BT-Drucksache 15/2628

Auswirkungen der internationalen Bilanzregeln auf die Stabilität des Finanzsystems und die Kreditversorgung der Wirtschaft

Vom 3. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2628
15. Wahlperiode 03. 03. 2004

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Rainer Funke, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Helga Daub, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Gisela Piltz, Dr. Andreas Pinkwart, Dr.
Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Auswirkungen der internationalen Bilanzregeln auf die Stabilität
des Finanzsystems und die Kreditversorgung der Wirtschaft

1. Ab dem Jahr 2005 müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen ihre Kon-
zernabschlüsse auf der Grundlage der „International Accounting Standards“
(IAS) erstellen. Hierzu hat die Bundesregierung im Dezember 2003 den
Entwurf eines Bilanzrechtsreformgesetzes vorgelegt. Die IAS gelten als das
maßgebende internationale Regelwerk. Sie beruhen überwiegend auf der
anglo-amerikanischen Bilanzierungstradition, die sich von kontinental-
europäischen, insbesondere deutschen Bilanzierungsgrundsätzen erheblich
unterscheidet. Das gilt vor allem für die Zeitwertbilanzierung in Abgren-
zung zur Bilanzierung zum Anschaffungswert. Das Anschaffungswertprin-
zip ist vergangenheitsorientiert. Es erfasst die einzelnen Bilanzpositionen
mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Bei der Zeitwertbilanzie-
rung werden diese auf dem Prinzip der Vorsicht und Verlässlichkeit fußen-
den Rechnungslegungsgrößen durch Kennzahlen abgelöst, die sich auf den
jeweils aktuellen wirtschaftlichen Wert stützen. Für die Jahresabschlüsse
von Banken gilt gegenwärtig ein kombiniertes Modell. Finanzinstrumente,
die im Anlagebuch erfasst werden, z. B. Kredite, Anleihen oder Einlagen,
werden mit den Anschaffungskosten angesetzt. Instrumente, die für kurz-
fristige Handelszwecke gehalten und im Handelsbuch erfasst werden, wer-
den zu Marktpreisen ausgewiesen. Nach dem Willen des „International
Accounting Standards Board“ (IASB) soll die Zeitwertbilanzierung erheb-
lich ausgeweitet werden. Kritik hieran wird im Monatsbericht Februar 2004
der Europäischen Zentralbank (EZB) laut. In einem Aufsatz werden die
Auswirkungen einer breiteren Anwendung der zeitwertorientierten Bilan-
zierung auf den Bankensektor untersucht. Neben positiven Aspekten wer-
den mögliche Gefahren beschrieben. Hierzu zählen nach Ansicht der EZB
eine höhere Volatilität der Jahresabschlüsse und eine Zunahme der Prozy-
klizität des Kreditvergabeverhaltens mit möglicherweise negativen Folgen
für die Stabilität des Finanzsystems und die Kreditversorgung der Wirt-
schaft. Die EZB plädiert daher für weitere Analysen, bevor die Zeitwert-
bilanzierung breitere Anwendung findet. Über die Bedenken der EZB be-

Drucksache 15/2628 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

richtet die „Financial Times Deutschland“ (FTD) in einem „EZB warnt vor
Internationalen Bilanzregeln“ überschriebenen Artikel vom 14./15. Februar
2004.

2. Zu den von der EU bisher noch nicht anerkannten Rechnungslegungsstan-
dards gehören die IAS 32 (Ausweis und Offenlegung von Finanzinstrumen-
ten) und IAS 39 (Erfassung und Bewertung von Finanzinstrumenten). Inso-
weit wird die Europäische Kommission in der zweiten Jahreshälfte 2004 über
eine Anerkennung beraten. Der aktuelle Entwurf der IAS 32 (Nr. 22 B) sieht
vor, dass Genossenschaften ihre von den Anteilseignern eingezahlten Ge-
schäftsguthaben nicht mehr wie bisher als Eigenkapital, sondern als Fremd-
kapital in der Bilanz auszuweisen haben.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der EZB, dass eine breitere Anwen-

dung der zeitwertorientierten Bilanzierung tief greifende Auswirkungen auf
den europäischen Bankensektor hat, und wenn ja, welche?

2. Worin sieht die Bundesregierung die Vorteile einer breiteren Anwendung
der zeitwertorientierten Bilanzierung?

3. Welche Gefahren sind nach Ansicht der Bundesregierung mit einer breite-
ren Anwendung der zeitwertorientierten Bilanzierung verbunden?

4. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der EZB, dass eine verstärkte
Zeitwertbilanzierung zu einer höheren Volatilität der Jahresabschlüsse von
Banken führen wird?

5. Wenn ja, ist die Bundesregierung ebenso wie die EZB der Ansicht, dass eine
erhöhte Volatilität das Risikomanagement und die Risikobereitschaft der
Banken beeinflussen wird?

6. Wenn ja, welche Auswirkungen hat dies auf die Stabilität des Finanzsys-
tems und die Kreditversorgung der Wirtschaft?

7. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der EZB, dass eine Zeitwertbilanzie-
rung die Prozyklizität des Kreditvergabeverhaltens der Banken verstärken
könnte?

8. Wenn ja, welche Auswirkungen hätte eine solche Prozyklizität auf die Sta-
bilität des Finanzsystems, auf die Kreditversorgung der Wirtschaft, insbe-
sondere auf die Kreditversorgung kleiner und mittlerer Unternehmen, und
auf die Verfügbarkeit von Finanzprodukten?

9. Ist die Bundesregierung wie die EZB der Auffassung, dass eine breitere An-
wendung der zeitwertorientierten Bilanzierung noch weiterer Analyse be-
darf?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung den aktuellen Entwurf der IAS 32
(Nr. 22 B), wonach Genossenschaften ihre von den Anteilseignern einge-
zahlten Geschäftsguthaben nicht wie bisher als Eigenkapital, sondern als
Fremdkapital in der Bilanz auszuweisen haben?

11. Welche Auswirkungen hat die bilanzielle Behandlung als Fremdkapital auf
das Rating von Genossenschaften und auf deren Möglichkeiten zur Kredit-
aufnahme?

12. Welche Auswirkungen hat die bilanzielle Behandlung als Fremdkapital auf
die Kreditvergabemöglichkeiten der Volks- und Raiffeisenbanken?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2628

13. Beabsichtigt die Bundesregierung zukünftig auch das bankaufsichtlich an-
erkannte Eigenkapital nach den Regeln der IAS 32 zu definieren?

Berlin, den 3. März 2004
Rainer Funke
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Dr. Andreas Pinkwart
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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