BT-Drucksache 15/2174

Für eine Reform und Stärkung der Menschenrechtskommission

Vom 10. Dezember 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/2174
15. Wahlperiode 10. 12. 2003

Antrag
der Abgeordneten Rainer Funke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Werner Hoyer, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Jörg
van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Ulrich Heinrich, Birgit
Homburger, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke,
Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto
(Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Für eine Reform und Stärkung der Menschenrechtskommission

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Menschenrechtskommission (MRK) ist die wichtigste und erfolgreichste
Institution des Menschenrechtsschutzes im System der Vereinten Nationen
(VN). Ihre Aufgabe besteht in der Förderung der Menschenrechte durch Aus-
arbeitung internationaler Abkommen, Untersuchung grundlegender Menschen-
rechtsproblematiken und Überwachung der menschenrechtlichen Situation in
einem Land oder bezüglich eines bestimmten Themas.
Die MRK wurde als eine von mehreren spezialisierten Kommissionen vom
Wirtschafts- und Sozialrat der VN (ECOSOC) eingesetzt und tagt seit 1947 ein-
mal jährlich im März/April in Genf für die Dauer von sechs Wochen. Die
nächste ist die 60. Sitzung der MRK vom 15. März bis 23. April 2004. Die Mit-
glieder der MRK (derzeit 53) werden vom ECOSOC alle drei Jahre aus den
Reihen der VN-Mitglieder gewählt. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit
1979 ununterbrochen Mitglied der MRK.
Die Hauptaufgabe der MRK war zunächst die Formulierung von Menschen-
rechtsstandards („standard setting“). So entwarf sie die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte, die von der Generalversammlung der VN am 10. Dezem-
ber 1948 feierlich verkündet wurde. Auch die Internationalen Pakte über die
bürgerlichen und politischen Rechte (IPbpR) und über die wirtschaftlichen, so-
zialen und kulturellen Rechte (IpwskR) von 1966 sind von der MRK ausgear-
beitet worden. Ebenso sind viele andere Abkommen und Erklärungen über
Menschenrechte, wie z. B. die Antifolterkonvention von 1984, das Überein-
kommen über die Rechte des Kindes von 1989 und die Erklärung über das
Recht auf Entwicklung von 1986 in der MRK entstanden.
Seit der MRK-Resolution 1235 aus dem Jahre 1967 etablierte sich der Grund-
satz, dass die MRK auch konkrete Menschenrechtsverletzungen untersuchen
und bewerten kann. Spätestens seit den achtziger Jahren liegt der Schwerpunkt
der Tätigkeit der MRK in der Reaktion auf solche Menschenrechtsverletzun-
gen. Hierzu kann sich die MRK in länderbezogenen oder themenbezogenen

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Verfahren mit der Menschenrechtssituation in einem bestimmten Land oder be-
züglich eines bestimmten, länderübergreifenden Themas befassen. Am Ende
dieser Verfahren können so genannte Länderresolutionen oder Themenresolu-
tionen stehen, die wiederum ein konkretes Verfahren der Berichterstattung, der
Überwachung und der Aufklärung und Information einsetzen können.
Zwar sind die Entscheidungen und Resolutionen der MRK für die betroffenen
Staaten nicht bindend und es bestehen keinerlei Durchsetzungsmechanismen.
Auch sind die Entwürfe der MRK zu Menschenrechtsabkommen von ihrer
Natur her nur Empfehlungen an den ECOSOC. Dennoch hat sich die Arbeit der
MRK als sehr wichtig und effektiv erwiesen. Die MRK hat mit ihren Entwurfs-
arbeiten neue Menschenrechtsstandards gesetzt und weiterentwickelt. Sie hat
mit ihren Resolutionen neue menschenrechtliche Themen identifiziert und die
Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und der Regierungen der
einzelnen Staaten auf die Notwendigkeit der Durchsetzung von Menschen-
rechtsstandards gelenkt. Schließlich ist es auch ein Verdienst der MRK, dass
das Verständnis und die Unterstützung von Menschenrechtsthemen weltweit
stark gewachsen sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Möglichkeit der
Nichtregierungsorganisationen (NROs), sich aktiv an der MRK zu beteiligen
und so weltweit Gehör zu finden.
Diese positive Bilanz der MRK wird derzeit durch Probleme, die sich vor allem
auf der 58. und 59. Sitzung der MRK gezeigt haben, überschattet. Diese Sitzun-
gen waren stärker noch als frühere belastet und teilweise gelähmt von Bestre-
bungen einzelner Staaten und Staatengruppen, durch Koalitionsbildungen und
Absprachen unliebsame Länderresolutionen zu verhindern. Vielfach wird seit-
dem über die Reformbedürftigkeit der MRK debattiert. Bereits 1999 wurden in-
nerhalb der MRK einige ihrer Mechanismen einer eingehenden Prüfung unter-
zogen und teilweise neu geregelt. Dennoch wird an der MRK in ihrer derzeit
bestehenden Form vielfältige Kritik geübt. Kern der Debatte war zunächst die
mit den stetig gewachsenen Aufgaben einhergehende gesteigerte Arbeitsbelas-
tung der MRK. Die ständige Zunahme an Themen und Mechanismen und die
starke Beteiligung der NROs haben in der letzten Zeit zu schwerwiegenden
Problemen beim Zeitmanagement und in der Effizienz der Sitzungen geführt.
Vermehrt wird inzwischen aber auch eine zunehmende Politisierung der MRK
bemängelt, die dazu führe, dass die Ergebnisse der MRK vorrangig von poli-
tischen Verhandlungen bestimmt würden. Weiterhin wird eine starke Block-
bildung unter den Mitgliedern der MRK und eine gewisse Selektivität bei der
Behandlung von Themen und vor allem von Ländern kritisiert.
Aus den Reihen der MRK-Mitglieder, aber auch von außen und vor allem von
den NROs, sind verschiedene Lösungsansätze zur Bewältigung dieser „Krise“
der MRK eingebracht worden. Diese zielen vor allem auf eine gesteigerte Trans-
parenz und Effektivität der Arbeit derMRK ab. Hierzuwurde überlegt, neue Kri-
terien für die Wahl der Mitglieder der MRK und ihrer Organe festzulegen und
ihre Zahl – nach verschiedenen Ansichten – anzuheben oder zu senken. Weiter-
hin wurden Vorschläge für die Umgestaltung der Mechanismen der MRK ge-
macht, um diese flexibler, schneller und effektiver zu machen. Auch soll eine
nachträgliche Kontrolle der Umsetzung der Entscheidungen der MRK einge-
führt werden, und es wird über eine Ausdehnung bzw. Aufteilung der Sitzungs-
zeit derMRKaufmehrere Sitzungsabschnitte über das Jahr verteilt nachgedacht.
Die Reformdiskussion muss bald zu konkreten Ergebnissen führen. Wenn sich
die Probleme der letzten Sitzungen wiederholen, wird die MRK sonst bald ins-
gesamt infrage gestellt werden – mit potentiell verheerenden Auswirkungen für
den weltweiten Menschenrechtsschutz. Eine Reform darf dabei aber nicht, wie
in der Vergangenheit mehrfach versucht, missbraucht werden, um den erreich-
ten hohen Menschenrechtsstandard wieder zu untergraben. Der Bundesrepublik
Deutschland kommt aufgrund ihrer langjährigen Mitgliedschaft in der MRK

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/2174

und ihrer Verpflichtung gegenüber dem weltweiten Menschenrechtsschutz bei
der Reform der MRK eine besondere Verantwortung zu.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. die MRK in ihren Reformbemühungen mit allen Mittel zu fördern und zu

unterstützen, um das Ziel einer effektiv und transparent arbeitenden MRK
so schnell wie möglich zu erreichen;

2. sich dafür einzusetzen, dass die Wahl der Mitglieder der MRK künftig an
Kriterien geknüpft wird, die für eine effektive Arbeit in der MRK unerläss-
lich sind. Hierzu könnten als Minimum die Ratifikation der beiden grundle-
gendenMenschenrechtspakte von 1966 und das Fehlen einer kürzlichenVer-
urteilung wegen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen gehören;

3. sich dafür einzusetzen, dass Staaten, die die geltenden Menschenrechts-
standards in ihrem Hoheitsbereich nicht umsetzen können oder wollen, zu-
künftig nicht mehr die Leitung der MRK übertragen bekommen können;

4. sich dafür einzusetzen, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der
Organe der MRK – insbesondere des Bureaus – gewährleistet sind. Dies
könnte beispielsweise durch eine feierliche Erklärung der Unabhängigkeit
der Mitglieder des Bureaus erreicht werden;

5. sich dafür einzusetzen, dass die Bewertung der bürgerlichen und poli-
tischen Rechte gegenüber den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechten ausgeglichen wird;

6. sich dafür einzusetzen, dass die MRK-Mechanismen objektiven Kriterien
unterstellt werden und politische Erwägungen weitestgehend ausgeschlos-
sen werden. So sollte die derzeit bestehende und gerade von Ländern der
südlichen Erdhalbkugel immer wieder kritisierte Selektivität der Arbeit der
MRK beseitigt werden, indem zukünftig auch die Situationen der Men-
schenrechte in den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, wie
beispielsweise der Umgang der USA mit den Gefangen in Guantanamo
Bay, zum Gegenstand der Arbeit der MRK gemacht werden;

7. sich für eine massive Stärkung der Bedeutung der bisher vernachlässigten
thematischen Verfahren der MRK einzusetzen, um somit eine ideale Ver-
bindung zwischen der ursprünglichen Aufgabe der MRK, dem „standard
setting“, und der neuen Aufgabe, der Reaktion auf konkrete Menschen-
rechtsverletzungen, zu erreichen und so einen Ausweg aus den oft zeitrau-
benden oder blockierenden Auseinandersetzungen über Länderresolutio-
nen zu finden;

8. sich dafür einzusetzen, dass künftig eine intersessionale Arbeitsgruppe die
Sitzungen der MRK vorbereitet, um so die Arbeit der MRK in ihren Sit-
zungen zu rationalisieren;

9. sich dafür einzusetzen, dass als effektiver „follow up“-Mechanismus künf-
tig eine eigenständige Arbeitsgruppe die Umsetzung und die Auswirkun-
gen der Entscheidungen und Resolutionen der MRK auswertet und darüber
berichtet;

10. sich dafür einzusetzen, dass, wo möglich, bewährte Verfahren aus den Sit-
zungen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates, insbesondere
bei der Erstellung, Formatierung und Verweisverknüpfung der Resolutio-
nen, in die Sitzungen der MRK übernommen werden, um so die vielfach
lähmenden und oft missbrauchten Formdebatten in der MRK zu beenden;

11. dafür Sorge zu tragen, dass die MRK ausreichende Handlungsmöglichkei-
ten und Mittel erhält, um flexibel und kurzfristig auf schwere Menschen-
rechtsverstöße reagieren zu können;

Drucksache 15/2174 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode
12. sich dafür einzusetzen, dass NROs und unabhängige Experten auch weiter-
hin ihren wichtigen Beitrag zur MRK leisten können, und die NROs in
Deutschland bei ihrer Arbeit durch Hilfestellungen und Informationsaus-
tausch zu unterstüzen;

13. als Mitglied der MRK alles in ihrer Macht stehende zu tun, um zu verhin-
dern, dass die Reformbemühungen in der MRK dazu missbraucht werden,
eine Verminderung des erreichten Niveaus der Menschenrechte zu errei-
chen;

14. sich langfristig für die Schaffung eines ständigen und ganzjährig aktiven
VN-Gremiums in Form eines „Menschenrechtsrates der VN“ nach dem
Vorbild des ECOSOC einzusetzen;

15. ein Höchstmaß an Zusammenarbeit mit der MRK zu etablieren und die Er-
füllung der bestehenden Anforderungen an Deutschland weiter zu verbes-
sern;

16. dafür Sorge zu tragen, dass die Leitung der deutschen Delegation zur MRK
politisch besetzt wird;

17. die Initiative zu ergreifen, damit analog zum vom VN-Generalsekretär ein-
gesetzten „Rat der Weisen“ zur VN-Reform ein entsprechendes Gremium
mit unabhängigen Experten benannt wird, das Reformvorschläge für die
MRK erarbeitet.

Berlin, den 9. Dezember 2003
Rainer Funke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Dr. Werner Hoyer
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Ulrich Heinrich
Birgit Homburger
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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