BT-Drucksache 15/2412

1. zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam, Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU -15/932- Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz - 3. SED-UnBerG) 2. zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP -15/1235- Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht (Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz - 3. SED-UnBerG)

Vom 28. Januar 2004


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2412
15. Wahlperiode 28. 01. 2004

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung (13. Ausschuss)

1. zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Arnold Vaatz, Ulrich Adam,
Günter Baumann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 15/932 –

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht
(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED-UnBerG)

2. zu dem Gesetzentwurf der Abgeordneten Rainer Funke, Joachim Günther
(Plauen), Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der FDP
– Drucksache 15/1235 –

Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Bereinigung von SED-Unrecht
(Drittes SED-Unrechtsbereinigungsgesetz – 3. SED-UnBerG)

A. Problem
Mit dem Ende der SED-Diktatur hat das vereinte Deutschland sich der Aufgabe
gestellt, 40 Jahre Unrecht, Verfolgung und Behördenwillkür aufzuarbeiten und
den Opfern des SED-Regimes späte Genugtuung zu geben. Es besteht Einigkeit
darüber, dass ihr Einsatz für Demokratie und Freiheit zu würdigen sei. Die bis-
herigen Regelungen zum Ausgleich des erlittenen Unrechts stellen sich jedoch
aus Sicht der SED-Opfer als unzureichend dar.
Was die rentenrechtliche Problematik betrifft, so hat sich aus Sicht der einbrin-
genden Fraktionen die ohnehin bestehende Gerechtigkeitslücke zwischen Ver-
folgten und Verfolgern dadurch zu Ungunsten der Opfer noch weiter vergrö-
ßert, dass in Umsetzung von diesbezüglichen Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts die Renten der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums
für Staatssicherheit und von systemstützenden Partei- und Staatsfunktionären
angehoben wurden. Die derzeitige Situation bei den Kapitalentschädigungen
sieht die CDU/CSU-Fraktion insoweit als unbefriedigend an, als die Ende 1999
vorgenommene Angleichung an den Entschädigungssatz, wie ihn im Rechts-
staat Inhaftierte erhalten, verkenne, dass die Gefängnisse in der ehemaligen
DDR in keiner Weise mit den Haftanstalten des Rechtsstaates vergleichbar ge-
wesen seien.

Drucksache 15/2412 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

B. Lösung
1. Die Fraktion der CDU/CSU will dem dargestellten Problem abhelfen, indem
sie den Opfern politischer Verfolgung im Beitrittsgebiet eine Opferpension in
Abhängigkeit der Dauer der Verfolgungsmaßnahmen gewährt und die Kapital-
entschädigung für die politischen Häftlinge des SED-Regimes erhöht.
Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/932 mit den Stimmen
der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktion der CDU/CSU bei Abwesenheit der Fraktion der FDP
2. Der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP sieht für alle, die in der Zeit vom
8. Mai 1945 bis 2. Oktober 1990 Opfer politischer Verfolgung waren, eine
monatliche Rente in Höhe von 500 Euro vor.
Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 15/1235 mit den Stimmen
der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Ab-
wesenheit der Fraktion der FDP*)

C. Alternativen
Annahme der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/932 oder 15/1235.

D. Kosten
1. Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 15/932
Schätzungen gehen von einem Kreis von rund 150 000 noch lebenden Antrags-
berechtigten aus, von denen etwa 55 vom Hundert einer Verfolgungszeit von
bis zu zwei Jahren ausgesetzt waren. Hierauf basierend ist durch das Gesetz
über eine Opferpension von einer jährlichen Anfangsbelastung der öffentlichen
Haushalte mit etwa 180 Mio. Euro auszugehen. Hiervon trägt der Bund 60 vom
Hundert, also 108 Mio. Euro, die Länder 40 vom Hundert, somit 72 Mio. Euro.
Bedingt durch das hohe Lebensalter vieler Betroffener ist jedoch auf Dauer mit
abnehmenden Aufwendungen zu rechnen.
Durch die Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und der
daraus resultierenden Erhöhung der Kapitalentschädigung ergeben sich unter
Zugrundelegung der von der Bundesregierung mit dem Zweiten Gesetz zur
Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für die Opfer der poli-
tischen Verfolgung in der DDR vorgelegten Annahmen geschätzte Kosten für
Nachzahlungen und eventuelle Neuanträge in Höhe von insgesamt rund
409 Mio. Euro. Hiervon erstattet der Bund den Ländern 65 vom Hundert, also
rund 266 Mio. Euro. Die durch das Gesetz den Ländern entstehenden zusätz-
lichen Verwaltungskosten sind nicht bezifferbar, dürften sich aber im Rahmen
halten, da in erheblichem Umfang auf bereits getroffene Verwaltungsentschei-
dungen abgestellt wird.
2. Zu dem Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1235.
Eine zuverlässige Schätzung der durch das Gesetz entstehenden Kosten ist
nicht möglich, da es an verlässlichen Daten fehlt. Die Zahl der Berechtigten
dürfte jedoch bei ca. 85 000 bis 90 000 Personen liegen.
*) Die Abwesenheit der Fraktion der FDP erklärt sich daraus, dass deren Mitglieder geschlossen an der

Beerdigung der tödlich verunglückten Abgeordneten Marita Sehn teilgenommen haben.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2412

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/932 abzulehnen,
den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1235 abzulehnen.

Berlin, den 28. Januar 2004

Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung

Klaus Kirschner Markus Kurth
Vorsitzender Berichterstatter

Drucksache 15/2412 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Markus Kurth

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Gesetzentwurf auf Druck-
sache 15/932 in seiner 49. Sitzung am 6. Juni 2003 und den
Gesetzentwurf auf Drucksache 15/1235 in seiner 56. Sit-
zung am 3. Juli 2003 jeweils in erster Lesung beraten und
beide Gesetzentwürfe zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung überwie-
sen. Außerdem hat er beide Gesetzentwürfe an den Innen-
ausschuss, den Rechtsausschuss, den Finanzausschuss und
den Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur
Mitberatung sowie gemäß § 96 GO-BT an den Haushalts-
ausschuss überwiesen.
II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen
Mit dem Ende der SED-Diktatur hat das vereinte Deutsch-
land sich der Aufgabe gestellt, 40 Jahre Unrecht, Verfol-
gung und Behördenwillkür aufzuarbeiten und den Opfern
des SED-Regimes späte Genugtuung zu geben sowie ihren
Einsatz für Demokratie und Freiheit zu würdigen. Die bis-
herigen Regelungen zum Ausgleich des erlittenen Unrechts
– das Erste SED-Unrechtsbereinigungsgesetz vom 29. Ok-
tober 1992, das Zweite SED-Unrechtsbereinigungsgesetz
vom 23. Juni 1994 und die Gesetze zur Verbesserung reha-
bilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der poli-
tischen Verfolgung in der ehemaligen DDR vom 1. Juli
1997 und vom 17. Dezember 1999 – bleiben jedoch ange-
sichts der Schwere der erlittenen Verfolgungsmaßnahmen
aus Sicht der SED-Opfer unbefriedigend. Insbesondere ha-
ben sich in der Verwaltungspraxis zahlreiche Defizite bei
der verwaltungsrechtlichen und beruflichen Rehabilitierung
zu Lasten der Betroffenen gezeigt.
Darüber hinaus hat die mit dem Zweiten Gesetz zur Ände-
rung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschafts-
überführungsgesetzes vorgenommene Novellierung des Be-
ruflichen Rehabilitierungsgesetzes nur in sehr begrenztem
und unausgewogenem Maße zu einem rentenrechtlichen
Ausgleich für die Verfolgten geführt. Da andererseits aber
in Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts vom 28. April 1999 zu Fragen der Überleitung von
Ansprüchen und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonder-
versorgungssystemen der DDR in die gesetzliche Renten-
versicherung die Renten der hauptamtlichen Mitarbeiter des
Ministeriums für Staatssicherheit und von systemstützenden
Partei- und Staatsfunktionären angehoben wurden, hat sich
die Gerechtigkeitslücke zwischen Verfolgten und Verfol-
gern zu Ungunsten der Opfer weiter vergrößert.
Die Fraktion der CDU/CSU will dem dargestellten Problem
abhelfen, indem sie den Opfern politischer Verfolgung im
Beitrittsgebiet eine Opferpension in Abhängigkeit der
Dauer der Verfolgungsmaßnahmen gewährt. Eine solche
Maßnahme stelle eine symbolische finanzielle Anerken-
nung der erlittenen Nachteile und Schädigungen dar und sei
sichtbarer Ausdruck für den besonderen Wert, den unsere
Gesellschaft dem Handeln von Menschen beimesse, die sich
gegen die Diktatur der SED gewehrt und unter Einsatz ihres
Lebens und um den Preis erheblicher persönlicher und sozi-
aler Nachteile für Freiheit und Demokratie eingesetzt hät-

ten. Mit der neuerlichen Erhöhung der Kapitalentschä-
digung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
werde der zu kurz gegriffene Ansatz des Zweiten Gesetzes
zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen
DDR vom 17. Dezember 1999 korrigiert. Die dort vorge-
nommene Angleichung der Kapitalentschädigung an den
Entschädigungssatz, wie ihn im Rechtsstaat Inhaftierte er-
halten, verkenne, dass die Gefängnisse in der ehemaligen
DDR in keiner Weise mit den Haftanstalten des Rechtsstaa-
tes vergleichbar gewesen seien.
Der Gesetzentwurf der Fraktion der FDP sieht für alle, die
in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis 2. Oktober 1990 Opfer
politischer Verfolgung waren, eine monatliche Rente in
Höhe von 500 Euro vor. Durch diese Maßnahme sollten das
von der zweiten deutschen Diktatur geschaffene Unrecht
ausgeglichen und die beschriebene Gerechtigkeitslücke ge-
schlossen werden.
III. Stellungnahmen der mitberatendenAusschüsse
Der Innenausschuss hat die Gesetzentwürfe auf den Druck-
sachen 15/932 und 15/1235 in seiner 26. Sitzung am 10. De-
zember 2003 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der Frak-
tion der FDP (bei Drucksache 15/932) bzw. gegen die Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (bei Drucksa-
che 15/1235) deren Ablehnung empfohlen.
Der Rechtsausschuss hat die Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 15/932 und 15/1235 in seiner 37. Sitzung am
14. Januar 2004 beraten und mit den Stimmen der Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stim-
men der Fraktion der CDU/CSU bei Stimmenthaltung der
Fraktion der FDP (bei Drucksache 15/932) bzw. gegen die
Stimmen der Fraktion der FDP bei Stimmenthaltung der
Fraktion der CDU/CSU (bei Drucksache 15/1235) deren
Ablehnung empfohlen.
Der Finanzausschuss hat die Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 15/932 und 15/1235 in seiner 45. Sitzung am
14. Januar 2004 beraten und mit den Stimmen der Fraktio-
nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stim-
men der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (bei Drucksa-
che 15/932) bzw. gegen die Stimmen der Fraktion der FDP
bei Stimmenthaltung der Fraktion der CDU/CSU (bei
Drucksache 15/1235) deren Ablehnung empfohlen.
Der Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
hat die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 15/932 und
15/1235 in seiner 25. Sitzung am 10. Dezember 2003 bera-
ten und mit den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP deren Ablehnung empfohlen.
IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse imfederführenden Ausschuss
Der Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung hat
seine Beratungen in der 45. Sitzung am 12. November 2003

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/2412

aufgenommen. In seiner 51. Sitzung am 28. Januar 2004 hat
er die Beratungen fortgesetzt und abgeschlossen. Als Ergeb-
nis hat er mit den Stimmen der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion der
CDU/CSU bei Abwesenheit der Fraktion der FDP empfoh-
len, den Gesetzentwurf auf Drucksache 15/932 abzulehnen.
Die Ablehnung des Gesetzentwurfs auf Drucksache
15/1235 hat er mit den Stimmen der Fraktionen SPD, CDU/
CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Abwesenheit
der Fraktion der FDP empfohlen.
Im Laufe der Ausschussberatungen wurden auch zwei Peti-
tionen behandelt, zu denen der Petitionsausschuss eine Stel-
lungnahme nach § 109 GO-BT angefordert hatte. Mit den
Petitionen wurde u. a. die Gewährung einer Opferrente/
Ehrenpension verlangt. Da die Gesetzentwürfe auf den
Drucksachen 15/932 und 15/1235 im Ausschuss für Ge-
sundheit und Soziale Sicherung keine Mehrheit fanden,
wurde auch dem Anliegen der Petenten nicht entsprochen.
Der Petitionsausschuss wird entsprechend unterrichtet.
Die Mitglieder der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN erinnerten an die Verbesserung der Situa-
tion der Opfer von SED-Verfolgung durch das Zweite Ge-
setz zur Verbesserung der rehabilitierungsrechtlichen Vor-
schriften für Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen
DDR, in dem die Kapitalentschädigung nach dem straf-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetz für ehemalige politische
Häftlinge auf einheitlich 600 DM pro Haftmonat erhöht
worden sei. Hinzu komme, dass bei dieser Regelung auch
die Angehörigen einen Rechtsanspruch auf Leistungen der
Stiftung für ehemalige politische Häftlinge hätten, ohne
dass – wie bisher – auf die jeweilige wirtschaftliche Situa-
tion des Einzelnen abgestellt werde.
Außerdem verwiesen die Mitglieder der Fraktionen SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf das Zweite Gesetz
zur Änderung der Ergänzung des Anspruchs- und Anwart-
schaftsüberführungsgesetzes, in dem der rentenrechtliche
Nachteilsausgleich im beruflichen Rehabilitierungsrecht
verbessert worden sei. Die Neuregelung stelle sicher, dass
der Versicherte nun mindestens die Rente erhalte, die er bei
Weiterführung seiner beruflichen Tätigkeit in der Verfol-
gungszeit ohne die Verfolgung erreicht hätte. Ergänzend zur
bisherigen Regel, nach der der rentenrechtliche Nachteil bis
zum branchenspezifischen Durchschnittsverdienst in einzel-
nen Produktionsbereichen ausgeglichen werde, bringe die
Neuregelung Verbesserungen für diejenigen, die aufgrund
ihrer besonderen beruflichen Qualifikation auch in der DDR
überdurchschnittlich verdient hätten, wenn sie nicht poli-
tisch verfolgt worden wären. Besondere Regelungen, die
über die durch die Lohnersatzfunktion geprägte Leistungs-
systematik der gesetzlichen Rentenversicherung hinausgin-
gen, seien abzulehnen.
Bedacht werden müsse auch, dass angesichts der schwieri-
gen finanziellen Situation und der notwendigen Reform der
sozialen Sicherungssysteme über 500 Mio. Euro an zusätz-
lichen Leistungen eine große Belastung für die öffentlichen
Haushalte darstellten. Dies wiege umso schwerer, als gerade
erst am 31. Dezember 2003 das Zweite Gesetz zur Ände-
rung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften in Kraft getre-
ten sei, mit dem die Antragsfristen in den drei Rehabilitie-
rungsgesetzen verlängert und die Ausgleichsleistungen nach
dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz deutlich angehoben

worden seien. Ein weiteres Problem liege darin, dass der
Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion Inhaftierten wie
Verfolgten gleichermaßen Ansprüche gewähre. Die Koa-
lition halte es aber nicht für angemessen, diejenigen, die we-
gen Verfolgung berufliche Nachteile erlitten hätten, mit
denjenigen gleichzusetzen, die inhaftiert worden seien. Die
im Gesetzentwurf der FDP-Fraktion vorgesehene Pauscha-
lierung der Opferpensionen sei auch deshalb abzulehnen,
weil die Art und Dauer der Verfolgung im Einzelfall stark
variiere.
Letztlich müsse auch berücksichtigt werden, dass das Reha-
bilitierungssystem in Deutschland stets an konkret erlittenes
Unrecht und in dessen Folge geschädigte Rechtsgüter wie
Freiheit, Leben, Gesundheit und Vermögen anknüpfe. Eine
Entschädigung in Form einer pauschalen Rentenregelung
kenne das System aus diesem Grunde nicht. Daher hätten
auch die in der alten Bundesrepublik Deutschland lebenden
NS-Opfer eine solche Rente nicht erhalten. Eine Ehrenpen-
sion gebe es lediglich für die NS-Opfer, die schon in der
DDR eine sog. Ehrenrente erhalten hätten. Diese Ausnahme
bestehe aber nur deshalb, weil hier den mit dem Einigungs-
vertrag zugesicherten Regeln des Bestandschutzes habe ge-
folgt werden müssen. Die von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP angestrebte Gewährung einer Opferrente
könne daher der Spaltung von Opfergruppen Vorschub leis-
ten.
Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU hoben hervor,
ihr Gesetzentwurf biete eine differenzierte Lösung, da er
zum einen eine nach der Zeitdauer des Unrechts gestaffelte
monatliche Entschädigung für politische Verfolgung oder
berufliche Beeinträchtigung vorsehe. Die Gewährung einer
Opferpension stelle eine symbolische finanzielle Anerken-
nung der erlittenen Nachteile und Schädigungen dar. Sie sei
sichtbarer Ausdruck für den besonderen Wert, den unsere
Gesellschaft dem Handeln von Menschen beimesse, die sich
gegen die Diktatur der SED gewehrt und unter Einsatz ihres
Lebens und um den Preis erheblicher persönlicher und
sozialer Nachteile für Freiheit und Demokratie eingesetzt
hätten. Zum anderen werde mit der Erhöhung der Kapital-
entschädigung die Tatsache berücksichtigt, dass die Haft in
der DDR nicht mit einer Haft in der Bundesrepublik
Deutschland zu vergleichen gewesen sei.
Den Mitgliedern der Koalition wollten sie entgegenhalten,
dass ihr Gesetzentwurf bewusst nicht der Systematik des
Rentenrechts folge, um der Besonderheit der Situation
Rechnung zu tragen. Nach 13 Jahren deutscher Einheit
seien die Folgen der 40-jährigen Repression insbesondere
im sozial- und rentenrechtlichen Bereich für die Verfolgten
immer noch spürbar. Diese Defizite seien besonders pein-
lich, wenn man sie mit der relativen Besserstellung derje-
nigen vergleiche, die das diktatorische System seinerzeit
maßgeblich mitgetragen hätten. Angesichts dieser Situation
sei ein Vergleich mit dem sonstigen Rentenrecht verfehlt.
Wenn diejenigen, die zu Zeiten des SED-Regimes unter In-
kaufnahme schwerster persönlicher und sozialer Konse-
quenzen Widerstand geleistet hätten, heute bei ihrer Verren-
tung feststellen müssten, dass das wiedervereinigte
Deutschland ihr seinerzeitiges Engagement für eine rechts-
staatliche und freiheitliche Ordnung nicht angemessen und
sichtbar honoriere, sei dies nicht akzeptabel. Daran ändere
auch der Hinweis auf die schwierige Haushaltslage nichts.

Drucksache 15/2412 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Es dürfe keine Frage schlechter oder guter ökonomischer
Zeiten sein, ob man das diesen Menschen widerfahrene Un-
recht wieder bereinige; dies sei vielmehr eine Frage der
Selbstachtung von Demokratie und Demokraten.
Die Mitglieder der Fraktion der FDP betonten, dass ihr
Gesetzentwurf über eine Opferrente für die Opfer politi-
scher Verfolgung im Beitrittsgebiet die wesentlichen heute
noch bestehenden Probleme bei der Bewältigung des vom
SED-Regime geschaffenen Unrechts einer vor allem für die
Opfer befriedigenden Lösung zuführen solle. Bereits in der
alten Koalition mit der Union hätten die Liberalen versucht,
den SED-Opfern zu helfen. Für sie sei vollkommen klar,
dass der Gesetzgeber des wiedervereinigten Deutschlands
die herausragende Bedeutung des Einsatzes der Betroffenen
bei ihrem Widerstand gegen die zweite deutsche Diktatur
würdigen müsse. Der von diesen Menschen bewusst ge-
wagte Einsatz ihres Lebens für Freiheit und Demokratie und

die Inkaufnahme erheblicher sozialer Nachteile müssten
vom wiedervereinigten deutschen Staat endlich angemessen
gewürdigt werden. Die hiergegen bislang angeführten
fiskalpolitisch motivierten Überlegungen ließen sich insbe-
sondere auch deshalb nicht länger aufrecht halten, weil der
Gesetzgeber zwischenzeitlich – in Umsetzung von diesbe-
züglichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts –
die Renten der hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeri-
ums für Staatssicherheit und von systemstützenden Partei-
und Staatsfunktionären angehoben habe.
Die Mitglieder der Fraktion der FDP verteidigten die Pau-
schalierung der Opferpensionen. Personen, die offenen
Widerstand gegen das System geleistet hätten, hätten nicht
mehr die gleichen Berufschancen und Entwicklungsmög-
lichkeiten gehabt, so dass das Zugrundelegen des potenziel-
len Einkommens vor dem Hintergrund des persönlichen
Werdegangs verfehlt sei.

Berlin, den 28. Januar 2004

Markus Kurth
Berichterstatter

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