BT-Drucksache 15/1941

Biologische Schädlingsbekämpfung

Vom 5. November 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1941
15. Wahlperiode 05. 11. 2003

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Christel-Happach Kasan, Hans-Michael Goldmann, Daniel
Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Helga
Daub, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Christoph Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Jürgen Türk,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Biologische Schädlingsbekämpfung

Schadorganismen wie die Raupen verschiedener Schmetterlingsarten, Maden
von Apfel- und Pflaumenwicklern, Blattläuse, Kartoffelkäfer, Gespinstmotten,
Minierfliegen, Fransenflügler, Zikaden, Schnecken, Milben und viele andere
Arten gefährden Ernten in der Landwirtschaft und im Gartenbau. Da in der Re-
gel die Förderung der in der Natur lebenden Antagonisten wie Maikäfer, Flor-
fliegen, Schlupfwespen nicht ausreicht, um die Schadinsekten wirksam zu be-
kämpfen und die Erträge zu sichern, sind verschiedene Verfahren des Pflanzen-
schutzes entwickelt worden. In den letzten Jahrzehnten wurden chemische
Pflanzenschutzmittel entwickelt, die bei fachgerechtem Einsatz eine effiziente
und weitgehend umweltschonende Bekämpfung der Schadinsekten und eine
hohe Qualität der Produkte ermöglichen. Durch den Anbau resistenter Sorten
kann der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter vermindert werden. Die
Bundesregierung räumt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
der FDP „Möglichkeiten der Grünen Gentechnik zur Verbesserung der Welt-
ernährung“ in diesem Zusammenhang ein, dass eine Verringerung des Einsat-
zes von Pflanzenschutzmitteln durch den Anbau von transgenen Pflanzen aus
Sicht der Bundesregierung umweltpolitisch zu begrüßen ist (Bundestagsdruck-
sache 15/958). Eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung der Schadinsekten
bietet der gezielte Einsatz von Raubinsekten und Raubmilben, die von den
Schadinsekten leben, sowie auch der Einsatz von parasitischen Nematoden und
Krankheitserregern wie Bakterien, Pilzen und Viren.
Bei den in Deutschland eingesetzten „Nützlingen“ handelt es sich zumeist um
nicht heimische Arten. Sie werden in der Regel in großen Mengen künstlich ge-
züchtet und dann gezielt durch den Landwirt im Freiland oder im Gewächshaus
freigelassen. Die Ausbringung nicht heimischer Nützlingsarten in großen Men-
gen kann zu einer unerwünschten Verfälschung der Artenzusammensetzung
von Habitaten sowie zur Bastardisierung heimischer Arten führen, deren Fol-
gen nur schwer abzuschätzen sind. Die Rückverfolgbarkeit von frei fliegenden
Insektenarten, den im Boden lebenden Nematoden sowie Bakterien, Viren und
Pilzen ist praktisch unmöglich. Daher ist bei der Zulassung von Nützlingsarten
zur biologischen Schädlingsbekämpfung eine besondere Sorgfalt erforderlich.

Drucksache 15/1941 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

In großem Umfang wird im Biolandbau die aus Moldawien (nördliche Schwarz-
meerregion) stammende Schlupfwespenart Trichogramma brassicae gegen den
gefährlichen Mais-Schädling, den Maiszünsler (Ostrinia nubilalis), eingesetzt.
Die Trichogramma-Eier werden in hoher Stückzahl (ca. 150 000 Stück pro
Hektar) in speziellen Hängevorrichtungen direkt im Maisfeld ausgebracht. Die
schlüpfenden Schlupfwespen legen ihre Eier wiederum in die Eier des Mais-
zünslers. Die nächste Schlupfwespengeneration entwickelt sich in den Zünsler-
eiern bis zum erwachsenen Insekt und tötet hierdurch den Schädling. Tricho-
gramma brassicae ist nicht heimisch. Es wird davon ausgegangen, dass die Tri-
chogramma-Individuen den Winter aus klimatischen oder standortspezifischen
Gründen in Zentral- und Westeuropa nicht überstehen können und es somit zu
keiner dauerhaften Ansiedlung mit möglichen Folgeschäden für die heimische
Fauna kommt.

Wir fragen die Bundesregierung:
I. Allgemeine Fragen
1. In welchem Umfang werden in Deutschland die Methoden der biologi-

schen Schädlingsbekämpfung zum Schutz der Kulturen vor Schadorganis-
men angewandt und wie hat sich deren Anwendung (Anzahl Hektar pro
Kulturpflanzenart) in den letzten 10 Jahren entwickelt?

2. Bei welchen Schadorganismen werden insbesondere Verfahren der biologi-
schen Schädlingsbekämpfung angewandt?

3. Welchen Anteil bei der biologischen Schädlingsbekämpfung haben jeweils
als Nützlinge verwendete Insektenarten, Nematodenarten sowie Krank-
heitserreger wie Bakterien, Viren, Pilze?

4. In welchem Umfang werden in der biologischen Schädlingsbekämpfung
heimische Insekten- und Nematodenarten als Nützlinge eingesetzt, in wel-
chem nicht heimische Arten und aus welchen Ursprungsländern stammen
diese?

5. Welchen Zulassungsvorschriften unterliegt in Deutschland der landwirt-
schaftliche Einsatz von „Nützlingen“, und welche Behörden genehmigen
die Zulassung von Nützlingsarten?

6. In welcher Weise ist sichergestellt, dass durch das Ausbringen nicht heimi-
scher Nützlinge keine Habitatverfälschung erfolgt und Bastardisierungen
heimischer Arten vermieden werden?

7. Welche konkreten Erfahrungen mit dem Einsatz von „Nützlingen“ liegen
der Bundesregierung vor?

8. Welche Begleituntersuchungen zum Einfluss der eingesetzten Nützlinge
auf die Flora und Fauna in der Umgebung des Einsatzortes sind der Bun-
desregierung bekannt, wer hat die Untersuchungen in Auftrag gegeben und
wer hat sie durchgeführt?

9. In welcher Weise ist beim Einsatz der verschiedenen Nützlingsarten die
Rückholbarkeit der eingesetzten Nützlinge gewährleistet und wie wird
deren unkontrollierte Ausbreitung in der Natur vermieden?

10. Gibt es Untersuchungen über die Dauer des Verbleibs von Nützlingsarten
in der Natur nach ihrem Einsatz und über die Weite ihrer Ausbreitung, und
wenn ja, mit welchem Ergebnis?

11. Gibt es in Deutschland „Nützlingsarten“, die nur mit naturschutzrechtlicher
Einzelgenehmigung der zuständigen Länderbehörden eingesetzt werden
dürfen, und wenn ja, welche und warum ist für diese Arten eine ent-
sprechende Einzelgenehmigung erforderlich?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1941

12. In welchen Bundesländern sind solche naturschutzrechtlichen Einzel-
genehmigungen und in welcher Zahl gegeben worden?

13. Gibt es in der Bundesrepublik Deutschland Auflagen für die Anwendung
von „Nützlingen“ in unmittelbarer Nähe von Naturschutzgebieten, und
wenn ja, welche?

14. Worin liegen nach Auffassung der Bundesregierung die Chancen der bio-
logischen Schädlingsbekämpfung und wie beurteilt die Bundesregierung
deren Risiken insbesondere für die Natur?

II. Spezielle Fragen zum „Nützling“ Trichogramma brassicae
15. Liegen der Bundesregierung Untersuchungsergebnisse darüber vor, ob und

wenn ja, in welchen Gebieten Zentral- und Westeuropas Trichogramma
brassicae, die ursprünglich aus Moldawien stammt, ebenfalls natürlich ver-
treten ist?

16. Liegen der Bundesregierung Angaben darüber vor, ob Schlupfwespen der
Art Trichogramma brassicae nach ihrem Ausschlüpfen ausschließlich im
Maisfeld verbleiben?
Wenn nein, bis zu welcher Distanz um das Maisfeld herum können auch
feldnahe Habitate von dem „Nützling“ besiedelt werden?

17. Ist es sicher, dass es bei Freisetzungen von Trichogramma brassicae im
Biolandbau in Zentral- und Westeuropa nicht zum Überwintern und somit
zur unbeabsichtigten, langfristigen Ansiedlung der Art kommt?
Wenn nein, für welche Gebiete lässt sich feststellen, dass Trichogramma
brassicae sich bereits (vermutlich dauerhaft) angesiedelt hat?

18. Liegen der Bundesregierung Untersuchungsergebnisse aus Laborversuchen
vor, ob Trichogramma-Individuen auf Nicht-Zielorganismen, wie z. B.
Schmetterlingsraupen, parasitieren, und wenn ja, welche Arten zusätzlich
zum Maiszünsler, zu dessen Bekämpfung die Schlupfwespen ausgesetzt
wurden, werden außerdem parasitiert?

19. Ist völlig ausgeschlossen, dass durch den Einsatz von Trichogramma
brassicae heimische Nützlinge, wie z. B. die Eier des blattlausvertilgenden
Zweipunktmarienkäfers (Adalia bipunctata) oder der Schwebfliege (Epi-
syrphus balteatus), parasitiert und abgetötet werden?
Liegen hierzu Vergleichsstudien aus Laborversuchen vor?

20. Welche Mehrkosten entstehen dem Landwirt durch den Einsatz von Tri-
chogramma brassicae im biologischen Maisanbau im Vergleich zum her-
kömmlichen Anbau (auf einen Hektar bezogen)?
Wie hoch wären die Kosten beim Anbau von gegen den Maiszünsler resis-
tentem Bt-Mais (Bt: bacillus thuringiensis) pro Hektar?

Berlin, den 5. November 2003
Dr. Christel Happach-Kasan
Hans-Michael Goldmann
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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