BT-Drucksache 15/3188

Der Kosovo-Politik eine Perspektive geben

Vom 25. Mai 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/3188
15. Wahlperiode 25. 05. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Friedbert Pflüger, Dr. Christian Ruck, Christian Schmidt
(Fürth), Hartmut Koschyk, Siegfried Helias, Ralf Göbel, Hans Raidel, Ulrich Adam,
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen), Dr. Wolfgang Bötsch, Anke Eymer (Lübeck),
Erich G. Fritz, Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, Klaus-Jürgen
Hedrich, Joachim Hörster, Volker Kauder, Thomas Kossendey, Dr. Karl A. Lamers
(Heidelberg), Ursula Lietz, Dr. Gerd Müller, Claudia Nolte, Ruprecht Polenz,
Helmut Rauber, Dr. Klaus Rose, Volker Rühe, Dr. Wolfgang Schäuble, Bernd
Schmidbauer, Dr. Andreas Schockenhoff, Bernd Siebert, Dr. Hans-Peter Uhl
und der Fraktion der CDU/CSU

Der Kosovo-Politik eine Perspektive geben

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag hält es für unverzichtbar, das Mandat zur Fortsetzung
der deutschen Beteiligung an der Internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo
(KFOR) zu verlängern. Die Unruhen im Kosovo Mitte März 2004 unterstrei-
chen diese Notwendigkeit. Ein Abzug der Stabilisierungskräfte aus demKosovo
würde Sicherheit und Stabilität in der gesamten Balkan-Region in Frage stellen.
Eine überzeugende Sicherheitspräsenz im Kosovo ist dagegen auch ein wesent-
licher Beitrag, um die Stabilität in der Region, auf die die Unruhen nicht über-
gegriffen haben, weiter zu festigen. Weitere Fortschritte in der Region tragen
ihrerseits zur Verbesserung der Lage im Kosovo bei.
Allerdings sind die Entwicklungen imKosovo – gemessen an der Dauer des Ein-
satzes der internationalen Gemeinschaft seit Juni 1999 – in keiner Weise zufrie-
den stellend. Zudem bedeuten die Unruhen vom März 2004 einen erheblichen
Rückschlag – auch für das Ansehen der internationalen Gemeinschaft. Es ist
völlig inakzeptabel, dass die KFOR-Streitkräfte und auch die Bundeswehr zuse-
hen mussten, wieMenschen erneut vertrieben und serbische Häuser, Klöster und
Kirchen gebranntschatzt wurden, ohne entscheidend eingreifen zu können.
Der Deutsche Bundestag verurteilt auf das Schärfste die gewaltsamen Aus-
schreitungen von Kosovo-Albanern, bei denen 19 Menschen getötet, über 900
verletzt sowie über 700 Häuser von Serben, Aschkali und Roma und rund 30 ser-
bisch-orthodoxe Kirchen und Klöster zerstört oder beschädigt wurden. Die für
die gewaltsamen Ausschreitungen Verantwortlichen müssen ebenso strafrecht-
lich verfolgt und verurteilt werden wie diejenigen Personen, die in Medien zu
Hass gegen die im Kosovo lebenden Minderheiten aufgerufen und durch ein-
seitige Berichterstattung die Unruhen zusätzlich angeheizt haben. Der Deutsche
Bundestag fordert die Provisorische Selbstverwaltungseinrichtung auf, entspre-
chend ihrer Selbstverpflichtung umgehend dafür zu sorgen, dass die beschädig-

Drucksache 15/3188 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ten oder zerstörten Häuser, Kirchen und Klöster wieder aufgebaut werden bzw.
angemessener Schadensersatz geleistet wird. Die überzeugende und nachhaltige
Aufarbeitung der Ereignisse durch die Kosovo-Albaner ist eine unverzichtbare
Voraussetzung dafür, dass in der Status-Frage Fortschritte erreicht werden kön-
nen.
Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass es in der politischen, wirtschaftlichen
und sozialen Entwicklung des Kosovo – viel zu wenig Fortschritte gegeben hat.
Die wirtschaftliche Situation wird zunehmend schwieriger – so haben sich die
Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau von Infrastrukturen und für auslän-
dische Investitionen kaum zum Positiven gewandelt. Hinzu kommt, dass auch
die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland sowohl von Seiten der Geberge-
meinschaft als auch seitens der kosovarischen Diaspora zurückgeht. Die Ar-
beitslosigkeit, von der insbesondere jungeMenschen betroffen sind, liegt bereits
deutlich über 50 Prozent und steigt rapide an. Extremismus und Kriminalität,
insbesondere Organisierte Kriminalität, haben deutlich zugenommen.
Der Deutsche Bundestag hält deshalb deutliche Korrekturen an der Politik der
internationalen Gemeinschaft und ihren Strukturen im Kosovo für erforderlich.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
umgehend eine politische Strategie vorzulegen, mit der die Sicherheit im
Kosovo gestärkt und die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung
zügig und nachhaltig verbessert werden soll. Die notwendig militärische Prä-
senz ist kein Ersatz für eine politische Lösung.
1. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Entscheidung der Bundesregierung,

als Konsequenz aus den Erfahrungen bei der Bewältigung der Unruhen vom
März beim Bundeswehr-Kontingent im Kosovo die Ausrüstung zu erweitern,
die Ausbildung zu verbessern und die Reserven zu verstärken.

2. Der Deutsche Bundestag hält es für unverzichtbar, dass die Handlungsfähig-
keit von KFOR für eine angemessene Bewältigung derartiger Unruhen durch
einheitliche und lagegerechte Einsatzregeln und eine entsprechende Aus-
bildung und Ausrüstung verbessert wird.

3. Die Zusammenarbeit zwischen KFOR, der internationalen Polizeitruppe so-
wie der Kosovo-Polizei deutlich verbessert werden. Insbesondere muss die
Aufklärungskomponente hinsichtlich der Informationsgewinnung über Ex-
tremisten und Strukturen der Organisierten Kriminalität verstärkt werden.
Untergrundstrukturen und die Organisierte Kriminalität müssen wirksamer
bekämpft werden, illegale Waffen müssen eingesammelt werden. Auch muss
die Polizei besser auf eine frühzeitige und wirksame Bekämpfung von Un-
ruhen, wie sie Mitte März stattfanden, vorbereitet und ihre Ausstattung mit
Schutzkleidung verbessert werden. Zudem ist zu prüfen, wie weit die inter-
nationale Polizeitruppe insbesondere durch europäische Kräfte verstärkt wer-
den kann.

4. Hinsichtlich der Erfüllung der Standards (u. a. Demokratie, Rechtsstaatlich-
keit, Minderheitenrechte, Sicherheit, Marktwirtschaft) müssen UNMIK,
KFOR, EU, USA, Kosovo-Albaner und Kosovo-Serben enger und gezielter
zusammenarbeiten. Der am 31. März 2004 von UNMIK-Chef Holkeri und
dem kosovarischen Ministerpräsidenten Rexhepi vorgelegte detaillierte Plan
zur Umsetzung der Standards ist dafür eine wichtige Grundlage. Die Erfül-
lung von Standards schafft Status. Insofern muss mit Fortschritten bei der
Umsetzung der Standards eine weitere Übertragung von Zuständigkeiten an
die Provisorische Selbstverwaltungseinrichtung einhergehen.

5. Um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Kosovo deutlich zu ver-
bessern, ist eine Reform und Europäisierung von UNMIK notwendig. Die

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/3188

Europäische Union muss dafür mehr Verantwortung übernehmen, wofür die
Instrumente des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses gezielter einge-
setzt werden müssen. Auch müssen neue Möglichkeiten entwickelt werden,
um den Privatisierungsprozess – unabhängig von der Status-Frage – voran zu
bringen und neue Investitionen zu erleichtern. Hierfür müssen gezielter als
bisher Defizite wie stockende Strukturreformen, schwache oder fehlende
marktwirtschaftliche Institutionen und unterentwickelte Infrastrukturen aus-
geräumt werden. Weiterhin müssen Parallelstrukturen abgebaut und zwi-
schen den einzelnen Wiederaufbaustrukturen deutlich mehr Kohärenz ge-
schaffen werden. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass bei UNMIK
die Entscheidungsprozesse deutlich schneller als bisher verlaufen.

6. Eine wichtige Voraussetzung für die Verbesserung der wirtschaftlichen Ent-
wicklung ist die Schaffung von Rechtssicherheit, wofür verstärkte Anstren-
gungen unternommen werden müssen. Dazu muss auch die Entsendung zu-
sätzlicher Untersuchungsbeamter, Staatsanwälte und Richter gehören.

Berlin, den 25. Mai 2004
Dr. Friedbert Pflüger
Dr. Christian Ruck
Christian Schmidt (Fürth)
Hartmut Koschyk
Siegfried Helias
Ralf Göbel
Hans Raidel
Ulrich Adam
Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
Dr. Wolfgang Bötsch
Anke Eymer (Lübeck)
Erich G. Fritz
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
Klaus-Jürgen Hedrich
Joachim Hörster
Volker Kauder
Thomas Kossendey
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)
Ursula Lietz
Dr. Gerd Müller
Claudia Nolte
Ruprecht Polenz
Helmut Rauber
Dr. Klaus Rose
Volker Rühe
Dr. Wolfgang Schäuble
Bernd Schmidbauer
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernd Siebert
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.