BT-Drucksache 15/2748

Die EU-Erweiterung als Chance und Aufgabe

Vom 23. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2748
15. Wahlperiode 23. 03. 2004

Antrag
der Abgeordneten Michael Kretschmer, Albert Rupprecht (Weiden), Peter Hintze,
Ilse Aigner, Peter Altmaier, Günter Baumann, Veronika Bellmann, Clemens
Binninger, Renate Blank, Antje Blumenthal, Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Klaus
Brähmig, Dr. Ralf Brauksiepe, Georg Brunnhuber, Verena Butalikakis, Hubert
Deittert, Albert Deß, Alexander Dobrindt, Maria Eichhorn, Dr. Hans Georg Faust,
Enak Ferlemann, Dirk Fischer (Hamburg), Klaus-Peter Flosbach, Dr. Hans-Peter
Friedrich (Hof), Dr. Michael Fuchs, Norbert Geis, Georg Girisch, Ralf Göbel,
Josef Göppel, Peter Götz, Kurt-Dieter Grill, Markus Grübel, Karl-Theodor Freiherr
von und zu Guttenberg, Olav Gutting, Siegfried Helias, Bernd Heynemann, Ernst
Hinsken, Klaus Hofbauer, Bartholomäus Kalb, Volker Kauder, Gerlinde Kaupa,
Jürgen Klimke, Julia Klöckner, Norbert Königshofen, Hartmut Koschyk, Gunther
Krichbaum, Dr. Günter Krings, Werner Kuhn (Zingst), Werner Lensing,
Dr. Peter Letzgus, Eduard Lintner, Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), Patricia Lips,
Dr. Michael Luther, Wolfgang Meckelburg, Laurenz Meyer (Hamm), Maria Michalk,
Hans Michelbach, Klaus Minkel, Marlene Mortler, Dr. Gerd Müller, Hildegard Müller,
Henry Nitzsche, Günter Nooke, Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Eduard
Oswald, Ruprecht Polenz, Christa Reichard (Dresden), Hannelore Roedel,
Dr. Klaus Rose, Kurt J. Rossmanith, Dr. Christian Ruck, Anita Schäfer (Saalstadt),
Andreas Scheuer, Dr. Ole Schröder, Wilhelm Josef Sebastian, Kurt Segner,
Thomas Silberhorn, Johannes Singhammer, Christian Freiherr von Stetten, Gero
Storjohann, Lena Strothmann, Michael Stübgen, Antje Tillmann, Edeltraut Töpfer,
Volkmar Uwe Vogel, Gerhard Wächter, Matthias Wissmann und der Fraktion
der CDU/CSU

Die EU-Erweiterung als Chance und Aufgabe

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 1. Mai 2004 wird die Europäische Union endlich eine gesamteuropäische
Gemeinschaft. Nach den nationalsozialistischen und kommunistischen Diktatu-
ren des 20. Jahrhunderts beginnt das 21. Jahrhundert mit der historischen Eini-
gung des Kontinents. Dieser Prozess ist beispiellos in der Geschichte Europas.
Staaten, die kulturell immer zu Europa gehörten, erhalten endlich die Chance,
am Projekt der europäischen Integration teilzunehmen. Der Deutsche Bundes-
tag ist sich der Dimension dieses Ereignisses bewusst und wird den Prozess in-
tensiv begleiten, um das begonnene Werk erfolgreich fortzuführen. Es kommt

Drucksache 15/2748 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

entscheidend darauf an, die Ängste und Sorgen der Menschen sowohl in alten
als auch in den neuen Mitgliedstaaten ernst zu nehmen, sie aber gleichzeitig
von der Idee eines gemeinsamen Europas zu überzeugen. Frieden, politische
Stabilität, Demokratie, Beachtung der Menschrechte und Minderheitenschutz
sind Werte, die dann in insgesamt 25 Staaten Europas mit über 450 Millionen
Menschen Geltung haben werden.
Die bevorstehende EU-Erweiterung wird weitreichende wirtschaftliche, politi-
sche und soziale Auswirkungen auf Deutschland haben, insbesondere aber auf
die Regionen entlang der jetzigen EU-Außengrenze. Sie werden einem noch
stärkeren Wettbewerbs- und Anpassungsdruck ausgesetzt sein als bisher. Die
subjektive Betroffenheit der Menschen in den Grenzregionen durch die Erwei-
terung wird deshalb besonders spürbar sein. Die bisherige Randlage, die ge-
ringe grenzüberschreitende Verflechtung und Kooperation, veränderte ökono-
mische Bedingungen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sowie der massive
Standortwettbewerb an der Wohlstandsgrenze zu den Beitrittsstaaten haben ihre
wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt. Ein Großteil dieser Gebiete gehört
deshalb zu den strukturschwachen Regionen in der Bundesrepublik Deutsch-
land. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen haben insbesondere die betroffenen
Bundesländer und die Wirtschaftskammern in Kooperation mit der Europäi-
schen Union versucht, die Rahmenbedingungen zu verbessern und die Regio-
nen auf den Beitritt der Nachbarstaaten vorzubereiten. Zum gegenwärtigen
Zeitpunkt muss jedoch festgestellt werden, dass dies bei weitem nicht ausreicht.
Jegliche Hilfe vom Bund, insbesondere die von Bundeskanzler Gerhard Schrö-
der in Aussicht gestellte Unterstützung der Grenzregionen, wie in seiner Weide-
ner Rede vom Dezember 2000 erklärt, blieb bislang aus. Der Deutsche Bundes-
tag fordert daher die Bundesregierung auf, ihren Worten endlich Taten folgen
zu lassen und Maßnahmen für die wirtschaftliche und soziale Abfederung der
EU-Erweiterung in den Grenzregionen zu ergreifen. Er bedauert auch, dass die
Europäische Union im Rahmen der Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen
insgesamt für die siebenjährige Förderperiode 2000 bis 2006 nur 265 Mio. Euro
für die 23 Grenzregionen in fünf Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt hat und
nicht weitere Mittel umgeschichtet werden konnten.
Eine weitere Herausforderung beginnt mit dem nächsten Förderzeitraum der
europäischen Strukturpolitik ab 2007. Selbst wenn Ostdeutschland seinen Sta-
tus als Ziel-1-Fördergebiet zunächst weitgehend behalten würde, geraten die
betroffenen Regionen in eine „Sandwich-Position“, eingeklemmt zwischen der
strukturstärkeren Wirtschaft in den alten Bundesländern und dem westlichen
Europa einerseits und der umfangreichen nationalen und europäischen
Strukturförderung in den neuen EU-Mitgliedstaaten andererseits, deren Regio-
nen bis auf ganz wenige Ausnahmen für viele Jahre die höchste Förderstufe be-
anspruchen können. Dies gilt dann umso mehr, wenn die neuen Bundesländer
ihren Ziel-1-Status im Zuge des Beitritts verlieren würden. Auch für die bayeri-
schen Grenzregionen ist zu befürchten, dass die europäische Strukturpolitik ab
2007 eine Verschlechterung der Förderbedingungen bringt und somit im Wett-
bewerb um Wirtschaftskraft und Unternehmen gegenüber der Tschechischen
Republik verlieren werden.
Ziel kann es jedoch nicht sein, mittels weitreichender Übergangsbedingungen
die Konfrontation mit der wirtschaftlichen Realität für diese Grenzregionen
künstlich auf ein späteres Datum herauszuzögern. Vielmehr kann die einzige
Antwort auf die Herausforderungen nur sein, diesen Regionen die Möglichkeit
zu eröffnen, aus der Grenzlage die größtmöglichen Vorteile zu ziehen und die
Anpassung abgefedert und schrittweise zu vollziehen. Die Beitrittsländer gehö-
ren mit ihrem wirtschaftlichen, infrastrukturellen und administrativen Nachhol-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2748

bedarf zu den potenziell dynamischsten Wachstumsräumen Europas. Gleichzei-
tig haben sie umfangreiche und tief greifende Reformen durchgeführt, die im
Wettbewerb um die besten Lösungen den Reformdruck auf Deutschland weiter
erhöhen werden.
Aber auch die Grenzregionen auf polnischer und tschechischer Seite stehen vor
einem schwierigen Strukturwandel und Anpassungsprozess. Sie laufen Gefahr,
als periphere Region zum Transitraum zwischen den zentralen Ballungsräumen
in der alten EU und den neuen Mitgliedstaaten herabgestuft zu werden. Sie
haben damit ein vitales Interesse an grenzüberschreitender Wirtschaftsver-
flechtung und Verwaltungskooperation.
Der Wegfall der Handelsgrenze zwischen den Nationalstaaten ermöglicht die
Intensivierung und Wiederbelebung ehemals gewachsener regionaler Wirt-
schaftsbeziehungen aus der Zeit vor Bildung der Nationalstaaten. Der baye-
risch-böhmisch-sächsisch-schlesische Wirtschaftsraum zählte zu den dyna-
mischsten Regionen im Europa des 19. Jahrhunderts, der durch die Grenzver-
schiebungen und die Zwangsaussiedlungen und Vertreibungen im vergangenen
Jahrhundert zerstört wurde. Auch an der südlichen Ostseeküste wurde ein ehe-
mals einheitlicher Handelsraum zerschlagen. Die deutschen, polnischen, tsche-
chischen und baltischen Grenzregionen müssen befähigt werden, diese alten
Wirtschaftsräume und traditionellen Handelsbeziehungen zu revitalisieren und
neue Wirtschaftsräume entstehen zu lassen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
den Erweiterungsprozess mit den folgenden Maßnahmen aktiv zu gestalten:
1. Ein fortlaufendes Monitoring zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung

nach dem Beitritt, der Zuwanderungssituation sowie zu den Fortschritten bei
der Integration soll sicherstellen, dass Fehlentwicklungen rechtzeitig erkannt
werden und schnell entgegengewirkt werden kann. Voraussetzung dafür ist
die Verfügbarkeit multilingualer länderübergreifender und vor allem ver-
gleichbarer Daten. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit muss
in Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern ein Konzept vorle-
gen, wie es die Auswirkungen der EU-Erweiterung überwachen will. Hier-
bei kann auf ein Pilotprojekt des Statistischen Landesamtes des Freistaates
Sachsen zurückgegriffen werden. In Zusammenarbeit mit dem Zentralen
Statistischen Amt Tschechiens und dem Polnischen Statistikamt in Jelenia
Góra wird dort eine grenzüberschreitende harmonisierte Datenbank für die
Euroregion Neiße entwickelt, die als Grundlage für ein solches Monitoring
genutzt werden kann.

2. Dem Fördergefälle in den deutschen Grenzregionen zu den Beitrittsländern
muss durch einen geschlossenen Fördergürtel entgegengewirkt werden. Die
Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ (GA) sind ggf. mit dem zusätzlichen Regionalindikator
„Grenzlage zu den Beitrittsländern“ neu abzugrenzen. Die Grenzregionen
sollen in die Lage versetzt werden, Kompetenzzentren für die grenzüber-
schreitende Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten zu
entwickeln, um somit aus ihrer Randlage einen besonderen Standortvorteil
zu ziehen. Die Bundesregierung muss in Abstimmung und auf Vorschlag der
Bundesländer bis Juli 2004 eine Liste förderungswürdiger Projekte erstellen
sowie Art und Umfang ihrer Förderung benennen. Die Länder sind aufgefor-
dert, sich angemessen daran zu beteiligen.

3. Neben der europäischen Strukturförderung muss auch die nationale Regio-
nalpolitik weiterhin zur Entwicklung der Grenzregionen beitragen. Die GA

Drucksache 15/2748 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ist daher in den neuen und alten Bundesländern als Förderinstrument beizu-
behalten. Dabei ist sicherzustellen, dass der Bund sich auch weiterhin an der
Finanzierung beteiligt. Maßnahmen, deren Inhalt und Ziel den Richtlinien
der Strukturfonds entsprechen, können von den Mitgliedstaaten auch außer-
halb der Strukturfonds mit eigenen Mitteln finanziert und von diesen durch-
geführt werden. Außerdem darf das EU-Beihilferecht die Möglichkeit der
Mitgliedstaaten und Regionen für eine eigenständige Regionalpolitik nicht
über Gebühr beeinträchtigen. Die Überwindung regionaler Disparitäten
(gemessen an der eigenen Region, nicht am Durchschnitt der EU) und
Problemlagen muss möglich sein. Die Bundesregierung wird aufgefordert,
auf europäischer Ebene im Interesse der deutschen Grenzregionen:
l sich dafür einzusetzen, dass die beihilferechtlichen Spielräume der Natio-

nalstaaten erweitert werden;
l sich dafür einzusetzen, dass das Programm der Europäischen Kom-

mission vom 25. Juli 2001 „Gemeinschaftsaktion für Grenzregionen“
gestärkt wird.

4. Die deutschen Grenzgebiete zu den neuen Mitgliedstaaten werden die Aus-
wirkungen der EU-Erweiterung so unmittelbar spüren wie keine andere
Region in Deutschland. Angesichts dieser besonderen Situation müssen die
Grenzregionen die Möglichkeit bekommen, durch zeitlich befristete Aus-
nahmegenehmigungen besonders schwere wirtschaftliche Einbrüche und
soziale Verwerfungen zu vermeiden. Teilen des Dienstleistungssektors, wie
z. B. bei Busunternehmen, droht in den Grenzregionen ohne die Möglichkeit
einer befristeten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ein wirtschaftli-
cher Bruch. Daher ist im Personenbeförderungsgesetz eine Niederlassungs-
verpflichtung gesetzlich festzulegen sowie das Genehmigungsverfahren für
den innerstaatlichen Gelegenheitsverkehr mit Kraftomnibussen zu vereinfa-
chen. Die Grenzregionen müssen zudem beim vom Bundesminister für
Wirtschaft und Arbeit Wolfgang Clement angedachten Konzept der „Innova-
tiven Regionen“ bevorzugt berücksichtigt werden.

5. Bei der Wiederbelebung der alten regionalen Wirtschaftsbeziehungen
kommt grenzüberschreitenden Gewerbegebieten große Bedeutung zu. De-
ren positive Entwicklung muss begleitet und unterstützt werden. Dabei
kann auf die Erfahrungen mit dem österreichisch-tschechischen Gewerbe-
gebiet Ceske Velenice/Gmünd zurückgegriffen werden.

6. Funktionierende Verkehrsverbindungen sind einer der Schlüssel zu einer er-
folgreichen EU-Erweiterung. Der Investitionsbedarf für den Ausbau der
grenzüberschreitenden Verkehrsinfrastruktur ist deutlich höher als der Um-
fang der bisherigenMaßnahmen.Dazu gehört insbesondere die Sicherstellung
der nationalenKofinanzierung der vorgesehenen trans-Europeantransportnet-
work (TEN)-Projekte, so dass die TEN-Gelder beantragt und ausgeschöpft
werden können. Dabei ist besonders wichtig, dass die in den neuen Bundes-
ländern geltenden Regelungen des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungs-
gesetzes und des Planungsvereinfachungsgesetzes bis 2019 verlängert wer-
den, damit diese Regelungen auf diese Projekte und auf die im Bundes-
verkehrswegeplan vorgesehenen Projekte „EU-Osterweiterung“ im Bereich
der neuen Bundesländer Anwendung finden.

7. Die Herausbildung grenzüberschreitender Wirtschaftsräume erfordert neben
dem Ausbau der überregionalen Verkehrsinfrastruktur eine Verbesserung
vor allem der regionalen und lokalen grenzüberschreitenden Verkehrswege.
Hier besteht auf beiden Seiten Nachholbedarf. Die Landkreise und Kommu-
nen, die die örtlichen und regionalen Baulastträger sind, können die notwen-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2748

digen Finanzmittel allerdings nicht allein aufbringen. Das Bundesministe-
rium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wird daher aufgefordert in Ab-
stimmung mit den Ländern und Kommunen geeignete Vorschläge vorzule-
gen, wie dies im Wege von Umschichtungen bzw. zeitlichem Vorziehen oder
Zurückstellen von Projekten geleistet werden kann. Ziel muss es sein, den
Umfang der ehemaligen Grenzübergänge wiederherzustellen.

8. In Absprache mit den Ländern und Kommunen soll die Bundesregierung
sich in Verhandlungen mit der polnischen und tschechischen Regierung
– unbeschadet der Regelungen des Beitrittsvertrages – bemühen, eine zeit-
lich befristete und den örtlichen Belangen entsprechende Anhebung der
Tonnagebeschränkungen für regionale Grenzübergänge zu erreichen, mit
dem Ziel, der örtlichenWirtschaft den Grenzübertritt zu erleichtern. Dadurch
dürfen allgemeine und sicherheitsrelevante Interessen nicht beeinträchtigt
werden.

9. Dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur auf deutscher Seite müssen adä-
quate Anstrengungen in den Beitrittsstaaten gegenüberstehen. Auf den
zügigen Abbau existierender Defizite bei der Verkehrsinfrastruktur (Stra-
ßenbau, Schienenverkehr und Schifffahrt) muss die Bundesregierung ge-
genüber Polen und Tschechien in bilateralen Gesprächen hinwirken und
dem Deutschen Bundestag über deren Ergebnisse berichten. Die Anstren-
gungen der polnischen Regierung, bis 2005 550 Kilometer Autobahn neu
zu bauen oder general zu überholen, werden ausdrücklich begrüßt.

10. Die ländlichen Gebiete in den Grenzregionen müssen wie bisher gestützt
und gefördert werden, um Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze zu sichern.
Im Sinne eines konsequenten Verbraucherschutzes ist es wichtig, dass nur
Produkte, die nach EU-Standards erzeugt wurden, aus den Beitrittsländern
auf den EU-Binnenmarkt gelangen. Diese vertraglich festgehaltene Rege-
lung muss auch im Alltagsgeschehen konsequent umgesetzt und von den
Beitrittsländern, von Deutschland und den Bundesländern sichergestellt
werden.

11. Bundeszuwendungen für akademische Austauschprogramme nach Ost-
und Mitteleuropa, beispielsweise das Go-East-Programm des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes, müssen aufgabengerecht ausgestattet
werden, damit die Zahl deutscher Studenten in diesen Ländern, insbeson-
dere in Polen und Tschechien, weiter steigt. Das Gleiche gilt für die Anzahl
in Deutschland Studierender aus den Staaten Mittel- und Osteuropas und
den Austausch von Wissenschaftlern. Im nächsten Haushalt des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung ist daher eine entsprechende
Umschichtung vorzunehmen.

12. Bereits vorhandene Förderprogramme für Forschungskooperationen müs-
sen für Partner aus den Nachbarstaaten geöffnet werden. Auf diesem Weg
soll die Ausbildung von grenzüberschreitenden Innovationsregionen geför-
dert werden. Voraussetzung soll sein, dass eine Mehrheit der Kooperations-
partner aus den deutschen Grenzregionen stammt. Das Bundesministerium
für Bildung und Forschung sowie das Bundesministerium für Wirtschaft
und Arbeit werden aufgefordert, bis zum 1. Juni 2004 einen Maßnahmen-
plan vorzulegen, für wen und in welchem Umfang bestehende Förder-
programme geöffnet werden sollen.

13. Die rechtlichen Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Berufsausbil-
dung müssen umgehend verbessert werden. Das Verfahren zur Anerken-
nung von Berufsabschlüssen ist vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung zügig zu regeln.

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14. Die Länder Mitteleuropas können zu einem Motor der Europäischen Union
werden. Mit der Einrichtung eines politischen „Gesprächsforums Mitteleu-
ropa“ soll für die speziellen Anliegen der mittel- und osteuropäischen Staa-
ten eine Kommunikationsplattform geschaffen werden. Der Bundeskanzler
muss dazu die Initiative ergreifen und in Abstimmung mit den europäi-
schen Partnern die Gründung eines solchen Gesprächsforums anregen.

15. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Kommunen muss intensi-
viert und auf eine tragfähige rechtliche Grundlage gestellt werden. Dazu
müssen die Verhandlungen mit Polen und Tschechien über ein zwischen-
staatliches Abkommen analog dem Karlsruher Abkommen von 1996 bis
zum Ende dieses Jahres zum Abschluss gebracht werden. Die Investitions-
kraft der Kommunen muss durch eine umfassende Gemeindefinanzreform
gestärkt werden. Nur so kann der kommunale Investitionsrückgang aufge-
halten werden, der insbesondere in grenznahen Gemeinden, Städten und
Landkreisen verheerende Folgen für die Wirtschaft und den Ausbau der
Infrastruktur hat.

16. Durch eine neue Qualität der Zusammenarbeit von deutschen Sicherheits-
behörden (BGS, Polizei und Zoll) mit ihren polnischen und tschechischen
Partnerinstitutionen kann der Gefahr von erhöhter grenzüberschreitender
Kriminalität entgegengewirkt werden. Zudem muss die Bundesregierung
sicherstellen, dass die Reduzierung von Zollkontrollen nach dem Beitritt
nicht zu einem Absinken des Sicherheitsniveaus führt. Die Verringerung
von Einsatzkräften der Zollverwaltung muss durch eine Verlagerung des
Personals zum Bundesgrenzschutz ausgeglichen werden. Die Bundesregie-
rung soll – unter Wahrung der Rechte der Bundesländer – mit Polen und
Tschechien und den an sie angrenzenden Bundesländern in Verhandlungen
eintreten, um diese neue Sicherheitskooperation voranzutreiben. Dabei
kann auf die guten Erfahrungen des Grenzbeauftragten der bayerischen
Polizei in Furth im Wald zurückgegriffen werden.

17. Die Bemühungen der Kammern, Kontakte zwischen Unternehmen in den
Beitrittsstaaten und deutschen Firmen zu vermitteln, sind beispielhaft. Auf-
bauend auf diesen Erfahrungen soll in den kommenden Monaten das Bera-
tungsangebot für solche Kontakte durch das Bundesministerium für Wirt-
schaft und Arbeit, die Wirtschaftsministerien der betroffenen Bundesländer
sowie deren jeweilige Auslandsvertretungen ausgebaut werden.

18. Mit der gezielten Ansiedlung von öffentlichen Einrichtungen soll der Ver-
lust von Arbeitsplätzen bei der Bundeszollverwaltung oder den Grenzzoll-
spediteuren ausgeglichen werden. Diese Maßnahme darf jedoch nicht zu
zusätzlicher Bürokratie führen, vielmehr müssen Umstrukturierungen zu
neuen Schwerpunktsetzungen genutzt werden. Die Bundesregierung gibt
ein Jahr nach dem Beitritt über ihre Bemühungen und Erfolge Auskunft.

19. Kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Großveranstaltungen, für die der
Bund die Verantwortung trägt, müssen in den kommenden Jahren bevor-
zugt grenzüberschreitend stattfinden. Die „Bundesgartenschau“ oder die
„Kulturhauptstadt Europas“ sind Ereignisse, die nicht nur den Bekannt-
heitsgrad einer Region steigern, sondern auch die Identitätsbildung einer
Region unterstützen. Die Kulturstaatsministerin soll den betroffenen Län-
dern bis zum 1. November 2004 Vorschläge unterbreiten, welche Großver-
anstaltungen nach ihrer Einschätzung bevorzugt in den Grenzregionen
stattfinden sollen.

20. Um die vielen Fragen der Menschen in Deutschland zur EU-Erweiterung
und ihren Konsequenzen im Alltag aufzugreifen, muss eine bundesweite

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/2748

Telefon-Hotline eingerichtet werden. Nur so können die Menschen die be-
nötigten Informationen über die anstehenden Veränderungen erhalten und
sich auf die Neuerungen einstellen. Die schnellstmögliche Einrichtung
einer solchen Informations-Telefon-Hotline durch die Bundesregierung im
Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit ist sicherzustellen.

Berlin, den 23. März 2004
Michael Kretschmer
Albert Rupprecht (Weiden)
Peter Hintze
Ilse Aigner
Peter Altmaier
Günter Baumann
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Antje Blumenthal
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Klaus Brähmig
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Verena Butalikakis
Hubert Deittert
Albert Deß
Alexander Dobrindt
Maria Eichhorn
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Dirk Fischer (Hamburg)
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Dr. Michael Fuchs
Norbert Geis
Georg Girisch
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Kurt-Dieter Grill
Markus Grübel
Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
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Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Bartholomäus Kalb
Volker Kauder
Gerlinde Kaupa
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Norbert Königshofen
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Eduard Oswald
Ruprecht Polenz
Christa Reichard (Dresden)
Hannelore Roedel
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Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer (Saalstadt)
Andreas Scheuer
Dr. Ole Schröder
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
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