BT-Drucksache 15/2579

Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit einheitlich regeln - für mehr Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb

Vom 3. März 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2579
15. Wahlperiode 03. 03. 2004

Antrag
der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol, Dr. Herta Däubler-Gmelin,
Martin Dörmann, Reinhold Hemker, Gustav Herzog, Lothar Ibrügger, Ute Kumpf,
Michael Müller (Düsseldorf), Holger Ortel, Dr. Wilhelm Priesmeier, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Jella Teuchner, Matthias Weisheit, Waltraut Wolff (Wolmirstedt),
Manfred Helmut Zöllmer, Franz Müntefering und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Ulrike Höfken, Friedrich Ostendorff, Volker Beck (Köln),
Cornelia Behm, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf Lebensmitteln europaweit
einheitlich regeln – für mehr Verbraucherschutz und fairen Wettbewerb

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Verbraucher sind für ihre Investitions- und Konsumentscheidung auf aktuelle,
umfassende und unabhängige Informationen angewiesen. Der Markt liefert
diese Informationen von Seiten der Produzenten und des Handels vorrangig
verkaufsorientiert. Das Ziel einer verbraucherorientierten Politik muss es des-
halb sein, die Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Verbrauchern
über die Qualität und Eigenschaften von Produkten und Dienstleistungen abzu-
bauen.
Für die Verbraucher ist nicht nur der Preis das entscheidende Unterscheidungs-
merkmal beim Einkauf. Dazu sind sie auf verlässliche, leicht verständliche, gut
vergleichbare und vollständige Informationen angewiesen. Um gute Produkte
und Dienstleistungen auf dem Markt absetzen zu können, brauchen qualitäts-
orientierte Unternehmen aufgeklärte Verbraucher.
Eine Orientierung der Verbraucherinnen und Verbraucher hin zu einer gesun-
den Ernährungsweise ist heute dringender denn je. Insbesondere bei Kindern
werden die Folgen jahrelanger Fehlernährung deutlich. Jedes fünfte Kind und
jeder dritte Jugendliche in Deutschland sind übergewichtig. Die starke Zu-
nahme ernährungsbedingter Erkrankungen stellt nicht nur eine physische und
psychische Belastung der Betroffenen, sondern auch eine zunehmende Last für
unser Gesundheitssystem dar. Rund ein Drittel der Kosten wird inzwischen
durch falsche Ernährung verursacht.
Das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher an Inhalt und Kennzeich-
nung und dem Gesundheitsnutzen von Lebensmitteln hat in den letzten Jahren
weiter zugenommen. Gesundheits- und nährwertbezogene Angaben über Le-
bensmittel bilden eine wichtige Grundlage für die richtige Lebensmittelauswahl
im Rahmen der von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gewünschten
gesunden Ernährung. Stellt ein Anbieter sein Produkt als „fettarm“ oder „ge-

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wichtsreduzierend“ dar, so muss sich der Verbraucher darauf verlassen können,
dass diese Angabe stimmt. Kennzeichnung, Aufmachung und Werbung bei
Lebensmitteln müssen genau und wahr sein.
Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates über nährwert- und gesundheitsbezo-
gene Angaben über Lebensmittel (KOM (2003) 424 endg.) gründet auf einer
Entschließung des Europäischen Parlamentes zum Grünbuch der Kommission
über die allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechtes. Dort wurde die
Kommission aufgefordert, „Rechtsvorschriften für ernährungsbezogene Wer-
beaussagen vorzuschlagen, um unter anderem zu gewährleisten, dass Hinweise
auf Gesundheitsförderung („Health claims“) nur dann zugelassen werden,
wenn sie von einer unabhängigen Unionseinrichtung geprüft und bestätigt wer-
den“. Der Vorschlag einer Verordnung sieht vor, die nährwert- und gesundheits-
bezogenen Angaben für Lebensmittel auf europäischer Ebene zu vereinheit-
lichen. Die Verordnung hat das erklärte Ziel, eine europaweite Verlässlichkeit
der Angaben und den fairen Wettbewerb zu garantieren. Dies ist sowohl aus
verbraucherpolitischer wie auch aus wirtschaftspolitischer Perspektive sinn-
voll. Bei nährwertbezogenen Angaben sollten für alle Wirtschaftsteilnehmer
die gleichen Vorschriften gelten. In Bezug auf gesundheitsbezogene Angaben
sollten künftig nur wissenschaftlich belegte und für die Verbraucherinnen und
Verbraucher informative und verständliche Aussagen verwendet werden dür-
fen.
Die Reaktionen, welche der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission in den
betroffenen Wirtschaftszweigen – vor allem in Deutschland – ausgelöst hat,
haben aber auch gezeigt, dass der Anwendungsbereich, der Regelungsumfang
offensichtlich nicht klar genug gefasst und die Art und der Umfang der vorge-
sehenen Durchführungsbestimmungen zu unbestimmt sind.
Die von der Lebensmittel- und Werbewirtschaft vorgebrachten Bedenken müs-
sen daher ernst genommen werden. Die Kommission betont, dass sich ihr Ver-
ordnungsvorschlag am Bild des „Durchschnittsverbrauchers“ orientiert. Diese
Orientierung sollte nach dem Willen des Deutschen Bundestages in den kom-
menden Beratungen des Entwurfes noch stärkere Berücksichtigung finden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
– die grundsätzliche Zielsetzung des Verordnungsvorschlags;
– dass gesundheitsbezogene Angaben künftig nur nach wissenschaftlichem

Nachweis erlaubt sein sollen, wobei dieses Ziel ohne unangemessen hohen
bürokratischen Aufwand zu erreichen und die finanzielle Belastung insbe-
sondere für kleine und mittlere Unternehmen in Grenzen zu halten ist;

– dass die Bedingungen für die Verwendung nährwertbezogener und gesund-
heitsbezogener Angaben bei Lebensmitteln festgelegt werden;

– dass Nährwertprofile als Referenzgröße für die ernährungsphysiologische
Qualität von Lebensmitteln angelegt werden und den Verbrauchern einen
Beurteilungsrahmen für den Gesundheitsnutzen eines Lebensmittels geben;

– die Einführung einer verbindlichen und möglichst umfassenden Positivliste
für nährwertbezogene Angaben;

– die Einführung einer Positivliste für etablierte, wissenschaftlich unstrittige
gesundheitsbezogene Angaben in Bezug auf die Wirkungen bestimmter
Nährstoffe oder anderer Substanzen;

– die geplante Zulassung von Ausnahmen vom Verbot der krankheitsbezoge-
nen Angaben, sofern sie sich auf eine Verringerung des Krankheitsrisikos
beziehen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2579

– dass bei alkoholischen Getränken nach dem Willen der EU-Kommission
zukünftig die Verwendungsmöglichkeiten für gesundheits- und nährwert-
bezogene Angaben eingeschränkt werden.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich bei den weiteren Beratungen auf europäischer Ebene dafür einzusetzen,
dass
– die vorgelegte Verordnung zügig beraten und verabschiedet wird, um

schnell europaweite Rechtssicherheit für die Unternehmen im Bereich der
nährwert- und gesundheitsbezogenen Angeben sicherzustellen;

– der Verordnungsvorschlag im Sinne einer EU-weiten Harmonisierung
sprachlich und inhaltlich so bestimmt gefasst wird, dass eine gleichmäßige
Anwendung in sämtlichen Mitgliedstaaten gewährleistet ist. Im Sinne der
Effektivität des Verordnungsvorschlages müssen Verbote und Eingriffsbe-
fugnisse an präzise, trennscharfe Tatbestandsmerkmale geknüpft werden,
um den betroffenen Lebensmittelunternehmen Rechtssicherheit zu geben
und die erforderliche Einheitlichkeit des Vollzugs zu gewährleisten;

– bei den weiteren Beratungen zu den Vorschriften für gesundheitsbezogene
Angaben eine Regelung gefunden wird, welche insbesondere kleine und
mittlere Unternehmen bürokratisch und finanziell nicht überfordert;

– kein völliges Verbot impliziter gesundheitsbezogener Angaben eingeführt
wird und sich alternativ für ein Anzeigeverfahren für diese Angaben ent-
weder auf nationaler Ebene (analog der Regelung für bestimmte diätetische
Lebensmittel) oder auf EU-Ebene mit Nacheingriffsmöglichkeit eingesetzt
wird;

– die Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben auf Lebens-
mitteln, die sich ausschließlich oder hauptsächlich an Kinder richten, ver-
boten wird;

– im Zuge der Erstellung einer Liste etablierter gesundheitsbezogener Anga-
ben einerseits Gestaltungsspielräume für kreative Vermarktungsformen
nicht unnötig eingeschränkt und andererseits wissenschaftliche Erkenntnisse
zur Informationsverarbeitung eines Durchschnittsverbrauchers angemessen
berücksichtigt werden;

– bei den Angaben zur Reduzierung eines Krankheitsrisikos das in der Verord-
nung vorgesehene Zulassungsverfahren angewendet wird. Für jene krank-
heitsbezogenen Angaben, die zum wissenschaftlichen Allgemeingut gehö-
ren, sollte zur Vereinfachung des Verfahrens insbesondere auch für kleine
und mittlere Unternehmen geprüft werden, ob sie in Artikel 12 überführt
werden können. Die Angaben könnten dann – wie bei den Nährstoffen – frei
verwendet werden.

Berlin, den 3. März 2004
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion

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