BT-Drucksache 15/2980

Chancen und Potenziale des Deutschlandtourismus in der erweiterten Europäischen Union konsequent nutzen

Vom 28. April 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2980
15. Wahlperiode 28. 04. 2004

Antrag
der Abgeordneten Brunhilde Irber, Annette Faße, Renate Gradistanac,
Bettina Hagedorn, Gabriele Hiller-Ohm, Jelena Hoffmann (Chemnitz),
Jann-Peter Janssen, Ute Kumpf, Dr. Christine Lucyga, Tobias Marhold,
Lothar Mark, Heinz Paula, Siegfried Scheffler, Dagmar Schmidt (Meschede),
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Dr. Angelica Schwall-Düren, Ludwig Stiegler,
Engelbert Wistuba, Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Undine Kurth (Quedlinburg), Rainder Steenblock,
Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Franziska Eichstädt-Bohlig, Hans-Josef
Fell, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Michaele Hustedt,
Dr. Reinhard Loske, Friedrich Ostendorff, Albert Schmidt (Ingolstadt),
Ursula Sowa, Antje Vogel-Sperl, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Chancen und Potenziale des Deutschlandtourismus
in der erweiterten Europäischen Union konsequent nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 1. Mai 2004 werden zehn europäische Staaten der Europäischen Union bei-
treten. Damit steht Europa einer der bedeutendsten Schritte in seiner Ge-
schichte bevor. Die Erweiterung der Europäischen Union erfüllt die Hoffnung
auf eine Übertragung ihres Erfolgsmodells mit seinen Werten Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Menschenrechte und der Minderheiten auf die
mittel- und osteuropäischen Länder. Es eröffnet sich die Chance, Frieden und
Freiheit, Sicherheit und politische Stabilität damit dauerhaft zu garantieren.
Mit der Erweiterung wird die künstliche Spaltung Europas überwunden. Die
mittel- und osteuropäischen Länder als Kernländer des historischen Europas er-
halten endlich die Chance, am Projekt der europäischen Integration teilzuneh-
men.
Mit dem Beitritt der Staaten Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakische Re-
publik, Slowenien, Tschechische Republik und Ungarn sowie den Mittel-
meerinseln Malta und Zypern wird die Europäische Union auf 25 Mitglieds-
staaten anwachsen, die Bevölkerung wird damit um 20 Prozent von etwa 375
auf über 450 Millionen Einwohner anwachsen. Das Bruttoinlandsprodukt der
einzelnen Beitrittsstaaten wird in Zukunft jährlich voraussichtlich um drei bis
sechs Prozent ansteigen. Die wirtschaftlichen Wachstumsimpulse werden auch
dem europäischen Tourismus zugute kommen. Europa wird größer und das
Reisen einfacher. Die sich daraus ergebenden Chancen müssen nun konsequent
genutzt werden.

Drucksache 15/2980 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Europa ist die am meisten besuchte Tourismusregion der Welt und hat die
größte Tourismusdichte. Der Tourismus bietet eine große Chance, die kulturelle
und wirtschaftliche Integration innerhalb Europas zu unterstützen, aber auch
die europäische Kultur weiterzuentwickeln.
Insbesondere Deutschland wird durch die Erweiterung aus der Grenzlage der
Europäischen Union in deren Mitte rücken. Die mittel- und osteuropäischen
Beitrittsländer sind bereits heute ein bedeutender Herkunftsmarkt für den
Deutschlandtourismus. Mit der zu erwartenden Stärkung der Kaufkraft der
neuen EU-Länder und der gewährleisteten Freizügigkeit der Personen kann
sich diese positive Entwicklung fortsetzen.
Bereits im Jahr 2003 verzeichneten die mittel- und osteuropäischen Staaten laut
European Travel Monitor ein Gesamtvolumen von 39,7 Millionen Auslandsrei-
sen. Davon entfielen etwa 6,1 Millionen Reisen auf Deutschland. Das bedeutete
einen Gesamtumsatz von 2,7 Mrd. Euro für den Deutschland-Incomingtouris-
mus. Die drei für Deutschland wichtigsten osteuropäischen Quellmärkte unter
den Beitrittsstaaten sind heute Polen mit 2,8 Millionen Reisen, die Tschechi-
sche Republik mit 1,1 Million Reisen und Ungarn mit etwa 408 000 Reisen. In
Polen ist Deutschland mit einem Marktanteil von 35 Prozent Reiseziel Nummer
Eins. In den anderen Märkten hat Deutschland mit einem Marktanteil zwischen
10 und 20 Prozent sehr positive Wachstumsprognosen. Vor allem für das Seg-
ment des Geschäftsreisetourismus wird ein hohes Wachstum erwartet, da sich
die Geschäftsbeziehungen in der erweiterten Union intensivieren werden und
Deutschland mit seiner zentralen Lage einen erheblichen Standortvorteil für
Geschäftskontakte zwischen ost- und westeuropäischen Partnern bietet.
Deutschland als Messeland Nummer Eins wird hierdurch zusätzliche Impulse
erhalten.
Mit steigendem Wohlstand in den Beitrittsländern wird sich auch der Urlaubs-
tourismus positiv entwickeln. Große Chancen ergeben sich insbesondere für die
dann ehemaligen Grenzregionen. Diese können aus der Randlage herauswach-
sen und sich zu prosperierenden Knotenpunkten entwickeln. Diese Perspekti-
ven für die deutschen Tourismusgebiete werden sich vor allem dann erschlie-
ßen, wenn man auf eine gemeinsame Erschließung und Vermarktung von
grenzüberschreitenden Natur- und Kulturregionen setzt. Das begünstigt auch
den Abbau unterschiedlicher Einkommensniveaus. Zur Realisierung bedeuten-
der grenzüberschreitender Verkehrsprojekte hat der Bund im Zeitraum von
1999 bis 2007 über 4,7 Mrd. Euro an Investitionsmitteln bereitgestellt.
Da gerade die Beitrittsländer noch große Potenziale an unberührter und intakter
Natur haben, sollten bei gemeinsamen, grenzüberschreitenden Tourismuspro-
jekten die Richtlinien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt
(CBD) „Biodiversität und Tourismusentwicklung“ in diesen Prozessen Anwen-
dung finden.
In den Jahren 2000 bis 2006 können die Grenzregionen an den Fördermitteln
der Strukturfonds sowie anderer EU-Förderprogramme in Höhe von insgesamt
16,3 Mrd. Euro partizipieren. Dazu kommen Anteile aus der „Gemeinschafts-
aktion für Grenzregionen“, für die zusätzliche Finanzmittel in Höhe von rund
265 Mio. Euro in den fünf an die Beitrittsländer angrenzenden Mitgliedsstaaten
vorgesehen sind. Die Bewältigung des Strukturwandels in den vier Grenzlän-
dern wird insbesondere mit der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbes-
serung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ unterstützt. Hierfür wurden allein
im Jahre 2002 rund 1034 Mio. Euro vom Bund und von den Ländern bereit-
gestellt. Darüber hinaus haben gewerbliche Unternehmen für Investitionen in
den ostdeutschen Grenzregionen eine erhöhte steuerliche Förderung nach dem
Investitionszulagengesetz. Die europäischen Maßnahmen gewährleisten im
Zusammenwirken mit den nationalen Fördermöglichkeiten eine erfolgreiche
Flankierung der EU-Osterweiterung in den deutschen Grenzregionen. Das

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2980

bietet hervorragende Ausgangsbedingungen für grenzübergreifende Touris-
muskooperationsprojekte.
Bereits für 2005 rechnet die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) mit einem
Anstieg der Reisen aus den acht osteuropäischen Beitrittsländern um 700 000
auf 5,6 Millionen Reisen. Die finanzielle Ausstattung der DZT durch den Bund
(von 1998 bis 2003 Steigerung um über 25 Prozent), ermöglicht es der DZT,
diese Märkte gut zu erschließen. Die DZT unternimmt derzeit auf der Grund-
lage einer kommerziellen Potenzialanalyse 2003 bis 2005 eine Vielzahl von
Aktivitäten, um den Quellmarkt der Beitrittsländer erfolgreich zu bearbeiten.
Bereits seit Mitte der neunziger Jahre ist die DZT mit Vertriebsagenturen in
Budapest, Prag und Warschau präsent. In den vergangenen zwei Jahren wurde
mit der Marktbearbeitung in der Slowakei und in Slowenien begonnen. Das
DZT-Büro in Kopenhagen ist zudem seit 1999 auch in den Baltischen Staaten
aktiv. Die DZT stärkt mit dieser Arbeit ganz entscheidend die heimische
Tourismuswirtschaft.
Um im Wettbewerb der touristischen Regionen zu bestehen, müssen die Anbie-
ter ihren Blick auf die eigene Leistungsfähigkeit richten. Deutsche Destinatio-
nen müssen ihr eigenes authentisches Profil stärken, spezielle Angebotsvorteile
vermarkten und neue Trends zielgerichtet besetzen.
Frühzeitig muss bedacht werden, die Rahmenbedingungen für das Wachstum
des europäischen Tourismus in Richtung Nachhaltigkeit zu gestalten. Das
Europäische Tourismusforum 2002 der Europäischen Kommission hat sich
hiermit umfassend beschäftigt. Zwei Ziele müssen im Vordergrund stehen. Zum
einen sollte das Wachstum des europäischen Tourismus nicht mit einer Be-
einträchtigung der Umwelt einhergehen: es muss den Ressourcenverbrauch
schonend gestalten und negative Auswirkungen vermeiden oder auf ein unver-
meidliches Maß reduzieren. Zum anderen muss die touristische Entwicklung in
Europa auch sozial ausgewogen stattfinden. Gerade hinsichtlich einer natur-
und umweltfreundlichen Entwicklung des Tourismus in den Beitrittsländern
bietet Deutschland Hilfe und Unterstützung an. So führt das Bundesamt für Na-
turschutz in diesem Jahr gemeinsam mit dem Verein „Ökologischer Tourismus
in Europa“ (ÖTE) Workshops mit Vertretern der Tourismuswirtschaft ost- und
mitteleuropäischer Beitrittsländer durch, auf denen die deutsche Umweltdach-
marke Viabono vorgestellt wird. Mit Ungarn ist eine Arbeitsgruppe auf Regie-
rungsebene eingerichtet worden, die sich mit der Entwicklung und Umsetzung
von Umweltqualitätskriterien im Tourismus in Anlehnung an Viabono befasst.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:
– die sich mit der Erweiterung der Europäischen Union ergebenden Chancen

für die kulturelle und wirtschaftliche Integration Europas;
– die umfassenden Anstrengungen der Bundesregierung zur Unterstützung der

Tourismuswirtschaft bei der Nutzung der sich aus der Erweiterung der Euro-
päischen Union ergebenden Chancen;

– die vielfältigen Maßnahmen der Europäischen Union bei der Schaffung
günstiger Rahmenbedingungen für das nachhaltige Wachstum des europäi-
schen Tourismus, insbesondere im Erweiterungsprozess;

– die Erarbeitung gemeinsamer Konzepte durch den Bundesgrenzschutz, die
Landespolizeien von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen
und Bayern sowie dem Zoll, die zum Ziel haben, unter Beteiligung der Poli-
zeien der Republik Polen und der Tschechischen Republik, die Binnengrenz-
kontrollen bei Aufrechterhaltung der Sicherheitsstandards schnellst möglich
abzuschaffen;.

Drucksache 15/2980 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
– die frühzeitigen Aktivitäten der Deutschen Zentrale für Tourismus bei der
Erschließung der ost- und mitteleuropäischen Quellmärkte;

– die Unterstützung einer natur- und umweltfreundlichen Entwicklung des
Tourismus in den Beitrittsländern durch das Bundesamt für Naturschutz und
zahlreiche Umweltverbände.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. auch weiterhin mit geeigneten Maßnahmen die deutsche Tourismuswirt-

schaft dabei zu unterstützen, die sich aus Erweiterung der Europäischen
Union ergebenden Chancen konsequent zu nutzen;

2. sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Union auch weiterhin mit
geeigneten Maßnahmen die Rahmenbedingungen für das Wachstum des
europäischen Tourismus in Richtung Nachhaltigkeit gestaltet;

3. sicherzustellen, dass die Deutsche Zentrale für Tourismus ihre Arbeit in den
ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländern fortsetzen und intensivieren
kann;

4. auch weiterhin den ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländern Hilfe und
Unterstützung bei einer natur- und umweltfreundlichen Entwicklung des
Tourismus zu gewähren; hierbei sollten insbesondere die Erfahrungen mit
der Umweltdachmarke Viabono vermittelt werden;

5. sich für eine rasche Umsetzung der EU-Richtlinie zur Interoperabilität des
transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsbahnsystems einzusetzen sowie
den Ausbau der Schienenverkehrsinfrastrukturverbindungen in die osteuro-
päischen Beitrittsländer zügig voranzubringen;

6. sich dafür einzusetzen, dass in allen EU-Ländern, einschließlich der EU-
Beitrittsländer, die Dienstleistungsfreiheit von Reiseleitern gewährleistet
wird;

7. die Bemühungen des Europäischen Heilbäderverbandes zu unterstützen,
einheitliche technische und medizinische Standards für das europäische
Kurwesen zu entwickeln;

8. gegenüber den Bundesländern anzuregen, die Erweiterung der Europäischen
Union zum Anlass zu nehmen, den regionalen Zuschnitt des Tourismusmar-
ketings mit dem Ziel zu überprüfen, attraktive und wettbewerbsfähige Desti-
nationen zu schaffen und hierbei

9. gegenüber den Bundesländern anzuregen, die Unterstützung grenzübergrei-
fender Tourismuskooperationsprojekte sowie grenzüberschreitender Schutz-
gebiete (Nationalparke, Biosphärenreservate) zu intensivieren.

Berlin, den 28. April 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.