BT-Drucksache 15/1988

Chancengleichheit in der globalen Informationsgesellschaft sichern - VN-Weltgipfel zum Erfolg führen

Vom 12. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1988
15. Wahlperiode 12. 11. 2003

Antrag
der Abgeordneten Jörg Tauss, Eckhardt Barthel (Berlin), Monika Griefahn,
Sabine Bätzing, Siegmund Ehrmann, Kerstin Griese, Reinhold Hemker,
Ulrich Kelber, Angelika Krüger-Leißner, Horst Kubatschka, Lothar Mark,
Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Gisela Hilbrecht, Franz Müntefering
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Grietje Bettin, Volker Beck (Köln), Claudia Roth
(Augsburg), Dr. Antje Vollmer, Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Chancengleichheit in der globalen Informationsgesellschaft sichern –
VN-Weltgipfel zum Erfolg führen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Einberufung des Weltgipfels zur Informa-
tionsgesellschaft auf Initiative der Vereinten Nationen. Er unterstützt nach-
drücklich das Ziel, mit der Konferenz vom 10. bis 12. Dezember 2003 in Genf
dem Dialog zwischen Vertretern der Regierungen, der Parlamente, der interna-
tionalen Organisationen sowie der Nichtregierungsorganisationen (NRO) aus
Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu den Chancen und Herausforderungen
der entstehenden Informationsgesellschaft eine übergreifende und globale
Plattform zu bieten.
Der Weltgipfel wird einen wichtigen Beitrag leisten, eine die kulturellen, sozia-
len, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen und Herausforderungen
umfassende, weltweite Perspektive auf die sich entwickelnde Informations-
gesellschaft zu entwickeln. Die Enquetekommission „Zukunft der Medien in
Wirtschaft und Gesellschaft – Deutschlands Weg in die Informationsgesell-
schaft“ des Deutschen Bundestags hat sich in der 13. Legislaturperiode um-
fangreich mit den nationalen Aspekten dieses Wandels befasst (Bundestags-
drucksache 13/11004). Die internationalen Aspekte der Entwicklung zur globa-
len Wissensgesellschaft bildeten in der 14. Legislaturperiode zudem einen
Schwerpunkt der Arbeit der Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirt-
schaft – Herausforderungen und Antworten“ (Bundestagsdrucksache 14/9200).
Der Wandel zur Informationsgesellschaft hat auch zunehmend in den Schwel-
len- und Entwicklungsländern weitreichende Auswirkungen und stellt diese
Länder vor enorme, zusätzliche Herausforderungen. Zugleich bewirkt dieser
Wandel eine Neuverteilung der Zukunftschancen von ganzen Regionen, Län-
dern und Orten wie auch der Individuen, die zunehmend an technische, wirt-
schaftliche, rechtliche und qualifikatorische Voraussetzungen der Teilnahme
und Teilhabe an der globalen Informationsgesellschaft gebunden sind. Die Ver-

Drucksache 15/1988 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

breitung und Nutzung moderner IuK-Technologien im Wandel zur globalen
Informations- und Wissensgesellschaft ist daher eine der zentralen Fragen einer
zukunftsfähigen Modernisierungs- und Entwicklungspolitik ebenso, wie einer
angemessenen Bildungs-, Kultur- und Medienpolitik.
1. Globale digitale Spaltung überwinden
Der Deutsche Bundestag teilt die Überzeugung der Vereinten Nationen und der
Europäischen Union, dass die Entwicklung der modernen Kommunikations-
technologien die internationale Gemeinschaft vor die Herausforderung stellt,
auf die globale Chancengleichheit beim Zugang und der Nutzung dieser Kom-
munikationstechnologien hinzuwirken. Hier stellen sich vielfältige ethische,
kulturelle, wirtschaftliche und entwicklungspolitische Fragestellungen. Der
Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich auch deshalb wie
bisher für eine hinreichende Beteiligung sowohl der parlamentarischen, als
auch der zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vertreter an den Diskus-
sionsveranstaltungen des Weltgipfels einzusetzen.
Die von der Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“, von der
OECD-Studie „Understanding the Digital Divide“ 2001 sowie von zahlreichen
empirischen Studien beschriebene signifikant ungleiche nationale, internatio-
nale und soziale Verteilung der digitalen Chancen hat trotz zahlreicher staat-
licher Fördermaßnahmen oder Projekten von nationalen und internationalen
Nichtregierungsorganisationen weiterhin Bestand. Für die nationale Situation
in Deutschland zeigen die neusten Erhebungen, dass zwar mittlerweile über
50 von Hundert der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger auch Onlinenutzer
sind (2002 noch 41,7 v. H.). Doch weiterhin zeigt sich ein erhebliches Altersge-
fälle bei den Internetnutzerinnen und -nutzern und noch immer sind Männer
überproportional vertreten. Ebenso steigt mit dem Bildungsstatus wie dem
Haushaltseinkommen der Anteil der Onlinenutzer deutlich an. Schließlich exis-
tiert zudem ein deutliches Stadt-Land-Gefälle und ist die Onlinediffusion in den
neuen Bundesländern mit Ausnahme Berlins deutlich geringer (Schlusslicht ist
Mecklenburg-Vorpommern mit „nur“ 42,9 v. H.).
Die digitale Chancenungleichheit ist zwischen den entwickelten Ländern und
den Entwicklungsländern noch um Größenordnungen schwerwiegender. Auch
hier bestätigen neuere statistische Daten grundsätzlich die von der OECD-Stu-
die „Understanding the Digital Divide“ 2001 beschriebenen digitalen Klüfte:
Weiterhin entfallen von den weltweit etwa 580 Millionen Internetnutzerinnen
und -nutzern in 2003 fast 80 v. H. auf die Staaten der OECD. Während in 2001
in der OECD durchschnittlich ca. 33 v. H. der Bevölkerung Onlinezugang hat-
ten, sind es bei den Staaten mit mittlerem nur 3,6 v. H. sowie bei niedrigem
Durchschnittseinkommen lediglich 0,6 v. H. Noch 2001 hatte über ein Drittel
der Weltbevölkerung noch nie telefoniert, waren laut UNDP gemessen am mo-
natlichen Durchschnittseinkommen die Internetzugangskosten in Madagaskar
510-mal, in Sri Lanka noch 50-mal höher als in den USA und kostete etwa in
Bangladesch ein PC noch das Achtfache eine Jahreslohns.
Bereits die Enquetekommission „Globalisierung der Weltwirtschaft“ hat darauf
hingewiesen, dass sich die einzelnen digitalen Ungleichheiten in den Schwellen-
und Entwicklungsländern wechselseitig verstärken. So privilegieren dort die
hohen Zugangspreise, die verfügbaren technischen Voraussetzungen und die
notwendigen individuellen Kompetenzen die ohnehin hinsichtlich der Kauf-
kraft, Qualifikationen und Bildungsniveau besser gestellten kleinen Eliten in
den städtischen Zentren. Ebenso wirken sich bestehende kulturelle und soziale
geschlechtsspezifische Diskriminierungen negativ auf den Zugang von Frauen
zu IuK-Möglichkeiten in Entwicklungsländern aus, zudem sind Frauen statis-
tisch häufiger von Analphabetismus und Armut betroffen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1988

Den relativen Entwicklungsprojektionen der Weltbank zufolge wird sich der
Rückstand der so genannten Latecomers – zu denen neben den Least Devel-
oped Countries (LDC) etwa auch China, Indien oder alle Staaten Afrikas (mit
Ausnahme Südafrikas) zählen – im Vergleich zu den führenden Nationen
(„Leaders“, z. B. USA, EU) in den nächsten zehn Jahren noch erheblich vergrö-
ßern. Diese Gruppe droht somit den Anschluss an die Weltentwicklung zu ver-
lieren, mit unabsehbaren Folgen für die regionale und internationale wirtschaft-
liche, soziale und politische Stabilität. Gerade Indien und China sind zudem
gute Beispiele für die teilweise weitaus größere digitale Ungleichheit innerhalb
von Schwellen- und Entwicklungsländern, da in beiden Staaten sektoral, etwa
bei IT-Dienstleistungen, oder lokal begrenzt durchaus international vergleich-
bare IuK-Möglichkeiten bestehen, an denen allerdings eben nur Teile der Be-
völkerung partizipieren können.
Daher teilt der Deutsche Bundestag die Überzeugung, dass die Herausforderun-
gen der globalen Informationsgesellschaft nicht nur technische, sondern auch
politische, ökonomische, rechtliche, soziale, kulturelle und normative Aspekte
umfassen. Im Zentrum der Diskussion steht die Verwirklichung der internatio-
nalen Chancengleichheit im digitalen Zeitalter und mit ihr der Kampf gegen die
digitale Spaltung in der globalen Informationsgesellschaft.
2. Grundrechte in der Informationsgesellschaft
Der Deutsche Bundestag teilt die Überzeugung der Bundesregierung, dass eine
erfolgreiche Bewältigung des Wandels zur globalen Informationsgesellschaft
und -wirtschaft nur auf Grundlage der Achtung und Durchsetzung der allge-
meinen Menschenrechte erfolgen kann, wie sie in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte von 1948 und in der Europäischen Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 niedergelegt sind.
Im Mittelpunkt steht die umfassende Garantie der Meinungs- und Informati-
onsfreiheit, wie sie jeweils in Artikel 19 der Menschenrechtserklärung sowie
des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte festgelegt ist.
Der Deutsche Bundestag hält es für folgerichtig, dass auch im Konventsentwurf
zu einer Verfassung der Europäischen Union dieser Aspekt ausdrücklich aufge-
nommen worden ist (Artikel 11).
Die Entwicklung der globalen Informations- und Wissensgesellschaft erzeugt
bezüglich der Grundfreiheiten und -rechte Implikationen. Dies berührt natür-
lich primär das sich explizit auf elektronische Kommunikation beziehende
Fernmeldegeheimnis des Artikels 10 GG sowie das abgeleitete Recht auf infor-
mationelle Selbstbestimmung. Indirekt bilden zunehmend auch weitergehende
Fragen, wie etwa der Auslegung des Grundversorgungsbegriffs des Bundesver-
fassungsgerichts, des hinreichenden Jugendmedienschutzes und des Schutzes
der Würde des Menschen, der angemessenen Gestaltung des Universaldienst-
begriffs in der Telekommunikation, der Wahrung der kulturellen und sprachli-
chen Vielfalt oder auch der Schaffung eines Rechtsanspruches der Bürgerinnen
und Bürger auf Zugang zu Informationen und Akten der öffentlichen Verwal-
tungen wichtige Aspekte der Diskussion.
Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang die Aufnahme
eines Rechtsanspruches auf Achtung auch der individuellen Kommunikation
insgesamt in Artikel II-7 sowie die ausdrückliche Bestimmung zum Schutz per-
sonenbezogener Daten in Artikel II-8 des Konventsentwurfs zu einer Verfas-
sung der Europäischen Union. Er fordert ferner die Bundesregierung auf, noch
in dieser Legislaturperiode ein Informationsfreiheitsgesetz des Bundes vorzu-
legen, um die demokratischen Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger
zu stärken und die Kontrolle staatlichen Handelns zu fördern.
Für die Bürgerinnen und Bürger ist die Wahrung dieser Grundrechte eine zen-
trale Akzeptanzvoraussetzung für komplexere oder folgenreichere elektro-

Drucksache 15/1988 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nische Transaktionen. Die Rechtsprechung in Deutschland, aber auch in der
Europäischen Union, zeigt insgesamt, dass die Rechtssysteme in der Lage sind,
der besonderen Bedeutung der informations- und kommunikationsbezogenen
Grundrechte gerecht zu werden. Der Deutsche Bundestag bittet die Bundesre-
gierung zu prüfen, ob und in welcher Form eine Erweiterung des Grundrechts-
katalogs hinsichtlich positiver Kommunikations- und Informationszugangs-
rechte sinnvoll ist.
3. Internationalisierung der Internetverwaltung
Der Deutsche Bundestag setzt sich für eine effektive globale Internetverwal-
tung ein, an der demokratisch legitimierte Regierungen, Standardisierungsgre-
mien, Betreiber und Diensteanbieter wie Nutzerinnen und Nutzer in geeigneter
Weise beteiligt sind. Die hinreichende Sicherstellung der technischen Funk-
tionsfähigkeit elektronischer Informations- und Kommunikationsnetze und
-dienste bildet eine Grundvoraussetzung in der globalen Informationsgesell-
schaft. Der Deutsche Bundestag stimmt mit der Bundesregierung und der Euro-
päischen Union überein, dass in der Frage der Internetverwaltung weiterhin
einer zivilen Nichtregierungsorganisation der Vorzug vor einer staatlich kon-
trollierten Verwaltungsorganisation gegeben werden sollte. Die wachsenden
Anforderungen hinsichtlich der weltweiten und sicheren Verfügbarkeit und
Interoperabilität der IuK-Technologien richten sich primär auf technische und
fachliche Koordinationsnotwendigkeiten. Die „Internet Corporation for Assig-
ned Names and Numbers“ (ICANN) weist insofern den richtigen Ansatz einer
transnationalen Selbstverwaltungsplattform auf.
Dennoch werden aufgrund der fundamentalen gesellschaftlichen und wirt-
schaftlichen Bedeutung der elektronischen IuK-Möglichkeiten neue Anforde-
rungen – wie Verfügbarkeit oder Verlässlichkeit der IuK-Technologien – an die
Staaten gestellt. Diesem Umstand sollte durch eine angemessene, gegebenen-
falls zu stärkende Beteiligung der demokratisch legitimierten Regierungen an
der ICANN Rechnung getragen werden. Eine völlige Übernahme der Internet-
verwaltung durch internationale Regierungsorganisationen würde hingegen
viele Vorteile der Selbstverwaltung aufgeben, ohne Alternativen mit einer be-
lastbaren Aussicht auf Effektivitäts- und Effizienzgewinne der Internetverwal-
tung zu bieten.
Der Deutsche Bundestag hält allerdings sowohl die Steigerung der Entschei-
dungstransparenz der ICANN-Gremien, als auch eine tatsächliche Internationa-
lisierung der ICANN für notwendig. Erst diese könnte die historisch bedingte
US-amerikanische Dominanz in der Internetverwaltung in einem tragfähigen,
auch die Schwellen- und Entwicklungsländer angemessen berücksichtigenden
internationalen Verwaltungsmodell für die Rootserver, das Domainnamen-Sys-
tem und die IP-Adressen aufheben.
4. Wirtschaftliche Dynamik nutzen
Die Branchen der IuK-Wirtschaft leisten einen wichtigen Beitrag zur Wirt-
schaftsdynamik und Konjunkturerholung. Die Bundesregierung hat die Poten-
ziale des Wandels zur Informations- und Wissenswirtschaft frühzeitig erkannt.
Mit dem Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der Informations-
gesellschaft des 21. Jahrhunderts“ (Bundestagsdrucksache 14/1776) und mit
zahlreichen Reformvorhaben, wie der Erneuerung des Rechtsrahmens für elek-
tronische Kommunikation, der Modernisierung der Berufsbilder und Einfüh-
rung international vergleichbarer Universitätsabschlüsse sowie der Förderung
von Kompetenzzentren für den elektronischen Geschäftsverkehr, wurden
wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Entwicklung geschaffen. Das
in Vorbereitung befindliche Regierungsprogramm „Informationsgesellschaft
Deutschland 2006“ wird diese Arbeit erfolgreich fortsetzen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1988

Deutschland ist mit einem e-Commerce-Umsatz von etwa 50 Mrd. Euro in
2002 europäischer Spitzenreiter im elektronischen Geschäftsverkehr, zudem
sind deutsche Unternehmen Marktführer auf dem europäischen IuK-Markt.
Trotz der gegenwärtigen konjunkturellen Schwächeperiode wuchs die Beschäf-
tigung in der IuK-Branche von 1998 bis 2002 um etwa 10 v. H. auf über
780 000. Darüber hinaus belegen OECD-Studien, dass zudem ein Großteil der
Produktivitätssteigerungen in allen Branchen der „Old Economy“ zunehmend
auf die erfolgreiche Implementierung informations- oder kommunikationstech-
nischer Innovationen zurückgehen. Zusammenfassend verwies OECD-Vize-
direktor John Dryden im Februar 2002 beispielsweise darauf, dass in 2001 zwar
lediglich 8 v. H. der US-amerikanischen Wirtschaftsleistung auf den IuK-
Sektor entfielen, dieser jedoch zugleich für über ein Drittel sowohl des Wirt-
schaftswachstums als auch der neu geschaffenen Arbeitsplätze, für knapp die
Hälfte der Produktivitätssteigerung und für über zwei Drittel des Zuwachses
des wirtschaftlichen Investitionsvolumens verantwortlich war.
Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass auch und gerade für die
Schwellen- und Entwicklungsländer die Entwicklung und der weitergehende
Einsatz neuer IuK-Technologien enorme Wirtschafts- und Arbeitsmarktpoten-
ziale bieten. Diese Potenziale können aber nur realisiert werden, wenn es ge-
lingt, sowohl die infrastrukturellen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmen-
bedingungen zu schaffen, die individuellen Fähigkeiten zu fördern, zu nutzen
und entsprechende Kompetenzen aufzubauen als auch ein aufnahmenfähiges
Umfeld für den Einsatz von und die Wertschöpfung durch IuK-Technologien
und -Dienste zu ermöglichen. Dabei ist verstärkt darauf zu achten, dass Ent-
wicklung, Herstellung und Nutzung von IuK-Lösungen stets in eine umfas-
sende, ressourcenschonende und generationenübergreifende Nachhaltigkeits-
strategie eingebunden sind.
Das hohe Preis- und Kostenniveau in den Schwellen- und Entwicklungsländern
stellt weiterhin die entscheidende Barriere für die Diffusion und Nutzung mo-
derner IuK-Technologien dar. Als Hauptursache werden zumeist die oft beste-
henden Staatsmonopole auf den IuK-Märkten, das Fehlen leistungsfähiger
technischer Infrastrukturen sowie effizienter Finanzierungsmöglichkeiten, das
Angewiesensein auf Anbieter aus den entwickelten Ländern als auch die kos-
tentreibende geringe Verbreitung identifiziert. Notwendig erscheint daher eine
vorsichtige, abgestimmte und zeitlich nicht übereilte Privatisierungs- und Libe-
ralisierungspolitik hinsichtlich der IuK-Märkte bei Berücksichtigung nationaler
und lokaler besonderer Rahmenbedingungen. Ziel muss es sein, die Nutzung
moderner IuK-Technologien auch tatsächlich erschwinglich zu gestalten.
5. Globale Infrastrukturen der Informationsgesellschaft
Die technischen Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen und die
grenzüberschreitenden Netzwerke bilden nach wie vor das Rückgrat der globa-
len Informationsgesellschaft. Ihr Auf- und Ausbau, ihre Modernisierung und
Fortentwicklung bleibt eine wichtige Aufgabe der Nationalstaaten wie der in
dieser Branche aktiven nationalen wie multinationalen Unternehmen. Die inter-
nationalen Unterschiede in der Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der tech-
nischen Infrastrukturen bilden ein zentrales Hemmnis für die globale Chancen-
gleichheit. So basiert die globale digitale Spaltung durchaus auch auf einer
eklatanten infrastrukturellen Spaltung, da im Vergleich zur OECD zum einen
die Telefondichte in den Entwicklungsländern etwa um den Faktor 10 geringer
ist zum anderen auch zwei von drei PC und sogar über acht von zehn Internet-
Hosts in der EU oder in Nordamerika stehen. Allein in New York wurden 2001
mehr Telefone genutzt, als im gesamten ländlichen Asien, existierten in London
mehr Internet-Accounts als in ganz Afrika und entsprach die gesamte Internet-
Bandbreite Afrikas in etwa der der brasilianischen Stadt Sao Paolo, die addierte
Bandbreite Lateinamerikas der der südkoreanischen Hauptstadt Seoul.

Drucksache 15/1988 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

In diesem Zusammenhang unterstützt der Deutsche Bundestag die Position der
Europäischen Union, dass unterhalb der Schwelle zentraler „digitaler Solidari-
tätsfonds“ und einer – über die sieben Millennium Development Goals hinaus-
gehenden – Verpflichtung der Industriestaaten weitaus effektivere und mittel-
effizientere Maßnahmen zum Aufbau moderner IuK-Infrastrukturen in den Ent-
wicklungsländern existieren. Insbesondere sind die Potenziale einer abge-
stimmten Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik nicht gänzlich ausgereizt.
Zudem sollte berücksichtigt werden, dass in vielen Regionen der Schwellen-
und Entwicklungsländer die klassischen Informations- und Medieninfrastruktu-
ren – wie Hörfunk, Fernsehen, Telefon und Telefax usw. – dominieren und auch
weiterhin das Informations- und Nutzungsverhalten bestimmen werden.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt den Standpunkt der Europäischen Union,
dass die wachsenden Anforderungen an Interoperabilität, Verfügbarkeit, Stabi-
lität sowie nichtdiskriminierenden Zugang nach hinreichend offenen techni-
schen Infrastrukturen verlangen. Hier sind die Durchsetzung offener Standards
und der verstärkte Einsatz von Open Source-Software wichtige kosteneffiziente
Instrumente zum Abbau künstlicher Zutrittsschranken durch inkompatible oder
proprietäre Lösungen und zur Verbesserung der Beherrschbarkeit komplexer
Systeme. Gerade für die Schwellen- und Entwicklungsländer bieten offene
Standards und Open Source die Möglichkeit, an den Vorteilen der Entwick-
lungsdynamik in der Informationstechnologie zu partizipieren, ohne in neue
Abhängigkeiten zu geraten. Der Deutsche Bundestag unterstützt daher die Auf-
nahme beider Elemente sowohl in der Grundsatzerklärung wie in den Aktions-
plan, die auf dem VN-Weltgipfel in Genf beschlossen werden sollen.
6. Zugang zu Informationen und Wissen
Die internationale digitale Spaltung zwischen den entwickelten Ländern und
den Entwicklungsländern zeigt sich besonders in der Frage des Zugangs zu der
Nutzungsmöglichkeit von qualitativen Informationen und spezifischen Wis-
sens. Im Mittelpunkt der Diskussion zur Schaffung eines angemessenen
Rechtsrahmens für die globale Informationsgesellschaft stehen damit insbeson-
dere Fragen des geistigen Eigentums. Der hinreichende Schutz des geistigen
Eigentums ist unverzichtbar zum Erhalt und zur Entwicklung kreativer gesell-
schaftlicher Potenziale im Interesse der Kreativen, der Verbraucherinnen und
Verbraucher wie der Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt. Die tech-
nologische Dynamik der Digitalisierung und globalen Vernetzung führt aller-
dings unter Umständen zu einem neuen Spannungsverhältnis zwischen den
Interessen der Rechteinhaber einerseits und den Anforderungen der Informa-
tions- und Wissensgesellschaft, einer modernen Bildungs- und Forschungs-
politik sowie den Interessen der Nutzerinnen und Nutzer andererseits. Befürch-
tet wird, dass eine zu weit gehende künstliche Verknappung des Informations-
zugangs oder Monopolisierung der Nutzung oder Verwertung fortschrittlicher
Innovationen in der digitalen Welt unverhältnismäßige Zugangsbarrieren auf-
baut.
Dieses Spannungsverhältnis wirkt sich ebenfalls auf die globale Ebene aus. Die
internationalen Märkte für Information und Wissen werden von Unternehmen
aus den OECD-Ländern bestimmt. Insbesondere bei hochwertigen wissen-
schaftlich-technischen Informationen und bei informationstechnischen Patent-
ansprüchen bestehen für die Entwicklungsländer deutliche ökonomische Zu-
gangsbarrieren. Der Deutsche Bundestag verweist in diesem Zusammenhang
auf die Risiken, die mit einer zu weit gehenden Kommerzialisierung zentraler
gesellschaftlicher Dienstleistungsbereiche – etwa im Bildungs-, Forschungs-
oder Kulturbereich – einhergehen. Ökonomische Renditeerfordernisse könnten
dazu führen, dass neue Kostenbarrieren den allgemeinen und gleichen Zugang
zu Bildungsinhalten beeinträchtigen oder dass es aufgrund der Konzentration
auf lukrative Märkte und Inhalte zu einer Verringerung der Angebotsvielfalt

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/1988

kommt. Die Gewährleistung von Chancengleichheit und fairen Bedingungen
beim Zugang zu Bildung, Informationen und Wissen sowie die Sicherstellung
eines hohen Bildungsstandards gehört auch in den Schwellen- und Entwick-
lungsländern zum Kernbereich staatlicher Daseinsvorsorge, die durch übereilte
Deregulierungsmaßnahmen nicht gefährdet werden darf. Die globale Chancen-
gleichheit setzt dabei voraus, dass Lernende und Lehrende an jedem Ort der
Welt grundsätzlich einen vergleichbaren Zugang zu vergleichbaren Lerninhal-
ten haben, wobei die neuen IuK-Technologien die Möglichkeiten ortsunabhän-
giger, kostengünstiger und zeitnaher Verfügbarkeit von Wissen deutlich stei-
gern.
Die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses vom Weltgipfel in Genf zu er-
warten oder einen Beitrag zur Weiterentwicklung des internationalen Immateri-
algüterrechts zu fordern, hieße den Gipfel zu überfordern. Die Reform des Im-
materialgüterrechts muss vielmehr als kontinuierlicher Anpassungsprozess an
die Herausforderungen der technologischen Dynamik unter Berücksichtung der
Allgemeinwohlinteressen aufgefasst werden. Wichtige Meilensteine in diesem
Prozess waren und sind die beiden Verträge der Weltorganisation für geistiges
Eigentum von 1996 (World Intellectual Property Organization, WIPO), der
WIPO Copyright-Treaty und der WIPO Performances and Phonograms Treaty.
Die aktuelle EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft
(2001/29/EG vom 22. Mai 2001) dient dazu, in den Mitgliedstaaten die Voraus-
setzungen zur Ratifizierung der WIPO-Verträge zu schaffen und dabei einen
einheitlichen Rechtsrahmen sicherzustellen. Deutschland hat sich dabei für ein
zweistufiges Verfahren entschieden und mit dem so genannten „ersten Korb“
der Urheberrechtsnovelle die zentralen Teile der Richtlinie zum 10. September
2003 umgesetzt. Noch offene Fragen sollen in einem „zweiten Korb“ 2004
beraten werden.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf zu prüfen, zu wel-
chen relevanten Bildungsinhalten und zu welchem Wissen unter welchen
Bedingungen den Schwellen- und Entwicklungsländern vereinfacht und der
Zugang kostengünstiger gestaltet werden kann.
7. Kulturelle Vielfalt sichern und lokale Inhalte fördern
Die globale Informationsgesellschaft bietet ein großes Potenzial zur Wahrung
und Förderung der kulturellen Vielfalt und Sprachenpluralität in der Welt. Sie
kann so einen wichtigen Beitrag leisten zur Wahrung einer auf Selbstbestim-
mung und Pluralität basierenden Lebensumwelt für alle Bürgerinnen und Bür-
ger sowie zur Wahrung des kulturellen Erbes zum Nutzen kommender Genera-
tionen, wie es in der „Deklaration zur kulturellen Vielfalt“ des Europarates vom
7. Dezember 2000 und in der „Allgemeinen Erklärung zur kulturellen Vielfalt“
der UNESCO vom 2. November 2001 gefordert wird. Der Deutsche Bundestag
begrüßt, dass der Konventsentwurf zu einer Verfassung für die Europäische
Union ausdrücklich die Wahrung des Reichtums der europäischen kulturellen
und sprachlichen Vielfalt sowie den Schutz und die Entwicklung des kulturel-
len Erbes als Unionsziel aufgenommen hat (Artikel 3 Abs. 3, Satz 4).
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, ob infolge der wirtschaftlichen
Globalisierung zugleich zu einer Vereinheitlichung der nationalen und lokalen
Perspektiven, Erfahrungs- und Handlungskontexte sowie Wertesysteme und
damit zu einer Verringerung der globalen kulturellen Diversität kommt. Als
Ursache der Vereinheitlichungstendenzen gelten die ökonomisch bedingten
Standardisierungen von Inhalten, Produkten und Kommunikationsformen, die
wachsende weltweite Angleichung der Lebensstile vor allem junger Menschen
und die zunehmende Dominanz der englischen Sprache in der globalen Kom-
munikation. In der Informationsgesellschaft zeigt sich diese angelsächsische
Dominanz bei der Sprachverteilung sowohl innerhalb der Internetnutzerinnen
und -nutzer als auch hinsichtlich der Sprachen, in denen die Internetangebote

Drucksache 15/1988 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

verfasst sind. Fast jeder zweite Internetnutzer war 2001 englischsprachig und
knapp 70 v. H. aller Webinhalte sind in englisch verfasst. In Anbetracht der be-
schriebenen ungleichen Verteilung der Internet-Hosts wie der Internetnutzer
wird die Dominanz des Englischen als neuer „digitalen Universalsprache“ der
globalen Informationsgesellschaft offenkundig.
Die kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie Diversität lokaler und regionaler
Kontexte bilden eine Grundvoraussetzung für die Schaffung neuer, kreativer
Inhalte und innovativen Wissens. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil des
menschlichen Kulturerbes und Motor der weltgesellschaftlichen Entwicklung.
Die globale Informationsgesellschaft bietet gerade durch die erhebliche Sen-
kung der Zutrittsbarrieren und Transaktionskosten weitaus mehr kulturellen
Gemeinschaften die Möglichkeit, sich im Internet darzustellen und den Erfah-
rungsaustausch zu intensivieren. Der Deutsche Bundestag bittet daher die Bun-
desregierung , zu prüfen, mit welchen spezifischen Fördermaßnahmen und in-
ternationalen Kooperationsprojekten Anreize zur Produktion, Distribution und
Nutzung entsprechend vielfältiger regionaler, lokaler oder individueller kultu-
reller Inhalte für die Informations- und Wissensgesellschaft geschaffen werden
können. Hierbei ist die Dominanz klassischer elektronischer Medien wie Fern-
sehen und Hörfunk in den Entwicklungsländern zu berücksichtigen.
8. Schutz und Sicherheit in der Informationsgesellschaft
Die hinreichende Gewährleistung von Schutz und Sicherheit in globalen Netz-
werken stellt eine zentrale Akzeptanzvoraussetzung für alle potenziellen Nut-
zerinnen und Nutzer dar. Die Enquetekommission „Zukunft der Medien in
Wirtschaft und Gesellschaft“ der 13. Legislaturperiode hat zu diesem Fragen-
komplex einen auch heute noch wegweisenden Zwischenbericht vorgelegt
(Bundestagsdrucksache 13/11002).
Ausgangspunkt muss die Gewährleistung eines hinreichenden, verständlichen
und modernen Datenschutzes sein, der auch die Potenziale des „Datenschutz
und -sicherheit durch Technik“ nutzt. Aus der Nutzerperspektive bildet ein
Mindestmaß an Vertraulichkeit, Integrität, Authentizität und Zurechenbarkeit
der Inhalte und Dienste eine entscheidende Voraussetzung für folgenreiche
elektronische Transaktionen. Zur informationellen Selbstbestimmung gehört
selbstverständlich auch, dass die Nutzerinnen und Nutzer vor unverlangt – zu-
nehmend automatisiert – zugesandten Werbenachrichten (so genannte Spam)
geschützt werden.
Zweitens stehen insbesondere die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden
vor neuen Herausforderungen, wenn sie in und mittels IuK-Netzen begangene
illegale Aktivitäten verfolgen und gerichtsfest ermitteln wollen – die Rechts-
durchsetzung nationaler Normen stößt in globalen Netzen an Grenzen. Hinzu
kommt, dass gerade in nichtdemokratischen Staaten die Fragen der staatlichen
Sicherheit überbetont und individuelle Freiheiten und Grundrechte unangemes-
sen eingeschränkt werden. Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine Überzeu-
gung, dass keine virtuelle Bedrohung, keine Rechtsunterschiede und auch kein
Selbstbestimmungsanspruch genügt, um in der globalen Informationsgesell-
schaft eine generelle Zensur der Kommunikationsinhalte zu begründen.
Bei der Anpassung der materiellen und strafprozessualen Bestimmungen im
Bereich der Überwachung und Kontrolle elektronischer Kommunikation ist da-
her durch kontinuierliche substanzielle Evaluierung darauf zu achten, dass die
Maßnahmen effektiv sind und es zu keiner unverhältnismäßigen Einschränkung
von Bürger- und Grundrechten kommt. Auch Diensteanbieter dürfen nicht
durch unverhältnismäßige Mitwirkungs- und Kostenverpflichtungen belastet
werden. Gefordert sind vielmehr effektive Instrumente, die sowohl den zuneh-
menden Missbrauch von Netzen tatsächlich einschränken, als auch einen der
Wichtigkeit der gesellschaftlichen Aufgabe angemessenen, modernen Jugend-
medienschutz auch Online befördern.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/1988

Und Drittens ist die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der IuK-Netzwerke
neben den Energie-, Verkehrs- und Wasserversorgungsnetzen als Teil der kriti-
schen Infrastrukturen moderner Gesellschaften zu gewährleisten. Gerade in
Anbetracht der terroristischen Bedrohungen und der militärtechnischen Ent-
wicklung zum „Electronic Warfare“ sind redundante, fehlertolerante Systeme
zu gewährleisten und hinreichende Frühwarn- und Reaktionskapazitäten aufzu-
bauen.
Alle drei Anforderungen sind nicht unabhängig voneinander optimierbar son-
dern bedürfen der kontinuierlichen Abwägung. Der Deutsche Bundestag ist da-
von überzeugt, dass in allen drei Bereichen erfolgversprechende Lösungen nur
auf internationaler Ebene möglich sind. Er fordert die Bundesregierung auf, die
Bemühungen um verbindliche internationale Vereinbarungen zu unterstützen,
die zum Ziel haben, den Missbrauch elektronischer IuK-Möglichkeiten zu
bekämpfen und ihren Gefährdungspotenzialen effektiv zu begegnen (z. B.
kriminelle Handlungen, illegale oder jugendgefährdende Inhalte oder durch un-
aufgefordert zugesandte Werbenachrichten). Notwendig ist dabei ebenso die
Erarbeitung und Durchsetzung von datenschutz- und insbesondere jugend-
schutzrechtlichen internationalen Mindeststandards, wie die verstärkte globale
Zusammenarbeit bei Fragen der Missbrauchsbekämpfung, der Infrastruktur-
sicherheit oder die Vereinheitlichung der Straftatbestände und Koordinierung
der prozessualen Regelungen im Bereich der Strafverfolgung in digitalen Net-
zen. Der Deutsche Bundestag begrüßt in diesem Zusammenhang die kontinu-
ierliche Fortentwicklung des europäischen Datenschutzrechtes, die Einrichtung
einer europäischen Agentur für Netzwerksicherheit sowie grundsätzlich die
Konvention des Europarates gegen Datennetzkriminalität. Insbesondere das
zweite Zusatzprotokoll zur Konvention, das gegen rassistische und fremden-
feindliche Handlungen in und mit Computersystemen gerichtet ist, bildet einen
wichtigen Fortschritt.
Die Bedeutung des Schutz- und Sicherheitsaspekts korreliert mit einer zuneh-
menden Nachfrage nach sicheren Plattformen, Hilfswerkzeugen und Diensten,
wie nach Verschlüsselungsinstrumenten, Warn- und Schutzprogrammen sowie
nach datenschutzfreundlichen Technologien und Prozessen. Auch hier bestätigt
allein die Tatsache, dass laut OECD 2001 mit 94 v. H. fast alle Internetlinks zu
sicheren Servern auf englischsprachige Angebote verweisen, die ungleiche glo-
bale Verteilung sicherer Dienste. Im öffentlichen wie privaten Sektor ist ver-
mehrt auf die Förderung eines effektiven Selbstschutzes aller Nutzerinnen und
Nutzer, vom Einzelnen über die Behörden bis zum Unternehmen, durch Ver-
breitung von Verschlüsselungswerkzeugen und Sicherheitsinstrumenten oder
durch öffentliche Zertifizierung oder Auditierung von Produkten oder Prozes-
sen hinzuwirken. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
noch in dieser Legislaturperiode ein Ausführungsgesetz zur Datenschutzaudi-
tierung vorzulegen, wie es bei der Novellierung des Bundesdatenschutzgeset-
zes (BDSG) vorgesehen wurde.
Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt die Position der Europäischen
Union, die Fragen der Sicherheit in Netzen und der Netze nicht isoliert zu be-
trachten und die wirtschaftlichen, technischen und demokratischen Implikatio-
nen angemessen zu berücksichtigen. Die Bundesregierung und die Europäische
Union sind zudem aufgefordert, nach Fördermöglichkeiten zu suchen, die Ver-
breitung und Verfügbarkeit von Sicherheitsinstrumenten und -programmen so-
wie von sicheren Diensten in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu
erhöhen und die entsprechende Nutzungskompetenz vor Ort aufzubauen. Die
freie Zurverfügungstellung vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informa-
tionstechnik (BSI) entwickelten Sicherheitsrichtlinien und Sicherheitslösungen
könnte hier ein zielführender erster Schritt sein.

Drucksache 15/1988 – 10 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. sich auf internationaler Ebene aktiv für die Achtung und Durchsetzung der

allgemeinen Menschenrechte und insbesondere der Meinungs- und Infor-
mationsfreiheit in der globalen Informationsgesellschaft einzusetzen;

2. auf internationaler Ebene auf die Verwirklichung der internationalen Chan-
cengleichheit im digitalen Zeitalter hinzuwirken und die Anstrengungen
zur Überwindung der globalen digitalen Spaltung zu verstärken;

3. sich auf internationaler Ebene für eine hinreichende Beteiligung der parla-
mentarischen, der zivilgesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vertreter am
Weltgipfel einzusetzen;

4. auf internationaler Ebene auf wirkungsvolle Maßnahmen hinzuwirken, die
eine Verringerung des Preis- und Kostenniveaus der Nutzung moderner
IuK-Technologien sowie den effizienten Transfer und lokalen Aufbau öko-
nomischen und technischen Wissens und entsprechender Kompetenzen in
den Schwellen- und Entwicklungsländern fördern;

5. Alternativen zu einem potenziell ineffizienten zentralen internationalen
„digitalen Solidaritätsfonds“ zum Aufbau moderner IuK-Infrastrukturen in
den Entwicklungsländern zu prüfen und Vorschläge zu ihrer Realisierung
vorzulegen;

6. auf internationaler Ebene die Durchsetzung offener Standards und die Ver-
breitung von Open Source-Lösungen zu fördern und sich dafür einzuset-
zen, die Förderung beider Instrumente als Ziel in die beiden Abschluss-
dokumente des Weltgipfels aufzunehmen;

7. auf internationaler Ebene auf wirkungsvolle Maßnahmen hinzuwirken, mit
denen den Entwicklungsländern ein fairer Zugang zu Bildungsinhalten und
-diensten ermöglicht und die globale Chancengleichheit im Bildungs-
bereich verbessert werden kann;

8. zu prüfen, mit welchen spezifische Fördermaßnahmen auf internationaler
Ebene unter der Berücksichtigung der hohen Bedeutung von Hörfunk und
Fernsehen Anreize zur Produktion, Distribution und Nutzung kulturell und
sprachlich vielfältiger regionaler, lokaler oder individueller Inhalte in den
Entwicklungsländern geschaffen werden können;

9. auf internationaler Ebene auf die Schaffung von internationalen Mindest-
standards bei Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, des Miss-
brauchsschutzes, des Jugendmedienschutzes und der Strafverfolgung in
globalen Netzen hinzuwirken;

10. auf internationaler Ebene im Rahmen der Internet Governance weiterhin
das Modell einer privaten Selbstregulierungsorganisation zu verfolgen, zu-
gleich jedoch auf eine höhere Transparenz der Entscheidungen und eine
nachhaltige Internationalisierung der ICANN hinzuwirken;

11. sich auf internationaler Ebene für wirkungsvolle Maßnahmen einzusetzen,
um die Verbreitung von Sicherheitswerkzeugen sowie von sicheren Diens-
ten in den Schwellen- und Entwicklungsländern und den Aufbau von ent-
sprechender Nutzungskompetenz zu fördern;

12. den alle vier Jahre vorzulegenden Medien- und Kommunikationsbericht
der Bundesregierung um den Aspekt der globalen digitalen Spaltung zu
erweitern und über die Entwicklungen und Fortschritte zu berichten;

13. möglichst rasch einen Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes für den
Zugang von Bürgerinnen und Bürgern zu amtlichen Informationen der Be-
hörden sowie eines Ausführungsgesetzes zur Datenschutzauditierung vor-
zulegen;

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/1988

14. bei Eingriffsmaßnahmen und bei Verpflichtungen unbeteiligter Dritter, wie
beispielsweise Infrastrukturanbietern, stets die grundrechtlichen, wirt-
schaftlichen und technischen Implikationen abzuwägen und die Maßnah-
men kontinuierlich zu evaluieren;

15. zu prüfen, ob und in welcher Form eine Erweiterung des Grundrechtskata-
logs hinsichtlich positiver Kommunikations- und Informationszugangs-
rechte angesichts der umfassenden Meinungs- und Informationsfreiheit in
Artikel 19 der Menschenrechtserklärung sinnvoll ist.

Berlin, den 12. November 2003
Franz Müntefering und Fraktion
Katrin Göring-Eckardt, Krista Sager und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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