BT-Drucksache 15/2979

Chancen der Grünen Gentechnik nutzen - Gentechnikgesetz und Gentechnik-Durchführungsgesetz grundlegend korrigieren

Vom 28. April 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2979
15. Wahlperiode 28. 04. 2004

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Ulrike
Flach, Gudrun Kopp, Dr. Volker Wissing, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Dr. Karlheinz
Guttmacher, Christoph Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Andreas Pinkwart,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Chancen der Grünen Gentechnik nutzen – Gentechnikgesetz und Gentechnik-
Durchführungsgesetz grundlegend korrigieren

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Potenziale der Grünen Gentechnik sind vielfältig und sie werden weltweit
seit zehn Jahren auf inzwischen mehr als 60 Mio. Hektar genutzt. Die Grüne
Gentechnik vergrößert die Auswahl an Genen, die für die Züchtung von Kultur-
pflanzen zur Verfügung stehen. Dadurch können Kulturpflanzen für verschie-
dene Verwendungen optimiert werden und es ergeben sich für verschiedene Le-
bensbereiche Vorteile: z. B. für Verbraucherinnen und Verbraucher durch Ver-
besserungen der Nahrungsmittel und geringere Kosten bei der Nahrungsmittel-
produktion, für die Umwelt durch Minderung von Umweltbelastungen, für die
weitere Entwicklung nachhaltiger Produktion durch Optimierung nachwach-
sender Rohstoffe für die industrielle Produktion. Die Grundlagenforschung an
deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen und die anwendungs-
bezogene Forschung in Unternehmen hat bedeutende Beiträge zur Weiterent-
wicklung gentechnischer Methoden und zur Entwicklung wichtiger, bei der
Züchtung verwendeter Konstrukte erbracht. Die gesetzlichen Rahmenbedin-
gungen müssen so gestaltet werden, dass die Vorteile gentechnischer Züchtung
in Deutschland angewendet und das vorhandene Wissen von Unternehmen ge-
nutzt und weiterentwickelt werden können.
Über die Einführung neuer technischer Methoden und den daraus entwickelten
Produkten entscheidet der Markt. Das gilt auch für Produkte der Grünen Gen-
technik. Daher sind die Umfragen zur Akzeptanz der Grünen Gentechnik keine
Leitlinie für die Politik, sondern für Produzenten, d. h. für die Land- und Ernäh-
rungswirtschaft. In Umfragen werden Vorbehalte gegen die Grüne Gentechnik
zum Ausdruck gebracht. Doch es weiß niemand, wie sich die Menschen tat-
sächlich verhalten werden, wenn echte Wahlfreiheit gegeben ist.

Drucksache 15/2979 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Die Rahmenbedingungen für die Grüne Gentechnik müssen die Interessen der
Verbraucherinnen und Verbraucher angemessen berücksichtigen, den Produ-
zenten in der Land- und Ernährungswirtschaft Planungssicherheit gewährleis-
ten und Innovationen in Deutschland ermöglichen. Die umfangreichen Zulas-
sungsverfahren für genetisch veränderte Kulturpflanzen sichern die Unbedenk-
lichkeit der aus ihnen hergestellten Nahrungs- und Futtermittel. Der Anbau
genetisch veränderter Kulturpflanzen bedeutet keine durch das Züchtungs-
verfahren bedingte Belastung der Umwelt.
Verbraucherinnen und Verbraucher haben Anspruch auf eine möglichst voll-
ständige Information über die Inhaltsstoffe der von ihnen gekauften Nahrungs-
mittel. Dazu gehören die Angaben über Gehalte von Bestandteilen von gene-
tisch veränderten Pflanzen, die den Schwellenwert von 0,9 Prozent überschrei-
ten. Die Kennzeichnungspflicht und die Vorschriften über die Rückverfolgbar-
keit dienen der Verbraucherinformation und sind Voraussetzung, um die
Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu verwirklichen.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. eine grundlegende Korrektur des Gesetzentwurfs zur Novellierung des

Gentechnikgesetzes vorzunehmen, die die Nutzung der Grünen Gentechnik
in Deutschland ermöglicht und nicht pauschal verhindert. Die vielfältigen
Chancen dieser Innovationstechnologie für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, Landwirte, mittelständische Unternehmen und Forschung müssen auch
in Deutschland genutzt werden können. Dazu ist erforderlich:
– die Koexistenz von Pflanzensorten, die mit den verschiedenen Methoden

gezüchtet wurden, entsprechend den unterschiedlichen Eigenschaften der
verschiedenen Kulturpflanzen zu regeln. Um die Koexistenz zu ermögli-
chen, sollten spezifisch für jede Kulturpflanzenart entsprechend den vor-
liegenden Forschungsergebnissen (Ressortforschung der Biologischen
Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, Max-Planck-Institut, wis-
senschaftliche Einrichtungen in Deutschland und der Europäischen
Union) Regeln zur Koexistenz (Abstandsgebote, Fruchtfolgen etc.) auf-
gestellt werden;

– eine für alle Betroffenen akzeptable Haftungsregelung zu entwickeln und
vorzulegen. Die Haftungsregeln müssen sicherstellen, dass Landwirte,
die durch den Eintrag von Fremdpollen Gewinneinbußen haben, ent-
schädigt werden. Gleichzeitig sollen Landwirte, die die Regeln zur Ko-
existenz einhalten, keine Forderungen zu befürchten haben. Sollte keine
Versicherungslösung gefunden werden, wäre die Einrichtung eines Haf-
tungsfonds eine Lösung. In den Fond zahlen die Unternehmen ein, die in
Deutschland genetisch verändertes Saatgut vermarkten. Der Haftungs-
fond wird nur dann in Anspruch genommen, wenn Beimengungen von
genetisch veränderten Kulturpflanzen zu einer Minderung des Erlöses
führen. Es haften nur die Landwirte, die die Koexistenzregeln nicht kon-
sequent einhalten. Die von der Bundesregierung vorgeschlagene gesamt-
schuldnerische Haftung ist abzulehnen, weil sie Landwirte auch dann zur
Haftung heranzieht, wenn sie nicht Verursacher der Erlösminderung sind.
Damit würde der Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen auch bei Be-
folgung aller Regeln zum existentiellen Risiko. Dies geht über die Ziel-
setzung von Haftungsregelungen hinaus;

– ein freiwilliges Kataster zu entwickeln und anzulegen, das für die Klä-
rung von Haftungsfragen und für ein wissenschaftliches Monitoring zur
Verfügung steht. Das Kataster wird bei den Landwirtschaftskammern
bzw. Landwirtschaftsverwaltungen geführt. Um Zerstörungen von Fel-
dern mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu verhindern und das

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2979

Eigentum zu schützen, wird Einsicht nur bei konkret begründeten Vorha-
ben gewährt;

– die Ausschüsse der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit
(ZKBS), die über die Zulassung von Freisetzungsversuchen entscheiden,
überwiegend mit Personen zu besetzen, die Fachkompetenz besitzen, um
die schwerwiegenden Entscheidungen sachgerecht treffen zu können;

– den Entwurf des Gentechnikgesetzes so zu korrigieren, dass Forschungen
für Züchtungen von Pflanzensorten, die zur Produktion gesünderer Le-
bensmittel z. B. durch Entfernen allergener Eiweiße beitragen, die die
Umweltbelastungen landwirtschaftlicher Kulturen verringern und die
nachwachsende Rohstoffe für die industrielle Verwertung optimieren,
entsprechend den Zielen des Gentechnikgesetzes gefördert werden;

– sich auf europäischer Ebene für Regeln einzusetzen, die eine einheitliche
Vorgehensweise bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten sicherstellen;

– sich auf europäischer Ebene zur Schaffung von Rechtssicherheit für die
Verabschiedung von Schwellenwerten für Saatgut nach fachlichen Krite-
rien einzusetzen;

2. das Gentechnik-Durchführungsgesetz zur Verhinderung von Problemen bei
der Umsetzung und beim Verwaltungsvollzug zu korrigieren. Die im Ver-
gleich zum Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) unver-
hältnismäßig harten Sanktionen müssen an die des LMBG angepasst wer-
den, die fachfremde Beteiligung des Bundesamtes für Naturschutz (BfN)
muss durch Beteiligung des Umweltbundesamtes (UBA) ersetzt werden;

3. die Rahmenbedingungen insgesamt für die Nutzung der Grünen Gentechnik
so zu verbessern, dass zur Sicherung und Schaffung von hoch qualifizierten
Arbeitsplätzen deren Innovationspotenziale und deren Anwendungsmög-
lichkeiten in den verschiedensten Lebensbereichen genutzt werden können.
Das umfasst „Functional Food“, allergenarme Nahrungsmittel, Verminde-
rung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und die Entwicklung moder-
ner nachwachsender Rohstoffe.

Berlin, den 28 April 2004
Dr. Christel Happach-Kasan
Hans-Michael Goldmann
Ulrike Flach
Gudrun Kopp
Dr. Volker Wissing
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Karlheinz Guttmacher
Christoph Hartmann (Homburg)
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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