BT-Drucksache 15/2222

Deutsche Beteiligung an der Proliferationssicherhheitsinitiative Proliferation Security Initiative

Vom 10. Dezember 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2222
15. Wahlperiode 10. 12. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Hans-Michael Goldmann,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Markus Löning, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Eberhard Otto (Godern), Gisela Piltz, Marita Sehn, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Deutsche Beteiligung an der Proliferationssicherheitsinitiative
Proliferation Security Initiative

Während seiner Polen-Reise im Mai 2003 kündigte US-Präsident George W.
Bush in Krakau die Errichtung einer Proliferation Security Initiative (PSI) an.
Im Rahmen dieser Initiative sollen zukünftig Staaten auf internationaler Ebene
zusammenarbeiten, um den Handel mit chemischen, biologischen oder nuklea-
ren Waffen, Waffenteilen und ihren Herstellungsmaterialien zu unterbinden und
damit die globale Verbreitung von Massenvernichtungswaffen effektiv einzu-
dämmen.
Der Initiative haben sich inzwischen elf Staaten angeschlossen: neben den USA
auch Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Australien, Japan, die
Niederlande, Polen, Portugal und Spanien. In mehreren PSI-Treffen in diesem
Jahr verständigten sich die beteiligten Staaten auf eine enge Zusammenarbeit.
Sie beschlossen in Paris ein „Statement of Interdiction Principles“, in dem sie
sich darauf einigten, „effektive Maßnahmen“ zu unternehmen, „um den Trans-
fer oder den Transport“ von Massenvernichtungswaffen, Raketen und ihren
Komponenten zu „unterbinden“, wenn das Ziel oder die Herkunft der Lieferung
ein Staat ist, bei dem es Grund zur „Proliferationssorge“ gibt. Nach dem Pariser
Papier sollen die beteiligten Staaten hierzu verdächtige Schiffe in ihren territo-
rialen Gewässern oder unter ihrer eigenen nationalen Flagge und Flugzeuge in
ihrem nationalen Luftraum verfolgen und durchsuchen sowie gegebenenfalls
gefundene Ladungen beschlagnahmen. Diese zunächst auf den jeweils eigenen
nationalen Rahmen beschränkten Handlungsgrundsätze wollen die beteiligten
Staaten in naher Zukunft auch mit einer „allgemeinen Kontrollvollmacht“ auf
alle PSI-Staaten ausdehnen. Langfristiges Ziel ist jedoch, eine globale Anwen-
dung der PSI-Grundsätze und damit eine effektive weltweite Kontrolle der Ver-
breitung von Massenvernichtungswaffen zu erreichen.
Die weltweite Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stellt ein schwer-
wiegendes Sicherheitsrisiko dar. Die bisher geschaffenen Völkerrechtsinstru-
mente bieten keine ausreichende Grundlage, um den Handel mit Massenver-
nichtungswaffen effektiv und flächendeckend bekämpfen zu können. Dies liegt
einerseits an der noch unzureichenden Verbreitung der in diesem Bereich beste-

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henden völkerrechtlichen Verträge und andererseits an dem damit einhergehen-
den Mangel an konkreten Handlungs- und Eingriffsmöglichkeiten in der Praxis.
Die Herstellung einer internationalen Zusammenarbeit zur Verhinderung der
weiteren Verbreitung von Massenvernichtungswaffen ist daher grundsätzlich zu
begrüßen. Die Bemühungen, die Bekämpfung der Proliferation auf multilatera-
ler Ebene weiter voranzubringen, weisen in die richtige Richtung.
In der derzeit vorgesehenen Form bringt die PSI allerdings schwerwiegende
Probleme mit sich. Zum einen besteht der Eindruck, die Bemühungen im Rah-
men der PSI würden sich vorrangig gegen Nordkorea und dessen Atompro-
gramm richten. In der aktuellen Situation birgt die PSI somit ein ernst zu neh-
mendes Eskalationsrisiko, das die laufenden Verhandlungen mit Nordkorea ge-
fährden könnte. Darüber hinaus gibt es aber auch generelle Bedenken. Zunächst
stellt sich die PSI als ein praxisorientiertes Handlungsmittel außerhalb der for-
malen Strukturen des Völkerrechts dar. Daraus ergibt sich die Befürchtung,
dass die PSI keine Ergänzung zum geltenden Völkerrecht, sondern einen Ersatz
für völkerrechtliche Verträge begründen könnte, was dem eigentlichen Ziel,
nämlich der Stärkung des Völkerrechts, zuwiderlaufen würde. Eine Anwen-
dung der PSI-Grundsätze außerhalb der bestehenden völkerrechtlichen Verträge
ist aber insbesondere auch deshalb sehr problematisch, weil bereits die in den
Pariser „Interdiction Principles“ vorgesehenen Maßnahmen schwerwiegende
Konflikte mit bestehendem Völkerrecht, insbesondere mit dem See- und Luft-
recht, hervorrufen könnten. Noch weitaus gravierendere Probleme ergeben sich
bei der Suche nach einer rechtlichen Grundlage für die geplante weltweite Aus-
dehnung der PSI-Grundsätze. Die bisher vorgebrachten Rechtfertigungsan-
sätze, wie beispielsweise das Selbstverteidigungsrecht der Staaten, sind unge-
eignet, eine solche Rechtsgrundlage zu begründen. Eine Befassung des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen (VN) mit diesem Thema wurde bislang zu-
rückgestellt. Ungeachtet der rechtlichen Schwierigkeiten werden jedoch von
den beteiligten Staaten die Verhandlungen und gemeinsamen Aktionen im Rah-
men der PSI unvermindert vorangetrieben. Mehrere gemeinsame Übungsmanö-
ver haben bereits stattgefunden, und weitere sind in der Planungs- und Vorbe-
reitungsphase. Speziell für Deutschland ergibt sich schon daraus die Frage nicht
nur nach der völkerrechtlichen, sondern auch nach der innerstaatlichen, dort vor
allem nach der verfassungsrechtlichen Absicherung einer Beteiligung an der
PSI.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie ordnet die Bundesregierung die PSI unter dem Völkerrecht ein – als

Vertrag, Absichtserklärung oder Sonstiges?
2. Mit welcher Maßgabe beteiligt sich die Bundesregierung an der PSI?
3. Welches sind nach der Auffassung der Bundesregierung die wichtigsten

Handlungsmöglichkeiten, die von der PSI in Zukunft bereitgestellt werden?
4. Auf welcher Rechtsgrundlage beruht nach Ansicht der Bundesregierung die

Errichtung der PSI?
5. Welche neuen oder anderen Handlungsmittel stehen der Bundesregierung im

Rahmen der PSI zur Verfügung, um Lieferungen von Massenvernichtungs-
waffen oder Waffenteilen zu unterbinden?

6. Wie sind nach der Auffassung der Bundesregierung die Zuständigkeiten für
die Ausführung der in den Pariser „Interdiction Principles“ vorgesehenen
Maßnahmen in Deutschland verteilt?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2222

7. Auf welcher Rechtsgrundlage werden nach Auffassung der Bundesregie-
rung die in den Pariser „Interdiction Principles“ vorgesehenen Maßnahmen
von deutschen Behörden ausgeführt?

8. Welche Befugnisse sollte nach Ansicht der Bundesregierung die deutsche
Bundeswehr durch die nun etablierte PSI erhalten?
Welche Befugnisse hat sie tatsächlich erhalten?

9. Welche anderen Eingriffsmöglichkeiten würden jetzt nach Errichtung der
PSI für deutsche Behörden zur Verfügung stehen, wenn beispielsweise der
französische Frachter „Ville de Virgo“ statt im April erst heute aus Ham-
burg auslaufen würde?

10. Wie könnte bzw. müsste die Bundesregierung handeln, wenn statt der
„Ville de Virgo“ ein Frachter unter nordkoreanischer Flagge mit derselben
Fracht aus Hamburg auslaufen würde?

11. Wie könnte bzw. müsste die Bundesregierung handeln, wenn ein Frachter
mit Massenvernichtungswaffen an Bord unter der Flagge eines nicht an der
PSI beteiligten Staates durch deutsche Gewässer fährt, ohne einen deut-
schen Hafen anzulaufen?

12. Wie könnte bzw. müsste die Bundesregierung handeln, wenn ein in einem
nicht an der PSI beteiligten Staat eingetragenes Flugzeug mit Massenver-
nichtungswaffen an Bord deutsches Territorium überfliegt, ohne zu landen?
Wie muss diese Situation beurteilt werden, wenn es einen deutschen Flug-
hafen anfliegt?

13. In welchem Ausmaß und auf welcher Grundlage hat sich die Bundesregie-
rung an den bereits durchgeführten Übungsmanövern im Rahmen der PSI
beteiligt?

14. In welchem Ausmaß und auf welcher Grundlage wird sich die Bundes-
regierung an den geplanten Übungen der PSI-Staaten beteiligen?

15. Welche Befugnisse hat nach Kenntnis der Bundesregierung die Bundes-
wehr bereits ohne die PSI, Schiffe unter fremder Flagge in internationalen
Gewässern zu kontrollieren?

16. Wie hätte die Bundesregierung als PSI-Staat reagieren müssen, wenn der
Auftrag, den Frachter „So San“ zu stoppen, statt an die spanische Marine
an ein deutsches Kriegsschiff gegangen wäre?

17. Welche Rechtsgrundlage sieht die Bundesregierung für die von den
beteiligten Staaten angestrebte weltweite Anwendung der PSI-Grundsätze
und -Maßnahmen?
Wie beurteilt die Bundesregierung dabei insbesondere die Ausführung von
PSI-Maßnahmen in internationalen Gewässern?

18. Welche deutschen Behörden würden nach Ansicht der Bundesregierung
solche Aufgaben weltweit wahrnehmen können?

19. Welche neuen Befugnisse würde nach Auffassung der Bundesregierung die
Bundeswehr durch die PSI in internationalen Gewässern erhalten?

20. Wie könnte bzw. müsste nach Auffassung der Bundesregierung in Zukunft
nach den PSI-Grundsätzen ein Schiff unter fremder Flagge in internationa-
len Gewässern behandelt werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür
bestehen, dass es Massenvernichtungswaffen transportiert?

Drucksache 15/2222 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
21. Unter welchen Umständen könnten sich in Zukunft auch deutsche Kriegs-
schiffe an der Kontrolle von Schiffen in internationalen Gewässern betei-
ligen?

22. Aus welchen Gründen hat es die Bundesregierung bisher unterlassen, in
dieser Sache nachdrücklich auf eine Sicherheitsratsresolution hinzuwirken?

Berlin, den 9. Dezember 2003
Dr. Werner Hoyer
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Hans-Michael Goldmann
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Markus Löning
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Gisela Piltz
Marita Sehn
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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