsten- und Bergregionen, Feucht-
gebiete und Grünflächen sowie Land- und Seegebiete von außergewöhnlicher
Schönheit und reichhaltiger biologischer Vielfalt bedürfen besonderer Schutz-
maßnahmen. In Gebieten, in denen bereits ein starker Druck auf die Natur vor-
handen ist, sollte eine zusätzliche Belastung durch touristische Entwicklung
vermieden werden. Die Modernisierung vorhandener touristischer Einrichtun-
gen hat hier Vorrang. Besonderes Augenmerk bedürfen grenzüberschreitende
Gebiete und Gebiete von internationaler Bedeutung. Hier kommt dem Be-
schluss der 7. VSK über ein weltweit einzurichtendes Naturschutznetz große
Bedeutung zu; bis 2010 soll dieses für die Landgebiete und bis 2012 für die
Meeresgebiete eingerichtet sein.
Verantwortung für einen nachhaltigen Tourismus tragen die Regierungen, inter-
nationale Organisationen, die private Tourismuswirtschaft, Nichtregierungs-
organisationen und alle Bürgerinnen und Bürger. Sowohl in den Ziel-, aber
auch in den Herkunftsländern müssen nachhaltige Formen des Tourismus ent-
wickelt werden. Maßnahmen im Sinne eines nachhaltigen Tourismus sind die
Bewertung der Umweltauswirkungen vorgeschlagener neuer touristischer
Aktivitäten und die Überwachung bestehender touristischer Aktivitäten und
Attraktionen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
– dass mit der Annahme der Richtlinien für biologische Vielfalt und Touris-

musentwicklung die Vertragsstaaten der CBD die Notwendigkeit einer nach-
haltigen Tourismusentwicklung bestätigt haben;

– das konstruktive Engagement Deutschlands im Vorfeld dieses Beschlusses
und auf der 7. Vertragsstaatenkonferenz;

– dass mit den Richtlinien ein Instrument vorliegt, das auch einen Beitrag dazu
leisten kann, Konflikte zwischen lokalen, regionalen, nationalen und inter-
nationalen Interessen zu lösen;

– dass mit den Richtlinien gute Voraussetzungen dafür geschaffen sind, die
notwendige Zusammenarbeit von Naturschutz und Tourismus auf allen
Ebenen zu verbessern;

– dass mit den Richtlinien ein zukunftsfähiges Management von Touris-
musprojekten möglich wird;

– dass mit der Umsetzung der Richtlinien ein wirksamer Beitrag für die Er-
haltung des Naturreichtums und der biologischen Vielfalt möglich wird;

– dass die Richtlinien im Sinne der Agenda 21 nicht nur die ökologischen
Folgen touristischer Entwicklung thematisieren, sondern auch die soziokul-
turellen und wirtschaftlichen Folgen;

– dass die Richtlinien auf alle Formen des Tourismus anwendbar sind;
– dass die Richtlinien der Notwendigkeit Rechnung tragen, dass eine

Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Zielländern erforderlich ist.

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III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. durch geeignete Maßnahmen die Umsetzung der Richtlinien auf internatio-

naler Ebene zu unterstützen, um interessierten Staaten, Organisationen und
Projektentwicklern fachliche Beratung und Unterstützung zu gewähren:
– bei der Implementierung der Richtlinien im Rahmen der Planung, Ko-

ordinierung und Realisierung von Tourismusprojekten, einschließlich
Hilfestellung bei der Beschaffung von Mitteln und der Vermittlung von
Experten vor Ort,

– beim Informationsmanagement, einschließlich der Hilfestellung bei der
Kommunikation unter den Projekten und des Erfahrungsaustausches im
Rahmen von Modellprojekten,

– bei der Zusammenarbeit zwischen Herkunfts- und Zielländern und
Tourismusunternehmen, um ein Gleichgewicht der Interessen zwischen
diesen herzustellen;

2. die zur Umsetzung der Richtlinien erforderliche Zusammenarbeit der
Akteure des Naturschutzes und des Tourismus zu initiieren und zu vertiefen;

3. auf nationaler Ebene eine Fachtagung durchzuführen, um alle maßgeblichen
Akteure aus Naturschutz und Tourismuswirtschaft über die Richtlinien zu
informieren und mögliche Umsetzungsschritte zu beraten und so einen
Umsetzungsprozess zu initiieren;

4. die deutsche Tourismusindustrie aufzufordern, ihre Projekte im Ausland,
insbesondere in Entwicklungsregionen, in Übereinstimmung mit den Richt-
linien zu gestalten;

5. gegenüber dem Nachhaltigkeitsrat anzuregen, sich mit der Problematik eines
nachhaltigen Tourismus intensiv zu befassen und diesen in die Nachhaltig-
keitsstrategie zu integrieren;

6. dem Deutschen Bundestag regelmäßig über die erreichten Fortschritte bei
der Umsetzung der Richtlinien und über Vorschläge zur weiteren Verbesse-
rung der Richtlinien zu berichten;

7. den Ländern die im Rahmen des Tourismusprotokolls der Alpenkonvention
vorgesehene Erprobung der Richtlinien zur Nachahmung zu empfehlen;

8. gegenüber den Ländern anzuregen, die Richtlinien in ihre Gesetzgebung zu
implementieren und in den Verordnungen der Großschutzgebiete nach den
§§ 23, 24 und 25 des Bundesnaturschutzgesetzes zu verankern.

Berlin, den 26. Mai 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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