BT-Drucksache 15/1850

zu 57 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag eingegangenen Wahleinsprüchen

Vom 24. Oktober 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1850
15. Wahlperiode 24. 10. 2003

Zweite Beschlussempfehlung und Bericht
des Wahlprüfungsausschusses

zu 57 gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag
eingegangenen Wahleinsprüchen

A. Problem
Gemäß Artikel 41 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ist die Wahlprüfung Sache
des Deutschen Bundestages. Dieser hat nach den Bestimmungen des Wahlprü-
fungsgesetzes (WPrüfG) auf der Grundlage von Beschlussempfehlungen des
Wahlprüfungsausschusses über die Einsprüche zur Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag vom 22. September 2002 zu entscheiden. Insgesamt
waren 520 Wahleinsprüche eingegangen. Die jetzt zur Beschlussfassung vor-
gelegten Entscheidungen behandeln 57 Einsprüche.

B. Lösung
– Zurückweisung dieser Wahleinsprüche ohne mündliche Verhandlung wegen

offensichtlicher Unbegründetheit (§ 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG) oder wegen
Unzulässigkeit (§ 6 Abs. 1a Nr. 1 und 2 WPrüfG);

– Bitte an die Bundesregierung um Prüfung bestimmter Wahlvorschriften und
Verfahrensangelegenheiten sowie um Abgabe eines Berichts an den Deut-
schen Bundestag.

C. Alternativen
Vor abschließender Entscheidung über mehrere Einsprüche Durchführung einer
öffentlichen mündlichen Verhandlung.

D. Kosten
Keine

Drucksache 15/1850 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
1. die aus den Anlagen 1 bis 57 ersichtlichen Beschlussempfehlungen zu Wahl-

einsprüchen anzunehmen,
2. die Bundesregierung aufgrund der Erfahrungen in Wahlprüfungsangelegen-

heiten um Prüfung zu bitten,
– ob gegenüber den Wahlbehörden und den Wahlvorständen in geeigneter

Weise auf einen bürgerfreundlichen Umgang mit den Wählerinnen und
Wählern u. a. bei der Erteilung von Auskünften zum richtigen Wahllokal
hingewirkt werden kann,

– ob – ggf. durch eine Änderung von Wahlrechtsvorschriften – darauf hin-
gewirkt werden kann, dass bei der Briefwahl die ausgegebenen Wahl-
scheine einheitlich einen Hinweis auf das Mindestalter einer bei Bedarf
mitwirkenden Hilfsperson enthalten (Muster in Anlage 9 zu § 26 Bundes-
wahlordnung),

– ob ein gesonderter Rechtsbehelf im Bundeswahlgesetz oder in der Bun-
deswahlordnung gegen die Berufung in Wahlvorstände statt einer teil-
weise bejahten Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte geschaffen werden
kann,

3. die Bundesregierung um Vorlage eines Berichts zu den in Nummer 2 dieser
Beschlussempfehlung und in Nummer 3 der Ersten Beschlussempfehlung
(Bundestagsdrucksache 15/1150) enthaltenen Prüfbitten bis September 2004
zu bitten und hierbei die im Rahmen des Erfahrungsaustausches mit den
Ländern und dem Bundeswahlleiter zur Bundestagswahl 2002 gewonnenen
Erkenntnisse einzubeziehen.

Berlin, den 23. Oktober 2003

Der Wahlprüfungsausschuss
Erika Simm
Vorsitzende und Berichterstatterin

Hermann Bachmaier
Berichterstatter

Hans-Joachim Hacker
Berichterstatter

Petra-Evelyne Merkel
Berichterstatterin

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Berichterstatter

Manfred Grund
Berichterstatter

Thomas Strobl (Heilbronn)
Berichterstatter

Jerzy Montag
Berichterstatter

Jörg van Essen
Berichterstatter

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1850

Bericht der Abgeordneten Erika Simm

1. In derErstenBeschlussempfehlung (Drucksache 15/1150)
zu den Wahleinsprüchen gegen die Bundestagswahl 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss Entscheidungen zu 444
Einsprüchen vorgelegt. Das Plenum hat am 26. Juni 2003
zugestimmt. Die vorliegende Beschlussempfehlung ent-
hält Entscheidungen zu weiteren 57 Wahleinsprüchen.

2. Grundlage für die Wahlprüfung sind Artikel 41 des
Grundgesetzes und das Wahlprüfungsgesetz. Dieses Ge-
setz enthält nur verfahrensrechtliche Bestimmungen. Es
legt nicht fest, wann und aufgrund welcher Fehler eine
Wahlanfechtung zum Erfolg führen muss. Nach der stän-
digen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
ist das Wahlprüfungsverfahren ausschließlich dazu be-
stimmt, die richtige Zusammensetzung des Deutschen
Bundestages zu gewährleisten. Daher sind nur solche
Wahlfehler beachtlich, die auf die Mandatsverteilung
von Einfluss sind oder sein können. Verstöße, die die Er-
mittlung des Wahlergebnisses nicht berühren, scheiden
von vornherein als unerheblich aus. Selbst solche Wahl-
fehler, die die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen,
sind dann unerheblich, wenn sie angesichts des Stim-
menverhältnisses keinen Einfluss auf die Mandatsvertei-
lung haben können (BVerfGE 4, 317/372; BVerfGE 40,
11). Der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche
Bundestag haben sich dieser Rechtsprechung stets an-
geschlossen.
Davon abgesehen vertritt der Wahlprüfungsausschuss in
ständiger Praxis die Auffassung, Zweck der Wahlprü-
fung müsse auch die Verhinderung der Wiederholung
festgestellter Wahlfehler sein. Aus diesem Grund geht er
allen vorgetragenen Wahlfehlern nach, indem er Kreis-
wahlleiter, Landeswahlleiter und den Bundeswahlleiter
regelmäßig um Stellungnahme bittet. Aufgrund der
Erfahrungen in Wahlprüfungsangelegenheiten wird die
Bundesregierung um Prüfung gebeten, ob bestimmte
Wahlrechtsvorschriften geändert oder ggf. auch andere
Maßnahmen ergriffen werden sollen. Solche Prüfbitten
sind in der obigen Beschlussempfehlung unter Num-
mer 2 und in der Ersten Beschlussempfehlung (Bundes-
tagsdrucksache 15/1150) unter Nummer 3 enthalten. Die
in Nummer 3 der Beschlussempfehlung enthaltene Be-
richtsbitte an die Bundesregierung dient ebenfalls dem
Ziel, die Wiederholung von Wahlfehlern zu verhindern
und das Wahlverfahren sowie den Ablauf der Wahl zu
verbessern.

3. Im Wahlprüfungsverfahren findet zunächst eine Vor-
prüfung statt, über deren Ergebnis die Berichterstatter
den Ausschuss informieren. Sie endet mit der Entschei-
dung darüber, ob der Einspruch insbesondere als offen-
sichtlich unbegründet zurückzuweisen ist (§ 6 Abs. 1a
WPrüfG) oder ob eine öffentliche mündliche Verhand-
lung stattfinden muss. In der Praxis des Wahlprüfungs-
ausschusses wird regelmäßig von der Durchführung
einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen,
weil eine der im § 6 Abs. 1a WPrüfG genannten Fall-
gruppen – insbesondere offensichtliche Unbegründet-
heit – vorliegt.

Offensichtlich unbegründet sind insbesondere Einsprü-
che,
a) die einen Sachverhalt vortragen, der einen Fehler bei

der Vorbereitung und Durchführung der Wahl nicht
erkennen lässt,

b) die die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen behaup-
ten; im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens im
Deutschen Bundestag kann eine derartige Feststel-
lung nicht erfolgen (seit der 1. Wahlperiode ständige
Auffassung des Deutschen Bundestages; diese Kon-
trolle blieb stets dem Bundesverfassungsgericht vor-
behalten),

c) die mangels ausreichender Angabe von Tatsachen
nicht erkennen lassen, auf welche Tatsachen der Ein-
spruch gestützt wird (BVerfGE 40, 11/30),

d) die sich zwar auf nachprüfbare Mängel bei der Vor-
bereitung oder Durchführung der Wahl stützen, diese
Mängel jedoch angesichts des Stimmenverhältnisses
keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben
können (BVerfGE 4, 370/372 f.).

4. Bei den in der Zweiten Beschlussempfehlung behandel-
ten Wahleinspruchsverfahren ist von der Anberaumung
einer mündlichen Verhandlung abgesehen und es sind
die sich aus den Anlagen ersichtlichen Entscheidungs-
vorschläge einstimmig gebilligt worden, soweit nach-
folgend nichts anderes vermerkt ist.
a) Die Entscheidungen zu den Einsprüchen WP 130/02,

WP 80/02, WP 10/02, WP 317/02, WP 215/02,
WP 33/02, WP 119/02 und WP 206/02 (Anlagen 1
bis 7 und Anlage 11) betreffen ausschließlich oder
zusammen mit anderen Einspruchsgründen die sog.
Berliner Zweitstimmen. Diese Einsprüche beinhal-
ten überwiegend auch das Thema Überhangmandate.
Ausschließlich um Überhangmandate geht es beim
Einspruch WP 7/02 (Anlage 8). Der Einspruch
WP 76/02 (Anlage 9) hat dieses Thema neben einer
Reihe von anderen Einspruchsgründen zum Gegen-
stand.
Zur Frage der sog. Berliner Zweitstimmen sowie zu
den Überhangmandaten ist jeweils mehrheitlich mit
den Stimmen der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und FDP gegen die Stimmen der
Fraktion der CDU/CSU deren Antrag auf Durch-
führung einer mündlichen Verhandlung sowie auf
Vernehmung von Sachverständigen und Zeugen im
Vorprüfungsverfahren abgelehnt und – wie aus den
Entscheidungsvorschlägen ersichtlich – beschlossen
worden, die Einsprüche als offensichtlich unbegrün-
det zurückzuweisen.
Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, dass
nach § 6 Abs. 1 WPrüfG zwingend eine mündliche
Verhandlung anzuberaumen gewesen sei, da die Vor-
aussetzungen für ein Absehen von einer mündlichen
Verhandlung nach § 6 Abs. 1a WPrüfG nicht vor-
lägen. Insbesondere seien die Einsprüche erkennbar

Drucksache 15/1850 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nicht offensichtlich unbegründet. Bei der Frage, ob
die für Listen anderer Parteien abgegebenen Zweit-
stimmen solcher Wähler, die in den Wahlkreisen 86
und 87 mit ihrer Erststimme zum Mandatserwerb der
von der PDS vorgeschlagenen Direktkandidatinnen
geführt hätten, im Anschluss an eine Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts von 1988 in analoger
Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz
(BWG) unberücksichtigt bleiben müssen, bestehe im
Ausschuss – ebenso wie vorher bereits im Bundes-
wahlausschuss – keine Einigkeit. Ein Wahleinspruch
könne nur dann offensichtlich unbegründet sein,
wenn er ohne weitere Nachprüfung die Unbegründet-
heit „auf der Stirn“ trage. Daher könne hier nicht von
einer offensichtlichen Unbegründetheit ausgegangen
werden. Zudem solle der mündlichen Verhandlung
im Rahmen der Vorprüfung eine Vernehmung von
Sachverständigen gemäß § 5 Abs. 3 WPrüfG voraus-
gehen.
In der Sache deuten nach Auffassung der Fraktion
der CDU/CSU die Ausführungen im Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts von 1988 ebenso wie die
überwiegenden Äußerungen in der rechtswissen-
schaftlichen Literatur auf die Notwendigkeit einer
analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
auf die in den Wahleinsprüchen behandelte Konstel-
lation hin.
Die in Rede stehenden Wahleinsprüche betreffen
nach Auffassung der Fraktion der CDU/CSU den
Verfassungsgrundsatz der Wahlrechtsgleichheit in
seiner besonderen Problemstellung bei der Gültigkeit
von Zweitstimmen nach § 6 Abs. 1 BWG und bei der
verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Überhang-
mandaten nach § 6 Abs. 5 BWG. Bei diesen ge-
nannten Streitgegenständen handele es sich um sehr
komplexe Rechtsfragen, die insbesondere auch be-
züglich der Gültigkeit von Zweitstimmen (vgl. hierzu
Wolfgang Schreiber, NvWZ 2003, 403 ff.; Rupert
Scholz/Hans Hofmann, ZRP 2003, 39 ff.; Jörn Ipsen,
JZ 2002, 469 ff. und Thomas Poschmann, ThürVBl.
2003, S. 121 ff.) und der Frage von Überhangman-
daten auf einer ebenso zahlreichen wie teilweise
kontroversen verfassungsgerichtlichen Judikatur und
wissenschaftlichen Literatur-Diskussion basierten.
Zur Frage der Zweitstimmen stützten sich die erho-
benen Wahleinsprüche auf ein Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts aus dem Jahr 1988 (BVerfGE 79,
161 ff.), in dem deutliche Hinweise auf eine analoge
Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG vorlägen,
sowie eine Aufforderung an den Gesetzgeber, die
festgestellte Regelungslücke zu schließen. Insbeson-
dere nach der letzten Bundestagswahl im September
2002 habe sich eine Reihe von wissenschaftlichen
Fachaufsätzen mit der verfassungsrechtlichen Zuläs-
sigkeit gerade der in den Wahleinsprüchen themati-
sierten Fragen zur Gültigkeit von Berliner Zweitstim-
men und von Überhangmandaten befasst.
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
zur offensichtlichen Unbegründetheit von Wahlein-
sprüchen (BVerfGE 89, 291/300) sei diese Frage da-
nach zu entscheiden, ob nach vorangehender gründ-

licher Prüfung seitens des Deutschen Bundestages für
die Begründetheit des Wahleinspruches kein Ge-
sichtspunkt erkennbar sei, der ihm zum Erfolg ver-
helfen könnte. Bei der zugrunde liegenden Rechts-
frage seien durchaus Gesichtspunkte erkennbar, die
den Einsprüchen zum Erfolg verhelfen könnten: sie
seien in der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts aus dem Jahr 1988 (BVerfGE 79, 161 ff.) ange-
legt, die die Rechtsfrage noch abstrakt behandelte,
und in der wissenschaftlichen Diskussion in der
Fachliteratur im Jahr 2002, die die Frage konkret the-
matisiert habe. Dabei könne insbesondere nicht unbe-
rücksichtigt bleiben, dass die überwiegende Mehrheit
der Fachliteratur die Wahleinsprüche für begründet
halte; hinzu trete noch die Kommentarmeinung eines
Grundgesetz-Kommentars, der ausdrücklich auf-
grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus
dem Jahr 1988 den § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG analog
angewendet sehen wolle (Roth, in Umbach/Clement,
Artikel 38 Rn. 97).
Die Komplexität der zugrunde liegenden Rechtsfrage
gebietet nach Ansicht der Fraktion der CDU/CSU im
Licht dieser Beurteilung, einige der fachkundigen
wissenschaftlichen Stimmen bei der Prüfung durch
den Deutschen Bundestag zu Rate zu ziehen. Ange-
sicht eines eindeutigen Urteils des Bundesverfas-
sungsgerichts in der materiellen Rechtsfrage und der
genannten Fachdiskussion sei dies notwendige Vo-
raussetzung, um die Bedingungen des genannten
Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu der for-
malen Verfahrensfrage über die „vorausgegangene
gründliche Prüfung“ (BVerfGE 89, 291/300) zu er-
füllen.
Hinzu komme, dass zur Klärung einer für die Be-
antwortung der Rechtsfrage notwendigen Sachver-
haltsfrage im Rahmen des hier geltenden Unter-
suchungsgrundsatzes nach dem Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts (BVerfGE 89, 291/300) auch
eine gründliche und prüfungsfeste Sachverhaltsauf-
klärung vorliegen müsse. Dies sei insbesondere für
die Frage von Interesse, ob der Innenausschuss des
Deutschen Bundestages sich seit dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts von 1988 zur Gültigkeit von
Zweitstimmen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG mit der
in diesem Urteil vom Bundesverfassungsgericht an-
geregten Änderung der genannten Wahlrechtsvor-
schrift befasst bzw. aus welchem Grund er sich mit
dieser Frage nicht befasst oder warum er bei einer
Befassung keine Änderung der Gesetzeslage vorge-
nommen habe. Zu diesem Zweck wäre es im Vorlauf
zu einer gründlichen Prüfung seitens des Deutschen
Bundestages ratsam gewesen, den Vorsitzenden bzw.
Sekretär des Innenausschusses des Deutschen Bun-
destags als Sachverständigen hinzuzuziehen, um
diese Sachverhaltsfrage eindeutig zu klären.
Nach Auffassung der die Entscheidungen über die
Wahleinsprüche zu den so genannten Berliner Zweit-
stimmen tragenden Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und FDP haben die Wahleinsprüche
eine Rechtsfrage aufgeworfen. Zur Entscheidung von
Rechtsfragen sei der Wahlprüfungsausschuss selbst

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1850

berufen. Deshalb müssten diese – auch bei unter-
schiedlichen Auffassungen im Ausschuss – nicht
durch einen Sachverständigenbeweis geklärt oder
notwendig in einer öffentlichen mündlichen Verhand-
lung erörtert werden. Das Bundesverfassungsgericht
habe sich in dem o. g. Beschluss vom 23. November
1993 mit der Praxis des Wahlprüfungsausschusses
zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung
wegen offensichtlicher Unbegründetheit befasst und
diese Praxis gebilligt. Nach dieser Entscheidung sei
ein Wahleinspruch offensichtlich unbegründet, wenn
im Zeitpunkt der Entscheidung kein Gesichtspunkt
erkennbar sei, der ihm zum Erfolg verhelfen könne.
Die Beurteilung setze laut Bundesverfassungsgericht
aber nicht voraus, dass die Unbegründetheit des
Wahleinspruchs auf der Hand liegt; sie könne auch
das Ergebnis einer vorausgegangenen gründlichen
Prüfung sein (BVerfGE 89, 291/300).
Im Übrigen sieht die Mehrheit keinen Bedarf, z. B.
durch Vernehmung von Vorsitzenden oder Sekretären
des Innenausschusses, der Frage nach gesetzgeberi-
schen Beratungen und deren Ergebnis im Anschluss
an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von
1988 nachzugehen, da eine derartige Prüfung bereits
erfolgt sei. So hätten eine Durchsicht aller wahlrecht-
lich relevanten Bundestagsdrucksachen und Bundes-
tagsprotokolle, der Akten des Ausschusses für Wahl-
prüfung, Immunität und Geschäftsordnung sowie
Rückfragen beim Sekretariat des Innenausschusses
und beim zuständigen Referat des Bundesministe-
riums des Innern keine parlamentarische Behandlung
des Themas feststellen lassen.
In der Sache selbst gibt es nach Auffassung der
Mehrheit – wie in den Entscheidungsvorschlägen
z. B. zum Wahleinspruch WP 130/02 (Anlage 1) im
Einzelnen begründet – keine Anhaltpunkte für einen
Wahlfehler. Insbesondere finde sich angesichts der
auch vom Bundesverfassungsgericht betonten not-
wendigen Rechtsklarheit in Wahlangelegenheiten
kein Raum für eine analoge Anwendung von § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG auf die sog. Berliner Zweit-
stimmen durch die zuständigen Wahlbehörden. Das
Bundesverfassungsgericht habe sich vielmehr an den
Gesetzgeber gewandt und eine Ergänzung von § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG zu erwägen gegeben. Eine ana-
loge Anwendung durch die Wahlbehörden wäre nur
in Betracht gekommen, falls das Bundesverfassungs-
gericht diesen gegenüber eine Analogie unmissver-
ständlich angeordnet hätte.
Eine offensichtliche Unbegründetheit liegt nach der
sich aus den Entscheidungsvorschlägen ergebenden
Auffassung der Mehrheit ebenso für die Frage der
Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten vor,
mit der sich der Deutsche Bundestag in der Vergan-
genheit mehrfach und ausführlich beschäftigt habe.
Abgesehen davon sei die Kontrolle von Wahlrechts-
vorschriften auf Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
in Wahlprüfungsangelegenheiten bislang stets dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden.
Demgegenüber hat die Fraktion der CDU/CSU ein
Abrücken von dieser Praxis befürwortet, da es bezüg-

lich der Überhangmandate einen spezifischen Sach-
verhalt gebe. So habe das Bundesverfassungsgericht
die Möglichkeit von Überhangmandaten nur mit
Stimmengleichheit für verfassungsgemäß erachtet.
Überhangmandate dürften eine Mehrheit bestärken,
aber nicht schaffen. Insoweit sei auch der Zusam-
menhang mit der Frage der Berücksichtigung der
sog. Berliner Zweitstimmen von Bedeutung, da
die Überhangmandate bei der Bundestagswahl 2002
– eventuell im Zusammenwirken mit einer Ergeb-
niskorrektur bei den Berliner Zweitstimmen – aus-
schlaggebend für die Parlamentsmehrheit gewesen
sein könnten.

b) Die Entscheidungen zu den Wahleinsprüchen
WP 128/02 und WP 206/02 (Anlagen 10 und 11)
betreffen ausschließlich bzw. zusammen mit ande-
ren Einspruchsgründen die Frage, ob eine Zeitungs-
beilage des Bundespresseamtes zum Zuwanderungs-
gesetz gegen den Grundsatz der Chancengleichheit
verstoßen hat.
Der Wahlprüfungsausschuss hat im Ergebnis hierzu
jeweils mehrheitlich mit den Stimmen der Fraktionen
SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP bei
Enthaltung der Fraktion der CDU/CSU empfohlen,
die Einsprüche als offensichtlich unbegründet zu-
rückzuweisen. Ein Änderungsantrag der Fraktion der
FDP, den Entscheidungsvorschlag des Berichterstat-
ters Hans-Joachim Hacker um einen Passus zu ergän-
zen, in dem die Erwartung geäußert wird, dass sich
das Bundespresseamt in der Vorwahlzeit – insbeson-
dere auch im Hinblick darauf, dass es sich um den
Einsatz nicht unerheblicher Steuergelder handelt –
eine besondere Zurückhaltung auferlegt, ist mehr-
heitlich mit den Stimmen der Fraktionen SPD,
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP bei Stimm-
enthaltung der Fraktion der CDU/CSU angenommen
worden. Zum Verfahren hat die Fraktion der CDU/
CSU die Durchführung einer mündlichen Verhand-
lung beantragt, um zu klären, welchen Informations-
gehalt die Zeitungsbeilage zum Zuwanderungsgesetz
gehabt habe und weshalb diese in der „Hochwahl-
kampfphase“ verteilt worden sei. Aufgrund der vom
Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze
hält die Union angesichts des knappen Ausgangs der
Bundestagswahl einen Wahlfehler für nicht ausge-
schlossen. Dieser Verfahrensantrag ist von den Frak-
tionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
abgelehnt worden, weil sie den wahlprüfungsrecht-
lich entscheidungserheblichen Sachverhalt für hinrei-
chend geklärt angesehen haben.
Zur Sache hat die Mehrheit die Auffassung vertreten,
dass die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der
Bundesregierung vorliegend nicht überschritten sind,
weil eine Information über das Zuwanderungsgesetz
zum Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Bun-
desregierung gehöre. Die Zeitungsbeilage enthalte
sachliche Informationen zum Inhalt des Zuwande-
rungsgesetzes und verzichte auf herabsetzende oder
polemische Äußerungen der Parteien. Inhaltlich
werde kein Bezug zur Bundestagswahl hergestellt.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil

Drucksache 15/1850 – 6 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

aus dem Jahre 1977 ausdrücklich darauf hingewie-
sen, dass sich die Aussagen der Öffentlichkeitsarbeit
der Regierung mehr oder minder mit denen von
Programmen und Stellungnahmen der die Regierung
tragenden Parteien decken könnten (BVerfGE 44,
125/149).
Die Fraktion der CDU/CSU hat demgegenüber mo-
niert, dass die Zeitungsbeilage des Bundespresse-
amtes zum Zuwanderungsgesetz im Bundestagswahl-
kampf 2002 eine Beeinflussung des Wahlkampfes
mit Steuermitteln gewesen sei. Die in diesem Zusam-
menhang aufgestellte Behauptung, aus technischen
Gründen sei eine Verteilung dieser Zeitungsbeilage
zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen,
ändere nichts an der damit erfolgten Wahlbeeinflus-
sung. Darüber hinaus habe das Bundespresseamt
zwei Wochen vor der Bayerischen Landtagswahl am
21. September 2003 über 3 000 großflächige Plakate
im Rahmen einer bundesweiten Informationskam-
pagne zur Agenda 2010 in Bayern anbringen lassen.

c) Die Entscheidung zum Wahleinspruch WP 83/02
(Anlage 12) betrifft die Stimmenauszählung – insbe-
sondere die Auszählung der Erststimmen – im Wahl-
kreis München-Nord (Wahlkreis 219). Der Einspruch
stützt sich auf eine nicht unerhebliche Abweichung
des endgültigen Ergebnisses vom vorläufigen Ergeb-
nis im Wahlkreis 219 sowie auf die Art und Weise
der Ermittlung des endgültigen Ergebnisses und
schließlich auf einige Vorgänge bei der Durchfüh-
rung der Wahl.
Die Diskussion im Ausschuss hat ergeben, dass zwar
im Ergebnis Einigkeit über die Empfehlung an das
Plenum besteht, den Einspruch als offensichtlich un-
begründet zurückzuweisen, jedoch unterschiedliche
Auffassungen darüber bestehen, wie dieses Ergebnis
zu begründen ist. Vor diesem Hintergrund ist der
Entscheidungsvorschlag des Abgeordneten Hermann
Bachmaier mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der
Fraktionen CDU/CSU und FDP angenommen wor-
den.
Ein Änderungsantrag zu den Entscheidungsgründen
des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
ist mit den Stimmen der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und FDP abgelehnt
worden. Laut Änderungsantrag seien vom Kreis-

wahlleiter im Laufe des Verfahrens zum Teil gravie-
rende Unregelmäßigkeiten eingeräumt worden, die
bei künftigen Wahlen vermieden werden sollten. Das
nachträgliche Öffnen einer versiegelten Wahlurne
und die auf Veranlassung des Kreiswahlleiters vor-
genommene Nachprüfung sowie die nicht erfolgte
Kontaktaufnahme mit dem betreffenden Wahlvor-
stand seien sehr gravierende Vorgänge, von denen der
Kreiswahlausschuss durch den Kreiswahlleiter hätte
Kenntnis erlangen müssen. Auch hätte dies in der
Niederschrift vermerkt werden müssen. Befremdlich
sei, dass der Kreiswahlleiter das Öffnen der Wahl-
urne trotz mehrmaliger schriftlicher Vorhaltungen
durch den Einspruchsführer erst in seinem Schreiben
vom 10. März 2003 erstmalig explizit bestätigt habe.
Es könne dahingestellt bleiben, inwieweit die Mit-
glieder des Kreiswahlausschusses in Kenntnis dieser
Vorgänge der Wahlniederschrift zugestimmt hätten.
Für Manipulationen oder für Manipulationsversuche
seitens des Kreiswahlleiters und der Wahlbehörde be-
stünden nämlich keine Anhaltspunkte. Zudem habe
der Kreiswahlausschuss nach der Bekanntgabe des
endgültigen Wahlergebnisses ohnehin keine Mög-
lichkeit mehr gehabt, dieses selbst zu korrigieren; ab
diesem Zeitpunkt sei eine Überprüfung nur noch im
Wahlprüfungsverfahren möglich. Außerdem wäre es
angebracht gewesen, bereits am Wahlabend der Öf-
fentlichkeit gegenüber deutlich zu machen, dass in
die Ermittlung des vorläufigen Wahlergebnisses auch
bloße Schätzwerte eingeflossen seien. Dieses Unter-
lassen habe bei Bekanntwerden der Tatsachen zu Irri-
tationen in der Öffentlichkeit geführt. In der Gesamt-
betrachtung müsse der Einspruch bei Feststellung
erheblicher Unregelmäßigkeiten beim Wahlablauf,
der Stimmenauszählung sowie bei der Feststellung
des amtlichen Endergebnisses allerdings ohne Erfolg
bleiben.
Die Mehrheit hat demgegenüber darauf verwiesen,
dass im angenommenen Entscheidungsvorschlag des
Berichterstatters Abgeordneter Hermann Bachmaier
die genannten Unregelmäßigkeiten ebenfalls hinrei-
chend und zutreffend angesprochen würden. Diese
Unregelmäßigkeiten seien zwar vermeidbar gewesen;
die Ordnungsmäßigkeit der Wahl im Wahlkreis 219
und die Ergebnisermittlung könnten jedoch nach
Würdigung aller Umstände nicht in Zweifel gezogen
werden. Deshalb sei an den gegenüber dem Ände-
rungsantrag zurückhaltender formulierten Entschei-
dungsgründen festzuhalten.

Berlin, den 23. Oktober 2003
Erika Simm
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 7 – Drucksache 15/1850

Inhaltsverzeichnis zum Anlagenteil:

Beschlussempfehlungen zu den einzelnen Wahleinsprüchen

Aktenzeichen Betreff Berichterstatter/in Anlage Nr. Seite

WP 130/02 Berliner Zweitstimmen
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

1 11

WP 80/02 Berliner Zweitstimmen
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

2 15

WP 10/02 Berliner Zweitstimmen,Überhangmandate
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

3 19

WP 317/02 Berliner Zweitstimmen,Überhangmandate
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

4 23

WP 215/02 Berliner Zweitstimmen, Überhang-mandate, Berechnungsverfahren
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

5 29

WP 33/02 Berliner Zweitstimmen,Überhangmandate
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn) 6 33

WP 119/02 Vorwurf des Wahlbetrugs,Berliner Zweitstimmen
Abg. Hacker
Abg. Dr. Friedrich (Hof) 7 39

WP 7/02 Überhangmandate
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

8 45

WP 76/02 Verfassungswidrigkeit des Wahl-rechts (u. a. Überhangmandate) Abg. Strobl (Heilbronn) 9 47

WP 128/02
Vorwurf des Wahlbetrugs, Grundsatz
der Chancengleichheit (Zeitungs-
beilage des Bundespresseamtes)

Abg. Hacker
Abg. Dr. Friedrich (Hof) 10 53

WP 206/02
Grundsatz der Chancengleichheit
(u. a. Wahlkampffinanzierung;
Zeitungsbeilage des Bundespresse-
amtes), Vorwurf des Wahlbetrugs,
Berliner Zweitstimmen

Abg. Hacker
Abg. Dr. Friedrich (Hof) 11 57

WP 83/02 Stimmauszählung Abg. BachmaierAbg. Dr. Friedrich (Hof) 12 63

Drucksache 15/1850 – 8 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

WP 182/02 Negative Stimmgewichte
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

13 71

WP 214/02 Negative Stimmgewichte
Abg. Simm
Abg. Strobl (Heilbronn)
Abg. Montag
Abg. van Essen

14 75

WP 146/02 Stimmauszählung Abg. Bachmaier 15 77
WP 1/02 Kandidatenaufstellung, starre Listen Abg. Bachmaier 16 81
WP 63/02 Nichtzulassung Partei Abg. Bachmaier 17 83
WP 54/02 Nichtzulassung Partei Abg. Bachmaier 18 85
WP 95/02 Nichtzulassung Partei Abg. Bachmaier 19 91
WP 74/02 Allgemeine Gründe Abg. Bachmaier 20 95
WP 58/02 Briefwahl Abg. Dr. Friedrich (Hof) 21 97
WP 61/02 Briefwahl Abg. Dr. Friedrich (Hof) 22 99
WP 69/02 Briefwahl Abg. Dr. Friedrich (Hof) 23 101
WP 42/02 Nichteintragung in das Wähler-verzeichnis (Auslandsdeutscher) Abg. Grund 24 103

WP 68/02 Informationen zur Wahlteilnahmean Auslandsdeutsche Abg. Grund 25 105

WP 29/02 Übersendung WahlunterlagenAusland Abg. Grund 26 109

WP 187/02 Fehlerhafter Zugang Briefwahl-unterlagen Abg. Grund 27 111
WP 67/02 Nichtzugang Wahlbenachrichtigung Abg. Grund 28 113
WP 51/02 Grundsatz der Chancengleichheit Abg. Hacker 29 115
WP 120/02 Grundsatz der Chancengleichheit Abg. Hacker 30 117
WP 79/02 Grundsatz der Chancengleichheit Abg. Hacker 31 121
WP 72/02 Grundsatz der Chancengleichheit Abg. Hacker 32 129
WP 38/02 Heranziehung zum Wahlehrenamt Abg. Hacker 33 131
WP 14/02 Gestaltung Stimmzettel (Faltung),Grundsatz der geheimen Wahl Abg. van Essen 34 135
WP 145/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 35 141
WP 16/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 36 145
WP 41/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 37 147
WP 194/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 38 149
WP 65/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 39 151
WP 27/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 40 153

Aktenzeichen Betreff Berichterstatter/in Anlage Nr. Seite

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 9 – Drucksache 15/1850

*) Es handelt sich um einen gemeinschaftlichen Wahleinspruch, der für einen der Einspruchsführer durch Plenarbeschluss vom 26. Juni 2003 (Bun-
destagsdrucksache 15/1150, Anlage 169) abgeschlossen worden ist; die vorliegende Beschlussempfehlung bezieht sich auf die drei weiteren Ein-
spruchsführer.

WP 44/02 Gestaltung Stimmzettel Abg. van Essen 41 155
WP 17/02 Grundsatz der geheimen Wahl Abg. Merkel 42 157
WP 84/02 Wahlgeheimnis(Wahl ohne amtliche Umschläge) Abg. Merkel 43 159
WP 21/02 Allgemeine Gründe Abg. Merkel 44 165
WP 136/02 Keine Begründung Abg. Merkel 45 167
WP 212/02 Verfassungsmäßigkeit vonWahlrechtsvorschriften Abg. Montag 46 169

WP 154/02 Verfassungsmäßigkeit derFünf-Prozent-Sperrklausel Abg. Montag 47 175

WP 46/02 Wahlausschluss(Auskunfterteilung über Wahllokal) Abg. Montag 48 177
WP 32/02 Wahlausschluss Abg. Montag 49 179
WP 13/02 Wahlausschluss Abg. Montag 50 181
WP 8/02 Gestaltung des Wahlscheins Abg. Montag 51 183
WP 30/02 Allgemeine Gründe Abg. Montag 52 187
WP 81/02 Allgemeine Gründe Abg. Montag 53 189
WP 49/02 Nichteintragung in dasWählerverzeichnis Abg. Strobl (Heilbronn) 54 191

WP 43/02 Nichteintragung in dasWählerverzeichnis Abg. Strobl (Heilbronn) 55 193
WP 28/02 Allgemeine Gründe Abg. Strobl (Heilbronn) 56 195
WP 408/02*) Vorwurf des Wahlbetrugs Abg. HackerAbg. Dr. Friedrich (Hof) 57 197

Aktenzeichen Betreff Berichterstatter/in Anlage Nr. Seite

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 11 – Drucksache 15/1850

Anlage 1

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn C. G., 12203 Berlin

– Az.: WP 130/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 18. November 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt.
Der Einspruch richtet sich gegen die Berücksichtigung der-
jenigen Zweitstimmen, die von Wählern in den Berliner
Wahlkreisen 86 und 87, die mit ihrer Erststimme den zwei
von der PDS vorgeschlagenen Kandidatinnen zum Man-
datserwerb verholfen haben, für die Listen anderer Parteien
abgegeben worden sind. Hingewiesen wird in der Ein-
spruchsbegründung zunächst auf § 6 Abs. 1 Satz 2 Bun-
deswahlgesetz (BWG), wonach Zweitstimmen derjenigen
Wähler nicht zu berücksichtigen sind, die ihre Erststimme
für einen im Wahlkreis erfolgreichen Einzelbewerber bzw.
einen gewählten Kandidaten abgegeben haben, für dessen
Partei keine Landesliste zugelassen war. Da andernfalls sol-
che Zweitstimmen einen höheren Erfolgswert als die übri-
gen Stimmen hätten und der verfassungsrechtliche Grund-
satz der Wahlgleichheit verletzt würde, müssten diese
Zweitstimmen durch den Wahlleiter ermittelt werden und
hätten unberücksichtigt zu bleiben (§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG,
§ 77 Abs. 4 BWO). Bezug genommen wird sodann auf
einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1988
(BVerfGE 79, 161/168), in dem diese Regelung als verfas-
sungsgemäß angesehen worden ist. Der Einspruchsführer
verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht in sei-
ner Begründung auch den seinerzeit noch nicht eingetrete-
nen Fall von ein oder zwei erfolgreichen Direktkandidaten
einer ansonsten an der 5 %-Hürde scheiternden Partei ange-
sprochen, das Fehlen einer diesbezüglichen gesetzlichen
Regelung festgestellt und dem Gesetzgeber aufgegeben hat,
im Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebo-
tene Rechtsklarheit zu erwägen, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG
entsprechend zu ergänzen. Laut Bundesverfassungsgericht
deutet der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, der 1953
zu der Vorläuferbestimmung des heutigen § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG führte, auf eine Regelungslücke hin, da ersichtlich die
jetzt interessierende Konstellation übersehen worden sei.
Der Einspruchsführer weist darauf hin, dass das Bundes-
wahlgesetz seither in dieser Frage unverändert geblieben
sei. Das Bundesverfassungsgericht habe den jetzt eingetre-
tenen Fall der gesetzlichen Regelung gleichgestellt und eine

analoge Anwendung vorgegeben. Da die Anregung an den
Gesetzgeber ausdrücklich nur mit dem Gebot der Rechts-
klarheit begründet worden sei, habe das Bundesverfas-
sungsgericht die konstitutive Rechtslage klargestellt. Daher
sei die Vorschrift entsprechend auf die hier interessierenden
Zweitstimmen anzuwenden.
Bezüglich der möglichen Mandatsrelevanz bezieht sich der
Einspruchsführer auf Erörterungen im Bundeswahlaus-
schuss, wonach es sich um fast 30 000 betroffene Zweit-
stimmen und damit eine Größenordnung handele, die zu ei-
ner Verschiebung bei der Mandatszuteilung führen könnte.
Darüber hinaus habe ein Abzug vom Zweitstimmenergebnis
der SPD mögliche Auswirkungen auf deren Position als
stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag nach der Zahl
gültiger Zweitstimmen. Nach einer vom Bundeswahlleiter
im Bundeswahlausschuss dargelegten Modellrechnung
könnten bei der SPD ca. 16 300 Stimmen in Abzug kom-
men. Dies würde angesichts ihres bisherigen Vorsprungs bei
den Zweitstimmen gegenüber der CDU/CSU von nur 6 027
Stimmen die CDU/CSU zur stärksten Partei im Deutschen
Bundestag machen.
Im Ergebnis verlangt der Einspruchsführer, die Gültigkeit
der Feststellung des amtlichen endgültigen Endergebnisses
aufzuheben, eine erneute Auszählung der Stimmergebnisse
in den Wahlkreisen 86 und 87 in Berlin durch den zustän-
digen Wahlleiter vornehmen zu lassen und demzufolge die
Berichtigung des amtlichen Endergebnisses durch den Bun-
deswahlleiter zu veranlassen.
Der Bundeswahlleiter hat mit Schreiben vom 22. Oktober
2002 an den Bundestagspräsidenten über die Beratungen im
Bundeswahlausschuss zu den hier interessierenden Zweit-
stimmen unterrichtet. Anknüpfend an die Feststellung, dass
die PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 jeweils das
Wahlkreismandat errungen habe, wird zunächst ausgeführt,
dass die PDS bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslis-
ten nicht zu berücksichtigen war, da sie weder 5 % der im
Wahlgebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten noch in
mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen habe (§ 6
Abs. 6 Satz 1 BWG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG waren
die beiden Direktmandate der PDS von der gesetzlichen Ab-
geordnetenzahl vor der Verhältnisrechnung nach dem Ver-
fahren Niemeyer abzuziehen.

Drucksache 15/1850 – 12 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
(BVerfGE 79, 161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde
für den damals noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf
die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entspre-
chend zu ergänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an,
dass aufgrund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz
von § 6 Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis
auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-
berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetzge-
ber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungsge-
richts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen hat, in diesen Wahlkreisen nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beeinflus-
sen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei der
Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS gege-
ben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien bereits
nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 BWG
für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt
worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubeziehen, dass
das Bundesverfassungsgericht in beschränktem Umfang
– insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Überhangman-
daten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der Wäh-
lerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgericht von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.

Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Dezember 2002 hat
der Bundeswahlleiter gegenüber dem Wahlprüfungsaus-
schuss zur vorsorglich gestellten Frage, ob und ggf. wie sich
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf
die Verteilung der Mandate auswirken könnte, eine Modell-
rechnung übermittelt. Diese zeigt im Ergebnis keine Verän-
derung bei der Mandatsverteilung auf. Ausgehend von der
Feststellung, dass die PDS in den beiden Wahlkreisen zu-
sammen 29 257 Zweitstimmen weniger als Erststimmen er-
zielt hat, wird insoweit zunächst von einem Splitting bei den
Zweitstimmen für konkurrierende Parteien ausgegangen.
Die Modellrechnung betrachtet sodann, welche Landeslis-
ten in den beiden Wahlkreisen mehr Zweit- als Erststimmen
erzielten, und unterstellt, dass die Differenz auf diejenigen
Wähler zurückgeht, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kan-
didatinnen gewählt haben. Die so ermittelten Zweitstimmen
belaufen sich für die SPD auf 16 304, für die Grünen auf
4 847 und für die FDP auf 2 233. Werden sie bei der Ver-
teilrechnung außer Betracht gelassen, ergibt sich gegen-
über dem amtlichen Endergebnis aber keine abweichende
Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis entfielen auf die SPD
18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge damit um 10 277
niedriger als die Gesamtzahl von CDU und CSU. Ange-
merkt wird vom Bundeswahlleiter aber, dass die Modell-
rechnung wegen ihrer Annahmen zum Splittingverhalten
nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit über die Man-
datsrelevanz verschaffen könne. Die genaue Mandatsrele-
vanz ließe sich nur durch Neuauszählung und Feststellung
ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre Zweitstim-
men anderen Landeslisten gegeben haben.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86 und 87
abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler geschehen.
Für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86 und 87 war kein
Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen zu berück-
sichtigen, die von solchen Wählern für Listen anderer Par-
teien als der PDS abgegeben worden sind, die mit ihrer Erst-
stimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen Bewerbe-
rinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im
Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer ana-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 13 – Drucksache 15/1850

wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der Be-
rücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von

drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.
Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen. Schon aus demselben
Grunde war für mögliche Auswirkungen auf die SPD als
stärkste Fraktion im Bundestag bereits die Vorfrage nicht zu
prüfen, ob das Zweitstimmenergebnis oder aber die Zahl der
sich nach § 10 GO-BT zu einer Fraktion zusammenschlie-
ßenden Abgeordneten für den Status als stärkste Fraktion
maßgeblich ist.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 15 – Drucksache 15/1850

Anlage 2

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. M., 23564 Lübeck

– Az.: WP 80/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 14. November 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt und begründet diesen mit
der Berücksichtigung derjenigen Zweitstimmen, die von
Wählern in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87, die mit ih-
rer Erststimme den beiden von der PDS vorgeschlagenen
Kandidatinnen zum Mandatserwerb verholfen haben, für
die Listen anderer Parteien abgegeben worden sind.
Der Bundeswahlleiter hat mit Schreiben vom 22. Oktober
2002 an den Bundestagspräsidenten über die Beratungen im
Bundeswahlausschuss zu den hier interessierenden Zweit-
stimmen unterrichtet. Anknüpfend an die Feststellung, dass
die PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 jeweils das
Wahlkreismandat errungen habe, wird zunächst ausgeführt,
dass die PDS bei der Verteilung der Sitze auf die Landes-
listen nicht zu berücksichtigen war, da sie weder 5 % der im
Wahlgebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten noch in
mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen habe (§ 6
Abs. 6 Satz 1 BWG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG waren
die beiden Direktmandate der PDS von der gesetzlichen Ab-
geordnetenzahl vor der Verhältnisrechnung nach dem Ver-
fahren Niemeyer abzuziehen.
Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
(BVerfGE 79, 161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde
für den damals noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf
die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entspre-
chend zu ergänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an,
dass aufgrund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz
von § 6 Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis
auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-

berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetzge-
ber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungsge-
richts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen hat, in diesen Wahlkreisen nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beein-
flussen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei
der Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS ge-
geben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien be-
reits nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2
BWG für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berück-
sichtigt worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubezie-
hen, dass das Bundesverfassungsgericht in beschränktem
Umfang – insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Über-
hangmandaten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der
Wählerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgericht von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.

Drucksache 15/1850 – 16 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Dezember 2002 hat
der Bundeswahlleiter gegenüber dem Wahlprüfungsaus-
schuss zur vorsorglich gestellten Frage, ob und ggf. wie sich
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf
die Verteilung der Mandate auswirken könnte, eine Modell-
rechnung übermittelt. Diese zeigt im Ergebnis keine Verän-
derung bei der Mandatsverteilung auf. Ausgehend von der
Feststellung, dass die PDS in den beiden Wahlkreisen zu-
sammen 29 257 Zweitstimmen weniger als Erststimmen er-
zielt hat, wird insoweit zunächst von einem Splitting bei den
Zweitstimmen für konkurrierende Parteien ausgegangen.
Die Modellrechnung betrachtet sodann, welche Landeslis-
ten in den beiden Wahlkreisen mehr Zweit- als Erststimmen
erzielten, und unterstellt, dass die Differenz auf diejenigen
Wähler zurückgeht, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kan-
didatinnen gewählt haben. Die so ermittelten Zweitstimmen
belaufen sich für die SPD auf 16 304, für die Grünen auf
4 847 und für die FDP auf 2 233. Werden sie bei der Ver-
teilrechnung außer Betracht gelassen, ergibt sich gegen-
über dem amtlichen Endergebnis aber keine abweichende
Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis entfielen auf die SPD
18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge damit um 10 277
niedriger als die Gesamtzahl von CDU und CSU. Ange-
merkt wird vom Bundeswahlleiter aber, dass die Modell-
rechnung wegen ihrer Annahmen zum Splittingverhalten
nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit über die Man-
datsrelevanz verschaffen könne. Die genaue Mandatsrele-
vanz ließe sich nur durch Neuauszählung und Feststellung
ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre Zweitstim-
men anderen Landeslisten gegeben haben.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86 und 87
abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler geschehen.
Für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86 und 87 war kein
Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen zu berück-
sichtigen, die von solchen Wählern für Listen anderer Par-
teien als der PDS abgegeben worden sind, die mit ihrer Erst-
stimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen Bewerbe-
rinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im
Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer an-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung

wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der Be-
rücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 17 – Drucksache 15/1850

gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.
Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 19 – Drucksache 15/1850

Anlage 3

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn Dr. N. P., 50374 Erftstadt

– Az.: WP 10/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 25. September, 10. Oktober und 11. No-
vember 2002 hat der Einspruchsführer gegen die Gültigkeit
der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag Einspruch einge-
legt.
Begründet wird der Einspruch zum einen damit, dass die
Zuteilung von drei Überhangmandaten an die SPD, die nach
dem vorläufigen amtlichen Endergebnis nur 8 904 Stimmen
mehr als die CDU/CSU errungen hat, die Grundsätze der
Wahlgleichheit und der Chancengleichheit der Parteien ver-
letze. Bezug genommen wird dabei auf die abweichende
Auffassung von vier Mitgliedern des Zweiten Senats des
Bundesverfassungsgerichts zu der die Verfassungsmäßigkeit
von Überhangmandaten feststellenden Entscheidung vom
10. April 1997 (BVerfGE 95, 335 ff.). Nach dieser abwei-
chenden Auffassung werde Artikel 38 GG durch Zulassung
von Überhangmandaten ohne Ausgleich oder Verrechnung
dann verletzt, wenn die Überhangmandate in einem Umfang
anfallen, der eine Verschiebung des Gewichts der Wähler-
stimmen bewirkt, die in ihrem Ausmaß über die mit jeder
Sitzverteilung in einem Proportionalverfahren unausweich-
lich verbundene Unschärfe hinausgehen. Die drei Über-
hangmandate der SPD bewirkten eine offensichtliche Ver-
schiebung der Wählerstimmen und damit der „politischen
Landschaft“ in Deutschland, die demokratisch nicht zu
rechtfertigen sei. Die zu den Überhangmandaten führenden
Stimmen erhielten einen als willkürlich zu betrachtenden
Erfolgswert, da Wähler, die zu Überhangmandaten beitrü-
gen, sowohl mit ihrer Erst- als auch mit ihrer Zweitstimme
Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestages erhiel-
ten. Dies gelte nicht für solche Wähler, deren Erststimmen
eine derartige Erfolgskraft durch die Verrechnung der Di-
rektmandate beim Verhältnisausgleich genommen werde.
Zum anderen wendet sich der Einspruch gegen die Berück-
sichtigung derjenigen Zweitstimmen, die von Wählern in
den Berliner Wahlkreisen 86 und 87, die mit ihrer Erst-
stimme den zwei von der PDS vorgeschlagenen Kandidatin-
nen zum Mandatserwerb verholfen haben, für die Listen an-
derer Parteien abgegeben worden sind. Die Berücksichti-
gung dieser Zweitstimmen verletze die Wahlgleichheit, da
den Stimmen dieser Wähler durch Berücksichtigung sowohl
ihrer Erst- als auch ihrer Zweitstimme ein höherer Erfolgs-
wert zugekommen sei. Die Berücksichtigung dieser Zweit-

stimmen widerspreche einem Beschluss des Bundesverfas-
sungsgerichts von 1988 (BVerfGE 79, 161/168), in dem die
Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz (BWG)
als verfassungsgemäß angesehen worden ist. Nach dieser
Vorschrift bleiben unberücksichtigt die Zweitstimmen der-
jenigen Wähler, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis
erfolgreichen Bewerber abgegeben haben, der entweder als
Einzelbewerber gemäß § 20 Abs. 3 BWG angetreten oder
von einer Partei vorgeschlagen war, für die in dem betref-
fenden Land keine Landesliste zugelassen war. Der Ein-
spruchsführer verweist darauf, dass das Bundesverfassungs-
gericht in seiner Begründung auch den seinerzeit noch nicht
eingetretenen Fall von ein oder zwei erfolgreichen Direkt-
kandidaten einer ansonsten an der 5 %-Hürde scheiternden
Partei angesprochen, das Fehlen einer diesbezüglichen ge-
setzlichen Regelung festgestellt und dem Gesetzgeber auf-
gegeben habe, im Blick auf die im Wahlrecht in besonderem
Maße gebotene Rechtsklarheit zu erwägen, § 6 Abs. 1
Satz 1 BWG entsprechend zu ergänzen. Laut Bundesverfas-
sungsgericht deutet der Verlauf des Gesetzgebungsverfah-
rens, der 1953 zu der Vorgängerbestimmung des heutigen
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG führte, auf eine Regelungslücke hin,
da ersichtlich die jetzt interessierende Konstellation über-
sehen worden sei.
Nach Auffassung des Einspruchsführers hat der Wahlprü-
fungsausschuss, sofern er keinen Verfassungsverstoß fest-
stellen sollte, jedenfalls einen Gesetzesverstoß festzustellen,
da der Bundeswahlleiter § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG analog
hätte anwenden müssen.
In einer eigenen Berechnung hat der Einspruchsführer von
der Gesamtzahl der Zweitstimmen der SPD im Bundesge-
biet die Gesamtzahl der in den beiden Wahlkreisen auf die
SPD entfallenen Zweitstimmen abgezogen. Nachdem er in
gleicher Weise bei der CDU vorgegangen ist, konstatiert er,
dass die CDU 56 153 Zweitstimmen mehr als SPD erhalten
habe. Da die SPD jedoch 3 Mandate mehr als die CDU er-
langt habe, liege hierin ein offensichtlicher Verstoß gegen
den Grundsatz der Wahlgleichheit.
Der Bundeswahlleiter hat mit Schreiben vom 22. Oktober
2002 an den Bundestagspräsidenten über die Beratungen im
Bundeswahlausschuss zu den hier interessierenden Zweit-
stimmen unterrichtet. Anknüpfend an die Feststellung, dass
die PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 jeweils das

Drucksache 15/1850 – 20 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wahlkreismandat errungen habe, wird zunächst ausgeführt,
dass die PDS bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslis-
ten nicht zu berücksichtigen war, da sie weder 5 % der im
Wahlgebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten noch in
mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen habe (§ 6
Abs. 6 Satz 1 BWG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG waren
die beiden Direktmandate der PDS von der gesetzlichen Ab-
geordnetenzahl vor der Verhältnisrechnung nach dem Ver-
fahren Niemeyer abzuziehen.
Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben. Das
Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung zur
Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 (BVerfGE 79,
161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde für den damals
noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf die im Wahl-
recht in besonderem Maße gebotene Rechtsklarheit zu er-
wägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entsprechend zu er-
gänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an, dass auf-
grund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz von § 6
Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis
auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-
berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetzge-
ber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungsge-
richts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen haben, in diesen Wahlkreisen, nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beeinflus-
sen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei der
Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS gege-
ben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien bereits
nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 BWG
für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt
worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubeziehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in beschränktem Um-

fang – insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Überhang-
mandaten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der
Wählerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgericht von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Dezember 2002 hat
der Bundeswahlleiter gegenüber dem Wahlprüfungsaus-
schuss zur vorsorglich gestellten Frage, ob und ggf. wie sich
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf
die Verteilung der Mandate auswirken könnte, eine Modell-
rechnung übermittelt. Diese zeigt im Ergebnis keine Verän-
derung bei der Mandatsverteilung auf. Ausgehend von der
Feststellung, dass die PDS in den beiden Wahlkreisen zu-
sammen 29 257 Zweitstimmen weniger als Erststimmen er-
zielt hat, wird insoweit zunächst von einem Splitting bei den
Zweitstimmen für konkurrierende Parteien ausgegangen.
Die Modellrechnung betrachtet sodann, welche Landeslis-
ten in den beiden Wahlkreisen mehr Zweit- als Erststimmen
erzielten, und unterstellt, dass die Differenz auf diejenigen
Wähler zurückgeht, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kan-
didatinnen gewählt haben. Die so ermittelten Zweitstimmen
belaufen sich für die SPD auf 16 304, für die Grünen auf
4 847 und für die FDP auf 2 233. Werden sie bei der Ver-
teilrechnung außer Betracht gelassen, ergibt sich gegen-
über dem amtlichen Endergebnis aber keine abweichende
Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis entfielen auf die SPD
18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge damit um 10 277
niedriger als die Gesamtzahl von CDU und CSU. Ange-
merkt wird vom Bundeswahlleiter aber, dass die Modell-
rechnung wegen ihrer Annahmen zum Splittingverhalten
nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit über die Man-
datsrelevanz verschaffen könne. Die genaue Mandatsrele-
vanz ließe sich nur durch Neuauszählung und Feststellung
ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre Zweitstim-
men anderen Landeslisten gegeben haben.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Soweit sich der Einspruch gegen das Entstehen von Über-
hangmandaten wendet, ist kein Wahlfehler erkennbar. Die
Sitzverteilung im 15. Deutschen Bundestag, hier die Zutei-
lung von 4 Überhangmandaten an die SPD und eines Über-
hangsmandats für die CDU, beruht auf einer korrekten An-
wendung der §§ 6 und 7 Bundeswahlgesetz (BWG).
Die das Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden
Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind 1997 im An-
schluss an Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 1994 ver-
fassungsgerichtlich überprüft worden. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. April 1997

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 21 – Drucksache 15/1850

(BVerfGE 95, 335 ff.) die Verfassungsmäßigkeit dieser Vor-
schriften festgestellt und ausdrücklich ausgeführt, daß die
Entstehung von Überhangmandaten ohne Verrechnung und
ohne Ausgleich für die anderen Parteien den Anforderun-
gen der Wahlgleichheit nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG
genügt und die Chancengleichheit der Parteien wahrt
(BVerfGE 95, 335/357). Diese Auffassung ist seitdem für
das Wahlrecht und die Wahlpraxis maßgeblich.
Auch soweit sich der Einspruchsführer demgegenüber auf
die abweichende Meinung von vier Mitgliedern des Senats
stützt, die das Urteil von 1997 aber nicht trägt, ist daran zu
erinnern, dass sich der Wahlprüfungsausschuss und der
Deutsche Bundestag in ständiger Praxis nicht als berufen
ansehen, die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvor-
schriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets – so zuletzt
in der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses
vom 6. Juni 2003 – Bundestagsdrucksache 15/1150 – dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden.
Unbeschadet dessen ist hier aber zu betonen, dass sich der
Bundestag wiederholt mit den durch Überhangmandate auf-
geworfenen Fragen befasst, aber keinen Änderungsbedarf
ermittelt hat.
Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts hatte sich der Bundestag intensiv mit den Regelungen
zu Überhangmandaten beschäftigt und sie unter Hinzuzie-
hung von Sachverständigen auf ihre Verfassungsmäßigkeit
überprüft. So war die in der 13. Wahlperiode eingesetzte
Reformkommission zur Größe des Bundestages zu dem Er-
gebnis gekommen, dass die bestehenden wahlrechtlichen
Regelungen, die zum Auftreten von Überhangmandaten
führen können, verfassungsgemäß seien und dass auch
keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit bestehe, Über-
hangmandate durch ergänzende Regelungen, z. B. durch
Ausgleichsmandate oder eine Verrechnung bei den verbun-
denen Landeslisten, auszugleichen. Die Kommission hat im
Ergebnis in ihrem Zwischenbericht dem Bundestag keine
Änderungen der §§ 6 und 7 BWG empfohlen (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 13/4560). In ihrem nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vorgelegten Schlussbericht
hat die Reformkommission einvernehmlich daran festgehal-
ten, keinen Vorschlag zur Änderung des Bundeswahlgeset-
zes in Bezug auf Überhangmandate vorzulegen (Bundes-
tagsdrucksache 13/7950). Diesen Empfehlungen ist der
Bundestag gefolgt.
Auch in der Folge hat sich der Bundestag wiederholt mit der
Fragestellung beschäftigt. Zum einen sind einerseits Wahl-
einsprüche gegen die Bundestagswahl 1998 aus Anlass von
damals 13 Überhangmandaten zurückgewiesen worden
(vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560 – Anlagen 29, 31 und
32). Zum anderen fanden Gesetzentwürfe der 13. Wahlperi-
ode, die die Kompensation von Überhangmandaten vor-
sahen (vgl. Bundestagsdrucksache 13/5750; Plenarprotokoll
13/129 vom 11. Oktober 1996; S. 11631 ff.) ebenso wenig
eine Mehrheit wie eine auch auf dieses abzielende Initiative
in der 14. Wahlperiode (vgl. Bundestagsdrucksache 14/
2150; Plenarprotokoll 14/134 vom 23. November 1999,
S. 12992 ff.).
Für den Gesetzgeber bestand angesichts der Entwicklun-
gen seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
von 1997 kein Anlass, die wahlrechtlichen Bedingungen
für Überhangmandate zu ändern. Soweit laut Bundesver-

fassungsgericht der Gesetzgeber darauf zu achten hat, dass
sich die Zahl der Überhangmandate in Grenzen hält, hat
das Gericht bei der Prüfung, wann sich ein gesetzgeberi-
scher Handlungsbedarf entwickeln könnte, auf das 5 %-
Quorum zurückgegriffen (BVerfGE 95, 335/349 und 366).
Insgesamt 5 Überhangmandate bei der Bundestagswahl
2002 bleiben jedoch ebenso deutlich unter dieser Grenze
wie schon 13 Überhangmandate bei der Wahl 1998. So-
weit das Bundesverfassungsgericht angesichts der unter-
schiedlichen Größe von Wahlkreisen als einem der mögli-
chen Entstehungsgründe für Überhangmandate es für die
seiner Entscheidung folgenden Wahlen nicht mehr genü-
gen ließ, die bisherige Abweichungsgrenze von 33 1/3 %,
bezogen auf die durchschnittliche Bevölkerungszahl der
Wahlkreise einzuhalten, enthält § 3 BWG seit 1998 detail-
liertere und strengere Maßgaben für die durch Gesetz erfol-
gende Einteilung der Wahlkreise. So soll die Bevölkerungs-
zahl eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Bevölke-
rungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15 % nach
oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr
als 25 %, muss neu abgegrenzt werden (§ 3 Abs. 1 Nr. 3
BWG). Die gesetzliche Regelung in § 3 BWG hat der Neu-
verteilung und Neuabgrenzung der Wahlkreise für die Wahl
zum 15. Deutschen Bundestag zugrunde gelegen (so zuletzt
im 16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom
27. April 2001 – BGBl. I S. 701, berichtigt in BGBl. 2002 I
S. 1848).
Selbst wenn bestimmte Zweitstimmen in Berlin, worauf an-
schließend näher eingegangen wird, nicht berücksichtigt
werden sollten und dadurch auf die SPD im gesamten Wahl-
gebiet weniger Zweitstimmen entfielen als auf CDU und
CSU, führte dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Die
Überhangmandate sind Teil der sich aus den Erststimmen
ergebenden Direktmandate in der als personalisierte Ver-
hältniswahl ausgestalteten Verbindung von Mehrheitswahl
im Wahlkreis und Verhältnisausgleich über die Zweitstim-
men. Mit dieser dem Gesetzgeber allein obliegenden Ge-
staltungsentscheidung kommt laut Bundesverfassungsge-
richt der verhältniswahlrechtlichen Erfolgswertgleichheit
aller Stimmen von vornherein nur begrenzte Tragweite zu.
Die Rechtfertigung dieser Differenzierung ergebe sich aus
dem besonderen Anliegen, durch die Wahl der Wahlkreis-
kandidaten eine engere persönliche Beziehung zumindest
der Hälfte der Abgeordneten zu ihrem Wahlkreis zu ge-
währleisten (BVerfGE 95, 358). Dabei war dem Bundesver-
fassungsgericht bewusst, dass im Einzelfall Überhangman-
date sogar über Mehrheit und Minderheit entscheiden kön-
nen. So wird die erforderliche gleiche Größe der Wahlkreise
gerade aus der dem Gesetzgeber zuerkannten Regelungsbe-
fugnis gefolgert, dass nicht alle errungenen Direktmandate
nach dem Proporz der für die Parteien abgegebenen Zweit-
stimmen verrechnet werden, sondern dass nicht ausgleichs-
fähige Wahlkreismandate die Gesamtzahl des Bundestages
erhöhen und damit die Frage von Mehrheit und Minderheit
beeinflussen können (BVerfGE 95, 363).
Auch bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86
und 87 abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler ge-
schehen. Für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86 und
87 war kein Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen
zu berücksichtigen, die von solchen Wählern für Listen an-
derer Parteien als der PDS abgegeben worden sind, die mit

Drucksache 15/1850 – 22 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

ihrer Erststimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen
Bewerberinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im
Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer an-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der
Berücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste

unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.
Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 23 – Drucksache 15/1850

Anlage 4

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. H. M., 63069 Offenbach

– Az.: WP 317/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. November 2002, das am selben Tag
beim Bundestag eingegangen ist, hat der Einspruchsführer
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundes-
tag Einspruch eingelegt und diesen auf mehrere Gründe ge-
stützt.
Die Zuteilung von 4 Überhangmandaten an die SPD und
eines Überhangsmandats für die CDU führe zu einer „Pro-
porzverzerrung“ und verstoße gegen den Grundsatz der
Wahlgleichheit aus Artikel 38 Abs. 1 Grundgesetz. Das
Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil von 1997
die Verfassungsmäßigkeit von Überhangmandaten nur unter
Einschränkungen zugelassen, insbesondere müssten die
Wahlkreise gleich groß sein. Diesem Erfordernis sei der Ge-
setzgeber mit der erstmals für die Wahl zum 15. Bundestag
wirksamen Neueinteilung der Wahlkreise jedoch nicht
nachgekommen. Das Bundeswahlgesetz habe die Abwei-
chungsgrenze, innerhalb der die Anzahl der wahlberechtig-
ten Bürger in den einzelnen Wahlkreisen voneinander ab-
weichen dürfen, auf maximal 25 % festgelegt und sei damit
nur knapp unter der früheren Rechtslage und dem der ge-
nannten Verfassungsgerichtsentscheidung zugrundeliegen-
den Fall mit 33 1/3 % geblieben. Nach überwiegender Auf-
fassung in der verfassungsrechtlichen Literatur sei nur eine
Abweichung von 10 % tolerierbar, die bei einer Vielzahl an
Wahlkreisen überschritten werde.
Bei der im Bundeswahlgesetz vorgesehenen ausgleichslo-
sen Zuteilung von Überhangmandaten komme es zu „nega-
tiven Stimmgewichten“. Eine Partei erhalte um so weniger
Mandate, je mehr Stimmen für sie abgegeben würden oder
umgekehrt. Als Beispiel führt der Einspruch an, dass die
SPD in Berlin ein Mandat mehr erhalten hätte, wenn für sie
53 997 Zweitstimmen weniger abgegeben worden wären.
Auch das so genannte Stimmensplitting führe zu Überhang-
mandaten der Partei des Direktkandidaten. Der Missbrauch
des Stimmensplittings sei bei der Bundestagswahl 2002 ge-
rade von Wählern der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
praktiziert worden, die ihre Erstimme dem Direktkandida-
ten der SPD gegeben hätten. Die Partei der Grünen habe
diesen Missbrauch massiv als Abgabe sogenannter „Joschka
Fischer“-Stimmen propagiert; eine solche Wahlmanipula-

tion zur Herbeiführung von Überhangmandaten sei nicht
mehr von der Verfassung gedeckt.
Schließlich wird geltend gemacht, dass diejenigen Zweit-
stimmen, die von Wählern in den Berliner Wahlkreisen 86
und 87, die mit der Erststimme die beiden von der PDS vor-
geschlagenen Kandidatinnen gewählt haben, sowie im
Wahlkreis 84, in dem der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
vorgeschlagene Kandidat direkt gewählt worden ist, für die
Listen anderer Parteien abgegeben worden sind, nicht hätten
berücksichtigt werden dürfen.
Der Bundeswahlleiter hat mit Schreiben vom 22. Oktober
2002 an den Bundestagspräsidenten über die Beratungen im
Bundeswahlausschuss zur Behandlung von Zweitstimmen
in den Wahlkreisen 86 und 87 unterrichtet. Anknüpfend an
die Feststellung, dass die PDS in den Berliner Wahlkreisen
86 und 87 jeweils das Wahlkreismandat errungen habe, wird
zunächst ausgeführt, dass die PDS bei der Verteilung der
Sitze auf die Landeslisten nicht zu berücksichtigen war, da
sie weder 5 % der im Wahlgebiet abgegebenen Zweitstim-
men erhalten noch in mindestens drei Wahlkreisen einen
Sitz errungen habe (§ 6 Abs. 6 Satz 1 BWG). Nach § 6
Abs. 1 Satz 3 BWG waren die beiden Direktmandate der
PDS von der gesetzlichen Abgeordnetenzahl vor der Ver-
hältnisrechnung nach dem Verfahren Niemeyer abzuziehen.
Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
(BVerfGE 79, 161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde
für den damals noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf
die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entspre-
chend zu ergänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an,
dass aufgrund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz
von § 6 Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis
auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1

Drucksache 15/1850 – 24 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-
berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetzge-
ber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungsge-
richts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen hat, in diesen Wahlkreisen nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beeinflus-
sen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei der
Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS gege-
ben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien bereits
nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 BWG
für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt
worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubeziehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in beschränktem Um-
fang – insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Überhang-
mandaten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der
Wählerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgericht von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Dezember 2002 hat
der Bundeswahlleiter gegenüber dem Wahlprüfungsaus-
schuss zur vorsorglich gestellten Frage, ob und ggf. wie sich
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf
die Verteilung der Mandate auswirken könnte, eine Modell-
rechnung übermittelt. Diese zeigt im Ergebnis keine Verän-
derung bei der Mandatsverteilung auf. Ausgehend von der
Feststellung, dass die PDS in den beiden Wahlkreisen zu-
sammen 29 257 Zweitstimmen weniger als Erststimmen er-
zielt hat, wird insoweit zunächst von einem Splitting bei den
Zweitstimmen für konkurrierende Parteien ausgegangen.
Die Modellrechnung betrachtet sodann, welche Landeslis-
ten in den beiden Wahlkreisen mehr Zweit- als Erststimmen
erzielten, und unterstellt, dass die Differenz auf diejenigen
Wähler zurückgeht, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kan-
didatinnen gewählt haben. Die so ermittelten Zweitstimmen
belaufen sich für die SPD auf 16 304, für die Grünen auf
4 847 und für die FDP auf 2 233. Werden sie bei der Ver-

teilrechnung außer Betracht gelassen, ergibt sich gegen-
über dem amtlichen Endergebnis aber keine abweichende
Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis entfielen auf die SPD
18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge damit um 10 277
niedriger als die Gesamtzahl von CDU und CSU. Ange-
merkt wird vom Bundeswahlleiter aber, dass die Modell-
rechnung wegen ihrer Annahmen zum Splittingverhalten
nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit über die Man-
datsrelevanz verschaffen könne. Die genaue Mandatsrele-
vanz ließe sich nur durch Neuauszählung und Feststellung
ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre Zweitstim-
men anderen Landeslisten gegeben haben.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet. Die in der Begründung des Einspruchs
vorgetragenen Einwänden führen nicht zur Feststellung von
Wahlfehlern.
Soweit die Zuteilung von 4 Überhangmandaten an die SPD
und eines Überhangsmandats für die CDU angegriffen wird,
beruht dies auf einer korrekten Anwendung der §§ 6 und 7
Bundeswahlgesetz (BWG). Zu erinnern ist zunächst daran,
dass sich der Wahlprüfungsausschuss und der Deutsche
Bundestag in ständiger Praxis nicht als berufen ansehen, die
Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvorschriften, hier der
§§ 6 und 7 BWG bzw. der durch Gesetz erfolgenden Festle-
gung der Wahlkreise, festzustellen. Diese Kontrolle ist stets
– so zuletzt in der Beschlussempfehlung des Wahlprüfungs-
ausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestagsdrucksache 15/
1150 – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden.
Unbeschadet dessen ist aber zu betonen, dass sich der Bun-
destag wiederholt mit den durch Überhangmandate aufge-
worfenen Fragen befasst, verfassungsrechtliche Bedenken
als nicht durchgreifend angenommen und keinen Ände-
rungsbedarf ermittelt hat.
Die das Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden
Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind 1997 im An-
schluss an Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 1994 ver-
fassungsgerichtlich überprüft worden. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. April 1997
(BVerfGE 95, 335 ff.) die Verfassungsmäßigkeit dieser Vor-
schriften festgestellt und ausdrücklich ausgeführt, dass die
Entstehung von Überhangmandaten ohne Verrechnung und
ohne Ausgleich für die anderen Parteien den Anforderungen
der Wahlgleichheit nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG ge-
nügt und die Chancengleichheit der Parteien wahrt
(BVerfGE 95, 335/357). Auch die vom Bundesverfassungs-
gericht insoweit hervorgehobenen Einschränkungen, insbe-
sondere die vom Einspruchsführer in Bezug genommenen
Maßgaben für die Größe der Wahlkreise, sind beachtet.
Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts hatte sich der Bundestag intensiv mit den Regelungen
zu Überhangmandaten beschäftigt und sie unter Hinzuzie-
hung von Sachverständigen auf ihre Verfassungsmäßigkeit

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 25 – Drucksache 15/1850

überprüft. So war die in der 13. Wahlperiode eingesetzte
Reformkommission zur Größe des Bundestages zu dem Er-
gebnis gekommen, dass die bestehenden wahlrechtlichen
Regelungen, die zum Auftreten von Überhangmandaten
führen können, verfassungsgemäß seien und dass auch
keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit bestehe, Über-
hangmandate durch ergänzende Regelungen, z. B. durch
Ausgleichsmandate oder eine Verrechnung bei den verbun-
denen Landeslisten, auszugleichen. Die Reformkommission
hat im Ergebnis in ihrem Zwischenbericht dem Bundestag
keine Änderungen der §§ 6 und 7 BWG empfohlen (vgl.
Bundestagsdrucksache 13/4560). In ihrem nach der Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts vorgelegten
Schlussbericht hat die Reformkommission einvernehmlich
daran festgehalten, keinen Vorschlag zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes in Bezug auf Überhangmandate vorzu-
legen (Bundestagsdrucksache 13/7950). Diesen Empfehlun-
gen ist der Bundestag gefolgt.
Auch in der Folge hat sich der Bundestag mit der Fragestel-
lung beschäftigt. Zum einen sind Wahleinsprüche gegen die
Bundestagswahl 1998 aus Anlass von damals 13 Überhang-
mandaten zurückgewiesen worden (vgl. Bundestagsdruck-
sache 14/1560 – Anlagen 29, 31 und 32). Zum anderen fan-
den Gesetzentwürfe der 13. Wahlperiode, die die Kom-
pensation von Überhangmandaten vorsahen (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 13/5750; Plenarprotokoll 13/129 vom
11. Oktober 1996; S. 11631 ff.) ebenso wenig eine Mehrheit
wie eine auch auf dieses abzielende Initiative der 14. Wahl-
periode (vgl. Bundestagsdrucksache 14/2150; Plenarproto-
koll 14/134 vom 23. November 1999, S. 12992 ff.).
Für den Gesetzgeber bestand angesichts der Entwicklungen
seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von
1997 kein Anlass, die wahlrechtlichen Bedingungen für
Überhangmandate zu ändern. Soweit laut Bundesverfas-
sungsgericht der Gesetzgeber darauf zu achten hat, dass sich
die Zahl der Überhangmandate in Grenzen hält, hat das Ge-
richt bei der Prüfung, wann sich ein gesetzgeberischer
Handlungsbedarf entwickeln könnte, auf das 5 %-Quorum
zurückgegriffen (BVerfGE 95, 335/349 und 366). Insgesamt
5 Überhangmandate bei der Bundestagswahl 2002 bleiben
jedoch ebenso deutlich unter dieser Grenze wie schon
13 Überhangmandate bei der Wahl 1998.
Soweit das Bundesverfassungsgericht angesichts der unter-
schiedlichen Größe von Wahlkreisen als einem der mögli-
chen Entstehungsgründe für Überhangmandate es für spä-
tere Wahlen nicht mehr genügen ließ, die bisherige Abwei-
chungsgrenze von 33 1/3 %, bezogen auf die durchschnittli-
che Bevölkerungszahl der Wahlkreise einzuhalten, enthält
§ 3 BWG seit 1998 detailliertere Maßgaben für die durch
Gesetz erfolgende Einteilung der Wahlkreise. So soll die
Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von der durchschnittli-
chen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als
15 % nach oben oder unten abweichen; beträgt die Abwei-
chung mehr als 25 %, muss neu abgegrenzt werden (§ 3
Abs. 1 Nr. 3 BWG). Die gesetzliche Regelung in § 3 BWG
hat der Neuverteilung und Neuabgrenzung der Wahlkreise
für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag zugrunde gele-
gen (so im Wahlkreisneueinteilungsgesetz vom 1. Juli 1998
– BGBl. I S. 1698, 3431, geändert durch das 16. Gesetz zur
Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 –
BGBl. I S. 701, berichtigt in BGBl. 2002 I S. 1848).

Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers, der nur
eine Abweichung von maximal 10 % für zulässig hält, be-
gegnen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern bewegen sich im
Beurteilungsspielraum, den das Bundesverfassungsgericht
dem Gesetzgeber im Hinblick auf die im Verhältnis der Be-
völkerungsanteile auf die einzelnen Länder zu verteilenden
Wahlkreise, die örtlichen Gegebenheiten mit Rücksicht auf
zusammengehörende und abgerundete Gebiete einschließ-
lich historisch verwurzelte Verwaltungsgrenzen sowie das
Bedürfnis nach gewisser Kontinuität der räumlichen Gestalt
des Wahlkreises angesichts der persönlichen Beziehung des
direkt gewählten Abgeordneten zum Wahlkreis zuerkannt
hat (BVerfGE 95, 364). Auch die nunmehr bestehende
Obergrenze von 25 %, deren Überschreiten eine Anpassung
erzwingt, liegt deutlich unter dem vom Bundesverfassungs-
gericht beanstandeten früheren Wert von 33 1/3 %. Von da-
her ist der Frage, inwieweit Wahlkreise eine 10 %-Grenze
erheblich überschreiten, im Wahlprüfungsverfahren nicht
nachzugehen.
Auch die durch die gesetzliche Systematik nicht ausge-
schlossene Möglichkeit sogenannter negativer Stimmge-
wichte, wie sie vom Einspruchsführer am Beispiel eines
weiteren Mandats für die SPD für den Fall, dass sie in Ber-
lin 53 997 Zweitstimmen weniger errungen hätte, angeführt
wird, stellt keinen Wahlfehler dar. Die angesprochene Kon-
stellation wird in einer dem Wahlprüfungsausschuss vorlie-
genden Modellrechnung des Bundeswahlleiters verdeut-
licht, wonach – unterstellt, dass die SPD 53 997 Zweitstim-
men weniger erlangt hätte – die SPD-Landesliste in Bremen
3 statt 2 Sitze, die Liste in Berlin dagegen 8 statt 9 erhielte.
Da die SPD in Berlin jedoch 9 Wahlkreise direkt gewonnen
hat, würde insoweit ein Überhangmandat entstehen.
Wie schon zu Einsprüchen gegen die Bundestagswahl 1998
festgestellt, ist der mögliche Effekt eines negativen Erfolgs-
werts bei gewissen Zweitstimmenkonstellationen mit der
Existenz von Überhangmandaten im Rahmen der gesetz-
lichen Regelung verbunden (vgl. Bundestagsdrucksache 14/
1560, S. 177, 185). Bereits in diesen Wahlprüfungsent-
scheidungen ist angemerkt, dass das Bundesverfassungs-
gericht in Kenntnis möglicher negativer Stimmeffekte die
das Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden
Wahlrechtsbestimmungen für verfassungsgemäß erklärt hat.
Der angesprochene Effekt war als „inkonsequente Ausge-
staltung“ von der Antragstellerin des Organstreits vorgetra-
gen und in der mündlichen Verhandlung vom Bundeswahl-
leiter als möglich bezeichnet worden (BVerfGE 95, 335/
343/346).
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht die gegen die
vorgenannten Wahlprüfungsentscheidungen eingelegten Be-
schwerden jeweils mit Beschluss vom 22. Januar 2001
(2 BvC 1/99 und 5/99) verworfen und nur ausgeführt, dass
sie aus den durch ein Berichterstatterschreiben mitgeteilten
Erwägungen offensichtlich unbegründet seien. Im Bericht-
erstatterschreiben wird laut Schreiber (Handbuch des Wahl-
rechts, 7. Auflage, § 6 Rn. 6b) darauf verwiesen, dass mit
der Entscheidung des Gesetzgebers für eine personalisierte
Verhältniswahl der Erfolgswertgleichheit aller Stimmen nur
eine von vornherein begrenzte Tragweite zukomme, so
dass der beanstandete Effekt eines negativen Erfolgswertes
der Wählerstimmen, zu dem das Berechnungsverfahren

Drucksache 15/1850 – 26 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Hare/Niemeyer führe, nicht die Verfassungswidrigkeit der
geltenden Regelung bewirken könne.
Auch soweit der Einspruchsführer im Stimmensplitting von
Erst- und Zweitstimme eine der Ursachen für Überhang-
mandate sieht und einen Missbrauch seitens der Partei
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zugunsten der SPD als Wahl-
manipulation annimmt, kann ein Wahlfehler nicht erkannt
werden. Die Möglichkeit des Stimmensplittings ist durch
§ 4 BWG ausdrücklich zugelassen; danach hat jeder Wähler
zwei Stimmen – eine Erststimme für den Wahlkreisabgeord-
neten und eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste.
Diese Regelung gestattet, die beiden Stimmen für Kandida-
ten bzw. Listen verschiedener Parteien abzugeben. Dem
Wähler soll hierdurch ermöglicht werden, sich imWahlkreis
nach Erwägungen der Persönlichkeitswahl zu entscheiden
und durch Abgabe der Zweitstimme für die Landesliste
einer Partei der allgemeinen politischen Überzeugung par-
teigemäß Ausdruck zu geben. So hat der Wahlprüfungsaus-
schuss in der 13. Wahlperiode ausdrückliche oder still-
schweigende Wahlabsprachen über „Leihstimmen“ grund-
sätzlich als zulässig angesehen (vgl. Bundestagsdrucksache
13/3928, Anlage 22, S. 54 f.). Für verfassungsrechtliche
Bedenken, die bei Vorliegen eines Missbrauchs der recht-
lichen Gestaltungsmöglichkeiten entstehen könnten, wurde
im Hinblick auf die seinerzeitige Rüge, CDU-Politiker hät-
ten zur Abgabe der Zweitstimme für die FDP aufgefordert,
kein ersichtlicher Anhaltspunkt erkannt.
Auch das Bundesverfassungsgericht ist auf das Verhältnis
von Überhangmandaten und Stimmensplitting eingegangen,
ohne aber Einschränkungen auszusprechen. Es hat betont,
dass Wahlrechtsbestimmungen, mit denen verfassungsrecht-
lich zulässige Anliegen verfolgt würden, nicht schon des-
halb zu beanstanden seien, weil sie auch das Entstehen von
Überhangmandaten begünstigten. Die gesetzliche Zulas-
sung des Stimmensplittings rechtfertige sich durch den im
Demokratieprinzip wurzelnden Repräsentationsgedanken
(BVerfGE 95, 367).
Auch der Einwand der Wahlmanipulation begründet keinen
Wahlfehler. Dies folgt schon aus der Parallelwertung des
Bundesverfassungsgerichts bei der Interpretation einer hes-
sischen Bestimmung, die einen Wahlfehler bei gegen die gu-
ten Sitten verstoßendeHandlungen, die dasWahlergebnis be-
einflussen, annahm. Diese Voraussetzungen sollen bei Hand-
lungen privater Dritter, einschließlich Parteien und Kandida-
ten, nur erfüllt sein können, wenn „mit Mitteln des Zwangs
oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst“ … „oder in
ähnlich schwer wiegender Art und auf die Wählerwillensbil-
dung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinreichende
Möglichkeit der Abwehr, z. B. … mit Mitteln des Wahlwett-
bewerbs, bestanden hätte“ (BVerfGE 103, 111/132 f.).
Schließlich ist auch bei der Berücksichtigung der in den
Wahlkreisen 86 und 87 abgegebenen Zweitstimmen kein
Wahlfehler geschehen. Für eine analoge Anwendung von
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf die Ergebnisse in den Wahlkrei-
sen 86 und 87 war kein Raum. Daher waren diejenigen
Zweitstimmen zu berücksichtigen, die von solchen Wählern
für Listen anderer Parteien als der PDS abgegeben worden
sind, die mit ihrer Erststimme die beiden von der PDS vor-
geschlagenen Bewerberinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im

Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer an-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der Be-
rücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 27 – Drucksache 15/1850

Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.
Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen.
Soweit der Einspruchsführer im Zusammenhang mit seiner
Rüge über die Behandlung der Zweitstimmen in den Wahl-
kreisen 86 und 87 auch die direkt erfolgte Wahl des von
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wahlkreis 84 vorgeschla-
genen Kandidaten Ströbele anspricht, ist ein Wahlfehler
weder dargetan noch ersichtlich.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 29 – Drucksache 15/1850

Anlage 5

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. C., 18109 Rostock

– Az.: WP 215/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. November 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt und diesen damit begründet,
dass der Gesetzgeber bei drei Sachverhalten die aus dem
verfassungsrechtlichen Grundsatz der Wahlgleichheit im
Rahmen des geltenden Systems personalisierter Verhältnis-
wahl zu beachtende Erfolgswertgleichheit nicht eingehalten
habe.
Erstens gelte dies für die gemäß § 6 Abs. 4 und 5 Bundes-
wahlgesetz (BWG) angefallenen Überhangmandate, die
nicht vom Proporz der Zweitstimmen getragen seien.
Zweitens richtet sich der Einspruch gegen die Berücksichti-
gung derjenigen Zweitstimmen, die von Wählern, die in den
Berliner Wahlkreisen 86 und 87 mit ihrer Erststimme den
beiden von der PDS vorgeschlagenen Kandidatinnen zum
Mandatserwerb verholfen haben, für Landeslisten anderer
Parteien abgegeben worden sind. Insoweit geht der Ein-
spruchsführer von 29 257 Zweitstimmen aus, wobei die
Zahl erfahrungsgemäß noch höher liegen werde.
Drittens wird eingewandt, dass das Verfahren Hare/Nie-
meyer nicht den Anforderungen der Erfolgswertgleichheit
genüge. Diesen Anforderungen entspreche eindeutig am
besten das Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte
Laguë/Schepers), da es die Quadratabweichungen der
Größe Sitze/Stimmen bei den einzelnen Listen minimiere;
außerdem fielen dann einige Eigenheiten des Verfahrens
Hare/Niemeyer weg. Auf weitere Details verzichtet der Ein-
spruchsführer, da diese der Wissenschaft, allerdings nicht
der Rechtswissenschaft und anscheinend auch nicht den Ge-
richten, seit langem bekannt seien.
Wäre bei der Bundestagswahl 2002 das Verfahren Sainte
Laguë/Schepers angewendet worden, hätte die CDU ein
Mandat mehr bekommen. In der internen Verteilung wäre
auf die CDU-Landesliste in Sachsen ein Sitz weniger, was
sich wegen der dort ausschließlich erzielten Direktmandate
nicht ausgewirkt hätte, und auf die Landesliste in Branden-
burg ein Sitz mehr entfallen.
Da dem Einspruchsführer nach eigenem Bekunden bekannt
ist, dass der Bundestag es in ständiger Praxis ablehnt, im
Wahlprüfungsverfahren die Verfassungswidrigkeit von

Wahlrechtsvorschriften festzustellen, und diese Kontrolle
dem Bundesverfassungsgericht vorbehält, bittet er um eine
möglichst zügige Bearbeitung.
Der Bundeswahlleiter hat mit Stellungnahme vom 23. De-
zember 2002 daran erinnert, dass die Vorschriften zu Über-
hangmandaten nach der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts (BVerfGE 95, 335 ff.) mit dem Grundgesetz
vereinbar sind.
Zu den angesprochenen Berliner Zweitstimmen nimmt der
Bundeswahlleiter auf sein an den Bundestagspräsidenten
gerichtetes Schreiben vom 22. Oktober 2002 sowie seine
Stellungnahme vom 10. Dezember 2002 zu einem anderen
Wahleinspruch (WP 10/02) Bezug. Im erstgenannten
Schreiben vom 22. Oktober 2002 wird über die Beratungen
im Bundeswahlausschuss zu den hier interessierenden
Zweitstimmen unterrichtet. Anknüpfend an die Feststellung,
dass die PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 jeweils
das Wahlkreismandat errungen habe, wird zunächst ausge-
führt, dass die PDS bei der Verteilung der Sitze auf die Lan-
deslisten nicht zu berücksichtigen war, da sie weder 5 % der
im Wahlgebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten noch in
mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen habe (§ 6
Abs. 6 Satz 1 BWG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG waren
die beiden Direktmandate der PDS von der gesetzlichen Ab-
geordnetenzahl vor der Verhältnisrechnung nach dem Ver-
fahren Hare/Niemeyer abzuziehen.
Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
(BVerfGE 79, 161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde
für den damals noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf
die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entspre-
chend zu ergänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an,
dass aufgrund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz
von § 6 Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis

Drucksache 15/1850 – 30 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-
berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetzge-
ber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungsge-
richts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen hat, in diesen Wahlkreisen nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beeinflus-
sen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei der
Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS gege-
ben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien bereits
nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 BWG
für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt
worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubeziehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in beschränktem Um-
fang – insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Überhang-
mandaten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der
Wählerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgericht von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.
Mit dem zweiten, in Bezug genommenen Schreiben vom
10. Dezember 2002 hat der Bundeswahlleiter gegenüber
dem Wahlprüfungsausschuss zur vorsorglich gestellten
Frage, ob und ggf. wie sich eine analoge Anwendung von
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf die Verteilung der Mandate aus-
wirken könnte, eine Modellrechnung übermittelt. Diese
zeigt im Ergebnis keine Veränderung bei der Mandatsvertei-
lung auf. Ausgehend von der Feststellung, dass die PDS in
den beiden Wahlkreisen zusammen 29 257 Zweitstimmen
weniger als Erststimmen erzielt hat, wird insoweit zunächst
von einem Splitting bei den Zweitstimmen für konkurrie-
rende Parteien ausgegangen. Die Modellrechnung betrach-
tet sodann, welche Landeslisten in den beiden Wahlkreisen
mehr Zweit- als Erststimmen erzielten, und unterstellt, dass
die Differenz auf diejenigen Wähler zurückgeht, die mit ih-
rer Erststimme die PDS-Kandidatinnen gewählt haben. Die

so ermittelten Zweitstimmen belaufen sich für die SPD auf
16 304, für die Grünen auf 4 847 und für die FDP auf 2 233.
Werden sie bei der Verteilrechnung außer Betracht gelassen,
ergibt sich gegenüber dem amtlichen Endergebnis aber
keine abweichende Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis ent-
fielen auf die SPD 18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge
damit um 10 277 niedriger als die Gesamtzahl von CDU
und CSU. Angemerkt wird vom Bundeswahlleiter aber,
dass die Modellrechnung wegen ihrer Annahmen zum Split-
tingverhalten nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit
über die Mandatsrelevanz verschaffen könne. Die genaue
Mandatsrelevanz ließe sich nur durch Neuauszählung und
Feststellung ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre
Zweitstimmen anderen Landeslisten gegeben haben.
Soweit der Einspruch das geltende Berechungsverfahren
Hare/Niemeyer betrifft, schließt sich der Bundeswahlleiter
zunächst einem dem Wahlprüfungsausschuss vorliegenden
Bericht des Bundesinnenministeriums an, durch den eine
Prüfbitte des Bundestages (vgl. Bundestagsdrucksache 14/
1560, S. 3) erfüllt worden ist. Dieser Bericht kommt zum Er-
gebnis, dass das Berechnungsverfahren nach Sainte Laguë/
Schepers gegenüber demjenigen nach Hare/Niemeyer als
geringfügig vorzugswürdig zu betrachten, es jedoch der Ge-
staltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen sei, für wel-
ches Verfahren er sich entscheide. Weiterhin verweist der
Bundeswahlleiter auf die Stellungnahme vom 23. Februar
1999 zu zwei Einsprüchen gegen die Bundestagswahl 1998
(WP 65/98 undWP 86/98 – Bundestagsdrucksache 14/1560,
S. 176 f., 184 f.)
Zutreffend sei, dass die CDU bei Anwendung des Verfah-
rens Sainte Laguë/Schepers 191 statt 190 Sitze erhalten und
die Gesamtsitzzahl 604 statt 603 betragen hätte. Dabei hätte
die CDU-Landesliste in Brandenburg 5 statt 4, diejenige in
Sachsen 11 statt 12 erhalten. Angesichts von 13 Direktman-
daten in Sachsen wären auf die CDU dort zwei statt eines
Überhangmandats entfallen.
Abschließend betont der Bundeswahlleiter, dass die Bun-
destagswahl ordnungsgemäß nach dem Bundeswahlgesetz
durchgeführt und die Sitzverteilung nach dem dort vorgese-
henen Verfahren berechnet worden sei. Die Auswahl des
Verfahrens liege im Ermessen des Gesetzgebers. Der Vor-
trag, der Einsatz des Berechnungsverfahrens Sainte Laguë/
Schepers sei verfassungsrechtlich geboten, sei bereits Ge-
genstand der oben erwähnten Wahlprüfungsverfahren WP
65/98 und WP 86/98 gewesen. Die Wahlprüfungsbeschwer-
den habe das Bundesverfassungsgericht jeweils mit Be-
schluss vom 22. Januar 2001 als offensichtlich unbegründet
verworfen (2 BvC 1/99 und 2 BvC 5/99).
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Soweit der Einspruchsführer seinen Einspruch auf die Ver-
fassungswidrigkeit der das Entstehen von Überhangmanda-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 31 – Drucksache 15/1850

ten ermöglichendenBestimmungen des Bundeswahlgesetzes
sowie auf die gesetzliche Festlegung des Berechnungsver-
fahrens Sainte Laguë/Schepers stützt, kann sich hieraus kein
zum Erfolg führenderWahlfehler ableiten lassen. Die Vertei-
lung der Sitze nach der Bundestagswahl 2002 beruht auf
einer korrekten Anwendung des geltenden Wahlrechts. Wie
vom Einspruchsführer selbst angeführt, lehnt der Bundestag
es in ständiger Praxis im Verhältnis zumBundesverfassungs-
gericht immer ab, die Verfassungswidrigkeit von Wahl-
rechtsnormen festzustellen.Davon abgesehen,werden die er-
hobenen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht geteilt.
Zur Zulässigkeit von Überhangmandaten wird an der Auf-
fassung festgehalten, die bereits die Ablehnung des vom
Einspruchsführers gegen die Bundestagswahl 1998 einge-
legten Einspruchs trägt und auf die hier zur Vermeidung von
Wiederholungen Bezug genommen wird (WP 99/98 – Bun-
destagsdrucksache 14/1560, S. 87 ff. – die hiergegen einge-
legte Wahlprüfungsbeschwerde ist vom Bundesverfassungs-
gericht durch Beschluss vom 22. Januar 2001 als offensicht-
lich unbegründet verworfen worden – 2 BvC 17/99).
Über die in Bundestagsdrucksache 14/1560 dargestellten
Beratungen zur Frage der Überhangmandate hinaus ist da-
ran zu erinnern, dass auch andere Wahleinsprüche gegen die
Bundestagswahl 1998 aus Anlass von damals 13 Überhang-
mandaten zurückgewiesen worden sind (vgl. Bundestags-
drucksache 14/1560 – Anlagen 29 und 32). Zudem fanden
Gesetzentwürfe der 13. Wahlperiode, die die Kompensation
von Überhangmandaten vorsahen (vgl. Bundestagsdruck-
sache 13/5750; Plenarprotokoll 13/129 vom 11. Oktober
1996, S. 11631 ff.), ebenso wenig eine Mehrheit wie eine
auch hierauf abzielende Initiative der 14. Wahlperiode (vgl.
Bundestagsdrucksache 14/2150; Plenarprotokoll 14/134
vom 23. November 1999, S. 12992 ff.). Für den Gesetzge-
ber gaben die Entwicklungen seit dem Urteil des Bundes-
verfassungsgerichts keinen Anlass, die wahlrechtlichen Be-
dingungen für Überhangmandate zu ändern. Soweit laut
Bundesverfassungsgericht der Gesetzgeber darauf zu achten
hat, dass sich die Zahl der Überhangmandate in Grenzen
hält, hat das Gericht auf das 5 %-Quorum zurückgegriffen
(BVerfGE 95, 335/349 und 366). Insgesamt 5 Überhang-
mandate bei der Bundestagswahl 2002 bleiben jedoch
ebenso deutlich unter dieser Grenze wie schon 13 Über-
hangmandate bei der Wahl 1998. Soweit es das Bundesver-
fassungsgericht angesichts unterschiedlicher Größe von
Wahlkreisen als einem der möglichen Entstehungsgründe
für Überhangmandate für spätere Wahlen nicht mehr genü-
gen ließ, die bisherige Grenze von 33 1/3 %, bezogen auf
die durchschnittliche Bevölkerungszahl der Wahlkreise ein-
zuhalten, enthält § 3 BWG seit 1998 strengere Maßgaben
für die durch Gesetz erfolgende Einteilung der Wahlkreise.
So soll die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von der
durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise nicht
um mehr als 15 % nach oben oder unten abweichen; beträgt
die Abweichung mehr als 25 %, muss neu abgegrenzt wer-
den (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 BWG). Die gesetzliche Regelung in
§ 3 BWG hat der Neuverteilung und Neuabgrenzung der
Wahlkreise für die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag zu-
grunde gelegen (so zuletzt im 16. Gesetz zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 – BGBl. I S. 701,
berichtigt in BGBl. 2002 I S. 1848).

Auch mit der Frage des verfassungsrechtlich richtigen Be-
rechnungsverfahrens hat sich, wie auch vom Bundeswahl-
leiter herausgestellt, der Bundestag im Rahmen der Wahl-
prüfung zur Bundestagswahl 1998 befasst (vgl. Bundestags-
drucksache 14/1560, S. 178). Zu bekräftigen ist die seiner-
zeitige Bewertung, dass sich mit keinem der drei üblichen
Verfahren mathematisch absolut exakt die Stimmenverhält-
nisse auf die Verteilung der Sitze im Bundestag übertragen
lassen. Gewisse Abstriche sind bei der Erfolgswertgleich-
heit aller Stimmen immer hinzunehmen. Dies liegt daran,
dass die jeweiligen Ansprüche zwar bruchteilsmäßig genau
berechnet werden können, dass aber auch auf bruchteils-
mäßig berechnete Ansprüche immer nur ganzzahlige Sitze
zugeteilt werden können. Jedes Verfahren erfordert daher
Rundungen, deren Methode sich von Verfahren zu Verfah-
ren unterscheidet. Auch gewisse, vom Einspruchsführer
selbst nicht näher akzentuierte Effekte speziell beim Verfah-
ren Hare/Niemeyer beruhen hierauf. Sind aber Ungenauig-
keiten nach jedem Verfahren unvermeidbar, liegt die Aus-
wahl des Verfahrens im Ermessen des Gesetzgebers. Das
Bundesverfassungsgericht hat 1988 gerade mit Blick auf
das Verfahren Hare/Niemeyer festgestellt, dass die Vertei-
lung von Resten ganzer Zahlen auf zu vergebende ganze
Sitze zwangsläufig zu einem real unterschiedlichen Erfolgs-
wert der für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen
führt und im Ergebnis die Entscheidung für ein bestimmtes
System der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers überlassen
bleibt (BVerfGE 79, 169/171). Zu einem späteren Zeitpunkt
hat das Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungsbeschwer-
den, die sich gegen Wahlprüfungsentscheidungen des Bun-
destages insbesondere im Zusammenhang mit dem Effekt
des negativen Stimmgewichts richteten (Bundestagsdruck-
sache 14/1560, S. 176 ff., 183 ff.), jeweils mit Beschluss
vom 22. Januar 2001 (2 BvC 1/99 und 5/99) verworfen und
nur ausgeführt, dass sie aus den durch ein Berichterstat-
terschreiben mitgeteilten Erwägungen offensichtlich un-
begründet seien. Im Berichterstatterschreiben wird laut
Schreiber (Handbuch des Wahlrechts, 7. Auflage, § 6
Rn. 6b) darauf verwiesen, dass mit der Entscheidung des
Gesetzgebers für eine personalisierte Verhältniswahl der Er-
folgswertgleichheit aller Stimmen nur eine von vornherein
begrenzte Tragweite zukomme, so dass der beanstandete
Effekt eines negativen Erfolgswertes, zu dem das Berech-
nungsverfahren Hare/Niemeyer führe, nicht die Verfas-
sungswidrigkeit der geltenden Regelung bewirken könne.
Auch mit Blick auf die tatsächlichen Ergebnisse der Bun-
destagswahl 2002 kann nicht von einer verfassungswidrigen
Verzerrung der Erfolgswertgleichheit durch das geltende
Verfahren anstelle des vom Einspruchsführer bevorzugten
Verfahrens Sainte Laguë/Schepers gesprochen werden. Wie
vom Bundeswahlleiter in einer Modellrechnung ermittelt,
würde sich im Ergebnis nur die Zahl der Sitze der CDU und
damit die Gesamtzahl des Bundestages um einen Sitz erhö-
hen. Die Mehrheitsverhältnisse und das Stärkeverhältnis der
Fraktionen im Bundestag zueinander blieben unberührt, so
dass offen bleiben kann, ob im Ausnahmefall hiervon ab-
weichende Effekte verfassungsrechtliche Qualität hätten. Zu
berücksichtigen wäre in diesem Zusammenhang aber, dass
das Bundesverfassungsgericht nicht ausgleichsfähige Über-
hangmandate – mit Mindestvorgaben für deren Höchstzahl
und die Wahlkreisgrößen – akzeptiert hat, die sogar „die

Drucksache 15/1850 – 32 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Frage von Mehrheit und Minderheit beeinflussen können“
(BVerfGE 95, 335/363).
Hiervon zu trennen ist die nicht auf der verfassungsrechtli-
chen Ebene angesiedelte Frage, ob angesichts bestimmter
Effekte das Verfahren Hare/Niemeyer durch dasjenige nach
Sainte Laguë/Schepers ersetzt werden sollte. Dieser Frage
wird von der Wahlprüfung gesondert nachzugehen sein.
Auch bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86
und 87 abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler ge-
schehen. Für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86 und
87 war kein Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen
zu berücksichtigen, die von solchen Wählern für Listen an-
derer Parteien als der PDS abgegeben worden sind, die mit
ihrer Erststimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen
Bewerberinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im
Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer ana-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der Be-
rücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-

hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.
Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 33 – Drucksache 15/1850

Anlage 6

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn K. H., 53879 Euskirchen

– Az.: WP 33/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 27. September 2003, ergänzt um Schrei-
ben vom 10. Oktober, 18. November 2002 und 11. März
2003, hat der Einspruchsführer, anwaltlich durch sich selbst
vertreten, gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt und diesen auf mehrere
Gründe gestützt.
In Hamburg habe, wie von „Bild am Sonntag“ am 22. Sep-
tember 2002 gemeldet, ein Verein „Demokratie Internatio-
nal“ unter gefälschtem Briefkopf des Senats durch Post-
wurfsendung an 150 000 Haushalte aufgefordert, Brief-
wahlunterlagen anzufordern und an Ausländer weiterzuge-
ben. Es sei davon auszugehen, dass ein erheblicher
Stimmenanteil illegal vergeben worden sei. In der Konse-
quenz müssten in Hamburg, wenn nicht sogar im gesamten
Bundesgebiet Neuwahlen durchgeführt werden. Ein ver-
gleichbarer Aufruf sei laut „Bild am Sonntag“ auch in ande-
ren Städten per E-Mail verbreitet worden.
Ebenfalls laut „Bild am Sonntag“ vom 22. September 2002
habe in Berlin ein so bezeichneter „Bundeswahlmagistrat“
die Bevölkerung aus „Sicherheitsgründen“ aufgefordert,
den Stimmzettel zu unterschreiben, um eine mehrfache
Stimmabgabe zu vermeiden.
Im Wahlkreis 253 (Augsburg-Stadt) hätten sich 40 ausge-
füllte Stimmzettel bereits in den vor dem Wahltag ver-
schlossenen und im Wahllokal deponierten Urnen befunden.
Bezug genommen wird insoweit auf einen Bericht im „Köl-
ner Stadtanzeiger“ vom 10. Oktober 2002. Im Ergebnis
seien alle vorgefertigten Stimmzettel, vor allem solche mit
einer Erststimme für die PDS, für ungültig zu erklären und
das Wahlergebnis insgesamt neu festzustellen. Nach Rechts-
auffassung des Einspruchsführers sei in Ausburg sogar eine
Neuwahl erforderlich.
In Berlin hätten Zweitstimmen derjenigen Wähler, die mit
ihrer Erststimme zwei von der PDS vorgeschlagene Kandi-
datinnen gewählt hätten, und die insbesondere der SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu gute gekommen seien, in
entsprechender Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
nicht berücksichtigt werden dürfen. Nach dieser Bestim-
mung werden Zweitstimmen derjenigen Wähler nicht be-
rücksichtigt, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis er-
folgreichen Einzelbewerber bzw. einen gewählten Kandida-

ten abgegeben haben, für dessen Partei keine Landesliste
zugelassen war. Bezug genommen wird auf einen Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts von 1988 (BVerfGE 79,
161 ff.), der diese Vorschrift als verfassungsmäßig ansah, in
seiner Begründung aber auch den seinerzeit noch nicht ein-
getretenen Fall von ein oder zwei erfolgreichen Direktkan-
didaten einer ansonsten an der 5 %-Hürde scheiternden Par-
tei ansprach, das Fehlen einer diesbezüglichen gesetzlichen
Regelung feststellte und dem Gesetzgeber aufgab, im Blick
auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG entsprechend
zu ergänzen. Der Einspruchsführer geht davon aus, dass
diese Regelung entsprechend hätte angewendet werden
müssen, und stützt dies unter anderem an die vom Bundes-
verfassungsgericht betonte Rechtsklarheit.
In diesem Zusammenhang hat der Einspruchsführer erstma-
lig im Schreiben vom 13. März 2003 die angefallenen Über-
hangmandate angesprochen und insbesondere auf die mit
Stimmengleichheit im Senat getroffene Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts von 1997 (BVerfGE 95, 335 ff.)
verwiesen, wonach Überhangmandate mit gewissen Ein-
schänkungen hinsichtlich ihrer Zahl und der Einteilung der
Wahlkreise als verfassungsmäßig erachtet wurden, weil da-
mit niemals Mehrheiten verändert worden seien. Der Ein-
spruchsführer macht geltend, dass bei einer gemäß § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG analog erfolgenden Nichtberücksichti-
gung der angesprochenen Zweitstimmen die SPD ihren Vor-
sprung an Zweitstimmen gegenüber der CDU/CSU verlie-
ren würde. Behielte die SPD aber über ihre vier Überhang-
mandate einen Vorsprung von drei Mandaten vor der CDU/
CSU, würde dies den wahlrechtlichen Grundsatz der Er-
folgswertgleichheit verletzen.
Schließlich wird beanstandet, dass aus Thüringen nur 17
und nicht 20 Abgeordnete in den Bundestag eingezogen
seien. Zwar hätten bei der Verteilung der Zweitstimmen auf
die Listen diejenigen für die PDS nicht berücksichtigt wer-
den dürfen; diese hätten aber nicht insgesamt von den
Zweitstimmen abgezogen werden dürfen, da ansonsten in
Thüringen weniger Zweitstimmen in die Verteilung einflie-
ßen und sich ein starkes Übergewicht für die SPD manifes-
tieren würde.
Zum Erfolg seines Wahleinspruchs verweist der Ein-
spruchsführer zum einen darauf, dass der Vorsprung der

Drucksache 15/1850 – 34 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

SPD vor der CDU/CSU laut amtlichem Endergebnis von
8 864 auf 6 027 Stimmen gegenüber dem vorläufigen End-
ergebnis geschrumpft und es zu zahlreichen Fehlerberich-
tigungen gekommen sei. Zum anderen sei der Einspruch
wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten und der Auswirkun-
gen auf das Wahlergebnis begründet. Die SPD werde ihren
Stimmenvorsprung verlieren, so dass die CDU/CSU die
stärkste Fraktion im Bundestag mit Konsequenzen für das
Amt des Bundestagspräsidenten sowie die Verteilung der
Vorsitze bei den Ausschüssen stelle. „Rein theoretisch“ sei
auch eine Regierungsbildung durch die Fraktionen der
CDU/CSU und FDP möglich.
Der Landeswahlleiter der Freien und Hansestadt Hamburg
hat zum Aufruf in Hamburg, angeforderte Briefwahlunterla-
gen weiter zu geben, eine Pressemitteilung übersandt, die
unter dem gefälschten Briefkopf der Staatlichen Pressestelle
mit Datum vom 11. September 2002 eine derartige Aktion
vorstellt, befürwortende Aussagen von Bürgermeister von
Beust enthält und berichtet, „in den letzten Tagen“ seien
125 000 Postwurfsendungen verteilt worden. Diese dem
Landeswahlamt bereits am 10. September 2002 zugegan-
gene Pressemitteilung habe den Landeswahlleiter veran-
lasst, bereits am selben Tage mit einer Presseerklärung auf
den Fälschungscharakter und den Straftatbestand des § 107a
Strafgesetzbuch hinzuweisen. Der Landeswahlleiter betont,
dass es keinerlei Anhaltspunkte für eine tatsächliche Vertei-
lung des Aufrufs als Postwurfsendung und auch keine kon-
kreten Hinweise auf entsprechende Einzelfälle, in denen es
tatsächlich zu einer Stimmenweitergabe gekommen wäre,
gegeben habe.
Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg,
deren Akte gemäß § 5 Wahlprüfungsgesetz beigezogen wor-
den ist, ist am 2. Dezember 2002 eingestellt worden, da ein
Täter nicht ermittelt werden konnte.
Zur Aufforderung in Berlin, Stimmzettel zu unterschreiben,
hat der Landeswahlleiter bestätigt, dass in Teilen des Berli-
ner Bezirks Reinickendorf ein entsprechendes Flugblatt
einige Tage vor dem Wahltermin verteilt worden sei. Darauf
hin seien die betreffenden Wahlvorstände veranlasst wor-
den, die Wähler bei Ausgabe der Stimmzettel zu informie-
ren, dass Stimmzettel nicht zu unterschreiben seien, und da-
ran erinnert worden, Stimmzettel durch Beschluss für un-
gültig zu erklären, die in einer das Wahlgeheimnis gefähr-
denden Weise gekennzeichnet seien. Das Bezirkswahlamt
habe nach der Wahl die Beschlussfälle überprüft und festge-
stellt, dass es insgesamt zwei unterschriebene, für ungültig
erklärte Stimmzettel gegeben habe.
Zum Vortrag, in Augsburg hätten sich bereits ausgefüllte
Stimmzettel in den verschlossenen Urnen befunden, be-
zeichnet es der Kreiswahlleiter als ausgeschlossen, dass
vorgezeichnete Stimmzettel in die am Wahlsonntag vor Er-
öffnung der Wahlhandlung geleerten und anschließend ver-
schlossenen Urnen gelangt seien. Aus seiner Stellungnahme
vom 6. November 2002 einschließlich zwei beigefügter
Vermerke, einer ergänzenden Auskunft sowie aus der ge-
mäß § 5 beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwalt-
schaft Augsburg ergibt sich, dass insgesamt 45 Stimmzettel
bei Erst- und Zweitstimme für unterschiedliche Parteien als
vorgekennzeichnet festgestellt worden sind. Diese Stimm-
zettel sind laut Ermittlungsergebnis vor dem Wahltag von
einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung in die Urnen gege-

ben worden. Die Urnen seinen mit Stimmzetteln und sonsti-
gen Unterlagen bestückt und zu den Wahllokalen transpor-
tiert worden. Am Morgen des Wahltages sind die Urnen
nach übereinstimmender Aussage der jeweiligen Wahlvor-
stände entleert und wieder verschlossen worden. Die Vor-
kennzeichnung sei entweder bereits beim Entleeren der
Urne oder später auf Hinweis eines Wählers, dem ein ge-
kennzeichneter Stimmzettel ausgehändigt worden war, oder
bei der einem derartigen Hinweis eines Wählers oder eines
anderen Wahlvorstandes folgenden Durchsicht der noch un-
benutzten Stimmzettel festgestellt worden. Ob es bei Wäh-
lern, die möglicherweise ihren Stimmzettel nicht ganz auf-
geklappt hatten, zu unentdecktem doppelten Ankreuzen we-
gen der am unteren Rand des Stimmzettels befindlichen
Kreise für PDS bzw. NPD gekommen sein könnte, wurde
bei der Durchsicht der ungültigen Stimmen kontrolliert und
unter der Kriterium unterschiedlicher Stifte verneint. Auch
eine erneute Durchsicht unter der Vorgabe – Erstimme PDS,
Zweitstimme NPD + weitere Stimmen – hat nach einem
Vermerk des Kreiswahlleiters nur einen Stimmzettel erge-
ben, bei dem – jeweils mit rotem Holzstift – die Erststimme
der PDS und je eine Zweitstimmen den Republikanern und
der NPD gegeben worden ist. Weitere Auffälligkeiten seien
bei der Überprüfung nicht festzustellen gewesen.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Mitarbeiter der Stadt
Augsburg ist im Ergebnis wegen Absehens von einer Ver-
folgung gemäß § 45 Abs. 1 i.V. m. § 109 Abs. 2 Jugendge-
richtsgesetz eingestellt worden. Die Gründe führen dabei
unter anderem an, dass die Art der Tatbegehung einen Er-
folgseintritt praktisch ausgeschlossen habe.
Zur Frage der Zweitstimmen in Berlin hat der Bundeswahl-
leiter mit Schreiben vom 22. Oktober 2002 an den Bundes-
tagspräsidenten über die Beratungen im Bundeswahlaus-
schuss zu den hier interessierenden Zweitstimmen unter-
richtet. Anknüpfend an die Feststellung, dass die PDS in
den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 jeweils das Wahlkreis-
mandat errungen habe, wird zunächst ausgeführt, dass die
PDS bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nicht
zu berücksichtigen war, da sie weder 5 % der im Wahlgebiet
abgegebenen Zweitstimmen erhalten noch in mindestens
drei Wahlkreisen einen Sitz errungen habe (§ 6 Abs. 6
Satz 1 BWG). Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG waren die bei-
den Direktmandate der PDS von der gesetzlichen Abgeord-
netenzahl vor der Verhältnisrechnung nach dem Verfahren
Niemeyer abzuziehen.
Für den erstmaligen Fall, dass eine Partei das 5 %-Quorum
verfehlt, aber ein oder zwei Direktmandate erzielt, sehe § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG nicht die Nichtberücksichtigung der
Zweitstimmen der Wähler vor, die mit ihren Erststimmen
einen erfolgreichen Wahlkreisbewerber gewählt haben.
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung
zur Verfassungsmäßigkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
(BVerfGE 79, 161/168) ausgeführt, der Gesetzgeber werde
für den damals noch nicht eingetretenen Fall „im Blick auf
die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechts-
klarheit zu erwägen haben, § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG entspre-
chend zu ergänzen.“ Hierzu merkt der Bundeswahlleiter an,
dass aufgrund des Sachzusammenhangs nur der zweite Satz
von § 6 Abs. 1 BWG gemeint sein konnte.
In der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Oktober
2002 hat laut obigem Schreiben ein Beisitzer unter Hinweis

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 35 – Drucksache 15/1850

auf diese Entscheidung gebeten, bei der Ermittlung der gül-
tigen Zweitstimmen in analoger Anwendung des § 6 Abs. 1
Satz 2 BWG die betreffenden Zweitstimmen der Wähler un-
berücksichtigt zu lassen. Der Bundeswahlausschuss habe
dies nach eingehender Erörterung mit fünf Stimmen bei drei
Enthaltungen abgelehnt; für eine analoge Anwendung sei
im Wesentlichen aus folgenden Gründen kein Raum gese-
hen worden:
Der Gesetzgeber habe als Adressat des Hinweises des Bun-
desverfassungsgerichts § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht um die
jetzt eingetretene Fallgestaltung ergänzt. Da der Gesetz-
geber in Kenntnis der Anregung des Bundesverfassungs-
gerichts nicht tätig geworden sei, habe der Bundeswahlaus-
schuss keine Regelungslücke für eine analoge Anwendung
der Gesetzesnorm auf den nicht ausdrücklich geregelten
Sachverhalt gesehen. Der Bundeswahlausschuss habe einer
Entscheidung des Gesetzgebers, ob und ggf. in welcher
Weise gesetzgeberisch dem Hinweis des Bundesverfas-
sungsgerichts gefolgt werde, nicht vorzugreifen vermocht.
Dabei erscheine die Nichtberücksichtigung von Zweitstim-
men der Erststimmenwähler einer Partei, die das 5 %-Quo-
rum verfehlt, aber ein oder zwei Wahlkreismandate errun-
gen hat, in diesen Wahlkreisen nicht ohne weiteres zwin-
gend, da sich die Fallgestaltung nicht unerheblich von den
in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG geregelten Tatbeständen unter-
scheide. Im gesetzlich geregelten Sachverhalt gebe es keine
dem Wahlkreisbewerber entsprechende Landesliste, so dass
alle Wähler, die mit ihren Erststimmen Erfolg hatten, noch-
mals mit ihren Zweitstimmen das Wahlergebnis beeinflus-
sen würden. In den Wahlkreisen 86 und 87 habe es bei der
Bundestagswahl 2002 aber eine Landesliste der PDS gege-
ben und die hierauf entfallenen Zweitstimmen seien bereits
nach § 6 Abs. 6 BWG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 BWG
für die Berechnung der Sitzverteilung nicht berücksichtigt
worden. Weiterhin sei in die Erwägung einzubeziehen,
dass das Bundesverfassungsgericht in beschränktem Um-
fang – insbesondere beim 5 %-Quorum und bei Überhang-
mandaten – eine Differenzierung beim Erfolgswert der
Wählerstimmen hinnehme.
Im Ergebnis hat der Bundeswahlausschuss vor dem Hinter-
grund dieser Erwägungen, der Entscheidung des Bundes-
verfassungsgerichts von 1988 und der jetzt in den beiden
Wahlkreisen eingetretenen Fallgestaltung dem Gesetzgeber
einhellig empfohlen, eine Novellierung des § 6 BWG zu er-
wägen.
Mit einem weiteren Schreiben vom 10. Dezember 2002 hat
der Bundeswahlleiter gegenüber dem Wahlprüfungsaus-
schuss zur vorsorglich gestellten Frage, ob und ggf. wie sich
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG auf
die Verteilung der Mandate auswirken könnte, eine Modell-
rechnung übermittelt. Diese zeigt im Ergebnis keine Verän-
derung bei der Mandatsverteilung auf. Ausgehend von der
Feststellung, dass die PDS in den beiden Wahlkreisen zu-
sammen 29 257 Zweitstimmen weniger als Erststimmen er-
zielt hat, wird insoweit zunächst von einem Splitting bei den
Zweitstimmen für konkurrierende Parteien ausgegangen.
Die Modellrechnung betrachtet sodann, welche Landeslis-
ten in den beiden Wahlkreisen mehr Zweit- als Erststimmen
erzielten, und unterstellt, dass die Differenz auf diejenigen
Wähler zurückgeht, die mit ihrer Erststimme die PDS-Kan-
didatinnen gewählt haben. Die so ermittelten Zweitstimmen

belaufen sich für die SPD auf 16 304, für die Grünen auf
4 847 und für die FDP auf 2 233. Werden sie bei der Ver-
teilrechnung außer Betracht gelassen, ergibt sich gegen-
über dem amtlichen Endergebnis aber keine abweichende
Sitzverteilung. Im Gesamtergebnis entfielen auf die SPD
18 472 364 aller Zweitstimmen; sie läge damit um 10 277
niedriger als die Gesamtzahl von CDU und CSU. Ange-
merkt wird vom Bundeswahlleiter aber, dass die Modell-
rechnung wegen ihrer Annahmen zum Splittingverhalten
nur Anhaltspunkte, aber keine Gewissheit über die Man-
datsrelevanz verschaffen könne. Die genaue Mandatsrele-
vanz ließe sich nur durch Neuauszählung und Feststellung
ermitteln, welche PDS-Erststimmenwähler ihre Zweitstim-
men anderen Landeslisten gegeben haben.
Zur Zahl der 17 Abgeordneten aus Thüringen hat der Bun-
deswahlleiter mit Schreiben vom 3. Februar 2003 ausge-
führt, dass zehn in Wahlkreisen und sieben über die Landes-
listen gewählt worden seien. Unzutreffend sei eine An-
nahme, dass auf jedes Land doppelt so viele Abgeordnete
wie Wahlkreise entfielen. Ein Anspruch der Länder auf eine
„idealtypische regionale Verteilung“ der Sitze existiere
nicht. Vielmehr sei der Wählerwille entscheidend, indem
die Sitze gemäß § 6 Abs. 1 BWG nach den in den einzelnen
Ländern jeweils abgegebenen gültigen Zweitstimmen ver-
teilt würden. Deshalb könne es – begünstigt durch die in § 7
Abs. 1 BWG geregelte Listenverbindung – zu einer „Unter-
repräsentanz“ solcher Länder kommen, die weniger Zweit-
stimmen in die Verteilung einbrächten. In Thüringen habe
die Wahlbeteiligung mit 74, 8 % um 4, 3 % unter der bun-
desweiten gelegen. Zudem seien die zu berücksichtigenden
Zweitstimmen in Thüringen geringer ausgefallen, da dort
die PDS mit 17, 0 % ihren zweithöchsten Anteil errungen
habe.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet, da sich keine Wahlfehler haben feststellen
lassen.
Für Hamburg lässt sich ein Wahlfehler durch die geltend ge-
machte Weitergabe von Briefwahlunterlagen an Dritte nicht
feststellen, da es schon keinerlei Anhaltspunkte gibt, dass es
tatsächlich zu einer derartigen Aktion gekommen ist. Die
Größenordnung von behaupteten 125 000 verteilten Post-
wurfsendungen hätte es nahe gelegt, dass zumindest in Ein-
zelfällen Empfänger einer Postwurfsendung beim Landes-
wahlamt oder anderen Stellen rückgefragt oder ihnen ein
Exemplar übermittelt hätten. Auch in der Presse hat es, so-
weit ersichtlich, vor dem Wahltag nur in der Hamburger
„Tageszeitung“ eine Resonanz gegeben. Die Ausgabe vom
12. September 2003 berichtet über den Aufruf, gibt aber zu-
gleich die Hinweise des Hamburger Landeswahlleiters auf
eine Strafbarkeit wegen Wahlfälschung wieder. Ob der
Aufruf auch in anderen Städten per E-Mail verbreitet wor-
den und ob es zur Weitergabe von Briefwahlunterlagen
gekommen ist, lässt sich mangels näherer, auch vom Ein-

Drucksache 15/1850 – 36 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

spruchsführer nicht vorgetragener Anhaltspunkte nicht fest-
stellen.
Der Aufruf in Berlin, die Stimmzettel zu unterschreiben,
stellt zwar den Versuch einer unzulässigen Einflussnahme
Dritter auf die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl
dar. Als Wahlfehler wäre dieses Vorgehen aber nur zu wer-
ten, wenn der Aufruf in ähnlich schwerwiegender Weise wie
mit Mitteln des Zwangs oder Drucks auf die Wählerwillens-
bildung eingewirkt hat, ohne dass eine hinreichende Mög-
lichkeit der Abwehr bestanden hätte (vgl. BVerfGE 103,
111/133). Da laut Stellungnahme des Landeswahlleiters die
betreffenden Wahlvorstände jedoch aufgefordert wurden,
die Wähler von einer Unterschrift abzuhalten, und es nur
zwei entsprechende Ungültigkeitsfälle gegeben hat, ist von
einer wirksamen Abwehr auszugehen.
Ebenso wenig führen die Vorgänge in Augsburg zur Be-
gründetheit des Wahleinspruchs. Das Verhalten eines Mitar-
beiters der Stadtverwaltung gefährdete zwar die ordnungs-
gemäße Durchführung der Wahlen und muss den für die
Wahldurchführung zuständigen Stellen zugerechnet werden.
Wie sich aus den dem Wahlprüfungsausschuss vorliegenden
Unterlagen und Auskünften ergibt, ist nicht davon auszuge-
hen, dass sich vorgekennzeichnete Stimmzettel, die das Er-
gebnis hätten verfälschen können, nach Verschließen der
Wahlurnen amMorgen des Wahltags in den Urnen befunden
haben. Ebensowenig lässt sich feststellen, dass – abgesehen
von der Frage der Relevanz für das Wahlergebnis – abgege-
bene Stimmen dadurch ungültig geworden sind, dass ein
Wähler bei seiner Stimmabgabe bereits vorhandene Kenn-
zeichnung übersehen und durch seine (zusätzlichen) Stim-
men im Ergebnis ungültig gewählt hat.
Auch bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86
und 87 abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler ge-
schehen. Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
war für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG kein Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen
zu berücksichtigen, die von solchen Wählern für Listen an-
derer Parteien als der PDS abgegeben worden sind, die mit
ihrer Erststimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen
Bewerberinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und
im Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebo-
tene Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis
auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer
Regelungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der
Folgezeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG
geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer an-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-

änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der
Berücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 37 – Drucksache 15/1850

Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.
Die vom Bundeswahlleiter vorgelegten hypothetischen Be-
rechnungen, die nicht zur Änderung der Sitzzuteilung füh-
ren, sind zur Kenntnis genommen worden. Da aber ein
Wahlfehler nicht festzustellen ist, sind Art und Umfang
denkbarer Verschiebungen bei der Mandatsverteilung nicht
entscheidungserheblich. Ihnen ist daher nicht nachzugehen,
insbesondere besteht kein Anlass, die betreffenden Zweit-
stimmen erneut auszählen zu lassen. Schon aus demselben
Grunde war für mögliche Auswirkungen auf die SPD als
stärkste Fraktion im Bundestag bereits die Vorfrage nicht zu
prüfen, ob das Zweitstimmenergebnis oder aber die Zahl der
sich nach § 10 GO-BT zu einer Fraktion zusammenschlie-
ßenden Abgeordneten für den Status als stärkste Fraktion
maßgeblich ist.
Ebenso wenig ist auf die im übrigen erst nach Ablauf der
Einspruchsfrist gemäß § 2 Abs. 4 Wahlprüfungsgesetz vom
Einspruchsführer gestellte Frage einzugehen, ob die Zuwei-
sung von vier Überhangmandaten verfassungsrechtlich Be-
stand haben kann.
Schließlich kann auch die Tatsache, dass aus Thüringen nur
17 Abgeordnete in den Bundestag gewählt worden sind,
keinen Wahlfehler begründen. Die gesetzlichen Vorgaben
sind in der Stellungnahme des Bundeswahlleiters herausge-
stellt worden. Abgesehen davon, dass sich der Bundestag in
Wahlprüfungsangelegenheiten nicht als berufen ansieht,
eine Norm als verfassungswidrig festzustellen, ergeben sich
auch in der Sache im Anschluss an die überzeugenden Aus-
führungen des Bundeswahlleiters zur Bedeutung der Wahl-
beteiligung und der Gesamtzahl berücksichtigungsfähiger
Zweitstimmen keine Bedenken hinsichtlich der Richtigkeit
der einschlägigen Wahlrechtsvorschriften.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 39 – Drucksache 15/1850

Anlage 7

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn Dr. M. G., 72074 Tübingen

– Az.: WP 119/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 20. November 2002, das vorab per
Telefax am 21. November 2002 übermittelt wurde und am
22. November 2002 im Original beim Deutschen Bundestag
eingegangen ist, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen
die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung führt der Einspruchsführer an, dass vor der
Bundestagswahl von „führenden Politikern der jetzigen Re-
gierung“ Äußerungen gemacht worden seien, die die Kennt-
nis über die tatsächlichen „Umstände“ bewusst außer Acht
gelassen oder in verfälschter Form wiedergegeben hätten.
Durch die „Neuigkeiten von aufgetretenen Haushaltslö-
chern“ und nicht eingehaltener Wahlversprechen bestehe in
der Bevölkerung zunehmend die Ansicht, „betrogen“ wor-
den zu sein. Daher sei die Bundestagswahl für unwirksam
zu erklären und es seien baldmöglichst Neuwahlen anzuset-
zen.
Als Beleg hierfür werden mehrere Medienzitate von Bun-
deskanzler Gerhard Schröder, Bundesaußenminister Joseph
Fischer, Bundesfinanzminister Hans Eichel, SPD-Gene-
ralsekretär Franz Müntefering und Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse genannt.
So werden z. B. Aussagen von Bundeskanzler Gerhard
Schröder in einem Flugblatt der SPD von Anfang Septem-
ber 2002 zitiert. Darin werde u. a. geäußert, dass Neuver-
schuldungen vermieden würden, dass Steuererhöhungen
nicht vorgesehen seien, sondern vielmehr Steuerentlastun-
gen und darüber hinaus „Erhöhungen bei Kindergeld und
BAföG“ bereits beschlossen worden und finanziert seien.
Weiterhin wird geäußert, dass die Rentenversicherung im
Hinblick auf „sichere Renten und bezahlbare Beiträge“ re-
formiert werde. Der Einspruchsführer zitiert weiter eine
Beilage der SPD zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom
September 2002, in der mitgeteilt wurde, dass die Steuern
weiter gesenkt worden seien, der Konsolidierungskurs wei-
ter fortgesetzt werde und durch die „nachhaltige Finanzpoli-
tik des Staates die Handlungsfähigkeit des Staates gesi-
chert“ sei. Diese Ausführungen seien von „führenden Politi-
kern der SPD“ imWahlkampf mehrfach wiederholt worden.
Nach der Wahl sei die Bevölkerung mit „erheblichen Fi-
nanzlöchern“ konfrontiert worden, über die Kenntnis in den

„Führungsgremien der SPD“ bestanden haben müsse, wie
sich aus den Aussagen von Spitzenpolitikern von SPD,
CDU, CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ange-
führten Pressezitaten aus der Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung ergebe. Die Zitate beziehen sich auf die Haushaltslage
in der Bundesrepublik Deutschland, die Steuerpolitik, die
Nichteinhaltung der Stabilitätskriterien des Maastricht-Ver-
trages, Unterstützungszusagen für die Elbe-Flutopfer, auf
die Irak-Krise und auf die beabsichtigte Nichterhöhung der
Rentenversicherungsbeiträge. Als Beweismittel benennt der
Einspruchsführer in seiner Einspruchsschrift eine Reihe von
Zeugen.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass er sich durch die von
den Bundestagskandidaten von SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und insbesondere durch die von Bundes-
kanzler Gerhard Schröder gemachten Versprechungen, es
gebe keine Steuererhöhungen, getäuscht sehe. So mussten
die „Führungsgremien der SPD“ seiner Auffassung nach
seit Anfang September Kenntnis darüber gehabt haben, dass
Steuererhöhungen zur Finanzierung der „Haushaltslöcher“
unvermeidbar gewesen seien. In diesem Zusammenhang
hätten auch die deutlich geringer ausfallenden Steuerein-
nahmen, die zu „neuen Finanzlöchern“ führten, bekannt ge-
wesen sein müssen, wie der Einspruchsführer anhand von
Pressezitaten darstellt. Bereits im Mai hätten Informationen
vorgelegen, die Rückschlüsse auf den drastischen Rückgang
der Steuereinnahmen zugelassen und somit die entstehen-
den „Haushaltslöcher“ prognostizierbar gemacht hätten.
Kurze Zeit nach der Wahl sei von „ersten Haushaltslöchern“
die Rede gewesen. Die kurzfristige Vorlage der „Pläne zur
Bewältigung der Probleme“ lasse den Schluss zu, dass die
„Regierungsparteien“ bereits vor der Wahl Kenntnis über
diese Haushaltsdefizite gehabt haben müssten. Der Ein-
spruchsführer sieht in der unterlassenen Mitteilung über die
Absicht von Steuererhöhungen, die bereits vor der Wahl als
notwendig erkannt worden seien, eine „Täuschungshand-
lung“.
Seiner Ansicht nach sei die wahre wirtschaftliche Situation
zum Zwecke der Machterhaltung verschwiegen worden.
Nach dem Demokratieprinzip bestehe eine Informations-
pflicht, um den Willensbildungsprozess im Parlament für
den Bürger transparent zu machen und das „Ergebnis vor
den Augen der Öffentlichkeit“ zu beschließen. Durch diese

Drucksache 15/1850 – 40 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

„Täuschungen“ werde der Kernbereich des Prinzips der re-
präsentativen Demokratie beeinträchtigt.
Der Einspruchsführer trägt weiter vor, dass den Opfern der
Elbeflut-Katastrophe im Rahmen des Wahlkampfes Ver-
sprechungen gemacht worden seien, die von vornherein
nicht hätten eingehalten werden können. Er wirft Bundes-
kanzler Gerhard Schröder vor, mit diesen Versprechen um
Wählerstimmen geworben zu haben. Das Bundesverfas-
sungsgericht habe in diesem Zusammenhang entschieden,
dass ein „Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahl-
kampfnähe“ insbesondere durch die Bundesregierung ein
„Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen
Wahlwerbung“ darstelle (BVerfGE 44, 125 ff.; BVerfGE 63,
230; BVerfGE 78, 350, 362)“. Der Einspruchsführer sieht
darin eine „erhebliche Beeinflussung der Wahl“, die Neu-
wahlen zur Konsequenz haben müssten.
Weiter trägt der Einspruchsführer anhand eines Pressezitats
vor, dass entgegen der Darstellung der SPD in der Beilage
zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der zu Folge die Ar-
beitslosigkeit sinken werde, die Arbeitslosigkeit seit 1998
kontinuierlich ansteige. Auch die Rentenversicherungsbei-
träge würden entgegen den von der Bundesregierung vor
der Wahl gemachten Aussagen nicht stabil bleiben, sondern
vielmehr sei eine Erhöhung der Rentenversicherungsbei-
träge bereits beschlossen.
Der Einspruchsführer ist der Ansicht, die Äußerungen von
Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundesaußenminister
Joseph Fischer, in der Irak-Krise den USA keine Unterstüt-
zung leisten zu wollen, seien aus „wahltaktischen Gründen“
gemacht worden. Er stellt anhand von Pressezitaten dar,
dass sich die beiden Politiker nach der Wahl „um 180 Grad“
gedreht hätten. Auch hier sieht der Einspruchsführer es als
gegeben an, dass mit nicht eingehaltenen Wahlversprechen
um Wählerstimmen geworben worden sei.
Weiterhin vertritt er die Auffassung, dass Bundestagspräsi-
dent Wolfgang Thierse durch Aussagen, man werde sich
nach der Wahl „solidarisch der Hauptstadt gegenüber“ zei-
gen, unzulässige amtliche Wahlbeeinflussung betrieben
habe. Dies deshalb, weil dieser sich im Berliner Wahlkreis
Pankow um ein Direktmandat beworben habe.
Er trägt weiter vor, dass in den Wahlkreisen, in denen die
Kandidatinnen der PDS Direktmandate errungen hätten,
Unregelmäßigkeiten aufgetreten seien. Es seien zu Unrecht
die Zweitstimmen der Stimmzettel berücksichtigt worden,
mit denen per Erststimme die PDS-Kandidatinnen gewählt
worden seien.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichtes „Mängel“ zur
teilweisen Aufhebung der Wahl führten, die das Wahlergeb-
nis und damit die konkrete Zusammensetzung des Bundes-
tages beeinflussen könnten (BVerfGE 1, 430; BVerfGE 4,
370, 372; BVerfGE NJW 2001, 1048, 1051). Diese Auffas-
sung sei auch vom Deutschen Bundestag bestätigt worden,
wie anhand von zwei Bundestagsdrucksachen dargelegt
wird. Der Einspruchsführer ist der Ansicht, dass ein Wahl-
fehler vorliege. Der Wahlfehlertatbestand der „sittenwidri-
gen Wahlbeeinflussung“ sei nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes erfüllt, wenn „in erheblicher
Weise gegen die Grundsätze der Freiheit oder der Gleichheit
der Wahl verstoßen wurde“ (BVerfGE NJW 2001, 1048).

Nach Auffassung des Einspruchsführers stellt die „Wähler-
täuschung“ eine „sittenwidrige Wahlbeeinflussung“ dar. So
könne „unrichtige Wahlpropaganda“ zu einer unerlaubten
Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler führen und auf
Grund der damit zusammenhängenden Beeinträchtigung der
Wahlfreiheit zum Gegenstand der Wahlprüfung werden. Die
Überprüfung der Vorgänge könne nach Auffassung des Ein-
spruchsführers nur durch eine Rechtskontrolle nach dem
Wahlprüfungsgesetz erfolgen. Das Wahlprüfungsverfahren
diene dazu, den „wirklichen Willen“ der Wählerinnen und
Wähler festzustellen und die „Korrektheit aller das Wahl-
ergebnis beeinflussenden Einzelvorgänge zu gewährleis-
ten“.
Nach Ansicht des Einspruchsführers könne eine Entschei-
dung hinsichtlich der Mandatsrelevanz dahinstehen, da das
Wahlergebnis ohnehin äußerst knapp ausgefallen sei. Aus
Presseveröffentlichungen sei zu entnehmen, dass die an der
Regierungsbildung beteiligte SPD im November 2002 er-
heblich schlechtere Umfrageergebnisse erzielt habe, wäh-
rend CDU und CSU bessere Werte erzielten. Die Wählerin-
nen und Wähler hätten seiner Ansicht nach im Falle des Be-
kanntwerdens der „Missstände“ ein anderes Wahlverhalten
gezeigt. Vor dem Hintergrund des knappen Ergebnisses bei
der Bundestagswahl hätten dadurch im Bundestag andere
Mehrheitsverhältnisse mit negativem Ausgang für die SPD
zustande kommen können.
Die Einsetzung eines zum Zeitpunkt der Einlegung des
Wahleinspruchs angekündigten Untersuchungsausschusses
sei der „sachdienliche und richtige Weg“, um die während
des Wahlkampfes gemachten Aussagen zu überprüfen und
die „Informationsflüsse“ aufzudecken. Die Ergebnisse des
einzusetzenden Untersuchungsausschusses müssten „konse-
quenterweise“ die Grundlage einer Wahlprüfung bilden und
zur Überprüfung der Wahl durch den Bundestag führen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu
nehmen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Der Vortrag des Einspruchsführers lässt einen Fehler bei der
Anwendung der für die Wahl geltenden Vorschriften und
Rechtsgrundsätze nicht erkennen. Dies gilt zum einen, so-
weit er sich gegen eine von ihm behauptete Täuschung der
Wählerinnen und Wähler wendet, und zum anderen, soweit
er sich gegen die Berücksichtigung der Zweitstimmen von
Wählerinnen und Wählern in den Berliner Wahlkreisen 86
und 87 wendet, die mit ihrer Erststimme den zwei von der
PDS vorgeschlagenen Kandidatinnen zum Mandatserwerb
verholfen haben und mit ihrer Zweitstimme eine andere Par-
tei gewählt haben.
Die vom Einspruchsführer angeführten Wahlkampfaus-
sagen könnten wahlprüfungsrechtlich nur dann eine unzu-
lässige Wahlbeeinflussung darstellen, wenn durch sie die
Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit verletzt
worden wären (BVerfGE 40, 11/39). Dabei ist anerkannt,

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 41 – Drucksache 15/1850

dass diese Grundsätze nicht nur für den Wahlvorgang selbst
gelten, sondern auch schon für die Wahlvorbereitung und
die in diesem Zusammenhang erfolgende Wahlwerbung
(BVerfGE 44, 125/146).
Für die wahlprüfungsrechtliche Bewertung von Wahlwer-
bung und sog. Wahlmanövern ist zu berücksichtigen, dass
Wahlpropaganda als Werbung für eine „gezielte“ Stimm-
abgabe in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in einer
„Massendemokratie“ wie der Bundesrepublik Deutschland
für die Durchführung einer Wahl im Sinne des Demokratie-
prinzips unerlässlich ist. Sie dient in aller Regel der Wil-
lensbildung und Entschließungsfreiheit der Wählerinnen
und Wähler und ist nicht gegen sie gerichtet. Viele Wahl-
berechtigte werden erst durch einen Wahlkampf dazu be-
stimmt, an der Wahl teilzunehmen und ihre Wahlent-
scheidung zu treffen (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 1
Rn. 15). Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass die
Wählerinnen und Wähler in der Lage sind, Aussagen von
Politikern im Hinblick auf die Besonderheiten von Wahl-
kämpfen richtig einzuschätzen und zu bewerten. Dies gilt
gerade auch für sog. Wahlversprechen.
Das Bundesverfassungsgericht hat – worauf auch der Ein-
spruchsführer hinweist – im Jahre 2001 entschieden, dass
eine Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht von staatli-
chen Stellen ausgeht und in mehr als nur unerheblichem
Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens
einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren beanstandet
werden kann, wenn private Dritte, einschließlich von Par-
teien und einzelnen Kandidaten, mit Mitteln des Zwangs
oder Drucks die Wahlwerbung beeinflusst haben oder wenn
in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf die Wähler-
willensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass eine hinrei-
chende Möglichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs, etwa
mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden hätte (vgl.
BVerfGE 103, 111/132 f.). Außerhalb dieses Bereichs er-
heblicher Verletzungen der Freiheit oder der Gleichheit der
Wahl stellt ein Einwirken von Parteien, einzelnen Wahlbe-
werbern, gesellschaftlichen Gruppen oder sonstigen Dritten
auf die Bildung des Wählerwillens kein Verhalten dar, das
einen Wahlfehler begründet, selbst wenn es als unlauter zu
werten sein und gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen
sollte (BVerfGE 103, 111/133).
Der Einspruchsführer trägt nicht vor, dass aufgrund der von
ihm angeführten Wahlkampfäußerungen ein Zwang oder ein
Druck auf die Wählerinnen und Wähler ausgeübt worden
wäre, der sie mit Nachdruck dazu veranlasst hätte, gerade
wegen dieser Aussagen ihre Wahlentscheidung zu treffen.
Die Oppositionsparteien haben mehrfach die Gelegenheit
wahrgenommen, ihre eigene Einschätzung zu den einzelnen
Themen, insbesondere auch zur Haushalts- und Finanzlage
des Bundes, im Wahlkampf darzustellen. Insbesondere
wurde von der Opposition vor der Wahl die Situation des
Bundeshaushalts und die Problematik der Einhaltung der
Stabilitätskriterien des EG-Vertrages und des Europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakts durch den Bund breit the-
matisiert. Der Wahlwettbewerb zwischen den Parteien
wurde durch die vorgetragenen Äußerungen nicht beein-
trächtigt, so dass eine Verletzung der Grundsätze der Frei-
heit und Gleichheit der Wahl durch eine sog. private Wahl-
beeinflussung nicht vorliegt.

Wenn der Einspruchsführer aus dem Demokratieprinzip
eine Informationspflicht gegenüber den Bürgerinnen und
Bürgern ableitet und Aussagen von Bundeskanzler Gerhard
Schröder zur Elbeflut-Katastrophe als „Öffentlichkeitsarbeit
in Wahlkampfnähe“ qualifiziert, so möchte er offenbar eine
amtliche Wahlbeeinflussung unter Verstoß gegen die Neu-
tralitätspflicht der Bundesregierung im Wahlkampf geltend
machen. Hierbei verkennt der Einspruchsführer, dass sich
auch Amtsträger aktiv am Wahlkampf beteiligen dürfen, um
sich der (Wieder-)Wahl zu stellen, und außerhalb der Aus-
übung ihres Amtes nicht der Neutralitätspflicht unterliegen.
Eine amtliche Wahlbeeinflussung wird jedoch nicht sub-
stantiiert vorgetragen. Bundeskanzler Gerhard Schröder war
auch während der Elbeflut-Katastrophe berechtigt, sowohl
als Bundeskanzler als auch als Vorsitzender der SPD Aussa-
gen hierzu zu machen. Selbst wenn er im Übrigen Verspre-
chungen gegenüber den Opfern der Katastrophe gemacht
haben sollte, so ist nicht erkennbar, dass diese mehr als nur
unerheblich auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt
haben könnten. Eine gewisse Erheblichkeit von amtlichen
Äußerungen ist aber nach der Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts aus dem Jahre 2001 für das Vorliegen einer
unzulässigen amtlichen Wahlbeeinflussung vorausgesetzt
(BVerfGE 103, 111/132 f.).
Diese Maßstäbe gelten auch für die vom Einspruchsführer
angeführten Aussagen von Bundestagspräsident Wolfgang
Thierse im Wahlkampf. Wenn der Einspruchsführer dessen
Aussage, man werde sich nach der Wahl „solidarisch der
Hauptstadt gegenüber“ zeigen, als unzulässige amtliche
Wahlbeeinflussung ansieht, so geht er offenbar davon aus,
einem Amtsträger seien Wahlversprechen im Wahlkampf
von vornherein untersagt. Wie bereits dargelegt, können
sich Amtsträger in vollem Umfang am Wahlkampf beteili-
gen. Deren Äußerungen sind in aller Regel nach den der
oben dargestellten Maßstäben der privaten Wahlbeeinflus-
sung zu beurteilen. Im vorliegenden Fall war es ohne Weite-
res zulässig, eine Verbindung zwischen der Bundespolitik
und der Hauptstadt Berlin herzustellen. Dies gilt umso
mehr, als sich der Bundestagspräsident in der Hauptstadt
Berlin um ein Direktmandat beworben hat.
Unabhängig von der Frage, ob die vom Einspruchsführer
oben dargestellten Äußerungen möglicherweise politisch
untragbar und auch nicht ohne Folgen für die Betroffenen
sein mögen, sind sie wahlprüfungsrechtlich irrelevant, da sie
im Wahlkampf thematisiert und streitig behandelt wurden.
Selbst wenn sich in dem auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion
vom Bundestag am 20. Dezember 2002 eingesetzten Unter-
suchungsausschuss (Bundestagsdrucksache 15/256) heraus-
stellen sollte, dass es unlautere Wahlaussagen von Koali-
tionspolitikern – wie etwa des Bundesfinanzministers oder
des Bundeskanzlers – gegeben hat, hätte dies deshalb auch
keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Wahl.
Beim Untersuchungsausschuss handelt es sich nicht um eine
gerichtsähnliche Institution, sondern allein um ein Instru-
ment der politischen Aufarbeitung von Äußerungen von
Regierungsmitgliedern, die aus der Sicht der Antragsteller
über den Wahlkampf hinaus von Interesse sind, dessen poli-
tische Wertungen aber keine Auswirkungen auf die Gültig-
keit der Bundestagswahl im Jahre 2002 haben. Entgegen der
Auffassung des Einspruchsführers ist es somit nicht notwen-
dig, die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses zur
Grundlage des Wahlprüfungsverfahrens zu machen.

Drucksache 15/1850 – 42 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten kann unab-
hängig von der politischen Bewertung und den möglichen
Folgen nicht festgestellt werden, dass der Wahlwettbewerb
der Parteien durch die vom Einspruchsführer zitierten Äu-
ßerungen in wahlprüfungsrechtlich unzulässiger Weise be-
einträchtigt worden wäre. Unter Würdigung der tatsächli-
chen Feststellungen und der genannten rechtlichen Vorga-
ben ist, unabhängig von den politischen Konsequenzen, ein
Wahlfehler deshalb nicht gegeben.
Diese Entscheidung entspricht zudem deutscher Parla-
mentstradition. Eine Überprüfung der Richtigkeit einzelner
Wahlkampfaussagen kann hiernach nicht zum Gegenstand
des Wahlprüfungsverfahrens gemacht werden, selbst wenn
im Einzelfall ein sog. Wahlmanöver bereits gerichtlich er-
wiesen sein sollte. Würde man eine Überprüfung von Wahl-
kampfaussagen auf deren Richtigkeit zulassen, so könnte
dies unter Umständen sogar zur Folge haben, dass be-
stimmte Wahlmanöver gerade zu dem Zweck durchgeführt
würden, um einen späteren Anfechtungsgrund gegen eine
Wahl zu schaffen (Bundestagsdrucksache VI/1311, S. 32 f.).
Anlässlich des vorliegenden Einspruchs besteht kein An-
lass, von diesen Grundsätzen des Wahlprüfungsrechts Ab-
stand zu nehmen.
Somit erübrigt sich eine Überprüfung der vom Einspruchs-
führer vorgetragenen Wahlkampfaussagen und eine Anhö-
rung der benannten Zeugen für „falsche“ Wahlversprechen.
Soweit sich der Einspruchsführer dagegen wendet, dass in
den Berliner Wahlkreisen, in denen Kandidatinnen der PDS
Direktmandate errungen haben (Wahlkreise 86 und 87),
auch die Zweitstimmen von deren Wählern berücksichtigt
wurden, so begründet dies ebenfalls keinen Wahlfehler. Für
eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG, wo-
nach Zweitstimmen derjenigen Wähler nicht zu berücksich-
tigen sind, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis er-
folgreichen Einzelbewerber bzw. einen gewählten Kandida-
ten abgegeben haben, für dessen Partei keine Landesliste
zugelassen war, auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86
und 87, war kein Raum. Daher waren diejenigen Zweitstim-
men zu berücksichtigen, die von solchen Wählern für Listen
anderer Parteien als der PDS abgegeben worden sind, die
mit ihrer Erststimme die beiden von der PDS vorgeschlage-
nen Bewerberinnen gewählt haben.
Zwar hat sich das Bundesverfassungsgericht 1988
(BVerfGE 79, 161 ff.) an den Gesetzgeber gewandt und im
Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene
Rechtsklarheit zu erwägen gegeben, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
entsprechend zu ergänzen. Dabei ist es unter Verweis auf
die Entstehungsgeschichte der Vorschrift von einer Rege-
lungslücke ausgegangen. Dieser Beschluss hat in der Folge-
zeit aber nicht zu einer Ergänzung von § 6 BWG geführt.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer ana-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-

lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.
Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWGAusnahmen vomGrundsatz der Berück-
sichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und eine
analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grundsätz-
lich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie auch
im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich er-
fassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste un-
berücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine Erst-
stimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme einer
anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben Aus-
gangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesverfas-
sungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stimmen-
splitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG
ausdrücklich erfasstenWahlverhalten hätte sich eine gewisse
Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von drei Di-
rektmandaten fernab jederWahrscheinlichkeit gelegen hätte.
Schließlich könnte eine im Wahlprüfungsverfahren anzu-
ordnende Analogie, um eine angenommene Verfassungs-
widrigkeit eines lückenhaften § 6 Abs. 1 BWG zu beheben,
in Widerspruch geraten zur überkommenen Auffassung des
Wahlprüfungsausschusses und des Bundestages, nicht zur
Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Wahlrechts-
norm berufen zu sein (vgl. zuletzt Beschlussempfehlung des
Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni 2003 – Bundestags-
drucksache 15/1150, Anlage 14).
Im Übrigen ist offen, ob das Bundesverfassungsgericht an
seinem 1988 erteilten Auftrag festhält. So wurde im späte-
ren Urteil zu Überhangmandaten (BVerfGE 95, 335/363)
bei einer Gesamtbetrachtung § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG erneut
gerechtfertigt, ohne aber die Ausführungen von 1988 zu zi-
tieren oder den Auftrag an den Gesetzgeber zu wiederholen.
Auch im Beschluss zur Berufung von Nachrückern trotz
Überhangmandaten (BVerfGE 97, 317/325) wird bei den
Konstellationen, in denen ausschließlich die Erststimme für
den Mandatserwerb von Bedeutung ist, nur die ausdrückli-
che Regelung dargestellt, nicht aber die 1988 als vergleich-
bar erachtete Konstellation erfolgreicher Direktkandidaten,
deren Partei an der 5 %-Hürde scheitert, erwähnt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 43 – Drucksache 15/1850

Selbstverständlich ist auch im Anschluss an die vom Bun-
deswahlleiter übermittelte Empfehlung des Bundeswahlaus-
schusses eine Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht
ausgeschlossen. Hierüber ist aber nicht im Wahlprüfungs-
verfahren zu befinden.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 45 – Drucksache 15/1850

Anlage 8

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn S. R. , 90489 Nürnberg

– Az.: WP 7/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. September 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt.
In der Begründung wird § 6 Abs. 5 Bundeswahlgesetz
(BWG), der Überhangmandate ermöglicht, als mit dem
Grundsatz der Wahlgleichheit des Artikels 38 Abs. 1
Grundgesetz unvereinbar angesehen. Wähler, die mit ihrer
Erststimme zum erfolgreichen Erwerb eines Direktmandats
und dabei durch § 6 Abs. 5 Satz 2 zugelassenen Überhang-
mandaten für die CDU bzw. die SPD beigetragen haben,
hätten bereits durch die Erststimme Einfluss auf die Zusam-
mensetzung des Bundestages genommen. Da auch ihre
Zweitstimmen an der Verteilung der über die Landeslisten
aufzuteilenden Listenmandate beteiligt seien, besäßen diese
Wähler – im Vergleich zu solchen der CSU, der Grünen und
der FDP – faktisch zwei Stimmen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
Wahlprüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündli-
chen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Die Zuteilung von 4 Überhangmandaten an die SPD und
eines Überhangsmandats für die CDU beruht auf einer
korrekten Anwendung der §§ 6 und 7 Bundeswahlgesetz
(BWG).
Die das Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden
Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind 1997 im An-
schluss an Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 1994 ver-
fassungsgerichtlich überprüft worden. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. April 1997
(BVerfGE 95, 335 ff.) die Verfassungsmäßigkeit dieser Vor-
schriften festgestellt und ausdrücklich ausgeführt, dass die
Entstehung von Überhangmandaten ohne Verrechnung und
ohne Ausgleich für die anderen Parteien den Anforderungen
der Wahlgleichheit nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG ge-

nügt und die Chancengleichheit der Parteien wahrt.
(BVerfGE 95, 335/357). Auch die vom Bundesverfassungs-
gericht insoweit hervorgehobenen Einschränkungen, insbe-
sondere die Maßgaben für die Größe der Wahlkreise, sind
beachtet.
Zu erinnern ist zunächst aber daran, dass sich der Wahlprü-
fungsausschuss und der Deutsche Bundestag im Wahlprü-
fungsverfahren in ständiger Praxis nicht als berufen anse-
hen, die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvorschrif-
ten, hier der §§ 6 und 7 BWG bzw. der durch Gesetz erfol-
genden Festlegung der Wahlkreise, festzustellen. Diese
Kontrolle ist stets – so zuletzt in der Beschlussempfehlung
des Wahlprüfungsausschusses vom 31. Mai 2001 – Bundes-
tagsdrucksache 14/6201 – dem Bundesverfassungsgericht
vorbehalten worden.
Unbeschadet dessen ist hier aber zu betonen, dass sich der
Bundestag wiederholt mit den durch Überhangmandate auf-
geworfenen Fragen befasst, aber keinen Änderungsbedarf
ermittelt hat.
Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts hatte sich der Bundestag intensiv mit den Regelungen
zu Überhangmandaten beschäftigt und sie unter Hinzuzie-
hung von Sachverständigen auf ihre Verfassungsmäßigkeit
überprüft. So war die in der 13. Wahlperiode eingesetzte
Reformkommission zur Größe des Bundestages zu dem Er-
gebnis gekommen, dass die bestehenden wahlrechtlichen
Regelungen, die zum Auftreten von Überhangmandaten
führen können, verfassungsgemäß seien und dass auch
keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit bestehe, Über-
hangmandate durch ergänzende Regelungen, z. B. durch
Ausgleichsmandate oder eine Verrechnung bei den verbun-
denen Landeslisten, auszugleichen. Die Kommission hat im
Ergebnis in ihrem Zwischenbericht dem Bundestag keine
Änderungen der §§ 6 und 7 BWG empfohlen (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 13/4560). In ihrem nach der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vorgelegten Schlussbericht
hat die Reformkommission einvernehmlich daran festgehal-
ten, keinen Vorschlag zur Änderung des Bundeswahlgeset-
zes in Bezug auf Überhangmandate vorzulegen (Bundes-
tagsdrucksache 13/7950). Diesen Empfehlungen ist der
Bundestag gefolgt.

Drucksache 15/1850 – 46 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Auch in der Folge hat sich der Bundestag wiederholt mit der
Fragestellung beschäftigt. Zum einen sind einerseits Wahl-
einsprüche gegen die Bundestagswahl 1998 aus Anlass von
damals 13 Überhangmandaten zurückgewiesen worden
(vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560 – Anlagen 29, 31 und
32). Zum anderen fanden Gesetzentwürfe der 13. Wahlperi-
ode, die die Kompensation von Überhangmandaten vorsa-
hen (vgl. Bundestagsdrucksache 13/5750; Plenarprotokoll
13/129 vom 11. Oktober 1996; S. 11631 ff.) ebensowenig
eine Mehrheit wie eine auch auf dieses abzielende Initiative
in der 14. Wahlperiode (vgl. Bundestagsdrucksache 14/
2150; Plenarprotokoll 14/134 vom 23. November 1999,
S. 12992 ff.).
Für den Gesetzgeber bestand angesichts der Entwicklungen
seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von
1997 kein Anlass, die wahlrechtlichen Bedingungen für
Überhangmandate zu ändern. Soweit laut Bundesverfas-
sungsgericht der Gesetzgeber darauf zu achten hat, dass sich
die Zahl der Überhangmandate in Grenzen hält; hat das
Gericht bei der Prüfung, wann sich ein gesetzgeberischer
Handlungsbedarf entwickeln könnte, auf das 5 %-Quorum
zurückgegriffen (BVerfGE 95, 335/349 und 366). Insgesamt
5 Überhangmandate bei der Bundestagswahl 2002 bleiben
jedoch ebenso deutlich unter dieser Grenze wie schon
13 Überhangmandate bei der Wahl 1998.
Soweit das Bundesverfassungsgericht angesichts der unter-
schiedlichen Größe von Wahlkreisen als einem der mögli-
chen Entstehungsgründe für Überhangmandate es für die
seiner Entscheidung folgenden Wahlen nicht mehr genügen
ließ, die bisherige Abweichungsgrenze von 33 1/3 %, bezo-
gen auf die durchschnittliche Bevölkerungszahl der Wahl-
kreise einzuhalten, enthält § 3 BWG seit 1998 detailliertere
und strengere Maßgaben für die durch Gesetz erfolgende
Einteilung der Wahlkreise. So soll die Bevölkerungszahl
eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Bevölke-
rungszahl der Wahlkreise nicht um mehr als 15 % nach
oben oder unten abweichen; beträgt die Abweichung mehr
als 25 %, muss neu abgegrenzt werden (§ 3 Abs. 1 Nr. 3
BWG). Die gesetzliche Regelung in § 3 BWG hat der Neu-
verteilung und Neuabgrenzung der Wahlkreise für die Wahl
zum 15. Deutschen Bundestag zugrunde gelegen (so im
Wahlkreisneueinteilungsgesetz vom 1. Juli 1998 – BGBl. I
S. 1698, 3431, geändert durch das 16. Gesetz zur Änderung
des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 – BGBl. I
S. 701, berichtigt in BGBl. 2002 I S. 1848).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 47 – Drucksache 15/1850

Anlage 9

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H.-J. Z., 73230 Kirchheim

– Az.: WP 76/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2002 hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung führt er an, dass verschiedene Vorschriften
des Wahlrechts verfassungswidrig seien oder bei der Bun-
destagswahl 2002 falsch angewandt worden seien.
Er macht im Einzelnen folgende Einwendungen geltend:
Aufstellung der Landeslisten durch Parteien; System starrer
Listen
Ein Bürger, der nicht Parteimitglied sei, habe nicht die Mög-
lichkeit, ebenso wie ein Parteimitglied ein Listenmandat zu
erringen. Dieser unterschiedliche Zugang zum Wettbewerb
um die Listenmandate verstoße gegen das Diskriminie-
rungsverbot des Artikels 3 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Par-
teimitglieder hätten eine doppelte Chance, Abgeordnete zu
werden. Sie könnten sich sowohl um ein Direktmandat als
auch um ein Listenmandat bewerben. Demgegenüber habe
der „unparteiische Bürger“ keinen Zugang zur Platzierung
auf einer Landesliste. Direktkandidaten einer Partei könnten
über ein Landesliste abgesichert werden; unabhängige Be-
werber hätten diese Möglichkeit nicht.
In vielen Fällen seien Wahlbewerber von Parteien über Lan-
deslisten derart abgesichert, dass ein Großteil dieser Bewer-
ber mit absoluter Sicherheit davon ausgehen könne, Mit-
glied des Bundestages zu werden. Es sei nicht mit dem We-
sen einer Demokratie zu vereinbaren, wenn bereits vor der
Wahl durch das Volk parteiinterne Gremien darüber ent-
schieden, welches Parteimitglied Abgeordneter werde. Die
Wählerinnen und Wähler hätten keine Möglichkeit, zu ver-
hindern, dass abgesicherte Listenbewerber nach der Wahl zu
Mitgliedern des Bundestages würden. Die Möglichkeit der
Absicherung über eine Liste werde parteilosen Bewerbern
in diskriminierender Weise vorenthalten.
Dieses „System starrer Landeslisten“ verletze auch das
Recht der Wählerinnen und Wähler, die Abgeordneten ge-
mäß Artikel 38 Abs. 1 GG frei zu wählen. Sie könnten nicht
verhindern, dass ein abgesicherter Listenbewerber ein Bun-
destagsmandat erhalte.
Parteien hätten nach geltendem Recht zu Unrecht die Mög-
lichkeit, unmittelbar an Wahlen teilzunehmen. Sie seien le-

diglich berechtigt, sich mittelbar an Wahlen zu beteiligen.
Die unmittelbare Teilnahme von Parteien an den Bun-
destagswahlen verstoße gegen § 1 Abs. 2 Parteiengesetz
(PartG). Nach Artikel 38 Abs. 1 GG sei vorgesehen, dass
die Wählerinnen und Wähler sowohl die Direktkandidaten
als auch die Listenbewerber unmittelbar zu wählen hätten.
Darstellung der Landeslisten auf dem Stimmzettel
Der Einspruchsführer wendet sich dagegen, dass auf dem
Stimmzettel nicht jeweils alle von einer Partei oder Vereini-
gung zu wählenden Kandidatinnen und Kandidaten aufge-
führt seien, sondern jeweils nur maximal fünf Bewerber. Es
reiche nicht aus, dass die Wählerinnen und Wähler sich vor
der Wahl in der Presse oder im Internet darüber informieren
könnten, welche Personen auf einer Landesliste platziert
seien. Der Wähler müsse in der Wahlkabine frei abwägen
und entscheiden können, welcher Gesamtheit von Wahl-
bewerbern er durch Bestätigung einer Liste seine Wähler-
stimme gebe. Nur so sei der Grundsatz der Unmittelbarkeit
der Wahl gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG gewährleistet.
Unterschiedliches Gewicht von Erst- und Zweitstimme
Der Einspruchsführer moniert, dass Erststimme und Zweit-
stimme ein unterschiedliches Gewicht hätten. Er führt dies
anhand von Beispielen näher aus, wobei die unterschiedli-
che Gewichtung insbesondere dann deutlich werde, wenn
nur ein Wähler zur Wahl gehe und seine beiden Stimmen
unterschiedlichen Parteien gebe. In diesem Falle entfielen
597 Abgeordnete auf die eine Partei und ein direkt ge-
wählter Abgeordneter auf die andere Partei. Diese ungleiche
Gewichtung der Wählerstimmen sei nicht mit Artikel 38
Abs. 1 GG vereinbar.
Nichtberücksichtigung von Zweitstimmen gemäß § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG (Anwendung der Vorschrift in Schles-
wig-Holstein)
Nach Auffassung des Einspruchsführers wurde § 6 Abs. 1
Bundeswahlgesetz (BWG) bei der Ermittlung des amtlichen
Endergebnisses der Bundestagswahl 2002 in Schleswig-
Holstein falsch angewandt. Der Einspruchsführer versteht
§ 6 Abs. 1 Satz 2 BWG dahingehend, dass die Zweitstim-
men derjenigen Wähler nicht berücksichtigt werden, die
ihre Erststimme für einen im Wahlkreis erfolgreichen Be-

Drucksache 15/1850 – 48 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

werber abgegeben haben, der gemäß § 20 Abs. 3 BWG oder
von einer Partei, für die in dem betreffenden Land keine
Landesliste zugelassen ist, vorgeschlagen ist. In Schleswig-
Holstein seien 1 731 270 Erststimmen und 1 734 959 Zweit-
stimmen als gültig ausgewiesen. Auf die Sieger in den
Wahlkreisen seien rund 838 723 Wählererststimmen entfal-
len. Anstelle der ausgewiesenen 1 734 959 gültigen Zweit-
stimmen hätten demnach nur 896 236 Zweitstimmen
(1 734 959 minus 838 723) berücksichtigt werden dürfen.
5 %-Sperrklausel des § 6 Abs. 6 BWG
Die Bestimmung des § 6 Abs. 6 Satz 1, 1. Alt. BWG, wo-
nach bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nur
Parteien berücksichtigt werden, die mindestens fünf vom
Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweit-
stimmen erhalten, verstoße gegen den Grundsatz der Unmit-
telbarkeit der Wahl nach Artikel 38 Abs. 1 GG. Auch die
auf Landeslisten aufgestellten Wahlbewerber würden nach
der höchstrichterlichen Rechtsprechung unmittelbar vom
Wahlvolk gewählt. Hiergegen werde verstoßen, wenn eine
Partei – wie z. B. die PDS – ein Zweitstimmenergebnis von
vier Prozent erreiche und dieses dann bei der Mandatsver-
teilung unberücksichtigt bleibe. Die PDS hätte nach Auffas-
sung des Einspruchsführers zwingend mit 24 Abgeordneten
im Bundestag vertreten sein müssen. Entsprechend hätten
auch die „Sonstigen“ mit 18 Vertretern im Bundestag plat-
ziert werden müssen. Durch die 5 %-Sperrklausel würden
die kleinen Parteien von der Beteiligung an der souveränen
Ausübung der Staatsgewalt ausgegrenzt.
Unterrepräsentanz ostdeutscher Abgeordneter aufgrund des
Wahlsystems
Nach Auffassung des Einspruchsführers ist den Ländern,
bezogen auf die jeweilige Bevölkerungszahl, eine anteilige
Besetzung der zu vergebenden Bundestagsmandate zu-
zusprechen. Hiernach entfielen beispielsweise auf Berlin
24 Mandate (davon 12 Wahlkreismandate), auf Branden-
burg 20 Mandate (davon zehn Wahlkreismandate) und auf
Sachsen 34 Mandate (davon 17 Wahlkreismandate). Die
Reduzierung dieser Mandatszuweisung durch die verbunde-
nen Landeslisten und die damit einhergehende wahlbeteili-
gungsabhängigen Verteilung der von einer Partei insgesamt
zu beanspruchenden Listenmandate auf die einzelnen Län-
der gemäß dem dort erzielten Erfolg auf eine variable Größe
widerspreche dem Recht der Bevölkerung jedes einzelnen
Bundeslandes, seine Interessen durch eine angemessene an-
teilige Besetzung von Mandaten im Bundestag ausreichend
zu vertreten und wahrzunehmen. Aufgrund der Anwendung
der Bestimmungen des § 6 BWG ergebe sich – ohne Über-
hangmandate – eine hiervon abweichende Verteilung. So
habe Berlin nur neun Listenmandate (statt 12) errungen. Bei
Brandenburg seien es sechs Listenmandate (statt zehn), bei
Mecklenburg-Vorpommern 12 Listenmandate (statt acht),
bei Sachsen 11 Listenmandate (statt 17) sowie bei Sachsen-
Anhalt und Thüringen je sechs Listenmandate (statt jeweils
zehn). Somit seien 23 im Grundsatz den ostdeutschen Län-
dern einschließlich Berlins zugewiesene Mandate tatsäch-
lich von Bewerbern aus den alten Bundesländern „verein-
nahmt“ worden.
Durch die Bestimmungen des § 6 BWG und die Umschich-
tung von Mandaten der ostdeutschen Bundesländer auf die
westdeutschen Bundesländer werde gleichzeitig der Bedarf

an Wählerstimmen pro Mandat angehoben. Diese Erhöhung
werde „ausschließlich und überproportional“ von den Län-
dern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sa-
chen, Sachsen-Anhalt und Thüringen getragen. Es sei nicht
mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl vereinbar,
wenn auf der Grundlage der verbundenen Landeslisten die
einem einzelnen Bundesland zugewiesenen Mandate auf an-
dere Bundesländer verschoben würden.
Verbindung von Landeslisten
Der Einspruchsführer legt anhand eines Beispiels dar, dass
die Verbindung von Landeslisten generell gegen den Grund-
satz der Unmittelbarkeit der Wahl gemäß Artikel 38 Abs. 1
GG verstoße. Würde insgesamt bei einer Bundestagswahl
nur ein Wähler in Baden-Württemberg zur Wahl gehen und
seine Zweitstimme abgeben, so würden der gewählten Par-
tei nicht nur die auf Baden-Württemberg entfallenden Man-
date zufallen, sondern auch die verbleibenden Mandate in
den anderen Bundesländern.
Überhangmandate
Es verstoße gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der
Wahl, dass bei der Bundestagswahl 2002 Überhangmandate
zugewiesen worden seien. Die Wählerinnen und Wähler
könnten nur die vorgesehenen 598 Mandate per Zweit-
stimme vergeben, die ihrerseits mit den 299 in den Wahl-
kreisen zu vergebenden Direktmandaten verrechnet würden.
Darüber hinaus vergebene Mandate (Überhangmandate)
könnten nur mittelbar vergeben werden.
Darüber hinaus beanstandet der Einspruchsführer, dass im
endgültigen amtlichen Ergebnis der Bundestagswahl 2002
nicht ausgewiesen sei, welche Personen durch diese Man-
date zu Abgeordneten geworden seien. Hierdurch werde die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterlau-
fen, wonach ein frei gewordenes Überhangmandat mangels
gesetzlicher Regelung nicht besetzt werden könne.
Anrechnung von Direktmandaten der PDS auf Listen-
mandate anderer Parteien
Die Anrechnung der von den beiden Wahlkreisbewerberin-
nen der PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 erwor-
benen Direktmandate auf die Listenmandate anderer Par-
teien verstoße gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der
Listenwahl. Da die PDS die Sperrklausel in § 6 Abs. 6
BWG verfehlt habe, habe sie keine Listenmandate errungen.
Direktmandate dürften jedoch nicht auf die Listenmandate
angerechnet werden.
Gleichzeitige Ausübung von Landtags- und Bundestags-
mandat
Schließlich verstoße es gegen Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG,
wenn ein Bundestagsabgeordneter gleichzeitig ein Mandat
in einem Landtag oder gar ein Amt als Minister oder Minis-
terpräsident eines Bundeslandes innehabe. Es sei davon aus-
zugehen, dass aufgrund dieses Interessenkonflikts die Be-
troffenen ihr Mandat nicht nach ihrem Gewissen ausüben
könnten. Es sei lediglich eine Regelung zulässig, wonach
mit der Annahme eines Bundestagsmandates automatisch
ein bis dahin ausgeübtes Landtagsmandat bzw. die Mit-
gliedschaft in einer Landesregierung aberkannt werde.
Hieran ändere sich grundsätzlich nicht, wenn in solchen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 49 – Drucksache 15/1850

Fällen dass bereits angenommene Mandat wieder aufgege-
ben werde.
Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchsführers wird
auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Der Bundeswahlleiter hat zu einzelnen Punkten des Wahl-
einspruchs wie folgt Stellung genommen:
Zur Nichtberücksichtigung von Zweitstimmen gemäß § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG (Anwendung der Vorschrift in Schles-
wig-Holstein)
Zur Nichtberücksichtigung von Zweitstimmen hat der Bun-
deswahlleiter darauf aufmerksam gemacht, dass der Ein-
spruchsführer den Inhalt der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG verkenne. Diese Vorschrift sieht eine Nichtberück-
sichtigung vor, falls die Erststimme für einen erfolgreichen
Direktkandidaten abgegeben worden ist, für dessen Partei
keine Landesliste zugelassen war. Ein Fall dieser Vorschrift
habe bei der Bundestagswahl 2002 in Schleswig-Holstein
nicht vorgelegen. Für sämtliche Wahlkreisgewinner sei
nämlich eine Landesliste zugelassen gewesen.
Zur Verfassungswidrigkeit der 5 %-Sperrklausel des § 6
Abs. 6 BWG
Der Einspruchsführer versuche – so der Bundeswahlleiter –
darzustellen, wie eine Sitzverteilung im Deutschen Bundes-
tag ohne die 5 %-Sperrklausel des § 6 Abs. 6 BWG in etwa
aussehe. Dabei verkenne er, dass die Mandate nach den ab-
gegebenen Zweitstimmen nicht über Prozentanteile der Par-
teien berechnet bzw. vergeben würden (§ 6 Abs. 1 BWG).
Zudem sei die Zusammenführung der sonstigen Parteien bei
einem Zweitstimmenanteil von drei Prozent fehlerhaft, da
die Niemeyer-Verteilung – gäbe es die Sperrklausel des § 6
Abs. 6 BWG nicht – für jede einzelne Partei mit der je-
weils errungenen Zweitstimmenanzahl durchgeführt werden
müsste. Die Folge wären weit weniger als 18 Mandate für
die sonstigen Parteien, da die meisten der kleinen Parteien
auch ohne die Sperrklausel – so der Bundeswahlleiter – kei-
nen Sitz erhalten würden. Im Übrigen halte das Bundesver-
fassungsgericht in ständiger Rechtsprechung den Aus-
schluss sog. Splitterparteien bei der Zuteilung von Sitzen im
Rahmen der Verhältniswahl durch eine 5 %-Sperrklausel für
zulässig und die konkrete Ausgestaltung im Bundeswahl-
gesetz für verfassungskonform. Der Bundeswahlleiter be-
zieht sich hierbei exemplarisch auf folgende Entscheidun-
gen des Bundesverfassungsgerichts: BVerfGE 1, 208/248;
BVerfGE 4, 31/40; BVerfGE 4, 142 f.; BVerfGE 4, 375/380;
BVerfGE 5, 77/83.
Zur Unterrepräsentanz ostdeutscher Abgeordneter
Soweit der Einspruchsführer sich gegen eine Unterrepräsen-
tanz ostdeutscher Abgeordneter wende, sei ein Wahlfehler
nicht erkennbar. Die Verteilung der nach – verbundenen –
Landeslisten (§ 7 Abs. 1 BWG) zu besetzenden Sitze gemäß
§§ 6 und 7 BWG sei nach der Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstan-
den (BVerfGE 5, 77/84; BVerfGE 95, 335/348). Der Ein-
spruchsführer stelle dar, wie eine aus seiner Sicht idealtypi-
sche regionale Sitzverteilung aussähe. Danach müsste jedes
Bundesland doppelt so viele Abgeordnete in den Deutschen
Bundestag entsenden wie es Wahlkreise habe. Nach dieser
Prämisse sei die Berechnung des Einspruchsführers korrekt.

Demgegenüber habe das Wahlrecht zum Deutschen Bun-
destag gerade keine Länderquoten vorgeschrieben, nach de-
nen die Abgeordnetensitze zu verteilen wären. Ein An-
spruch der 16 Bundesländer auf eine „idealtypische regio-
nale“ Verteilung der Sitze existiere nicht. Vielmehr messe
das geltende Wahlsystem dem Wählerwillen entscheidende
Bedeutung bei: Die Verteilung der Sitze gemäß § 6 Abs. 1
BWG nach dem Berechnungssystem Hare-Niemeyer richte
sich nach den in den Ländern jeweils abgegebenen gültigen
Zweitstimmen. Deshalb könne es – begünstigt durch die Re-
gelung der Listenverbindung in § 7 Abs. 1 BWG – zu einer
„Unterrepräsentanz“ solcher Länder kommen, die im Ver-
hältnis zu anderen Ländern in Folge unterschiedlicher
Wahlbeteiligung weniger Zweitstimmen in die Verteilung
einbrächten.
Die Berechnung des Einspruchsführers, in der er die tat-
sächliche Verteilung der Mandate auf die Bundesländer der
nach seiner Auffassung „idealtypischen regionalen“ Vertei-
lung gegenüber stelle, sei rein rechnerisch korrekt. Danach
ergebe sich zu Lasten der fünf neuen Bundesländer und Ber-
lins eine von der „idealtypischen regionalen“ Verteilung um
23 Mandate abweichende Abgeordnetenzahl. Dies habe im
Wesentlichen folgende Gründe:
– Die Wahlbeteiligung liege in den neuen Ländern (ein-

schließlich Berlin-Ost) mit 72,8 % deutlich unter derje-
nigen in den alten Bundesländern (einschließlich Berlin-
West) mit 80,6 %. Wegen der geringeren Wahlbeteili-
gung hätten aus dem Osten Deutschlands im Verhältnis
weniger Zweitstimmen an der Sitzverteilung als aus dem
Westen Deutschlands teilgenommen.

– Die PDS habe in Westdeutschland 1,1 % und in Ost-
deutschland 16,9 % der gültigen Zweitstimmen erhalten,
sei aber an der 5 %-Klausel und an der Grundmandats-
klausel des § 6 Abs. 6 BWG gescheitert. Deshalb hätten
die auf die PDS entfallenden Zweitstimmen auch nicht
an der Sitzverteilung nach § 6 Abs. 1 BWG teilgenom-
men. Das habe nochmals dazugeführt, dass aus dem
Osten Deutschlands im Verhältnis zu Westdeutschland
weniger Zweitstimmen in die Verteilung der Sitze ein-
gebracht worden seien.

Aus diesen beiden Gründen komme es – betrachte man die
Zahl der abgegebenen gültigen Zweitstimmen insgesamt –
dazu, dass durchschnittlich gesehen in den neuen Bundes-
ländern mehr Zweitstimmen auf einen Sitz entfielen als in
den alten Ländern. Dies sei aber eine Folge des Systems der
personalisierten Verhältniswahl, das zur Sitzverteilung auf
abgegebenen gültigen Zweitstimmen – mit Ausnahme der
Stimmen aus § 6 Abs. 6 BWG – abstelle. Die Gegenüber-
stellung von abgegebenen Zweitstimmen und Bundestags-
mandaten zur Darstellung der „in den Ländern pro Mandat
erforderlichen Zweitstimmenzahlen“, die der Einspruchs-
führer wiederholt vornehme, gehe deshalb – obwohl in sich
rechnerisch richtig – am geltenden Wahlrecht vorbei.
Zur Anrechnung von Direktmandaten der PDS auf Listen-
mandate anderer Parteien
Soweit der Einspruchsführer den bei der Bundestagswahl
2002 eingetretenen Fall zweier PDS-Direktmandate bei
gleichzeitigem Scheitern der PDS an der 5 %-Sperrklausel
des § 6 Abs. 6 BWG anspreche, missverstehe er die Rege-
lung des § 6 Abs. 1 und 2 BWG und deren Anwendung auf

Drucksache 15/1850 – 50 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

diesen Fall. Er meine zu Unrecht, dass „alle 598 regulären
Mandate über die Listenwahl auf die Parteien mit mehr als
fünf Prozent Stimmenanteil“ zu verteilen gewesen seien.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BWG sei die Verteilung der Man-
date auf die Landeslisten auf die nach § 6 Abs. 1 Satz 3
BWG verbleibenden Sitze beschränkt, d. h. auf 596 Man-
date. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG sei von der Gesamtzahl
der Abgeordneten (598 nach § 1 Abs. 1 BWG) die Zahl der
erfolgreichen Wahlkreisbewerber, die in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG genannt oder von einer nach § 6 Abs. 6 BWG nicht
zu berücksichtigenden Partei vorgeschlagen seien, abzuzie-
hen. Die PDS sei eine solche nach § 6 Abs. 6 BWG nicht zu
berücksichtigende Partei, da sie weder mindestens fünf Pro-
zent der abgegebenen gültigen Zweistimmen erhalten habe
(5 %-Sperrklausel) noch in mindestens drei Wahlkreisen
einen Sitz habe erringen können (Grundmandatsklausel).
Auf die fünf Parteien, CDU, CSU, SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und FDP seien deshalb nur noch 596 Sitze
verteilt worden.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme zur Kennt-
nis gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Ein Wahlfehler ist aufgrund des Vortrags des Einspruchs-
führers nicht feststellbar. Dies ergibt sich bereits daraus,
dass der Einspruchsführer keine konkreten Mängel bei der
Wahlvorbereitung und der Wahldurchführung beanstandet,
sondern im Wesentlichen die Verfassungswidrigkeit wahl-
rechtlicher Vorschriften geltend macht. Der Bundestag und
der Wahlprüfungsausschuss sehen sich nach ihrer ständigen
Praxis nicht berufen, die Verfassungswidrigkeit von Wahl-
rechtsvorschriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets
dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden. Davon
abgesehen, bestehen gegen die angegriffenen Regelungen
keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Soweit sich der Einspruchsführer gegen die Aufstellung der
Landeslisten durch Parteien und das sog. System starrer Lis-
ten wendet, ist zunächst daran zu erinnern, dass sich laut
Bundesverfassungsgericht das auf Parteien beschränkte
Vorschlagsrecht für Landeslisten „aus der Natur der Sache“
ergibt und mit Artikel 38 GG im Einklang steht (BVerfGE
46, 196/199). An anderer Stelle wird hervorgehoben, dass
das Bundeswahlgesetz – von der Aufstellung freier Kreis-
wahlbewerber nach § 20 Abs. 3 BWG abgesehen – die Auf-
gabe, Kandidatenvorschläge für die Wahl in Wahlkreisen
und für Landeslisten einzureichen, „in die Hände der Par-
teien“ gelegt hat (BVerfGE 89, 243/251). Bürgerinnen und
Bürger, die nicht Parteimitglieder sind, sind durch diese
Regelung nicht diskriminiert, weil sie u. a. aufgrund von
Artikel 21 GG sachlich gerechtfertigt ist. Der Frage, ob eine
andere Regelung, die unabhängigen Bewerberinnen und Be-

werbern mehr Einfluss geben würde, sinnvoll wäre, ist im
Wahlprüfungsverfahren nicht nachzugehen.
Das System der starren Liste ist ebenfalls durch das Bundes-
wahlgesetz (vgl. § 6 Abs. 4, § 27 Abs. 3) vorgegeben; die
Reihenfolge der Bewerber auf den Landeslisten der Parteien
ist festgelegt und kann bei der Abgabe der Zweitstimme
nicht verändert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat
wiederholt festgestellt, dass sich das System der „starren“
oder „gebundenen“ Liste im Rahmen der dem Gesetzgeber
eingeräumten Gestaltungsfreiheit bezüglich des Wahlrechts
bewegt und nicht gegen die Grundsätze der unmittelbaren,
freien und gleichen Wahl des Artikels 38 GG verstößt (vgl.
z. B. BVerfGE 7, 63/68 ff.; BVerfGE 47, 253/282). Dabei
hat das Bundesverfassungsgericht bereits in der erstgenann-
ten Entscheidung von 1957 den vom Einspruchsführer he-
rangezogenen Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl ge-
prüft. Hierbei hat das Gericht herausgearbeitet, dass der Un-
mittelbarkeitsgrundsatz nicht nur eine indirekte Wahl durch
Wahlmänner untersagt, sondern auch verbietet, zwischen
Wähler und Wahlbewerber nach der Wahlhandlung eine In-
stanz einzuschieben, die nach ihrem Ermessen die Abgeord-
neten auswählt und damit dem Wähler die Möglichkeit
nimmt, die zukünftigen Abgeordneten selbsttätig zu bestim-
men. Da das Wahlergebnis nach dem geltenden Recht allein
von der im Wahlakt bekundeten Willensentscheidung der
Wähler abhängig sei, bleibe die formal zu interpretierende
Unmittelbarkeit erhalten.
Ein Wahlfehler liegt auch nicht vor, soweit der Einspruchs-
führer sich gegen die Darstellung der Landeslisten auf dem
Stimmzettel wendet. Nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 BWG enthält
der Stimmzettel für die Wahl nach Landeslisten die Namen
der Parteien und, sofern sie eine Kurzbezeichnung verwen-
den, auch diese, sowie die Namen der ersten fünf Bewerber
der zugelassenen Landeslisten. Aufgrund dieser Regelung
erhält der Wähler einen gewissen Einblick und Überblick
über die zu wählenden Personen. Die Tatsache, dass nur die
ersten fünf Bewerber einer Landesliste aufgeführt werden,
beruht auf der Erwägung, dass der Stimmzettel übersichtlich
bleiben soll (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 30 Rn. 3).
Zu Unrecht wendet der Einspruchsführer ein, die Landeslis-
tenbewerber seien bei der Wahl nicht ausreichend bekannt.
Die zugelassenen Landeslisten werden nämlich spätestens
am 48. Tag vor der Wahl öffentlich bekannt gemacht (§ 28
Abs. 3 BWG; § 43 Abs. 1 BWO in Verbindung mit § 86
Abs. 1 BWO). Somit besteht die Möglichkeit, sich mit den
vollständigen Listenwahlvorschlägen rechtzeitig vor der
Wahl vertraut zu machen. Es ist unproblematisch und ver-
stößt auch nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit
der Wahl, wenn sich ein Wähler für den Gesamtwahlvor-
schlag der von ihm bevorzugten Partei entscheidet, ohne die
eingereichte Landesliste dieser Partei im Einzelnen zu ken-
nen (vgl. Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 28 Rn. 10).
Soweit der Einspruchsführer ein unterschiedliches Gewicht
von Erst- und Zweitstimme moniert, verkennt er, dass die
von ihm beschriebenen Auswirkungen auf einer gesetzgebe-
rischen Entscheidung für ein personalisiertes Verhältnis-
wahlsystem beruhen. Der Gesetzgeber hat sich hierfür im
Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit entschieden. Nach § 1
Abs. 1 Satz 2 BWG werden die Abgeordneten in allgemei-
ner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von
denwahlberechtigtenDeutschen nach denGrundsätzen einer

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 51 – Drucksache 15/1850

mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt.
Nach § 4 BWG hat jeder Wähler zwei Stimmen, eine Erst-
stimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine
Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Hierbei ist die
Zweitstimme die entscheidende Stimme, da sie das zahlen-
mäßige Gesamtwahlergebnis der einzelnen Parteien be-
stimmt (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 4 Rn. 1). Ein
entsprechender Hinweis ist imÜbrigen auch auf dem Stimm-
zettel enthalten (vgl. Anlage 26 zur Bundeswahlordnung).
Die vom Einspruchsführer beschriebenen Auswirkungen des
Wahlsystems sind der Sache nach vom Gesetzgeber gewollt
und verstoßen nicht gegen Artikel 38 Abs. 1 GG.
Ein Wahlfehler liegt nicht vor, soweit der Einspruchsführer
eine angebliche Nichtberücksichtigung von Zweitstimmen
gemäß § 6Abs. 1 Satz 2BWG in Schleswig-Holstein geltend
macht. Der Bundeswahlleiter hat in seiner Stellungnahme
dargelegt, dass die Vorschrift, deren Inhalt vom Einspruchs-
führer verkannt worden ist, richtig angewandt worden ist.
Soweit sich der Einspruchsführer gegen die 5 %-Sperrklau-
sel des § 6 Abs. 6 BWG wendet, liegt ein Wahlfehler nicht
vor. Nach § 6 Abs. 6 Satz 1 BWG werden bei der Verteilung
der Sitze der Landeslisten nur Parteien berücksichtigt, die
mindestens fünf vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebe-
nen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei
Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Diese Vorschrift
war von den Wahlorganen als geltendes Recht anzuwenden.
Die Sperrklausel ist vom Bundesverfassungsgericht stets für
verfassungskonform erklärt worden (vgl. zuletzt BVerfGE
95, 335 ff.). Der Bundeswahlleiter hat in seiner Stellung-
nahme zu Recht angeführt, dass die Sperrklausel u. a. auf-
grund des Ausschlusses sog. Splitterparteien gerechtfertigt
ist. Wegen der Einzelheiten zu den in diesem Zusammen-
hang erfolgten Berechnungen des Einspruchsführers wird
auf diese Stellungnahme Bezug genommen.
Soweit der Einspruchsführer eine Unterrepräsentanz ost-
deutscher Abgeordneter aufgrund des Wahlsystems moniert,
so ergibt sich daraus kein Wahlfehler. Der Bundeswahlleiter
macht in seiner Stellungnahme zwar deutlich, dass die vom
Einspruchsführer in diesem Zusammenhang vorgenomme-
nen Berechnungen grundsätzlich zutreffend sind. Die Ver-
teilung der Sitze ist jedoch nach den Vorschriften der §§ 6
und 7 BWG korrekt vorgenommen worden. An der Verein-
barkeit der §§ 6 und 7 BWG mit dem Grundgesetz – insbe-
sondere mit Artikel 38 Abs. 1 GG – bestehen keine Zweifel.
Soweit sich der Einspruchsführer generell gegen die Verbin-
dung von Landeslisten wendet, so liegt auch insoweit kein
Wahlfehler vor. Der Gesetzgeber hat beim Erlass des § 7
Abs. 1 BWG seinen Gestaltungsspielraum nicht überschrit-
ten. Auch soweit der Einspruchsführer anhand eines theore-
tischen Beispiels die möglichen Folgen einer Listenverbin-
dung darstellt, ist dies vom Gesetzgeber so gewollt.
Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers beruht die
Zuteilung von vier Überhangmandaten an die SPD und
eines Überhangmandats an die CDU bei der Bundestags-
wahl 2002 auf einer korrekten Anwendung der §§ 6 und 7
BWG. Die das Entstehen von Überhangmandaten ermögli-
chenden Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind 1997 im
Anschluss an Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 1994
verfassungsgerichtlich überprüft worden. Das Bundesver-
fassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. April

1997 (BVerfGE 95, 335 ff.) die Verfassungsmäßigkeit die-
ser Vorschriften festgestellt und ausgeführt, dass die Entste-
hung von Überhangmandaten ohne Verrechnung und ohne
Ausgleich für die anderen Parteien den Anforderungen der
Wahlgleichheit nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG genügt
und die Chancengleichheit der Parteien wahrt (BVerfGE 95,
335/357). Auch die vom Bundesverfassungsgericht inso-
weit hervorgehobenen Einschränkungen, insbesondere die
Maßgaben für die Größe der Wahlkreise, sind beachtet. Wie
bereits dargelegt, sehen sich der Bundestag und der Wahl-
prüfungsausschuss nicht als berufen an, die Verfassungs-
widrigkeit von Wahlrechtsvorschriften festzustellen. Unbe-
schadet dessen ist zu betonen, dass sich der Bundestag wie-
derholt mit den durch Überhangmandate aufgeworfenen
Fragen befasst, aber keinen Änderungsbedarf ermittelt hat.
Beispielsweise ist die in der 13. Wahlperiode eingesetzte
Reformkommission zur Größe des Bundestages einver-
nehmlich zu dem Ergebnis gekommen, keinen Vorschlag
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes in Bezug auf Über-
hangmandate vorzulegen, weil die bestehenden wahlrechtli-
chen Regelungen verfassungsgemäß seien und auch keine
Notwendigkeit zum Erlass ergänzender Regelungen (z. B.
durch Ausgleichsmandate oder eine Verrechnung bei den
verbundenen Landeslisten) bestehe (Bundestagsdrucksache
13/7950). Schließlich führt auch der Einwand des Ein-
spruchsführers, dass im endgültigen amtlichen Ergebnis der
Bundestagswahl 2002 nicht ausgewiesen sei, welche Perso-
nen durch die Überhangmandate zu Abgeordneten gewor-
den seien, zu keiner anderen Beurteilung. Aufgrund der gel-
tenden Regelungen zur Verteilung der Mandate lässt sich
nämlich ohne weiteres ermitteln, welche Personen ein Über-
hangmandat errungen haben.
Darüber hinaus ist die Anrechnung von Direktmandaten der
PDS auf Listenmandate anderer Parteien zu Recht erfolgt.
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BWG ist die Verteilung der Mandate
auf die Landeslisten auf die nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG
verbleibenden Sitze beschränkt. Nach § 6 Abs. 1 Satz 3
BWG wird von der Gesamtzahl der Abgeordneten die Zahl
der erfolgreichen Wahlbewerber abgezogen, die von einer
Partei vorgeschlagen sind, die an der Sperrklausel des § 6
Abs. 6 BWG gescheitert ist. Dies war bei der PDS der Fall,
so dass nach § 6 Abs. 1 Satz 3 BWG 596 Sitze für die Ver-
teilung verblieben sind. Anhaltspunkte für eine vom Ein-
spruchsführer geltend gemachte Verletzung des Grundsatzes
der Unmittelbarkeit der Wahl sind nicht ersichtlich.
Soweit sich der Einspruchsführer schließlich gegen die
Möglichkeit einer gleichzeitige Ausübung von Landtags-
und Bundestagsmandat wendet, bedarf dies keiner Überprü-
fung im Wahlprüfungsverfahren. Nach § 49 BWG können
Entscheidungen und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf
das Wahlverfahren beziehen, nur mit den im Bundeswahl-
gesetz und in der Bundeswahlordnung vorgesehenen
Rechtsbehelfen sowie im Wahlprüfungsverfahren angefoch-
ten werden. Regelungen über die Vereinbarkeit oder Unver-
einbarkeit anderer Ämter mit einem Bundestagsmandat ha-
ben keinen Bezug zur Durchführung der Bundestagswahl
und unterliegen somit nicht der Nachprüfung im Wahlprü-
fungsverfahren.
Der Einspruch ist somit insgesamt als offensichtlich unbe-
gründet im Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzu-
weisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 53 – Drucksache 15/1850

Anlage 10

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn K. J. F., 61381 Friedrichsdorf

– Az.: WP 128/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 20. November 2002, das am 21. No-
vember 2002 per Telefax beim Deutschen Bundestag ein-
gegangen ist, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer begründet seinen Einspruch im
Wesentlichen damit, dass er den Verdacht des Wahlbetrugs
und eine „massive Wahlmanipulation“ von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der von einer Koali-
tion dieser Parteien getragenen Bundesregierung als gege-
ben ansehe.
Er trägt vor, dass u. a. Bundeskanzler Gerhard Schröder vor
der Wahl Aussagen gemacht habe, dass die Kranken- und
Rentenversicherungsbeiträge stabil seien und nicht erhöht
würden, eine Erhöhung der Steuern nicht vorgesehen sei,
unter einer von der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
getragenen Bundesregierung das Staatsdefizit abgebaut
würde, die Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages ein-
gehalten würden und dass CDU und CSU im Falle ihres
Wahlsieges das Staatsdefizit erhöhen würden. Nach Ansicht
des Einspruchsführers werde nach der Wahl von SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN entgegen dieser Wahlkampf-
aussagen die Neuverschuldung durch einen Nachtragshaus-
halt „kräftig“ erhöht. Weiterhin seien nach seiner Auffas-
sung Steuererhöhungen und Erhöhungen der Kranken- und
Rentenversicherung beabsichtigt. Auch habe Bundesfinanz-
minister Hans Eichel erklärt, das Staatsdefizit liege weit
über drei Prozent. Er trägt weiter vor, dass die schlechte
wirtschaftlich Lage in der Bundesrepublik Deutschland be-
reits vor der Wahl bestanden habe und sich nicht innerhalb
weniger Wochen habe ändern können. Da dies seiner Mei-
nung nach SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewusst
hätten, liege hier eine „arglistige Wählertäuschung“ vor. Da
diese beiden Parteien nicht das umgesetzt hätten, was vor
der Wahl versprochen worden sei, und die Bürgerinnen und
Bürger einen Nachteil erlitten, sei seiner Ansicht nach der
Tatbestand des Betruges erfüllt. Nach Auffassung des Ein-
spruchsführers sei die Bundestagswahl auf Grund des „Be-
truges und des Bruches von Wahlversprechen“ aufzuheben.
Hierzu lägen einschlägige Gerichtsurteile vor, die analog
anzuwenden seien.

Die Bundestagswahl sei noch aus einem weiteren Grund zu
annullieren. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts aus dem Jahre 1977 habe sich die Bundesregierung
„parteiergreifender“ Einwirkungen auf die Wahl zu enthal-
ten. Neben dem Gebot der äußersten Zurückhaltung wäh-
rend der Zeit vor der Wahl stehe das Verbot von mit Haus-
haltsmitteln betriebener Öffentlichkeitsarbeit in Form von
Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsberichten. Nach Auffassung
des Einspruchsführers habe die Bundesregierung mit der
Herausgabe der Zeitungsbeilage zum Zuwanderungsgesetz
dieses Verbot verletzt.
Gemeint ist hier die vielen Tageszeitungen am 21. und
22. August 2002 in Briefform beigefügte Beilage mit dem
Titel „Im Interesse Deutschlands: Öffnen Sie Ihre Zukunft“.
Inhalt dieser Beilage ist sinngemäß das aus Sicht der Bun-
desregierung bestehende dringende Erfordernis eines Zu-
wanderungsgesetzes. Die Schaffung einer Zuwanderungsre-
gelung – so die Bundesregierung – gewährleiste u. a., dass
die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer
besser integriert würden und die Zuwanderungsströme unter
Beachtung des Asylrechts effektiver zu steuern seien. Be-
standteil der Beilage ist eine Reihe von häufig gestellten
Fragen, die im Folgenden auszugsweise dargestellt werden.
So wird in der Beilage u. a. die Frage, ob es durch die Zu-
wanderung noch mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt
gebe, dahingehend beantwortet, dass durch das Zuwande-
rungsgesetz festgelegt sei, dass Ausländer nur dann zuwan-
dern dürften, wenn für den freien Arbeitsplatz in ganz
Deutschland keine inländischen Arbeitnehmer zur Verfü-
gung stünden. Dabei werde der Bedarf an Arbeitskräften
zum Einen durch das Arbeitsamt anhand offener Stellen und
der Möglichkeit der Besetzung durch inländische Arbeits-
kräfte überprüft. Zum Anderen werde durch die Ausländer-
behörden geprüft, ob weitere Zuwanderer problemlos inte-
griert werden können. Auch die Frage, ob durch die Zuwan-
derung die „Sozialkassen“ stärker belastet würden, wird
verneint, da das Zuwanderungsgesetz für die Zuwanderung
den gesicherten Lebensunterhalt des dauerhaft in der Bun-
desrepublik Deutschland lebenden Ausländers voraussetze.
Die Beilage beinhalte nach Ansicht des Einspruchsführers
„linksradikales Sprachgut“, sei eine Manipulation der Wäh-
lerinnen und Wähler und verstoße gegen die Neutralitäts-
pflicht der Bundesregierung. Die Herausgabe dieser Beilage

Drucksache 15/1850 – 54 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

sei auch vom ehemaligen Sprecher der Bundesregierung
Uwe-Karsten Heye in einem Presseartikel des „Tagesspie-
gels“ vom 25. August 2002 bestätigt worden. In diesem Ar-
tikel führte der Pressesprecher der Bundesregierung aus,
dass die in der Beilage enthaltene Information ein Beitrag
dazu sei, „der Öffentlichkeit die Politik der Bundesregie-
rung, die Maßnahmen und Vorhaben, sowie die zu lösenden
Fragen darzulegen und zu erläutern“. Damit habe nach An-
sicht des Einspruchsführers die Bundesregierung die nach
der Verfassung vorgeschriebene Neutralitätspflicht verletzt
und die Wählerinnen und Wähler manipuliert.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
wies in einer Pressemitteilung vom 21. August 2002 auf
die Zeitungsbeilage hin. Hierin wurde mitgeteilt, dass mit
dieser Beilage ausführlich über den Inhalt des Zuwande-
rungsgesetzes informiert werde. Die Beilage erreiche rund
44 Millionen Bürgerinnen und Bürger. Die Modernisie-
rung der rechtlichen Regelung zur Zuwanderung sei von
Beginn der 14. Wahlperiode an eines der zentralen Geset-
zesvorhaben der Bundesregierung gewesen. Nach dem for-
malen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens am 20. Juni
2002 (Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten) habe
die Bundesregierung am 24. Juni 2002 mit einer ersten An-
zeige in den überregionalen Tageszeitungen über die we-
sentlichen Bestimmungen des Gesetzes informiert. Damit
seien schätzungsweise 3,6 Millionen Bürgerinnen und Bür-
ger erreicht worden. Seit dem 24. Juni 2002 seien die zen-
tralen Bestimmungen des Zuwanderungsgesetzes auch auf
der Internet-Informationsplattform der Bundesregierung
verfügbar. Der Veröffentlichungstermin der Beilage „Im
deutschen Interesse“ sei produktionstechnisch bedingt. Die
Gesamtkosten aller Maßnahmen beliefen sich auf rund
2,85 Mio. Euro.
Aus einer AP-Meldung vom 21. August 2002 geht hervor,
dass die Bundesregierung außerdem mit einer Beilage in
Nachrichtenmagazinen über das Thema Nachhaltigkeit und
über den Umweltgipfel in Südafrika informiert hat. Das
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung wies da-
raufhin, dass die Bundesregierung bereits am 7. Juni 2002
in einer Antwort auf mehrere parlamentarische Anfragen
beide Informationskampagnen angekündigt habe.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Der Vortrag des Einspruchsführers lässt einen Fehler bei der
Anwendung der für die Wahl geltenden Vorschriften und
Rechtsgrundsätze nicht erkennen. Dies gilt zum einen,
soweit er sich gegen eine von ihm behauptete Täuschung
der Wählerinnen und Wähler durch Wahlkampfaussagen
wendet, und zum anderen, soweit er in einer am 21. und
22. August 2002 verteilten Zeitungsbeilage zum Zuwan-
derungsgesetz einen wahlprüfungsrelevanten Verstoß sieht.

Die vom Einspruchsführer angeführten Wahlkampfaussa-
gen könnten wahlprüfungsrechtlich nur dann eine unzuläs-
sige Wahlbeeinflussung darstellen, wenn durch sie die
Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit verletzt
worden wären (BVerfGE 40, 11/39). Dabei ist anerkannt,
dass diese Grundsätze nicht nur für den Wahlvorgang selbst
gelten, sondern auch schon für die Wahlvorbereitung und
die in diesem Zusammenhang erfolgende Wahlwerbung
(BVerfGE 44, 125/146).
Für die wahlprüfungsrechtliche Bewertung von Wahlwer-
bung und sog. Wahlmanövern ist zu berücksichtigen, dass
Wahlpropaganda als Werbung für eine „gezielte“ Stimm-
abgabe in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in einer
„Massendemokratie“ wie der Bundesrepublik Deutschland
für die Durchführung einer Wahl im Sinne des Demokratie-
prinzips unerlässlich ist. Sie dient in aller Regel der Wil-
lensbildung und Entschließungsfreiheit der Wählerinnen
und Wähler und ist nicht gegen sie gerichtet. Viele Wahlbe-
rechtigte werden erst durch einen Wahlkampf dazu be-
stimmt, an der Wahl teilzunehmen und ihre Wahlentschei-
dung zu treffen (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 1
Rn. 15). Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass die
Wählerinnen und Wähler in der Lage sind, Aussagen von
Politikern im Hinblick auf die Besonderheiten von Wahl-
kämpfen richtig einzuschätzen und zu bewerten. Dies gilt
gerade auch für sog. Wahlversprechen.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2001 entschie-
den, dass eine Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht
von staatlichen Stellen ausgeht und in mehr als nur unerheb-
lichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wähler-
willens einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren bean-
standet werden kann, wenn private Dritte, einschließlich
von Parteien und einzelnen Kandidaten, mit Mitteln des
Zwangs oder Drucks die Wahlwerbung beeinflusst haben
oder wenn in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf
die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass
eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr oder des Aus-
gleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden
hätte (vgl. BVerfGE 103, 111/132 f.). Außerhalb dieses Be-
reichs erheblicher Verletzungen der Freiheit oder der
Gleichheit der Wahl stellt ein Einwirken von Parteien, ein-
zelnen Wahlbewerbern, gesellschaftlichen Gruppen oder
sonstigen Dritten auf die Bildung des Wählerwillens kein
Verhalten dar, das einen Wahlfehler begründet, selbst wenn
es als unlauter zu werten sein und gegen gesetzliche Bestim-
mungen verstoßen sollte (BVerfGE 103, 111/133).
Der Einspruchsführer trägt nicht vor, dass aufgrund der von
ihm angeführten Aussagen ein Zwang oder ein Druck auf
die Wählerinnen und Wähler ausgeübt worden wäre, der sie
mit Nachdruck dazu veranlasst hätte, gerade wegen dieser
Aussagen ihre Wahlentscheidung zu treffen. Die Opposi-
tionsparteien haben mehrfach die Gelegenheit wahrgenom-
men, ihre eigene Einschätzung zu den einzelnen Themen,
insbesondere auch zur Haushalts- und Finanzlage des Bun-
des, im Wahlkampf darzustellen. Insbesondere wurde von
der Opposition vor der Wahl die Situation des Bundeshaus-
halts und die Problematik der Einhaltung der Stabilitätskri-
terien des EG-Vertrages und des Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakts durch den Bund breit thematisiert. Der
Wahlwettbewerb zwischen den Parteien wurde durch die
vorgetragenen Äußerungen nicht beeinträchtigt, so dass eine

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 55 – Drucksache 15/1850

Verletzung der Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der
Wahl durch eine sog. private Wahlbeeinflussung nicht vor-
liegt.
Soweit der Einspruchsführer durch seinen Hinweis auf
Aussagen der „damaligen Bundesregierung“ und die Be-
zugnahme auf Äußerungen von Bundeskanzler Gerhard
Schröder und Bundesfinanzminister Hans Eichel, mögli-
cherweise eine amtliche Wahlbeeinflussung geltend machen
möchte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine amt-
liche Wahlbeeinflussung durch Wahlkampfäußerungen von
Politikern der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wird nämlich nicht substantiiert vorgetragen. Im Übrigen ist
– selbst wenn die eine oder andere Äußerung ausschließlich
in amtlicher Eigenschaft gemacht worden sein sollte – nicht
erkennbar, dass die betreffenden Äußerungen mehr als nur
unerheblich auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt
haben könnten.
Unabhängig von der Frage, ob derartige Äußerungen mögli-
cherweise politisch untragbar und auch nicht ohne Folgen
für die Betroffenen sein mögen, sind sie wahlprüfungsrecht-
lich irrelevant, da sie im Wahlkampf thematisiert und strei-
tig behandelt wurden. Selbst wenn sich in dem auf Antrag
der CDU/CSU-Fraktion vom Bundestag am 20. Dezember
2002 eingesetzten Untersuchungsausschuss (Bundestags-
drucksache 15/256) herausstellen sollte, dass es unlautere
Wahlaussagen von Politikerinnen und Politikern der Koali-
tion – wie etwa des Bundesfinanzministers oder des Bun-
deskanzlers – gegeben hat, hätte dies deshalb auch keine
Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Wahl. Beim Un-
tersuchungsausschuss handelt es sich nicht um eine gericht-
sähnliche Institution, sondern allein um ein Instrument der
politischen Aufarbeitung von Äußerungen von Regierungs-
mitgliedern, die aus der Sicht der Antragsteller über den
Wahlkampf hinaus von Interesse sind, dessen politische
Wertungen aber keine Auswirkungen auf die Gültigkeit der
Bundestagswahl im Jahre 2002 haben.
Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten kann unab-
hängig von der politischen Bewertung und den möglichen
Folgen nicht festgestellt werden, dass der Wahlwettbewerb
der Parteien durch die vom Einspruchsführer zitierten
Äußerungen in wahlprüfungsrechtlich unzulässiger Weise
beeinträchtigt worden wäre. Unter Würdigung der tatsäch-
lichen Feststellungen und der genannten rechtlichen Vor-
gaben ist, unabhängig von den politischen Konsequenzen,
ein Wahlfehler deshalb nicht gegeben.
Diese Entscheidung entspricht zudem deutscher Parla-
mentstradition. Eine Überprüfung der Richtigkeit einzelner
Wahlkampfaussagen kann hiernach nicht zum Gegenstand
des Wahlprüfungsverfahrens gemacht werden, selbst wenn
im Einzelfall ein sog. Wahlmanöver bereits gerichtlich er-
wiesen sein sollte. Würde man eine Überprüfung von Wahl-
kampfaussagen auf deren Richtigkeit zulassen, so könnte
dies unter Umständen sogar zur Folge haben, dass be-
stimmte Wahlmanöver gerade zu dem Zweck durchgeführt
würden, um einen späteren Anfechtungsgrund gegen eine
Wahl zu schaffen (Bundestagsdrucksache VI/1311, S. 32 f.).
Anlässlich der vorliegenden Einsprüche besteht kein An-
lass, von diesen Grundsätzen des Wahlprüfungsrechts Ab-
stand zu nehmen.
Somit erübrigt sich eine Überprüfung der vom Einspruchs-
führer vorgetragenen Wahlkampfaussagen.

Ein Wahlfehler liegt auch nicht durch die vom Einspruchs-
führer beanstandete Zeitungsbeilage des Presse- und Infor-
mationsamtes der Bundesregierung zum Zuwanderungsge-
setz vor. Sie überschreitet nicht die Grenzen zulässiger Öf-
fentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Vorfeld einer
Bundestagswahl. Ein Verstoß gegen die Neutralitätspflicht
der Bundesregierung und gegen den Grundsatz der Chan-
cengleichheit ist somit nicht gegeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil aus dem
Jahr 1977 – worauf auch der Einspruchsführer hinweist –
entschieden, dass es den Staatsorganen von Verfassungs we-
gen versagt ist, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf
Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu
identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu un-
terstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung
die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler zu beein-
flussen (BVerfGE 44, 125/144). Hierdurch werde gegen das
Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf verstoßen
und die Integrität der Willensbildung des Volkes durch
Wahlen und Abstimmungen verletzt. Darüber hinaus werde
das verfassungsmäßige Recht der politischen Parteien auf
Chancengleichheit bei Wahlen verletzt, wenn der Staat zu-
gunsten oder zulasten bestimmter politischer Parteien Partei
ergreife. In der oben genannten Entscheidung aus dem Jahre
2001 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass
eine amtliche Wahlbeeinflussung nur dann vorliegt, wenn
staatliche Stellen im Vorfeld einer Wahl in mehr als nur un-
erheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des
Wählerwillens eingewirkt haben (BVerfGE 103, 111/132).
Die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesre-
gierung sind vorliegend nicht überschritten, weil eine Infor-
mation über das Zuwanderungsgesetz zum Aufgaben- und
Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung gehört. Es be-
steht jedoch die Erwartung, dass sich das Bundespresseamt
in der Vorwahlzeit – insbesondere auch im Hinblick darauf,
dass es sich um den Einsatz nicht unerheblicher Steuergel-
der handelt – eine besondere Zurückhaltung auferlegt.
Die Zeitungsbeilage enthält im Gegensatz zur Auffassung
des Einspruchsführers sachliche Informationen zum Inhalt
des Zuwanderungsgesetzes und verzichtet auf herabset-
zende oder polemische Äußerungen über Parteien. Inhalt-
lich wird kein Bezug zur Bundestagswahl hergestellt. Zu-
dem ist die Zeitungsbeilage nicht in einer reklamehaften
Aufmachung erschienen und enthält keine Bilder von Re-
gierungsmitgliedern. Das Bundesverfassungsgericht hat in
seinem Urteil aus dem Jahre 1977 ausdrücklich darauf hin-
gewiesen, dass sich die Aussagen der Öffentlichkeitsarbeit
der Regierung mehr oder minder mit denen von Program-
men und Stellungnahmen der die Regierung tragenden Par-
teien decken können und häufig decken werden (BVerfGE
44, 125/149). Dass dies auch bei der Beilage zum Zuwande-
rungsgesetz so ist, ist somit unschädlich.
Auch der Zeitpunkt der Verteilung – ein Monat vor der
Wahl – spricht im vorliegenden Fall nicht für einen Verstoß
gegen die Neutralitätspflicht der Bundesregierung. Hierbei
ist zum einen der Zusammenhang mit einer ersten Informa-
tion im Anschluss an die Unterzeichnung des Zuwande-
rungsgesetzes durch den Bundespräsidenten von Bedeu-
tung. Zum anderen hatten die Oppositionsparteien die Mög-
lichkeit, im weiteren Verlauf des Wahlkampfes das Erschei-
nen der Beilage als solches zu kritisieren und sich zudem

Drucksache 15/1850 – 56 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

mit deren Inhalt auseinander zu setzen. Darüber hinaus er-
scheint die Zeitungsbeilage zum Zuwanderungsgesetz – ent-
gegen der Auffassung des Einspruchsführers – auch nicht
als Teil einer Arbeits-, Leistungs- und Erfolgsbilanz der
Bundesregierung. Zwar wird das Zuwanderungsgesetz
als wesentliches Vorhaben der Bundesregierung in der
14. Wahlperiode dargestellt. Da im Vorfeld der Bundestags-
wahl – soweit ersichtlich – lediglich noch eine weitere Bei-
lage in Nachrichtenmagazinen zum Thema Nachhaltigkeit
und zum Umweltgipfel in Südafrika verteilt wurde, er-
scheint der Gesamtumfang dieser Informationen bei unbe-
fangener Betrachtung nicht als eine Darstellung der Ge-
samtbilanz der Leistungen der Bundesregierung mit dem
Ziel, sich als solche zur Wiederwahl zu stellen.
Nach alldem ist jedenfalls eine mehr als nur unerhebliche
Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler durch die Bei-
lage nicht festzustellen. Somit liegt weder ein Verstoß der
Bundesregierung gegen ihre Neutralitätspflicht noch ein
Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit im
Wahlkampf vor.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 57 – Drucksache 15/1850

Anlage 11

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn C. M. S., 60327 Frankfurt

– Az.: WP 206/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 22. November 2002 beim Deutschen Bundes-
tag eingegangenen Telefax hat der Einspruchsführer Ein-
spruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag eingelegt. Er trägt mehrere Einspruchsgründe
vor, die in weiteren Schreiben vom 22. Mai 2003, vom
29. Mai 2003 und vom 25. Juni 2003 teilweise erläutert
werden.
Der Einspruchsführer macht geltend, dass die Bundestags-
wahl 2002 nicht hätte stattfinden dürfen, da das Volk gemäß
Artikel 146 Grundgesetz (GG) noch nicht die wesentlichen
wahlverfassungsrechtlichen Normen in einer gesamtdeut-
schen Verfassung festgelegt habe. Es bestehe eine hinrei-
chende Wahrscheinlichkeit, dass bei ordnungsgemäßer Ver-
fassungsgebung ein anderes Wahlverfahren bestimmt wor-
den wäre, welches zu einem abweichenden Wahlergebnis
geführt hätte. Zur Begründung nimmt der Einspruchsführer
auf den Aufsatz „Artikel 146 GG vor dem Bundesverfas-
sungsgericht“ Bezug, der von einem Rechtsanwalt in Zu-
sammenarbeit mit einem Zukunftsforscher verfasst wurde.
Der Aufsatz liegt dem Wahlprüfungsausschuss vor. Auf
dessen Inhalt wird ebenso Bezug genommen wie auf wei-
tere vom Einspruchsführer vorgelegte Unterlagen (u. a. Li-
teraturhinweise, Presseartikel und ein Gedicht).
Darüber hinaus beanstandet der Einspruchsführer die 5 %-
Sperrklausel nach dem Bundeswahlgesetz, weil der Gesetz-
geber seiner insoweit bestehenden regelmäßigen Überprü-
fungspflicht nicht nachgekommen sei.
Bei der Bundestagswahl 2002 habe die Entstehung von
Überhangmandaten erstmals auch auf dem Wegfall nicht
verrechneter Stimmen beruht. Insofern sei die dem Urteil
BVerfGE 95, S. 335/345 zugrundeliegende Analyse des
Bundeswahlleiters überholt.
Das Wahlalter müsse von Verfassungs wegen niedriger als
nach geltendem Recht liegen, nämlich bei 14 oder 16 Jah-
ren. Die „jungen Bürger“ seien durch rechtzeitige und kom-
petente politische Bildung in der Lage, ihre staatsbürgerli-
chen Rechte wahrzunehmen.
Außerdem sei der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl
nicht gewahrt worden. Es fehle an der notwendigen Rück-
bindung an den Volkswillen, wenn nicht das Volk selbst die

Entscheidung über eine Wiederwahl treffe, sondern partei-
interne Gremien durch die Aufstellung der Landeslisten.
Weiterhin beanstandet der Einspruchsführer, dass Regie-
rungsmitglieder die Wählerinnen und Wähler durch un-
wahre Wahlkampfaussagen getäuscht hätten. Es habe sich
herausgestellt, dass die Haushalts- und Finanzlage vor der
Bundestagswahl objektiv unrichtig dargestellt worden sei.
Sowohl der Bundeskanzler als auch der Bundesfinanzminis-
ter hätten die Öffentlichkeit vor allem über das Überschrei-
ten des sog. Maastricht-Kriteriums getäuscht. Dies gelte
auch für die Erklärung des Bundeskanzlers im Wahlkampf,
keine Steuererhöhungen zu planen. Der Einspruchsführer
bezieht sich insoweit auf die Arbeit des 1. Untersuchungs-
ausschusses, wobei er beantragt, der Wahlprüfungsaus-
schuss möge dessen Akten beiziehen und weitere von ihm
benannte Zeuginnen und Zeugen im Wahlprüfungsaus-
schuss vernehmen, soweit der Untersuchungsausschuss die-
ser Aufgabe nicht gerecht werde. Kurz vor der Bundestags-
wahl, am 12. und 13. September 2002, habe eine Haushalts-
debatte im Bundestag stattgefunden, die stark von Leis-
tungsberichten der Bundesregierung geprägt gewesen sei. In
rechtlicher Hinsicht bezieht er sich auf ein Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 8. April 2003 (Az.: 8 C 14.02).
Selbst wenn man den Maßstab eines Urteils des Bundesver-
fassungsgerichts aus dem Jahre 2001 (BVerfGE 103, 111/
132 f.) anlege, liege eine „schwerwiegende Täuschung der
Wähler durch die Exekutive in wahlkampfentscheidenden
Fragen“ vor. Eine staatliche Stelle habe somit im Vorfeld der
Bundestagswahl in mehr als nur unerheblichem Maße par-
teiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens eingewirkt.
Die ehemalige Bundesjustizministerin und der ehemalige
Bundeswirtschaftsminister hätten zwei Wochen vor der
Bundestagswahl eine verfassungswidrige Leistungsbilanz
ihrer Arbeit vor der Bundespressekonferenz vorgelegt. Der
Bundesverteidigungsminister habe öffentlich kurz vor der
Wahl die Initiative „Soldaten für Schröder“ in amtlicher
Funktion präsentiert. Jedenfalls hätten die Bürgerinnen und
Bürger den Eindruck gewinnen können, dies sei in amt-
licher Funktion geschehen. Bei der Initiative „Soldaten für
Schröder“ handelt es sich nach den Feststellungen des
Wahlprüfungsausschusses um einen Wahlaufruf des
SPD-Parteivorstandes, der dem Ausschuss vorliegt. Die
vom Einspruchsführer angesprochene Pressekonferenz der

Drucksache 15/1850 – 58 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bundesjustizministerin und des Bundeswirtschaftsministers
fand am 28. August 2002 statt. Die Bundesjustizministerin
stellte ein Zehn-Punkte-Papier zur Stärkung der Unterneh-
mensintegrität und des Anlegerschutzes vor, das dem Wahl-
prüfungsausschuss vorliegt. Der damalige Bundeswirt-
schaftsminister gab ein Statement zum Thema „Politik der
Bundesregierung für Wettbewerb, Innovation und Verbrau-
cher“ ab, in dem Reformprojekte der 14. Wahlperiode (u. a.
Aufhebung von Rabattgesetz und Zugabeverordnung) an-
gesprochen wurden. Das Redemanuskript liegt dem Wahl-
prüfungsausschuss vor.
Die Situation werde noch dadurch verschärft, dass die Bun-
desregierung in verfassungswidriger Weise auf Kosten der
Steuerzahler kurz vor der Bundestagswahl Broschüren und
ähnliche Informationen in großem Umfang verbreitet habe.
Es seien Broschüren zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bun-
desregierung und zum Thema Zuwanderung in großem Um-
fang in Umlauf gebracht worden. Gemeint ist hier die vielen
Tageszeitungen am 21. und 22. August 2002 in Briefform
beigefügte Beilage mit dem Titel „Im Interesse Deutsch-
lands: Öffnen Sie Ihre Zukunft“. Inhalt dieser Beilage ist
sinngemäß das aus Sicht der Bundesregierung bestehende
Erfordernis eines Zuwanderungsgesetzes. Aus einer ap-
Meldung vom 21. August 2002 geht hervor, dass die Bun-
desregierung außerdem mit einer Beilage in Nachrichten-
magazinen über das Thema Nachhaltigkeit und über den
Umweltgipfel in Südafrika informiert hat. Das Presse- und
Informationsamt der Bundesregierung wies darauf hin, dass
die Bundesregierung bereits am 7. Juni 2002 in einer Ant-
wort auf mehrere parlamentarische Anfragen beide Infor-
mationskampagnen angekündigt habe.
Außerdem sieht der Einspruchsführer eine unzulässige
Wählerbeeinflussung darin, dass der inzwischen verstor-
bene Abgeordnete Jürgen W. Möllemann und die FDP ein
Faltblatt im Wahlkampf teilweise illegal finanziert hätten.
Solche Verstöße gegen die Rechenschaftspflicht der Par-
teien stellten einen Wahlfehler dar. Die Wählerinnen und
Wähler könnten hierdurch nicht über die für eine freie Wah-
lentscheidung notwendigen Informationen verfügen. Außer-
dem habe sich die FDP durch die rechtswidrig verwendeten
Beträge einen unberechtigten Wettbewerbsvorteil gegen-
über den anderen Parteien verschafft. Grundlage für diesen
Einspruchsgrund sind ein Faltblatt („Flyer“) mit einem in
den Medien als antiisraelisch bewerteten Inhalt, das im Auf-
trag des damaligen Landesvorsitzenden der nordrhein-west-
fälischen FDP in der Woche vor der Bundestagswahl an
fünf Millionen Haushalte in Nordrhein-Westfalen verteilt
wurde, und dessen Finanzierung. Kurz vor der Bundestags-
wahl distanzierten sich der Bundesvorsitzende der FDP,
Dr. Guido Westerwelle, und andere führende Politikerinnen
und Politiker der FDP öffentlich von der Verteilung des
Faltblattes. Die FDP erreichte bei der Bundestagswahl
7,4 % der Zweitstimmen; in Nordrhein-Westfalen betrug ihr
Zweitstimmenanteil 9,3 %. Nach Presseberichten betrugen
die Gesamtkosten für das Faltblatt knapp 840 000 Euro; zur
Finanzierung wurde am 20. September 2002 ein Wahl-
kampfsonderkonto eingerichtet, auf das in 145 Einzelbeträ-
gen zwischen 1 000 und 8 500 Euro der Betrag von insge-
samt ca. 840 000 Euro eingezahlt worden sein sollen.
In diesem Zusammenhang verweist der Einspruchsführer
auf einen Presseartikel in der Frankfurter Rundschau vom

13. November 2002, wonach es beim Ortsverband der CDU
in Leverkusen seit mindestens 1992 eine „schwarze Partei-
kasse“ mit einem Guthaben von ca. 136 000 Euro gegeben
haben soll.
Es sei verfassungswidrig, Umfragen im Zeitraum innerhalb
von vier Wochen vor der Wahl zu publizieren oder über-
haupt durchzuführen. Da solche Meinungsumfragen den-
noch veröffentlicht worden seien, habe die Wahl den Cha-
rakter eines Glücksspiels angenommen.
Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Ernst Welteke,
habe – so der Einspruchsführer – offenbar gegenüber der
Europäischen Zentralbank darauf hingewirkt, dass „recht-
zeitig“ vor der Bundestagswahl die Geldmenge erhöht wor-
den sei. Diese Einflussnahme auf den Wahlausgang habe
nur deshalb keine besonders große Wirkung gehabt, weil die
allgemeine Wirtschaftslage schlecht gewesen sei; ein „ge-
wisser Einfluss“ auf den Wahlausgang könne aber nicht aus-
geschlossen werden. Nach Mitteilung der Deutschen Bun-
desbank blieben die Leitzinsen im Jahresverlauf 2002 un-
verändert und wurden erst im Dezember 2002 gesenkt.
Unter Bezugnahme auf die ARD-Sendung „Monitor“ vom
26. September 2002 weist der Einspruchsführer auf eine
„rechtswidrige Datennutzung“ der CDU in Köln und Hes-
sen für Wahlkampfzwecke hin. Diese sei ergebnis- und
mandatsrelevant, „zunächst in Köln und dann bundesweit“.
Aus der Stellungnahme der Landeswahlleiterin des Landes
Nordrhein-Westfalen zu einem anderen Wahleinspruch geht
hervor, dass die Stadt Köln im Hinblick auf die damals be-
vorstehende Bundestagswahl 2002 am 2. Juli 2002 auf eine
entsprechende Anfrage dem Kreisverband der CDU Köln
die der einfachen Melderegisterauskunft nach § 34 Abs. 1
Meldegesetz Nordrhein-Westfalen entsprechenden Daten
(Name, Anschrift und evtl. Doktorgrade) der wahlberechtig-
ten Bürgerinnen und Bürger – eingeteilt in die Altersgrup-
pen 18- bis 21-Jährige, 22- bis 29-Jährige, 30- bis 59-Jäh-
rige, 60-Jährige und älter – übermittelte. Personen mit Aus-
kunftssperre und vorliegender Auskunftsverweigerung
seien nicht mitgeteilt worden. Die CDU habe diese Daten an
ein mit ihr in Geschäftsbeziehungen stehendes Meinungs-
forschungsinstitut weitergeleitet. Der Landeswahlleiter des
Landes Hessen hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass es im
Land Hessen keine derartigen Vorfälle vor der Bundestags-
wahl 2002 gegeben habe.
Darüber hinaus wendet sich der Einspruchsführer der Sache
nach gegen die Berücksichtigung der Zweitstimmen bei
denjenigen Wählerinnen und Wählern, die mit ihrer Erst-
stimme eine der beiden (erfolgreichen) Wahlkreisbewerbe-
rinnen der PDS in den Berliner Wahlkreisen 86 und 87 ge-
wählt, die Zweitstimme jedoch zugunsten einer anderen
Liste abgegeben haben. Dabei bezieht er sich auf einen Be-
schluss des Bundesverfassungsverfassungsgerichts aus dem
Jahr 1998 (BVerfGE 79, 161/168), in welchem dem Gesetz-
geber aufgegeben worden ist, diesen Fall ebenso zu regeln
wie die in § 6 Abs. 1 Satz 2 Bundeswahlgesetz (BWG) auf-
geführten Fälle. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG sind die
Zweitstimmen derjenigen Wählerinnen und Wähler nicht zu
berücksichtigen, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis
erfolgreichen Einzelbewerber bzw. einen gewählten Kandi-
daten abgegeben haben, für dessen Partei keine Landesliste
zugelassen war. Eine diesbezügliche Überprüfung der
Zweitstimmen würde nach Auffassung des Einspruchsfüh-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 59 – Drucksache 15/1850

rers zu einem Vorsprung der CDU und CSU von etwa
10 000 Stimmen vor der SPD führen.
Sollten einzelne der vorgetragenen Einspruchsgründe nicht
ausreichen, um die Bundestagswahl für ungültig zu erklä-
ren, so führe zumindest eine Gesamtschau der nach Ansicht
des Einspruchsführers vorliegenden Wahlrechtsverstöße zu
deren Ungültigkeit.
Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchsführers wird
auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Der Einspruchsführer hatte – mit teilweise ähnlichem Vor-
bringen – bereits in der 12., 13. und 14. Wahlperiode jeweils
ein Wahlprüfungsverfahren betrieben. Diese Wahleinsprü-
che wurden vom Deutschen Bundestag jeweils als offen-
sichtlich unbegründet zurückgewiesen (Bundestagsdruck-
sache 12/1002, Anlage 4; Bundestagsdrucksache 13/3928,
Anlage 1; Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 87).
Hiergegen erhobene Wahlprüfungsbeschwerden wurden
vom Bundesverfassungsgericht verworfen. In der 14. Wahl-
periode lehnte das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss
vom 14. Januar 1998 (2 BvC 25/96) den Antrag des Ein-
spruchsführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab,
da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg bot, und verwarf die Wahlprüfungsbe-
schwerde.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus den
vorgetragenen Sachverhalten nicht ersichtlich.
Soweit der Einspruchsführer behauptet, Artikel 146 GG sei
verletzt, so ist darauf hinzuweisen, dass im Wahlprüfungs-
verfahren nur Verstöße gegen die gültigen Vorschriften des
Wahlrechts bei der Vorbereitung, der Durchführung und der
Stimmenauszählung einer Wahl zum Bundestag gerügt wer-
den können. Demgegenüber regelt Artikel 146 GG das
Wahlverfahren zum Bundestag nicht; er regelt lediglich, un-
ter welchen Bedingungen das derzeit geltende Grundgesetz
außer Kraft treten kann. Bereits zu einem Wahleinspruch
gegen die Bundestagswahl 1998 ist ausgeführt worden, dass
die einschlägigen Vorschriften des Grundgesetzes und die
darauf beruhenden wahlrechtlichen Bestimmungen unge-
schmälert anzuwenden sind (Bundestagsdrucksache 14/
1560, Anlage 71).
Soweit der Einspruchsführer einzelne Bestimmungen des
Bundeswahlgesetzes beanstanden will, so ist – wie bereits
in der 14. Wahlperiode – darauf hinzuweisen, dass das Bun-
desverfassungsgericht diese Regelungen in seiner bisheri-
gen Rechtsprechung stets bestätigt hat. Dies gilt für die
5 %-Klausel (§ 6 Abs. 6 BWG), die Überhangmandate (§ 6
Abs. 5 und § 7 Abs. 3 BWG), das Wahlalter (§ 12 Abs. 1
BWG) und für die Aufstellung von Landeslisten durch
Parteien (§ 27 Abs. 1 BWG). Soweit der Einspruchsführer

bezüglich der Entstehung von Überhangmandaten den
„Wegfall nicht verrechneter Stimmen“ anspricht, möchte er
sich offenbar gegen den so genannten Effekt negativer
Stimmengewichte wenden. Wenn der Einspruchsführer in
diesem Zusammenhang ausführt, die dem Urteil BVerfGE
95, S. 335/345 zugrunde liegende Analyse des Bundes-
wahlleiters zu den Überhangmandaten sei überholt, so trifft
dies nicht zu. Zwar wird in den Entscheidungsgründen die-
ses Urteils nicht auf negative Stimmengewichte eingegan-
gen. Dieses Urteil ist jedoch in Kenntnis dieses Effekts er-
gangen. Beispielsweise hat der Bundeswahlleiter in der
mündlichen Verhandlung derartige Effekte als möglich be-
zeichnet (vgl. hierzu Bundestagsdrucksache 14/1560, An-
lage 67).
Auch soweit der Einspruchsführer eine unzulässige Wahlbe-
einflussung geltend macht, weil Regierungsmitglieder die
Wählerinnen und Wähler durch unwahre Wahlkampfaussa-
gen getäuscht hätten, liegt ein Wahlfehler nicht vor. Hierzu
ist zunächst festzustellen, dass Wahlkampfaussagen von Re-
gierungsmitgliedern nicht ohne weiteres als amtliche Äuße-
rungen qualifiziert werden können und dass sich diese als
Wahlbewerber ebenso wie andere Politikerinnen und Politi-
ker am Wahlkampf beteiligen können.
Für die wahlprüfungsrechtliche Bewertung von Wahlwer-
bung und sog. Wahlmanövern ist zu berücksichtigen, dass
Wahlpropaganda als Werbung für eine „gezielte“ Stimm-
abgabe in ihren unterschiedlichen Ausprägungen in einer
„Massendemokratie“ wie der Bundesrepublik Deutschland
für die Durchführung einer Wahl im Sinne des Demokratie-
prinzips unerlässlich ist. Sie dient in aller Regel der Wil-
lensbildung und Entschließungsfreiheit der Wählerinnen
und Wähler und ist nicht gegen sie gerichtet. Viele Wahlbe-
rechtigte werden erst durch einen Wahlkampf dazu be-
stimmt, an der Wahl teilzunehmen und ihre Wahlentschei-
dung zu treffen (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 1
Rn. 15). Hierbei kann davon ausgegangen werden, dass die
Wählerinnen und Wähler in der Lage sind, Aussagen von
Politikern im Hinblick auf die Besonderheiten von Wahl-
kämpfen richtig einzuschätzen und zu bewerten. Dies gilt
gerade auch für sog. Wahlversprechen.
Das Bundesverfassungsgericht hat – wie vom Einspruchs-
führer dargestellt – im Jahre 2001 entschieden, dass eine
Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht von staatlichen
Stellen ausgeht, und in mehr als nur unerheblichem Maße
parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens ein-
wirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren beanstandet
werden kann, wenn private Dritte, einschließlich von Par-
teien und einzelnen Kandidaten, mit Mitteln des Zwangs
oder Drucks die Wahlentscheidung beeinflusst haben oder
wenn in ähnlich schwer wiegender Art und Weise auf die
Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass
eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr oder des Aus-
gleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden
hätte (vgl. BVerfGE 103, 111/132 f.). Außerhalb dieses Be-
reichs erheblicher Verletzungen der Freiheit oder der
Gleichheit der Wahl stellt ein Einwirken von Parteien, ein-
zelnen Wahlbewerbern, gesellschaftlichen Gruppen oder
sonstigen Dritten auf die Bildung des Wählerwillens kein
Verhalten dar, das einen Wahlfehler begründet, selbst wenn
es als unlauter zu werten sein und gegen gesetzliche Bestim-
mungen verstoßen sollte (BVerfGE 103, 111/133). Das vom

Drucksache 15/1850 – 60 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Einspruchsführer angeführte Urteil des Bundesverwaltungs-
gerichts vom 8. April 2003 (Az. 8 C 14.02) ist auf den vor-
liegenden Sachverhalt nicht anwendbar, weil es eine Direkt-
wahl zum Oberbürgermeister betrifft.
Der Einspruchsführer trägt nicht vor, dass aufgrund der von
ihm angeführten Aussagen ein Zwang oder ein Druck auf
die Wählerinnen und Wähler ausgeübt worden wäre, der sie
mit Nachdruck dazu veranlasst hätte, gerade wegen dieser
Aussagen ihre Wahlentscheidung zu treffen. Die Opposi-
tionsparteien haben mehrfach die Gelegenheit wahrgenom-
men, ihre eigene Einschätzung zu den einzelnen Themen,
insbesondere auch zur Haushalts- und Finanzlage des Bun-
des, im Wahlkampf darzustellen. Insbesondere wurde von
der Opposition vor der Wahl die Situation des Bundeshaus-
halts und die Problematik der Einhaltung der Stabilitätskri-
terien des EG-Vertrages und des Europäischen Stabilitäts-
und Wachstumspakts durch den Bund breit thematisiert. Der
Wahlwettbewerb zwischen den Parteien wurde durch die
vorgetragenen Äußerungen nicht beeinträchtigt, so dass eine
Verletzung der Grundsätze der Freiheit und Gleichheit der
Wahl durch eine sog. private Wahlbeeinflussung nicht vor-
liegt.
Soweit der Einspruchsführer durch seinen Hinweis auf Aus-
sagen von „Verantwortungsträgern“, insbesondere von Bun-
deskanzler Gerhard Schröder und Bundesfinanzminister
Hans Eichel, eine amtliche Wahlbeeinflussung geltend ma-
chen möchte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine
amtliche Wahlbeeinflussung wird nämlich nicht substanti-
iert vorgetragen. Im Übrigen ist – selbst wenn die eine oder
andere Äußerung ausschließlich in amtlicher Eigenschaft
gemacht worden sein sollte – nicht erkennbar, dass die be-
treffenden Äußerungen mehr als nur unerheblich auf die
Bildung des Wählerwillens eingewirkt haben könnten. Dies
gilt auch für die angeblich vom Bundesverteidigungsminis-
ter vorgestellte Initiative „Soldaten für Schröder“.
Unabhängig von der Frage, ob derartige Äußerungen mögli-
cherweise politisch untragbar und auch nicht ohne Folgen
für die Betroffenen sein mögen, sind sie wahlprüfungsrecht-
lich irrelevant, da sie im Wahlkampf thematisiert und strei-
tig behandelt wurden. Das Ergebnis des auf Antrag der
CDU/CSU-Fraktion vom Bundestag am 20. Dezember 2002
eingesetzten Untersuchungsausschusses (Bundestagsdruck-
sache 15/256) in Bezug auf etwaige unlautere Wahlaus-
sagen von Koalitionspolitikern – wie etwa des Bundes-
finanzministers oder des Bundeskanzlers – kann deshalb
keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Wahl ha-
ben. Beim Untersuchungsausschuss handelt es sich nicht
um eine gerichtsähnliche Institution, sondern allein um ein
Instrument der politischen Aufarbeitung von Äußerungen
von Regierungsmitgliedern, die aus der Sicht der Antrag-
steller über den Wahlkampf hinaus von Interesse sind, des-
sen politische Wertungen aber keine Auswirkungen auf die
Gültigkeit der Bundestagswahl im Jahre 2002 haben. Inso-
weit ist die vom Einspruchsführer in diesem Zusammen-
hang beantragte Beiziehung von Akten des 1. Untersu-
chungsausschusses sowie die Vernehmung von Zeuginnen
und Zeugen nicht notwendig.
Ein Wahlfehler liegt auch nicht durch die vom Einspruchs-
führer beanstandete Zeitungsbeilage des Presse- und Infor-
mationsamtes der Bundesregierung zum Zuwanderungsge-
setz sowie durch die Beilage in Nachrichtenmagazinen über

das Thema Nachhaltigkeit und über den Umweltgipfel in
Südafrika vor. Dies gilt auch für die gemeinsame Presse-
konferenz der ehemaligen Bundesjustizministerin und des
ehemaligen Bundeswirtschaftsministers am 28. August
2002. Diese Aktivitäten überschreiten insgesamt nicht die
Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregie-
rung im Vorfeld einer Bundestagswahl. Ein Verstoß gegen
die Neutralitätspflicht der Bundesregierung und gegen den
Grundsatz der Chancengleichheit ist somit nicht gegeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil aus dem
Jahr 1977 entschieden, dass es den Staatsorganen von Ver-
fassungs wegen versagt ist, sich in amtlicher Funktion im
Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbe-
werbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher
Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere
durch Werbung die Entscheidung der Wählerinnen und
Wähler zu beeinflussen (BVerfGE 44, 125/144). Hierdurch
werde gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahl-
kampf verstoßen und die Integrität der Willensbildung des
Volkes durch Wahlen und Abstimmungen verletzt. Darüber
hinaus werde das verfassungsmäßige Recht der politischen
Parteien auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt, wenn
der Staat zugunsten oder zulasten bestimmter politischer
Parteien Partei ergreife. In der o. g. Entscheidung aus dem
Jahre 2001 hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt,
dass eine amtliche Wahlbeeinflussung nur dann vorliegt,
wenn staatliche Stellen im Vorfeld einer Wahl in mehr als
nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung
des Wählerwillens eingewirkt haben (BVerfGE 103, 111/
132).
Die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit der Bundesre-
gierung sind vorliegend insgesamt nicht überschritten, weil
die betreffenden Informationen zum Aufgaben- und Zustän-
digkeitsbereich der Bundesregierung gehören. Es besteht je-
doch die Erwartung, dass sich das Bundespresseamt in der
Vorwahlzeit – insbesondere auch im Hinblick darauf, dass
es sich um den Einsatz nicht unerheblicher Steuergelder
handelt – eine besondere Zurückhaltung auferlegt.
Die sachliche Information steht bei der Zeitungsbeilage
zum Zuwanderungsgesetz, bei der Beilage über das Thema
Nachhaltigkeit und bei der gemeinsamen Pressekonferenz
der ehemaligen Bundesjustizministerin und des ehemaligen
Bundeswirtschaftsministers im Vordergrund. Auf herabset-
zende oder polemische Äußerungen über Parteien wird je-
weils verzichtet. Inhaltlich wird kein unmittelbarer Bezug
zur Bundestagswahl hergestellt. Zudem sind die Materialien
nicht in einer reklamehaften Aufmachung erschienen und
enthalten keine Bilder von Regierungsmitgliedern. Das
Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem
Jahre 1977 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich die
Aussagen der Öffentlichkeitsarbeit der Regierung mehr
oder minder mit denen von Programmen und Stellungnah-
men der die Regierung tragenden Parteien decken können
und häufig decken werden (BVerfGE 44, 125/149). Dass
dies bei den hier in Rede stehenden Materialien der Fall ist,
ist somit unschädlich. Auch der Zeitpunkt der Verteilung
der Zeitungsbeilage (ein Monat vor der Wahl) und der Zeit-
punkt der Pressekonferenz (28. August 2002) sprechen im
vorliegenden Fall noch nicht für einen Verstoß gegen die
Neutralitätspflicht der Bundesregierung. Die Oppositions-
parteien hatten die Möglichkeit, im weiteren Verlauf des

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 61 – Drucksache 15/1850

Wahlkampfes das Erscheinen der Beilagen und die Darstel-
lungen bei der Pressekonferenz zu kritisieren und sich zu-
dem mit den jeweiligen Inhalten auseinander zu setzen. Die
Beilagen und die Pressekonferenz können im Ergebnis nicht
als Teil einer größer angelegten Arbeits-, Leistungs- und Er-
folgsbilanz der Bundesregierung gewertet werden. Der Ge-
samtumfang dieser Informationen erscheint bei unbefange-
ner Betrachtung noch nicht als eine Darstellung der Gesamt-
bilanz der Leistungen der Bundesregierung mit dem Ziel,
sich als solche zur Wiederwahl zu stellen. Eine mehr als nur
unerhebliche Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler
lässt sich aufgrund der genannten Beilagen und der Presse-
konferenz nicht feststellen. Es liegt im Ergebnis weder ein
Verstoß der Bundesregierung gegen ihre Neutralitätspflicht
noch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleich-
heit im Wahlkampf vor.
Auch das im Auftrag des inzwischen verstorbenen Landes-
vorsitzenden der nordrhein-westfälischen FDP hergestellte
und verteilte Faltblatt stellt keine unzulässige Wahlbeein-
flussung dar. Dies gilt sowohl für den Inhalt des Faltblattes
als auch für die Tatsache, dass dieses möglicherweise illegal
finanziert wurde. Bezüglich des Inhalts ist festzustellen,
dass ein Wahlkampf generell durch scharfe polemische
Angriffe und die Zuspitzung unterschiedlicher politischer
Standpunkte gekennzeichnet sein kann. Im Wahlprüfungs-
verfahren erfolgt keine Bewertung solcher Äußerungen. So-
weit aufgrund der möglicherweise illegalen Finanzierung
Einfluss auf die Wählerwillensbildung genommen wurde,
wurde dies mit Mitteln des Wahlwettbewerbs ausgeglichen.
Schließlich dient die Wahlprüfung nicht in erster Linie einer
Sanktion von Rechtsverstößen auf verschiedenen Rechtsge-
bieten wie etwa der Parteienfinanzierung, sondern der Ge-
währleistung einer ordnungsgemäßen Zusammensetzung
des Parlaments.
Soweit der Einspruchsführer eine „schwarze Parteikasse“
beim Ortsverband der CDU in Leverkusen anspricht, ist
nicht erkennbar, wie diese den Ausgang der Bundestags-
wahl beeinflusst haben soll.
Soweit der Einspruchsführer geltend macht, Meinungs-
umfragen sollten in einem Zeitraum von vier Wochen vor
der Wahl nicht durchgeführt bzw. publiziert werden dürfen,
so begründet dies keinen Wahlfehler. Wie dem Einspruchs-
führer bereits in einer früheren Wahlprüfungsentschei-
dung (Bundestagsdrucksache 12/1002, Anlage 4) mitgeteilt
wurde, kennt das Bundestagswahlrecht ein Verbot oder eine
Beschränkung der Veröffentlichung von wahlbezogenen
Meinungsumfrageergebnissen oder Wahlprognosen vor der
Wahl nicht. Nach § 32 Abs. 2 BWG ist lediglich die Ver-
öffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen
nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentschei-
dung vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig. Es besteht kein
Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit der derzeitigen Rege-
lung zu zweifeln.
Eine unzulässige Wahlbeeinflussung ist auch nicht im Zu-
sammenhang mit der Geldpolitik der Europäischen Zentral-
bank gegeben. Hier fehlt es bereits an einem substantiierten
Vortrag des Einspruchsführers, durch welche Handlung der
Präsident der Deutschen Bundesbank auf die Bundestags-
wahl Einfluss genommen haben soll. Im Jahr 2002 blieben
nämlich die Leitzinsen bis Dezember unverändert.

Ein Wahlfehler liegt auch nicht vor, soweit der Einspruchs-
führer eine „rechtswidrige Datennutzung“ der CDU in Köln
und Hessen anspricht. Die Übermittlung der Adressdaten
aller Wahlberechtigten durch die Meldebehörde der Stadt
Köln an den Kreisverband der CDU Köln war zwar wegen
eines Verstoßes gegen § 35 Abs. 1 Meldegesetz Nordrhein-
Westfalen (MG NRW) rechtswidrig. Da dieses rechtsfehler-
hafte Tätigwerden aber keinem Wahlorgan, sondern ledig-
lich einer anderen amtlichen Stelle zuzurechnen ist, hätte
ein Wahlfehler nur dann vorliegen können, wenn durch die
Herausgabe der Adressdaten die Grundsätze der Wahl-
gleichheit und der Wahlfreiheit verletzt worden wären. Es
bestehen jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt
Köln die an der Wahl teilnehmenden Parteien bzw. Wahl-
bewerber unterschiedlich behandelt hätte. Nach dem bereits
erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem
Jahre 2001 (BVerfGE 103, 111/132) können nur schwerwie-
gende, auf die Willensbildung der Wählerinnen und Wähler
einwirkende Maßnahmen, für die keine hinreichende Mög-
lichkeit der Abwehr oder des Ausgleichs besteht, von wahl-
prüfungsrechtlicher Relevanz sein. Außerhalb dieses Be-
reichs erheblicher Verletzungen der Freiheit oder Gleichheit
der Wahl vermag ein Verhalten, selbst wenn es als unlauter
oder rechtswidrig zu bewerten sein sollte, einen Wahlfehler-
tatbestand nicht zu begründen. Durch die Übermittlung der
Adressdaten ist die Wählerwillensbildung jedenfalls nicht
mehr als nur unerheblich beeinträchtigt worden. Soweit der
Einspruchsführer eine rechtswidrige Datennutzung im Land
Hessen behauptet, fehlt es an Anhaltspunkten für eine nä-
here Überprüfung.
Auch bei der Berücksichtigung der in den Wahlkreisen 86
und 87 abgegebenen Zweitstimmen ist kein Wahlfehler ge-
schehen. Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
war für eine analoge Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG auf die Ergebnisse in den Wahlkreisen 86 und 87 kein
Raum. Daher waren diejenigen Zweitstimmen zu berück-
sichtigen, die von solchen Wählern für Listen anderer Par-
teien als der PDS abgegeben worden sind, die mit ihrer Erst-
stimme die beiden von der PDS vorgeschlagenen Bewerbe-
rinnen gewählt haben.
Aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts lässt
sich keine Verpflichtung für die Wahlbehörden zu einer an-
logen Anwendung ableiten. Eine derartige Verpflichtung
wäre nur in Betracht gekommen, wenn das Gericht gegen-
über den die Wahl durchführenden Stellen die analoge
Anwendung unmissverständlich angeordnet hätte. Ange-
sprochen wurde aber nur der Gesetzgeber, der eine entspre-
chende Ergänzung – wörtlich – „zu erwägen habe(n)“. Dies
bedeutet, dass dem Gesetzgeber trotz der vom Bundesver-
fassungsgericht verwendeten Begriffe „Rechtsklarheit“ und
„Regelungslücke“ ein gewisser Entscheidungsspielraum be-
lassen sein sollte. Hat aber der Gesetzgeber eine Gesetzes-
änderung (nur) zu erwägen, muss eine analoge Anwendung
der Vorschrift durch die Wahlbehörden ausscheiden. Einer
derartigen Verfahrensweise der Wahlbehörden, die notwen-
dig einen Bewertungsspielraum bedingte, stünde die auch
vom Bundesverfassungsgericht mit Blick auf das Wahlrecht
betonte notwendige Rechtsklarheit entgegen. Dabei ist zu
beachten, dass in die Vorbereitung und Durchführung der
Wahl eine Vielzahl vorwiegend auch ehrenamtlich Tätiger
eingebunden ist, was naturgemäß eindeutige und überall
einheitlich umsetzbare Vorgaben voraussetzt.

Drucksache 15/1850 – 62 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Gegen eine analoge Anwendung spricht weiterhin, dass § 6
Abs. 1 Satz 2 BWG Ausnahmen vom Grundsatz der Be-
rücksichtigung aller abgegebenen Stimmen vorsieht und
eine analoge Anwendung von Ausnahmeregelungen grund-
sätzlich problematisch erscheint. Ohnehin erscheinen, wie
auch im Bundeswahlausschuss angeklungen, die gesetzlich
erfassten Sachverhalte und die jetzige Konstellation nicht in
jeglicher Hinsicht vergleichbar. So musste sich in der jetzi-
gen Konstellation der durch § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG zu ver-
hindernde doppelte Erfolgswert beider Stimmen nicht
zwangsläufig einstellen. Zunächst dürfte wohl kaum einem
Wähler, der am 22. September 2002 in den Wahlkreisen 86
und 87 seine Erstimme den von der PDS vorgeschlagenen
Direktbewerberinnen geben wollte, bewusst gewesen sein,
dass bei einer analogen Anwendung von § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG seine Zweitstimme zu Gunsten einer anderen Liste
unberücksichtigt bleiben könnte. Insbesondere lag aber vor
dem Wahltermin ein Erwerb von mindestens drei Direkt-
mandaten durch die PDS nicht außerhalb der Wahrschein-
lichkeit. Damit befand sich derjenige Wähler, der seine
Erststimme einer PDS-Kandidatin und seine Zweitstimme
einer anderen Landesliste gab, grundsätzlich in derselben
Ausgangslage wie andere Wähler, die das vom Bundesver-
fassungsgericht (BVerfGE 95, 335/367) anerkannte Stim-
mensplitting betrieben haben. Mit dem in § 6 Abs. 1 Satz 2
BWG ausdrücklich erfassten Wahlverhalten hätte sich eine
gewisse Vergleichbarkeit nur ergeben, wenn ein Erwerb von
drei Direktmandaten fernab jeder Wahrscheinlichkeit gele-
gen hätte.
Schließlich führt auch eine Gesamtbetrachtung der vom
Einspruchsführer vorgetragenen Gründe nicht zu einer Un-
gültigkeit der Bundestagswahl 2002. Trotz einzelner Unre-
gelmäßigkeiten kann bei den vorgetragenen Einspruchs-
gründen in keinem Fall ein Wahlfehler festgestellt werden.
Selbst wenn man im Einzelfall zur Feststellung eines Wahl-
fehlers gekommen wäre, so wäre zu berücksichtigen, dass
sich die festgestellten Unregelmäßigkeiten jeweils in unter-
schiedlicher Richtung zugunsten oder zulasten der einen
oder der anderen Partei auswirken. Dies spräche auch im
Hinblick auf den hohen verfassungsrechtlichen Stellenwert
des Fortbestandes des gewählten Bundestages gegen die
Ungültigkeit der Bundestagswahl. Da jedoch – wie darge-
legt – ein Wahlfehler vorliegend nicht feststellbar ist, bedarf
es einer solchen Abwägung hier nicht.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 63 – Drucksache 15/1850

Anlage 12

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn J. S., 11011 Berlin

– Az.: WP 83/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 18. November 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag am 22. September 2002 Einspruch eingelegt.
Er begründet seinen Einspruch im Wesentlichen damit, dass
im Wahlkreis München-Nord (Wahlkreis 219) das endgül-
tige Ergebnis so erheblich vom vorläufigen Ergebnis, insbe-
sondere bei den Erststimmen, abweiche, dass mandats-
erhebliche Fehler vorliegen müssten. Der Kreiswahlleiter
verweigere eine Auskunft über die Ursachen der seiner
Ansicht nach vorliegenden Auszählungsfehler. Vor diesem
Hintergrund begehrt er imWahlprüfungsverfahren Auskunft
über die Ursachen der Abweichung des vorläufigen Erst-
stimmenergebnisses vom endgültigen Ergebnis sowie eine
Nachzählung der Erst- und Zweitstimmen imWahlkreis 219.
Der Einspruchsführer wurde über die Landesliste der CSU
als Abgeordneter in den Deutschen Bundestag gewählt. Er
kandidierte als Direktbewerber der CSU im Wahlkreis 219.
Gewählt wurde dort als Direktkandidat Dr. Axel Berg
(SPD). Nach dem amtlichen Endergebnis erhielt Dr. Axel
Berg 68 635 Stimmen (43,5 %). Der Einspruchsführer er-
hielt 68 287 Stimmen (43,3 %) und damit 348 Stimmen we-
niger als der gewählte Direktkandidat. Nach dem vorläufi-
gen Wahlergebnis war der Abstand noch größer gewesen.
So entfielen auf Dr. Axel Berg 68 869 Stimmen (43,7 %),
während der Einspruchsführer 67 643 Stimmen (42,9 %) er-
hielt. Die Differenz hatte somit nach dem vorläufigen Er-
gebnis noch 1 226 Stimmen betragen. In der Sitzung des
Kreiswahlausschusses am 25. September 2002 wurde das
endgültige Wahlergebnis aufgrund des knappen Stimmen-
unterschiedes bei den beiden Direktkandidaten nochmals
nach den Niederschriften und der Ergebnisliste geprüft. Es
konnten dabei keine Abweichungen festgestellt werden.
Der Einspruchsführer trägt in Übereinstimmung mit dem
Kreiswahlleiter vor, in 59 von 205 Wahlbezirken im Wahl-
kreis 219 sei es nach Bekanntgabe des vorläufigen Wahl-
ergebnisses zu einer Änderung des endgültigen Wahlergeb-
nisses gekommen. Somit hätten 29 % aller Meldungen der
Wahllokale korrigiert werden müssen. Dies stelle eine
außergewöhnliche und in dieser Höhe nicht erklärbare Feh-
lerhäufung in einem Wahlkreis dar. Die Ursachen für die
Fehlerquellen, das Aufspüren der Fehler und die Art und

Weise der vorgenommenen Korrekturen würden vom Kreis-
wahlleiter nicht bekannt gegeben. Da die notwendigen Aus-
künfte nicht gegeben würden, liege der Schluss nahe, dass
etwas zu verbergen sei oder weitere Unkorrektheiten wahr-
scheinlich seien.
Ein weiteres Indiz hierfür seien die dem Einspruchsführer
selbst bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten bei der
Durchführung der Wahl. Hierzu trägt er im Einzelnen Fol-
gendes vor:
– Das Wahllokal des Stimmbezirks 1220 sei über längere

Zeit nur mit zwei Personen besetzt gewesen.
– Es sei ermöglicht worden, gültige Stimmzettel aus die-

sem Wahllokal mitzunehmen, um sich mit dem Partner
vor dem Wahllokal abzusprechen; anschließend sei die
Abgabe dieses Stimmzettels in die Wahlurne ermöglicht
worden.

– Nach Schließung dieses Wahllokals sei nach dem Aus-
zählen eine Zweitstimmen-Schnellmeldung abgesetzt
worden, ohne dass die dafür zur Summenbildung zwin-
gend notwendigen Eintragungen (ZS I bis ZS III) vorge-
nommen worden wären. Demgegenüber wären bei der
Erststimmen-Schnellmeldung diese Eintragungen jedoch
gemacht worden. Dies sei fehlerhaft, weil die Spalte ZS I
bei Erst- und Zweitstimme identisch sein müsse.

– In 20 Wahlbezirken des Wahlkreises 219 habe die auto-
matische Computerprogramm-Plausibilitätsprüfung an-
gezeigt, dass die Eingabe „fehlerhaft“ sei (z. B. mehr
Wähler als Wahlberechtigte, mehr Stimmen als Wähler).
Nach einem längeren Computerausfall im zentralen Re-
chensystem der Kreiswahlbehörde habe der Kreiswahl-
leiter dennoch ein vorläufiges Wahlergebnis für den
Wahlkreis 219 bekannt gegeben. Die Öffentlichkeit sei
von diesen Vorgängen nicht informiert worden.

– In 12 Wahlbezirken sei das vorläufige Wahlergebnis we-
gen auffällig vieler ungültiger Stimmen und in 20 Wahl-
bezirken wegen auffällig zahlreicher Wahlscheine kon-
trolliert worden.

– Nach telefonischer Auskunft des Kreisverwaltungsrefe-
rats sei zumindest eine Wahlurne aufgrund nicht erklär-
barer Differenzen zwischen telefonischer Schnellmel-
dung und vorliegender Niederschrift geöffnet und dabei

Drucksache 15/1850 – 64 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

eine Erststimmen-Verschiebung zugunsten des Ein-
spruchsführers um 100 Stimmen festgestellt worden.
Dieses sei nicht öffentlich mitgeteilt worden.

Dem Wahleinspruch war ein Schriftwechsel zwischen dem
Einspruchsführer und dem Kreiswahlleiter vorausgegangen.
Hierbei verlangte der Einspruchsführer eine detaillierte in-
haltliche Aufklärung insbesondere im Hinblick auf die er-
hebliche Abweichung zwischen dem amtlichen Endergebnis
und dem vorläufigen Endergebnis im Wahlkreis 219. Im
Anschluss an schriftliche Erläuterungen des Kreiswahllei-
ters begehrte der Einspruchsführer in einem detaillierten
Fragenkatalog weitere Auskunft vom Kreiswahlleiter. Die-
ser lehnte eine Beantwortung der Fragen im Einzelnen ab,
da eine Überprüfung des Wahlergebnisses im Anschluss an
dessen Bekanntgabe gemäß § 76 Abs. 5 Bundeswahlord-
nung (BWO) nur mehr im Wahlprüfungsverfahren möglich
sei. Wegen der Einzelheiten des Schriftwechsels wird auf
den Inhalt der Akten Bezug genommen.
In der Einspruchsschrift wird insbesondere Auskunft da-
rüber verlangt,
– ob in mehreren Fällen ein Notwahlvorstand berufen wor-

den sei,
– ob in einer nachgezählten Wahlurne sich das Wahlergeb-

nis um 100 Einzelstimmen zugunsten des Einspruchs-
führers im Rahmen dieser Nachprüfung verschoben
habe,

– welche Auffälligkeiten die Kreiswahlbehörde veranlasst
hätten, Nachprüfungen vorzunehmen,

– nach welchen Kriterien man dabei vorgegangen sei, und
– welche Nachprüfungen man unterlassen oder für unnötig

gehalten habe.
Der Kreiswahlleiter führt in seiner Stellungnahme zur Ein-
spruchsschrift aus, dass das vorläufige Wahlergebnis im
Wahlkreis 219 nicht als „fehlerhaft“ bezeichnet werden
könne. Gemäß § 71 Abs. 3 BWO sei zunächst aufgrund der
Schnellmeldungen das vorläufige Wahlergebnis ermittelt
und dem Landeswahlleiter mitgeteilt worden. Das vorläu-
fige Ergebnis sei somit ein Aggregat der Schnellmeldungen.
Deren Abgleich mit den Wahlniederschriften sei am Wahl-
abend nicht möglich, da diese zu diesem Zeitpunkt nicht
vorlägen, und auch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Eine
Abweichung des amtlichen Endergebnisses vom vorläufi-
gen sei im Rahmen der Wahlprüfung nicht angreifbar. Die
Unterschiede zwischen dem vorläufigen und dem endgülti-
gen Ergebnis seien auf Hör- bzw. Eingabefehler bei der tele-
fonischen Übermittlung der Schnellmeldung, auf Rechen-
fehler bei den Wahlvorständen und auf Nachprüfungen auf-
grund „anspringender Plausibilitätsfehler“ zurückzuführen.
Der Kreiswahlausschuss habe bei der Ermittlung und Fest-
stellung des Wahlergebnisses keinen Anlass gesehen, rech-
nerische Feststellungen eines Wahlvorstandes und fehler-
hafte Zuordnungen gültig abgegebener Stimmen zu berich-
tigen. Alle relevanten Wahlunterlagen hätten dem Kreis-
wahlausschuss zur Prüfung vorgelegen. Darüber hinaus
müsse die Vermutung der korrekten Wahlabwicklung und
Ergebnisermittlung durch die Wahlorgane gelten. Der Ein-
spruchsführer trage keine konkreten Wahlrechtsverstöße
vor, die dieser Vermutung widersprechen könnten.

Eine Abweichung zwischen vorläufigem und amtlichem
Endergebnis in 29 % der Fälle sei gegenüber den anderen
Münchner Wahlkreisen nicht signifikant. Im Wahlkreis 220
(München-Ost) habe es eine solche Abweichung in 32 %
der Fälle gegeben; im Wahlkreis 221 (München-Süd) liege
diese Quote bei 24 % und im Wahlkreis 222 (München-
West/Mitte) bei 27 %. Auch die Abweichung der Stim-
menzahl gegenüber dem vorläufigen Ergebnis bei der Dif-
ferenz zwischen den beiden erfolgreichsten Direktkandida-
ten sei mit 878 Stimmen nicht unüblich. Im benachbarten
Wahlkreis 220 (München-Ost) betrage diese Abweichung
782 Stimmen und im Wahlkreis 111 (Krefeld I-Neuss II)
883 Stimmen.
Zu den vom Einspruchsführer im Einzelnen vorgetragenen
Unregelmäßigkeiten nimmt der Kreiswahlleiter wie folgt
Stellung:
– Es treffe zu, dass das Wahllokal des Wahlbezirks 1220 in

Folge von Rauch- bzw. WC-Pausen in der Nachmittags-
schicht nicht fortlaufend mit drei Wahlvorstandmitglie-
dern besetzt gewesen sei. Dies stelle einen Verstoß ge-
gen die Vorschrift des § 6 Abs. 8 BWO dar, wonach die
Anwesenheit von mindestens drei Wahlvorstandsmit-
gliedern vorgeschrieben sei. Hierbei handele es sich um
eine bloße Ordnungsvorschrift, da das Fehlen eines ein-
zigen Mitglieds nicht die Ordnung der Wahlhandlung
beeinträchtige. Die den Wahlvorstandsmitgliedern zu-
zubilligenden Rauch- bzw. Toilettenpausen hätten die
Ordnungsmäßigkeit der Wahlhandlung in keiner Weise
beeinträchtigt, zumal es nachmittags einen geringeren
Wählerandrang gegeben habe. Durch das Unterschreiten
der Mindestanwesenheitszahl im Wahlvorstand kausal
bedingte Wahlrechtsverstöße würden vom Einspruchs-
führer nicht dargelegt.

– Die vom Einspruchsführer monierte Beratung einer
Wählerin außerhalb des Wahllokals mit einer anderen
Person unter Mitnahme des Stimmzettels habe, wie vom
Einspruchsführer dargelegt, stattgefunden. Da die Kenn-
zeichnung des leeren Stimmzettels dann im Wahllokal
hinter der Blende erfolgt sei, sei dieser Vorgang wahl-
rechtlich nicht zu beanstanden.

– Soweit der Einspruchsführer sich dagegen wende, dass
im Wahllokal des Wahlbezirks 1220 eine Schnellmel-
dung erfolgt sei, obwohl die Wahlniederschrift noch
nicht ausgefüllt gewesen sei, sei grundsätzlich die von
ihm postulierte Ausfüllreihenfolge einzuhalten. D. h.,
zuerst sei das Ergebnis in die Niederschrift einzutragen
und dann dieses in die Schnellmeldung zu übertragen. In
der Praxis notierten einige Wahlvorstände das ermittelte
Wahlergebnis zunächst auf einem gesonderten Blatt, um
die Ergebnisse später in die Niederschrift übertragen zu
können, während ein anderes Wahlvorstandsmitglied die
Schnellmeldung durchgebe. Im Rahmen einer Überprü-
fung sei festgestellt worden, dass die Einträge in die
Wahlniederschrift des Wahlbezirks 1220 erfolgt seien
und in der Schnellmeldung die addierten Ergebnisse er-
fasst wären.

– Soweit der Einspruchsführer vortrage, in 12 Wahlbezir-
ken ergebe sich ein überdurchschnittlich hoher Anteil
ungültiger Stimmen und in 20 Wahlbezirken habe es auf-
fällig viele Wahlscheine gegeben, so könne ein Wahlfeh-
ler hieraus nicht abgeleitet werden. Es gehöre zur Plausi-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 65 – Drucksache 15/1850

bilitätsprüfung, Wahlbezirke ab einer bestimmten Zahl
von ungültigen Stimmen bzw. Wahlscheinen einer ge-
naueren Prüfung anhand der Wahlverhandlungen zu un-
terziehen. Die Ergebnislisten seien nochmals gedruckt
worden und erneut mit den Niederschriften abgeglichen
worden. Dieses Verfahren habe allein der nochmaligen
Kontrolle der Niederschrift anhand der Ergebnisliste we-
gen des knappen Stimmenunterschiedes zwischen den
Direktkandidaten der beiden Spitzenparteien im Wahl-
kreis 219 gedient. Korrekturen der Niederschriften seien
im Zuge dieser Prüfung nicht vorgenommen worden, da
solche nicht erforderlich gewesen seien.

– Auf den Vortrag des Einspruchsführers, zumindest eine
Wahlurne sei geöffnet und nachgezählt worden, wird
nicht explizit eingegangen.

Der Landeswahlleiter ist um Stellungnahme gebeten wor-
den, ob die Quote von 29 % von Abweichungen zwischen
vorläufigem und amtlichem Endergebnis innerhalb eines
Wahlkreises gegenüber anderen Wahlkreisen signifikant sei.
Der Landeswahlleiter hat hierzu in seiner Stellungnahme
mitgeteilt, vorläufige Ergebnisse für Wahlbezirke würden
dem Landeswahlleiter nicht gemeldet. Deshalb sei eine
Stellungnahme hierzu nicht möglich. Auf die Stellung-
nahme des Kreiswahlleiters werde verwiesen.
Der Einspruchsführer hat sich mit Schreiben vom 31. Januar
2003, das beim Wahlprüfungsausschuss am 4. Februar 2003
eingegangen ist, zur Stellungnahme des Kreiswahlleiters
geäußert.
Hierbei beanstandet er, dass über die Art und Weise der
Korrektur, die Notwendigkeit der Korrektur und über den
Ablauf des Korrekturverfahrens keine präzise Auskunft ge-
geben werde. Der Einspruchsführer sei darauf angewiesen,
die in seinem Einspruch vorgetragenen Sachverhalte entwe-
der bestätigt oder nicht bestätigt zu erhalten. Der Kreiswahl-
leiter müsse auf die im Wahleinspruch detailliert beschrie-
benen Einzelsachverhalte eingehen. Nur er könne die ent-
sprechenden Informationen liefern. Die vom Kreiswahllei-
ter postulierte Vermutung der korrekten Wahlabwicklung
und Ergebnisermittlung durch die Wahlorgane stehe seinem
exakt beschriebenen Auskunftsverlangen nicht entgegen.
Auch die Öffentlichkeit habe einen Anspruch auf Aufklä-
rung der als problematisch bekannt gewordenen Sachver-
halte. Das Wahlprüfungsverfahren habe neben der Ermitt-
lung des korrekten Wahlergebnisses auch das Ziel, Transpa-
renz und Vertrauen in die Ergebnisermittlung sicherzustel-
len.
Der Kreiswahlleiter müsse substantiell und nicht nur pau-
schal auf folgende in der Einspruchsschrift vorgetragene
Sachverhalte eingehen:
– Öffnung einer Wahlurne und daraufhin erfolgte Nach-

zählung, wobei sich laut telefonischer Auskunft der
Kreiswahlbehörde vom 25. September 2002 eine Erst-
stimmenverschiebung von 100 Stimmen zugunsten des
Einspruchsführer ergeben haben solle.

– Abweichung des endgültigen Ergebnisses vom vorläufi-
gen Ergebnis in 29 % der Fälle im Wahlkreis 219 (insge-
samt 59 Wahlbezirke).
Dies sei ein derart hoher Korrekturbedarf, dass unabhän-
gig vom Korrekturbedarf in anderen Wahlkreisen allein

der pauschale Hinweis auf Fehler bei der telefonischen
Übermittlung der Schnellmeldung, auf Rechenfehler bei
den Wahlvorständen und auf rein rechnerische Nachprü-
fungen aufgrund „anspringender Computer-Plausibili-
tätsfehlerprogramme“ nicht genüge. Es bedürfe einer
substantiellen Information, welche Plausibilitätsfehler
aufgetreten seien. Außerdem sei zu klären, ob tatsächlich
mehrfach mehr Stimmen abgegeben worden seien als
Wahlberechtigte im Wahlbezirk verzeichnet waren.
Außerdem sei zu klären, welche Nachprüfungen stattge-
funden hätten, nachdem Plausibilitätsfehler aufgetreten
seien und wie man sichergestellt habe, dass derartige
Fehler bei anderenWahlbezirken nicht aufgetreten seien.

– Zwölf Wahlbezirke mit einem überdurchschnittlich ho-
hen Anteil ungültiger Stimmen und 20 Wahlbezirke mit
zu vielen Wahlscheinen.
Der Kreiswahlleiter habe diese Auffälligkeit in seinem
Schreiben vom 27. September 2002 vorgetragen und
eine aus diesem Grund erfolgte Kontrolle bestätigt. Dem
widerspreche es, wenn der Kreiswahlleiter in seiner Stel-
lungnahme nunmehr behaupte, dass lediglich eine Kon-
trolle der Niederschriften vorgenommen worden sei.

Darüber hinaus seien zwei Sachverhalte bekannt geworden,
welche aufzuklären seien:
– Am Wahlsonntag seien dem Vernehmen nach aufgrund

computertechnischer Probleme lediglich geschätzte Er-
gebnisse, insbesondere im Bereich der Briefwahlergeb-
nisse, in das vorläufige Ergebnis eingeflossen, um ein re-
lativ rasches vorläufiges Endergebnis für den Wahlsonn-
tag zu ermöglichen. Durch die Verwendung von Schätz-
werten sei in der Öffentlichkeit ein falscher Eindruck
erweckt worden. Es sei zu klären, ob auch in anderen
Verfahrensschritten Schätzwerte verwendet worden
seien.

– Briefwahlunterlagen seien zumindest in einem Fall so
verschickt worden, dass ein Wähler im Wahlkreis 219
nicht die Kandidaten des Wahlkreises 219 habe wählen
können. Dieser Vorgang, der in einem Schreiben einer
Bürgerin gegenüber dem Wahlprüfungsausschuss darge-
legt wird, lasse auf weitere solche Fälle schließen, in de-
nen der Einspruchsführer nicht habe gewählt werden
können.

Der Kreiswahlleiter ist daraufhin um ergänzende Stellung-
nahme gebeten worden und hat sich zu den Ausführungen
des Einspruchsführers wie folgt geäußert:
– Es treffe zu, dass eine Wahlurne überprüft worden sei.

Das Kreisverwaltungsreferat habe den Einspruchsführer
selbst hierüber informiert. Die Maßnahme habe dazu ge-
dient, mögliche Fehler aufzuklären und im Interesse des
Einspruchsführers unter Berücksichtigung des sehr
knappen Ergebnisses im Wahlkreis 219 ein ordnungsge-
mäßes Ergebnis festzustellen. Die Urne sei unter Zuzie-
hung städtischer Dienstkräfte durch den Kreiswahlleiter
geöffnet worden; eine Zählung der darin befindlichen
Stimmzettelstapel sei durchgeführt worden. Hierbei sei
festgestellt worden, dass die Angaben der Schnellmel-
dung, die nur die Gesamtsumme der abgegebenen Stim-
men (ohne Zwischensummen) wiedergebe, korrekt ge-
wesen seien. Allerdings habe ein Fehler in der Addition
von Zwischensummen in der Niederschrift über das

Drucksache 15/1850 – 66 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

endgültige Ergebnis in dem betreffenden Stimmbezirk
dazu geführt, dass die Zahl der abgegebenen Erststim-
men um nahezu 100 über der Zahl der Wählerinnen und
Wähler gelegen habe. Der Additionsfehler habe im Er-
gebnis – wie vom Kreiswahlleiter im Einzelnen darge-
legt wird – dazu geführt, dass diejenigen Stimmzettel,
bei denen die Erst- und Zweitstimme nicht an den Be-
werber und die Landesliste der gleichen Partei abgege-
ben worden seien, dreimal erfasst worden seien, zweimal
bei der Erststimme und einmal bei der Zweitstimme.
Nachdem es sich um ein offensichtliches Problem des
Wahlvorstandes bei der Protokollierung einer Zwischen-
summe gehandelt habe, ansonsten aber das Wahlergeb-
nis korrekt ermittelt und mit der Schnellmeldung auch
richtig durchgegeben worden sei, und der Kreiswahllei-
ter auch ansonsten keine Bedenken gegen die Ordnungs-
mäßigkeit der Wahlhandlung gehabt habe, habe er kei-
nen Anlass gesehen, den Wahlausschuss explizit damit
zu befassen. Da es bezüglich des betreffenden Stimm-
bezirks keine Änderung zwischen vorläufigem und end-
gültigem Ergebnis gegeben habe, treffe es nicht zu, dass
es sich um eine „Verschiebung von 100 Stimmen zu-
gunsten von Herrn Singhammer“ gehandelt habe.

– Zu dem Vortrag, es seien geschätzte Ergebnisse, insbe-
sondere im Bereich der Briefwahlergebnisse, in das vor-
läufige Ergebnis eingeflossen, legt der Kreiswahlleiter
im Einzelnen dar, wie die Auszählung der Briefwahl-
stimmen in München organisiert und durchgeführt
wurde, und welche Auswirkungen hierbei aufgetretene
organisatorische Schwierigkeiten auf die Plausibilitäts-
überprüfungen bei der Erfassung der Schnellmeldungen
hatten. Die im Computerprogramm hinterlegte Plausibi-
litätskontrolle war hiernach wegen der ungleichmäßigen
Auslastung der Briefwahlvorstände nicht geeignet, die
Kontrollfunktion korrekt auszuüben. Die ungleichmä-
ßige Auslastung der Briefwahlvorstände sei, so der
Kreiswahlleiter, auf einen außergewöhnlich hohen Anteil
an Wahlbriefen, die am Wahlsonntag noch fristgerecht
eingegangen seien, und auf die Einbeziehung der Brief-
wahl in die repräsentative Wahlstatistik zurückzuführen
gewesen. Ein an und für sich notwendiger Eingriff in das
Ergebniserfassungsprogramm sei nicht vorgenommen
worden, weil hierdurch die Feststellung des vorläufigen
Ergebnisses erheblich (bis nach Mitternacht) verzögert
worden wäre. Man habe sich daher entschlossen, die be-
troffenen Briefwahlbezirke unter Zugrundelegung der
sonstigen ordnungsgemäß erfassten Ergebnisse des je-
weiligen Wahlkreises „hochzurechnen“. Um sicherzu-
stellen, dass die Abweichung insgesamt gering bleibe, sei
die „Hochrechnung“ erst erfolgt, als ca. 80 bis 90 % der
Wahlbezirke eines Wahlkreises erfasst gewesen seien.
Am Montag nach der Wahl sei die Plausibilitätskontrolle
im Ergebniserfassungsprogramm jeweils entsprechend
angepasst worden, so dass die endgültigen Ergebnisse
anhand der nunmehr vorliegenden Schnellmeldungen
und Niederschriften hätten erfasst werden können. Dies
habe im Wahlkreis 219 zu Verschiebungen gegenüber
dem vorläufigen Ergebnis geführt, die größtenteils zu
Lasten des Bewerbers Dr. Axel Berg gegangen seien.

– Zur Überprüfung der Zahl der ungültigen Stimmen und
der eingenommenen Wahlscheine ergänzt der Kreis-

wahlleiter seine Stellungnahme vom 12. Dezember 2002
wie folgt: Es sei gängige Praxis bei Wahlen und Ab-
stimmungen, den ungültigen Stimmen ein besonderes
Augenmerk zu widmen. Der Anteil ungültiger Erst-
stimmen habe im Wahlkreis 219 bei 0,95 % gelegen,
während er in München 1,0 %, in Bayern 1,4 % und im
gesamten Bundesgebiet 1,5 % betragen habe. Die hohe
Anzahl von eingenommenen Wahlscheinen in München
sei darauf zurückzuführen, dass in Presseveröffent-
lichungen mehrfach auf die Möglichkeit hingewiesen
worden sei, dass behinderte Personen unter Vorlage
eines Wahlscheines auch in anderen (behindertengerech-
ten) Wahllokalen ihres Wahlkreises wählen könnten.

– Zum Vortrag des Einspruchsführers, Briefwahlunterla-
gen seien zumindest in einem Fall mit einem falschen
Stimmzettel versandt worden, führt der Kreiswahlleiter
aus, dass dieser Fall habe ermittelt werden können. Da-
rüber hinaus enthält die ergänzende Stellungnahme all-
gemeine Ausführungen zum Versand von Briefwahl-
unterlagen. Hierzu wird auf den Inhalt der Akten Bezug
genommen.

Der Einspruchsführer hat sich zu der ergänzenden Stellung-
nahme des Kreiswahlleiters wie folgt geäußert:
Die vom Einspruchsführer vorgetragenen Beanstandungen
würden nunmehr vom Kreiswahlleiter eingeräumt.
– So werde eingeräumt, dass nachträglich eine Wahlurne

zum Zwecke der Nachzählung der darin befindlichen
Stimmzettel geöffnet worden sei. Anhand von zwei
Wortzitaten aus der Stellungnahme des Kreiswahlleiters
wird das oben dargestellte Ergebnis der Nachzählung
wiedergegeben.

– Die Mitglieder des Kreiswahlausschusses seien über die
nachträgliche Öffnung der Wahlurne mangelhaft infor-
miert worden. Nunmehr werde vom Kreiswahlleiter ein-
geräumt, dass kein Anlass gesehen worden sei, den
Wahlausschuss explizit mit der Angelegenheit zu befas-
sen. Bereits in der Einspruchsschrift vom 18. November
2002 sei festgestellt worden, dass den Mitgliedern des
Kreiswahlausschusses zum Zeitpunkt seiner Sitzung die
Einzelheiten, die Art und Weise der Nachprüfungen so-
wie weitere Unsicherheiten nicht bekannt gewesen
seien. Hierzu habe der Kreiswahlleiter in seiner Stel-
lungnahme vom 12. Dezember 2002 ausgeführt, alle re-
levanten Wahlunterlagen lägen dem Kreiswahlausschuss
zur Prüfung vor. Mitglieder des Kreiswahlausschusses
sähen sich deshalb getäuscht und hätten bei der Rechts-
aufsichtsbehörde (Regierung von Oberbayern) eine dies-
bezügliche Überprüfung beantragt, wobei ein entspre-
chendes Schreiben an den Regierungspräsidenten vorge-
legt wird.

– Der Kreiswahlleiter habe nunmehr auch bestätigt und
mitgeteilt, dass Ergebnisse des jeweiligen Wahlkreises
„hochgerechnet“ worden seien. Bereits in seiner Äuße-
rung vom 31. Januar 2003 habe der Einspruchsführer
kritisiert, dass aufgrund computertechnischer Probleme
reine Schätzwerte in die vorläufige Ergebnisermittlung
eingeflossen seien und dass damit ein falscher Eindruck
erweckt worden sei, welches Ergebnis auf der Grundlage
welcher Zahlen zustande gekommen sei.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 67 – Drucksache 15/1850

– Der Kreiswahlleiter habe auch bestätigt, dass einem
Wahlberechtigten für die Briefwahl ein falscher Stimm-
zettel übersandt worden sei. Es bleibe ungeklärt, wie
viele Personen insgesamt falsche Wahlunterlagen erhal-
ten hätten.

– Schließlich habe der Kreiswahlleiter in Bezug auf „Vor-
kommnisse im Wahlbezirk 1220“ insbesondere die zeit-
weilige „zu geringe Besetzung des Wahlvorstandes“ ein-
geräumt.

Die Wählerinnen und Wähler im Münchner Norden hätten
ein Anrecht auf ein rechtmäßig zu Stande gekommenes
Wahlergebnis. Dazu zähle auch die Transparenz bei der Er-
gebnisermittlung. Wenn sich schon eher zufällig bekannt
gewordene Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der
Wahl und der Ergebnisermittlung als stichhaltig erwiesen
hätten, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass „eine weitere
unbekannte Dunkelziffer“ vorliege. Diese und die bereits
bekannten Unregelmäßigkeiten könnten das Wahlergebnis
verändern. Deshalb verlange er eine Neuauszählung der
Stimmen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen; er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Weder die Abweichung des endgültigen Ergebnisses vom
vorläufigen Ergebnis im Wahlkreis 219 noch die Art und
Weise der Ermittlung des endgültigen Ergebnisses noch die
vom Einspruchsführer vorgetragenen Unregelmäßigkeiten
bei der Durchführung der Wahl begründen einen Wahlfeh-
ler. Dies gilt schließlich auch für eine Gesamtbetrachtung
der vom Einspruchsführer vorgetragenen Einwände.
Zunächst einmal sind wahlrechtliche Vorschriften nicht da-
durch verletzt, dass das endgültige Ergebnis vom vorläufi-
gen Ergebnis abweicht.
Die Tatsache, dass in 59 von 205 Wahlbezirken im
Wahlkreis 219 das endgültige Wahlergebnis vom vorläufi-
gen Wahlergebnis abweicht, gibt ebenso wenig Anlass, die
Korrektheit der Ergebnisermittlung näher zu überprüfen, als
die Tatsache, dass sich der Stimmenvorsprung des Direkt-
kandidaten Dr. Axel Berg gegenüber dem Einspruchsführer
im Vergleich zum vorläufigen Ergebnis um 878 Stimmen
verringert hat. Nach dem Grundsatz der Wahlgleichheit hat
jeder Wahlbewerber Anspruch darauf, dass die für ihn gültig
abgegebenen Stimmen bei der Ermittlung des Wahlergeb-
nisses berücksichtigt und mit gleichem Gewicht gewertet
werden wie die für andere Bewerber abgegebenen Stimmen.
Daneben verlangt das Demokratieprinzip eine dem Wähler-
willen entsprechende Sitzverteilung im Parlament
(BVerfGE 85, 148/157). Hieraus folgt, dass die Auszählung
der Stimmen und die Ermittlung des Wahlergebnisses ent-
sprechend den hierfür vorgesehenen gesetzlichen Regelun-
gen zu erfolgen hat.

Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens ist das endgültige
Wahlergebnis und dessen Ermittlung. Die endgültigen
Wahlergebnisfeststellungen durch die Wahlausschüsse sind
die rechtlich entscheidenden Bestandteile des Wahlverfah-
rens. Die vorläufigen Wahlergebnisse und deren Bekannt-
gabe aufgrund des Schnellmeldeverfahrens nach § 71 BWO
haben demgegenüber lediglich informatorische Bedeutung
(Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 37 Rn. 5; Seifert, Kom-
mentar zum Bundeswahlrecht, 3. Auflage, Vorbemerkung 3
vor § 37). Eine Abweichung des endgültigen Wahlergebnis-
ses vom vorläufigen Wahlergebnis kann somit grundsätzlich
keinen Wahlfehler begründen. Etwas anderes könnte nur
dann gelten, wenn offenkundige, völlig atypische Abwei-
chungen im Zusammenwirken mit anderen Umständen, ins-
besondere Unregelmäßigkeiten oder Auffälligkeiten bei der
Ermittlung des Wahlergebnisses, darauf schließen lassen,
dass Auszählungsfehler vorgekommen sind. Für eine solche
Schlussfolgerung reicht es nicht aus, dass Abweichungen
häufig vorgekommen oder besonders hoch sind.
Die im Wahlkreis 219 festgestellten Abweichungen zwi-
schen dem vorläufigen und dem endgültigen Endergebnis
bieten keinen Ansatzpunkt für die Schlussfolgerung, dass
Auszählungsfehler oder gar Manipulationen vorgekommen
sein könnten. Der Kreiswahlleiter weist zu Recht darauf hin,
dass die hier vorliegenden Abweichungen nicht signifikant
sind. Das gilt sowohl für die Quote der Abweichungen im
Verhältnis zu den anderen Münchner Wahlkreisen als auch
für die Änderung der Stimmenzahl. Die Quote von 29 %
(Zahl der Stimmbezirke, in denen Abweichungen vorge-
kommen sind, im Verhältnis zur Zahl aller Stimmbezirke im
Wahlkreis) bewegt sich im Rahmen der entsprechenden
Quoten für die anderen Münchner Wahlkreise. So betrug
z. B. diese Quote 32 % im Wahlkreis 220 und 24 % im
Wahlkreis 221. Auch die Verringerung der Differenz zwi-
schen den beiden bestplatzierten Direktkandidaten um
878 Stimmen erscheint für sich genommen nicht als so un-
üblich, dass eine Neuauszählung der Stimmen veranlasst
wäre. Dies gilt vor allem im Hinblick auf die vom Kreis-
wahlleiter in seiner ergänzenden Stellungnahme dargestell-
ten Schwierigkeiten, die es in München bei der Ermittlung
des vorläufigen Wahlergebnisses bei den Briefwahlbezirken
gab.
Die Tatsache, dass das Erststimmenergebnis im Wahl-
kreis 219 relativ knapp war, rechtfertigt ebenfalls nicht
eine nähere Überprüfung der Ergebnisermittlung im Wahl-
prüfungsverfahren oder gar eine Neuauszählung der Stim-
men. Knappen Wahlergebnissen wird in der Regel bereits
im Rahmen der Ermittlung des Wahlergebnisses Rechnung
getragen. Das war auch hier der Fall. Ausweislich des
Protokolls der Sitzung des Kreiswahlausschusses am
25. September 2002 wurde aufgrund des knappen Wahl-
ausgangs das Wahlergebnis im Wahlkreis 219 in dieser Sit-
zung nochmals anhand der Niederschriften und der Ergeb-
nisliste geprüft. Insoweit hat der Kreiswahlausschuss von
seinem Recht der Nachprüfung nach § 40 Satz 2 BWG Ge-
brauch gemacht.
Der Einwand des Einspruchsführers, in 12 Wahlbezirken er-
gebe sich ein überdurchschnittlich hoher Anteil ungültiger
Stimmen und in 20 Wahlbezirken sei dies bei Wahlscheinen
der Fall gewesen, bezieht sich auf die Ermittlung des vor-
läufigen Ergebnisses. Dies gilt auch für den Einwand, dass

Drucksache 15/1850 – 68 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

die automatische Computerprogramm-Plausibilitätsprüfung
in einigen Wahlbezirken die Eingabe „fehlerhaft“ angezeigt
habe und für den damit zusammenhängenden Hinweis, es
seien insbesondere im Bereich der Briefwahlergebnisse
Schätzwerte verwendet worden. Der Kreiswahlleiter hat
hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme den Zusam-
menhang zwischen organisatorischen Problemen bei der
Auszählung der Briefwahlstimmen und der im Computer-
programm hinterlegten Plausibilitätskontrolle überzeugend
dargelegt. Hieraus geht eindeutig hervor, dass die aus Zeit-
gründen teilweise erfolgten „Hochrechnungen“ von Brief-
wahlbezirken ausschließlich in die Ermittlung des vorläufi-
gen Ergebnisses eingeflossen sind. Es bestehen keinerlei
Anhaltspunkte, dass diese Vorgehensweise die Ermittlung
des endgültigen Ergebnisses beeinflusst haben könnte.
Schließlich betrifft auch der Hinweis darauf, eine Schnell-
meldung sei bereits zu einem Zeitpunkt abgesetzt worden,
als die Niederschrift noch nicht vollständig ausgefüllt gewe-
sen sei, die Ermittlung des vorläufigen Wahlergebnisses.
Das Schnellmeldeverfahren nach §§ 71, 75 Abs. 4 BWO ist
jedoch nicht Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens. Des-
halb bedarf u. a. die Frage, ob die gerügte Ausfüllreihen-
folge statthaft ist, keiner Erörterung. Soweit auf der Grund-
lage von Abweichungen zwischen der Niederschrift und
dem vorläufigen Ergebnis in einigen Fällen die Nieder-
schriften noch einmal anhand der Ergebnislisten zum Zwe-
cke der Ermittlung eines einwandfreien Endergebnisses
kontrolliert wurden, ist dies nicht zu beanstanden.
Das amtliche Endergebnis ist entsprechend den gesetzlichen
Vorgaben ermittelt worden. Ein Wahlfehler ist insoweit
nicht feststellbar.
Nach § 41 Abs. 1 BWG stellt der Kreiswahlausschuss fest,
wieviel Stimmen im Wahlkreis für die einzelnen Kreiswahl-
vorschläge und Landeslisten abgegeben worden sind und
welcher Bewerber als Wahlkreisabgeordneter gewählt ist.
Die Einzelheiten der Ermittlung und Feststellung des Wahl-
ergebnisses im Wahlkreis sind in § 76 BWO geregelt. We-
der aus der Niederschrift über die Sitzung des Kreiswahl-
ausschusses am 25. September 2002 noch aus dem Vortrag
des Kreiswahlleiters ergeben sich Anhaltspunkte, dass ge-
gen diese Vorschriften verstoßen worden wäre.
Die Tatsache, dass eine Wahlurne vom Kreiswahlleiter
überprüft und die darin befindlichen Stimmzettelstapel
nachgezählt wurden, diente der korrekten Ermittlung des
Wahlergebnisses. Hierzu war er im Rahmen der ihm nach
§ 76 Abs. 1 BWO obliegenden Prüfung der Wahlnieder-
schriften der Wahlvorstände auf Vollständigkeit und Ord-
nungsmäßigkeit befugt. Es bestehen keinerlei Anhalts-
punkte, dass es beim Öffnen der Wahlurne zu Manipulatio-
nen gekommen sein könnte. Auch der Einspruchsführer, der
kurz nach der Wahl fernmündlich vom Wahlamt über diesen
Vorgang informiert wurde, behauptet dies nicht. Die Über-
prüfung verschaffte Klarheit darüber, dass die Niederschrift
eines Wahlvorstandes einen offenkundigen Fehler bei der
Addition der Zwischensummen enthielt. Die Berichtigung
derartiger offenbarer Unrichtigkeiten ist nicht nach § 76
Abs. 2 BWO dem Kreiswahlausschuss vorbehalten. Nach
dieser Vorschrift ist der Kreiswahlausschuss u. a. berechtigt,
rechnerische Feststellungen des Wahlvorstandes und fehler-
hafte Zuordnungen gültig abgegebener Stimmen zu berich-
tigen. Der Kreiswahlleiter hat überzeugend dargelegt, dass

sich auf Grund der Nachzählung – entgegen der Auffassung
des Einspruchsführers – keine Stimmenverschiebung ge-
genüber dem vorläufigen Ergebnis in diesem Stimmbezirk
ergeben hat.
Der Umstand, dass der Kreiswahlleiter den Kreiswahlaus-
schuss über die Überprüfung nicht informiert hat und auch
nicht diesbezüglich mit dem betreffenden Wahlvorstand
Kontakt aufgenommen hat, führt im Ergebnis nicht zu
einem Fehler in der Ermittlung des endgültigen Ergebnis-
ses. Maßgeblich ist hierbei, dass nach Aufklärung des Vor-
gangs im Wahlprüfungsverfahren keine Zweifel an der ma-
teriell richtigen Ermittlung des endgültigen Ergebnisses in
dem betreffenden Stimmbezirk bestehen und dass es sich
um die Korrektur einer offenbaren Unrichtigkeit handelte.
Freilich wäre es im Hinblick auf die Gewährleistung einer
problemlosen Nachprüfbarkeit der Ergebnisermittlung wün-
schenswert gewesen, wenn die Mitglieder des Kreiswahl-
ausschusses in der betreffenden Sitzung über den Vorgang
informiert worden wären und dieser in der Niederschrift
vermerkt worden wäre. Von einer Täuschung der Mitglieder
des Kreiswahlausschusses kann jedoch in diesem Zusam-
menhang – entgegen der Auffassung des Einspruchsfüh-
rers – keine Rede sein. Auch im Falle der Kenntnis von
dem Vorgang hätte der Kreiswahlausschuss zu dem Ergeb-
nis kommen müssen, dass das vom Kreiswahlleiter mitge-
teilte Ergebnis in dem betreffenden Stimmbezirk korrekt
ermittelt worden ist. Auch ansonsten bestehen für Manipu-
lationen seitens der Wahlbehörden keine Anhaltspunkte.
Selbst wenn man im Übrigen annehmen wollte, die vom
Kreiswahlleiter vorgenommene Berichtigung des Addi-
tionsfehlers des betreffenden Wahlvorstandes wäre dem
Kreiswahlausschuss vorbehalten gewesen, so hätte dies kei-
nen Einfluss auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit der Er-
gebnisermittlung. Ein solcher formeller Fehler – wenn er
denn vorläge – führt nämlich nicht zur Ungültigkeit einer
Wahl, wenn sich – wie hier – im Wahlprüfungsverfahren
zweifelsfrei feststellen lässt, dass das Wahlergebnis mate-
riell richtig ermittelt worden ist und zudem keinerlei An-
haltspunkte für eine Manipulation bestehen. Dies ergibt sich
aus dem Zweck des Wahlprüfungsverfahrens, die richtige
Mandatsverteilung im Bundestag zu gewährleisten.
Auch die vom Einspruchsführer vorgetragenen Sachver-
halte zur Durchführung der Wahl begründen keinen Wahl-
fehler. Dies gilt sowohl für die einzelnen Sachverhalte als
auch für eine Gesamtbetrachtung der vom Einspruchsführer
vorgetragenen Einwände gegen das Wahlergebnis.
Soweit der Einspruchsführer vorträgt, das Wahllokal des
Stimmbezirks 1220 sei nicht durchgehend mit drei Mitglie-
dern des Wahlvorstandes besetzt gewesen, ist dies vorlie-
gend kein wahlprüfungsrechtlich relevanter Verstoß gegen
§ 6 Abs. 8 BWO. Der Kreiswahlleiter hat in seiner Stellung-
nahme mitgeteilt, in Folge von Rauch- bzw. WC-Pausen sei
der Wahlvorstand in der Nachmittagsschicht nicht fortlau-
fend mit drei Mitgliedern besetzt gewesen. Dies geht auch
aus einer vom Kreiswahlleiter vorgelegten Stellungnahme
der Bezirksinspektion 12 des Kreisverwaltungsreferats
München hervor.
Nach § 6 Abs. 8 Satz 1 BWO müssen während der Wahl-
handlung immer mindestens drei Mitglieder des Wahlvor-
standes, darunter die Wahlvorsteher und der Schriftführer
oder ihre Stellvertreter, anwesend sein. Aufgrund der kurz-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69 – Drucksache 15/1850

zeitigen Abwesenheit von jeweils einem Wahlvorstandsmit-
glied liegt ein Verstoß gegen diese Vorschrift vor. Die Vor-
schrift hat den Zweck, die Sicherheit und Ordnung im
Wahllokal aufrecht zu erhalten und Manipulationen zu ver-
meiden. Daneben dient sie dazu, die Beschlussfähigkeit des
Wahlvorstandes nach § 6 Abs. 9 BWO für etwa notwendig
werdende Beschlüsse im Rahmen des Wahlvorgangs sicher-
zustellen. Eine Verletzung von § 6 Abs. 8 Satz 1 BWO hat
regelmäßig nicht die Ungültigkeit der während der Abwe-
senheit eines dritten Mitglieds des Wahlvorstands abgege-
benen Wählerstimmen zur Folge. Ein Verstoß gegen diese
Vorschrift begründet zugleich einen Wahlfehler, wenn das
vorübergehende Fehlen eines Mitglieds des Wahlvorstandes
den Wahlvorgang mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
Dies wäre z. B. der Fall, wenn sich aufgrund eines hohen
Wählerandrangs der Ablauf der Wahl verzögern würde oder
wenn ein notwendiger Beschluss des Wahlvorstandes über
einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich wäre. Mani-
pulationen werden in der Regel durch die Anwesenheit von
zwei Mitgliedern des Wahlvorstandes vermieden. Vorlie-
gend ist nicht festzustellen, dass der Wahlvorgang im
Wahlbezirk 1220 aufgrund der kurzzeitigen Pausen von je-
weils einem Mitglied des Wahlvorstandes mehr als nur un-
erheblich beeinträchtigt worden wäre. Der Wählerandrang
war während dieser Pausen am Nachmittag gering. Eine Be-
einträchtigung des Wahlvorgangs wird auch vom Ein-
spruchsführer nicht vorgetragen.
Auch soweit sich der Einspruchsführer dagegen wendet,
dass einer Wählerin erlaubt worden sei, sich außerhalb des
Wahllokals kurzzeitig mit einer anderen Person zu beraten,
liegt im konkreten Fall kein wahlprüfungsrechtlich relevan-
ter Verstoß gegen § 56 BWO vor. Der vorliegende Ein-
spruch gibt keinen Anlass, generell darüber zu entscheiden,
ob nach Aushändigung des Stimmzettels das Wahllokal
noch einmal verlassen werden darf. Würde dies in einem
Wahllokal generell praktiziert, so könnten dagegen bei-
spielsweise unter dem Gesichtspunkt, Manipulationen oder
die Beeinflussung von Wählerinnen und Wählern zu ver-
meiden, durchaus Bedenken bestehen. Hier handelt es sich
ersichtlich um eine Einzelfallentscheidung der amtierenden
Wahlvorsteherin, bei der sichergestellt war, dass die betref-
fende Wählerin mit leerem Stimmzettel im Wahlraum hinter
der hierfür vorgesehenen Blende ihre Stimme abgab. Es be-
steht somit kein Anlass, die von dieser Wählerin abgege-
bene Stimme als ungültig anzusehen.
Die weitere Begründung, Briefwahlunterlagen seien zumin-
dest in einem Fall so verschickt worden, dass ein Wähler im
Wahlkreis 219 nicht die Kandidaten dieses Wahlkreises habe
wählen können, ist dem Wahlprüfungsausschuss erst mit
Schreiben vom 31. Januar 2003 und damit nach Ablauf der
Einspruchsfrist des § 2 Abs. 4 Satz 1 WPrüfG (22. Novem-
ber 2002) vorgetragen worden. Der Einspruch ist nach § 2
Abs. 3 WPrüfG innerhalb dieser Ausschlussfrist zu begrün-
den. Das Nachschieben neuer Tatsachen zur Begründung des
Einspruchs ist unzulässig, auch wenn diese erst nach Fristab-
lauf bekannt geworden sind (BVerfGE 40, 11/32 f.; Schrei-
ber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 18). Diese Praxis ist im
Interesse einer raschen und verbindlichen Klärung der kor-
rekten Zusammensetzung des Bundestages geboten. Es han-
delt sich um eine nicht mehr zulässige Erweiterung des Prü-
fungsgegenstandes und nicht nur um eine Erläuterung des

bisherigen Vortrages, was z. B. bei dem – ebenfalls mit
Schreiben vom 31. Januar 2003 vorgetragenen –Hinweis auf
die Verwendung von Schätzwerten für das vorläufige Wahl-
ergebnis der Fall ist. Hierbei ergibt sich auch keine andere
Bewertung daraus, dass der Einspruchsführer mit dem Hin-
weis auf verschiedene Unregelmäßigkeiten bei der Durch-
führung der Wahl und auf den Unterschied zwischen dem
vorläufigen und dem endgültigen Wahlergebnis die Korrekt-
heit des Wahlergebnisses im Wahlkreis 219 insgesamt in
Frage stellen möchte. Bei der Frage, ob es sich um eine un-
zulässige Erweiterung des Prüfungsgegenstandes handelt
oder um eine zulässige Erläuterung von innerhalb der Frist
vorgetragenen Einspruchsgründen, ist nicht in erster Linie
auf die Sichtweise und Zielrichtung des Einspruchsführers
abzustellen, sondern darauf, ob es sich bei dem neuen Vor-
trag aus der Sicht eines unbefangenen Betrachters um einen
neuen Sachverhalt handelt, auf den der Einspruch gestützt
wird. Letzteres ist der Fall, weil das korrekte Versenden der
Briefwahlunterlagen innerhalb der Einspruchsfrist noch
nicht thematisiert worden ist. Selbst wenn man auf die Sicht-
weise des Einspruchsführers abstellen würde, so müssten
sich aus dem bisherigen Vortrag zumindest Anhaltspunkte
dafür ergeben, dass das Wahlergebnis nicht korrekt ist. Wie
bereits dargelegt, fehlt es auch bei dem innerhalb der Frist er-
folgten Vortrag an solchen Anhaltspunkten.
Schließlich führt auch eine Gesamtbetrachtung der vom Ein-
spruchsführer vorgetragenen Einwände gegen die Durchfüh-
rung derWahl und gegen die Ermittlung desWahlergebnisses
nicht zur Feststellung eines mandatsrelevantenWahlfehlers.
Eine Vielzahl von Fehlern und Unregelmäßigkeiten könnte
ein Indiz für eine insgesamt nicht ordnungsgemäße Durch-
führung der Wahl und insbesondere eine nicht korrekte Er-
mittlung des Wahlergebnisses sein, wobei ein knapper
Wahlausgang – wie hier – auch Auswirkungen auf die Man-
datsverteilung haben und somit eine Nachzählung der Stim-
men als geboten erscheinen lassen könnte (vgl. BVerfGE
85, 148/161). Die vom Einspruchsführer angeführten Unre-
gelmäßigkeiten im Wahllokal des Wahlbezirks 1220 lassen
nicht darauf schließen, dass in diesem Wahllokal die Wahl
insgesamt irregulär verlaufen wäre. Wie dargelegt, haben
die teilweise Besetzung des Wahlvorstandes mit nur zwei
Mitgliedern und die Beratung einer Wählerin unter Mit-
nahme ihres Stimmzettels außerhalb des Wahllokals nicht
die Qualität eines Wahlfehlers. Zudem stehen die vorge-
tragenen Unregelmäßigkeiten auch untereinander nicht in
einem Zusammenhang, der auf weitere ähnliche Vorgänge
in diesem Wahllokal oder gar in anderen Wahlbezirken
schließen lassen könnte. Insbesondere besteht kein relevan-
ter Zusammenhang zwischen der Abweichung des amtli-
chen Endergebnisses gegenüber dem vorläufigen Ergebnis
und den vom Einspruchsführer vorgetragenen Sachverhal-
ten zur Durchführung der Wahl. Diese Gesichtspunkte ste-
hen wiederum in keinem maßgeblichen Zusammenhang mit
der Ermittlung des amtlichen Endergebnisses und hierbei
insbesondere mit der Überprüfung einer Wahlurne. Nach
Würdigung der Gesamtumstände sind somit keine Anhalts-
punkte festzustellen, die die Ordnungsmäßigkeit der Wahl
im Wahlkreis 219 und die Ergebnisermittlung grundsätzlich
in Zweifel ziehen könnten.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet
i. S. d. § 6a Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 71 – Drucksache 15/1850

Anlage 13

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. F., 47137 Duisburg

– Az.: WP 182/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am selben Tag eingegangenen Schreiben vom
22. November 2002 hat der Einspruchsführer gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag Ein-
spruch eingelegt. Er stützt sich auf die durch §§ 7 i.V. m. 6
Bundeswahlgesetz (BWG) möglichen so genannten negati-
ven Stimmgewichte und knüpft dabei teilweise an seinen
Einspruch gegen die Bundestagswahl 1998.
Der die Verfassungswidrigkeit des Bundeswahlgesetzes an-
gesichts möglicher negativer Stimmengewichte geltend ma-
chende Einspruch WP 65/98 ist als offensichtlich unbegrün-
det zurückgewiesen worden, da der Bundestag im Wahlprü-
fungsverfahren nicht die Verfassungswidrigkeit eines Geset-
zes feststelle und überdies die verfassungsrechtlichen
Bedenken nicht geteilt wurden (vgl. Bundestagsdrucksache
14/1560, Anlage 67, S. 175 ff.). Das Bundesverfassungs-
gericht hat die hiergegen eingelegte Beschwerde mit Be-
schluss vom 22. Januar 2001 (2 BvC 5/99) verworfen und
nur ausgeführt, dass sie aus den durch ein Berichterstatter-
schreiben mitgeteilten Erwägungen offensichtlich unbe-
gründet sei. Im Berichterstatterschreiben wird laut Schreiber
(Handbuch des Wahlrechts, 7. Auflage, § 6 Rn. 6b) darauf
verwiesen, dass mit der Entscheidung des Gesetzgebers für
eine personalisierte Verhältniswahl der Erfolgswertgleich-
heit aller Stimmen nur eine von vornherein begrenzte Trag-
weite zukomme, so dass der beanstandete Effekt eines nega-
tiven Erfolgswertes der Wählerstimmen, zu dem das Be-
rechnungsverfahren Hare/Niemeyer führe, nicht die Verfas-
sungswidrigkeit der geltenden Regelung bewirken könne.
Hiervon unabhängig hat der Bundestag bei Beschlussfas-
sung über die Einsprüche gegen die Wahl 1998 die Bundes-
regierung gebeten u. a. zu prüfen, ob das Verfahren Hare/
Niemeyer durch das Verfahren Sainte Laguë/Schepers er-
setzt werden soll (Bundestagsdrucksache 14/1560, S. 3).
Der der Prüfbitte nachkommende Bericht vom August 2002
liegt dem Wahlprüfungsausschuss und dem Innenausschuss
zu einer von der Behandlung der Wahleinsprüche zu tren-
nenden Beratung vor.
Der jetzige Einspruch wird mit mehreren hypothetischen
Beispielen begründet, dass sich bestimmte Zweitstimmener-
gebnisse in einzelnen Wahlkreisen bzw. Bundesländern ne-
gativ oder positiv für die gewählte Partei hätten auswirken

und zu einem Verlust oder Erwerb von Mandaten dieser
Partei führen könnten. Daher seien die Grundsätze der Un-
mittelbarkeit und Freiheit der Wahl verletzt.
So hätte die SPD bei 55 000 Zweitstimmen weniger in Ber-
lin ein weiteres Mandat erhalten. Gleiches gälte, wenn alle
46 428 SPD-Wähler im thüringischenWahlkreis 190 (Eichs-
feld-Nordhausen) nicht an der Wahl teilgenommen hätten.
Der gleiche Effekt hätte sich für die CDU bei einer Nicht-
teilnahme ihrer 41 091 Wähler im Wahlkreis 164 (Chem-
nitz) ergeben. In Brandenburg hätten 550 Stimmen der SPD
einen Sitz gekostet. Hätte die SPD in Hamburg 20 000 Stim-
men und zugleich in Brandenburg 5 000 Stimmen jeweils
zusätzlich errungen, wäre Abg. Dr. Marlies Volkmer nicht
über die Landesliste Sachsen in den Bundestag eingezogen.
Schließlich hätte Abg. Rainer Arnold, SPD-Landesliste
Baden-Württemberg kein Mandat erworben, wenn in Sach-
sen-Anhalt weitere 40 000 Stimmen auf die SPD entfallen
wären. Der Einspruchsführer bezieht sich auf die Stellung-
nahme des Bundeswahlleiters in seinem Wahlprüfungsver-
fahren zur Bundestagswahl 1998, wonach eine Abnahme
von Zweitstimmen zu einer Zunahme von Sitzen führen
könne und dass ein Stimmengewinn, der für eine Partei ins-
gesamt einen Sitz mehr bringen, unter Umständen gerade in
dem Land des Stimmengewinns zum Verlust eines Sitzes
führen könne (vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560, S. 176).
§ 7 BWG verknüpfe das Auftreten von Überhangmandaten,
von denen eine Landesliste umso mehr bekomme, je weni-
ger Zweitstimmen sie erhalte, mit Listenmandaten dieser
Partei derart, dass mehr Stimmen zu weniger Sitzen führten.
Dieses System sei keine zwingende Folge der Existenz von
Überhangmandaten; vielmehr könnte dies – wie vom Ein-
spruchsführer bereits in seinem früheren Einspruch dar-
gelegt – ohne grundlegende Änderungen des Wahlsystems
vermieden werden. Der Effekt negativer Stimmen trete seit
1956 regelmäßig auf und sei teilweise sehr sicher vorher-
sehbar. Das die Zulässigkeit von Überhangmandaten fest-
stellende Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1997
(BVerfGE 95, 335 ff.) habe sich gerade nicht mit diesem
Effekt befasst; daher beträfe die Bezugnahme auf dieses Ur-
teil in der o. g. Wahlprüfungsentscheidung zum Einspruch
WP 65/98 gerade nicht dieses Phänomen.
Im Ergebnis wird im Einspruchsschreiben, bekräftigt durch
ein Schreiben vom 16. Februar 2003, gebeten, ggf. diesen

Drucksache 15/1850 – 72 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Bezug zu belegen, die in der Wissenschaft herrschende Auf-
fassung zur Zulässigkeit negativer Stimmen zu ermitteln
und vor allem ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der
Zweckmäßigkeit das Phänomen negativer Stimmen zu prü-
fen. So dürften Anhänger einer Partei nicht gezwungen sein,
diese nicht zu wählen, um ihr zusätzliche Sitze zu verschaf-
fen. Umgekehrt dürfe es Wählern nicht ermöglicht werden,
eine Partei zu wählen, um diese durch die Wahl zu schaden.
Fraglich sei der Einfluss solcher Eigenschaften auf deren
bewußte Wähler, die zum Splitten gezwungen sein könnten,
sowie, ob überhaupt noch eine rationale Wahlentscheidung
möglich sei, wenn durch das mathematische Verfahren die
Umkehrung des Gewollten zu befürchten oder sicher zu er-
warten sei.
Der Bundeswahlleiter bezeichnet in seiner Stellungnahme
die Berechnungsbeispiele des Einspruchsführers, von denen
hier zwei zur Verdeutlichung wiedergegeben werden sollen,
als zutreffend. Im ersten Beispiel (bei 55 000 Zweitstimmen
weniger in Berlin für die SPD ein Mandat mehr) hätte die
SPD-Landesliste in Berlin einen Sitz weniger (8 statt 9) und
die SPD-Landesliste in Bremen einen Sitz mehr (3 statt 2)
erhalten. In Berlin wäre somit bei 9 direkt gewonnenen
Wahlkreisen ein Überhangmandat, d. h. insgesamt 5 statt 4,
entstanden und hätte zu insgesamt 252 statt 251 Sitzen ge-
führt. Im fünften Beispiel (in Hamburg bzw. Brandenburg
20 000 bzw. 5000 Zweitstimmen mehr) hätte die SPD-Lan-
desliste in Hamburg einen Sitz mehr (6 statt 5) und in Sach-
sen einen Sitz weniger (11 statt 12) erhalten. Bei 6 in Ham-
burg direkt gewonnenen Mandaten entfiele somit das dort
bisher gegebene Überhangmandat und der SPD stünden ins-
gesamt 250 statt 251 Sitze zu.
Der Bundeswahlleiter bestätigt, dass eine Zunahme von
Zweitstimmen für eine Partei unter bestimmten Vorausset-
zungen zu einer Abnahme bei den Sitzen führen kann; ana-
log könne eine Abnahme von Zweitstimmen eine Zunahme
bei den Sitzen zur Folge haben. Dies beruhe auf den Rege-
lungen des Bundeswahlgesetzes zu den Überhangmandaten
und könne unter folgenden Voraussetzungen auftreten: Eine
Partei hat im Land des Stimmenzuwachses Überhangman-
date erzielt. Bei gleicher Sitzzahl nach Zweitstimmen für
die Partei insgesamt entfällt bei der Aufteilung auf die Län-
der auf das Land des Stimmenzuwachses ein Sitz mehr auf
Kosten eines anderen Landes. Wegen der Verrechnung mit
den Direktmandaten wirkt sich der Gewinn des Sitzes je-
doch nicht aus, so dass im Saldo ein Sitz verloren geht.
Diese Ausführungen gelten entsprechend bei einer Ab-
nahme von Stimmen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Soweit der Einspruchsführer seinen Einspruch angesichts
des wahlgesetzlich möglichen Phänomens sog. negativer
Stimmgewichte mit einer Verletzung der Grundsätze der

Unmittelbarkeit und Freiheit der Wahl begründet, kann sich
hieraus kein zum Erfolg führender Wahlfehler ableiten las-
sen. Die Verteilung der Sitze nach der Bundestagswahl 2002
beruht auf einer korrekten Anwendung der geltenden Wahl-
rechtsbestimmungen. Deren Verfassungswidrigkeit festzu-
stellen, hat der Bundestag in ständiger Praxis als nicht zu
seinen Aufgaben gehörend abgelehnt und vielmehr dem
Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Davon abgesehen
teilt der Bundestag schon die verfassungsrechtlichen Beden-
ken des Einspruchsführers nicht. Dabei wird an der Auffas-
sung festgehalten, die bereits die Ablehnung des Einspruchs
WP 65/98 gegen die Bundestagswahl 1998 trägt, auf die an
dieser Stelle zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug
genommen wird (vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560,
S. 177 ff.). Im Übrigen ist darauf aufmerksam zu machen,
dass auch die gegen die Wahlprüfungsentscheidung vor
dem Bundesverfassungsgericht eingelegte Wahlprüfungsbe-
schwerde als offensichtlich unbegründet verworfen worden.
Soweit eingewandt wird, das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts gehe nicht auf negative Stimmengewichte ein, trifft
dies zwar auf die Entscheidungsgründe selbst zu. Bereits in
der Wahlprüfungsentscheidung WP 65/98 ist aber ange-
merkt worden, dass das Urteil in Kenntnis dieses Effekts er-
gangen ist. Die im Organstreit antragstellende Niedersäch-
sische Landesregierung hat, wie vom Bundesverfassungs-
gericht vermerkt (BVerfGE 95, 335/343), auf diesen Effekt
als „inkonsequente Ausgestaltung des geltenden Rechts“,
die zu „unsinnigen Ergebnissen“ bei der Sitzzuteilung
führe, hingewiesen. Der Prozessbevollmächtigte der An-
tragstellerin, Prof. Dr. Hans Meyer, hatte bereits 1994 das so
bezeichnete Phänomen angesprochen (Kritische Vierteljah-
resschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1974,
S. 311/321). Der Bundeswahlleiter hat sodann in der münd-
lichen Verhandlung derartige Effekte als möglich bezeich-
net (BVerfGE 95, 335/346). Damit wird deutlich, dass dem
Bundesverfassungsgericht der Effekt negativer Stimmen
zwar bewusst gewesen, aber nicht entscheidungserheblich
erschienen sein muss. Im Übrigen sei hier auch an den oben
zitierten Inhalt des Berichterstatterschreibens im Verfahren
2 BvC 5/99 zur Frage der Erfolgswertgleichheit erinnert.
Die angesprochenen Effekte bewegen sich innerhalb des
Spielraums, der dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des
Wahlrechts, z. B. bei der Entscheidung für das anzuwen-
dende Berechnungsverfahren (vgl. BVerfGE 79, 169/171),
in der Verfassungsrechtsprechung zuerkannt worden ist.
Verfassungsrechtlich handelt es sich um Nebenwirkungen,
die mit der geltenden Ausgestaltung des Systems personali-
sierter Verhältniswahl unter Einschluss ausgleichsloser
Überhangmandate verbunden sind. Dem steht nicht der Ge-
danke entgegen, dass einerseits eine Wählerstimme nicht
negativ und andererseits eine unterbliebene Wählerstimme
nicht positiv gewertet werden darf. Diese Betrachtung be-
zieht sich nur auf die einzelne Stimme und deren Wertung,
verkennt jedoch, dass jede Wertung im Rahmen des gelten-
den Wahlrechts und abhängig vom jeweiligen wahlrechtli-
chen Wirkungszusammenhang bis hin zur Nichtberücksich-
tigung oder Unbeachtlichkeit gehen kann.
Der auf plausibel erscheinende Erwägungen gestützten Bitte
des Beschwerdeführers, die Zweckmäßigkeit des geltenden
Rechts zu überprüfen, kann im Wahlprüfungsverfahren, das
der Feststellung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 73 – Drucksache 15/1850

des Bundestages nach einer durchgeführten Bundestags-
wahl dient, nicht nachgegangen werden. Für entsprechende
Prüfungen ist nur Raum im Rahmen anderweitiger Beratun-
gen, die sich auf mögliche Änderungen für künftige Wahlen
beziehen. Ebenso wenig wie es Aufgabe der Wahlprüfung
ist, Meinungsbilder im rechtswissenschaftlichen Schrifttum
zu ermitteln, kann es in diesem Zusammenhang bedeutsam
sein, ob sich in der einschlägigen Fachliteratur Stellungnah-
men finden lassen, die die hier behandelten Effekte verfas-
sungsrechtlich rechtfertigen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 75 – Drucksache 15/1850

Anlage 14

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
der Frau H. C., 18109 Rostock

– Az.: WP 214/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 16. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. November 2002 hat die Einspruchs-
führerin gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt. Sie stützt sich auf die wahl-
gesetzlich möglichen sog. negativen Stimmgewichte, indem
unter bestimmten Voraussetzungen ein Weniger an Stimmen
zum Erwerb eines zusätzlichen Mandats oder umgekehrt
führen kann, und sieht hierin eine Verletzung des Grundsat-
zes der Unmittelbarkeit der Wahl aus Artikel 38 Grundge-
setz.
Die Bedeutung negativer Stimmgewichte wird durch meh-
rere hypothetische Beispiele verdeutlicht: So hätte die SPD
ein Mandat mehr erhalten, wenn z. B. in Brandenburg die
SPD 549 Zweitstimmen weniger bekommen hätte; dies
wäre sogar bei einem Weniger von zusätzlichen 58 843
Stimmen eingetreten. Die CDU hätte ein Mandat mehr er-
halten, wenn sie von mindestens 3 712 Wählern weniger ge-
wählt worden wäre. Wären noch mehr diesem Beispiel ge-
folgt, wären noch mehr Mandate möglich gewesen. Hätten
dagegen in Hamburg und in Brandenburg 7 800 Wähler statt
der CDU die SPD gewählt, hätte die SPD einen Sitz ver-
loren. Müssten in Berlin die Zweitstimmen erfolgreicher
Direktbewerber, deren Partei die 5 %-Hürde nicht überwun-
den hat, unberücksichtigt bleiben, würde die SPD-Landes-
liste in Berlin bei einem Minus von mindestens 53 997
Stimmen einen Sitz zugunsten der Landesliste Bremen ver-
lieren. Da in Berlin die SPD bisher alle Mandate mit Wahl-
kreisgewinnern besetzt, würde ihr (durch ein Überhangman-
dat) das Stimmenminus zu einem weiteren Sitz verhelfen.
Die Einspruchsführerin betont, dass der Effekt negativer
Stimmgewichte vorwiegend durch die Regelung des § 7
Abs. 3 i.V. m. § 6 Abs. 4 und 5 BWG in Ländern auftrete, in
denen die Zahl der Direktmandate die der zugeteilten Pro-
porzmandate übersteigt oder – wie in Berlin – gleich groß
ist. Für die CDU sei dies bei der Bundestagswahl 2002 in
zwei Ländern, für die SPD in 9 Ländern der Fall.
Im ungünstigsten Fall könne damit eine Partei bzw. Koali-
tion mit der Minderheit der zu wertenden Zweitstimmen die
Mehrheit der Bundestagsmandate erringen. Hierauf sei in
verschiedenen Medien hingewiesen worden; im Internet
habe es Tipps zum „richtigen“ Stimmensplitting gegeben.
Daher könne nicht mehr von unvorhersehbaren oder gar zu-
fälligen Sachverhalten gesprochen werden. Mitglieder, An-

hänger und Wähler betroffener Landeslisten seine daher ge-
zwungen gewesen, „ihre“ Partei nicht zu wählen, um ihr
nicht zu schaden. Da die §§ 6 und 7 BWG die vom Bundes-
verfassungsgericht betonte Vorgabe an ein Wahlverfahren,
das eine selbstbestimmte und rationale Entscheidung des
Wählers ermögliche (vgl. BVerfGE 97, 335, 350) nicht er-
füllten, seien sie verfassungswidrig.
Erläuternd weist die Einspruchsführerin darauf hin, dass es
auch ohne Überhangmandatsregelung durch das Hare-Nie-
meyer-Verfahren zu negativen Stimmgewichten kommen
könne, was auch der Bundeswahlleiter bereits in seiner
Stellungnahme zu einem Einspruch gegen die Bundestags-
wahl 1998 bestätigt habe (Bundestagsdrucksache 14/1560,
S. 176 f.).
Der Bundeswahlleiter hat in seiner Stellungnahme vom
10. Januar 2003 die Berechnungsbeispiele bis auf eines als
zutreffend bezeichnet. Zur Verdeutlichung sollen hier zwei
beispielhaft wiedergegeben werden. Im ersten Beispiel (549
Zweitstimmen der SPD in Brandenburg weniger) hätte die
SPD-Landesliste Brandenburg einen Sitz weniger (9 statt
10) und die SPD-Landesliste Bremen 3 statt 2 erhalten. In
Brandenburg wäre somit bei 10 Direktmandaten ein Über-
hangmandat angefallen; insgesamt gäbe es für die SPD
5 statt 4 Überhangmandate und somit 252 statt 251 Sitze.
Dasselbe wäre auch bei einem weiteren Minus von 58 843
SPD-Zweitstimmen in Brandenburg eingetreten. Im vierten
Beispiel (53 997 SPD-Zweitstimmen weniger in Berlin)
hätte die SPD-Landesliste in Berlin 8 statt 9 Sitze, die SPD-
Landesliste in Bremen aber drei statt zwei Sitze erhalten. In
Berlin wäre somit bei 9 direkt gewonnenen Wahlkreisen ein
Überhangmandat angefallen. Zur Fallgestaltung, dass die
CDU bei 3 712 Zweitstimmen weniger ein Mandat mehr er-
halten hätte, wird zunächst angemerkt, dass bei diesem Bei-
spiel die Angabe der betroffenen Landesliste fehle. Ein
Mandatsgewinn sei aber nur in einem Land möglich, in dem
für die CDU Überhangmandate angefallen sind. Beziehe
man das Beispiel auf Sachsen, ergäben sich bei der Sitzver-
teilung auf die CDU-Landeslisten in Brandenburg und in
Sachen jeweils gleiche Zahlenbruchteile mit der Folge eines
Losentscheids (§ 6 Abs. 2 Satz 5 BWG). Nur wenn das Los
auf Brandenburg falle, gäbe es eine Veränderung gegenüber
dem amtlichen Endergebnis. Die CDU-Landesliste in Sach-
sen erhielte dann 11 statt 12 Sitze, diejenige in Brandenburg

Drucksache 15/1850 – 76 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

5 statt 4. Bei 13 Direktmandaten der CDU in Sachsen ent-
fielen dort auf sie zwei statt eines Überhangsmandats und
eine Gesamtzahl von 191 statt 190 Mandaten. Ergänzend
weist der Bundeswahlleiter darauf hin, dass das gleiche Er-
gebnis bereits aufgrund der Zuteilung nach höchsten Zah-
lenbruchteilen, d. h. ohne Losentscheid, einträte, wenn auf
die CDU-Landesliste in Sachen nur eine zusätzliche Stimme
weniger (3 713) entfallen wäre.
Abschließend ist für den Bundeswahlleiter ein Wahlfehler
unter Bezugnahme auf seine Stellungnahme zu einem ande-
ren, derselben Thematik gewidmeten Wahleinspruch (WP
182/02) nicht ersichtlich. Die Vorschriften zu Überhang-
mandaten seien nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts mit dem Grundgesetz vereinbar. Konstella-
tionen negativer Stimmgewichte seien bereits Gegenstand
eines Wahlprüfungsverfahrens zur Bundestagswahl 1998
(WP65/98 – Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 67)
und einer hieran anschließenden Wahlprüfungsbeschwerde
vor dem Bundesverfassungsgericht (2 BvC 5/99) gewesen,
die vom Gericht als offensichtlich unbegründet verworfen
worden sei. Die Bundestagswahl 2002 sei ordnungsgemäß
nach den Vorschriften des Bundeswahlgesetzes durchge-
führt und die Sitzverteilung nach dem dort vorgesehenen
Verfahren Hare/Niemeyer berechnet worden. Der Hinweis,
die Effekte könnten durch Änderungen des Wahlrechts ver-
mieden werden, sowie Fragen zur Zweckmäßigkeit des gel-
tenden Rechts seien für die Frage eines Wahlfehlers ohne
Belang.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz von der Anberaumung einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Zu erinnern ist zunächst daran, dass sich der Wahlprüfungs-
ausschuss und der Deutsche Bundestag in ständiger Praxis
nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit von
Wahlrechtsvorschriften, hier der den Effekt negativer Stim-
mengewichte nicht ausschließenden Regelungen, festzustel-
len. Diese Kontrolle ist stets – so zuletzt in der Beschluss-
empfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 6. Juni
2003 – Bundestagsdrucksache 15/1150 – dem Bundesver-
fassungsgericht vorbehalten worden. Unbeschadet dessen
werden aber schon die verfassungsrechtlichen Einwände
nicht geteilt.
Wie schon zu Einsprüchen gegen die Bundestagswahl 1998
festgestellt, ist der mögliche Effekt eines negativen Erfolgs-
werts bei gewissen Zweitstimmenkonstellationen mit der

Existenz von Überhangmandaten im Rahmen der gesetzli-
chen Regelung verbunden (vgl. Bundestagsdrucksache 14/
1560, S. 177, 185). Bereits in diesen Wahlprüfungsentschei-
dungen ist auch angemerkt, dass das Bundesverfassungsge-
richt in Kenntnis möglicher negativer Stimmeffekte die das
Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden Wahl-
rechtsbestimmungen für verfassungsgemäß erklärt hat. Der
angesprochene Effekt war als „inkonsequente Ausgestal-
tung“ von der Antragstellerin des Organstreits vorgetragen
und in der mündlichen Verhandlung vom Bundeswahlleiter
als möglich bezeichnet worden (BVerfGE 95, 335/343/346).
Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht die gegen
die vorgenannten Wahlprüfungsentscheidungen eingelegten
Beschwerden jeweils mit Beschluss vom 22. Januar 2001
(2 BvC 1/99 und 5/99) verworfen und nur ausgeführt, dass
sie aus den durch ein Berichterstatterschreiben mitgeteilten
Erwägungen offensichtlich unbegründet seien. Im Bericht-
erstatterschreiben wird laut Schreiber (Handbuch des Wahl-
rechts, 7. Auflage, § 6 Rn. 6b) darauf verwiesen, dass mit
der Entscheidung des Gesetzgebers für eine personalisierte
Verhältniswahl der Erfolgswertgleichheit aller Stimmen nur
eine von vornherein begrenzte Tragweite zukomme, so dass
der beanstandete Effekt eines negativen Erfolgswertes der
Wählerstimmen, zu dem das Berechnungsverfahren Hare/
Niemeyer führe, nicht die Verfassungswidrigkeit der gelten-
den Regelung bewirken könne.
Auch die von der Einspruchsführerin genannte Möglichkeit,
dass im ungünstigsten Fall der beschriebene Effekt für die
Bildung der Mehrheit oder Minderheit im Bundestag aus-
schlaggebend sein könnte, und der Hinweis auf „Tipps“ zur
richtigen Stimmabgabe können nicht zu einem anderen Er-
gebnis führen. Dem Gesetzgeber ist in der Verfassungs-
rechtsprechung ein Gestaltungsspielraum bei der Festlegung
des Wahlsystems einschließlich der Entscheidung für ein
bestimmtes Berechnungsverfahren eingeräumt worden (vgl.
z. B. BVerfGE 79, 169/171). Dies impliziert die Möglich-
keit, dass in Grenzfällen alternativ denkbare Ausgestaltun-
gen und z. B. Berechnungsverfahren nicht nur zu unter-
schiedlichen Resultaten führen, sondern sogar hinsichtlich
der Mehrheitsbildung voneinander abweichen können.
Auch gewisse Empfehlungen zur „richtigen“ Stimmabgabe
machen die hierfür geeigneten Regelungen grundsätzlich
nicht verfassungswidrig. So hat der Wahlprüfungsausschuss
mit Blick auf das Stimmensplitting in der 13. Wahlperiode
ausdrückliche oder stillschweigende Wahlabsprachen über
„Leihstimmen“ grundsätzlich als zulässig angesehen (vgl.
Bundestagsdrucksache 13/3928, Anlage 22 , S. 54 f.). Für
verfassungsrechtliche Bedenken, die bei Vorliegen eines
Mißbrauchs der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten ent-
stehen könnten, wurde im Hinblick auf die seinerzeitige
Rüge, CDU-Politiker hätten zur Abgabe der Zweitstimme
für die FDP aufgefordert, kein ersichtlicher Anhaltspunkt
erkannt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 77 – Drucksache 15/1850

Anlage 15

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn Dr. C.-A. Z., 33604 Bielefeld

– Az.: WP 146/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 22. November 2002 beim Bundestag einge-
gangenen Schreiben hat der Einspruchsführer Einspruch ge-
gen die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer stützt seinen Einspruch darauf, dass
er in den Wahllokalen in der Kuhlo-Realschule in Bielefeld
„schwerwiegende Unregelmäßigkeiten“ festgestellt habe.
Im Einzelnen führt er an, dass
(1) die Wahlbenachrichtigungskarten nicht ordnungsge-

mäß vernichtet worden seien,
(2) ihm die Kontrolle der Auszählung und insbesondere

die Vorlage der als ungültig gewerteten Stimmzettel
verweigert worden sei,

(3) eine seiner Ansicht nach ungültige Stimmabgabe zu
Unrecht als gültig gewertet worden sei,

(4) das Auszählungsverfahren hinsichtlich des Ablaufs der
Auszählung der Stimmzettel zu kompliziert sei und
Fehlerquellen berge.

Er beantragt eine Wahlwiederholung in seinem Wahlbezirk
oder hilfsweise im gesamten Wahlkreis, zumindest jedoch
eine erneute Stimmauszählung. Zur Darstellung seines Vor-
trags hat der Einspruchsführer eine Fotografie, auf der Noti-
zen von Auszählungsergebnissen auf einer Tafel abgebildet
sind, der Einspruchsschrift beigefügt. Er trägt vor, dass die
„örtlichen Behörden in Bielefeld“ auf Grund seiner Be-
schwerde nicht tätig geworden seien, sondern ihn an den
Bundestag verwiesen hätten. Zu diesem Wahleinspruch ist
der Kreiswahlleiter um Stellungnahme gebeten worden.
Zu (1):
Zur angeblich nicht ordnungsgemäßen Vernichtung der
Wahlbenachrichtigungskarten trägt der Einspruchsführer
vor, dass die Wahlbenachrichtigungskarten „einfach in die
Schulpapierkörbe“ geworfen worden und somit am nächs-
ten Tag für alle Schüler und Lehrer zugänglich gewesen
seien. Dies ist seiner Ansicht nach eine Verletzung des Da-
tenschutzes und des Wahlgeheimnisses. Hierzu führt der
Kreiswahlleiter in seiner Stellungnahme aus, dass die Wahl-
benachrichtigungskarten nach Aussage des Wahlvorstehers

des Wahlbezirkes 002.4 in den dafür vorgesehenen Behält-
nissen an das Wahlamt zurückgegeben worden seien. Der
Wahlvorsteher des Wahlbezirkes 003.4 könne sich nicht
mehr daran erinnern, ob einige Wahlbenachrichtigungskar-
ten in Papierkörbe geworfen worden seien. Der Einspruchs-
führer trägt in seiner Gegenäußerung zur Stellungnahme
vor, dass sich die genaue Anzahl der fehlenden Wahlbe-
nachrichtigungskarten feststellen lassen müsse. Sein Vor-
wurf bezieht sich darauf, dass alle Wahlbenachrichtigungs-
karten nicht ordnungsgemäß vernichtet worden seien. Der
Einspruchsführer fragt nach der genauen Anzahl der fehlen-
den Wahlbenachrichtigungskarten und nach dem Verbleib
seiner Wahlbenachrichtigungskarte. Er fordert die Feststel-
lung der genauen Anzahl der fehlenden Wahlbenachrichti-
gungskarten.

Zu (2):
Zu seinen Bemühungen, die Stimmauszählung zu kontrol-
lieren, trägt der Einspruchsführer Folgendes vor: Auch
nachdem er sich als „offizieller Vertreter der FDP ohne di-
rekten Auftrag“ vorgestellt habe, sei ihm die Kontrolle der
Auszählung und insbesondere der als ungültig gewerteten
Stimmen verweigert worden. Daher vermutet er, dass „ge-
rade die Stimmen für die FDP fälschlicherweise als ungültig
angesehen worden“ seien. Der Kreiswahlleiter hat in seiner
Stellungnahme zu diesem Vortrag ausgeführt, dass es sich
hier um Vermutungen des Einspruchsführers handele, die
jeder Grundlage entbehrten. Der Einspruchsführer hat in
seiner Gegenäußerung hierzu vorgetragen, dass er es nicht
habe durchsetzen können, die ungültigen Stimmabgaben so-
wie die für die FDP abgegebenen Zweitstimmen in Augen-
schein zu nehmen und zu überprüfen. Nach Ansicht des
Einspruchsführers war somit die Öffentlichkeit der Stimm-
auszählung nicht gegeben. Entgegen der Auffassung des
Kreiswahlleiters seien seine Ausführungen keine Vermutun-
gen, sondern sein persönlicher Eindruck gewesen.

Zu (3):
Die weitere Begründung seines Einspruchs, ein Stimmzettel
sei zu Unrecht als gültig gewertet worden, hat der Ein-
spruchsführer im Verlauf des Verfahrens zurückgenommen.
Hierzu wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Drucksache 15/1850 – 78 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Zu (4):
Zum Verfahren der Stimmauszählung beanstandet der Ein-
spruchsführer, dass nicht ausschließlich die Erst- und Zweit-
stimmen „direkt gezählt“ worden seien, sondern „unbefugt
und ohne wissenschaftliche Kontrolle eine statistische Un-
tersuchung“ durchgeführt worden sei. Die Stimmenauszäh-
lung schildert der Einspruchsführer nach seinen Beobach-
tungen wie folgt:
– zuerst seien die Stimmen gezählt worden, bei denen

Erst- und Zweitstimme für dieselbe Partei abgegeben
worden sei,

– anschließend seien die Zweitstimmen der übrigen
Stimmzettel gezählt worden und

– schließlich habe man die Erststimmen der übrigen
Stimmzettel gezählt.

Durch diese Art der Auswertung der Stimmen sei der Wäh-
lerwille aus „unbefugt und illegal erhobenen Daten errech-
net“ worden. Eine „statistische Erhebung auf dieser lokalen
Ebene“ sei „zweifellos eine Verletzung des Wahlgeheimnis-
ses“, da das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler
und damit auch des Einspruchsführers durch diese Auswer-
tungsmethode ohne größere Schwierigkeiten herausgefun-
den werden könne. Die Mitglieder des Wahlvorstandes
seien durch dieses „komplizierte Auszählungsverfahren“
„völlig überfordert“ gewesen. Diese Behauptung stützt der
Einspruchsführer auf seine während des Auszählungsver-
fahrens gemachten Beobachtungen, wonach über die Art
der Ergebnisberechnung „dauernde Diskussionen“ stattge-
funden hätten und die Ergebnisse mehrmals korrigiert wor-
den seien. Er vermutet, dass dieses Auszählungsverfahren
im gesamten Wahlkreis angewandt worden sei. Wenn dies
der Fall sei, so sei es „geradezu ein Wunder“, wenn die Er-
gebnisse im Wahlkreis stimmten. Dieses Auszählungsver-
fahren ist nach Ansicht des Einspruchsführers „viel zu feh-
leranfällig“, wie er als Mathematiker beurteilen könne.
Der Kreiswahlleiter führt hierzu aus, dass der Wahlvorstand
das Wahlergebnis nach den Vorschriften der Bundeswahl-
ordnung und den Vorgaben der Wahlniederschrift ermittelt
habe, wobei es nach Aussage des Wahlvorstehers im dorti-
gen Wahlvorstand keine Probleme bei der Ermittlung des
Wahlergebnisses gegeben habe. Das ermittelte Ergebnis sei
in sich schlüssig gewesen und daher eine mehrfache Aus-
zählung nicht erforderlich gewesen.
Der Einspruchsführer räumt in seiner Gegenäußerung
hierzu ein, dass das im „Merkblatt für die Mitglieder des
Wahlvorstandes“ dargestellte Auszählungsverfahren in sei-
nem Wahllokal so durchgeführt worden sei. Dieses Merk-
blatt liegt demWahlprüfungsausschuss vor. Der Einspruchs-
führer vertritt allerdings die Auffassung, dass dieses Aus-
zählungsverfahren neben der Verletzung des Datenschutzes
„schwerwiegende Nachteile“ habe. In einer weiteren Zu-
schrift hat er hierzu erklärt, dass sich sein Einspruch gegen
§ 69 BWO richte. Nach dieser Vorschrift werde eine „Ver-
knüpfung von Daten“ in Bezug auf die „parteienmäßige
Übereinstimmung von Erst- und Zweitstimme“ verlangt, die
„zunächst nichts miteinander zu tun hätten. Die Verknüp-
fung der Daten sei „schlichtweg illegal“. Zur besseren
Überprüfung im Wahllokal könne eine „Urzählung der Da-
ten“ verlangt werden, aus der sich ergebe, wie viele Erst-
stimmen die „jeweiligen Kandidaten“ erzielt hätten und wie

viele Zweitstimmen „auf die einzelnen Parteien“ entfallen
seien. Seiner Ansicht nach sind „irgendwelche dubiosen Be-
rechnungen“ nur „zur Kontrolle zulässig“.
Die Sortierung der Stimmzettel sei – wie der Einspruchsfüh-
rer in seiner Gegenäußerung vorträgt – „unpraktikabel“ ge-
wesen, da jeder Stimmzettel zweimal habe gesichtet werden
müssen und „falsch sortierte Stimmzettel nicht auf den ers-
ten Blick erkennbar“ gewesen seien. Dieses Verfahren hat
seiner Ansicht nach „erheblichen Stress“ bei den Mitglie-
dern des Wahlvorstandes geschaffen und berge eine „unnö-
tige Fehlerquelle“. Die geschilderte „Abnahme“ der Stim-
men für die FDP sei vermutlich auf die „nachträgliche Ent-
deckung falsch sortierter“ Stimmzettel zurückzuführen.
Eine weitere „Fehlerquelle“ sei die Addition verschiedener
Spalten einer Tabelle, da die Gefahr bestehe, dass man sich
in der Spalte bzw. in der Zeile irren könne. Darüber hinaus
bestehe bei der Auswertung der Stimmabgabe die Gefahr
von Rechenfehlern. Des Weiteren seien die Stimmzettel in-
soweit unterschiedlich behandelt worden, als ein Teil habe
umsortiert werden müssen, während dies bei einem anderen
Teil der Stimmzettel nicht der Fall gewesen sei. Der Ein-
spruchsführer hält seine Forderung nach direkter Auszäh-
lung der Stimmen für die Bundestagswahl am 22. Septem-
ber 2002 aufrecht, da bei einer „direkten Auszählung“ die
vorgetragenen Probleme nicht entstanden wären.
Auch gebe es aller Erfahrung nach „bei Sortier- und Zählar-
beiten immer Probleme“ Wenn der Kreiswahlleiter Gegen-
teiliges behaupte, könne „man als Wahlbeobachter den
Schluss ziehen, dass das Wahlergebnis vorgegeben“ und
„die Auszählung nur vorgetäuscht“ worden sei. Er bemän-
gelt nicht, dass bei der Auszählung „Probleme aufgetaucht“
seien. Vielmehr beanstandet er, dass man auf Grund des
Umstandes, dass „die ganze Auszählung zum Schluss so un-
übersichtlich“ geworden sei, die erneute Auszählung nicht
durchgeführt habe, so wie dies auch in dem Merkblatt emp-
fohlen werde.
Der Einspruchsführer fordert für künftige Wahlen eine di-
rekte Auszählung der Erststimmen und der Zweitstimmen.
Für die Bundestagswahl vom 22. September 2002 fordert er
für den Fall, dass aus Kostengründen nicht in allen Wahl-
kreisen „direkt nachgezählt“ werden könne, eine direkte
Auszählung in ausgewählten Wahlkreisen. Dadurch könne
festgestellt werden, wie hoch in diesen Wahlkreisen die
Fehlerquote des verwendeten indirekten Verfahrens sei. Da
das Wahlergebnis knapp ausgegangen sei, könne eine „an-
dere weniger fehleranfällige Auszählung“ die Zusammen-
setzung des Bundestages beeinflussen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Als Wahlfehler könnte anzunehmen sein, dass Wahlbenach-
richtigungen in Papierkörbe geworfen wurden. Die Einord-
nung als Wahlfehler kann jedoch offen bleiben, denn selbst

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 79 – Drucksache 15/1850

wenn dies der Fall sein sollte, hätte der Einspruch keinen
Erfolg. Dieser Vorgang kann nämlich keinen Einfluss auf
das Wahlergebnis haben. Hinsichtlich der weiteren vom
Einspruchsführer beanstandeten Vorgänge liegt ein Wahl-
fehler nicht vor.
(1) Ein Wahlfehler liegt vor, sofern es zutrifft, dass Wahl-

benachrichtigungen vom Wahlvorstand in die Papier-
körbe des Wahllokals geworfen wurden. Der Kreis-
wahlleiter hat mitgeteilt, dass sich der Wahlvorsteher
des Wahlbezirks 003.4 nicht mehr daran erinnern
könne, ob einige Wahlbenachrichtigungskarten in Pa-
pierkörbe geworfen worden seien. Somit ist ein Ver-
stoß gegen das Wahlgeheimnis jedenfalls nicht ausge-
schlossen.
Nach § 73 Abs. 3 BWO gibt der Wahlvorsteher der
Gemeindebehörde die ihm zur Verfügung gestellten
Unterlagen und Ausstattungsgegenstände sowie die
eingenommenen Wahlbenachrichtigungen zurück.
Diese sind nach § 89 Abs. 1 BWO so zu verwahren,
dass sie gegen Einsichtnahme durch Unbefugte ge-
schützt sind. Nach der Wahl sind die eingenommenen
Wahlbenachrichtigungen von der Gemeindebehörde
unverzüglich zu vernichten (§ 90 Abs. 1 BWO). Diese
Vorschriften verfolgen zumindest auch den Zweck, das
Wahlgeheimnis zu sichern. Zu Recht weist der Ein-
spruchsführer darauf hin, dass nicht öffentlich bekannt
werden darf, wer gewählt und wer nicht gewählt hat.
Eine nicht ordnungsgemäße Rückgabe der Wahlbe-
nachrichtigungen an die Gemeindebehörde bedeutet
einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis.
Der Einspruch kann aber trotz dieses Wahlfehlers – so-
fern er vorliegt – keinen Erfolg haben. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der
sich der Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag
stets angeschlossen haben, können nämlich nur solche
Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolgreich begrün-
den, die auf die Mandatsverteilung von Einfluss sind
oder hätten sein können. Infolgedessen scheiden alle
Verstöße von vornherein als unerheblich aus, die die
Ermittlung des Wahlergebnisses nicht berühren (seit
BVerfGE 4, 370/372 ständige Rechtsprechung). Selbst
solche Wahlfehler, die die Ermittlung des Wahlergeb-
nisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie ange-
sichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf
die Mandatsverteilung haben können. Auch wenn ein
Verstoß gegen das Wahlgeheimnis vorliegen sollte, so
hätte dies keinen Einfluss auf das Wahlergebnis. Es be-
steht nämlich kein Anlass, die Stimmen derjenigen
Wählerinnen und Wähler als ungültig anzusehen, de-
ren Wahlbenachrichtigungen möglicherweise in Pa-
pierkörben gelandet sind.

(2) Kein Wahlfehler ist feststellbar, soweit der Einspruchs-
führer vorträgt, die Kontrolle der Auszählung und ins-
besondere die Vorlage der als ungültig gewerteten
Stimmzettel sei verweigert worden.
Selbst wenn dieser Sachverhalt, der vom Kreiswahllei-
ter bestritten wird, so wie vom Einspruchsführer ge-
schildert zutrifft, liegt eine Verletzung des Öffentlich-
keitsgrundsatzes nicht vor. Der Einspruchsführer hatte
nämlich die Möglichkeit, bei der Stimmenauszählung
anwesend zu sein.

Ebenso wie die Wahlhandlung selbst (§ 31 BWG) ist
die Stimmenauszählung öffentlich. Die Öffentlichkeit
der Stimmenauszählung ist für eine demokratische
Wahl von zentraler Bedeutung. Hierdurch soll Ver-
trauen in die Ordnungsmäßigkeit des Ablaufs der Wahl
und der Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnis-
ses entstehen. Durch die Öffentlichkeit der Stimmen-
auszählung soll eine Kontrolle des Auszählvorganges
durch die Bürger ermöglicht werden (Schreiber, Wahl-
recht, 7. Auflage, § 37 Rn. 1). Der Grundsatz der
Öffentlichkeit bedeutet, dass jedermann Zutritt zum
Wahlraum hat und damit die Ordnungsmäßigkeit des
gesamten Herganges der Abstimmung beobachten
kann (Schreiber, a. a. O., § 31 Rn. 3).
Eine solche Beobachtung war dem Einspruchsführer
nach seinem eigenen Vortrag ermöglicht worden. Es
besteht jedoch kein Anspruch der Bürgerinnen und
Bürger darauf, in den Vorgang der Stimmenauszählung
selbst einzugreifen. Der Wahlvorstand ist nicht ver-
pflichtet, jedem einzelnen interessierten Bürger Re-
chenschaft darüber abzulegen, welche Stimmzettel aus
welchen Gründen für ungültig erklärt worden sind.
Wenn dem Einspruchsführer eine derartige Kontrolle
verweigert worden ist, ist dies zu Recht geschehen. Der
Wahlvorstand ist im Interesse einer zügigen und kor-
rekten Ermittlung des Wahlergebnisses nicht verpflich-
tet, auf Nachfragen von anwesenden Personen im
Wahllokal einzugehen.

(3) Soweit der Einspruchsführer die Wertung einer Stimm-
abgabe als gültig beanstandet hat, hat er diesen Ein-
spruchsgrund zurückgenommen. Der Bundestag und
der Wahlprüfungsausschuss sehen den Einspruch inso-
weit als erledigt an.

(4) Soweit der Einspruchsführer sich gegen die Vorschrift
des § 69 BWO (Zählung der Stimmen) wendet, liegt
ein Wahlfehler nicht vor. Der Einspruchsführer bean-
standet, dass diese Vorschrift eine unzulässige Ver-
knüpfung von Daten vorsehe, indem Stimmzettelstapel
zu bilden seien, auf denen die Erst- und die Zweit-
stimme für den Bewerber und die Landesliste dersel-
ben Partei abgegeben worden seien. Darin sieht er of-
fenbar einen Verstoß gegen das Wahlgeheimnis.
Zunächst ist auf die ständige Praxis des Bundestages
und des Wahlprüfungsausschusses zu verweisen, wo-
nach diese sich nicht berufen sehen, die Verfassungs-
widrigkeit von Wahlrechtsvorschriften festzustellen.
Diese Kontrolle ist stets dem Bundesverfassungsge-
richt vorbehalten worden. Unabhängig davon bestehen
jedoch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von
§ 69 BWO. Die in dieser Vorschrift vorgesehene Bil-
dung von verschiedenen Stimmzettelstapeln führt nicht
zu einer Verletzung des Wahlgeheimnisses. Es ist nicht
möglich, aus der Sortierung in verschiedene Stapel
Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Wähle-
rinnen und Wähler zu ziehen. Dies gilt insbesondere
auch für die Trennung nach dem Kriterium, ob ein so
genanntes Stimmen-Splitting vorgenommen worden ist
oder nicht.
Soweit der Einspruchsführer das Verfahren der Stim-
menauszählung für „unpraktikabel“ hält, ist dies kein
Einwand, der die Verfassungsmäßigkeit von § 69

Drucksache 15/1850 – 80 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

BWO betrifft. Der Einspruchsführer hat im Übrigen im
Laufe des Verfahrens eingeräumt, dass die von ihm be-
obachtete Auszählung entsprechend dem geltenden
Recht erfolgt ist, und hat insoweit seinen Einspruch
nicht aufrechterhalten.

Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 81 – Drucksache 15/1850

Anlage 16

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn D. T., 20097 Hamburg

– Az.: WP 1/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 21. November 2002 per Telefax beim Deut-
schen Bundestag eingegangenen Schreiben hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag eingelegt. Hierin bezieht er sich
auf seine bereits mit Schreiben vom 28. August 2002 vor-
getragene Begründung.
Er beanstandet im Wesentlichen, dass er bei der Aufstellung
der Kreiswahlvorschläge in seinem Wahlkreis Herzogtum
Lauenburg-Stormarn-Süd (Wahlkreis 10) und bei der Auf-
stellung der Landesliste Schleswig-Holstein nicht habe teil-
nehmen können. Es sei ihm nicht möglich gewesen, an der
Aufstellung von Wahlkreiskandidaten oder der Aufstellung
einer Landesliste in demokratischer Art und Weise teilzu-
nehmen. Er habe weder eine öffentliche Aufforderung ent-
sprechend der „Aufforderung zur Bundestagswahl“ noch
eine Einladung „zu den einzelnen Parteien“ erhalten. Der
Kreisvorsitzende einer politischen Partei aus seinem Wahl-
kreis habe ihm mitgeteilt, dass die Teilnahme an „Wahl-
kreistagen“, bei denen die Wahlkreiskandidaten aufgestellt
würden, nur Parteimitgliedern möglich sei.
Sein Einspruch könne nicht mit der Begründung abgelehnt
werden, dass ihm durch Beitritt zu einer politischen Partei
die Beteiligung an der Aufstellung der Kandidaten möglich
gewesen wäre. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Ein-
spruchsführer sich bei der Stimmabgabe für den Wahlkreis-
kandidaten einer Partei entscheide, während er seine Zweit-
stimme einer anderen Partei geben könne. Er wolle auch auf
diese Landesliste Einfluss nehmen, damit „nicht nur Beamte
und Angehörige des öffentlichen Dienstes in den Bundestag
einrücken“ könnten. Die Mitgliedschaft in zwei politischen
Parteien sei nach den Satzungen der politischen Parteien
nicht zulässig.
Durch den Ausschluss des „überwiegenden Teils der Bevöl-
kerung“ von der Vorauswahl der Kandidaten seien die de-
mokratischen Rechte der Wählerinnen und Wähler „ver-
nichtet“. Er gehe davon aus, dass „ungefähr 3,6 Prozent der
Bevölkerung“ über die Aufstellung der Kandidaten be-
stimmten. Bei einem großen Anteil der auf Landeslisten
aufgeführten Kandidaten stehe bereits vor der Wahl fest,
dass sie dem Bundestag angehören würden.

Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchsführers wird
auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Kreiswahlleiter wie folgt
Stellung genommen:
Die Aufforderung zur Einreichung der Kreiswahlvorschläge
sei gemäß § 32 Abs. 1 Bundeswahlordnung (BWO) am
10. April 2002 im Amtlichen Kreisblatt für den Kreis Her-
zogtum Lauenburg veröffentlicht worden. Da sich der
Wahlkreis teilweise über den Kreis Storman-Süd erstrecke,
sei der Landrat für diesen Kreis gebeten worden, die Ver-
öffentlichung gemäß der dort geltenden Hauptsatzung
durchzuführen. Dies sei am 18. April 2002 in zwei Tages-
zeitungen geschehen. Dem Einspruchsführer, der im Kreis
Storman wohne, sei es möglich gewesen, die Veröffent-
lichungen zur Kenntnis zu nehmen, um sich mit einem
Kreiswahlvorschlag an der Bundestagswahl zu beteiligen.
Der Einspruchsführer habe sich zu keinem Zeitpunkt mit
dem Kreiswahlleiter in Verbindung gesetzt.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich.
Aus der Stellungnahme des Kreiswahlleiters des Wahlkrei-
ses 10 (Herzogtum Lauenburg-Storman-Süd) geht hervor,
dass es dem Einspruchsführer sehr wohl möglich war, selbst
einen Kreiswahlvorschlag für die Bundestagswahl 2002 ein-
zureichen. Eine entsprechende Aufforderung zur Einrei-
chung von Kreiswahlvorschlägen ist fristgemäß erfolgt.
Soweit der Einspruchsführer beanstandet, er habe nicht an
der Aufstellung der Kreiswahlvorschläge in seinem Wahl-

Drucksache 15/1850 – 82 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kreis und an der Aufstellung der Landeslisten der Parteien
teilnehmen können, so ist insoweit ein Wahlfehler nicht
ersichtlich. Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 Bundeswahlgesetz
(BWG) kann als Bewerber einer Partei in einem Kreiswahl-
vorschlag nur benannt werden, wer in einer Mitgliederver-
sammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers oder in einer
besonderen oder allgemeinen Vertretersammlung hierzu ge-
wählt worden ist. An dieser Wahl können nur wahlberech-
tigte Mitglieder der betreffenden Partei teilnehmen. Der
Einspruchsführer geht auch zu Recht davon aus, dass Lan-
deslisten nur von Parteien eingereicht werden können (§ 27
Abs. 1 Satz 1 BWG). An der Aufstellung der Kandidaten
für die Landeslisten können ebenfalls nur Parteimitglieder
mitwirken (§ 27 Abs. 5 i.V. m. § 21 Abs. 1 BWG). Dem
Einspruchsführer kann entgegen seiner eigenen Einschät-
zung sehr wohl entgegengehalten werden, dass ihm durch
Beitritt zu einer politischen Partei eine Beteiligung an der
Kandidatenaufstellung möglich gewesen wäre. Sein Hin-
weis auf einen angeblichen Widerspruch zwischen der Un-
zulässigkeit der Mitgliedschaft in zwei oder mehreren Par-
teien einerseits und der Möglichkeit des Stimmensplittings
zwischen Erst- und Zweitstimme bei der Ausübung des
Wahlrechts andererseits führt zu keinem anderen Ergebnis.
Es gibt nämlich keinen Anspruch der Wahlberechtigten da-
rauf, unter allen denkbaren Umständen die Möglichkeit zu
haben, bei der Aufstellung derjenigen Bewerber vor der
Wahl mitzuwirken, denen sie bei der Wahl ihre Stimme ge-
ben. Das Bundesverfassungsgericht hat es im Übrigen wie-
derholt als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen,
dass der Gesetzgeber – von der Aufstellung freier Kreis-
wahlbewerber nach § 20 Abs. 3 BWG abgesehen – die Auf-
gabe, Kandidatenvorschläge für die Wahl in Wahlkreisen
und für Landeslisten einzureichen, „in die Hände der Par-
teien“ gelegt hat (BVerfGE 89, 243/251; BVerfGE 46, 196/
199).
Auch der Einwand, bei einem großen Anteil der auf Landes-
listen aufgeführten Kandidaten stehe bereits vor der Wahl
fest, dass sie dem Bundestag angehören würden, begründet
keinen Wahlfehler. Nach § 27 Abs. 3 BWG müssen die Na-
men der Bewerber auf der Landesliste in erkennbarer Rei-
henfolge aufgeführt sein. Nach dem geltenden Wahlrecht
besteht keine Möglichkeit für die Wählerinnen und Wähler,
auf die Reihenfolge der Bewerber Einfluss zu nehmen (vgl.
§§ 6 Abs. 4 und 27 Abs. 3 BWG). Das Bundesverfassungs-
gericht hat wiederholt festgestellt, dass sich dieses System
der „ starren“ oder „gebundenen“ Liste im Rahmen der dem
Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsfreiheit bei der Aus-
gestaltung des Wahlrechts bewegt und nicht gegen die
Grundsätze der unmittelbaren, freien und gleichen Wahl des
Artikels 38 Grundgesetz verstößt (vgl. z. B. BVerfGE 7, 63/
68 ff.; BVerfGE 47, 253/282; Schreiber, Bundeswahlgesetz,
7. Auflage, § 27 Rn. 4 und 12).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 83 – Drucksache 15/1850

Anlage 17

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. K., 32547 Bad Oeynhausen

– Az.: WP 63/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 20. Oktober 2002, das am 22. Oktober
2002 beim Bundestag eingegangen ist, hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
In der Einspruchsschrift bezieht er sich auf ein Schreiben an
den Bundeswahlleiter vom 6. Oktober 2002, das in der
Unterschrift auch den Vornamen von Frau I. K. enthält, so-
wie auf ein weiteres Schreiben an den Bundeswahlleiter
vom 20. August 2002.
Zur Begründung trägt er vor, dass die „Großdeutsche Verei-
nigte Partei national“ (G.V.P. national) nicht „im Anschrif-
tenverzeichnis zur Bundestagswahl“ aufgeführt gewesen
sei. Jedem Richter und Staatsanwalt sei die Partei bekannt.
Diese „Nichtaufführung“ sei als Missachtung „deutscher
Mitglieder“ zu betrachten und der Hauptgrund für den
Wahleinspruch. Daneben fordert der Einspruchsführer den
Rücktritt von Bundeskanzler Gerhard Schröder und erhebt
„Widerspruch“ gegen dessen Vereidigung, da dieser sich ein
Mandat erschlichen habe, das deutsche Volk, die Heimat-
vertriebenen und Flüchtlinge betrüge und „deutsche Men-
schen“ missachte. Darüber hinaus nimmt er Bezug auf ein
Verfahren des Landgerichts Bonn (2 T 35/99), in dem er
ein Insolvenzeröffnungsverfahren gegen die Bundesrepu-
blik Deutschland beantragt hat. Der hierzu ergangene Be-
schluss des Landgerichts Bonn liegt dem Wahlprüfungsaus-
schuss vor. Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers
wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Nach Mitteilung des Bundeswahlleiters hat die „G.V.P.
national“ nicht nach § 18 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWG)
ihre Beteiligung an der Bundestagswahl schriftlich ange-
zeigt.
Der Wahlprüfungsausschuss hat beim Einspruchsführer
nachgefragt, ob auch Frau I. K. Einspruchsführerin sein
solle. In diesem Falle sei eine auch von Frau I. K. unter-
zeichnete Einspruchsschrift innerhalb der Einspruchsfrist
(22. November 2002) vorzulegen. Daraufhin ist in einem
weiteren Schreiben vom 4. Juni 2003, das in der Unter-
schrift auch den Vornamen von Frau I. K. enthält, die Rück-
zahlung der von den „Betrugsparteien“ erhaltenen „Wahl-
gelder“ gefordert worden.

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 Wahl-
prüfungsgesetz (WPrüfG) von einer mündlichen Verhand-
lung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Einspruch zulässig ist;
er ist jedenfalls offensichtlich unbegründet.
Es bestehen Zweifel, ob der Vortrag des Einspruchsführers
hinreichend substantiiert im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 40, 11/30) ist und so-
mit eine nach § 2 Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begründung
enthält. Dies kann jedoch offen bleiben, da der Einspruch
jedenfalls in der Sache unbegründet ist.
Es handelt sich nicht um einen gemeinschaftlichen Ein-
spruch von Herrn H. K. und von Frau I. K. Zwar ist in der
Unterschrift des Schreibens an den Bundeswahlleiter vom
6. Oktober 2002 auch der Vorname von Frau I. K. mit auf-
geführt, jedoch handelt es sich nicht um eine vollständige
eigenhändige Unterschrift. Darüber hinaus haben der Ein-
spruchsführer und Frau I. K. auf eine entsprechende Nach-
frage des Wahlprüfungsausschusses innerhalb der Ein-
spruchsfrist nicht reagiert.
Der Einspruch ist offensichtlich unbegründet, weil aus dem
vorgetragenen Sachverhalt eine Verletzung wahlrechtlicher
Vorschriften nicht ersichtlich ist.
Die Tatsache, dass der Einspruchsführer mit seiner Vereini-
gung nicht im Anschriftenverzeichnis der Parteien und poli-
tischen Vereinigungen, die gemäß § 6 Abs. 3 Parteiengesetz
beim Bundeswahlleiter Parteiunterlagen hinterlegt haben,
enthalten ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der
Einspruchsführer hat die hierfür notwendigen Angaben
(Satzung und Programm der Partei, Namen der Vorstands-
mitglieder der Partei und der Landesverbände mit Angabe
ihrer Funktionen) dem Bundeswahlleiter nicht mitgeteilt. Es
bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vereini-
gung des Einspruchsführers zu Unrecht an der Teilnahme an
der Bundestagswahl gehindert worden wäre. Deren Beteili-
gung an der Bundestagswahl ist nicht gemäß § 18 Abs. 2
BWG schriftlich angezeigt worden.

Drucksache 15/1850 – 84 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Hinsichtlich des weiteren Vortrags des Einspruchsführers ist
ein wahlrechtlicher Bezug nicht ersichtlich. Insbesondere ist
nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang die Forderung
des Einspruchsführers nach dem Rücktritt des Bundeskanz-
lers und seine Forderung nach „Rückzahlung“ von „Wahl-
geldern“ mit der Gültigkeit der Bundestagswahl stehen sol-
len.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 85 – Drucksache 15/1850

Anlage 18

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. P., 51065 Köln

– Az.: WP 54/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2002, das am 14. Oktober
2002 eingegangen ist, hat der Einspruchsführer gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 Einspruch eingelegt.
Der Einspruchsführer ist nach eigenen Angaben Vorsitzen-
der der Vereinigung „Liberale Demokraten (LD)“ im Bezirk
Köln. Er begründet seinen Einspruch damit, dass diese Ver-
einigung zu Unrecht nicht als Partei zur Bundestagswahl
2002 zugelassen worden sei.
Mit Schreiben vom 10. Mai 2002, eingegangen am 6. Juni
2002, zeigte die LD ihre Teilnahme an der Bundestagswahl
2002 beim Bundeswahlleiter an. Da die Beteilungsanzeige
nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 18 Abs. 2 Bun-
deswahlgesetz (BWG) entsprach, reichte die Vereinigung
die noch fehlenden Unterlagen und Nachweise mit Schrei-
ben vom 19. Juni 2002, eingegangen am 21. Juni 2002, ein.
Mit Schreiben vom 24. Juni 2002 informierte der Bundes-
wahlleiter den Bundesvorstand der Vereinigung darüber,
dass deren Beteiligungsanzeige nunmehr den gesetzlichen
Erfordernissen des § 18 Abs. 2 BWG entspreche.
Der Bundeswahlausschuss stellte in seiner Sitzung am
12. Juli 2002 unter dem Vorsitz des Bundeswahlleiters mit
acht Ja-Stimmen bei einer Enthaltung fest, dass die Vereini-
gung „Liberale Demokraten – Die Sozialliberalen – (LD)“
für die bevorstehende Bundestagswahl die Parteieigenschaft
nicht besitze. Ausweislich der Niederschrift über diese Sit-
zung begründete der Bundeswahlausschuss seine Entschei-
dung wie folgt:
„Nach Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse
sind die Voraussetzungen der Parteieigenschaft nach § 2
Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) nicht gegeben. Die bereits
seit dem 28. November 1982 bestehende Vereinigung hatte
nach eigenen Angaben am 31. Dezember 2000 lediglich
245 Mitglieder, von denen sich jedoch laut Protokoll vom
7. Oktober 2000 nur fünf Personen an der Vorstandswahl
beteiligt haben. Die Vereinigung hat sich zuletzt an der Bun-
destagswahl 1994 beteiligt und ist seither nicht nachhaltig in
der Öffentlichkeit hervorgetreten.“
Der Einspruchsführer wendet sich hiergegen mit dem Hin-
weis, dass der LD eine höhere Mindestmitgliederzahl als 55

nicht mitgeteilt worden sei. Er bezieht sich hierbei auf ein
an den Einspruchsführer gerichtetes Schreiben des Bundes-
wahlleiters vom 21. August 2002, in dem ausgeführt wird,
das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss
vom 26. November 1968 (BVerfGE 24, S. 299/332) eine im
Aufbau befindliche Vereinigung mit 400 Mitgliedern noch
als Partei anerkannt. Der Deutsche Bundestag habe in einer
Wahlprüfungsangelegenheit die Parteieigenschaft bei nur
55 Mitgliedern verneint (Beschluss vom 26. Februar 1970;
Bundestagsdrucksache VI/361, Plenarprotokoll S. 1657).
Die „Liberalen Demokraten (LD)“ überschritten diese Zahl.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sage nicht
aus, dass Parteien mit weniger als 400 Mitgliedern nicht an-
zuerkennen seien.
Für die Bundestagswahl 1998 hätte die LD ebenfalls ihre
Beteiligung angezeigt. Damals sei sie nicht zugelassen wor-
den, weil keine testierten Rechenschaftsberichte vorgelegen
hätten. Dieser Ablehnungsgrund sei für viele Parteien im
Jahr 2002 kein Zulassungshindernis. Die LD sei deshalb
ebenfalls berechtigt gewesen, ihre Rechenschaftsberichte
nach der ursprünglichen Frist nachzureichen.
Zur Begründung des Bundeswahlausschusses, die Vereini-
gung sei seit der Bundestagswahl 1994 nicht nachhaltig in
Öffentlichkeit hervorgetreten, führt der Einspruchsführer
aus, die „Liberalen Demokraten“ hätten mehrfach Presse-
mitteilungen veröffentlicht, die von den Medien nur selten
aufgegriffen worden seien. Wegen der Pressefreiheit könne
die Vereinigung keinen Einfluss auf die Medien nehmen.
Außerdem setze die LD auf politische Inhalte und nicht auf
spektakuläre Aktionen, die von den Medien lieber aufge-
griffen würden. Beteiligungen an Kommunalwahlen wie in
Köln und Heidelberg würden ignoriert und die Nichtzulas-
sung zur Bundestagswahl 1998 werde zu Unrecht der LD
angelastet.
Die „Liberalen Demokraten“ im Bezirk Köln hätten einen
Kreiswahlvorschlag mit dem Einspruchsführer als Direkt-
kandidaten beim zuständigen Kreiswahlleiter in Leverkusen
eingereicht. Dem Kreiswahlvorschlag seien 240 statt der er-
forderlichen 200 Unterstützungsunterschriften beigefügt ge-
wesen. Die Tatsache, dass die Vereinigung seit 1982 exis-
tiere, zeige, dass sie für eine längere Zeit angelegt sei, wie
dies nach dem Parteiengesetz gefordert werde. Auch das

Drucksache 15/1850 – 86 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Parteiprogramm mit über 100 Seiten biete eine Gewähr für
die Ernsthaftigkeit.
Einige Parteien hätten laut Bundestagsdrucksache 14/8836
keine bzw. keine testierten Rechenschaftsberichte abgege-
ben und hätten damit eindeutig gegen das Parteiengesetz
verstoßen. Dies zeige, dass der Bundeswahlausschuss keine
eindeutigen Kriterien für die Anerkennung als Partei habe.
Da der überwiegende Teil der Wahlberechtigten keine Par-
teimitglieder seien, müssten auch die Mitglieder des Bun-
deswahlausschusses überwiegend Parteilose sein. Ansons-
ten würden Parteimitglieder über die eigene Konkurrenz
entscheiden.
Auf Grund des derzeitigen Zulassungsverfahrens sei die
Chancengleichheit nicht gegeben. Während die in Parla-
menten vertretenen Parteien bereits Wahlkampf betreiben
könnten, müssten sich kleine Parteien um die Erfüllung der
Zulassungsvoraussetzungen, wie z. B. das Sammeln von
Unterschriften, kümmern. Dies gelte auch vor dem Hinter-
grund der wachsenden Zahl von Briefwählern.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Die Bewertung des Bundeswahlausschusses in seiner Sit-
zung vom 12. Juli 2002 werde durch das Vorbringen des Ein-
spruchsführers nicht widerlegt. Die „Liberalen Demokraten
(LD)“ seien keine Partei im Sinne des § 2Abs. 1 PartG. Nach
dieser Vorschrift sind Parteien Vereinigungen von Bürgern,
die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes
oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss
nehmen und an der Vertretung des Volkes imDeutschen Bun-
destag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach
dem Gesamtbild ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mit-
glieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit
eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit der Zielset-
zung bieten. Zur Auslegung dieser Vorschrift verweist der
Bundeswahlleiter auf die Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts. In dem hier interessierenden Zusammenhang
seien insbesondere die Entscheidungen vom 17. Oktober
1968 (BVerfGE 24, S. 260), vom 21. Oktober 1993
(BVerfGE 89, S. 291), vom 23. November 1993 (BVerfGE
91, S. 262) sowie vom 17. November 1994 (BVerfGE 91,
S. 276) bedeutsam. Nach dieser Rechtsprechung sind die in
§ 2 Abs. 1 PartG aufgeführten Merkmale und Anhaltspunkte
für die Parteieigenschaft einer Vereinigung nicht trennscharf
voneinander abzugrenzen. Sie sind Indizien für die Ernsthaf-
tigkeit der politischen Zielsetzung. Keines ist für sich ge-
nommen ausschlaggebend und nicht alle müssen von der
Partei stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Zurückhal-
tung in einem Bereich kann durch verstärkte Bemühungen
auf anderen Gebieten in gewissen Grenzen ausgeglichen
werden. Entscheidend ist, ob die Gesamtwürdigung der tat-
sächlichen Verhältnisse der Vereinigung den Schluss zulässt,
dass sie ihre erklärte Absicht, an der politischen Willensbil-
dung des Volkes mitzuwirken, ernsthaft verfolgt (so
BVerfGE 91, S. 262/271). Insbesondere darf bei dieser Ge-
samtwürdigung das Ziel parlamentarischer Vertretung bei
der betreffenden Vereinigung nicht gänzlich wirklichkeits-
fern erscheinen (so BVerfGE 91, S. 276/293 m. w. N.).
Für diese Gesamtwürdigung sind nach den Darlegungen des
Bundeswahlleiters bei der Vereinigung „Liberale Demokra-
ten (LD)“ folgende Sachverhalte bedeutsam:

– Die „Liberalen Demokraten (LD)“ hätten erst einmal,
und zwar 1994, an einer Wahl zum Deutschen Bun-
destag teilgenommen. Seinerzeit habe die Vereinigung
lediglich einen Kreiswahlvorschlag im Wahlkreis 205
– München Ost – eingereicht und dafür 221 Erststimmen
erzielt.

– Demgegenüber komme es auf eine Teilnahme an Kom-
munalwahlen nicht entscheidend an, da das Parteien-
gesetz in § 2 Abs. 1 gerade auf die politische Willens-
bildung auf Bundes- und Landesebene und nicht auf
Kommunalebene abstelle.

– Vor der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag 1998 habe
die Vereinigung nach eigenen Angaben 270 Mitglieder
gehabt. Diese Mitgliederzahl habe sich bis zum Jahr
2000 auf 245, mithin um ca. 10 %, verringert. Der Verei-
nigung sei es also seit 1998 nicht gelungen, ihren Rück-
halt in der Bevölkerung zu verbessern. Jedenfalls habe
sie keinen Mitgliederbestand erreicht, den das Bundes-
verfassungsgericht als „nicht völlig unbedeutend“ (vgl.
BVerfGE 89, S. 266/270) bezeichnet habe. Berücksich-
tige man außerdem, dass an den Vorstandswahlen im
Jahre 1996 und 1997 nur sieben bzw. acht Personen und
im Jahre 2000 sogar nur fünf Personen teilgenommen
hätten, sei die Schlussfolgerung zwingend, dass Umfang
und Festigkeit der Organisation der Vereinigung auch
vor der Bundestagswahl 2002 nur schwach ausgeprägt
gewesen seien.

– Die von der Vereinigung in geringem Umfang betriebene
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ändere nichts an dem
Befund, dass für deren relevante Resonanz in der Öffent-
lichkeit keine Anhaltspunkte vorlägen.

– Die Vereinigung sei im Übrigen zur Bundestagswahl
1998 nicht wegen fehlender Rechenschaftsberichte ab-
gewiesen worden. Vielmehr habe der Bundeswahlaus-
schuss bei der Vereinigung auch seinerzeit nicht die Par-
teieigenschaft nach § 2 Abs. 1 PartG feststellen können.
Dies gehe aus der Niederschrift der 1. Sitzung des Bun-
deswahlausschusses zur Bundestagswahl 1998 hervor,
auf deren Wortlaut der Bundeswahlleiter bezüglich der
Nichtzulassung der Liberalen Demokraten als Partei ver-
weist. Die Niederschrift liegt dem Wahlprüfungsaus-
schuss vor.

– Die Vereinigung habe für das Kalenderjahr 2001 keinen
Rechenschaftsbericht im Sinne des § 23 PartG vorgelegt.
Es sei jedoch nicht dieser Aspekt gewesen, der den Bun-
deswahlausschuss in seiner Sitzung am 12. Juli 2002
dazu veranlasst habe, der Vereinigung die Parteieigen-
schaft zu versagen. Der Hinweis des Einspruchsführers
auf die Feststellung der Parteieigenschaft bei Vereini-
gungen, die keine Rechenschaftsberichte abgegeben hät-
ten, verkenne, dass sich der Bundeswahlausschuss bei
seiner Zulassungsentscheidung ausschließlich an § 2
Abs. 1 des Parteiengesetzes auszurichten habe. Die Er-
stellung und Vorlage eines Rechenschaftsberichtes ge-
höre nicht zu dem Katalog der Voraussetzungen zur
Feststellung der Parteieigenschaft des § 2 Abs. 1 PartG.
Dementsprechend könne die Vorlage eines solchen Be-
richts den vorherrschenden Gesamteindruck einer Verei-
nigung weder bestätigen noch entkräften. Die Tatsache
eines fehlenden Rechenschaftsberichtes der Vereinigung
„Liberale Demokraten (LD)“ sei deshalb in die Entschei-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 87 – Drucksache 15/1850

dungsfindung des Bundeswahlausschusses nicht einge-
flossen. In § 2 Abs. 1 PartG seien die Kriterien, die über
die Zulassung von Parteien entscheiden, unmissver-
ständlich formuliert. Die Behauptung des Einspruchs-
führers, es gebe keine eindeutigen Kriterien hierfür, sei
damit widerlegt.

– Die Vereinigung der „Liberalen Demokraten“ existiere
seit 1982. Während der Dauer ihres Bestehens sei es ihr
nicht gelungen, durch Mitwirkung an der politischen
Willensbildung auf die Gestaltung der öffentlichen Mei-
nung maßgeblich Einfluss zu nehmen. Die Fähigkeiten
zur Erfüllung der Aufgaben einer Partei seien nicht aus-
reichend ausgebildet worden.

– Der Vortrag, die Vereinigung sei im Wahlkampf durch
das Verfahren zur Feststellung der Parteieigenschaft be-
nachteiligt, könne nicht überzeugen. Öffentlichkeitsar-
beit und Wahlkampf seien nämlich nicht abhängig vom
Parteienstatus und könnten parallel zum Verfahren auf
Feststellung der Parteieigenschaft betrieben werden. Von
dieser Möglichkeit hätten auch diverse andere Vereini-
gungen Gebrauch gemacht.

Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich hierzu wie geäußert:
Die „Liberalen Demokraten“ hätten Ende November 2002
ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert und hätten damit im Ge-
gensatz zu vielen zur Bundestagswahl zugelassenen Par-
teien gezeigt, dass sie existierten und nach wie vor gewillt
seien, für längere Zeit auf die politische Willensbildung
Einfluss zu nehmen. Außerdem sei beabsichtigt gewesen,
dies durch Teilnahme an den Bundestagswahlen 1998 und
2002 zu bekunden. In der praktischen Arbeit der LD zeige
sich dies insbesondere seit 1990 durch Petitionen und
Schreiben an die verschiedenen Bundesregierungen. Gerade
im vorangegangenen Kommunalwahlkampf habe der Ein-
spruchsführer enttäuschte Wähler mindestens dazu bringen
können, an der Wahl teilzunehmen. Für das Hervortreten in
der Öffentlichkeit fehle es an hinreichend klaren Kriterien.
In der Stellungnahme des Bundeswahlleiters seien Entschei-
dungen des Bundesverfassungsgerichts angeführt worden,
die früher nie erwähnt worden seien und auf deren Inhalt
der Einspruchsführer nicht eingehen könne, da sie ihm nicht
bekannt seien. Es wäre – so der Einspruchsführer – hilf-
reich, solche Informationen den Vereinigungen vorab zur
Verfügung zu stellen.
Der Einspruchsführer wendet sich gegen das Argument, bei
der Gesamtwürdigung dürfe das Ziel parlamentarischer Ver-
tretung bei der betreffenden Vereinigung nicht gänzlich
wirklichkeitsfern erscheinen. Lege man diesen Maßstab an,
so könne jeder Vereinigung, die an einer Bundestags- oder
Landtagswahl teilgenommen habe und unter einem Prozent
der Stimmen bleibe, die Ernsthaftigkeit abgesprochen wer-
den.
Die „Liberalen Demokraten“ hätten kurz nach ihrer Grün-
dung an den Landtagswahlen in Hessen und Bremen teilge-
nommen. Der damalige Vorstand habe hierbei die Partei
verschuldet, so dass ab 1989 zunächst von der jetzigen Bun-
desvorsitzenden die finanziellen Verhältnisse der Vereini-
gung hätten geordnet werden müssen. Eine Beteiligung an
Wahlen sei wegen des hohen finanziellen Risikos deshalb
nur in sehr kleinem Rahmen möglich gewesen. Ab Juni

2000 sei die Bundesvorsitzende erkrankt gewesen, weshalb
einige Aktivitäten der Vereinigung zurückgestellt worden
seien.
Soweit der Vereinigung eine Verringerung der Mitglieder-
zahlen entgegengehalten werde, treffe dies auch auf einige
noch im Bundestag vertretene Parteien zu. Im Hinblick auf
den erforderlichen Mitgliederbestand werde mit dem Ein-
spruchsführer inhaltlich nicht bekannten Urteilen des Bun-
desverfassungsgerichts argumentiert.
Da die „Liberalen Demokraten“ sich um eine Teilnahme an
der Bundestagswahl 1998 bemüht hätten, dürfe die Nicht-
anerkennung als Partei ihnen nicht als Grund für die Nicht-
anerkennung entgegengehalten werden.
Die testierten Rechenschaftsberichte sollten nach Auffas-
sung des Einspruchsführers im Rahmen der Gesamtwürdi-
gung berücksichtigt werden, da aus den finanziellen Ver-
hältnissen einer Vereinigung Schlussfolgerungen gezogen
werden könnten. Bei der Sitzung des Bundeswahlausschus-
ses vom 17. Juli 1998 sei die Frage der Vorlage von Rechen-
schaftsberichten der LD thematisiert worden. Dies sei aller-
dings nicht in der Niederschrift festgehalten worden.
Der Bundeswahlausschuss sei zu Unrecht mit Vertretern
von Parteien besetzt, die die Zulassungskriterien restriktiv
anwendeten und im Wesentlichen den Vorlagen des Bundes-
wahlleiters in der Regel mangels eigener hinreichender Vor-
arbeit zustimmten.
Darüber hinaus setzt sich der Einspruchsführer mit Ent-
scheidungen des Bundeswahlausschusses bezüglich anderer
Vereinigungen sowie generell mit der Handhabung der Zu-
lassungskriterien des Bundeswahlausschusses auseinander.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Ak-
teninhalt verwiesen.
Der Einspruchsführer hat eine Äußerung der Bundesvorsit-
zenden der „Liberalen Demokraten“ zur Stellungnahme des
Bundeswahlleiters angekündigt. Eine solche Äußerung ist
in der Folgezeit beim Wahlprüfungsausschuss nicht einge-
gangen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Bundes-
wahlausschuss hat in seiner Sitzung am 12. Juli 2002 der
Vereinigung „Liberale Demokraten (LD)“ die Parteieigen-
schaft zu Recht abgesprochen. Da diese Vereinigung im
Vorfeld der Bundestagswahl 2002 nicht zu den Parteien ge-
hörte, die im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag
seit deren letzter Wahl auf Grund eigener Wahlvorschläge
mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten waren, musste
sie nach § 18 Abs. 2 BWG ihre Teilnahme an der Bundes-
tagswahl 2002 bis zum 90. Tag vor der Wahl (24. Juni 2002)
anzeigen und hätte nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 BWG für die

Drucksache 15/1850 – 88 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wahl zum 15. Deutschen Bundestag als Partei anerkannt
werden müssen. Nachdem am 21. Juni 2002 die noch feh-
lenden Unterlagen und Nachweise eingegangen waren, lag
eine ordnungsgemäße Beteiligungsanzeige nach § 18 Abs. 2
BWG vor.
Der Bundeswahlausschuss hat zu Recht die Parteieigen-
schaft der „Liberalen Demokraten (LD)“ nicht festgestellt.
Der Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss machen
sich die Begründung des Bundeswahlausschusses vom
12. Juli 2002 sowie die in der Stellungnahme des Bun-
deswahlleiters überzeugend und nachvollziehbar dargelegte
Begründung für die Nichtanerkennung als Partei zu Eigen.
Die in der Gegenäußerung des Einspruchsführers zur Stel-
lungnahme des Bundeswahlleiters vorgebrachten Einwände
führen nicht zu einem anderen Ergebnis.
Soweit der Einspruchsführer auf die Feier des 20-jährigen
Bestehens der Vereinigung hinweist, so mag hieraus die
Existenz der Vereinigung und der Wille, sich politisch zu
betätigen, abgeleitet werden. Der Wille einzelner Mitglieder
ist jedoch nicht allein maßgeblich. Nach § 2 Abs. 1 Partei-
engesetz ist zusätzlich vorausgesetzt, dass die betreffende
Vereinigung nach dem Gesamtbild ihrer Organisation, nach
der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in
der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernst-
haftigkeit ihrer Zielsetzung bietet. Diese weiteren Voraus-
setzungen für die Parteieigenschaft lagen bei der LD jedoch
nicht vor. Sie können auch nicht allein aus Petitionen und
Schreiben an die Bundesregierung abgeleitet werden. Sol-
che Schreiben sind ein gewisses Indiz dafür, dass politische
Arbeit geleistet wird. Die Parteieigenschaft setzt jedoch vo-
raus, dass diese auch für einzelne Bürgerinnen und Bürger
typische Form der Mitwirkung am politischen Geschehen
im Rahmen einer hinreichenden Organisationsstruktur ge-
schieht. Das Gesamtbild einer Vereinigung ändert sich nicht
dadurch, dass einzelne Mitglieder Petitionen und Schreiben
an die Bundesregierung richten. Dass der Einspruchsführer
möglicherweise enttäuschte Wahlberechtigte zur Teilnahme
an einer Kommunalwahl motivieren konnte, führt ebenfalls
nicht zu einer grundlegenden Änderung der Bewertung des
Gesamtbildes. Der Bundeswahlleiter hat insoweit zu Recht
darauf hingewiesen, dass es auf eine Teilnahme an Kommu-
nalwahlen für die politische Willensbildung auf Bundes-
und Landesebene nicht entscheidend ankommt. Schließlich
vermag auch die Absicht, an den Bundestagswahlen 1998
und 2002 teilzunehmen, nichts am Ergebnis der Gesamt-
würdigung des Bundeswahlleiters zu ändern. Zu Unrecht
führt der Einspruchsführer aus, die Nichtanerkennung als
Partei für die Bundestagswahl 1998 sei der LD in unzulässi-
ger Weise entgegengehalten worden. Der Bundeswahlaus-
schuss hat der LD nicht die Nichtanerkennung bei der Bun-
destagswahl 1998 entgegengehalten, sondern lediglich die
hierfür vorgetragenen Argumente, soweit sie für die Bun-
destagswahl 2002 noch zutrafen.
Soweit der Einspruchsführer kritisiert, es seien für die Ent-
scheidung ihm nicht bekannte Entscheidungen des Bundes-
verfassungsgerichts herangezogen worden, so führt dies zu
keiner anderen Beurteilung. Die vom Bundeswahlleiter
herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungs-
gerichts sind in der amtlichen Entscheidungssammlung die-
ses Gerichts enthalten. Im Übrigen ist der Bundeswahlleiter
nicht verpflichtet, den betreffenden Vereinigungen diejeni-

gen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts be-
kannt zu geben, auf die sich der Bundeswahlausschuss bei
seiner Entscheidung möglicherweise stützen wird.
Soweit der Einspruchsführer geltend macht, das Wahlergeb-
nis im Jahr 1994 (221 Erststimmen im Wahlkreis 205 –
München Ost) dürfe nicht herangezogen werden, so ver-
kennt er, dass dies lediglich ein Indiz neben anderen zu be-
rücksichtigenden Umständen im Rahmen der Gesamtwürdi-
gung ist. Vor diesem Hintergrund liegt auch keine Ungleich-
behandlung gegenüber Vereinigungen vor, die nach ihrer
Anerkennung als Partei unter einem Prozent der Stimmen
geblieben sind.
Es kann auch nicht zu Gunsten einer Anerkennung der LD
als Partei gewertet werden, dass der Vorstand der Vereini-
gung nach dem Vortrag des Einspruchsführers die Vereini-
gung in den 80er Jahren in eine schwierige finanzielle Situa-
tion gebracht hat. Soweit ein Fehlverhalten des früheren
Vorstandes ein stärkeres Hervortreten in der Öffentlichkeit
verhindert haben sollte, so muss die Vereinigung sich dieses
Fehlverhalten zurechnen lassen. Abgesehen davon dürfte
eine Finanzkrise der Vereinigung in den 80er Jahren aktuell
kaum noch wirksam sein.
Soweit der Einspruchsführer eine Erkrankung der Bundes-
vorsitzenden anführt, so ist zwar zuzugestehen, dass dies ein
stärkeres Hervortreten der Vereinigung in der Öffentlichkeit
vorübergehend beeinträchtigen kann. Jedoch spricht es im
Rahmen der Gesamtwürdigung gegen eine gewisse Festig-
keit in der Organisationsstruktur, wenn der krankheitsbe-
dingte Ausfall der Bundesvorsitzenden nicht durch ein ver-
stärktes Engagement anderer Vorstandsmitglieder so ausge-
glichen werden konnte, dass die Ernsthaftigkeit der Zielset-
zung der Vereinigung in der Öffentlichkeit wahrgenommen
werden konnte.
Der Einspruchsführer kann sich auch nicht mit Erfolg da-
rauf berufen, dass einige im Bundestag vertretene Parteien
ebenfalls eine Verringerung der Mitgliederzahlen zu ver-
zeichnen hätten. Maßgeblich für die Nichtanerkennung der
LD als Partei ist ihre absolut sehr niedrige Mitgliederzahl
(im Jahr 2000: 245) und weniger der prozentuale Rückgang
der Mitgliederzahl. Ein Rückgang der ohnehin sehr gerin-
gen Mitgliederzahl kann sich im Ergebnis jedenfalls nicht
zu Gunsten einer Anerkennung der LD als Partei auswirken.
Soweit sich der Einspruchsführer dafür ausspricht, Rechen-
schaftsberichte als Kriterium zu berücksichtigen, so findet
dies in der Vorschrift des § 2 Abs. 1 PartG keine Stütze. Der
Bundeswahlleiter hat überzeugend dargelegt, dass die Vor-
lage eines solchen Berichts den vorherrschenden Gesamt-
eindruck einer Vereinigung weder bestätigen noch entkräf-
ten kann. Da die LD für das Kalenderjahr 2001 keinen Re-
chenschaftsbericht vorgelegt hat, würde sich eine Berück-
sichtigung dieses Kriteriums ohnehin nicht zu Gunsten einer
Anerkennung der LD als Partei auswirken.
Der Hinweis des Einspruchsführers auf die Besetzung des
Bundeswahlausschusses mit Vertretern von Parteien ist un-
erheblich. Nach § 9 Abs. 2 Satz 4 BWG sind die im Deut-
schen Bundestag vertretenen Parteien bei der Berufung der
Beisitzer im Bundeswahlausschuss nach Möglichkeit zu be-
rücksichtigen. Der Bundeswahlausschuss hat deshalb die im
Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu Recht gemäß
ihren Zweitstimmenergebnissen bei der vorangegangen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 89 – Drucksache 15/1850

Bundestagswahl berücksichtigt. Die Besetzung des Bundes-
wahlausschusses entspricht somit dem Gesetz.
Soweit der Einspruchsführer die Handhabung einzelner Kri-
terien im Vergleich zur Handhabung bei anderen Vereini-
gungen kritisiert, führt dies nicht zu einer anderen Bewer-
tung. Wie bereits dargelegt, kommt es auf eine Gesamtwür-
digung der Kriterien und Indizien an. Keines ist für sich ge-
nommen ausschlaggebend und nicht alle müssen von einer
Vereinigung stets im gleichen Umfang erfüllt werden. Die
Gesamtwürdigung ist bei der LD zu Recht so erfolgt, wie
sie der Bundeswahlausschuss vorgenommen hat und wie sie
vom Bundeswahlleiter im Einzelnen dargelegt worden ist.
Es ist deshalb nicht notwendig, den diesbezüglichen Ein-
wänden des Einspruchsführers in Bezug auf Entscheidun-
gen zu anderen Vereinigungen im Einzelnen nachzugehen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 91 – Drucksache 15/1850

Anlage 19

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn J. R. W., 35037 Marburg

– Az.: WP 95/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 18. November 2002, das am 19. No-
vember 2002 per Telefax eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2002 Einspruch einge-
legt.
Der Einspruchsführer firmiert als Vorsitzender der Vereini-
gung „Weisse Liga – Partei der nationalen Minderheit der
Wenden (LIGA)“ und begründet seinen Einspruch damit,
dass diese Vereinigung zu Unrecht nicht als Partei zur Bun-
destagswahl 2002 zugelassen worden sei.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2002, eingegangen am 19. Juni
2002, zeigte die Vereinigung „Weisse Liga (LIGA)“ ihre
Teilnahme an der Bundestagswahl 2002 beim Bundeswahl-
leiter an. Mit Schreiben vom 19. Juni 2002 informierte der
Bundeswahlleiter den Bundesvorstand der Vereinigung da-
rüber, dass deren Beteiligungsanzeige den gesetzlichen
Erfordernissen des § 18 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWG)
entspreche.
Der Bundeswahlausschuss stellte in seiner Sitzung am
12. Juli 2002 unter dem Vorsitz des Bundeswahlleiters
einstimmig fest, dass die Vereinigung „Weisse Liga
(LIGA)“ für die bevorstehende Bundestagswahl die Partei-
eigenschaft nicht besitze. Ausweislich der Niederschrift
über diese Sitzung begründete der Bundeswahlausschuss
seine Entscheidung wie folgt:
„Nach Gesamtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse
sind die Voraussetzungen der Parteieigenschaft nach § 2
Abs. 1 Parteiengesetz (PartG) nicht gegeben. Die Vereini-
gung verfügt über keine ausreichende Organisationsstruk-
tur, insbesondere da Landesverbände nicht bestehen, und ist
bisher nicht nachhaltig in der Öffentlichkeit hervorgetreten.
Eine anderweitige Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus,
dass sich die Vereinigung als ‚Partei der nationalen Minder-
heit der Wenden‘ versteht. Die Vereinigung hat keine tat-
sächlichen Umstände dargetan, die ihr Selbstverständnis als
eine Partei einer nationalen Minderheit der Wenden (die
‚Wenden‘ und ‚Sorben‘ bezeichnen dieselbe nationale Min-
derheit) bei objektiver Betrachtungsweise – insbesondere
eine Verankerung in der nationalen Minderheit der Wenden
bzw. Sorben – belegen. Letzteres wurde von einem Vertreter

der Domowina, Herrn S., bestätigt. Die Domowina ist der
Dachverband der sorbischen Verbände und Vereine.“
Der Einspruchsführer wendet sich hiergegen mit dem Hin-
weis, dass die „Weisse Liga“ erst im Dezember 2001 ge-
gründet worden sei und deshalb die Organisationsstruktur
der Partei nicht ausreichend sei, insbesondere da es sich um
eine Partei nationaler Minderheiten handele. Es sei unzu-
treffend bzw. nicht von der „Weissen Liga“ zu vertreten,
dass sie nicht nachhaltig in der Öffentlichkeit hervorgetre-
ten wäre. Die Vereinigung könne keinen Einfluss darauf
nehmen, ob die Medien über sie berichteten oder nicht. Der
Vertreter der Domowina habe in der Sitzung des Bundes-
wahlausschusses nicht bestätigt, dass die „Weisse Liga“
nicht in der nationalen Minderheit der Wenden/Sorben ver-
ankert sei. Er habe vielmehr ausgesagt, dass der Domowina
keine Erkenntnisse vorlägen. Da sich die Domowina als
Verband nicht politisch betätigen dürfe, habe der Vertreter
der Domowina auch gar keine andere Aussage machen
können. Auf der Internet-Seite der „Weissen Liga“ gebe es
einen sog. Link zu einem weiteren wendischen Dachver-
band, so dass es nicht richtig sei, von der Domowina als
dem Dachverband der sorbischen Verbände und Vereine zu
sprechen. Der Bundeswahlausschuss habe in seiner Argu-
mentation unzulässigerweise auf die Auswirkungen auf
Landtagswahlen und auf die Anteile an der Parteienfinan-
zierung der zugelassenen Parteien hingewiesen. Damit sei
die „Parteifreiheit“ und das Recht, sich in Parteien zu verei-
nigen, verletzt worden. Darüber hinaus sei es nicht Sache
des Bundeswahlausschusses, darüber zu befinden, ob die
Mitglieder der „Weissen Liga“ Wenden seien. Die Mitglie-
der des Bundeswahlausschusses seien mit Ausnahme des
Bundeswahlleiters Mitglieder in deutschen Parteien. Somit
handele es sich nicht um ein objektives Gremium, das über
„Parteien nationaler Minderheiten“ abschließend urteilen
könne. Die Nichtzulassung der „Weissen Liga“ als Partei
verstoße darüber hinaus gegen die „Europäische Minderhei-
tenschutzkonvention“, in der das Recht auf politische Betä-
tigung ausdrücklich zugesichert worden sei.
Der Bundeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Die Bewertung des Bundeswahlausschusses in seiner Sit-
zung vom 12. Juli 2002 werde durch das Vorbringen des
Einspruchsführers nicht widerlegt. Die „Weisse Liga“ sei

Drucksache 15/1850 – 92 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

keine Partei im Sinne des § 2 Abs. 1 PartG. Nach dieser
Vorschrift sind Parteien Vereinigungen von Bürgern, die
dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes
oder eines Landes auf die politische Willensbildung Ein-
fluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deut-
schen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen,
wenn sie nach dem Gesamtbild ihrer Organisation, nach der
Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der
Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaf-
tigkeit der Zielsetzung bieten. Zur Auslegung dieser Vor-
schrift verweist der Bundeswahlleiter auf die Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts. In dem hier interes-
sierenden Zusammenhang seien insbesondere die Entschei-
dungen vom 17. Oktober 1968 (BVerfGE 24, S. 260), vom
21. Oktober 1993 (BVerfGE 89, S. 291), vom 23. Novem-
ber 1993 (BVerfGE 91, S. 262) sowie vom 17. November
1994 (BVerfGE 91, S. 276) bedeutsam. Nach dieser Recht-
sprechung sind die in § 2 Abs. 1 PartG aufgeführten Merk-
male und Anhaltspunkte für die Parteieigenschaft einer Ver-
einigung nicht trennscharf voneinander abzugrenzen. Sie
sind Indizien für die Ernsthaftigkeit der politischen Zielset-
zung. Keines ist für sich genommen ausschlaggebend und
nicht alle müssen von der Partei stets im gleichen Umfang
erfüllt werden. Zurückhaltung in einem Bereich kann durch
verstärkte Bemühungen auf anderen Gebieten in gewissen
Grenzen ausgeglichen werden. Entscheidend ist, ob die Ge-
samtwürdigung der tatsächlichen Verhältnisse der Vereini-
gung den Schluss zulässt, dass sie ihre erklärte Absicht, an
der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken,
ernsthaft verfolgt (so BVerfGE 91, S. 262/271). Insbeson-
dere darf bei dieser Gesamtwürdigung das Ziel parlamenta-
rischer Vertretung bei der betreffenden Vereinigung nicht
gänzlich wirklichkeitsfern erscheinen (so BVerfGE 91,
S. 276/293 m. w. N.).
Für diese Gesamtwürdigung sind nach den Darlegungen des
Bundeswahlleiters bei der Vereinigung „Weisse Liga
(LIGA)“ folgende Sachverhalte bedeutsam:
– Die Vereinigung habe noch nie an einer Wahl zum Deut-

schen Bundestag oder einer Landtagswahl teilgenom-
men.

– Es existierten keine Landesverbände.
– Die Vereinigung habe zu ihrer Mitgliederzahl im Vorfeld

der Bundestagswahl 2002 keine Angaben gemacht.
Nach dem Protokoll der Bundesmitgliederversammlung
vom 25. Dezember 2001 (Gründungsversammlung)
seien 408 stimmberechtigte Personen, mithin Mitglieder,
anwesend gewesen. Selbst wenn man diese Angabe als
richtig unterstelle, werde damit ein Mitgliederbestand
von 1 887 Personen, den das Bundesverfassungsgericht
als „nicht völlig unbedeutend“ (vgl. BVerfGE 89, S. 266/
270) bezeichnet habe, deutlich unterschritten.

– Die Vereinigung habe über Inhalt und Umfang ihrer
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit weder gegenüber dem
Bundeswahlausschuss noch gegenüber dem Bundes-
wahlleiter verwertbare Angaben gemacht. Für eine rele-
vante Resonanz der Vereinigung in der Öffentlichkeit lä-
gen darüber hinaus keine Anhaltspunkte vor. Bezeich-
nenderweise habe der Einspruchsführer seine Behaup-
tung, die Einschätzung des Bundeswahlausschusses zur
Frage der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sei unzutref-
fend, in der Einspruchsschrift nicht näher konkretisiert.

– Die Vereinigung besteht nach den Erkenntnissen des
Bundeswahlleiters seit Dezember 2001. Der Bundes-
wahlausschuss habe die Tatsache, dass eine Vereinigung,
die bereits rund neun Monate nach ihrer Gründung die
Teilnahme an einer Bundestagswahl anstrebe, in der
Ausprägung ihrer Organisation und Struktur einge-
schränkt sei, nicht verkannt. Auch „junge“, erst kurz vor
einer Bundestagswahl gegründete Vereinigungen könn-
ten die Voraussetzungen der Parteieigenschaft erfüllen.
Voraussetzung sei jedoch, dass etwa der Mangel noch
nicht ausreichend gewachsener Organisationsstrukturen
durch andere, für die Parteieigenschaft wesentliche Tat-
bestandsmerkmale, wie z. B. durch eine große Zahl an
Mitgliedern oder ein intensives, wahlwerbendes Auftre-
ten in der Öffentlichkeit, ausgeglichen werde (BVerfGE
91, S. 262/271). Solche kompensierenden Gesichts-
punkte habe die Vereinigung „Weisse Liga“ jedoch nicht
anzuführen vermocht und seien für den Bundeswahlaus-
schuss auch nicht erkennbar gewesen.

Dem Vorbringen des Einspruchsführers, bei der Vereini-
gung „Weisse Liga (LIGA)“ handele es sich um eine Partei
einer nationalen Minderheit, habe sich der Bundeswahlaus-
schuss aus folgenden Gründen nicht anschließen können:
– Der Bundeswahlausschuss habe sich entgegen der Dar-

stellung des Einspruchsführers nicht zu der Frage ge-
äußert, ob und wie viele Mitglieder der Vereinigung
„Weisse Liga (LIGA)“ Sorben seien. Er habe vielmehr
unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Vertre-
ters der Domowina festgestellt, dass der LIGA eine Ver-
ankerung in der nationalen Minderheit der Sorben fehle.

– Auf diese Auskunft habe sich der Bundeswahlausschuss
zu Recht gestützt. Entgegen der Auffassung des Ein-
spruchsführers handele es sich nämlich bei dem Verband
„Domowina – Bund Lausitzer Sorben e. V.“ um einen
Dachverband, der die Interessen der Sorben im Freistaat
Sachsen und auch über dessen Landesgrenzen hinweg
wahrnehme und der deshalb in dieser Frage sachverstän-
dig gewesen sei. Der Landeswahlleiter des Freistaates
Sachsen habe dem Bundeswahlleiter mit Schreiben vom
11. Juli 2002 mitgeteilt, dass der Verband als Dachver-
band gemäß § 5 des Gesetzes über die Rechte der Sorben
im Freistaat Sachsen staatlich anerkannt sei.

– Der Vertreter der Domowina habe in der Sitzung des
Bundeswahlausschusses am 12. Juli 2002 vorgetragen,
es lägen keinerlei Erkenntnisse über politische Aktivitä-
ten der Vereinigung „Weisse Liga (LIGA)“ zur Vertre-
tung der Sorben in deren Siedlungsgebiet vor. Darüber
hinaus gebe es im Siedlungsgebiet (der Lausitz) keine
Parteistrukturen. Schließlich sei nicht zu erkennen, dass
die LIGA aus der politischen Bewegung der Sorben her-
vorgegangen sei. Nach alledem müsse eine Verankerung
der LIGA in der nationalen Minderheit der Sorben ver-
neint werden, nicht zuletzt deshalb, weil deren Vor-
standsmitglieder im Siedlungsgebiet der Sorben allesamt
unbekannt seien. Eine ähnlich lautende Stellungnahme
habe der Geschäftsführer der Domowina bereits mit
Schreiben vom 1. Juli 2002 dem Bundeswahlleiter über-
mittelt. Dieses Schreiben liegt dem Wahlprüfungsaus-
schuss vor. Für die Mitglieder des Bundeswahlausschus-
ses und für den Bundeswahlleiter habe kein Anlass be-
standen, an diesen Aussagen zu zweifeln.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 93 – Drucksache 15/1850

Das Vorbringen des Einspruchsführers, der Bundeswahlaus-
schuss hätte über die Frage der Parteieigenschaft der LIGA
nicht entscheiden dürfen, gehe fehl. Der Bundeswahlaus-
schuss stelle nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWG fest, welche der
Parteien, die ihre Beteiligung an einer Bundestagswahl ge-
mäß § 18 Abs. 2 Satz 1 BWG angezeigt hätten, für die Wahl
als Parteien anzuerkennen seien.
Darüber hinaus sei der Hinweis des Einspruchsführers zur
Parteimitgliedschaft von Beisitzern im Bundeswahlaus-
schuss unerheblich: Nach § 9 Abs. 2 Satz 4 BWG seien die
im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien bei der Beru-
fung der Beisitzer im Bundeswahlausschuss nach Möglich-
keit zu berücksichtigen. Bei der Berufung der Beisitzer im
Bundeswahlausschuss habe der Bundeswahlleiter deshalb
die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien gemäß ih-
ren Zweitstimmenergebnissen bei der vorangegangenen
Bundestagswahl berücksichtigt. An der ordnungsgemäßen
Besetzung des Bundeswahlausschusses in seiner Sitzung am
12. Juli 2002 bestünden deshalb keine Zweifel.
Auch soweit der Einspruchsführer einen angeblichen Ver-
stoß gegen die „Europäische Minderheitenschutzkonven-
tion“ anführe, begründe dies keinen Wahlfehler. Insoweit
beziehe sich der Einspruchsführer wohl auf das „Rahmen-
übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ des
Europarates vom 1. Februar 1995, das in den Artikeln 7 und
17 Satz 2 das Recht nationaler Minderheiten auf politische
Betätigung festschreibe. Ein Verstoß der Bundesrepublik
Deutschland gegen dieses Abkommen durch Nichtzulas-
sung der LIGA zur Bundestagswahl 2002 sei nicht ersicht-
lich. Zum einen werde die nationale Minderheit der Sorben
u. a. durch das Gesetz über die Rechte der Sorben im Frei-
staat Sachsen ausreichend geschützt, zum anderen sei eine
politische Betätigung der Vereinigung „Weisse Liga
(LIGA)“ in keiner Weise eingeschränkt worden und werde
auch nicht eingeschränkt.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekannt ge-
geben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Bereits gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl 1998 hatte
der Einspruchsführer Einspruch erhoben, weil die Vereini-

gung „Weisse Liga“, die als „Partei nationaler Minderhei-
ten“ (Sorben, Dänen und Friesen) auftrat, nicht als Partei
anerkannt worden war. Der Wahleinspruch wurde zurückge-
wiesen (Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 89).
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Bundes-
wahlausschuss hat in seiner Sitzung am 12. Juli 2002 der
Vereinigung „Weisse Liga (LIGA)“ die Parteieigenschaft zu
Recht abgesprochen. Da diese Vereinigung im Vorfeld der
Bundestagswahl 2002 nicht zu den Parteien gehörte, die im
Deutschen Bundestag oder einem Landtag seit deren letzter
Wahl auf Grund eigener Wahlvorschläge mit mindestens
fünf Abgeordneten vertreten waren, musste sie nach § 18
Abs. 2 BWG ihre Teilnahme an der Bundestagswahl 2002
bis zum 90. Tag vor der Wahl (24. Juni 2002) anzeigen und
hätte nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 BWG für die Wahl zum
15. Deutschen Bundestag als Partei anerkannt werden müs-
sen. Eine ordnungsgemäße Beteiligungsanzeige nach § 18
Abs. 2 BWG ist erfolgt. Der Bundestag und der Wahlprü-
fungsausschuss machen sich die Begründung des Bundes-
wahlausschusses vom 12. Juli 2002 sowie die in der Stel-
lungnahme des Bundeswahlleiters überzeugend und nach-
vollziehbar dargelegte Begründung des Bundeswahlleiters,
weshalb die LIGA nicht als Partei anerkannt werden konnte,
zu Eigen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 95 – Drucksache 15/1850

Anlage 20

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. S., 51381 Leverkusen

– Az.: WP 74/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem beim Bundestag am 31. Oktober 2002 eingegan-
genen Schreiben hat der Einspruchsführer Einspruch gegen
die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer stellt einen „Antrag auf Annullierung
der Bundestagswahl 2002 unter Zuhilfenahme des Bekannt-
werdens von Wahlbetrug in der Presse sowie des Internets
in örtlichen Gebieten – Hamburg, Berlin und Kassel vor al-
lem“.
Mit Schreiben vom 12. November 2002 hat die Vorsitzende
des Wahlprüfungsausschusses den Einspruchsführer auf die
fehlende substantiierte Begründung aufmerksam gemacht
und ihn aufgefordert, bis zum 22. November 2002 dem Be-
gründungsmangel abzuhelfen. Der Einspruchsführer hat da-
raufhin am 22. November 2002 per E-Mail mitgeteilt, dass
er sich den Ausführungen eines weiteren Einspruchsführers
bezüglich „der allgemeinen Steuererhöhung“ anschließe.
Bei diesem anderen Einspruch wird Politikern der Koalition
vorgeworfen, sie hätten durch falsche Wahlkampfaussagen
die Wählerinnen und Wähler getäuscht.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist fristgerecht beim Deutschen Bundestag
eingegangen. Er ist unzulässig, weil er keine gemäß § 2
Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begründung enthält.
Nach § 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG erfolgt die Wahlprüfung nur
auf Einspruch, der zu begründen ist. Die Begründung muss
mindestens den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt
wird, erkennen lassen und genügend substantiierte Tatsa-
chen enthalten. Die Wahlprüfung findet also weder von
Amts wegen statt, noch erfolgt sie stets in Gestalt einer
Durchprüfung der gesamten Wahl. Vielmehr richtet sich ihr
Umfang nach dem Einspruch, durch den der Einspruchsfüh-

rer den Anfechtungsgegenstand bestimmt. Der Prüfungsge-
genstand ist nach dem erklärten, verständig zu würdigenden
Willen des Einspruchsführers unter Berücksichtigung des
gesamten Einspruchsvorbringens sinngemäß abzugrenzen.
Aus der Begründungspflicht folgt, dass die Abgrenzung
auch danach vorzunehmen ist, wieweit der Einspruchsfüh-
rer den Einspruch substantiiert hat. Nur im Rahmen des so
bestimmten Anfechtungsgegenstandes haben die Wahlprü-
fungsorgane dann den Tatbestand, auf den die Anfechtung
gestützt wird, von Amts wegen zu erforschen und alle auf-
tauchenden rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen
(BVerfGE 40, 11/30; ständige Rechtsprechung).
Der bloße Hinweis auf „Wahlbetrug“ und die allgemeine
Bezugnahme auf Presseberichte und das Internet sind nicht
geeignet, den Prüfungsgegenstand hinreichend deutlich zu
bestimmen. Mit seinem Vortrag zielt der Einspruchsführer
auf eine Durchprüfung der gesamten Wahl unter dem Ge-
sichtspunkt des „Wahlbetrugs“ ab. Auch der exemplarische
Hinweis auf drei Städte führt nicht zu der für eine inhaltli-
che Prüfung erforderlichen Eingrenzung des Anfechtungs-
gegenstandes. Es ist Sache des Einspruchsführer, konkret
und unmissverständlich darzulegen, welche Vorkommnisse
in diesen Städten gemeint sind.
Der Einspruchsführer ist nach einer entsprechenden Auffor-
derung durch die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses
dem Begründungserfordernis nach § 2 Abs. 3 WPrüfG nicht
nachgekommen. Dies ist auch nicht durch die E-Mail vom
22. November 2002 geschehen. Darin wird ohne nähere Er-
läuterung auf einen anderen Wahleinspruch verwiesen. Eine
derartige Verweisung ohne eigenen Tatsachenvortrag ist
nicht geeignet, den Anfechtungsgegenstand mit hinreichen-
der Bestimmtheit einzugrenzen. Dies gilt jedenfalls dann,
wenn – wie hier – nicht deutlich wird, inwieweit dem Ein-
spruchsführer die Begründung des anderen Einspruchs, auf
den verwiesen werden soll, überhaupt bekannt ist. Abgese-
hen davon spricht vieles dafür, dass eine Übermittlung per
E-Mail mangels eigenhändiger Unterschrift nicht dem
Schriftformerfordernis entspricht.
Der Einspruch ist somit als unzulässig im Sinne des § 6
Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 97 – Drucksache 15/1850

Anlage 21

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn J. B., 2777 Ganderkesee

– Az.: WP 58/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 11. Oktober 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt und sich zur Begründung
auf das Ausmaß und die Modalitäten der Beteiligung an der
Briefwahl gestützt.
Der Einspruchsführer beruft sich darauf, dass nach Presse-
mitteilungen unverhältnismäßig viele Stimmen durch Brief-
wahl abgegeben worden seien und leitet hieraus Zweifel an
der Gültigkeit der Wahl ab. Zum einen sei es beim prakti-
zierten Briefwahlverfahren nicht gewährleistet, dass der je-
weilige Briefwähler tatsächlich selbst den Stimmzettel aus-
gefüllt oder, falls er dazu körperlich nicht in der Lage war,
sich lediglich eines Schreibhelfers bedient habe. Jeder an
die Wohnsitzgemeinde zurückgeschickte ausgefüllte Vor-
druck auf Anforderung von Briefwahlunterlagen habe ohne
weiteres die Übersendung der Briefwahlunterlagen bewirkt.
Eine Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Briefwahl
vorlagen, ob die Anforderung auf dem Vordruck und die
Unterschrift wirklich vom Adressaten der Wahlbenachrich-
tigung stammte oder ob dieser dazu jemanden wirksam be-
vollmächtigt hatte, habe nicht stattgefunden. Die höchstper-
sönliche Stimmabgabe werde nur durch die Versicherung an
Eides statt gesichert, dass der Stimmzettel vom Briefwähler
selbst bzw. nach dessen Vorgabe durch einen Schreibhelfer
ausgefüllt worden sei. Bei der Auszählung beschränke sich
die Prüfung darauf, ob das Formular vollständig ausgefüllt
und unterschrieben sei. Eine Kontrolle, ob die Unterschrift
vom Briefwähler bzw. einem Schreibhelfer stammte, habe
nicht stattgefunden. Sie wäre auch tatsächlich nicht möglich
gewesen, weil die Unterschriften nicht beglaubigt werden
müssten und dem Wahlausschuss keine Unterschriftsproben
vorlägen.
Das beschriebene Verfahren lade zu Missbrauch ein; es er-
mögliche eine Stimmabgabe durch Dritte. Da es höchst un-
wahrscheinlich sei, dass Manipulationen entdeckt würden,
komme auch der geltenden Strafdrohung keine generalprä-
ventive Wirkung zu.
Der Einspruchsführer trägt vor, aus Gesprächen mit Dritten
zu wissen, dass in nicht unerheblichem Maße Briefwahl-
stimmen zu Unrecht, z. B. durch ein Familienmitglied, für
nicht ortsanwesende andere Familienmitglieder oder in Al-

ters- oder Pflegeheimen durch „Betreuer“ abgegeben wor-
den seien. Die hohe Anzahl der Briefwähler lasse es deswe-
gen als äußerst zweifelhaft erscheinen, dass die Wahlergeb-
nisse auf verfassungsrechtlich gebotener Grundlage zu-
stande gekommen seien.
Offenkundig sei das angewendete Briefwahlverfahren auch
ungeeignet, den verfassungsrechtlichen Grundsatz der ge-
heimen Wahl sicherzustellen.
Der Bundeswahlleiter bestätigt in seiner Stellungnahme
vom 5. Februar 2003, dass der Anteil der Briefwähler nach
dem amtlichen Endergebnis mit 18,0 % um 2 % höher als
bei der Bundestagswahl 1998 gelegen und damit den höchs-
ten Wert seit Einführung der Briefwahl 1957 erreicht habe.
Eine der Stellungnahme beigefügte Aufteilung nach Bun-
desländern zeigt eine gewisse Bandbreite. So wurden bei
den drei letzten Wahlen jeweils immer in Hamburg die
höchsten Werte erreicht; sie beliefen sich auf 20,1 % für
1994, 24,4 % für 1998 und 25,4 % für 2002: Die jeweils
niedrigsten Werte fielen immer in Brandenburg an und be-
trugen 5,8 % für 1994, 8,2 % für 1998 und 10,7 % für 2002.
Der Bundeswahlleiter bestätigt weiterhin, dass die von den
Antragstellern einer Briefwahl angegebenen Hinderungs-
gründe des § 25 Abs. 1 Bundeswahlordnung (BWO) nicht
überprüft würden; das geltende Recht enthalte hierzu weder
eine Ermächtigung noch eine Verpflichtung. Gemäß § 27
Abs. 1 BWO müssten die Gründe für die Erteilung eines
Wahlscheines zwar glaubhaft gemacht werden, nach An-
lage 4 zu § 19 Abs. 2 BWO sei aber nur zu versichern, dass
einer der Gründe gegeben sei.
Nach Auffassung des Bundeswahlleiters werden im Ein-
spruch keine substantiierten Tatsachen vorgetragen, die Ver-
stöße gegen wahlrechtliche Vorschriften im konkreten Ein-
zelfall ergäben Allein der Anstieg des Briefwähleranteils
stelle kein hinreichendes Indiz für das Vorkommen von
Missbräuchen dar. Das Bundesverfassungsgericht habe die
Briefwahl und ihre rechtliche Ausgestaltung mehrfach als
verfassungskonform bestätigt. Die Briefwahl trage dem
Grundsatz der allgemeinen Wahl in erhöhtem Maße Rech-
nung, indem sie auch solchen Wahlberechtigten eine Wahl-
beteiligung ermögliche, die sonst aus gesundheitlichen oder
anderen Gründen an der Stimmabgabe gehindert wären.
Verfassungsrechtlich sei nicht zu beanstanden, wenn im

Drucksache 15/1850 – 98 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Falle der Briefwahl der Gesetzgeber die Wahrung der freien
und geheimen Wahl in weiterem Umfang als bei der Stimm-
abgabe an der Wahlurne in die Verantwortung des Wählers
lege (BVerfGE 59, 119, 126). Die dem Gesetz- und Verord-
nungsgeber aufgetragene Pflicht zur Prüfung und gegebe-
nenfalls zur Änderung der geltenden Regelungen, sobald
Missbräuche zutage träten, die die freie und geheime Wahl
mehr als unumgänglich gefährden könnten, werde erfüllt.
Die die Briefwahl betreffenden Einsprüche zur Bundestags-
wahl 2002 seien den Landeswahlleitern zur Stellungnahme
zugeleitet worden. In den vorliegenden Stellungnahmen
werde überwiegend mitgeteilt, dass die Erfahrungsberichte
der Kreiswahlleiter und Gemeinden bislang nicht auf die
Notwendigkeit grundlegender Änderungen in der Durchfüh-
rung der Briefwahl hinweisen würden.
Der Bundeswahlleiter hat sodann unter dem 11. Juli 2003
berichtet, dass im Rahmen eines Erfahrungsaustauschs mit
den Landeswahlleitern und dem Bundesministerium des In-
nern die Frage eines Änderungsbedarfs bei den Briefwahlre-
gelungen angesprochen worden sei, angesichts der Vielzahl
der Anregungen aber noch nicht umfassend habe erörtert
werden können. Vor diesem Hintergrund habe das Bundes-
ministerium des Innern die Absicht mitgeteilt, im Herbst zu
einer Besprechung mit den Innenressorts einzuladen, bei der
eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden solle, die möglichst
zügig den Änderungsbedarf prüfen und Vorschläge für das
weitere Vorgehen erarbeiten solle.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Die Möglichkeit, durch Briefwahl an einer Bundestagswahl
teilzunehmen, ist durch die Regelungen des Bundeswahl-
rechts insbesondere im Bundeswahlgesetz ausdrücklich ein-
geräumt. An der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des
Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung ergeben
sich keine Zweifel. Im Weiteren lässt sich auch keine Verlet-
zung dieser Vorschriften feststellen.
Hinsichtlich einer möglichen Verfassungswidrigkeit ist zu-
nächst darauf aufmerksam zu machen, dass der Wahlprü-
fungsausschuss und der Bundestag sich in ständiger Praxis
nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit von
Wahlrechtsnormen festzustellen. Eine derartige Kompetenz
ist dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Davon ab-
gesehen gibt es keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit
der Briefwahlregelungen zu zweifeln.

Die Erwägungen in den Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts von 1967 und 1981, die die Briefwahl für ver-
fassungsgemäß erklärt und dem Gesetzgeber eine Prüfungs-
und Nachbesserungspflicht aufgegeben haben (BVerfGE
21, 200 ff.; 59, 119 ff.), treffen in Begründung und Ergebnis
unverändert zu. Wie vom Bundesverfassungsgericht betont,
überschreitet die Einführung der Briefwahl nicht den in
Wahlrechtsfragen vorhandenen gesetzgeberischen Gestal-
tungsspielraum. Auch heute ermöglicht die Briefwahl sol-
chen Personen die Stimmabgabe, die sich andernfalls aus
wichtigen Gründen an der Stimmabgabe im Wahllokal ge-
hindert sähen. Dadurch wird dem Grundsatz der allgemei-
nen Wahl, wonach grundsätzlich alle Bürger und Bürgerin-
nen an der Wahl teilnehmen sollen, in erhöhtem Maße
Rechnung getragen. Dass dabei zugleich durch die Gege-
benheiten der Briefwahl dem Wähler die Wahrung der
freien und geheimen Wahl in weiterem Umfang als bei der
Stimmabgabe im Wahllokal anvertraut wird, ist vom Bun-
desverfassungsgericht ausdrücklich nicht beanstandet wor-
den. Damit greift der Einwand des Einspruchsführers nicht
durch, dass der Grundsatz der geheimen Wahl durch die Zu-
lässigkeit der Briefwahl verletzt werde.
Soweit das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf-
gegeben hat, die Vorschriften und ihre Handhabung auf
neue Entwicklungen zu überprüfen, die unvorhergesehene
Gefahren für die Integrität der Wahl mit sich bringen könn-
ten, und bei Missbräuchen, die freie und geheime Wahl
mehr als unumgänglich gefährden können, Änderungen
oder Ergänzungen vorzunehmen, ist diese Pflicht vom Ge-
setzgeber nicht verletzt worden. Im Übrigen werden, wie
vom Bundeswahlleiter berichtet, mögliche Änderungen für
die Zukunft geprüft.
Der Anstieg der Briefwahlstimmen, der im Übrigen auch
dem 14. Deutschen Bundestag – beispielsweise 2001 im Zu-
sammenhang mit einer Änderung des Wahlstatistikgesetzes
durch Einbeziehung der Briefwahlstimmen in die Wahlsta-
tistik (vgl. Bundestagsdrucksachen 14/6538, 14/7125) – be-
wusst war, lässt nicht als solcher auf Missbräuche schließen.
Dies hat auch der Bundeswahlleiter hervorgehoben.
Die vom Einspruchsführer behaupteten, aber nicht näher
substantiierten Vorgänge der Wahlausübung durch Dritte
wären wegen Verletzung des Grundsatzes der höchstpersön-
lichen Wahl zwar als Wahlfehler zu bewerten. Schon ange-
sichts ihrer nicht erkennbaren Dimension lassen sich aber
Auswirkungen auf die Erststimmenergebnisse in bestimm-
ten Wahlkreisen bzw. Zweitstimmenergebnisse nicht fest-
stellen. Feststellbare Auswirkungen auf die Verteilung der
Mandate im Deutschen Bundestag (sog. Mandatsrelevanz)
sind jedoch in der überkommenen Praxis des Deutschen
Bundestages in Wahlprüfungsverfahren sowie in der ständi-
gen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl.
nur BVerfGE 89, 266/73) eine notwendige Vorbedingung,
um eine Wahlanfechtung begründet sein zu lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 99 – Drucksache 15/1850

Anlage 22

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. N., 97070 Würzburg

– Az.: WP 61/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2002 hat der Einspruchs-
führer gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag Einspruch eingelegt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass ein Briefwahlanteil
von ca. 18 % der abgegebenen Stimmen bedeute, dass annä-
hernd jeder fünfte Wähler nicht amWahltag, sondern bereits
seit Mitte August 2002 über die Zusammensetzung des
neuen Bundestages abgestimmt habe. Nur in engen gesetz-
lich festgelegten Grenzen solle es dem Wahlberechtigten
möglich sein, im Rahmen einer Briefwahl sein Stimmrecht
auszuüben. Diese Grenzen sieht der Einspruchsführer bei
dem hohen Briefwahlenanteil überschritten, was die Ungül-
tigkeit der Bundestagswahl 2002 zur Folge haben müsse.
Der Bundeswahlleiter bestätigt in einer einen anderen
Wahleinspruch betreffenden Stellungnahme vom 5. Februar
2003, die dem Einspruchsführer zugeleitet worden ist, dass
der Anteil der Briefwähler nach dem amtlichen Endergebnis
mit 18,0 % um 2 % höher als bei der Bundestagswahl 1998
gelegen und damit den höchsten Wert seit Einführung der
Briefwahl 1957 erreicht habe. Das Bundesverfassungsge-
richt habe die Briefwahl und ihre rechtliche Ausgestaltung
mehrfach als verfassungskonform bestätigt. Die Briefwahl
trage dem Grundsatz der allgemeinen Wahl in erhöhtem
Maße Rechnung, indem sie auch solchen Wahlberechtigten
eine Wahlbeteiligung ermögliche, die sonst aus gesundheit-
lichen oder anderen Gründen an der Stimmabgabe gehindert
wären. Verfassungsrechtlich sei nicht zu beanstanden, wenn
der Gesetzgeber die Wahrung der freien und geheimen Wahl
in weiterem Umfang als bei der Stimmabgabe an der Wahl-
urne in die Verantwortung des Wählers lege (BVerfGE 59,
119, 126). Der dem Gesetz- und Verordnungsgeber aufge-
tragenen Pflicht zur Prüfung und gegebenenfalls zur Ände-
rung der geltenden Regelungen, sobald Missbräuche zutage
träten, die die freie und geheime Wahl mehr als unumgäng-
lich gefährden könnten, werde nachgekommen. Die die
Briefwahl betreffenden Einsprüche zur Bundestagswahl
2002 seien den Landeswahlleitern zur Stellungnahme zuge-
leitet worden. In den vorliegenden Stellungnahmen werde
überwiegend mitgeteilt, dass die Erfahrungsberichte der
Kreiswahlleiter und Gemeinden bislang nicht auf die Not-
wendigkeit grundlegender Änderungen in der Durchführung
der Briefwahl hinweisen würden.

Der Bundeswahlleiter hat sodann unter dem 11. Juli 2003
berichtet, dass im Rahmen eines Erfahrungsaustauschs mit
den Landeswahlleitern und dem Bundesministerium des In-
nern die Frage eines Änderungsbedarfs bei den Briefwahlre-
gelungen angesprochen worden sei, angesichts der Vielzahl
der Anregungen aber noch nicht umfassend habe erörtert
werden können. Vor diesem Hintergrund habe das Bundes-
ministerium des Innern die Absicht mitgeteilt, im Herbst zu
einer Besprechung mit den Innenressorts einzuladen, bei der
eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden solle, die möglichst
zügig den Änderungsbedarf prüfen und Vorschläge für das
weitere Vorgehen erarbeiten solle.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Die Möglichkeit, durch Briefwahl an einer Bundestagswahl
teilzunehmen und dabei naturgemäß die Stimmabgabe be-
reits vor dem Tag der Hauptwahl vorzunehmen, ist durch
die entsprechenden wahlrechtlichen Regelungen insbe-
sondere des Bundeswahlgesetzes vorgegeben. Hinsichtlich
einer möglichen Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrund-
lagen ist zunächst darauf aufmerksam zu machen, dass der
Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag sich in ständiger
Praxis nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit
von Wahlrechtsnormen festzustellen. Eine derartige Kom-
petenz ist dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Da-
von abgesehen gibt es keinen Anlass, an der Verfassungs-
mäßigkeit der Briefwahlregelungen zu zweifeln.
Die Erwägungen in den Entscheidungen des Bundesver-
fassungsgerichts von 1967 und 1981, die die Briefwahl für
verfassungsgemäß erklärt und dem Gesetzgeber eine Prü-
fungs- und Nachbesserungspflicht aufgegeben haben
(BVerfGE 21, 200 ff.; 59, 119 ff.), treffen in Begründung
und Ergebnis unverändert zu. Wie vom Bundesverfassungs-
gericht betont, überschreitet die Einführung der Briefwahl

Drucksache 15/1850 – 100 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nicht den in Wahlrechtsfragen vorhandenen gesetzgeberi-
schen Gestaltungsspielraum. Auch heute ermöglicht die
Briefwahl solchen Personen die Stimmabgabe, die sich an-
dernfalls aus wichtigen Gründen an der Stimmabgabe im
Wahllokal gehindert sähen. Dadurch wird dem Grundsatz
der allgemeinen Wahl, wonach grundsätzlich alle Bürger
und Bürgerinnen an der Wahl teilnehmen sollen, in erhöh-
tem Maße Rechnung getragen. Dass dabei zugleich durch
die Gegebenheiten der Briefwahl dem Wähler die Wahrung
der freien und geheimen Wahl in weiterem Umfang als bei
der Stimmabgabe im Wahllokal anvertraut wird, ist vom
Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht beanstandet
worden.
Soweit das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf-
gegeben hat, die Vorschriften und ihre Handhabung auf
neue Entwicklungen zu überprüfen, die unvorhergesehene
Gefahren für die Integrität der Wahl mit sich bringen könn-
ten, und bei Missbräuchen, die die freie und geheime Wahl
mehr als unumgänglich gefährden können, Änderungen
oder Ergänzungen vorzunehmen, ist diese Pflicht vom Ge-
setzgeber nicht verletzt worden.
Der Anstieg der Briefwahlstimmen, der im Übrigen auch
dem 14. Deutschen Bundestag – beispielsweise 2001 im Zu-
sammenhang mit einer Änderung des Wahlstatistikgesetzes
durch Einbeziehung der Briefwahlstimmen in die Wahlsta-
tistik (vgl. Bundestagsdrucksachen 14/6538, 14/7125) – be-
wusst war, lässt nicht als solcher auf Missbräuche schließen.
Dies hat auch der Bundeswahlleiter hervorgehoben.
Ob berichtete neuere Vorgänge, insbesondere mögliche Ver-
kaufsangebote oder Abgabe von Briefwahlunterlagen an
Dritte, Änderungen des Wahlrechts erfordern, bedarf noch
der weiteren Prüfung. Insoweit sind, wie vom Bundeswahl-
leiter ausgeführt, weitere Feststellungen und gegebenenfalls
Vorschläge abzuwarten. Derartige Vorgänge, die für die
Bundesebene im wesentlichen für das Jahr 2002 berichtet
werden (vgl. nur Schreiber, Nachwahl am Tag der Haupt-
wahl und sonstige wahlrechtliche Auffälligkeiten – Rechtli-
che Nachbetrachtung zur Bundestagswahl 2002, Neue Zeit-
schrift für Verwaltungsrecht 2003, S. 402, 407 f.), können
noch keine Verletzung gesetzgeberischer Pflichten im Vor-
feld der Bundestagswahl 2002 begründen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 101 – Drucksache 15/1850

Anlage 23

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn R.B., 72517 Sigmaringendorf

– Az.: WP 69/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben 20. Oktober 2002, ergänzt durch ein weiteres
Schreiben vom 6. Januar 2003, hat der Einspruchsführer ge-
gen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag
Einspruch eingelegt und sich zur Begründung auf das Aus-
maß und die Modalitäten der Briefwahl gestützt. Nach sei-
ner Auffassung steht die Briefwahlbeteiligung, die laut einer
Pressemitteilung des Bundeswahlleiters bei 18 %, in einzel-
nen Bezirken sogar bei bis zu 25,4 % gelegen habe, einer
gültigen Wahl entgegen. Bei der Briefwahl sei die geheime,
freie und gleiche Wahl nicht gewährleistet, da die Wahlun-
terlagen außerhalb der Wahllokale von nicht befugten Per-
sonen angekreuzt oder manipuliert werden könnten. Die
Aushändigung der Briefwahlunterlagen werde offensicht-
lich nicht an die vorgeschriebenen Gründe gekoppelt bzw.
diese würden nicht geprüft.
Das Bundesverfassungsgericht habe 1981 die Gefährdung
der freien und geheimen Wahl bei ansteigendem Briefwahl-
anteil erkannt und den Gesetzgeber verpflichtet, die Ent-
wicklung des Briefwahlverhaltens zu beobachten und Fehl-
entwicklungen durch entsprechende Maßnahmen vorzubeu-
gen. Dies sei aber offensichtlich nicht geschehen.
Zwischenzeitlich sei es zur öffentlichen und auch im Inter-
net erfolgten Anbahnung von Verkäufen der Briefwahlstim-
men gekommen, die vom Umfang und von der Qualität her
nicht zu verfolgen seien. Insbesondere bei knappem Wahl-
ausgang und hohem Briefwahlanteil könne man nicht mehr
von einer freien und geheimen Wahl sprechen.
Der Bundeswahlleiter bestätigt in einer Stellungnahme vom
5. Februar 2003 zu einem anderen Wahleinspruch, die auch
dem Einspruchsführer zugeleitet worden ist, dass der Brief-
wähleranteil von 18 % nach dem amtlichen Endergebnis um
2 % höher als bei der Bundestagswahl 1998 gelegen und da-
mit den höchsten Wert seit Einführung der Briefwahl 1957
erreicht habe. Eine der Stellungnahme beigefügte Auftei-
lung nach Bundesländern zeigt eine gewisse Bandbreite. So
wurden bei den letzten drei Wahlen jeweils immer in Ham-
burg die höchsten Werte erreicht; sie beliefen sich auf
20,1 % für 1994, 24,4 % für 1998 und 25,4 % für 2002. Auf
Brandenburg entfielen immer die niedrigsten Werte mit
5,8 % für 1994, 8,2 % für 1998 und 10,7 % für 2002.

Der Bundeswahlleiter bestätigt, dass die bei der Antragstel-
lung anzugebenden Hinderungsgründe des § 25 Abs. 1 Bun-
deswahlordnung (BWO) nicht überprüft würden; das gel-
tende Recht enthalte hierzu weder eine Ermächtigung noch
eine Verpflichtung. Die Gründe für die Erteilung eines
Wahlscheines müssten zwar glaubhaft gemacht werden
(§ 27 Abs. 1 BWO); es sei aber nur zu versichern, dass einer
der Gründe gegeben sei (Anlage 4 zu § 19 Abs. 2 BWO).
Nach Auffassung des Bundeswahlleiters sind keine substan-
tiierten Tatsachen vorgetragen, die im konkreten Einzelfall
Verstöße gegen wahlrechtliche Vorschriften ergäben. Allein
der Anstieg des Briefwähleranteils stelle kein hinreichendes
Indiz für das Vorkommen von Missbräuchen dar. Das Bun-
desverfassungsgericht habe die Briefwahl und ihre rechtli-
che Ausgestaltung mehrfach als verfassungskonform bestä-
tigt. Sie trage dem Grundsatz der allgemeinen Wahl in er-
höhtem Maße Rechnung, indem sie auch solchen Wahlbe-
rechtigten eine Wahlbeteiligung ermögliche, die sonst aus
gesundheitlichen oder anderen Gründen an der Stimm-
abgabe gehindert wären. Verfassungsrechtlich sei es nicht
zu beanstanden, dass im Falle der Briefwahl der Gesetzge-
ber die Wahrung der freien und geheimen Wahl in weiterem
Umfang als bei der Stimmabgabe an der Wahlurne in die
Verantwortung des Wählers lege (BVerfGE 59, 119, 126).
Der dem Gesetz- und Verordnungsgeber aufgetragenen
Pflicht zur Prüfung und gegebenenfalls Änderung der gel-
tenden Regelungen werde nachgekommen. Die die Brief-
wahl betreffenden Einsprüche gegen die Bundestagswahl
2002 seien den Landeswahlleitern zur Stellungnahme zuge-
leitet worden. In den vorliegenden Stellungnahmen werde
überwiegend mitgeteilt, dass die Erfahrungsberichte der
Kreiswahlleiter und Gemeinden bislang nicht auf die Not-
wendigkeit grundlegender Änderungen in der Durchführung
der Briefwahl hinweisen würden.
Der Bundeswahlleiter hat sodann unter dem 11. Juli 2003
berichtet, dass im Rahmen eines Erfahrungsaustauschs mit
den Landeswahlleitern und dem Bundesministerium des
Innern die Frage eines Änderungsbedarfs bei den Brief-
wahlregelungen angesprochen worden sei, angesichts der
Vielzahl der Anregungen aber noch nicht umfassend habe
erörtert werden können. Vor diesem Hintergrund habe das
Bundesministerium des Innern die Absicht mitgeteilt, im
Herbst zu einer Besprechung mit den Innenressorts einzu-

Drucksache 15/1850 – 102 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

laden, bei der eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden solle,
die möglichst zügig den Änderungsbedarf prüfen und Vor-
schläge für das weitere Vorgehen erarbeiten solle.
Der Einspruchsführer hat angesichts der Stellungnahme des
Bundeswahlleiters vom 5. Februar 2003 insbesondere daran
festgehalten, dass jeder Wahlberechtigte unabhängig von
den wahren Gründen Briefwahlunterlagen erhalte und dass
Indizien ignoriert würden, die insbesondere durch den ho-
hen Briefwähleranteil und Stimmverkäufe im Internet und
bei Wahlveranstaltungen auf einen Missbrauch hindeuteten.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes eine mündliche Verhandlung nicht
anzuberaumen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet, da ein Wahlfehler nicht festzustellen ist.
An der Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften des Bundes-
wahlgesetzes und der Bundeswahlordnung ergeben sich
keine Zweifel. Im Weiteren lässt sich auch keine Verletzung
dieser Vorschriften feststellen.
Hinsichtlich einer möglichen Verfassungswidrigkeit ist zu-
nächst darauf aufmerksam zu machen, dass der Wahlprü-
fungsausschuss und der Bundestag sich in ständiger Praxis
nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit von
Wahlrechtsnormen festzustellen. Eine derartige Kompetenz
ist dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Davon ab-
gesehen gibt es keinen Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit
der Briefwahlregelungen zu zweifeln.
Die Erwägungen in den Entscheidungen des Bundesverfas-
sungsgerichts von 1967 und 1981, die die Briefwahl für ver-
fassungsgemäß erklärt und dem Gesetzgeber eine Prüfungs-
und Nachbesserungspflicht aufgegeben haben (BVerfGE
21, 200 ff.; 59, 119 ff.), treffen in Begründung und Ergebnis
unverändert zu. Wie vom Bundesverfassungsgericht betont,
überschreitet die Einführung der Briefwahl nicht den in
Wahlrechtsfragen vorhandenen gesetzgeberischen Gestal-
tungsspielraum. Auch heute ermöglicht die Briefwahl sol-
chen Personen die Stimmabgabe, die sich andernfalls aus
wichtigen Gründen an der Stimmabgabe im Wahllokal ge-
hindert sähen. Dadurch wird dem Grundsatz der allgemei-
nen Wahl, wonach grundsätzlich alle Bürger und Bürgerin-
nen an der Wahl teilnehmen sollen, in erhöhtem Maße
Rechnung getragen. Dass dabei zugleich durch die Gege-
benheiten der Briefwahl dem Wähler die Wahrung der
freien und geheimen Wahl in weiterem Umfang als bei der
Stimmabgabe im Wahllokal anvertraut wird, ist vom Bun-

desverfassungsgericht ausdrücklich nicht beanstandet wor-
den.
Soweit das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf-
gegeben hat, die Vorschriften und ihre Handhabung auf
neue Entwicklungen zu überprüfen, die unvorhergesehene
Gefahren für die Integrität der Wahl mit sich bringen könn-
ten, und bei Missbräuchen, die freie und geheime Wahl
mehr als unumgänglich gefährden können, Änderungen
oder Ergänzungen vorzunehmen, ist diese Pflicht vom Ge-
setzgeber nicht verletzt worden.
Der Anstieg der Briefwahlstimmen, der im Übrigen auch
dem 14. Deutschen Bundestag – beispielsweise 2001 im Zu-
sammenhang mit einer Änderung des Wahlstatistikgesetzes
durch Einbeziehung der Briefwahlstimmen in die Wahlsta-
tistik (vgl. Bundestagsdrucksachen 14/6538, 14/7125) – be-
wusst war, lässt nicht als solcher auf Missbräuche schließen.
Dies hat auch der Bundeswahlleiter hervorgehoben. Selbst
wenn sich manche Wahlberechtigte nur aus Bequemlichkeit,
nicht aber aus wichtigem Grund für die Briefwahl entschei-
den sollten, gefährdete dies nicht die Durchführung einer
freien und geheimen Wahl. Daher ist unerheblich, dass eine
Glaubhaftmachung reicht, eine Überprüfung durch den
Kreiswahlleiter aber nicht vorgeschrieben ist.
Ob berichtete neuere Vorgänge, insbesondere mögliche Ver-
kaufsangebote oder Abgabe von Briefwahlunterlagen an
Dritte, Änderungen des Wahlrechts erfordern, bedarf noch
der weiteren Prüfung. Insoweit sind, wie vom Bundeswahl-
leiter ausgeführt, weitere Feststellungen und gegebenenfalls
Vorschläge abzuwarten. Derartige Vorgänge, die für die
Bundesebene im wesentlichen für das Jahr 2002 berichtet
werden (vgl. nur Schreiber, Nachwahl am Tag der Haupt-
wahl und sonstige wahlrechtliche Auffälligkeiten – Rechtli-
che Nachbetrachtung zur Bundestagswahl 2002, Neue Zeit-
schrift für Verwaltungsrecht 2003, S. 402, 407 f.), können
noch keine Verletzung gesetzgeberischer Pflichten im Vor-
feld der Bundestagswahl 2002 begründen.
Die berichteten Vorgänge, soweit sie im Einzelfall über-
haupt über das Versuchsstadium hinausgekommen sein soll-
ten, wären wegen Verletzung des Grundsatzes der höchst-
persönlichen Wahl zwar als Wahlfehler zu bewerten. Schon
angesichts ihrer nicht erkennbaren Dimension lassen sich
aber Auswirkungen auf die Erststimmenergebnisse in be-
stimmten Wahlkreisen bzw. Zweitstimmenergebnisse nicht
feststellen. Feststellbare Auswirkungen auf die Verteilung
der Mandate im Deutschen Bundestag (sog. Mandatsrele-
vanz) sind jedoch in der überkommenen Praxis des Deut-
schen Bundestages in Wahlprüfungsverfahren sowie in der
ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(vgl. nur BVerfGE 89, 266/73) eine notwendige Vorbedin-
gung, um eine Wahlanfechtung begründet sein zu lassen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 103 – Drucksache 15/1850

Anlage 24

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M.-L. B., CH-8038 Zürich

– Az.: WP 42/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem per Telefax übermittelten Schreiben vom 21. No-
vember 2002 hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Er wendet sich dagegen, dass er als Auslandsdeutscher in
der Schweiz sein Wahlrecht nicht habe ausüben können, da
der von ihm gestellte Antrag auf Eintragung in das Wähler-
verzeichnis nach Mitteilung der Stadt Mönchengladbach
nach Fristablauf eingegangen und deshalb abgelehnt wor-
den sei.
Der Einspruchsführer trägt vor, er habe von der Stadt Mön-
chengladbach die Unterlagen für die Eintragung am 28. Au-
gust 2002 erhalten und am nächsten Tag den ausgefüllten
Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis zurückge-
sandt. Mit Schreiben vom 4. September 2002 habe man ihm
mitgeteilt, dass an diesem Tage der Eingang des Antrags
festgestellt worden sei. Da die Antragsfrist am 1. September
2002 abgelaufen sei, könne auf Grund des verspäteten Ein-
gangs dem Antrag nicht entsprochen werden. Dieses Schrei-
ben habe er per Telefax am 19. September 2002 erhalten.
Nach Ansicht des Einspruchsführers bedeutet dies, dass
„die Behörden“ ihm das Recht auf Einlegung eines Rechts-
behelfs genommen hätten. Auch sei ihm nicht mitgeteilt
worden, dass der Antrag zur Fristwahrung per Telefax hätte
übermittelt werden können. Da der Einspruchsführer die
Fristversäumnis nicht zu vertreten habe, hätte das Wahlamt
seiner Ansicht nach die Eintragung in das Wählerverzeich-
nis veranlassen müssen. Weiterhin sei es ihm nicht möglich
gewesen, die für den Rechtsbehelf gegen den Bescheid er-
forderlichen Beweismittel beizubringen. Darüber hinaus
trägt der Einspruchsführer vor, dass anlässlich mehrerer
Schriftwechsel mit der Deutschen Botschaft in Bern die
Gelegenheit bestanden habe, ihm die erforderlichen Unter-
lagen zuzustellen und er in der Zeit zwischen Mai 2002
bis Mitte August 2002 „nachweislich nicht handlungsfä-
hig“ gewesen sei.
Die Kreiswahlleiterin hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Der Einspruchsführer habe als im Ausland lebender wahlbe-
rechtigter Deutscher die Antragsfrist auf Eintragung in das
Wählerverzeichnis und die Einspruchsfrist gegen das Wäh-

lerverzeichnis versäumt. Ein Nachweis darüber, dass die
Fristen ohne das Verschulden des Einspruchsführers ver-
säumt worden sind, sei nicht erbracht worden. Vor diesem
Hintergrund sei die Eintragung in das Wählerverzeichnis
abgelehnt worden.
Die Kreiswahlleiterin führt aus, dass der Antrag des Ein-
spruchsführers am 4. September 2002 im Wahlamt der Stadt
Mönchengladbach eingegangen und am nächsten Tag we-
gen des Fristablaufs abschlägig beschieden worden sei.
Dieser Bescheid sei am 19. September 2002 auf fernmündli-
che Bitte des Einspruchsführers per Fernkopierer übermit-
telt worden. Daraufhin habe er Einspruch gegen das Wäh-
lerverzeichnis erheben wollen, ohne jedoch den erforder-
lichen Nachweis über das Nichtverschulden des Versäum-
nisses beizubringen. Die erneute Überprüfung des Antrags
am 20. September 2002 habe wiederum zu einer Ablehnung
auf Eintragung in das Wählerverzeichnis geführt. Da eine
Übermittlung per Fernkopierer gescheitert sei, sei dieser
Bescheid per Post übersandt worden, jedoch als unzustell-
bar zurückgesandt worden. Die Kreiswahlleiterin hebt her-
vor, dass die „entsprechenden Entscheidungen“ dem Ein-
spruchsführer aus von ihr nicht zu vertretenden Umständen
nicht oder nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung hätten
zugestellt werden können.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme zur Kennt-
nis gegeben worden. Er hat sich hierzu nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Maßgeblich ist,
dass der Einspruchsführer nicht nachweisen konnte, dass er
die Antragsfrist für die Eintragung in das Wählerverzeichnis
ohne Verschulden versäumt hat.

Drucksache 15/1850 – 104 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Einspruchsführer ist als ein in der Schweiz lebender
Auslandsdeutscher nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 Bundeswahlge-
setz (BWG) materiell wahlberechtigt. Für die Bundestags-
wahl 2002 erfüllte er jedoch nicht die für die Ausübung des
Wahlrechts notwendigen formellen Voraussetzungen. Nach
§ 14 Abs. 1 BWG kann nur wählen, wer in ein Wählerver-
zeichnis eingetragen ist oder einen Wahlschein hat. Aus-
landsdeutsche werden nach § 16 Abs. 2 Nr. 2b Bundeswahl-
ordnung (BWO) nicht von Amts wegen, sondern nur auf
Antrag in das Wählerverzeichnis eingetragen. Nach § 18
Abs. 1 Satz 1 BWO ist der Antrag auf Eintragung in das
Wählerverzeichnis schriftlich bis spätestens zum 21. Tag
vor der Wahl bei der zuständigen Gemeindebehörde zu stel-
len. Diese Antragsfrist lief somit am 1. September 2002 ab.
Der Antrag des Einspruchsführers ging erst am 4. Septem-
ber 2002 bei der für ihn zuständigen Stadt Mönchenglad-
bach ein.
Da die Stadt Mönchengladbach die Ablehnung des Antrages
auf Eintragung in das Wählerverzeichnis zu Recht darauf
gestützt hat, dass die Antragsfrist versäumt wurde, kommt
es darauf an, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines
Wahlscheins nach § 25 Abs. 2 Nr. 1 BWO vorlagen. Nach
dieser Vorschrift erhält ein Wahlberechtigter, der nicht in
das Wählerverzeichnis eingetragen ist, auf Antrag einen
Wahlschein, wenn er nachweist, dass er ohne Verschulden
die Antragsfrist nach § 18 Abs. 1 BWO versäumt hat. Die-
sen Nachweis hat der Einspruchsführer nicht erbracht. Ent-
gegen seiner Auffassung war die Deutsche Botschaft in
Bern nicht verpflichtet, ihm von sich aus im Zusammen-
hang mit der Regelung einer Passangelegenheit das An-
tragsformular für die Eintragung in das Wählerverzeichnis
zukommen zu lassen. Nach § 18 Abs. 5 Satz 2 BWO kön-
nen Vordrucke und Merkblätter für die Antragstellung bei
den diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen
der Bundesrepublik Deutschland im Ausland, beim Bundes-
wahlleiter und bei den Kreiswahlleitern angefordert werden.
Diese Regelung geht davon aus, dass die im Ausland leben-
den Deutschen zur Wahrnehmung ihres Wahlrechts selbst
aktiv werden müssen. Gemäß § 20 Abs. 2 BWO haben die
diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen der
Bundesrepublik Deutschland im Ausland lediglich die Ver-
pflichtung, rechtzeitig vor der Wahl die Voraussetzungen
und Modalitäten des Wahlrechts für Deutsche im Ausland
durch deutschsprachige Anzeigen in der Tages- und Wo-
chenpresse bekanntzugeben. Im Übrigen sind die Wahlbe-
rechtigten gehalten, sich selbst um die notwendigen Infor-
mationen und Unterlagen zu kümmern (Bundestagsdrucksa-
che 14/1560, Anlage 64).

Soweit der Einspruchsführer vorträgt, er sei zwischen Mai
und dem 15. August 2002 „nachweislich nicht handlungsfä-
hig“ gewesen, so kann er sich damit ebenfalls nicht entlas-
ten. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Nr. 1 BWO sind
z. B. bei nachweislich schwerer Krankheit und bei längerer
Abwesenheit erfüllt (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 17
Rn. 11). Der Einspruchsführer trägt jedoch zum einen keine
Gründe für seine „vorübergehende Handlungsunfähigkeit“
vor, zum anderen erbringt er keinen Nachweis dafür. Da-
rüber hinaus bestand für ihn ab Mitte August 2002 noch
genügend Zeit, das Antragsformular kurzfristig zu besorgen
– bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung
der Bundesrepublik Deutschland in der Schweiz oder bei
der Stadt Mönchengladbach, wenngleich absehbar hätte
sein können, dass angesichts der im Auslandspostverkehr
längeren Postlaufzeiten der verbleibende Zeitraum für die
Fristwahrung bis zum 1. September 2002 ohne die Inan-
spruchnahme technisch schnellerer Übertragungsmittel
knapp werden könnte. Tatsächlich blieb dem Einspruchs-
führer dann nach Zustellung der Antragsunterlagen am
28. August 2002 nicht mehr viel Zeit. Entgegen der Auffas-
sung des Einspruchsführer war das Wahlamt Mönchenglad-
bach nicht rechtlich verpflichtet, ihn darüber zu informie-
ren, dass er den Antrag auch per Telefax übermitteln kann.
Ein solcher Hinweis wäre sicherlich im Interesse des Ein-
spruchsführers wünschenswert gewesen, doch darf nicht
übersehen werden, dass es sich aus Sicht des Wahlamtes um
ein Massengeschäft handelt und insoweit keine überhöhten
Anforderungen gestellt werden dürfen. Es oblag dem Ein-
spruchsführer, sich über die Antragsfrist und über die Mo-
dalitäten bezüglich deren Einhaltung zu informieren (vgl.
§ 18 Abs. 5, § 20 Abs. 2 BWO).
Vor diesem Hintergrund braucht nicht abschließend darüber
entschieden werden, ob und in welchem Umfang die Stadt
Mönchengladbach die erhebliche zeitliche Verzögerung bei
der Zustellung der Ablehnungsentscheidung an den Ein-
spruchsführer zu vertreten hat. Eine Beschwerdeentschei-
dung nach § 22 Abs. 5 BWO hätte nämlich zu dem Ergebnis
führen müssen, dass der Einspruchsführer den Nachweis,
dass er die Antragsfrist ohne Verschulden versäumt habe,
nicht erbracht hat. Die hypothetische Überlegung, dass eine
Beschwerdeentscheidung des Kreiswahlleiters zugunsten
des Einspruchsführer hätte ausfallen können, führt nicht zu
einem anderen Ergebnis. Der Einspruchsführer kann sich
nämlich nicht darauf berufen, dass möglicherweise zu Un-
recht zu seinen Gunsten hätte entschieden werden können.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 105 – Drucksache 15/1850

Anlage 25

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. L., CH-9100 Herisau

– Az.: WP 68/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2002, das beim Deutschen
Bundestag am 23. Oktober 2002 eingegangen ist, hat der in
der Schweiz lebende Einspruchsführer gegen die Gültigkeit
der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag Einspruch einge-
legt. Zur Begründung trägt er vor, die in der Schweiz leben-
den Deutschen seien von den deutschen Auslandsvertretun-
gen nicht genügend über die bevorstehende Wahl und die
Formalitäten zur Ausübung des Wahlrechts informiert wor-
den.
Er behauptet, von der deutschen Botschaft in Bern sei keine
einzige Zeitungsanzeige mit Wahlinformationen in der ge-
samten Ostschweiz geschaltet worden. Er kenne Auslands-
deutsche, denen zur Bundestagswahl 1998 die Wahlunterla-
gen für die Briefwahl automatisch zugesandt worden seien.
Für die Bundestagswahl 2002 sei dies aber dann nicht mehr
geschehen, so dass in besagten Fällen derjenige sein Wahl-
recht nicht habe ausüben können, der sich auf die „bisherige
automatische Zusendung“ verlassen habe. Er behauptet,
ohne Ankündigung seien die Adressen dieser Auslandsdeut-
schen nach der Bundestagswahl 1998 aus den „Wählerregis-
tern“ gelöscht worden. Der Einspruchsführer ist offenbar
der Ansicht, dass die deutschen Auslandsvertretungen die
im Ausland lebenden Deutschen melderechtlich erfassen
müssten, um sie so umfassend betreuen und informieren zu
können.
Der Einspruchsführer trägt weiterhin vor, dass nicht nur die
deutschen Auslandsvertretungen in der Schweiz sondern
auch in anderen Ländern ihrer Informationspflicht nicht
nachkämen, und beruft sich dafür auf einen Zeitungsartikel
vom 16. September 1998, den er bereits seinem – gemein-
sam mit weiteren Einspruchsführern eingelegten – Ein-
spruch gegen die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag (Bun-
destagsdrucksache 14/1560, Anlage 64) beigelegt hatte. In
diesem Zeitungsartikel heißt es unter anderem: „Anders als
bei anderen Nationen, die in ihren Auslandsvertretungen
Wahlkabinen aufstellen, muss der Auslandsdeutsche bei sei-
ner Vertretung Antragsformulare anfordern, sie ausgefüllt
an seine ehemalige Heimatgemeinde in Deutschland schi-
cken, damit sie ihm die Stimmzettel für die Briefwahl zu-
sendet.“ Der Einspruchsführer legt dar, dass es mehr als
600 000 Deutsche gebe, die ständig im Ausland lebten, und
von denen mehr als 90 % konservativ wählten. Da das Er-

gebnis der Bundestagswahl sehr knapp ausgefallen sei, ist er
der Ansicht, dass durch die unzureichenden Informationsan-
gebote der Bundesrepublik Deutschland für die im Ausland
lebenden Deutschen das Wahlergebnis auf den Kopf gestellt
worden sei.
Das Auswärtige Amt hat zu den Ausführungen des Ein-
spruchsführers Stellung genommen. Es legt dar, dass zur
Ankündigung der Bundestagswahl 2002 bereits im Juni
2002 in der Schweiz öffentliche Bekanntmachungen in fol-
genden Zeitungen geschaltet worden seien:
Neue Züricher Zeitung (NZZ) als überregionale Tageszei-
tung am 15./16. Juni 2002
Zürcher Sonntagszeitung als überregionale Wochenzeitung
am 15./16. Juni 2002.
Es seien außerdem in folgenden drei regionalen Tageszei-
tungen öffentliche Bekanntmachungen geschaltet worden:
– Tribune de Génève am 13./14. April 2002
– Walliser Bote am 13. April 2002
– Waadtländischer Le Temps am 13. April 2002.
Diese durch die deutschen Auslandsvertretungen in der
Schweiz veranlassten Veröffentlichungen gingen somit über
die gesetzlichen Vorgaben des § 20 Abs. 2 S. 2 Bundes-
wahlordnung (BWO) hinaus. Zusätzlich hätten sich Infor-
mationen auf den Internetseiten der Deutschen Botschaft in
Bern und des Bundeswahlleiters befunden. Wahlbekannt-
machungen seien auch in den Besucherwarteräumen der
Deutschen Botschaft in Bern und im Deutschen General-
konsulat in Genf ausgehängt worden.
Das Auswärtige Amt vertritt die Ansicht, dass die Aus-
übung des Wahlrechts im Ausland stärker von der Eigenini-
tiative der Wähler abhängig sei. Es müsse den Wählern da-
her geraten werden, sich einige Monate vor der Wahl mit
den deutschen Auslandsvertretungen in Verbindung zu set-
zen, um die Übersendung der Anträge auf Eintragung in das
Wählerverzeichnis zu veranlassen. Es ist der Meinung, eine
Unterrichtung jedes einzelnen im Ausland lebenden Wahl-
berechtigten durch die deutschen Auslandsvertretungen sei
weder praktikabel noch möglich, da für Deutsche keine ge-
setzliche Meldepflicht bei den deutschen Auslandsvertre-
tungen bestehe, und diese aus Datenschutzgründen keine

Drucksache 15/1850 – 106 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Meldedateien über Deutsche im Ausland, von deren Anwe-
senheit sie erfahren, anlegen dürften.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Auswärti-
gen Amtes zur Kenntnis gegeben worden. Er hat sich hierzu
mit einem Schreiben, das am 16. Januar 2003 beim Bundes-
tag eingegangen ist, geäußert und seine Ausführungen teil-
weise ergänzt.
Er weist darauf hin, dass zwar in drei Regionalzeitungen in
den französischsprachigen Kantonen der Schweiz Wahlbe-
kanntmachungen veröffentlicht worden seien, jedoch in kei-
ner Regionalzeitung in der Ostschweiz. Er selbst habe nie-
mals eine solche Anzeige zu Gesicht bekommen.
Weiterhin bittet der Einspruchsführer um Aufklärung darü-
ber,
– in welchen Wahlkreisen 1998 Wahlunterlagen automa-

tisch an im Ausland lebende Deutsche versandt worden
seien,

– in welchen Wahlkreisen im Ausland lebende Deutsche
aus „Wählerregistern“ gelöscht worden seien, ohne diese
betreffenden Personen darüber zu informieren, dass sie
bei der nächsten Wahl die Wahlunterlagen selbst anfor-
dern müssten,

– zu welchem Zeitpunkt diese Löschungen stattfanden.
Der Einspruchsführer trägt in diesem Schreiben außerdem
vor, dass das am 1. August 2001 in Kraft getretene Lebens-
partnerschaftsgesetz dazu bestimmt gewesen sei, eine Wäh-
lerklientel der jetzigen Regierungskoalition anzusprechen.
Ebenso habe das Zuwanderungsgesetz eine Wählerklientel
ansprechen sollen, der die jetzige Regierungskoalition ihren
Wahlsieg verdanke. Dies sei eine unzulässige Wählerbeein-
flussung.
Zu den weiteren Ausführungen des Einspruchsführers wird
auf den Akteninhalt verwiesen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Die vom Ein-
spruchsführer geltend gemachte Pflicht der deutschen Aus-
landsvertretungen, jeden im Ausland lebenden Deutschen
einzeln über Wahltermine und Wahlrechtsvorschriften zu in-
formieren, besteht nicht, wie in § 16 Abs. 2 Nr. 2 b BWO
zum Ausdruck kommt. Die Deutschen, die außerhalb der
Bundesrepublik Deutschland leben, sind nur auf Antrag in
das Wählerverzeichnis aufzunehmen, während die Deut-
schen, die in der Bundesrepublik Deutschland leben, von
Amts wegen, also automatisch aufgenommen werden. Darin
enthalten ist die Obliegenheit der Auslandsdeutschen, selbst
aktiv zu werden und Schritte zu unternehmen, ihr Wahlrecht
wahrzunehmen (Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage
64). Die den diplomatischen und berufskonsularischen Ver-

tretungen vorgeschriebenen Informationspflichten gemäß
§ 20 Abs. 2 Satz 2 BWO hat die Deutsche Botschaft in Bern
ausweislich der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, der
vom Einspruchsführer insoweit nicht widersprochen wor-
den ist, erfüllt, indem sie Anzeigen zur Bekanntmachung
der Bundestagswahl 2002 in überregionalen und regionalen
Tages- und Wochenzeitungen geschaltet hat. Eine gesetzli-
che Verpflichtung der diplomatischen und berufskonsulari-
schen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland, in je-
der Region eines Landes solche Anzeigen zu schalten, be-
steht nicht und wäre auch nicht praktikabel. Die Deutsche
Botschaft in Bern war daher entgegen der Auffassung des
Einspruchsführers nicht verpflichtet, speziell in den Kanto-
nen der Ostschweiz in Regionalzeitungen Anzeigen zu
schalten. Nur dann, wenn solche Bekanntmachungen in be-
gründeten Einzelfällen überhaupt nicht erfolgen können
(zum Beispiel, weil es in dem betreffenden Land keine Ta-
geszeitungen gibt) oder nicht gerechtfertigt erscheinen, sind
die Auslandsvertretungen im Einzelfall gehalten, die „ein-
zelnen bekannten Betroffenen“, soweit möglich, zu unter-
richten (§ 20 Abs. 2 S. 3 BWO). Im übrigen waren Informa-
tionen auf Anfrage bei den Auslandsvertretungen ebenso zu
erhalten wie Vordrucke und Merkblätter für die Antragstel-
lung. Eine Pflicht der berufskonsularischen und diplomati-
schen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland, jeden
in ihrem Zuständigkeitsbereich lebenden Deutschen einzeln
zu informieren oder ihm Antragsformulare zuzusenden, be-
steht – wie das Auswärtige Amt in seiner Stellungnahme zu
Recht ausführt – entgegen der Ansicht des Einspruchsfüh-
rers nicht.
Der Einspruchsführer verkennt, dass Wählerverzeichnisse
gemäß § 14 Abs. 1 BWO vor jeder Wahl neu anzulegen
sind. Es bestand seitens der das Wählerverzeichnis führen-
den Gemeinden keine Pflicht, die betreffenden im Ausland
lebenden Deutschen darüber zu informieren, dass sie für die
Eintragung in das zur nächsten Wahl anzulegende Wähler-
verzeichnis einen Antrag stellen müssen. Dies ergibt sich
aus § 16 Abs. 2 Nr. 2b BWO. Wenn die Gemeinden den im
Ausland lebenden Deutschen die Wahlunterlagen für die
Bundestagswahl 2002 nur auf Antrag zugeschickt haben, so
ist darin kein Wahlfehler zu erkennen. Ob für die Bundes-
tagswahl 1998 Wahlunterlagen automatisch an im Ausland
lebende Deutsche versandt worden sind, ist nicht Prüfungs-
gegenstand dieses Wahlprüfungsverfahrens. Es kommt al-
lein darauf an, ob Wahlfehler bei dem laufenden Wahlver-
fahren zur Bundestagswahl 2002 aufgetreten sind. Die vom
Einspruchsführer zur Bundestagswahl 1998 aufgeworfenen
Fragen bedürfen daher im vorliegenden Wahlprüfungsver-
fahren keiner Klärung.
Soweit der Einspruchsführer unter Bezugnahme auf den
dem Einspruch beigefügten Zeitungsartikel ausführt, dass es
auch Wahlmängel in anderen Auslandsvertretungen der
Bundesrepublik Deutschland gegeben habe, so fehlt es an
einer substantiierten Darlegung, worin die behaupteten
Wahlfehler bestehen und wie diese zustande gekommen
sein sollen. Es muss jedoch durch den Einspruchsführer
konkret, unmissverständlich und hinreichend substantiiert
vorgetragen werden, worin ein Verstoß gegen Wahlrechts-
vorschriften liegen soll. Denn die Wahlprüfung findet weder
von Amts wegen statt, noch erfolgt sie stets in Gestalt einer
Durchprüfung der gesamten Wahl. Vielmehr erfolgt nach
§ 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG die Wahlprüfung nur auf Ein-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 107 – Drucksache 15/1850

spruch, der zu begründen ist. Die Begründung muss min-
destens den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt
wird, erkennen lassen und genügend substantiierte Tatsa-
chen enthalten (BVerfGE 40, 11/30).
Wenn der Einspruchsführer in seinem letzten Schreiben,
beim Bundestag eingegangen am 16. Januar 2003, vorträgt,
dass durch bestimmte Gesetze eine Wählerbeeinflussung
stattgefunden habe, so handelt es sich dabei nicht um eine
nähere Ausführung oder Ergänzung zu den Darlegungen in
der Einspruchsschrift, sondern um einen neuen Grund, der
den Einspruch stützen soll. Das Nachschieben dieses neuen
Einspruchsgrundes nach Ablauf der Einspruchsfrist (22. No-
vember 2002) ist im Interesse einer schnellen Klärung der
Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl und der damit einher-
gehenden alsbaldigen verbindlichen Feststellung der ord-
nungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments unzuläs-
sig (Schreiber, Kommentar zum Bundeswahlgesetz, 7. Auf-
lage, § 49 Rn. 18).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 109 – Drucksache 15/1850

Anlage 26

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. P., A-9544 F.a.S.

– Az.: WP 29/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 7. Oktober 2002 beim Deutschen Bundestag
eingegangenen Schreiben hat der Einspruchsführer Ein-
spruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, dass er
als im Ausland lebender Wahlberechtigter keine Unterlagen
zur Teilnahme an der Briefwahl erhalten habe. Dem Ein-
spruchsführer, der seit 1995 in Österreich lebt, seien „kei-
nerlei Möglichkeiten“ gegeben worden, an der Briefwahl
teilzunehmen, obwohl er weiterhin deutscher Staatsbürger
sei.
In einer weiteren Zuschrift, die am 25. Oktober 2002 beim
Deutschen Bundestag eingegangen ist, trägt der Einspruchs-
führer vor, dass er zur Bundestagswahl 1998 die Briefwahl-
unterlagen, die ihm die Teilnahme an der Wahl ermöglicht
hätten, über die Bundesknappschaft Bochum erhalten habe.
Er teilt die Anschrift seines letzten Wohnsitzes in der Bun-
desrepublik Deutschland mit und trägt weiter vor, dass er
sich einem bevorstehenden Betreuungsverfahren durch den
Auslandsaufenthalt entzogen und sich dort nicht polizeilich
abgemeldet habe. Seit dem Jahre 2000 sei dem Einwohner-
meldeamt Gelsenkirchen bekannt gewesen, dass er offiziell
als im Ausland lebender Deutscher gelte. Zum weiteren
Vortrag des Einspruchsführers, u. a. zu seinem o. g. Betreu-
ungsverfahren, wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
Ein die Betreuung des Einspruchsführers u. a. für Behör-
den- und Gerichtsangelegenheiten anordnender Beschluss
des AG Gelsenkirchen vom 15. April 1995 (11 XVII 2325)
wurde durch Beschluss des LG Essen vom 29. September
1995 (7 T 153/95) aufgehoben.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Kreiswahlleiter wie folgt
Stellung genommen:
Der Einspruchsführer sei am 28. Oktober 1997 amtlich ab-
gemeldet worden, da er sich unter der gemeldeten Anschrift
in Gelsenkirchen nicht mehr aufgehalten habe. Für die Wahl
zum Deutschen Bundestag wäre er als Auslandsdeutscher
nach einem Antrag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis
seines letzten Wohnortes (Gelsenkirchen) in dieses aufge-
nommen worden. Einen solchen Antrag habe der Ein-
spruchsführer jedoch nicht gestellt.

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschrift ist aus dem vor-
getragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Die vom Ein-
spruchsführer geltend gemachte Pflicht der Stadt Gelsenkir-
chen, ihm unaufgefordert Briefwahlunterlagen zukommen
zu lassen, besteht nicht. Dies ergibt sich aus § 16 Abs. 2
Nr. 2b Bundeswahlordnung (BWO). Die Deutschen, die
außerhalb der Bundesrepublik Deutschland leben, sind hier-
nach nur auf Antrag in das Wählerverzeichnis aufzunehmen,
während die Deutschen, die in der Bundesrepublik Deutsch-
land leben, von Amts wegen aufgenommen werden. Darin
enthalten ist eine Obliegenheit der Auslandsdeutschen,
selbst aktiv zu werden und Schritte zu unternehmen, ihr
Wahlrecht wahrzunehmen (Bundestagsdrucksache 14/1560,
Anlage 64). Aus der Stellungnahme des Kreiswahlleiters
und aus dem Vortrag des Einspruchsführers geht hervor,
dass er für die Bundestagswahl 2002 keinen Antrag auf Ein-
tragung in das Wählerverzeichnis bei der Stadt Gelsenkir-
chen gestellt hat. Auch andere Bemühungen zur Wahrneh-
mung seines Wahlrechts für die Bundestagswahl 2002 trägt
der Einspruchsführer nicht vor. Mangels gegenteiliger An-
haltspunkte ist davon auszugehen, dass die diplomatischen
und berufskonsularischen Vertretungen der Bundesrepublik
Deutschland die ihnen nach § 20 Abs. 2 BWO obliegenden
Informationspflichten bei der Bundestagswahl 2002 erfüllt
haben.
Soweit der Einspruchsführer vorträgt, er habe für die Bun-
destagswahl 1998 Briefwahlunterlagen über die Bundes-
knappschaft Bochum erhalten, so ist dies angesichts der an-
ders gearteten Zuständigkeit dieser Behörde eher fernlie-
gend und könnte keine Bindungswirkung für die Zukunft
haben. Jedenfalls ist diese Frage nicht Prüfungsgegenstand
dieses Wahlprüfungsverfahrens.

Drucksache 15/1850 – 110 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 111 – Drucksache 15/1850

Anlage 27

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. des Herrn E. F., 50996 Köln
2. der Frau R. F.-B., 50996 Köln

– Az.: WP 187/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem per Telefax übermittelten Schreiben, das am
22. November 2002 beim Deutschen Bundestag eingegan-
gen ist, haben der Einspruchsführer und die Einspruchsfüh-
rerin (im Folgenden: die Einspruchsführer) Einspruch gegen
die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag ein-
gelegt. Sie beanstanden im Wesentlichen, dass sie die von
ihnen beantragten Briefwahlunterlagen zunächst nicht er-
halten hätten und ihnen später jeweils zweimal Briefwahl-
unterlagen zugestellt worden seien.
Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Ein-
spruchsführer sind Eheleute und beantragten nach Erhalt der
Wahlbenachrichtigungskarten Briefwahlunterlagen. Die
beim Bezirksamt Köln-Rodenkirchen eingereichten Anträge
gingen am 10. September 2002 beim Wahlamt der Stadt
Köln ein. Die entsprechenden Briefwahlunterlagen wurden
am 11. September 2002 an die Einspruchsführer per Post
abgesandt. Am 17. September 2002 erinnerten sie das Wahl-
amt der Stadt Köln per Telefax an die Übersendung der
Briefwahlunterlagen. Daraufhin wurden den Einspruchsfüh-
rern am 18. September 2002 Ersatz-Briefwahlunterlagen
per Boten zugestellt; gleichzeitig wurden die bereits abge-
sandten Briefwahlunterlagen für ungültig erklärt. Diese gin-
gen am 19. September 2002 per Post bei den Einspruchs-
führern ein.
Die Einspruchsführer sehen in der bis zum 17. September
2002 nicht erfolgten Zustellung von Briefwahlunterlagen
und in der nach diesem Zeitpunkt jeweils zweifachen Zu-
stellung der Briefwahlunterlagen „erhebliche Mängel im
Wahlverfahren“. Sie äußern die Vermutung, dass die bean-
tragten Unterlagen ohne ihre per Telefax erfolgte Erinne-
rung nicht zugestellt worden wären. Sie hätten die ihnen am
18. September 2002 per Boten zugestellten Unterlagen zur
Briefwahl genutzt, nicht jedoch die am 19. September 2002
per Post zugestellten Unterlagen. Schließlich erstatten sie
„Anzeige“ gegen Bundeskanzler Gerhard Schröder wegen
Wahlbetrugs, da er „wissentlich falsche Aussagen“ gemacht
habe. Die Einspruchsführer sind insoweit vom Wahlprü-
fungsausschuss auf die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft

zur Entgegennahme von Strafanzeigen hingewiesen wor-
den.
Mit einem per Telefax übermittelten Schreiben, das am
13. Dezember 2002 beim Deutschen Bundestag eingegan-
gen ist, hat der Einspruchsführer zu Nr. 1 ergänzend mit-
geteilt, dass er davon ausgehen müsse, dass auch andere
Wahlberechtigte Probleme gehabt hätten, die beantragten
Briefwahlunterlagen zu erhalten. Er nehme an, dass die
Wahlberechtigten in den meisten Fällen dies wohl nicht „re-
klamiert“ und daher mangels Wahlunterlagen nicht gewählt
hätten. Er gehe davon aus, dass andere Wählerinnen und
Wähler ebenfalls nach Beanstandung zweimal Wahlunter-
lagen erhalten und eventuell zweimal gewählt hätten.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Kreiswahlleiter wie folgt
Stellung genommen:
Die von den Einspruchsführern beim Bezirksamt Köln-
Rodenkirchen abgegebenen Anträge auf Teilnahme an der
Briefwahl seien vermutlich über die verwaltungsinterne
Post an das Wahlamt der Stadt Köln weitergeleitet und dort
umgehend bearbeitet worden. Erfahrungsgemäß hätten
Briefwahlanträge, die bei einer Dienststelle der Stadtver-
waltung abgegeben und per Hauspost an das Wahlamt der
Stadt Köln übersandt würden, eine sehr viel längere Lauf-
zeit als bei Übersendung auf dem vorgesehenen postali-
schen Weg. Aus diesem Grunde werde auf den Wahlbenach-
richtigungskarten explizit auf die postalische Beantragung
der Briefwahlunterlagen hingewiesen. Organisatorische Ab-
hilfe lasse sich wegen der Vielzahl der möglichen städti-
schen Einwurfstellen auch für die Zukunft nicht schaffen.
Ein Versäumnis der Kölner Wahlbehörde sei nicht erkenn-
bar, insbesondere, da die Einspruchsführer ihr Wahlrecht
hätten ausüben können. Eine von den Einspruchsführern
erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde sei zurückgewiesen
worden. Das entsprechende Schreiben vom 3. Februar 2002
an die Einspruchsführer liegt dem Wahlprüfungsausschuss
vor.
Die Stellungnahme ist den Einspruchsführern bekannt gege-
ben worden. Sie haben sich hierzu nicht mehr geäußert.

Drucksache 15/1850 – 112 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Entgegen der
Auffassung der Einspruchsführer hat sich das Wahlamt der
Stadt Köln bei der Bearbeitung ihrer Anträge auf Zusen-
dung von Briefwahlunterlagen korrekt verhalten. Dies gilt
sowohl für die Bearbeitung der ursprünglichen Anträge als
auch für die Zustellung von Ersatz-Briefwahlunterlagen im
Anschluss an die Beanstandung der Einspruchsführer.
Die ursprünglichen Anträge der Einspruchsführer wurden
am 11. September 2002 vom Wahlamt der Stadt Köln bear-
beitet. Gemäß § 28 BWO wurde ihnen jeweils ein Wahl-
schein erteilt und dieser zusammen mit den Briefwahlunter-
lagen zur Post zur Versendung übergeben. In dieser Situa-
tion durfte sich das Wahlamt auf den rechtzeitigen Zugang
der Unterlagen bei den Einspruchsführern verlassen. Nach
der ständigen Praxis des Bundestages und des Wahlprü-
fungsausschusses hat die Gemeindebehörde eine Verzöge-
rung des Zugangs auf dem Postweg nicht zu vertreten, wenn
sie – wie hier – den Wahlschein ordnungsgemäß und recht-
zeitig erteilt und ordnungsgemäß und rechtzeitig der Post
übergeben hat (Bundestagsdrucksache 13/3035, Anlage 17;
Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 36 Rn. 8).
Das Wahlamt der Stadt Köln hat auch ordnungsgemäß ge-
handelt, als es im Anschluss an die am 17. September 2002
per Telefax erfolgte Erinnerung durch die Einspruchsführer
jeweils einen neuen Wahlschein ausstellte und diesen zu-
sammen mit Ersatz-Briefwahlunterlagen am 18. September
2002 den Einspruchsführern per Boten zustellte. Nach § 28
Abs. 10 Satz 1 BWO gilt der Grundsatz, dass verlorene
Wahlscheine nicht ersetzt werden. Versichert jedoch ein
Wahlberechtigter glaubhaft, dass ihm der beantragte Wahl-
schein nicht zugegangen ist, kann ihm bis zum Tage vor der
Wahl, 12.00 Uhr, ein neuer Wahlschein erteilt werden (§ 28
Abs. 10 Satz 1 erster Halbsatz BWO). Das Telefax der Ein-
spruchsführer vom 17. September 2002 wurde zu Recht als
glaubhafte Versicherung im Sinne dieser Vorschrift gewer-
tet. Das Wahlamt hat auch von dem ihm nach dieser Vor-
schrift eingeräumten Ermessen pflichtgemäß Gebrauch ge-
macht. Es war insbesondere nicht gehalten, am 18. Septem-

ber 2002, also vier Tage vor der Wahl, noch abzuwarten, ob
die am 11. September 2002 per Post abgesandten Unterla-
gen doch noch die Einspruchsführer erreichen würden. Im
Hinblick darauf, dass es sich um ein „Massengeschäft“ han-
delt und kurz vor der Wahl eine Vielzahl anderer Briefwahl-
anträge zu bearbeiten war, kann dies von den Wahlbehörden
nicht verlangt werden.
Darüber hinaus sind nach § 28 Abs. 10 Satz 2 zweiter
Halbsatz i.V. m. Abs. 8 Satz 1 bis 3 und Abs. 9 BWO Vor-
kehrungen gegen Missbrauch vorgesehen. Im vorliegenden
Fall hat das Wahlamt der Stadt Köln dementsprechend
die ursprünglich erteilten Wahlscheine für ungültig erklärt
(§ 28 Abs. 10 Satz 2 zweiter Halbsatz i.V. m. Abs. 8 Satz 1
BWO). Hinzu kommt, dass die Einspruchsführer glaubhaft
versichert haben, von den am 19. September 2002 per Post
zugegangen Briefwahlunterlagen keinen Gebrauch gemacht
zu haben und somit keine Straftat nach § 107 a StGB (Wahl-
fälschung) begangen zu haben.
Soweit der Einspruchsführer zu Nummer 1 unterstellt, an-
dere Wahlberechtigten hätten in vergleichbaren Situationen
zweimal gewählt und damit Straftaten begangen, so brau-
chen der Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss dieser
Spekulation nicht nachzugehen. Dies gilt auch für seine
Vermutung, andere Wahlberechtigte hätten die von ihnen
beantragten Briefwahlunterlagen nicht erhalten und dies
auch nicht „reklamiert“. Im Übrigen verkennt der Ein-
spruchsführer insoweit die Risikoverteilung bezüglich des
Verlusts eines Wahlscheins. Zwar besteht abweichend von
der früheren Rechtslage nunmehr nach § 28 Abs. 10 Satz 2
BWO die Möglichkeit, ausnahmsweise einen Ersatz für
einen verlorenen Wahlschein zu erhalten (vgl. Schreiber,
Wahlrecht, 7. Auflage, § 36 Rn. 8). Auch nach der neuen
– verfassungsrechtlichen nicht gebotenen – Regelung ver-
bleibt jedoch das Risiko des Verlusts eines Wahlscheins
beim Wahlberechtigten. Ein Wahlberechtigter, der trotz An-
tragstellung im Vorfeld der Wahl bemerkt, dass er keinen
Wahlschein (mit Briefwahlunterlagen) erhalten hat, ist ge-
halten, mit dem Wahlamt Kontakt aufzunehmen. Tut er dies
nicht, hat er die Folgen seines Verhaltens, nämlich sein
Wahlrecht nicht ausüben zu können, selbst zu tragen.
Soweit die Einspruchsführer eine Strafanzeige gegen Bun-
deskanzler Gerhard Schröder wegen angeblichen Wahlbe-
trugs erstatten möchten, sind der Bundestag und der Wahl-
prüfungsausschuss hierfür nicht zuständig. Insoweit ist den
Einspruchsführern anheim gestellt worden, sich an die zu-
ständige Staatsanwaltschaft zu wenden.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 113 – Drucksache 15/1850

Anlage 28

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. des Herrn S. W., 34127 Kassel
2. des Herrn R. W., 34127 Kassel

– Az.: WP 67/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 29. September 2002, das am 23. Okto-
ber 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, haben
die Einspruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 15. Deutschen Bundestag eingelegt.
Der Einspruchsführer zu Nummer 1 ist der Sohn des Ein-
spruchsführers zu Nummer 2. Sie gingen am 22. September
2002 gemeinsam zur Wahl in das Wahllokal in der Warte-
berg Schule in Kassel. Während der Einspruchsführer zu
Nummer 2 dort wählen konnte, wurde dem Einspruchsfüh-
rer zu Nummer 1 die Auskunft erteilt, er könne in diesem
Wahllokal nicht wählen. Der Einspruchsführer war nicht das
Wählerverzeichnis für diesen Wahlbezirk eingetragen. Er
hatte sich am 15. August 2002 rückwirkend zum 1. August
2002 vom Tönisweg in Kassel in die Caldener Straße in
Kassel umgemeldet. Er war in das Wählerverzeichnis des
Wahlbezirks 1111, zu dem der Tönisweg gehört, eingetra-
gen.
Die Einspruchsführer tragen vor, im Wahllokal des „neuen“
Wahlbezirks (Warteberg Schule) habe man dem Ein-
spruchsführer zu Nummer 1 nicht weitergeholfen, da dort
offenbar nicht bekannt gewesen sei, in welchem Wahllokal
er wählen müsse. Man habe ihm mitgeteilt, die einzige
Möglichkeit zur Wahl bestehe im Rathaus. Da es mittler-
weile nach 17.00 Uhr gewesen sei, sei dem Einspruchsfüh-
rer die „Lust zum Wählen“ vergangen. Dies sei eine „ganz
klare und absichtliche Behinderung an der Teilnahme an
der Wahl“. Der Wahlausgang sei somit manipuliert worden.
Es sei zu prüfen, ob dies auch in anderen Fällen „mit Ab-
sicht“ geschehen sei.
Der Kreiswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Die Auskunft des Wahlvorstandes in der Warteberg-Schule,
dass der Einspruchsführer zu Nummer 1 in dem Wahllokal,
das für den Tönisweg (bisherige Adresse) zuständig sei,
wählen könne, sei richtig gewesen. Ein Anruf in der Wahl-
zentrale im Rathaus hätte hiernach genügt, um das zustän-
dige Wahllokal zu erfragen. Es sei u. a. als amtliche Be-
kanntmachung mehrfach öffentlich darauf hingewiesen

worden, dass die Wählerinnen und Wähler, die keine Wahl-
benachrichtigungskarte erhalten hätten, bei der Wahlzent-
rale im Rathaus Auskünfte über die Eintragung in das Wäh-
lerverzeichnis erhalten könnten. Dem Einspruchsführer sei
am Wahltage auch um 17.00 Uhr die Teilnahme an der Wahl
möglich gewesen, wenn er das für ihn zuständige Wahllokal
fernmündlich bei der Wahlzentrale erfragt und das von sei-
nemWohnort etwa einen Kilometer entfernt gelegene Wahl-
lokal aufgesucht hätte.
Der Einspruchsführer zu Nummer 1 hat sich zu dieser Stel-
lungnahme wie folgt geäußert:
Der Kreiswahlleiter habe mit dieser Stellungnahme nichts
zur Aufklärung des Tatbestandes beigetragen. Darüber hin-
aus übt er Kritik an der Politik der Bundesregierung. Inso-
weit wird wegen der Einzelheiten auf den Inhalt der Akten
Bezug genommen.
In einem weiteren Schreiben trägt der Einspruchsführer zu
Nummer 1 vor, sein Vater (Einspruchsführer zu Nummer 2)
habe gewählt und somit habe bei diesem „alles seine Rich-
tigkeit“. Dieser sei beim Fall des Einspruchsführer zu Num-
mer 1 nur Zeuge gewesen. Darüber hinaus übt er Kritik am
„Vorgehen von Seiten der Stadt Kassel“ und am Ablauf des
Wahlprüfungsverfahrens. Auch insoweit wird wegen der
Einzelheiten auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Diesem Schreiben war eine Bitte des Wahlprüfungsaus-
schusses vorangegangen, gemäß § 2 Abs. 3 WPrüfG einen
Bevollmächtigten für den gemeinschaftlichen Einspruch zu
benennen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, jedoch offensichtlich unbegrün-
det.

Drucksache 15/1850 – 114 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Beide Einspruchsführer des gemeinschaftlich eingelegten
Einspruchs sind einspruchsberechtigt. Der Einspruchsführer
zu Nummer 1 hat offenbar Zweifel daran, dass auch sein
Vater – der Einspruchsführer zu Nummer 2 – einspruchs-
berechtigt ist. Nach § 2 Abs. 2 WPrüfG kann jeder Wahl-
berechtigte Einspruch einlegen. Eine Beeinträchtigung sub-
jektiver Recht muss hierbei nicht vorgetragen werden. Des-
halb kann z. B. auch ein Familienangehöriger für ein an-
deres Familienmitglied Einspruch einlegen (Schreiber,
Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 18). Hierbei spielt es keine
Rolle, ob das andere Familienmitglied – wie hier – auch in
eigener Person Einspruch eingelegt hat. Da es sich beim
Wahlprüfungsverfahren um ein rein objektives Verfahren
handelt, bedarf es auch keiner besonderen Legitimation,
wenn „für einen anderen“ Einspruch eingelegt wird. Ein
solches Erfordernis wäre mit der Zielsetzung des Wahlprü-
fungsverfahrens, die Richtigkeit der Mandatsverteilung zu
gewährleisten, nicht vereinbar.
Die Erklärung des Einspruchsführers zu Nummer 1, sein
Vater sei bei seinem Fall nur Zeuge gewesen, kann auch
nicht als Rücknahme des Einspruchs bezüglich des Ein-
spruchsführers zu Nummer 2 in dessen Namen gewertet
werden. Hierzu hätte es einer eigenen Willenserklärung des
Einspruchsführer zu Nummer 2 in Bezug auf das Verfahren
bedurft. Somit ist der gemeinschaftlich eingelegte Ein-
spruch zulässig.
Er ist jedoch offensichtlich unbegründet, weil ein Wahlfeh-
ler nicht feststellbar ist.
Zwar ist der Einspruchsführer zu Nummer 1 vorliegend zu
Unrecht in das Wählerverzeichnis des für die Wohnung im
Tönisweg (bisherige Adresse) zuständigen Wahlbezirks ein-
getragen worden. Dies führt jedoch nicht zu einemWahlfeh-
ler, weil insoweit kein Einspruch gegen das Wählerver-
zeichnis erhoben wurde.
Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Bundeswahlordnung (BWO) sind
in das Wählerverzeichnis alle Wahlberechtigten von Amts
wegen einzutragen, die am 35. Tage vor der Wahl (Stichtag)
bei der Meldebehörde für eine Wohnung gemeldet sind. Für
die Bundestagswahl 2002 war der 18. August 2002
Stichtag. Da sich der Einspruchsführer zu Nummer 1 am
15. August 2002 rückwirkend vom Tönisweg in die Calde-
ner Straße umgemeldet hat, hätte er eigentlich von Amts
wegen in das Wählerverzeichnis des für die Caldener Straße
zuständigen Wahlbezirks eingetragen werden müssen.
Diese Unrichtigkeit ist jedoch unerheblich, weil kein Ein-
spruch gegen das Wählerverzeichnis eingelegt worden war.

Unrichtigkeiten hinsichtlich des Wählerverzeichnisses sind
wahlprüfungsrechtlich nur dann relevant, wenn sie vorher
im Wege des wahlgesetzlich vorgesehenen Einspruchs- und
Beschwerdeverfahrens (vgl. § 22 BWO) gerügt wurden. Da
eine solche Rüge seitens der Einspruchsführer nicht erfolgt
ist, müssen sie die Eintragung in das Wählerverzeichnis so,
wie sie vorgenommen wurde, gegen sich gelten lassen. Das
bedeutet, dass der Einspruchsführer zu Nummer 1 entspre-
chend der vorgenommenen Eintragung in das Wähler-
verzeichnis nur in dem Wahlbezirk, der für die bisherige
Wohnung zuständig war (Tönisweg), wählen durfte (§ 14
Abs. 2 Bundeswahlgesetz – BWG). Dem Einspruchsführer
zu Nummer 1 war es sowohl vor der Wahl als auch am
Wahltag selbst zumutbar, die notwendigen Auskünfte einzu-
holen. Bestehen Unklarheiten bezüglich der Ausübung des
Wahlrechts, z. B. in Bezug auf das richtige Wahllokal im
Hinblick auf einen im Vorfeld der Wahl erfolgten Umzug,
und wird dennoch keine Auskunft eingeholt, so muss der
Betreffende die eventuellen Folgen seines Verhaltens (z. B.
keine Teilnahme an der Wahl) selbst tragen (vgl. hierzu
Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 14 Rn. 5).
Der Einspruchsführer zu Nummer 1 hat im Wahllokal in der
Warteberg-Schule offenbar die Auskunft erhalten, er solle
sich in der Wahlzentrale im Rathaus nach dem für ihn zu-
ständigen Wahllokal erkundigen. Der Einspruchsführer zu
Nummer 1 hatte dann nach eigenem Bekunden keine Lust
mehr zum Wählen, da es bereits nach 17.00 Uhr war. Es ist
denkbar, dass ein Wahlvorstand in einer solchen Situation
die Bemühungen des Wahlberechtigten durch einen Anruf
bei der Wahlzentrale unterstützt. Eine solche Unterstützung
wird ein Wahlvorstand jedoch von seinen sonstigen Aufga-
ben an einem Wahltag und vom Wählerandrang in der kon-
kreten Situation abhängig machen. Eine Verpflichtung des
Wahlvorstandes zu einer solchen Unterstützung besteht im
Hinblick auf eine reibungslose Abwicklung des Wahlge-
schäfts am Wahltag und die damit verbundenen Aufgaben
eines Wahlvorstandes nicht. Ein wahlprüfungsrechtlich rele-
vantes Fehlverhalten kann dem Wahlvorstand daher nicht
vorgeworfen werden. Für eine absichtliche Behinderung an
der Ausübung des Wahlrechts, wie dies die Einspruchsfüh-
rer behaupten, bestehen keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr
hat der Einspruchsführer zu Nummer 1 von sich aus darauf
verzichtet, sich nach dem richtigen Wahllokal zu erkundi-
gen und sein Wahlrecht auszuüben.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 115 – Drucksache 15/1850

Anlage 29

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn S. W., 60327 Frankfurt/Main

– Az.: WP 51/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 30. September 2002 hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Wahl zum 15. Deutschen Bun-
destag am 22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer stützt seinen Einspruch darauf, dass
in den Wahlkreisen 183 und 184 (Frankfurt am Main I und
II) „irreführende und diskriminierende Wahlwerbung“ be-
trieben worden sei. Im Wahlkreis 183 sei die Abgeordnete
Gudrun Schaich-Walch und im Wahlkreis 184 die Abgeord-
nete Rita Streb-Hesse direkt gewählt worden.
Im Einzelnen trägt er vor, dass die Bewerberinnen in diesen
Wahlkreisen „als junge Frauen mit Blendax Zähnen“ darge-
stellt worden seien, obwohl sie „in Wirklichkeit viel älter“
seien. Der Wähler habe „getäuscht“ werden und „nur nach
dem jugendlichen Aussehen wählen“ sollen. Ansonsten sei
die Werbung „ohne jegliche politische Aussage“ gewesen.
Dies bedeutet nach Auffassung des Einspruchsführers eine
„grobe Täuschung“ der Wählerinnen und Wähler. Es sei
suggeriert worden, dass „nur junge Frauen Politik machen“
könnten. Dies ist seiner Ansicht nach eine „Diskriminierung
der älteren Generation“ und könne nicht hingenommen wer-
den.
Zur Darstellung seines Vortrags hat der Einspruchsführer
Fotografien, die die Abbildungen der Bewerberinnen auf
Wahlplakaten darstellen, in die Einspruchsschrift einge-
scannt.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruchs ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Der Vortrag des Einspruchsführers lässt einen Fehler bei der
Anwendung der für die Wahl geltenden Vorschriften und
Rechtsgrundsätze nicht erkennen.

Die vom Einspruchsführer angeführte Werbung mit Wahl-
plakaten könnte wahlprüfungsrechtlich nur dann eine unzu-
lässige Wahlbeeinflussung darstellen, wenn durch sie die
Grundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit verletzt
worden wären (BVerfGE 40, 11/39). Dabei ist anerkannt,
dass diese Grundsätze nicht nur für den Wahlvorgang selbst
gelten, sondern auch schon für die Wahlvorbereitung und
die in diesem Zusammenhang erfolgende Wahlwerbung
(BVerfGE 44, 125/146).
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2001 entschie-
den, dass eine Handlung im Vorfeld einer Wahl, die nicht
von staatlichen Stellen ausgeht, und in mehr als nur uner-
heblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wäh-
lerwillens einwirkt, nur dann im Wahlprüfungsverfahren be-
anstandet werden kann, wenn private Dritte, einschließlich
von Parteien und einzelnen Kandidaten, mit Mitteln des
Zwangs oder Drucks die Wahlwerbung beeinflusst haben
oder wenn in ähnlich schwerwiegender Art und Weise auf
die Wählerwillensbildung eingewirkt worden ist, ohne dass
eine hinreichende Möglichkeit der Abwehr oder des Aus-
gleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbewerbs, bestanden
hätte (vgl. BVerfGE 103, 111/132 f.).
Der Einspruchsführer trägt nicht vor, dass aufgrund der
Wahlplakate der beiden Bewerberinnen ein Zwang oder ein
Druck auf die Wählerinnen und Wähler ausgeübt worden
wäre, der sie mit Nachdruck dazu veranlasst hätte, gerade
wegen der Gestaltung der Wahlplakate in den Wahlkreisen
183 und 184 diese Kandidatinnen zu wählen. Darüber hi-
naus hätten die anderen Wahlbewerber – sofern hierfür
überhaupt ein Bedarf gesehen worden wäre – die Möglich-
keit gehabt, die Darstellung der beiden Kandidatinnen auf
den Wahlplakaten im Wahlkampf zu thematisieren und so-
mit mit Mitteln des Wahlwettbewerbs ggf. einen Ausgleich
zu schaffen.
Soweit der Einspruchsführer in den Plakaten eine Diskrimi-
nierung der älteren Generation sieht, so ist dies kein wahl-
spezifischer Gesichtspunkt und bedarf daher keiner Behand-
lung im Wahlprüfungsverfahren.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 117 – Drucksache 15/1850

Anlage 30

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. des Herrn J. E., 19273 Tripkau
2. des Herrn H. E., 19273 Vockfey
3. des Herrn K. N., 19273 Stapel
4. der Frau S. N., 19273 Gülstorf

– Az.: WP 120/02 –
Bevollmächtigter:

Rechtsanwalt H. N., 19053 Schwerin
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 20. November 2002, eingegangen am
21. November 2002, haben die Einspruchsführerin und die
Einspruchsführer (im Folgenden als Einspruchsführer be-
zeichnet) gegen die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 Einspruch eingelegt. Zur Begründung
führen sie aus, dass der vormalige Bürgermeister der Ge-
meinde Amt Neuhaus die Wählerinnen und Wähler durch
ein zwei Tage vor der Bundestagswahl versandtes Rund-
schreiben in ihrer Wahlentscheidung unzulässig beeinflusst
habe.
Die Gemeinde Amt Neuhaus gehört zum Wahlkreis 37
Lüchow-Dannenberg-Lüneburg. Von den insgesamt
213 233 Wahlberechtigten des Wahlkreises entfielen 4 590
auf die Gemeinde Amt Neuhaus. Die Wahlkreiskandidatin
der SPD, Frau Hedi Wegener, wurde in dem Wahlkreis mit
einem Stimmenvorsprung von 16 958 Stimmen vor dem
Wahlkreiskandidaten der CDU, Herrn Kurt-Dieter Grill, ge-
wählt. Auf den Wahlkreis bezogen erzielte die Wahlkreis-
kandidatin Wegener 46,8 % der Erststimmen, während der
Wahlkreiskandidat Grill 36,8 % der Erststimmen auf sich
vereinigen konnte. Auf die Gemeinde Amt Neuhaus bezo-
gen erhielten – bei insgesamt 3 187 abgegebenen Stim-
men – die Wahlkreiskandidatin Wegener 45,9 % und der
Wahlkreiskandidat Grill 32,4 % der Erststimmen.
Der damalige ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde
Amt Neuhaus verteilte am Freitag, dem 20. September
2002, also zwei Tage vor der Bundestagswahl, ein als „Post-
wurfsendung – An alle Haushalte“ überschriebenes und auf
den 18. September 2002 datiertes Schreiben an alle Haus-
halte der Gemeinde. Das Schreiben wurde auf dem offiziel-
len Briefpapier des Bürgermeisters (Verwendung des Ge-
meindewappens und des Briefkopfes „Gemeinde Amt
Neuhaus – Der Bürgermeister“) gefertigt. Auf Seite 4 des
Schreibens heißt es wörtlich:

„Erlauben Sie mir zum Abschluss eine Bemerkung zur Bun-
destagswahl. Die CDU ist eine Partei, der honorige Frauen
und Männer angehören, der viele geachtete Mitbürgerinnen
und Mitbürger in der Vergangenheit ihre Stimme gaben. Ich
werde natürlich die SPD wählen. Um eines bitte ich Sie
recht herzlich, wenn Sie aus Überzeugung die CDU wählen
wollen, dann tun sie es mit ihrer Zweitstimme, denn nur
diese entscheidet über die Sitzverteilung im Deutschen Bun-
destag. Die Erststimme nützt nur dem Kandidaten. Und da
gilt: Keine Stimme für den Feind unseres Amt Neuhaus,
keine Stimme für Kurt Grill.“
Die Einspruchsführer tragen vor, die Postwurfsendung sei
zeitlich so eingesteuert gewesen, dass irgendeine öffentliche
Reaktion darauf vor dem Wahltag nicht mehr zu erwarten
gewesen sei und auch tatsächlich nicht mehr möglich gewe-
sen wäre. Am Wahltag selbst habe sich gezeigt, dass eine
Vielzahl von Bürgern durch das Schreiben des Bürgermeis-
ters erheblich verunsichert gewesen seien. Von vielen Wahl-
helfern sei zu hören gewesen, dass vor allem ältere Mitbür-
ger im Wahllokal gefragt hätten, was es mit der Aussage der
Gemeinde in der Postwurfsendung auf sich gehabt habe,
was denn Herrn Grill vorzuwerfen gewesen sei, ob man ihn
jetzt tatsächlich nicht wählen dürfe. Beim Kreiswahlleiter
habe es eine Vielzahl von diesbezüglichen Anrufen gege-
ben. Ein Wähler habe am Wahltag beim Kreiswahlleiter in
Lüneburg angerufen und angegeben, dass er unter den gege-
benen Umständen sein Wahlrecht nicht frei wahrnehmen
könne. Ihm sei empfohlen worden, dies im Wahllokal im
Protokoll vermerken zu lassen. Das sei auch geschehen.
Die Einspruchsführer machen geltend, es handele sich um
einen Fall unzulässiger Wahlbeeinflussung „krassester Art“.
Nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der freien
Wahl gemäß Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG)
müsse der Wähler in einem freien und offenen Prozess der
Meinungsbildung ohne jede unzulässige Beeinflussung ins-
besondere von staatlicher Seite zu seiner Wahlentscheidung
finden können. Das Gebot der freien Wahl untersage es

Drucksache 15/1850 – 118 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

nicht nur staatlichen, sondern auch gemeindlichen Organen,
sich in amtlicher Funktion im Vorfeld von Wahlen mit poli-
tischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und
sie als Amtsträger zu unterstützen oder sie umgekehrt zu be-
kämpfen. Daraus folge, dass auch ein Bürgermeister in amt-
licher Eigenschaft keine Wahlempfehlung aussprechen
dürfe. Unzulässig und nicht mehr durch Artikel 5 GG ge-
schützt sei es, wenn ein Bürgermeister das ihm auf Grund
seiner amtlichen Tätigkeit zufallende Gewicht und die ihm
Kraft seines Amtes gegebenen Einflussmöglichkeiten in ei-
ner Weise nutze, die mit seiner der Allgemeinheit verpflich-
teten Aufgabe unvereinbar sei. Im vorliegenden Fall könne
kein Zweifel daran bestehen, dass der Bürgermeister in sei-
nem Rundschreiben in amtlicher Funktion tätig geworden
sei. Daran ändere auch nichts, dass er – nicht nur im Bezug
auf die Wahlempfehlung – in diesem Schreiben seine Kom-
petenzen überschritten habe und dass Stil und Inhalt des
Schreibens gänzlich unerträglich seien. Der Bürgermeister
verwende den Briefkopf „Gemeinde Amt Neuhaus – Der
Bürgermeister“ und das Gemeindewappen. Er weise durch-
gängig auf seine amtliche Funktion und seine Arbeit als
„Gemeindehaupt“ hin. Es könne daher kein Zweifel daran
bestehen, dass es sich um eine gegen den Grundsatz der
freien Wahl verstoßende Beeinflussung der Wählerschaft
durch ein Gemeindeorgan handele. Diese Beeinflussung
gehe nach Auffassung der Einspruchsführer auch weit über
die hauptsächlich angesprochene Erststimmenabgabe hi-
naus. Der Bürgermeister führe nämlich aus, dass „geachtete
Mitbürgerinnen und Mitbürger in der Vergangenheit“ ihre
Stimme der CDU gegeben hätten. Nach der Bemerkung, er
selbst werde „natürlich“ die SPD wählen, artikuliere er die
Bitte, die CDU nur mit der Zweitstimme zu wählen, wenn
man „aus Überzeugung“ die CDU wählen wolle. Dies ma-
che deutlich, dass es der Bürgermeister nur denjenigen zu-
gestanden hätte, überhaupt CDU zu wählen, die dies aus
Überzeugung täten. „Geachtete“ Wähler hätten nach An-
sicht des Bürgermeisters die CDU nur in der Vergangenheit
wählen können.
Nach Ansicht der Einspruchsführer sei es naheliegend, dass
vor diesem Hintergrund auch viele Wähler, die sonst wohl
(auch) mit ihrer Zweitstimme CDU gewählt hätten, anders
oder gar nicht gewählt hätten. Im Übrigen gebe die Mehr-
heit der Wählerinnen und Wähler die Zweitstimme derjeni-
gen Partei, deren Direktkandidaten sie auch mit der Erst-
stimme wähle.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2003 hat der Kreiswahllei-
ter des Landkreises Lüneburg zu dem Einspruch Stellung
genommen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die
Postwurfsendung tatsächlich Einfluss auf das Wählerverhal-
ten gehabt habe. Der damalige Bürgermeister habe mit dem
Rundschreiben gegen die Neutralitätspflicht verstoßen und
offenbar beabsichtigt, dem Rundschreiben durch die Ver-
wendung des Gemeindewappens und des Briefkopfes einen
amtlichen Anschein zu geben. Am Wahlsonntag seien bei
der Kreiswahlleitung tatsächlich einige das Rundschreiben
betreffende Anrufe aus dem Bereich der Gemeinde Amt
Neuhaus eingegangen. Die Anrufer hätten sich zumeist je-
doch lediglich über das Rundschreiben beschwert und keine
Verunsicherung über das eigene Wahlverhalten geäußert.
Den Anrufern sei im Zweifelsfall unter Verweis auf das
Wahlgeheimnis geraten worden, so zu wählen wie es von
vornherein ihre Absicht gewesen sei.

Selbst wenn sich eine Wahlbeeinflussung vermuten ließe,
habe diese angesichts des deutlichen Wahlergebnisses im
Wahlkreis 37 eine zu vernachlässigende Auswirkung.
Abzüglich der Briefwähler seien maximal 4 341 Wahl-
berechtigte aus dem Wahlbereich der Gemeinde Amt Neu-
haus – bei insgesamt 213 233 Wahlberechtigten im Wahl-
kreis 37 – betroffen. Zum einen verweist der Kreiswahl-
leiter auf den Stimmenvorsprung der Wahlkreiskandidatin
Hedi Wegener von 16 958 Stimmen, zum anderen sei nicht
erkennbar, dass im Bereich der Gemeinde Amt Neuhaus
atypisch im Vergleich zu den bisherigen Wahlen und dem
übrigen Bereich des Wahlkreises gewählt worden sei. Zur
Verdeutlichung legt der Kreiswahlleiter eine Übersicht des
Wahlergebnisses aus dem Wahlkreis insgesamt und eine
Übersicht aus der Gemeinde Amt Neuhaus vor, auf deren
Inhalt Bezug genommen wird. Nach Ansicht des Kreiswahl-
leiters könne eine entscheidende Auswirkung auf das Wahl-
ergebnis nicht festgestellt werden, so dass die Gültigkeit der
Wahl für ihn nicht in Frage stehe.
Nach Auskunft des Bundeswahlleiters würden sich weder
bei der "Oberverteilung" der Sitze auf die Listenverbindun-
gen noch bei der "Unterverteilung" auf die Landeslisten
Veränderungen gegenüber dem festgestellten Ergebnis der
Bundestagswahl ergeben, wenn die Zweitstimmen der Lan-
desliste der CDU in Niedersachsen um 1 534 Stimmen er-
höht und die Zweitstimmen der Landesliste der SPD in Nie-
dersachsen um 1534 vermindert würden. Grundlage dieser
Berechnung ist das Ergebnis der Landesliste der SPD in der
Gemeinde Amt Neuhaus, wo sie 1 534 Stimmen auf sich
vereinigen konnte.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer öffentlichen
mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet. Der Einspruch hat trotz eines festgestell-
ten Wahlfehlers keinen Erfolg, weil dieser keine Auswir-
kungen auf die Mandatsverteilung im 15. Deutschen Bun-
destag entfaltet.
Der damalige ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde
Amt Neuhaus hat durch die an alle Haushalte der Gemeinde
verteilte Postwurfsendung die ihm insbesondere im Vorfeld
von Wahlen obliegende Neutralitätspflicht verletzt. Den
Staatsorganen ist es zum Schutz des Prinzips einer staats-
freien Volkswillensbildung von Verfassungs wegen unter-
sagt, bestimmte Wahlvorschlagsträger, z. B. politische Par-
teien und deren Wahlbewerber, unter Einsatz staatlicher
Mittel, zu unterstützen oder sie zu bekämpfen, um so die
Entscheidung der Wähler zu beeinflussen. Wenn öffentliche
Organe als solche unter Einsatz öffentlicher Mittel und
Möglichkeiten parteiergreifend zu Gunsten oder zu Lasten
einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern in den
Wahlwettbewerb eingreifen und dadurch in mehr als nur un-
erheblichem Maße auf die Bildung des Wählerwillens ein-
wirken, verletzen sie das Demokratieprinzip des Artikels 20
Abs. 1 GG, den Grundsatz der Wahlfreiheit (Artikel 38
Abs. 1 GG) und insbesondere das Recht der politischen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 119 – Drucksache 15/1850

Parteien und sonstiger Wahlvorschlagsträger auf Wett-
bewerbs- und Chancengleichheit bei Wahlen im Sinne der
Artikel 21 und 38 GG sowie des § 1 BWG und des § 5
Abs. 1 Parteiengesetz (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 1
Rn. 17, 23 w und BVerfGE 44, S. 125/141 ff. und BVerfGE
103, S. 111/132; zur Neutralitätspflicht von Gemeinden und
ihren Organen vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560, An-
lage 99). Inhalt und Gestaltung der Postwurfsendung lassen
keinen Zweifel daran, dass das Schreiben qua Amtes als
Bürgermeister und nicht als Privatperson gefertigt worden
ist. Der Aufruf „Und da gilt: Keine Stimme für den Feind
unseres Amt Neuhaus, keine Stimme für Kurt Grill“ stellt
einen in seiner Klarheit kaum zu überbietenden Eingriff in
den Wahlwettbewerb zu Lasten des Wahlkreiskandidaten
Grill dar.
Diese Beeinflussung des Wählerwillens kann schließlich
nicht als nur unerheblich angesehen werden. Vor allem die
das gesamte Gemeindegebiet abdeckende Verbreitung des
Schreibens und die zeitliche Nähe zum Wahltag, die eine
Reaktion von Seiten des benachteiligten Wahlkreiskandida-
ten unmöglich machte, spricht für eine mehr als nur uner-
hebliche Beeinflussungsmöglichkeit des Wählerwillens.
Weil dieser Wahlfehler jedoch keinen Einfluss auf die Man-
datsverteilung im 15. Deutschen Bundestag hat, bleibt der
Einspruch ohne Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes, der sich der Wahlprüfungsaus-
schuss und der Deutsche Bundestag stets angeschlossen ha-
ben, können nämlich nur solche Wahlfehler einen Wahlein-
spruch erfolgreich begründen, die auf die konkrete Man-
datsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein können.
Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein als un-
erheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht
berühren (seit BVerfGE 4, S. 370/372, ständige Recht-
sprechung; Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 11).
Wahlfehler, die die Ermittlung des Wahlergebnisses betref-
fen, sind dann unerheblich, wenn sie angesichts des Stim-
menverhältnisses keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung
haben können. Ein Wahleinspruch kann daher nur dann

Erfolg haben, wenn er auf Wahlfehler gestützt wird, die auf
die Sitzverteilung von Einfluss sind oder sein können. Da-
bei darf es sich nicht nur um eine abstrakte, rein theoreti-
sche Möglichkeit handeln, sondern sie muss eine nach der
allgemeinen Lebenserfahrung konkrete und nicht ganz fern-
liegende sein (BVerfGE 89, S. 243/254). Nach den im vor-
liegenden Fall gegebenen Umständen besteht auf Grund des
für die Wahlkreisbewerberin der SPD gegebenen Stimmen-
vorsprungs von 16 958 Stimmen keine in greifbare Nähe
gerückte Möglichkeit einer solchen Mandatsrelevanz. Zwar
könnte der festgestellte Wahlfehler durchaus dazu beigetra-
gen haben, den einen oder anderen Wähler zu einer Ent-
scheidung zu Lasten des Wahlkreisbewerbers der CDU zu
bewegen. Auch der Stellungnahme des Kreiswahlleiters
lässt sich entnehmen, dass zumindest einige Anrufer ihre
Verunsicherung über das eigene Wahlverhalten gegenüber
der Kreiswahlleitung geäußert haben. Eine Mandatsrele-
vanz kann jedoch schon deshalb ausgeschlossen werden, da
sich der Stimmenvorsprung der Wahlkreiskandidatin der
SPD selbst dann, wenn man sämtliche in der Gemeinde Amt
Neuhaus abgegebenen 3 187 Stimmen in Abzug brächte,
auf 13 771 Stimmen bemessen würde. Überdies spricht
auch die Tatsache, dass sich das Wahlergebnis im Bereich
der Gemeinde Amt Neuhaus nicht wesentlich von dem
übrigen Bereich des Wahlkreises unterscheidet, gegen eine
solche Mandatsrelevanz. Hinsichtlich der Gesamtheit des
Wahlwettbewerbs ist die Tragweite des Wahlfehlers deswe-
gen von einer nur unwesentlichen Bedeutung. Eine Man-
datsrelevanz des Wahlfehlers ist auch hinsichtlich des
Zweitstimmenergebnisses ausgeschlossen, da sich die Zu-
sammensetzung des Deutschen Bundestages selbst dann
nicht ändern würde, wenn man die Zweitstimmen der Lan-
desliste der CDU in Niedersachsen um die Anzahl aller im
Bereich der Gemeinde Amt Neuhaus abgegebenen 1 534
Stimmen erhöhen und die Zweitstimmen der Landesliste der
SPD in Niedersachsen um dieselbe Zahl vermindern würde.
Der Einspruch ist deshalb als offensichtlich unbegründet zu-
rückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 121 – Drucksache 15/1850

Anlage 31

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn F. W., 50829 Köln

– Az.: WP 79/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 9. November 2002, ergänzt durch
Schreiben vom 14. November 2002, 25. Januar 2003, 22.,
26. und 27. Februar 2003, hat der Einspruchsführer Ein-
spruch gegen die Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt. Zur Begründung führt er an,
dass unter Verletzung von Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz
(GG) parteilose Wähler gegenüber parteigebundenen Wäh-
lern generell diskriminiert worden seien. Darüber hinaus
seien die Wahlrechtsgrundsätze der unmittelbaren, der freien
und der gleichen Wahl gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG sowie
„elementare Grundsätze des republikanischen, demokrati-
schen Rechtsstaats im Sinne des Grundgesetzes, Artikel 28
Abs. 1 Satz 1 GG“ verletzt worden. Schließlich wendet er
sich mit der Begründung, die CDU habe sich rechtswidrig
über alle Kölner Wähler personenbezogene Daten beschafft,
diese weitergegeben und weiterverarbeitet, gegen das in den
Wahlkreisen 94, 95, 96 und 102 erzielte Wahlergebnis.
Hinsichtlich der behaupteten Verletzung der Wahlrechts-
grundsätze und der anderen Bestimmungen des Grundgeset-
zes macht der Einspruchsführer geltend, dass bei den Wah-
len zum 15. Deutschen Bundestag, wie auch bei allen frühe-
ren Wahlen zum Deutschen Bundestag, parteilose Wähler
dadurch diskriminiert worden seien, dass sie von der Aus-
wahl der Kandidaten für Landeslisten ausgeschlossen gewe-
sen seien. Mit der Auswahl der Kandidaten würde bereits
eine Vorentscheidung über die künftige Zusammensetzung
des Deutschen Bundestages dergestalt getroffen, dass für
viele Kandidaten bereits im Zeitpunkt der endgültigen Fest-
stellung der Landeswahlliste die Zugehörigkeit zum Deut-
schen Bundestag feststehe. Ein diesen Ausschluss parteilo-
ser Wähler rechtfertigender Grund bestünde nicht. Durch
diese langjährige Praxis würde der Gleichheitsgrundsatz des
Artikels 3 Abs. 3 GG und der Grundsatz der gleichen Wahl
gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG verletzt. Darüber hinaus wür-
den „Fundamentalrechte des Souveräns“ gemäß Artikel 20
Abs. 2 und Artikel 28 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt.
Weiterhin macht der Einspruchsführer geltend, dass der
Wahlrechtsgrundsatz der unmittelbaren Wahl gemäß Arti-
kel 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt worden sei. Artikel 38 GG
schließe jede Form der Stellvertretung des Wählers aus.
Durch die Aufstellung der Landeslisten würde den Wählern
die Entscheidung über die künftige Zusammensetzung eines

Teils des Bundestages aus der Hand genommen. Die an der
Aufstellung der Landeslisten beteiligten Wähler stellten
eine Minorität dar, die „gegen alle demokratischen Regeln
die Majorität beherrsche“. Ein Recht der politischen Par-
teien zu einer Stellvertretung des Souveräns bei Wahlen zu
gesetzgebenden Körperschaften könne auch nicht aus Arti-
kel 21 Abs. 1 GG hergeleitet werden. Durch dieses Verfah-
ren bestehe weiterhin auch die Gefahr einer von der Öffent-
lichkeit unkontrollierbaren Käuflichkeit von Mandaten.
Darüber hinaus vertritt der Einspruchsführer die Ansicht,
dass bei der Durchführung der Bundestagswahlen seit Jahr-
zehnten gegen den Wahlrechtsgrundsatz der freien Wahl
verstoßen werde. Im Besonderen werde die Freiheit der In-
formation, die Freiheit der Meinung, die Freiheit von Presse
und Rundfunk gemäß Artikel 38 Abs. 1 in Verbindung mit
Artikel 5 GG dadurch verletzt, dass die „Regierungsbeteili-
gung des Souveräns durch die Beherrschung der Instru-
mente der Öffentlichkeit“ seitens der Legislative, Exekutive
und Judikative in verfassungswidriger Weise eingeschränkt
werde. In diesem Zusammenhang ergänzt der Einspruchs-
führer seine Einspruchsschrift durch einen siebenseitigen
Exkurs, der auf die Punkte „der Begriff Öffentlichkeit“, „die
Öffentlichkeit des Grundgesetzes“, „die Organisation der
Bundesrepublik als Demokratie“, „der Souverän und die
Öffentlichkeit“, „die besonderen Organe und die Öffentlich-
keit“ und „Einschränkungen der Öffentlichkeit“ eingeht.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Ak-
ten Bezug genommen. Der Inhalt der Abhörprotokolle des
ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit begründet
nach Ansicht des Einspruchsführers die Annahme, dass be-
sonders zu Wahlkampfzeiten zwischen verantwortlichen
Mitarbeitern der Axel-Springer AG und „führenden Kräften
der CDU/CSU“ geschäftliche Beziehungen in der Art be-
standen hätten, dass die Axel-Springer AG für die CDU/
CSU Aufgaben einer Werbeagentur eigener Art wahrge-
nommen habe. Es bestünde der Verdacht, dass die langjähri-
gen Vertragsbeziehungen zwischen der Axel-Springer AG
und der CDU/CSU auch bei den Wahlen zum 15. Deutschen
Bundestag gepflegt und verheimlicht worden seien. Der
Verdacht gründe sich auf die „diesjährigen großflächigen
Kampfaussagen in den Publikationen des Konzerns“ im
zeitlichen Umfeld zu den Wahlen zum 15. Deutschen Bun-
destag. In Publikationen der Axel-Springer AG seien redak-
tionelle Beiträge veröffentlicht worden, die zwar nicht als

Drucksache 15/1850 – 122 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

werbliche Aussagen gekennzeichnet gewesen seien, gleich-
wohl den Eindruck „besonders geschickt verblendeter werb-
licher Anzeigen-Schaltungen“ erweckt hätten. Nach An-
sicht des Einspruchsführers dürfte es sich hierbei um „Ver-
öffentlichungen handeln, die die Axel-Springer AG als Wer-
beagentur im eigenen Haus in Auftrag gegeben habe“. Mit
welchen Mitteln die CDU und ihre Untergliederungen „die
Freiheit der Berichterstattung bekämpften“, werde in einem
Verfahren deutlich, das der Einspruchsführer gegen den Prä-
sidenten des Oberlandesgerichts Köln durchgeführt habe.
Der Wahlrechtsgrundsatz der gleichen Wahl gemäß Arti-
kel 38 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 3 Abs. 1 GG
werde auch dadurch verletzt, dass führende Mitglieder der
im Bundestag vertretenen Parteien entgegen der Verfassung
in Aufsichts- und Kontrollgremien der öffentlich-rechtli-
chen Rundfunkanstalten Sitz und Stimme hätten. Hierdurch
würden alle Einzelbewerber und solche Parteien benachtei-
ligt, die in Aufsichts- und Kontrollgremien der öffentlich-
rechtlichen Rundfunkanstalten nicht vertreten seien. Weiter-
hin werde der Wahlrechtsgrundsatz der gleichen Wahl da-
durch verletzt, dass diese Einzelbewerber und Parteien kei-
nen Zugang zu den Ergebnissen von Untersuchungen der
Meinungsforschungsinstitute hätten, obwohl diese ganz
oder teilweise aus öffentlichen Mitteln finanziert würden.
Hinsichtlich des sich mit der Auskunftserteilung aus dem
Melderegister der Stadt Köln auseinandersetzenden Sach-
verhaltsteils legte der Einspruchsführer mit Schreiben vom
14. November 2002 „Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahlen in den Wahlkreisen 94, 95, 96 und 102 mit Antrag
ein, der Christlich Demokratischen Union Deutschlands
149 000 Zweitstimmen, die in den genannten Wahlkreisen
auf sie entfallen sind, abzuerkennen und den entsprechend
dieser Stimmenzahl in den Deutschen Bundestag eingezo-
genen Abgeordneten der Christlichen Demokratischen
Union das Mandat abzuerkennen“.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer vor, die CDU
habe sich bei den Wahlen zum 15. Deutschen Bundestag
rechtswidrig über alle Kölner Wähler personenbezogene
Daten verschafft. Sie habe diese Daten der Gesellschaft für
Trend und Wahlforschung Infratest Dimap GmbH weiterge-
geben, um sie dort rechtswidrig für Wahlzwecke auswerten
zu lassen. Die so gewonnenen Informationen habe sie für
ihren Wahlkampf in Köln gezielt eingesetzt. Hierdurch habe
die CDU massive Wettbewerbsvorteile gegenüber den Mit-
bewerbern erlangt und den Grundsatz der gleichen Wahl ge-
mäß Artikel 38 Abs. 1 GG i.V. m. Artikel 3 Abs. 1 GG ver-
letzt. Die Grundrechtsverletzung sei besonders schwerwie-
gend, weil sie durch massive Eingriffe in die Persönlich-
keitsrechte der Wähler erfolgt sei. Die Schwere der
Rechtsverletzung rechtfertige es, der CDU die in den Köl-
ner Wahlbezirken erlangten Stimmen, und damit die ent-
sprechenden Mandate, abzuerkennen.
Der Bundeswahlleiter hat mit Schreiben vom 13. Dezember
2002 zu dem Wahleinspruch Stellung genommen. Er macht
geltend, dass das vom Einspruchsführer gerügte System ge-
bundener („starrer“) Listen mit der Verfassung in Einklang
stehe. Insbesondere sei ein Verstoß gegen die Gebote der
gleichen und unmittelbaren Wahl nach Artikel 38 Abs. 1
GG nicht zu erkennen. Das Bundesverfassungsgericht habe
bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag das Nominie-
rungsmonopol der politischen Parteien für Landeslisten als

sich „aus der Natur der Sache ergebend“ bezeichnet und
einen Verstoß gegen die in Artikel 38 Abs. 1 GG niederge-
legten Wahlrechtsgrundsätze verneint (BVerfGE 5, 77, 82;
BVerfGE 46, 196, 199 sowie BVerfGE 41, 399, 417 f.). Für
die Wahlen zum Deutschen Bundestag bestehe demnach
kein verfassungsrechtliches Gebot, die Einreichung „partei-
unabhängiger“ Landeswahlvorschläge zuzulassen. Die
Gründung einer Partei sei für politische Vereinigungen, die
an einer bundesweiten Wahl wie der Bundestagswahl teil-
nehmen wollten, möglich und zumutbar. Die innere Ord-
nung der Parteien müsse nach Artikel 21 Abs. 1 Satz 3 GG
demokratischen Grundsätzen entsprechen. In § 17 des Par-
teiengesetzes (PartG) werde diese Verfassungsnorm dahin-
gehend konkretisiert, dass die Aufstellung von Wahlbewer-
bern durch die Parteien in geheimer Abstimmung zu erfol-
gen habe. Das System sei entgegen der Auffassung des Ein-
spruchsführers transparent und kontrollierbar. Dass die nach
§ 27 Bundeswahlgesetz (BWG) von den Parteien einzurei-
chenden Landeslisten parteiintern auf demokratischem
Wege aufzustellen seien, bedeute keine Diskriminierung
parteiloser Wähler. Indem das Bundestagswahlrecht für die
Zweitstimmenwahl auf Landesebene gebundene Listen vor-
schreibe, verletze es auch nicht die Gleichheit der Wahl.
Gleichheit der Wahl besage, „das jedermann sein Wahlrecht
in formal möglichst gleicher Weise soll ausüben können“
(BVerfGE 79, 161, 166). Sie bedeutet für das aktive Wahl-
recht, dass jeder Wähler die gleiche Stimmenzahl habe
(gleicher Zählwert) und jede Stimme bei der Umsetzung der
Stimmen in die Zuteilung von Parlamentssitzen – im Sinne
eines gleichen Erfolgswertes – Berücksichtigung finde. Bei
der Bundestagswahl 2002 hätten alle abgegebenen Stimmen
den gleichen Zählwert und den gleichen Erfolgswert gehabt.
Eine Privilegierung von Mitgliedern politischer Parteien
habe nicht vorgelegen. Die Unmittelbarkeit der Wahl im
Sinne des Artikel 38 Abs. 1 GG sei gewährleistet, solange
die Abgeordneten des Deutschen Bundestages allein durch
Stimmabgabe der Wähler, d. h. ohne Zwischenschaltung
eines fremden Willens zwischen Wählern und Wahlbewer-
bern, bestimmt würden. Es widerspreche dem Grundsatz der
unmittelbaren Wahl nicht, wenn die Wahl eines Bewerbers
an die Mitwahl eines anderen Bewerbers geknüpft werde,
da das Wahlergebnis allein von den sich aus dem Wahlakt
ergebenden Willenserklärungen der Wählerinnen und Wäh-
lern abhänge.
Hinsichtlich der durch den Einspruchsführer behaupteten
Verstöße gegen den Grundsatz der freien Wahl und gegen
Artikel 5 Abs. 1 GG trägt der Bundeswahlleiter vor, dass bei
der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag weder der Wahl-
rechtsgrundsatz der freien Wahl noch die Grundrechte aus
Artikel 5 Abs. 1 GG verletzt worden seien. Die Freiheit der
Wahl bedeute, dass der Akt der Stimmabgabe frei von
Zwang und unzulässigem Druck bleibe (BVerfGE 44, 125,
139). Freiheit der Wahl besage also in erster Linie, dass je-
der Wahlberechtigte sein aktives Wahlrecht ohne physi-
schen Zwang oder psychologischen Druck oder sonstige un-
zulässige direkte oder indirekte Einflussnahme auf die Ent-
schließungsfreiheit von außen – sei es durch die öffentliche
Hand, durch politische Parteien, sonstige Institutionen oder
Privatpersonen – ausüben können müsse. Bei der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag seien dem Bundeswahlleiter keine
Anhaltspunkte dafür bekannt geworden, dass die Freiheit
der Wahlberechtigten eingeschränkt worden wäre, dass auf

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 123 – Drucksache 15/1850

Wähler Druck ausgeübt worden sei oder dass Wähler in
Folge einer bestimmten Wahlentscheidung Repressalien
hätten befürchten müssen. Die Ausführungen des Ein-
spruchsführers über angebliche Verletzungen der Informa-
tions-, Meinungs-, Presse- und Rundfunkfreiheit aus Arti-
kel 5 Abs. 1 GG ließen – nach Ansicht des Bundeswahllei-
ters – einen direkten Bezug zur Bundestagswahl vermissen.
Es bleibe unklar, wie sich etwaige Verstöße gegen die ge-
nannte Verfassungsnorm auf die Mandatsverteilung ausge-
wirkt haben sollen. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen Arti-
kel 5 Abs. 1 GG fehle es demnach bereits an einem substan-
tiierten Vortrag des Einspruchsführers.
In Bezug auf die durch den Einspruchsführer behauptete
Benachteiligung von Einzelbewerbern und nicht etablierten
Parteien legt der Bundeswahlleiter dar, dass ihm eine gegen
das Gebot der gleichen Wahl nach Artikel 38 Abs. 1 GG
verstoßende Benachteiligung von Einzelbewerbern der im
Bundestag nicht vertretenen Parteien nicht bekannt gewor-
den sei. Bei der Zuteilung von Werbezeiten im Rundfunk an
politische Parteien hätten sich die öffentlichen Rundfunk-
anstalten bei der zurückliegenden Bundestagswahl an das
in § 5 Abs. 1 Satz 1 Parteiengesetz (PartG) normierte und
in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfGE 47, 198, 237 sowie BVerfGE 89, 119 f.) konkreti-
sierte Gebote der Gleichbehandlung gehalten. Einzelbewer-
ber hätten bei Bundestagswahlen grundsätzlich keinen An-
spruch auf Zuteilung von Sendezeiten.
Die Wahl- und Meinungsforschungsinstitute, die im Vorfeld
der Bundestagswahl repräsentative Umfragen durchgeführt
und die daraus resultierenden Ergebnisse veröffentlicht hät-
ten, seien privatwirtschaftlich tätig. Die Forschungen seien
für verschiedene Auftraggeber – zumeist Rundfunkanstal-
ten – durchgeführt und nach seinem Wissen durchweg ver-
öffentlicht worden. Damit seien die hierdurch gewonnenen
Informationen auch kleinen Parteien sowie Einzelbewer-
bern, die aus eigener Kraft solche Umfragen nicht hätten
durchführen können, zugänglich gewesen.
Die Landeswahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen
hat mit Schreiben vom 16. Januar 2003 zu dem sich mit der
Auskunftserteilung aus dem Melderegister der Stadt Köln
auseinandersetzenden Sachverhaltsteil Stellung genom-
men. Unter Einbeziehung der als Ablichtung beigefügten
Berichte des Kreiswahlleiters der Bundestagswahlkreise 94
bis 96 (Köln I, II und III) vom 9. Januar 2003 und des Kreis-
wahlleiters des Bundestagswahlkreises 102 (Leverkusen-
Köln IV) vom 12. Dezember 2002 sowie eines in gleicher
Sache durch das Innenministerium des Landes Nordrhein-
Westfalen erstellten Vorgangs stelle sich der Sachverhalt
wie folgt dar:
Gemäß § 35 Abs. 1 Meldegesetz des Landes Nordrhein-
Westfalen (MG NW) dürfe die Meldebehörde Parteien,
Wählergruppen und anderen Trägern von Wahlvorschlägen
im Zusammenhang mit Parlaments- und Kommunalwahlen
in den sechs der Wahl vorangehenden Monaten Auskunft
aus dem Melderegister über die in § 34 Abs. 1 Satz 1 be-
zeichneten Daten (Vor- und Familiennamen, Doktorgrad
und Anschriften) von Gruppen von Wahlberechtigten ertei-
len, für deren Zusammensetzung das Lebensalter der Be-
troffenen bestimmend sei. Die Geburtstage der Betroffenen
dürften dabei nicht mitgeteilt werden. Die Verwaltungsvor-
schriften zur Durchführung des Meldegesetzes (Runderlass

des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 2. Oktober
1998 – I A 6/41.12 –, MBl. NW. 1998 S. 1149) konkretisier-
ten unter Nr. 15.3.3 diese Regelung dahingehend, dass eine
Auskunft über alle Wahlberechtigten unzulässig sei. Aus-
künfte dürften nur über Wahlberechtigte einzelner oder
mehrerer Altersjahrgänge, soweit beantragt, erteilt werden.
Im konkreten Fall habe die Stadt Köln am 2. Juli 2002 auf
eine entsprechende Anfrage an den Kreisverband der CDU
Köln unter Berufung auf die genannten Vorschriften die der
einfachen Melderegisterauskunft nach § 34 Abs. 1 MG NW
entsprechenden Daten (Name, Anschrift und evtl. Doktor-
grade) der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, einge-
teilt in die Altersgruppen 18- bis 21-Jährige, 22- bis 29-Jäh-
rige, 30- bis 59-Jährige, 60-Jährige und älter, übermittelt.
Personen mit Auskunftssperre und vorliegender Auskunfts-
verweigerung seien nicht mitgeteilt worden.
Die CDU habe diese Daten an die mit ihr in Geschäftsbezie-
hungen stehende Firma Dimap GmbH weitergeleitet. Die
seitens dieser Firma fertiggestellte Datei habe erstens die
von der CDU gelieferten Adressdaten, zweitens von einer
dritten Firma angekaufte sog. soziodemographische Daten
und drittens von der Fa. Dimap GmbH selbst aufgrund eines
statistischen Verfahrens errechnete Wahrscheinlichkeiten
für ein vermutetes Wahlverhalten enthalten. Beide Kompo-
nenten – soziodemographische Daten und Wahlwahrschein-
lichkeiten – hätten sich nicht auf eine bestimmte Person,
sondern jeweils auf eine Adresse bezogen. Für das Errech-
nen der Wahlwahrscheinlichkeiten seien nicht die Adressda-
ten der Wahlberechtigten, sondern die soziodemographi-
schen Daten und frühere Wahlergebnisse für den jeweiligen
Wahlbezirk genutzt worden. Die soziodemographischen Da-
ten sollen über eine Bearbeitungsmaske so mit den Daten
der Wahlberechtigten verknüpft gewesen sein, dass aus den
Kategorien der soziodemographischen Daten eine oder
mehrere hätten angekreuzt werden können, so dass dann die
Namen und Anschriften aller Personen gezeigt worden
seien, für deren Adressen diese Kategorien zugetroffen hät-
ten.
Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Landes
Nordrhein-Westfalen, der sich die Landesregierung Nord-
rhein-Westfalen im Rahmen der Bearbeitung einer Kleinen
Anfrage angeschlossen habe, sei die Übermittlung der
Adressdaten aller Wahlberechtigten durch die Stadt Köln an
die CDU rechtswidrig gewesen, weil § 35 Abs. 1 MG NRW
nicht die Übermittlung der Daten aller Wahlberechtigten an
eine Partei zulasse. Nach dieser Vorschrift sei nur erlaubt,
Auskünfte über Gruppen von Wahlberechtigten, für deren
Zusammensetzung das Lebensalter bestimmend sei, zu
übermitteln.
Dagegen habe die Stadt Köln § 35 Abs. 1 MG NW i.V. m.
Nr. 15.3.3 der Verwaltungsvorschriften in der Weise ausge-
legt, dass lediglich eine zusammengefasste Auskunft über
alle Wahlberechtigten in einer Datei unzulässig sei. Dem-
entsprechend hätte die Stadt Köln in der Vergangenheit ne-
ben Auskünften über einzelne oder mehrere Altersjahrgänge
auch in anderen Fällen aus Anlass von Wahlen Namen, An-
schriften und ggf. akademische Titel mehrerer Altersjahr-
gänge, die zusammengefasst alle Wahlberechtigten erfasst
hätten, an Parteien herausgegeben, so anlässlich der Wahl
zum Landtag des Landes Nordrhein-Westfalen am 8. März
2000 an die CDU (Altersgruppen 18 bis 27; 28 bis 45;

Drucksache 15/1850 – 124 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

46 bis 60 und älter) und anlässlich der Wahl des Oberbür-
germeisters am 12. Juli 2000 an die SPD (Altersgruppen 16
bis 24; 25 bis 35; 36 bis 60 und älter) und am 20. Juli 2000
an die CDU (Altersgruppen 18 bis 30; 30 bis 60; 60 und
älter).
In rechtlicher Hinsicht macht die Landeswahlleiterin gel-
tend, dass Verstöße gegen das Bundeswahlgesetz und die
Bundeswahlordnung nicht vorlägen und ein fehlerhaftes
Verhalten eines Wahlorgans nicht beanstandet werde. Ge-
genstand des Einspruchs sei vielmehr ein Tätigwerden einer
anderen amtlichen Stelle, nämlich der Meldebehörde der
Stadt Köln. Ein wahlprüfungsrechtlich relevanter Fehler
könne demnach nur dann vorliegen, wenn durch die gegen
§ 35 Abs. 1 MG NW verstoßende Auskunft aus dem Melde-
register vom 2. Juli 2002 an die CDU zugleich gegen den
Grundsatz der Gleichheit der Wahl bzw. die Chancengleich-
heit der Parteien verstoßen worden wäre und der Verstoß die
gesetzmäßige Zusammensetzung des Deutschen Bundesta-
ges beeinflusst hätte.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
folge aus den in Artikel 38 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich
garantierten Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit
der Wahl i.V. m. Artikel 21 Abs. 1 GG der Grundsatz der
Wettbewerbs- und Chancengleichheit der Parteien. Entspre-
chendes gelte auch für andere Wahlbewerber, deren An-
spruch auf Gleichbehandlung gerade auch im Verhältnis zu
politischen Parteien primär aus Artikel 3 Abs. 1 GG herzu-
leiten sei (BVerfGE 78, 350, 357). Dabei gelte der Grund-
satz der Wettbewerbs- und Chancengleichheit nicht nur für
den Wahlvorgang selbst, sondern auch schon für das ge-
samte Vorfeld der Wahl. Ein wahlprüfungsrechtlicher rele-
vanter Eingriff in die Chancen- und Wettbewerbsgleichheit
der Wahlbewerber könne nur dann vorliegen, wenn die
Stadt Köln durch die in dieser Form unzulässige Auskunft
aus dem Melderegister in mehr als nur unerheblichem Maße
parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens einge-
wirkt hätte (BVerfGE 103, 111, 132).
Ein solcher Eingriff in die Grundsätze der Gleichheit der
Wahl bzw. die Chancengleichheit der Wahlbewerber liegt
nach Ansicht der Landeswahlleiterin schon deshalb nicht
vor, weil die Stadt Köln die an der Wahl teilnehmenden Par-
teien bzw. Wahlbewerber nicht unterschiedlich behandelt
habe. Diese wäre nur dann der Fall, wenn entsprechende
Auskunftsersuchen anderer Wahlbewerber abschlägig be-
schieden worden wären. Dies habe der Einspruchsführer in-
des selbst nicht behauptet noch sei unterschiedlich verfahren
worden. Die der CDU am 2. Juli 2002 erteilte Auskunft be-
ruhe vielmehr auf einer fehlerhaften Auslegung des § 35
Abs. 1 MG NW. Der Kreiswahlleiter der Bundestagswahl-
kreise 94 bis 96 habe hierzu in seinem Bericht ausgeführt,
„dass die Meldedatenauskunft an die Kölner CDU bis dato
Verwaltungspraxis war und somit allen Parteien die Mög-
lichkeit zur Verfügung gestanden hätte, die Meldeauskünfte
zu erhalten“. Tatsächlich seien aus Anlass anderer Wahlen
entsprechende Auskünfte, die im Ergebnis alle Wahlberech-
tigten eingeschlossen hätten, erteilt worden, darunter am
12. Juli 2000 anlässlich der Wahl des Oberbürgermeisters
auch an die SPD. Da somit eine wesentliche Ungleichbe-
handlung von Parteien oder Wahlbewerbern als Vorausset-
zung für einen Eingriff in den Schutzbereich der Gleichheit
der Wahl oder die Chancengleichheit der Wahlbewerber

nicht gegeben sei, sei der Einspruch bereits aus diesem
Grunde unbegründet.
Darüber hinaus habe das Bundesverfassungsgericht im Zu-
sammenhang mit der Auslegung des Tatbestandsmerkmals
der sittenwidrigen, das Wahlergebnis beeinflussenden
Handlung im Wahlprüfungsgesetz des Landes Hessen fest-
gestellt, dass nur schwerwiegende, auf die Willensbildung
der Wähler einwirkende Maßnahmen wahlprüfungsrecht-
lich relevant seien, für die keine hinreichende Möglichkeit
der Abwehr, z. B. mit Hilfe der Gerichte oder der Polizei,
oder des Ausgleichs, etwa mit Mitteln des Wahlwettbe-
werbs, bestanden hätten. Außerhalb dieses Bereichs erhebli-
cher Verletzungen der Freiheit oder der Gleichheit der Wahl
stelle ein Einwirken von Parteien, einzelnen Wahlbewer-
bern, gesellschaftlichen Gruppen oder sonstigen Dritten auf
die Bildung des Wählerwillens kein Verhalten da, das einen
Wahlfehlertatbestand erfülle, selbst wenn es als unlauter zu
werten sein und gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen
sollte. Ein Gesetzesverstoß allein sei für die Annahme einer
sittenwidrigen Wahlbeeinflussung weder eine notwendige
noch eine hinreichende Bedingung.
Diese anlässlich der Überprüfung des hessischen Wahlprü-
fungsgesetzes genannten Leitlinien seien im Kern auch auf
das Wahlprüfungsverfahren nach dem Wahlprüfungsgesetz
des Bundes übertragbar, da dort keine besonderen materiel-
len Ungültigkeitsgründe genannt würden und das Bundes-
verfassungsgericht die genannten Grundsätze ausdrücklich
aus der gewachsenen Praxis in wahlprüfungsrechtlichen
Verfahren entwickelt habe. Daran gemessen wiege der Ver-
stoß gegen § 35 Abs. 1 MG NW bzw. die darauf Bezug neh-
menden Verwaltungsvorschriften jedenfalls nicht so schwer.
Dagegen spreche schon, dass nach der bestehenden Rechts-
lage unstreitig jedenfalls Auskünfte über mehrere Alters-
jahrgänge von Wahlberechtigten zulässig gewesen seien.
Gewichtiger noch sei die Feststellung, dass die tatsächlich
erteilte Auskunft über alle Wahlberechtigten für sich ge-
nommen nicht unmittelbar auf die Willensbildung der Wäh-
ler eingewirkt habe. Allenfalls könnte die erteilte Meldere-
gisterauskunft mittelbar auf das Wahlgeschehen eingewirkt
haben, wenn und soweit die erlangten Daten zur Unterstüt-
zung möglicher Wahlkampfaktivitäten der CDU verwandt
worden wären. Der Einspruchsführer beschränke sich inso-
weit auf den Hinweis, die CDU habe die gewonnenen Infor-
mationen für ihren Wahlkampf in Köln eingesetzt. Eine da-
rüber hinausgehende substantiierte Darlegung sei nicht er-
folgt. Dem Gedanken folgend, dass das Wahlprüfungsver-
fahren nicht zum Ziel habe, jedwede Gesetzesverletzung
aufzugreifen, sondern die mit dem Wählerwillen in Ein-
klang stehende Zusammensetzung des Parlaments zu ge-
währleisten, könnten solche bloß mittelbaren Einwirkungen
auf den Wählerwillen, die in ihrer tatsächlichen Wirkung
kaum jemals exakt zu bestimmen sein würden, nicht zu
einem Wahlungültigkeitsgrund führen. Hinzu komme, dass
mögliche Wahlkampfaktivitäten regelmäßig offen geführt
würden und ein Ausgleich mit Mitteln des Wahlwettbe-
werbs möglich sei. Aus vergleichbaren Erwägungen sei des-
halb der Hessische Staatsgerichtshof in einem Fall, in dem
die Finanzierung von Wahlkampfaktionen aus nicht im Re-
chenschaftsbericht einer Partei deklariertem Vermögen im
Streit stand, zu dem Ergebnis gelangt, dass ein wahlprü-
fungsrechtlich relevanter Wahlfehler nicht vorgelegen habe
(HessStGH, Urt. v. 12. Februar 2002 in DÖV 2002, 386).

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 125 – Drucksache 15/1850

Folge man dieser Auffassung, sei auch die von der Stadt
Köln zugunsten der CDU erteile Melderegisterauskunft im
Ergebnis nicht geeignet, einen erheblichen Wahlfehler zu
begründen.
Allgemein anerkannt sei darüber hinaus, dass nur solche
Gesetzesverletzungen im Rahmen eines Wahlprüfungsver-
fahrens zu Eingriffen der Wahlprüfungsinstanzen führen
könnten, die auf die gesetzmäßige Zusammensetzung des
Bundestages, d. h. auf die konkrete Mandatsverteilung, von
Einfluss sind. Da die erteilte Melderegisterauskunft allen-
falls mittelbar auf das Wahlgeschehen eingewirkt habe und
ein Ausgleich mit den Mitteln des Wahlwettbewerbs mög-
lich gewesen sei, erscheine die erforderliche, zumindest
potenzielle Kausalität zwischen der erteilten Melderegister-
auskunft und der konkreten Mandatsverteilung als eine eher
abstrakte und nach der Lebenserfahrung unwahrscheinliche
Möglichkeit. Jedenfalls lasse sich ein Einfluss auf die kon-
krete Zusammensetzung des Bundestages nicht mit der die
Annahme eines Wahlungültigkeitsgrundes rechtfertigenden
Gewissheit feststellen. Die Stellungnahme der betroffenen
Kreiswahlleiter ließen insofern keinen Schluss auf eine
Relevanz der erteilten Melderegisterauskunft für das Wahl-
ergebnis bzw. die Zusammensetzung des Bundestages zu.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme der Landes-
wahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Ja-
nuar 2003 zur Kenntnis gegeben worden. Er hat sich hierzu
mit Schreiben vom 22. Februar 2003, 26. Februar 2003 und
27. Februar 2003 wie folgt geäußert: Bezüglich der Abge-
ordneten, die aufgrund ihrer Nominierung auf den Landes-
listen gewählt worden seien, macht der Einspruchsführer
geltend, dass sich eine erhebliche Interessenkollision er-
gebe, wenn diese im Verfahren der Wahlprüfung über die
Bestandskraft ihres Landeslistenmandats zu entscheiden
hätten. Diese Abgeordneten seien daher sowohl im Wahl-
prüfungsausschuss als auch im Plenum von der Entschei-
dungsfindung über die Wirksamkeit des Einspruchs ausge-
schlossen. Ferner rügt der Einspruchsführer die Befangen-
heit, Voreingenommenheit und mangelnde Neutralität dieser
Abgeordneten. Da der Deutsche Bundestag das Verfahren
der Wahlprüfung als ein dem Verfahren eines erstinstanzli-
chen Gerichts nicht unähnliches ansehe, müssten auch sol-
che Bedenken vorzutragen und zu prüfen sein, die in ge-
richtlichen Verfahren angemeldet werden müssten, um Be-
achtung finden zu können.
Darüber hinaus macht der Einspruchsführer geltend, dass es
für eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes gemäß
Artikel 3 Abs. 1 GG unerheblich sei, welchen Grundsätzen
die politischen Parteien verpflichtet seien. Entscheidend sei
allein die Tatsache, ob Wähler allein deshalb diskriminiert
würden, weil sie keiner politischen Partei angehörten. Die
Tatsache, dass politisch nicht gebundene Wähler auf die
Aufstellung der Kandidaten einer Landesliste und deren
Listenplatz keine Einfluss ausüben könnten, verletze Arti-
kel 3 Abs. 1 GG.
Hinsichtlich der in der Stellungnahme des Bundeswahllei-
ters zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
richts vertritt der Einspruchsführer die Ansicht, dass sich
keine der Entscheidungen mit der Frage beschäftigt habe,
ob „Legislative, Exekutive und Judikative den innersten
Kernbereich der Demokratie, die Unantastbarkeit der Sou-
veränität des Wählers im elementarsten Sinne seit Jahres-

zehnten allein aus parteipolitischen Erwägungen verletzen
und damit parteipolitisch ungebundene Wähler diskriminie-
ren“.
Weiterhin macht der Einspruchsführer geltend, dass das
„gegenwärtige System der dreifach gesplitteten Stimm-
abgabe (Nominierung, Erst- und Zweitstimme)“ fundamen-
tale demokratische Grundsätze verletzte. Es widerspreche
jedem demokratischen Verständnis, wenn ein Kandidat am
Tage seiner Nominierung, also Monate vor der Wahl, als ge-
wählt gelten könne, sofern sein Rang auf der Landesliste
dem langjährigen Stimmenpotential der jeweiligen Partei
entspreche. Dieses Verfahren verletze Artikel 3 Abs. 1 GG,
die Wahlrechtsgrundsätze der gleichen und direkten Wahl
gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG, die „bedeutsame staatsrecht-
liche Stellung des Wählers als Souverän gemäß Artikel 20
Abs. 2 GG“ und Artikel 3 des Zusatzprotokolls zur Konven-
tion zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
vom 20. März 1952. Weiterhin fänden die Wahlen in Bezug
auf die Hälfte der Abgeordneten nicht in regelmäßigen Zeit-
abständen frei und geheim statt. Die Wahlen seien nicht ge-
heim, weil bereits Monate vor dem Wahltermin bekannt sei,
dass ein großer Teil der Abgeordneten als gewählt gelten
könne. Die Geheimhaltung beziehe sich nicht nur auf den
Akt der Stimmabgabe selbst, sondern auch auf den Ausgang
der Wahl. Darüber hinaus schlössen Legislative, Exekutive
und Judikative den Souverän von der Teilnahme an der Aus-
übung staatlicher Macht dadurch aus, dass sie den Grund-
satz der Öffentlichkeit staatlichen Handelns missachteten.
Unter Verletzung von Artikel 38 Abs. 1 GG würde hier-
durch auch die Durchführung freier Wahlen verhindert.
Diesbezüglich habe es der Deutsche Bundestag – trotz eines
entsprechenden Hinweises durch den Einspruchsführer –
unterlassen, die für den Ausgang der Wahl bedeutsame
Frage zur prüfen, ob, mit welchem Verfahren und in wel-
chem Umfang der Westdeutsche Rundfunk Köln Mittel der
Allgemeinheit, die gesetzlich zur Finanzierung der Aufga-
ben der Rundfunkanstalt bestimmt seien, zweckentfremdet
zur Parteienfinanzierung verwendet habe. Die Exekutive
habe vor den Wahlen zum 15. Deutschen Bundestag dem
Souverän wesentliche Tatsachen über die gesamtwirtschaft-
liche Lage der Bundesrepublik Deutschland vorenthalten
oder die Tatsachen unrichtig dargestellt. Hierdurch sei der
„Grundsatz der Öffentlichkeit“ verletzt worden, was für den
Ausgang der Wahl von Bedeutung gewesen sei. Hinsichtlich
der Verletzung des „Grundsatzes der Öffentlichkeit“ durch
die Judikative verweist der Einspruchsführer auf eine von
ihm selbst im Jahre 1999 durchgeführte Untersuchung und
weitere strafrechtliche Sachverhalte, deren Verfolgung die
Strafverfolgungsorgane unterlassen hätten (zum einen
Wahlfälschungen im Zusammenhang mit einer Kommunal-
wahl in Dachau, zum anderen im Zuständigkeitsbereich der
Oberfinanzdirektion Münster zu Lasten der öffentlichen
Hand begangene Delikte).
Mit Schreiben vom 27. Februar 2003 vertritt der Ein-
spruchsführer im Hinblick auf die Stellungnahme der Lan-
deswahlleiterin des Landes Nordrhein-Westfalen und der
Berichte der Kreiswahlleiter der Bundestagswahlkreise 94
bis 96 und 102 die Ansicht, dass die Daten „in Kenntnis der
Rechtswidrigkeit“ an die CDU weitergegeben worden seien.
Im Jahre 1995 habe sich der Einspruchsführer als Einzel-
bewerber an den Wahlen zum Landtag von Nordrhein-West-
falen beteiligt. Zu dieser Zeit seien ihm bezüglich des Da-

Drucksache 15/1850 – 126 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

tenschutzes und des auszuhändigenden Adressenmaterials
von dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Statistik der
Stadt Köln sehr „sachkundige und präzise“ Informationen
gegeben worden.
Weiterhin vertritt der Einspruchsführer die Ansicht, die an-
deren Parteien hätten entsprechende Auskünfte nicht be-
gehrt, da sie davon hätten ausgehen können, dass das Amt
für Statistik der Stadt Köln die Grundsätze ordnungsgemä-
ßer Verwaltung sorgfältig beachten würde.
Die CDU habe sich durch die rechtswidrig beschafften Ein-
wohnerinformationen erhebliche Wettbewerbsvorteile im
Wahlkampf verschafft und so die Zahl an Stimmen gewon-
nen, die ihr die vom Einspruchsführer beanstandeten Man-
date verschafft habe. Der über das normale Maß hinausrei-
chende Wettbewerbsvorteil ergebe sich daraus, dass es aus
verschiedenen Gründen, auf die der Einspruchsführer im
Einzelnen eingeht, in den Wahlkreisen 94-96 und 102 zum
Zeitpunkt der Wahl eine gegen die CDU gerichtete Grund-
stimmung gegeben habe. Die CDU habe in diesen Wahlbe-
zirken nur durch den Einsatz des „rechtswidrig beschafften
und von der Agentur Dimap GmbH in Hamburg nach den
Methoden der Politik- und Marktforschung aufbereiteten
Materials „einen noch größeren Stimmenverlust“ abwehren
können. Sie habe gezielt potentielle Wähler angesprochen
und dadurch die Stimmen gewinnen können. Seine Behaup-
tungen ließen sich auf folgende Weise nachprüfen:
1. Vorlage sämtlicher von der CDU rechtswidrig beschaff-

ter Daten,
2. Vorlage der von der Firma Dimap für die CDU erstellten

Materialien, einschließlich der ausgearbeiteten und
durchgeführten Werbekonzepte,

3. Berichte über die Umsetzung und den Erfolg der von der
Firma Dimap GmbH entwickelten Werbe-Konzepte,

4. Auskunft über die Höhe der an die Firma Dimap GmbH
gezahlten Vergütungen, getrennt nach Honorar und Aus-
lagen,

5. Auskunft über die in Köln bei der Umsetzung der Wer-
bekonzepte angefallenen weiteren Kosten,

6. Vorlage der für die CDU im Kölner Raum erstellten
Meinungsumfragen.

Schließlich regt der Einspruchsführer an, den Leiter des
Amtes für Wahlen und Statistik der Stadt Köln zu einer
dienstlichen Äußerung über nähere Einzelheiten der aus sei-
ner, des Einspruchsführers, Sicht seit 1995 geänderten Pra-
xis, geschützte Daten an politische Parteien herauszugeben,
zu veranlassen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet, weil der Vortrag des Einspruchsführers
eine Verletzung der rechtlichen Regelungen über die Vorbe-
reitung und Durchführung der Wahl nicht erkennen lässt.

Soweit der Einspruchsführer Bedenken dagegen hat, dass an
der Wahlprüfung auch die über die Landesliste gewählten
Abgeordneten beteiligt sind, so bedarf dies keiner näheren
Erörterung. Die Aufgabe der Wahlprüfung ist dem Bundes-
tag durch Artikel 41 Abs. 1 GG zugewiesen. Die Ablehnung
eines Abgeordneten des Wahlprüfungsausschusses wegen
Befangenheit ist – über die Grenzen des § 17 WahlprüfG
hinaus – ebenso unzulässig wie die Ablehnung des gesam-
ten Bundestages (vgl. Schreiber, a. a. O., § 49 Rn. 18).
Die Wahl nach Landeslisten ist durch das Bundeswahlge-
setz (BWG, vgl. die §§ 1 Abs. 2, 4, 6 und 27 BWG) vorge-
gebenen. Danach können Wahlvorschläge für die Wahl nach
Landeslisten im Gegensatz zu Wahlvorschlägen für die
Wahl in den Wahlkreisen nur von politischen Parteien ein-
gereicht werden. Dieser Regelung liegt die Erwägung zu-
grunde, dass die Wahl einer Liste nur dann sinnvoll ist,
wenn die auf ihr bezeichnete Bewerber durch ein gemeinsa-
mes Programm eng verbunden sind (vgl. Schreiber, Bundes-
wahlgesetz, 7. Auflage 2002, § 27 Rn. 2). Das Bundesver-
fassungsgericht hat den hierdurch bedingten Ausschluss
„parteiloser“ Landeslistenvorschläge und damit das Nomi-
nierungsmonopol der politischen Parteien als sich „aus der
Natur der Sache ergebend“ bezeichnet und als mit den
Wahlrechtsprinzipien des Artikels 38 Abs. 1 Satz 1 GG
übereinstimmend bestätigt (BVerfGE 5, 77, 82; BVerfGE
46, 196, 199; BVerfGE 41, 399, 417 f.; Schreiber, a. a. O.).
Das Bundesverfassungsgericht hat weiterhin wiederholt
festgestellt, dass sich das in den §§ 6 Abs. 4, 27 Abs. 3
BWG verankerte System der „starren“ Liste, in der die Rei-
henfolge der Bewerber auf den Landeslisten der Parteien
festgelegt ist und die bei Abgabe der Zweitstimme nicht
verändert werden kann, im Rahmen der dem Gesetzgeber
bezüglich des Wahlrechts eingeräumten Gestaltungsfreiheit
bewegt und – worauf der Bundeswahlleiter zutreffend hin-
weist – nicht gegen Artikel 38 GG verstößt (BVerfGE 7,
63, 68 ff.; BVerfGE 47, 253, 282; Bundestagsdrucksache
14/1560, Anlagen 61 und 71, Schreiber, a. a. O., § 27 Rn. 4).
Da insofern die Wahl nach Landeslisten mit dem Grund-
satz der gleichen Wahl gemäß Artikel 38 GG, der ein
Anwendungsfall des allgemeinen Gleichheitssatzes gemäß
Artikel 3 Abs. 1 GG ist, vereinbar ist, bestehen insoweit
keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Artikels 3
Abs. 1 GG.
Soweit der Einspruchsführer in seinem Schreiben vom
26. Februar 2003 rügt, dass das in § 1 BWG verankerte
Wahlsystem einer mit der Personenwahl verbundenen Ver-
hältniswahl gegen das Demokratieprinzip verstoße, so kann
diese Ansicht nicht überzeugen. Seit der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 5. April 1952 (BVerfGE 1,
208 ff., 243 ff.) ist in Rechtsprechung und Literatur an-
erkannt, dass der Grundsatz der „personalisierten Verhält-
niswahl“ mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes
gemäß Artikel 20 Abs. 1 GG, dem Grundsatz der Volkssou-
veränität gemäß Artikel 20 Abs. 2 GG und den Wahlrechts-
grundsätzen des Artikels 38 GG, die ihrerseits eine Spezi-
fizierung des Demokratieprinzips bedeuten, vereinbar ist
(vgl. Schreiber, a. a. O., § 1 Rn. 33).
Auch das Vorbringen des Einspruchsführers, das in § 1
BWG verankerte Wahlsystem verstoße gegen Artikel 3 des
Zusatzprotokolls zur Konvention zum Schutz der Men-
schenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952, ver-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 127 – Drucksache 15/1850

mag nicht zu überzeugen. Artikel 3 des Zusatzprotokolls
bleibt in seiner Reichweite hinter Artikel 38 Abs. 1 und
Artikel 39 GG zurück. Von den in Artikel 38 Abs. 1 GG
niedergelegten Wahlrechtsgrundsätzen garantiert er aus-
drücklich nur die Freiheit und die Gleichheit der Wahl. In
inhaltlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass sich beide
Begriffe mit denen des Artikels 38 Abs. 1 GG decken. Da
das System der personalisierten Verhältniswahl mit Arti-
kel 38 Abs. 1 GG vereinbar ist, bleibt für eine mögliche
Verletzung des Artikels 3 des Zusatzprotokolls kein Raum.
Artikel 3 des Zusatzprotokolls gewährleistet nicht die
Grundsätze der Allgemeinheit, der Gleichheit und der Un-
mittelbarkeit der Wahl. Artikel 39 GG, demzufolge der
Bundestag grundsätzlich auf vier Jahre gewählt wird, ent-
hält eine konkretisierende Ausprägung der in Artikel 3 des
Zusatzprotokolls normierten Forderung nach Wahlen „in
angemessenen Zeitabständen“. Selbst wenn man also von
einem subjektiven Recht ausginge, bestünden für eine Ver-
letzung dieser Vorschrift keinerlei Anhaltspunkte.
Eine Verletzung des Wahlrechtsgrundsatzes der Wahlgleich-
heit gemäß Artikel 38 Abs. 1 GG auf Grund der Durch-
führung von repräsentativen Umfragen durch Wahl- und
Meinungsforschungsinstitute im Vorfeld der Wahl scheidet
schon deswegen aus, weil die Umfrageergebnisse unbestrit-
ten veröffentlicht worden und damit auch kleineren Parteien
und Einzelbewerbern zugänglich gewesen sind.
Der Einspruch hat auch insoweit keinen Erfolg, als sich der
Einspruchsführer gegen eine angeblich im Vorfeld der Bun-
destagswahl begangene Verletzung der Informations-,
Presse- und Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 GG wen-
det. Die Einspruchsschrift lässt keine Tatsachen erkennen,
die eine Verletzung des Prinzips der Staatsfreiheit der Rund-
funkordnung oder einen anderen Eingriff in die Rundfunk-
freiheit begründen könnten. In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE
12, 205/262 f; 83, 238/330 f.) sind Vertreter der politischen
Parteien in begrenztem Umfang in den Aufsichtsgremien
vertreten. Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die gegenwärtige
Zusammensetzung der Aufsichtsgremien wegen einer ein-
geschränkten Pluralität zu einer Verletzung des Prinzips der
Staatsfreiheit führen könnte. Ob im Übrigen der Gesetzge-
ber den in Artikel 5 Abs. 1 GG enthaltenen Auftrag, die
Rundfunkfreiheit durch Schaffung einer gesetzlich veran-
kerten Rundfunkordnung zu stützen, zu sichern und zu fes-
tigen, in verfassungskonformer Weise erfüllt hat, ist nicht
Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens. Der Wahlprü-
fungsausschuss sieht sich nicht berufen, die Verfassungs-
widrigkeit von gesetzlichen Bestimmungen festzustellen. Er
hat dieses Kontrolle stets dem Bundesverfassungsgericht
vorbehalten. Unbeschadet hiervon bestehen nach seiner
Überzeugung keine Zweifel an der Verfassungskonformität
der Rundfunkordnung. Darüber hinaus bestehen – worauf-
hin der Bundeswahlleiter zutreffend hinweist – keinerlei
Anhaltspunkte dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Rund-
funkanstalten bei der Zuteilung von Werbezeiten an politi-
sche Parteien gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoßen
haben könnten. Einzelbewerber haben im Vorfeld der Bun-
destagswahl grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuteilung
von Sendezeiten. Die Behauptung des Einspruchsführers,
zwischen der Axel-Springer-AG und „führenden Kräften
der CDU/CSU“ bestünden Vertragsbeziehungen, die zu

einer parteiischen Berichterstattung geführt hätten, ist nicht
geeignet, einen Wahlfehler zu begründen. Die Pressefreiheit
umfasst die Freiheit, „die Grundrichtung einer Zeitung un-
beeinflusst zu bestimmen und zu verwirklichen“ (vgl.
Schreiber, a. a. O., § 1 Rn. 23k). Danach ist die von privater
Hand betriebene Presse hinsichtlich der inhaltlichen Gestal-
tung des redaktionellen Teils grundsätzlich frei (BVerfGE
38, 84, 91 und 48, 271, 278). Sie unterliegt demnach keiner
Verpflichtung zur Neutralität. Einschränkungen hierzu
könnten sich, was aber fast nur theoretisch möglich er-
scheint, aus einer etwaigen Monopolstellung (im Bereich
der regionalen Tagespresse) ergeben, sofern die Zeitung
nicht parteigebunden ist und sonstige Werbemöglichkeiten
(z. B. durch Plakat- oder Flugblattaktionen) nicht bestehen
oder praktisch ausgeschlossen sind (vgl. Schreiber, a. a. O.).
Da sich einerseits das diesbezügliche Vorbringen des Ein-
spruchsführers auf bloße Behauptungen „ins Blaue hinein“
und Vermutungen beschränkt, ohne jedoch konkrete Tat-
sachen zu benennen und andererseits keinerlei Anhalts-
punkte für die Möglichkeit einer Monopolstellung der Axel-
Springer-AG vorliegen, muss auf diesen Punkt nicht näher
eingegangen werden.
Der Einspruch hat auch insoweit keinen Erfolg, als er auf
eine im Hinblick auf die Wahlkreise 94, 95, 96 und 102 be-
schränkte Wahlergebnisberichtigung abzielt, da bei der Be-
rücksichtigung der in diesen Wahlkreisen abgegebenen
Zweitstimmen kein Wahlfehler geschehen ist.
Die Übermittlung der Adressdaten aller Wahlberechtigten
durch die Meldebehörde der Stadt Köln an den Kreisver-
band der CDU Köln war zwar wegen eines Verstoßes gegen
§ 35 Abs. 1 MG NRW rechtswidrig. Da dieses rechtsfehler-
hafte Tätigwerden aber keinem Wahlorgan, sondern ledig-
lich einer anderen amtlichen Stelle zuzurechnen ist, hätte,
worauf die Landeswahlleiterin zurecht hinweist, ein Wahl-
fehler nur dann vorliegen können, wenn durch die Heraus-
gabe der Adressdaten der Wahlrechtsgrundsatz der Wahl-
gleichheit gemäß Artikel 38 GG bzw. der Grundsatz der
Wettbewerbs- und Chancengleichheit der Parteien gemäß
Artikel 38 Abs. 1 GG i.V. m. Artikel 21 Abs. 1 GG verletzt
worden wäre. Für eine Verletzung dieser Grundsätze beste-
hen jedoch keine Anhaltspunkte, da die Stadt Köln die an
der Wahl teilnehmenden Parteien bzw. Wahlbewerber nicht
unterschiedlich behandelt hat. Wie auch der Einspruchsfüh-
rer selbst vorgetragen hat, wurden durch die Meldebehörde
der Stadt Köln keine entsprechenden Auskunftsersuchen an-
derer Wahlbewerber abschlägig beschieden. Zum anderen
hat die Meldebehörde aus Anlass anderer Wahlen entspre-
chende Auskünfte auch an andere Parteien erteilt. Aus der
im Einzelnen dargelegten Verwaltungspraxis, die der Ein-
spruchsführer durch den Hinweis auf ein zwischen ihm und
dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Statistik der
Stadt Köln im Jahr 1995 geführtes Gespräch nicht in Zwei-
fel zu ziehen vermag, ergibt sich, dass die Meldebehörde die
Daten nicht in Kenntnis der Rechtswidrigkeit ihres Tuns,
sondern in Übereinstimmung mit ihrer Verwaltungspraxis
übermittelt hat. Da diese Verwaltungspraxis zur Überzeu-
gung des Wahlprüfungsausschusses und des Deutschen
Bundestages feststeht, kann von einer dienstlichen Äuße-
rung des Leiters des Amtes für Wahl und Statistik der Stadt
Köln abgesehen werden. Weil weiterhin keine Anhalts-
punkte für die Annahme einer unzulässigen Wahlbeeinflus-
sung bestehen, kann in der rechtswidrigen Überlassung der

Drucksache 15/1850 – 128 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Adressdatei kein Verstoß gegen den Wahlrechtsgrundsatz
der Wahlgleichheit bzw. gegen den Grundsatz der Wettbe-
werbs- und Chancengleichheit der Parteien gesehen werden.
Wie sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 8. Februar 2001 (BVerfGE 103, 111, 132 ff.) ergibt,
können nämlich nur schwerwiegende, auf die Willensbil-
dung der Wählerinnen und Wähler einwirkende Maßnah-
men, für die keine hinreichende Möglichkeit der Abwehr
oder des Ausgleichs besteht, von wahlprüfungsrechtlicher
Relevanz sein. Außerhalb dieses Bereichs erheblicher Ver-
letzungen der Freiheit oder Gleichheit der Wahl vermag ein
Verhalten, selbst wenn es als unlauter zu werten oder gegen
gesetzliche Bestimmungen verstoßen sollte, einen Wahlfeh-
lertatbestand nicht zu begründen. Es bestehen keine An-
haltspunkte dafür, dass mit der rechtswidrigen Übermittlung
der Adressdaten, die mit der (rechtswidrigen) Verwaltungs-
praxis übereinstimmte, eine Beeinflussung der Willensbil-
dung der Wählerinnen und Wähler beabsichtigt war oder
aber eine solche bewirkt hat.
Auf die Behauptung des Einspruchsführers, die Exekutive
habe vor den Wahlen zum 15. Deutschen Bundestag den
Wählern wesentliche Tatsachen über die gesamtwirtschaft-
liche Lage vorenthalten oder die Tatsachen unrichtig dar-
gestellt, war mangels einer hinreichenden Substantiierung
nicht näher einzugehen.
Soweit sich der Einspruchsführer dagegen wendet, dass die
Strafverfolgungsbehörden von ihm benannte strafrechtliche
Sachverhalte nicht hinreichend ermittelt und verfolgt hätten,
so lassen dieses Vorwürfe einen Bezug zur Bundestagswahl
vermissen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 129 – Drucksache 15/1850

Anlage 32

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn J. M., 28203 Bremen

– Az.: WP 72/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird teilweise als unzulässig,

teilweise als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem vom Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt
Bremen übersandten Schreiben, das am 28. Oktober 2002
beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag eingelegt. Zur Begründung trägt
er vor, dass er seinen Wahleinspruch der 14. Wahlperiode
(Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 72) erneuere. Der
Wahlkampf für die Bundestagswahl sei ein „pseudo-politi-
sches Medienspektakel“ gewesen.
Mit Schreiben vom 31. Oktober 2002 hat das Sekretariat des
Wahlprüfungsausschusses den Einspruchsführer darauf auf-
merksam gemacht, dass sein Schreiben nicht dem Begrün-
dungserfordernis des § 2 Abs. 3 Wahlprüfungsgesetz
(WPrüfG) entspreche. Unter Bezugnahme hierauf hat die
Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses dem Einspruchs-
führer gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG eine Frist bis zum
22. November 2002 gesetzt, um dem Begründungsmangel
abzuhelfen, und ihn aufgefordert, ganz konkret die Um-
stände mitzuteilen, durch die er die geltenden Wahlrechts-
vorschriften verletzt sehe.
Mit einem am 22. November 2002 beim Deutschen Bundes-
tag eingegangenen Schreiben hat der Einspruchsführer dar-
aufhin vorgetragen, dass der Wahlkampf von den beiden
großen Parteien – der SPD und der CDU – beherrscht wor-
den sei, während „Kleinparteien“ wie die FDP „ausge-
schlossen“, „vereinnahmt“ oder „angepasst“ worden seien.
So sei z. B. der Spitzenkandidat der FDP, Dr. Guido Wester-
welle, nicht zum Fernsehduell zugelassen worden.
Nach Auffassung des Einspruchsführers ist die politisch
notwendige Wahl zu einem „billigen Medien-Spektakel“
geworden. Der Wahlkampf der Kanzlerkandidaten sei seiner
Ansicht nach ein „Showkampf medienwirksam aufgeblase-
ner Kompetenzattrappen“ gewesen. Die Bundestagswahlen
seien zu „Werbeveranstaltungen“ geworden, wobei „Wahr-
haftigkeit, die wirkliche Kompetenz oder Inkompetenz,
echte Ideen und Visionen auf der Strecke“ geblieben seien.
Die „politische Kaste“ Deutschlands habe sich ihr eigenes
„Rechts-(Unrechts-)system“ geschaffen, das gegen den

Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Absatz 1 des Grundge-
setzes (GG) verstoße. Dadurch werde das „effektive Zusam-
menfließen des gesamten politisch kreativen Potentials“ der
Bundesrepublik Deutschland verhindert. Seiner Ansicht
nach ist die Bundestagswahl „das Produkt bundespolitischer
Inzucht“ und ein Ausdruck „politischer Willkür“, da die Po-
litiker kein echtes Interesse an den Wählerinnen und Wäh-
lern gezeigt hätten. Er behauptet, dass den Wählerinnen und
Wählern bewusst geworden sei, dass echte politische In-
halte während des Wahlkampfes nur scheinbar eine Rolle
gespielt hätten. Politische Wahlen dürften in dieser Form
nicht geduldet werden.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers wird auf den
Inhalt der Akten verwiesen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, soweit der Einspruchsführer gel-
tend macht, dass der Spitzenkandidat der FDP, Dr. Guido
Westerwelle, nicht zum Fernsehduell der Kanzlerkandidaten
während des Bundestagswahlkampfes zugelassen worden
sei.
Im Übrigen ist der Einspruch unzulässig. Es fehlt an einer
Begründung gemäß § 2 Abs. 3 WPrüfG. Die Vorsitzende
hat den Einspruchsführer darauf hingewiesen, dass sein
Schreiben vom 28. Oktober 2002 nicht diesem Begrün-
dungserfordernis entspricht, und ihn aufgefordert, bis spä-
testens 22. November 2002 ganz konkret die Umstände mit-
zuteilen, durch die er die geltenden Wahlrechtsvorschriften
verletzt sehe. In seinem am 22. November 2002 beim Deut-
schen Bundestag eingegangenen Schreiben ist mit Aus-
nahme des o. g. Einspruchsgrundes – wie bereits bei seinem
Wahleinspruch in der 14. Wahlperiode (Bundestagsdruck-
sache 14/1560, Anlage 72) – ein Anfechtungsgegenstand,
der eine Verletzung von Vorschriften des Wahlrechts subs-

Drucksache 15/1850 – 130 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

tantiiert erkennen lassen würde, nicht vorhanden. Der Ein-
spruchsführer hat mit seinen allgemeinen und nicht konkre-
tisierten Erklärungen unzulässige Maßnahmen der Wahl-
werbung oder einen anderen Wahlmangel nicht belegt. Die
Wahlprüfung findet weder von Amts wegen statt noch er-
folgt sie stets in Gestalt einer Durchprüfung der gesamten
Wahl. Vielmehr erfolgt nach § 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG die
Wahlprüfung nur auf Einspruch, der zu begründen ist. Die
Begründung muss mindestens den Tatbestand, auf den die
Anfechtung gestützt wird, erkennen lassen und genügend
substantiierte Tatsachen enthalten (BVerfGE 40, 11/30).
Soweit der Einspruch zulässig ist, ist er offensichtlich unbe-
gründet.
Die Tatsache, dass der Spitzenkandidat der FDP, Dr. Guido
Westerwelle, von den Fernsehsendern nicht zur Teilnahme
an Sendungen mit den Kanzlerkandidaten eingeladen
wurde, begründet keinen Wahlfehler. Es liegt weder ein Ver-
stoß gegen § 5 Abs. 1 Parteiengesetz (ParteiG) noch gegen
den Grundsatz der Chancengleichheit vor. Ein Antrag der
FDP auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen
die Ablehnung der Teilnahme an einer der beiden Sendun-
gen durch die Intendanten des WDR und des ZDF wurde
durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. Juli
2002 (6 L 1634/02) und durch Beschluss des Oberver-
waltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom
15. August 2002 (8 B 1444/02) abgelehnt. Hierbei wurde
das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5
Abs. 1 ParteiG mit der Begründung verneint, es habe sich
um eine redaktionell gestaltete, von den Rundfunkanstalten
verantwortete Sendung und nicht um eine Wahlwerbesen-
dung gehandelt. Somit liegt eine öffentliche Leistung im
Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG, wonach alle Parteien
gleichbehandelt werden sollen, wenn ein Träger öffentlicher
Gewalt den Parteien öffentlichen Leistungen gewährt, nicht
vor. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleich-
heit ist von den Gerichten – unter Berücksichtigung des
Schutzes der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2
Grundgesetz für die betreffende Sendung – zu Recht abge-
lehnt worden, weil eine realistische Aussicht des Spit-
zenkandidaten der FDP, nach der Bundestagswahl 2002 das
Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen, nicht bestand. Da
das Konzept der Fernsehsendung darauf beruhte, die beiden
Politiker einander gegenüber zu stellen, die allein ernsthaft
damit rechnen konnten, zum Bundeskanzler gewählt zu
werden, hatten die FDP und ihr Spitzenkandidat dies als
Folge der bestehenden politischen Kräfteverhältnisse hin-
zunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine gegen
die beiden Gerichtsbeschlüsse gerichtete Verfassungsbe-
schwerde nicht zur Entscheidung angenommen (2 BvR
1332/02).
Der Einspruch ist somit teilweise als unzulässig im Sinne
des § 6 Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG und teilweise als offensicht-
lich unbegründet im Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG
zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 131 – Drucksache 15/1850

Anlage 33

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn K. S., 26135 Oldenburg

– Az.: WP 38/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2002 und vom 10. Novem-
ber 2002, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die
Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt. Zur Begründung führt er an,
er sei zu Unrecht als Beisitzer in einen Wahlvorstand des
Wahlkreises Oldenburg berufen worden.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2002 berief die Stadt Oldenburg
den Einspruchsführer zum Beisitzer des Wahlvorstandes des
Wahlbezirks 220 in Oldenburg. Der Einspruchsführer wurde
darauf hingewiesen, dass er das ihm übertragene Ehrenamt
aus einem wichtigen Grund ablehnen könne. Außerdem
wurde er auf das gemäß § 9 Bundeswahlgesetz (BWG) be-
stehende Widerspruchsrecht gegen die Erhebung personen-
bezogener Daten hingewiesen.
Mit Schreiben vom 20. September 2002 legte der Ein-
spruchsführer „Widerspruch“ gegen seine Berufung als Bei-
sitzer ein. Gleichzeitig beantragte er die „sofortige Einlei-
tung des Wahlprüfungsverfahrens, soweit die Berufung nur
in einem solchen Verfahren angefochten werden“ könne.
Mit Schreiben an den Deutschen Bundestag vom 22. Okto-
ber 2002 und vom 10. November 2002 hat der Einspruchs-
führer Einspruch gegen die Bundestagswahl 2002 eingelegt
und zugleich klargestellt, dass er dies vorbehaltlos tun
möchte.
In der Sache führt er aus, dass seine Heranziehung als Bei-
sitzer gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoße. Als Be-
diensteter der Stadt Oldenburg werde er seit 1979 zu jeder
Wahl berufen. Die Stadt Oldenburg bemühe sich nicht aus-
reichend um Freiwillige sowie um Daten anderer, besonders
geeigneter Wahlberechtigter. Diese Praxis ziele auf Kon-
fliktvermeidung mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie
auf Bequemlichkeit ab. Die eigenen Bediensteten der Stadt
Oldenburg würden in zu großem Umfang herangezogen, ge-
rade weil eine Möglichkeit fehle, sich gegen fehlerhafte Be-
rufungen zu wehren. Tausende von Wahlberechtigten seien
in Oldenburg noch nie Wahlhelfer gewesen. Das Ehrenamt
eines Wahlhelfers stelle minimale quantitative und qualita-
tive Tätigkeitsanforderungen. Außerdem gebe es in Olden-
burg insbesondere bei anderen Behörden und in kaufmänni-
schen sowie in juristischen Berufen zahlreiche Wahlberech-
tigte, die mit ihrer Vorbildung besonders für ein Wahlehren-

amt geeignet und trotzdem noch nie eingesetzt worden
seien.
Zum Verfahren vertritt der Einspruchsführer die Auffas-
sung, dass seine Berufung als Beisitzer in einen Wahlvor-
stand nur vor den Verwaltungsgerichten, nicht aber im
Wahlprüfungsverfahren angefochten werden könne. Die
Durchführung eines Wahlprüfungsverfahrens hält er demge-
genüber an und für sich für unzulässig, weil der Bürger hier
eine drohende Verletzung seiner Rechte nicht durch einen
Widerspruch bzw. eine Anfechtungsklage verhindern
könne. Bei der Berufung als Beisitzer in einen Wahlvor-
stand handele es sich nicht um eine Maßnahme im Sinne des
§ 49 BWG, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren be-
ziehe. Zudem sieht er in der Beschränkung auf das Wahlprü-
fungsverfahren eine Verletzung der Rechtsweggarantie in
Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Unabhängig davon
hält er an seinem Wahleinspruch auch für den Fall fest, dass
das Wahlprüfungsverfahren als zulässig angesehen wird.
Wegen des weiteren Vorbringens des Einspruchsführer wird
auf den Akteninhalt verwiesen.
Der Landeswahlleiter hat zu dem Einspruch wie folgt Stel-
lung genommen:
Die Stadt Oldenburg benötige für die Besetzung ihrer Wahl-
vorstände zur Durchführung einer Wahl ca. 1 200 wahlbe-
rechtigte Personen. Sie verfüge über einen gespeicherten
Datenbestand an städtischen und nichtstädtischen Wahlhel-
fern, den sie zu jeder Wahl als Grundlage für die Wahlhel-
ferrekrutierung heranziehe.
Der bei der Stadt Oldenburg als Beamter des gehobenen
Dienstes beschäftigte Einspruchsführer sei seit der Bundes-
tagswahl 1998 zu jeder Wahl als ehrenamtlicher Wahlhelfer
herangezogen worden und habe jeweils dagegen „Wider-
spruch“ eingelegt.
Entgegen den Aussagen des Einspruchsführer oblägen den
Wahlvorständen bei der Durchführung der Wahl verantwor-
tungsvolle und wahlentscheidende Aufgaben. Sie hätten am
Wahltag den ordnungsgemäßen Ablauf der Stimmabgabe
und die fehlerfreie Ermittlung und Feststellung des Wahler-
gebnisses im Wahlbezirk sicherzustellen. Im Rahmen dieser
Aufgaben hätten sie vielfältige Entscheidungen nach den
maßgeblichen wahlrechtlichen Bestimmungen zu treffen.
Dies erfordere eine gewisse Qualifikation. Zu den Qualifi-

Drucksache 15/1850 – 132 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

kationsmerkmalen gehörten z. B. Unparteilichkeit, Un-
eigennützigkeit, Gewissenhaftigkeit, Gerechtigkeitsempfin-
den, Verantwortungsbewußtsein, Zuverlässigkeit und die
Fähigkeit zu zügiger verfahrensmäßiger Abwicklung des
Wahlgeschäfts. Zugleich müsse die Gemeinde darauf ach-
ten, dass die Wahlvorstände mit erfahrenen und sachkundi-
gen Mitgliedern besetzt seien. Erfahrungen und Sachkunde
könnten aber nur im wiederholten Einsatz erworben und ge-
nutzt werden.
Aus diesem Grunde handele eine Gemeinde im Rahmen ih-
res pflichtgemäßen Ermessens, wenn sie nicht alle Wahlbe-
rechtigten gleichermaßen zum ehrenamtlichen Wahldienst
verpflichte. Sie könne sich dabei auf Gruppen konzentrie-
ren, u. a. auch auf Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes,
die auf Grund ihrer Ausbildung und Tätigkeit besonders ge-
eignet für die dem Wahlvorstand obliegenden Aufgaben
seien. Auch die wiederholte Berufung einzelner Wahlbe-
rechtigter in die Wahlvorstände überschreite nicht diesen
Ermessensrahmen. Mit der vorrangigen und wiederholten
Berufung von Bediensteten des Öffentlichen Dienstes als
Mitglieder der Wahlvorstände sei somit keine Verletzung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit oder des Gleich-
heitsgebotes verbunden. Dies gelte, sofern keine besonderen
Umstände vorlägen. Bei diesen Ausführungen bezieht sich
der Landeswahlleiter u. a. auf ein Urteil des Oberverwal-
tungsgerichts Lüneburg vom 28. Oktober 1997 (NVwZ-RR
1998, S. 533) und auf eine Wahlprüfungsentscheidung des
Deutschen Bundestages (Bundestagsdrucksache 13/2029,
Anlage 36).
Der Einspruchsführer habe Gründe, die die Ablehnung der
Übernahme eines Wahlehrenamtes für die Bundestagswahl
2002 gerechtfertigt hätten, nicht vorgebracht, so dass eine
Übernahmeverpflichtung für den Einspruchsführer bestan-
den habe. Angesichts der auch im Hinblick auf die inzwi-
schen vom Einspruchsführer gewonnenen Erfahrungen rela-
tiv geringen Belastung, die mit der Tätigkeit im Wahlvor-
stand verbunden sei, stehe seine Inanspruchnahme nicht au-
ßer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck, seine auf Grund
der wiederholten Ausübung von Wahlehrenämtern gewon-
nenen Erfahrungen in Anspruch zu nehmen, um eine ord-
nungsgemäße Tätigkeit der Wahlvorstände und die damit
verbundene fehlerfreie Durchführung der Bundestagswahl
zu gewährleisten.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme bekanntge-
geben worden. Er hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Er werde seit nunmehr knapp 24 Jahren in Wahlehrenämter
berufen, fechte seine Berufungen aber erst seit 1998 an. Er
bezweifle, dass das vom Landeswahlleiter angeführte Urteil
des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 28. Oktober
1997 (NVwZ-RR 1998, S. 533) einen vergleichbaren Sach-
verhalt betreffe. Er gehe davon aus, dass Gegenstand dieser
Entscheidung eine Berufung zum (stellvertretenden) Wahl-
vorsteher gewesen sei und nicht – wie in seinem Fall – eine
Berufung zum Beisitzer. Im Gegensatz zum (stellvertreten-
den) Wahlvorsteher habe ein Beisitzer in der Regel keine
Entscheidungen zu treffen, die eine gewisse Qualifikation
erforderten. Im Gegensatz zu den Wahlvorstehern und des-
sen Vertretern würden Beisitzer nicht geschult.
Unabhängig davon sei die Entscheidung des Oberverwal-
tungsgerichts Lüneburg kein Freibrief dafür, immer wieder
nur auf die eigenen Bediensteten zurückzugreifen. Da er be-

reits 1998 erklärt habe, für zukünftige Wahlen nicht mehr
zur Verfügung zu stehen, und außerdem einer Speicherung
seiner Daten widersprochen habe, sei es geboten, an seine
Heranziehung als Beschäftigter des Öffentlichen Dienstes
einen besonders strengen Maßstab anzulegen. Der Landes-
wahlleiter habe auch keine Bemühungen um besonders ge-
eignete Wahlberechtigte aus anderen Bereichen des Öffent-
lichen Dienstes (Bezirksregierung, Bundeswehrverwaltung,
Landesversicherungsanstalt, Sparkassen, Justizbehörden
u. a.) dargelegt oder gar nachgewiesen. Die Tatsache, dass
der Einspruchsführer seit 1979 herangezogen werde, und
seine im Jahr 1998 erklärte Ablehnung bezüglich einer He-
ranziehung zu zukünftigen Wahlen seien als besonderer
Umstand im Sinne der zitierten Entscheidung des Oberver-
waltungsgerichts Lüneburg anzusehen.
Die Stadt Oldenburg beschäftige einschließlich ihrer eige-
nen Betriebe rund 2 500 besonders geeignete Mitarbeiter,
von denen einige noch nie berufen worden seien. Eine Beru-
fung als Wahlhelfer stelle entgegen der Einschätzung des
Landeswahlleiters keine nur relativ geringe Belastung dar.
Er habe in der Vergangenheit bereits auf einen gemeinsa-
men Urlaub mit seiner damaligen Lebensgefährtin verzich-
ten bzw. zu ungünstigen, „teueren“ Zeiten in Urlaub fahren
müssen. Auch eine Klausurvorbereitung im Abschluss-
semester zur Laufbahnprüfung zum gehobenen Dienst sei
nicht als Ablehnungsgrund akzeptiert worden. Wegen des
weiteren Vortrags des Einspruchsführer wird auf den Akten-
inhalt Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist zulässig, aber offensichtlich unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers hat der
Deutsche Bundestag die Entscheidungskompetenz für sei-
nen Wahleinspruch. Bei der Berufung des Einspruchsfüh-
rers zum Beisitzer des Wahlvorstandes des Wahlbezirks 220
in Oldenburg handelt es sich um einen Wahlverfahrensakt,
der nach Artikel 41 Grundgesetz (GG) und § 49 Bundes-
wahlgesetz (BWG) im Wahlprüfungsverfahren anfechtbar
ist.
Für die vergleichbare Frage bei Wahlen zum Europäischen
Parlament hat der Bundestag in der 13. Wahlperiode auf-
grund einer Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsaus-
schusses das Wahlprüfungsverfahren als zulässig angesehen
(vgl. Bundestagsdrucksache 13/2029, Anlage 36; ebenso
Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 11 Rn. 2). Nach Arti-
kel 41 Abs. 1 Satz 1 GG ist die Wahlprüfung Sache des
Bundestages. Diese Regelung wird in § 49 BWG näher aus-
gestaltet. Hiernach können Entscheidungen und Maßnah-
men, die sich unmittelbar auf das Wahlverfahren beziehen,
nur mit den im Bundeswahlgesetz und in der Bundeswahl-
ordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie im Wahlprü-
fungsverfahren angefochten werden. Für die Heranziehung
als Wahlhelfer ist eine spezielle Anfechtungsmöglichkeit im
Bundeswahlgesetz oder in der Bundeswahlordnung nicht
vorgesehen. Somit kommt es darauf an, ob es sich hierbei

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 133 – Drucksache 15/1850

um eine Entscheidung handelt, die sich unmittelbar auf das
Wahlverfahren bezieht. Gegenstand der Wahlprüfung sind
die Wahlen in ihrer Gesamtheit. Hierzu gehört nicht nur die
Ermittlung der Wahlergebnisse, sondern alle die Wahlergeb-
nisse tragenden Wahlvorgänge und das gesamte ihnen zu-
grundeliegende Wahlverfahren. Hierzu gehören insbeson-
dere auch Maßnahmen zur Vorbereitung der Wahl (Bundes-
tagsdrucksache 13/2029, Anlage 36; Verwaltungsgericht
Göttingen, Urteil vom 25. April 1996, Niedersächsisches
Verwaltungsblatt 1996, S. 211 f.).
Zwar gehen einige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen
davon aus, dass die Bildung der Wahlvorstände das Wahl-
verfahren vorbereite und es sich um eine der Ausübung des
aktiven und passiven Wahlrechts vorgelagerte Maßnahme
handele (Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom
28. Oktober 1997, NVwZ-RR 1998, S. 533 f.; Verwaltungs-
gericht Koblenz, Urteil vom 19. Januar 1993, NVwZ-RR
1994, S. 226; Verwaltungsgericht Oldenburg, Urteil vom
9. Februar 1996, NVwZ-RR 1997, S. 432 ff.), so dass der
Weg zu den Verwaltungsgerichten gemäß § 40 Verwaltungs-
gerichtsordnung (VwGO) offen stehe. Diese Auffassung be-
rücksichtigt aber nicht hinreichend, dass Gegenstand der
Wahlprüfung die Wahlen in ihrer Gesamtheit sind. Die
Frage, ob eine Entscheidung oder Maßnahme einen unmit-
telbaren Bezug zum Wahlverfahren hat oder nur anlässlich
der Wahl ergangen ist, ist unter Berücksichtigung von Sinn
und Zweck des § 49 BWG vorzunehmen. Zweck dieser Vor-
schrift ist es, dass die Wahl gleichzeitig und termingerecht
durchgeführt und deshalb die Rechtskontrolle der in diesem
Zusammenhang ergangenen Einzelentscheidungen wäh-
rend des Wahlablaufs begrenzt wird und im Übrigen einem
nach der Wahl stattfindenden Wahlprüfungsverfahren vor-
behalten bleibt (BVerfGE 14, S. 154 f.). Eine sich unmittel-
bar auf das Wahlverfahren beziehende Entscheidung liegt
vor, wenn ohne den Ausschluss der allgemeinen Rechtsbe-
helfe die ordnungsgemäße und termingerechte Durchfüh-
rung der Wahl wesentlich behindert oder vereitelt würde.
Für den ordnungsgemäßen und termingerechten Ablauf des
Wahlverfahrens ist die Bildung der Wahlvorstände und die
Heranziehung hierzu von erheblicher Bedeutung. Die Wahl-
vorstände treffen alle während der Wahlhandlung erforder-
lichen Entscheidungen und sind für die Ermittlung und
Feststellung des Wahlergebnisses im Stimmbezirk verant-
wortlich. Würde Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerich-
ten einschließlich eines verwaltungsinternen Widerspruchs-
verfahrens gewährt, so hinge die ordnungsgemäße und
termingerechte Durchführung der Wahl von der Intensität
der Inanspruchnahme dieser Rechtsschutzverfahren ab. So-
mit bezieht sich bereits die Berufung als Beisitzer zum
Wahlvorstand unmittelbar auf das Wahlverfahren (vgl.
Bundestagsdrucksache 13/2029, Anlage 36; Gerhard Deter:
Der Rechtsweg bei Streitigkeiten um die Besetzung von
Wahlausschüssen und Wahlvorständen, in: VBlBW 1997,
S. 93 ff.).
Eine andere, die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs
erzwingende Auslegung erfordert auch nicht Artikel 19
Abs. 4 GG, wonach der Rechtsweg offen steht, wenn je-
mand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten ver-
letzt wird. Artikel 41 GG, wonach die Wahlprüfung Sache
des Bundestages ist und der die Beschwerde an das Bundes-
verfassungsgericht gegen dessen Entscheidung zulässt, ist
eine speziellere Regelung zu Artikel 19 Abs. 4 GG. Somit

wird die Korrektur etwaiger Wahlfehler einschließlich sol-
cher, die Verletzungen subjektiver Rechte enthalten, dem
Rechtsweg des Artikel 19 Abs. 4 GG entzogen (BVerfGE
22, S. 277/281; Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 49
Rn. 5). Schließlich scheitert die Zulässigkeit des Verwal-
tungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO bereits da-
ran, dass Wahlen zum Bundestag einschließlich der hierzu
ergehenden Wahlverfahrensakte staatsorganisatorisches Tun
mit verfassungsrechtlichem Charakter darstellen (Schreiber,
Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 2).
Da somit die Entscheidungskompetenz des Deutschen Bun-
destages für den Einspruch besteht und dieser auch form-
und fristgerecht eingegangen ist, ist er zulässig.
Er ist jedoch offensichtlich unbegründet, weil eine Verlet-
zung wahlrechtlicher Vorschriften aus dem vorgetragenen
Sachverhalt nicht ersichtlich ist.
Der Einspruchsführer ist zu Recht zum Beisitzer des Wahl-
vorstandes des Wahlbezirks 220 berufen worden. Nach § 11
BWG üben die Mitglieder der Wahlvorstände ihre Tätigkeit
ehrenamtlich aus. Zur Übernahme dieses Ehrenamtes ist je-
der Wahlberechtigte verpflichtet. Das Ehrenamt darf nur aus
wichtigen Gründen abgelehnt werden. Die Vorschrift des
§ 9 BWO konkretisiert die Ablehnungsgründe für die Über-
nahme eines Wahlehrenamtes. Nach § 9 Nr. 4 BWO können
Wahlberechtigte, die glaubhaft machen, dass ihnen die Für-
sorge für ihre Familie die Ausübung des Amtes in besonde-
rer Weise erschwert, die Übernahme ablehnen. Ebenso kön-
nen dies Wahlberechtigte, die glaubhaft machen, dass sie
aus dringenden beruflichen Gründen oder durch Krankheit
oder Gebrechen oder aus einem sonstigen wichtigen Grunde
gehindert sind, das Amt ordnungsmäßig auszuüben.
Einen wichtigen Grund in diesem Sinne trägt der Ein-
spruchsführer nicht vor. Er wendet sich jedoch gegen die
Art und Weise der Ermessensausübung der Stadt Oldenburg
bei seiner Heranziehung zum Beisitzer. Ein Ermessensfeh-
ler ist allerdings nicht ersichtlich.
Der Landeswahlleiter hat überzeugend dargelegt, dass eine
Gemeinde im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens
handelt, wenn sie sich bei der Heranziehung auf Gruppen
wie z. B. auf Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes kon-
zentriert, die auf Grund ihrer Ausbildung und Tätigkeit be-
sonders prädestiniert für die dem Wahlvorstand obliegenden
Aufgaben sind. Hiervon ist auch der Gesetzgeber beim Er-
lass der Vorschrift des § 9 Abs. 5 BWG ausgegangen. Die in
dieser Vorschrift im Einzelnen aufgeführten Gebietskörper-
schaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts
sowie sonstige der Aufsicht der Länder unterstehende juris-
tische Personen des öffentlichen Rechts sind hiernach zur
Sicherung der Wahldurchführung auf Ersuchen der Gemein-
debehörden verpflichtet, aus ihrem Bedienstetenkreis Perso-
nen zu benennen, die im Gebiet der ersuchenden Gemeinde
wohnen. Damit hat der Gesetzgeber dem Umstand Rech-
nung getragen, dass Angehörige des Öffentlichen Dienstes
durch ihre berufliche Tätigkeit, die sie u. a. zu Unparteilich-
keit, Uneigennützigkeit und Gewissenhaftigkeit verpflich-
tet, für die Mitarbeit in Wahlvorständen generell besonders
qualifiziert sind (Wolfgang Schreiber: Novellierungen des
Wahlrechts zum Deutschen Bundestag – Das 15. und
16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom
27. April 2001, in: NVwZ 2002, S. 1/4). Entgegen der Auf-
fassung des Einspruchsführers oblag der Stadt Oldenburg

Drucksache 15/1850 – 134 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

keine Darlegungs- oder gar Beweislast, dass sie Beschäf-
tigte des Öffentlichen Dienstes aus anderen Bereichen in
gleichem Umfang herangezogen hat wie diejenigen der
Stadt Oldenburg. Insoweit reicht es für eine pflichtgemäße
Ermessensausübung aus, dass Beschäftigte bestimmter Be-
reiche bei der Heranziehung als Wahlhelfer nicht willkür-
lich bevorzugt oder benachteiligt worden sind. Hierfür be-
stehen vorliegend keine Anhaltspunkte.
Soweit der Einspruchsführer anführt, er werde bereits seit
1979 als ehrenamtlicher Wahlhelfer herangezogen, ist dies
kein Gesichtspunkt, der die Stadt Oldenburg zu einer
Nichtheranziehung des Einspruchsführers verpflichtet hätte.
Eine – auch mehrmals – wiederholte Berufung einzelner
Wahlberechtigter in die Wahlvorstände überschreitet grund-
sätzlich nicht den Ermessensrahmen der Gemeinden. Dies
gilt auch dann, wenn der Betreffende – wie hier der Ein-
spruchsführer – bereits erklärt hat, er wolle bei zukünftigen
Wahlen nicht mehr als ehrenamtlicher Helfer zur Verfügung
stehen. Eine solche Erklärung können mit Erfolg Wahlbe-
rechtigte abgeben, die amWahltage das 65. Lebensjahr voll-
endet haben (§ 9 Nr. 3 BWO). Außerhalb dieses besonderen
Grundes für eine Ablehnung bedarf die mehrmalige Heran-
ziehung eines Wahlberechtigten grundsätzlich keiner beson-
deren Rechtfertigung. Wäre die Erklärung eines Wahlbe-
rechtigten, in Zukunft ein Wahlehrenamt nicht mehr über-
nehmen zu wollen, maßgeblich, so stünde dies im Wider-
spruch zu § 11 Satz 2 BWG, wonach eine Verpflichtung zur
Übernahme des Ehrenamtes besteht und somit die Über-
nahme grundsätzlich nicht auf freiwilliger Basis erfolgt.
Ebenso wenig kann aus dem Widerspruch des Einspruchs-
führers gegen die Speicherung seiner personenbezogenen
Daten zum Zwecke der Berufung zum Mitglied eines Wahl-
vorstandes gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 BWG hergeleitet wer-
den, der Widersprechende dürfe künftig nicht mehr zu
einem Wahlehrenamt herangezogen werden. Das Wider-
spruchsrecht hat den Zweck, dem Betreffenden die Mög-
lichkeit einzuräumen, eine weitere Nutzung (Verarbeitung)
seiner persönlichen Daten zu verhindern (Schreiber, Novel-

lierungen, a. a. O., NVwZ 2002, S. 1/4). Auf die Ermes-
sensausübung bei der Heranziehung ehrenamtlicher Wahl-
helfer hat ein solcher Widerspruch demgegenüber keinen
Einfluss.
Zwar trifft die Vermutung des Einspruchsführers zu, das an-
geführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom
28. Oktober 1997 betreffe die Berufung eines Wahlvorste-
hers und nicht die Berufung eines Beisitzers in den Wahl-
vorstand. Daraus kann jedoch nicht die Schlussfolgerung
gezogen werden, die dort genannte Begründung treffe auf
den vom Einspruchsführer vorgetragenen Sachverhalt nicht
zu. Im Gegensatz zur Auffassung des Einspruchsführers ha-
ben Beisitzer sehr wohl Entscheidungen zu treffen, die eine
gewisse Qualifikation erfordern. Dies gilt beispielsweise für
die Entscheidung über Stimmzettel, die Anlass zu Bedenken
geben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 BWO) sowie für die Genehmi-
gung der Wahlniederschrift, die die Ermittlung und Feststel-
lung des Wahlergebnisses beinhaltet (§ 72 Abs. 1 Satz 2
BWO). Dies sind sehr weitreichende Entscheidungen, die
vom gesamten Wahlvorstand zu treffen sind. Soweit Beisit-
zer – wie dies der Einspruchsführer vorträgt – nicht geschult
werden, ist es um so wichtiger, auf Beisitzer zurückzugrei-
fen, die bereits bei vorangegangenen Wahlen Erfahrungen
gesammelt haben.
Soweit der Einspruchsführer schließlich gewisse Belastun-
gen anführt, die seiner Ansicht nach mit der Übernahme ei-
nes Wahlehrenamtes verbunden sind, so ist dies bei der Er-
messensausübung nicht besonders zu berücksichtigen. Im
Rahmen des § 11 BWG und des § 9 BWO müssen diese Be-
lastungen grundsätzlich hingenommen werden.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Stadt Ol-
denburg sich bei der Berufung des Einspruchsführers zum
Beisitzer von sachfremden Erwägungen hätte leiten lassen
oder gar willkürlich gehandelt hätte. Ein Wahlfehler liegt
deshalb nicht vor.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 135 – Drucksache 15/1850

Anlage 34

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn Dr. H. F., 53721 Siegburg

– Az.: WP 14/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. September 2002 an den Kreiswahl-
leiter und an den Wahlleiter der Stadt Siegburg, das am
30. September 2002 beim Deutschen Bundestag eingegan-
gen ist, hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die Wahl
zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 ein-
gelegt. In weiteren Schreiben, insbesondere in zwei Schrei-
ben vom 6. Oktober 2002, hat er auf das Schreiben vom
22. September 2002 Bezug genommen und weitere Ein-
spruchsgründe vorgetragen.
Der Einspruchsführer war Einzelbewerber im Wahlkreis 98
(Rhein-Sieg-Kreis I) für die Gruppierung „Ab jetzt …
Bündnis für Deutschland“. Er firmiert als Bundesvorsitzen-
der und als Kreisvorsitzender (Rhein-Sieg-Kreis) dieser
Partei. Die Partei „Ab jetzt … Bündnis für Deutschland“
wurde in den Ländern Baden-Württemberg, Nordrhein-
Westfalen und Niedersachsen nicht mit ihren Landeslisten
zur Bundestagswahl zugelassen, weil sie jeweils das Quo-
rum von 2 000 Unterstützungsunterschriften nicht erreichte.
Der Einspruchsführer wendet sich im Wesentlichen dage-
gen, dass das Feld mit seinem Wahlvorschlag als Direktkan-
didat auf dem Stimmzettel weggefaltet worden sei und dass
bei seiner Stimmabgabe am elektronischen Wahlgerät das
Wahlgeheimnis verletzt worden sei. Außerdem macht er
– neben weiteren Einspruchsgründen – geltend, dass die von
seiner Partei eingereichten Landeslisten hätten zugelassen
werden müssen, da das Erfordernis eines Unterschriften-
quorums unzulässig sei.
Hinsichtlich der Falzung der Stimmzettel ist der Sachverhalt
zwischen den Beteiligten unstreitig. Ein Muster des Stimm-
zettels liegt dem Wahlprüfungsausschuss in der vorgegebe-
nen Faltung vor. Auf diesem Stimmzettel war der Ein-
spruchsführer im Feld 20 der Wahlvorschläge (letztes Feld)
als Bewerber für die Erststimme eingetragen. Im Feld 19
waren der Direktkandidat der „Schill-Partei – Partei Rechts-
staatlicher Offensive“ und die Landesliste dieser Partei ein-
getragen (vgl. Wahleinspruch WP 15/02). Die Stimmzettel
waren auf das Format DIN A 5 (Schrift nach innen) insge-
samt dreimal gefalzt, und zwar so, dass der obere Teil des
Stimmzettels mit dem Hinweis auf den Bundestagswahl-
kreis zu lesen war. Die untere Falzung war so gestaltet, dass
durch einen ca. 3 cm breiten Rand das Feld 18 bis zur Mitte

und die Felder 19 und 20 abgedeckt waren. Im Wahlkreis 99
war ein anderer Einzelbewerber der Partei „Ab jetzt …
Bündnis für Deutschland“ in Feld 20 eingetragen. Der
Stimmzettel war ebenso gestaltet und gefalzt wie im Wahl-
kreis 98.
Der Einspruchsführer trägt vor, er sei von Wählern in bei-
den Wahlkreisen angerufen und darauf hingewiesen wor-
den, dass sie die Bewerber seiner Partei auf dem Stimmzet-
tel nicht gefunden hätten. Die schmale „Wegfaltung“ sei als
Rand angesehen worden. Die meisten Wähler hätten diesen
Rand nicht aufgeklappt. Korrekt wäre es nach Auffassung
des Einspruchsführers gewesen, den Stimmzettel einmal in
der Mitte zu falten. Die Kandidaten seiner Partei seien in
den Wahlkreisen 98 und 99 in unzulässiger Art und Weise
benachteiligt worden.
Als weiteren Einspruchsgrund trägt der Einspruchsführer
vor, bei seiner Stimmabgabe im Wahllokal sei das Wahlge-
heimnis verletzt worden. Bei der Stimmabgabe am elektro-
nischen Wahlgerät habe er lediglich seine Erststimme abge-
geben. Nach Abgabe dieser Erststimme habe er „Stimm-
abgabe“ bestätigt. Durch eine „Geisterstimme“ aus dem
Wahlvorstand sei ihm anschließend „befohlen“ worden:
„Sie müssen jetzt noch rechts wählen!“ Er habe geantwor-
tet: „Das will ich aber nicht“. Daraufhin sei ihm geantwortet
worden: „Dann müssen sie jetzt ‚ungültig‘ wählen“. Diesem
Rat sei er gefolgt und habe dann „Stimmabgabe“ bestätigt.
Beim Verlassen der Wahlkabine habe ihm die „Geister-
stimme“ nachgerufen: „Sie haben nur links gewählt“. Im
Wahllokal hätten noch mindestens vier Wähler neben dem
dreiköpfigen Wahlvorstand gestanden, die Zeuge der seiner
Ansicht nach offenen Wahl geworden seien. Die Aufforde-
rung, „rechts“ zu wählen, und die Bestätigung, „links“ ge-
wählt zu haben, seien ein Verstoß gegen die Wahlgrund-
sätze.
Der Kreiswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men, wobei er hinsichtlich der Bedienung des Wahlgerätes
auf ein Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Siegburg als
Wahlleiter verweist:
Wegen der Einführung von elektronischen Wahlgeräten in
den Siegburger Wahlbezirken sei allen Wahlbenachrichti-
gungskarten ein gelbes DIN A4 Faltblatt beigelegt worden,
das über die Handhabung der elektronischen Wahlgeräte in-

Drucksache 15/1850 – 136 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

formiert habe. Die Innenseite des Blattes zeige die Abbil-
dung der Bedienfläche des elektronischen Wahlgerätes und
damit die Druckflächen „Korrektur“ und „Ungültig“. Die
erste Seite enthalte den Hinweis, dass die Bedienung des
elektronischen Wahlgerätes in den Räumen der Stadtver-
waltung getestet werden könne. Zudem seien zwei Telefon-
nummern für Rückfragen angegeben worden. Auch im In-
ternet und in der Presse sei umfänglich über die elektroni-
schen Wahlgeräte informiert worden. Den Wählerinnen und
Wählern sei in Eingangsnähe des Wahllokals anhand der
nach der Bundeswahlgeräteverordnung gesetzlich vorge-
schriebenen Abbildung der Ablauf zur Stimmabgabe erklärt
worden. Bei der Stimmabgabe würden Wählerinnen und
Wähler über das beleuchtete Menü des elektronischen
Wahlgerätes geführt. Der jeweils notwendige Folgeschritt
werde über das Display angezeigt.
Sowohl der Wahlvorsteher als auch ein Beisitzer könnten
sich an die Stimmabgabe des Einspruchsführer erinnern,
dessen Darstellung jedoch nicht bestätigen. So hätte der
Einspruchsführer nach Abgabe der Erststimme längere Zeit
nicht seine Zweitstimme ausgewählt, weshalb der Wahlvor-
steher ihn von seinem Platz aus aufgefordert habe, noch die
Zweitstimme auszuwählen und anschließend die Schaltflä-
che „Stimmabgabe“ zu drücken. Nach Drücken der Fläche
„Stimmabgabe“ habe er Wahlgerät und Wahllokal verlas-
sen. Da der Wahlvorstand nach einer erfolgreichen Stimm-
abgabe in seinem Display „Wahl freigeben“ sehe, sei für
den Wahlvorsteher erkennbar gewesen, dass der Ein-
spruchsführer beide Stimmen abgegeben habe. Insofern
habe keine Veranlassung bestanden, dem Einspruchsführer
weitere Informationen zukommen zu lassen. Eine Verlet-
zung des Wahlgeheimnisses liege demnach nicht vor.
Zur Gestaltung und Falzung des Stimmzettels wird ausge-
führt, dass entsprechend einem Erlass der Landeswahllei-
terin das Format der Stimmzettel den Empfehlungen der
Arbeitsgemeinschaft der Blindenverbände in Nordrhein-
Westfalen angepasst worden sei, um möglichst vielen Blin-
den und sehbehinderten Menschen die Teilnahme an der
Bundestagswahl mit Hilfe einer Wahlschablone zu erleich-
tern. Durch diese Empfehlungen und durch die Zahl der
Kandidaten und Parteien sei die Gesamtlänge der Stimmzet-
tel bestimmt worden.
Den Wählerinnen und Wählern habe die Falzung am unte-
ren Ende des Stimmzettels auffallen müssen. Es habe daher
in ihrer Macht gelegen, den Stimmzettel vollständig aufzu-
falten. Außerdem sei nach § 48 Abs. 2 Bundeswahlordnung
(BWO) der Stimmzettel als Muster am oder im Eingang des
Gebäudes, in dem sich der Wahlraum befinde, anzubringen.
Dadurch habe sich jeder Wähler auch schon vorher über die
Wahlvorschläge informieren können.
Die Einzelbewerber der Partei „Ab jetzt … Bündnis für
Deutschland“ hätten im Wahlkreis 98 (Rhein-Sieg-Kreis I)
118 von 178 571 gültigen Stimmen und im Wahlkreis 99
(Rhein-Sieg-Kreis II) 141 von 170 213 gültigen Stimmen
erhalten. Dies entspreche einem Anteil von 0,066 % (Wahl-
ergebnis des Einspruchsführers) bzw. von 0,083 %.
Der Einspruchsführer hat sich zu dieser Stellungnahme wie
folgt geäußert:
Die Darstellung zu seiner elektronischen Stimmabgabe
treffe nicht zu. Zutreffend sei die vom Einspruchsführer dar-

gestellte Version. Er beantragt hierzu eine Zeugenverneh-
mung des gesamten Wahlvorstandes.
Unabhängig davon sei dem Einspruchsführer von Proble-
men mehrerer Wählerinnen und Wählern bei der elektroni-
schen Stimmabgabe berichtet worden. Ohne die Hilfe von
Wahlvorstandsmitgliedern hätte z. B. eine namentlich vom
Einspruchsführer benannte Wählerin nicht wählen können.
Er beantragt, die betreffende Wählerin als Zeugin vorzula-
den. Zu beanstanden sei auch, dass man eine Taste „ungül-
tig“ drücken müsse, wenn man sich der Stimme enthalten
wolle. Sich enthalten heiße jedenfalls nicht „ungültig“. Dies
sei missverständlich.
Zur Falzung der Stimmzettel führt der Einspruchsführer
aus, die Berücksichtigung der Empfehlungen der Arbeitsge-
meinschaft der Blindenverbände in Nordrhein-Westfalen
dürfe nicht zu einer derart gravierenden Benachteiligung
von Wahlbewerbern auf dem Stimmzettel führen. Der
Stimmzettel dürfe nicht so wie geschehen am unteren Ende
gefaltet werden. Die Stimmzettel hätten entweder ungefaltet
herausgegeben werden müssen oder mit einer Falzung in
der Mitte. Er benennt einen Wähler als Zeugen, der ihn auf
die mit dem „Wegfalten“ verbundenen Probleme hingewie-
sen hätte und dessen Angehörige den Wahlvorschlag der
Partei „Ab jetzt … Bündnis für Deutschland“ nicht auf dem
Stimmzettel gefunden hätten. Die gravierende Benachteili-
gung seiner Partei werde durch das vom Kreiswahlleiter
mitgeteilte Wahlergebnis deutlich. Bei der Bundestagswahl
1998 habe seine Partei ein Wahlergebnis erzielt, das um ein
Vielfaches höher gelegen habe. Bei Kommunalwahlen hätte
das Wahlergebnis in Siegburg bei „mindestens 2,5 %“ gele-
gen.
Der Bundeswahlleiter hat die Mitglieder des Bundeswahl-
ausschusses bei dessen 3. Sitzung am 9. Oktober 2002 über
den streitgegenständlichen Sachverhalt (Faltung der Stimm-
zettel in den Wahlkreisen 98 und 99) informiert.
Als weiteren Einspruchsgrund führt der Einspruchsführer
an, die Partei „Ab jetzt … Bündnis für Deutschland“ sei in
drei Bundesländern zu Unrecht nicht mit einer Landesliste
zur Bundestagswahl zugelassen worden. Er beantragt die
Wiederholung der Bundestagswahl in allen Bundesländern
mit Teilnahme dieser Partei, wobei auf die Zulassungsvo-
raussetzung eines Unterschriftenquorums zu verzichten sei.
Das Quorum von 2 000 Unterstützungsunterschriften ver-
stoße gegen die „Charta von Paris für ein neues Europa“
vom 21. November 1990 (Erklärung des Pariser KSZE-
Treffens der Staats- und Regierungschefs). Die Nennung
der Partei in Verfassungsschutzberichten und die Beobach-
tung durch den Verfassungsschutz hätten die Unterschriften-
sammlung behindert. In Baden-Württemberg habe die Poli-
zei die geleisteten Unterschriften nach deren Beschlag-
nahme ausgewertet und so gegen Datenschutzbestimmun-
gen verstoßen.
In der 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses am 1. August
2002 wurden die Beschwerden der Partei „Ab jetzt …
Bündnis für Deutschland“ gegen die Nichtzulassung ihrer
Landeslisten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg
und Niedersachsen zurückgewiesen. Die Beschwerde über
die Nichtzulassung der Landesliste in Nordrhein-Westfalen
wurde wie folgt begründet: Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 in Ver-
bindung mit § 18 Abs. 2 Bundeswahlgesetz (BWG) müss-
ten Landeslisten von Parteien, die weder im Deutschen

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 137 – Drucksache 15/1850

Bundestag noch in einem Landtag seit deren letzter Wahl
mit mindesten fünf Abgeordneten vertreten gewesen seien,
in Nordrhein-Westfalen von 2 000 Wahlberechtigten per-
sönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Die Ausnah-
men von dieser Vorschrift zu Parteien nationaler Minderhei-
ten seien hier nicht einschlägig. Die Partei sei weder im
Deutschen Bundestag noch in einem Landtag vertreten und
habe für ihre Landesliste in Nordrhein-Westfalen lediglich
658 Unterschriften eingereicht. Soweit sich die Beschwer-
deführerin darauf berufe, sie habe das Fehlen der Unterstüt-
zungsunterschriften nicht zu vertreten und ihre Landesliste
hätte daher zugelassen werden müssen, könne ihr aus fol-
genden Gründen nicht gefolgt werden: Der Vortrag zur Er-
wähnung in Verfassungsschutzberichten und einer angeb-
lichen „Extremismus-, Hetz- und Rufmord-Kampagne“
könne der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Es sei
nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin an der
Sammlung von Unterstützungsunterschriften tatsächlich ge-
hindert worden sei. Im politischen Meinungsstreit müsse
eine Partei hinnehmen, dass der politische Gegner ihre Ziele
bewerte und unter Umständen nachdrücklich kritisiere.
Dem Bundeswahlausschuss seien keine konkreten Anhalts-
punkte dafür bekannt geworden, dass sich Sympathisanten
der Beschwerdeführerin durch eine solche Kampagne daran
gehindert gesehen hätten, für die Landesliste der Beschwer-
deführerin in Nordrhein-Westfalen Unterschriften zu leis-
ten. Eine solche Behinderung sei insbesondere nicht in der
Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz und
ihre Aufnahme in Verfassungsschutzberichte zu sehen. Eine
derartige Aufnahme stelle lediglich einen faktischen Nach-
teil dar, gegen den eine Partei nicht durch Artikel 21 Grund-
gesetz geschützt sei. Die Erwähnungen der Beschwerdefüh-
rerin in den Verfassungsschutzberichten beschränkten sich
auf die Wiedergabe der Organisationsstruktur, einiger be-
kannt gewordener politischer Betätigungen und Wahlteil-
nahmen sowie auf die Aussage, dass die Beschwerdeführe-
rin den kleineren und unbedeutenden rechtsextremistischen
Vereinigungen zuzuordnen sei. Eine Verletzung des Grund-
satzes der Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21
Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 38 Abs. 1 Grundge-
setz liege daher ebenfalls nicht vor.
Eine Verletzung des Grundsatzes der Wahlrechtsgleichheit
durch § 27 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 18 Abs. 2
BWG sei durch den Bundeswahlausschuss nicht zu prüfen,
da die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher
Vorschriften dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten
sei. Im Übrigen vertrete das Bundesverfassungsgericht in
ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die Forde-
rung eines angemessenen Unterschriftenquorums bei der
Einreichung von Wahlvorschlägen nicht gegen den Grund-
satz der Wahlrechtsgleichheit verstoße (BVerfGE 3, 19/30;
BVerfGE 67, 369/380).
Die Beschwerdeentscheidungen zu den Landeslisten in Nie-
dersachsen und Baden-Württemberg sind ähnlich begrün-
det. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift über
die 2. Sitzung des Bundeswahlausschusses am 1. August
2002 verwiesen.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 24. Juli 2002 ein-
stimmig einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung der Partei „Ab jetzt … Bündnis für Deutschland“ zu-
rückgewiesen (2 BvQ 38/02). Die Partei hatte u. a. bean-

tragt, sie ohne die Vorlage von Unterstützungsunterschriften
(§ 27 Abs. 1 BWG) für die Landeslisten der 16 Bundeslän-
der zur Bundestagswahl zuzulassen und es außerdem zu un-
terlassen, sie als „rechtsextremistische“ Partei in den Ver-
fassungsschutzberichten zu führen, und dazu einen Wider-
ruf zu bringen. In der Begründung führt das Bundesverfas-
sungsgericht u. a. aus, es habe zuletzt mit Beschluss vom
17. Oktober 1990 das in § 27 Abs. 1 Satz 2 BWG geforderte
Unterschriftsquorum unter Hinweis auf seine bisherige
Rechtsprechung ausdrücklich gebilligt. Der Gesetzgeber
dürfe sicherstellen, dass nur solche Wahlvorschläge einge-
reicht würden, die ernst zu nehmen seien (vgl. BVerfGE 82,
353/364, BVerfGE 3, 19/29). Möglichen Erschwernissen
bei der Werbung um Unterstützungsunterschriften durch
eine angeblich rechtswidrige Bewertung als rechtsextremis-
tisch durch die zuständigen Ämter des Verfassungsschutzes
müsse der Antragsteller zunächst mit Hilfe der Fachgerichte
entgegenzuwirken suchen. Insoweit sei dem Erfordernis der
Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 Satz 2 Bundesverfas-
sungsgerichtsgesetz) nicht genügt worden.
Der Einspruchsführer hat außerdem Vorgänge und Entschei-
dungen zu verwaltungsgerichtlichen Verfahren und zu ei-
nem Antrag beim Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften sowie weiteres Material zu seiner Angelegenheit
vorgelegt. Wegen der Einzelheiten zu diesem Vortrag
(Nichtzulassung der Partei als Landesliste in drei Bundes-
ländern) wird auf das diesbezügliche Schreiben vom
6. Oktober 2002 nebst Anlagen verwiesen.
Darüber hinaus trägt der Einspruchsführer folgende weitere
Einspruchsgründe vor:
– Die Wähler seien bei der Kandidatenaufstellung nicht

beteiligt und hätten keine Möglichkeit, jemanden auszu-
wählen. Es kämen diejenigen in den Bundestag, die von
den Parteien auf eine Landesliste gesetzt würden. Wer
nicht als Direktkandidat gewählt werde, komme über die
Liste trotzdem in den Bundestag. Dies verstoße gegen
Artikel 21 und 38 des Grundgesetzes.

– Es sei „ein Unding“, dass die in den Bundestag gewähl-
ten Abgeordneten über Wahleinsprüche in eigener Sache
entschieden.

– Der Bundestag sei falsch zusammengesetzt, da die meis-
ten Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst kämen, 10 %
Juristen und knapp 5 % Lehrer seien. Außerdem kriti-
siert der Einspruchsführer, dass die Abgeordneten ihre
Diäten erhöht hätten. Die Ruhestandsbezüge für ehema-
lige Minister und Ministerinnen seien zu hoch, zumal sie
noch ihre Abgeordnetendiäten erhielten. Der Ein-
spruchsführer verweist an dieser und auch an anderer
Stelle auf das im Jahre 2001 erschienene Buch „Das Sys-
tem – die Machenschaften der Macht“ von Prof. Dr.
Hans Herbert von Arnim, das er zum Gegenstand seines
Einspruchs macht und aus dem er folgert, dass keine
freien und demokratischen Wahlen stattgefunden hätten.

– Die Wahlversprechen seien sofort nach der Wahl gebro-
chen worden. „Häuslebauer, Arbeitslose, Urlauber, Ar-
beitgeber“ müssten mehr bezahlen. Steuern und Abga-
ben stiegen „auf breiter Front“. Hierzu werden Zeitungs-
artikel vorgelegt.

Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchsführers wird
auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

Drucksache 15/1850 – 138 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruchs ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Soweit der Einspruchsführer die Umstände der Stimm-
abgabe des Einspruchsführers am elektronischen Wahlgerät
beanstandet, kann offen bleiben, ob ein Wahlfehler vorliegt,
denn ein solcher hätte jedenfalls keinen Einfluss auf die
Mandatsverteilung. Aufgrund der weiteren, vom Ein-
spruchsführer vorgetragenen Sachverhalte ist eine Verlet-
zung wahlrechtlicher Vorschriften nicht festzustellen. Dies
betrifft
– die dreifache Falzung der Stimmzettel in den Wahlkrei-

sen 98 und 99,
– die Nichtzulassung der Partei „Ab jetzt … Bündnis für

Deutschland“ mit ihren Landeslisten in drei Bundeslän-
dern wegen Nichterreichens des Quorums von Unterstüt-
zungsunterschriften,

– das System „starrer“ Listen,
– das geltende Wahlprüfungsverfahren,
– den Vorwurf, es seien Wahlversprechen gebrochen wor-

den,
– die grundsätzliche Kritik des Einspruchsführer am politi-

schen System der Bundesrepublik Deutschland und die
Kritik an der konkreten Zusammensetzung des Bundes-
tages nach verschiedenen Berufsgruppen.

Soweit der Einspruchsführer vorträgt, bei seiner elektroni-
schen Stimmabgabe sei das Wahlgeheimnis verletzt worden,
bedarf es letztlich keiner Aufklärung, wie der Dialog zwi-
schen demWahlvorsteher und dem Einspruchsführer bei der
Stimmabgabe abgelaufen ist. Selbst wenn sich – was
sehr unwahrscheinlich ist und der Lebenserfahrung wider-
spricht – der Dialog genauso wie vom Einspruchsführer
dargestellt ereignet haben sollte, hätte der Wahleinspruch
keinen Erfolg. Hinweise eines Wahlvorstandes, wie im Ein-
zelfall eine Wahlentscheidung mithilfe des elektronischen
Stimmgeräts zu treffen ist, sind nicht zu beanstanden, sofern
hierdurch nicht das Wahlgeheimnis verletzt wird. Der Wahl-
vorstand hat sich daher um entsprechende Zurückhaltung zu
bemühen, insbesondere wenn er vom Wählenden per Zuruf
gefragt wird oder diesem bei aufgrund der Umstände ver-
muteter Beratungsbedürftigkeit in technischer Hinsicht un-
terstützen will. Der Ablauf ist hier zwischen Einspruchs-
führer und Wahlvorstand streitig. Sollte der Wahlvorstand
tatsächlich kommentiert haben, dass nur „links gewählt“
worden sei, wäre hierdurch das Wahlgeheimnis verletzt. Al-
lerdings erscheint die Darstellung des Einspruchsführers als
sehr unwahrscheinlich, denn nach der Lebenserfahrung be-
stand für den Wahlvorsteher – worauf der Kreiswahlleiter
und der Wahlleiter zu Recht hinweisen – keinerlei Veranlas-
sung, dem Einspruchsführer in der konkreten Situation wei-
tere Informationen zukommen zu lassen.

Im Ergebnis kann aber dahingestellt bleiben, ob ein Wahl-
fehler vorliegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
verfassungsgerichts, der sich der Wahlprüfungsausschuss
und der Bundestag stets angeschlossen haben, können näm-
lich nur solche Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolgreich
begründen, die auf die Mandatsverteilung von Einfluss sind
oder hätten sein können. Infolgedessen scheiden alle Ver-
stöße von vornherein als unerheblich aus, die die Ermittlung
des Wahlergebnisses nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/
372 ständige Rechtsprechung). Selbst solche Wahlfehler,
die die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, sind dann
unerheblich, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses
keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben können.
Da hiervon nicht ausgegangen werden kann, bedarf der
Sachverhalt keiner weiteren Aufklärung.
Soweit der Einspruchsführer in diesem Zusammenhang
über Probleme mehrerer Wählerinnen und Wähler bei der
elektronischen Stimmabgabe berichtet und darauf hinweist,
ohne die Hilfe von Wahlvorstandsmitgliedern hätte eine
Wählerin nicht wählen können, so bedarf dies keiner weite-
ren Aufklärung. Rechtsgrundlage für die Stimmabgabe mit
Wahlgeräten ist § 35 BWG. Die Einzelheiten sind in der
Bundeswahlgeräteverordnung geregelt. Nach § 6 BWahlGV
ist in der Wahlbekanntmachung auf den Einsatz von Wahl-
geräten hinzuweisen. Zusätzlich ist der Wahlbekanntma-
chung eine Abbildung der Benutzerfläche der Wahlgeräte
sowie eine gerätespezifische Darstellung der Wahlvor-
schläge beizufügen. Darüber hinaus müssen die Wählerin-
nen und Wähler durch eindeutige Bedienhinweise und Vor-
lage einer Bedienungsanleitung im Wahllokal informiert
werden. In Siegburg ist allen Wahlbenachrichtigungskarten
ein gelbes DIN A 4 Faltblatt beigelegt worden, das über die
Handhabung der elektronischen Wahlgeräte informiert hat.
Soweit der Einspruchsführer beanstandet, dass man „ungül-
tig“ drücken müsse, wenn man sich der Stimme enthalten
wolle, so entspricht dies dem geltenden Recht. Der Gesetz-
geber hat sich dafür entschieden, dass sich der Wähler le-
diglich durch eine Nichtteilnahme an der Wahl der Stimme
enthalten kann. Sobald er sich an der Wahl beteiligt, unter-
scheidet das Bundeswahlgesetz nur zwischen gültigen und
ungültigen Stimmen (vgl. Bundestagsdrucksache 14/1560,
Anlage 76; Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 39 Rn. 18).
Die dreifache Falzung der Stimmzettel in den Wahlkreisen
98 und 99 beinhaltet keinen Verstoß gegen den Grundsatz
der Wahlgleichheit. Insbesondere liegt keine Verletzung des
Grundsatzes der Chancengleichheit der Wahlbewerber vor.
Die Landeswahlleiterin weist zu Recht darauf hin, dass we-
der das Bundeswahlgesetz noch die Bundeswahlordnung
ein ausdrückliches Verbot normieren, Stimmzettel vorgefal-
tet an die Wählerinnen und Wähler auszugeben. Allerdings
gilt bei der Vorbereitung wie bei der Durchführung der
Wahl ein Verbot der Wählerbeeinflussung für die Wahlor-
gane (vgl. hierzu: BVerfGE 103, 111/132). Eine amtliche
Wahlbeeinflussung liegt dann vor, wenn gegen die Grund-
sätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl verstoßen wor-
den ist. Dies wäre vorliegend dann der Fall, wenn durch die
vorgegebene Falzung der Stimmzettel zielgerichtet auf die
Willensbildung der Wählerinnen und Wähler in mehr als
nur unerheblich parteiergreifend eingewirkt worden wäre.
Für ein derartiges zielgerichtetes Vorgehen gibt es jedoch

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 139 – Drucksache 15/1850

keine Anhaltspunkte; es ist vom Einspruchsführer auch
nicht vorgetragen worden.
Eine gegen die Wahlrechtsgleichheit verstoßende Benach-
teiligung der in den Feldern 19 und 20 des Stimmzettels be-
findlichen Wahlvorschläge liegt nicht vor. Eine mögliche
faktische Beeinträchtigung, die sich durch die untere Fal-
zung für den einen oder anderen Wahlberechtigten ergeben
haben mag, ist so geringfügig, dass von einer Benachteili-
gung nicht gesprochen werden kann. Die Landeswahlleite-
rin weist zu Recht darauf hin, dass nach einem Entfalten des
Stimmzettels bis auf den schmalen unteren Abschnitt ein-
deutig erkennbar gewesen sei, dass der Inhalt des Stimmzet-
tels nicht an der Schlusskante des nach innen gefalteten
Stimmzettels endete. Dies geht daraus hervor, dass aufgrund
des unteren Falzrandes das Feld 18 bis etwa zur Mitte abge-
deckt war und dessen Inhalt nur nach Aufklappen des unte-
ren Randes vollständig lesbar wurde. Eine gründliche
Kenntnisnahme des Stimmzettels ist den Wahlberechtigten
ohne weiteres zumutbar. Darüber hinaus befand sich ent-
sprechend § 48 Abs. 2 BWO am oder im Eingang jedes Ge-
bäudes, in dem sich ein Wahlraum befand, ein Muster des
Stimmzettels. Durch diesen Aushang bestand die Möglich-
keit, sich bereits vor der Stimmabgabe mit dem Stimmzettel
vertraut zu machen. Eine mehr als nur unerhebliche Beein-
trächtigung der Wählerwillensbildung ist somit durch die
vorgegebene Faltung der Stimmzettel nicht gegeben.
Soweit sich der Einspruchsführer gegen die Nichtzulassung
der Partei „Ab jetzt … Bündnis für Deutschland“ mit Lan-
deslisten zur Bundestagswahl wendet, liegt ein Wahlfehler
nicht vor. Die Nichtzulassung von Landeslisten in den Län-
dern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Nie-
dersachsen ist zu Recht erfolgt, weil die Partei die nach § 27
Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 18 Abs. 2 BWG erforder-
lichen 2 000 Unterstützungsunterschriften in diesen Bun-
desländern nicht vorgelegt hat.
Hierbei wendet sich der Einspruchsführer zu Unrecht gegen
das in § 27 Abs. 1 Satz 2 BWG verankerte Erfordernis von
Unterstützungsunterschriften. Es verstößt nicht gegen den
Grundsatz der formalen Chancengleichheit, weil es sicher-
stellen soll, dass nur solche Wahlvorschläge eingereicht
werden, die ernst zu nehmen sind. Dieses Anliegen hat das
Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als
einen zwingenden Grund für eine Differenzierung gegen-
über denjenigen Parteien eingesehen, für die ein Unter-
schriftenquorum nicht verlangt wird (BVerfGE 82, 353/
364). Dies hat das Bundesverfassungsgericht auch in dem
Beschluss zum Antrag des Einspruchsführers auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung in der vorliegenden Ange-
legenheit festgestellt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2002,
2 BvQ 38/02).
Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers verstößt
das Unterschriftenquorum in § 27 Abs. 1 Satz 2 BWG auch
nicht gegen die Erklärung des Pariser KSZE-Treffens der
Staats- und Regierungschefs vom 21. November 1990. Das
Verwaltungsgericht Stuttgart hat in seinem Beschluss vom
21. Juni 2002 (1 K 1916/02) zu Recht darauf hingewiesen,
dass diese „Charta von Paris für ein neues Europa“ kein un-
mittelbar geltendes Recht enthält. Unabhängig davon ist
entgegen der Ansicht des Einspruchsführers der dort postu-
lierte Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen in der
Bundesrepublik Deutschland gewährleistet.

Soweit schließlich der Einspruchsführer eine Behinderung
der Unterschriftensammlung seiner Partei durch die Beob-
achtung durch den Verfassungsschutz und durch die Auf-
nahme seiner Partei in Verfassungsschutzberichte geltend
macht, ist auf die oben wiedergegebenen zutreffenden Aus-
führungen des Bundeswahlausschusses in seiner Beschwer-
desitzung am 1. August 2002 zu verweisen.
Das System der „starren“ Liste, das der Einspruchsführer
mit seinem Hinweis auf einen fehlenden Einfluss auf die
Kandidatenaufstellung angreift, beinhaltet ebenfalls keinen
Wahlfehler. Es ist durch das Bundeswahlgesetz (vgl. §§ 6
Abs. 4, 27 Abs. 3) vorgegeben; die Reihenfolge der Bewer-
berinnen und Bewerber auf den Landeslisten der Parteien ist
festgelegt und kann bei der Abgabe der Zweitstimme nicht
verändert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat wie-
derholt festgestellt, dass sich das System der „starren“ oder
„gebundenen“ Liste im Rahmen der dem Gesetzgeber ein-
geräumten Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung des
Wahlrechts bewegt und nicht gegen die Grundsätze der un-
mittelbaren, freien und gleichen Wahl des Artikel 38 Grund-
gesetz verstößt (vgl. z. B. BVerfGE 7, 63/68 ff.; BVerfGE
47, 253/282; Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage 2002, § 27
Rn. 4 und 12).
Soweit der Einspruchsführer das Wahlprüfungsverfahren
kritisiert und hierbei insbesondere beanstandet, die gewähl-
ten Politiker entschieden in eigener Sache, so begründet
dies keinen Wahlfehler. Nach Artikel 41 Abs. 1 Satz 1
Grundgesetz ist die Wahlprüfung Sache des Bundestages.
Nach Artikel 41 Abs. 2 Grundgesetz ist gegen die Entschei-
dung des Bundestages die Beschwerde an das Bundesver-
fassungsgericht zulässig. Der Bundestag und der Wahlprü-
fungsausschuss sind an diese verfassungsrechtlichen Vorga-
ben gebunden.
Soweit der Einspruchsführer das politische System der Bun-
desrepublik Deutschland insgesamt kritisiert und feststellt,
dass es sich nicht um einen demokratischen Bundesstaat
handele, so besteht kein Anlass, diesen Vorwürfen im Wahl-
prüfungsverfahren nachzugehen. Zum einen fehlt es an ei-
nem unmittelbaren wahlrechtlichen Bezug, zum anderen an
einem hinreichend substantiierten Sachvortrag. Denn die
Wahlprüfung findet weder von Amts wegen statt, noch er-
folgt sie stets in Gestalt einer Durchprüfung der gesamten
Wahl. Sie erfolgt vielmehr nur auf Einspruch, der zu be-
gründen ist. Die Begründung muss mindestens den Tatbe-
stand, auf den die Anfechtung gestützt wird, erkennen las-
sen und genügend substantiierte Tatsachen enthalten. Ihr
Umfang richtet sich also nach dem Einspruch, durch den der
Einspruchsführer den Anfechtungsgegenstand bestimmt.
Der Prüfungsgegenstand ist nach dem erklärten, verständig
zu würdigenden Willen des Einspruchsführers unter Be-
rücksichtigung des gesamten Einspruchsvorbringens sinn-
gemäß abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist auch danach
vorzunehmen, wieweit der Einspruchsführer seinen Ein-
spruch substantiiert hat. Nur im Rahmen des so bestimmten
Anfechtungsgegenstandes haben die Wahlprüfungsorgane
dann den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt wird,
von Amts wegen zu erforschen und alle auftauchenden
rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen (BVerfGE
40, 11/30). Dies gilt insbesondere auch für die Behauptung
des Einspruchsführers, der Bundestag sei hinsichtlich der
Berufsgruppen falsch zusammengesetzt und für seinen Hin-

Drucksache 15/1850 – 140 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

weis auf das Buch „Das System – die Machenschaften der
Macht“. Ein gesamtes Buch kann nicht zum Gegenstand ei-
nes Wahleinspruches gemacht werden. Dies gilt auch dann,
wenn einzelne Teile dieses Buches in Kopie vorgelegt wer-
den.
Soweit der Einspruchsführer schließlich beanstandet, die
Wahlversprechen seien sofort nach der Wahl gebrochen
worden und der Wähler sei belogen worden, so sehen sich
der Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss an einer nä-
heren Prüfung gehindert. Insoweit fehlt es ebenso wie bei
der grundsätzlichen Kritik des Einspruchsführers am politi-
schen System an einem hinreichend bestimmten Anfech-
tungsgegenstand.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 141 – Drucksache 15/1850

Anlage 35

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. B., 60486 Frankfurt/Main

– Az.: WP 145/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 19. November 2002, das am 22. No-
vember 2002 beim Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer vertritt die Auffassung, dass alle
Stimmzettel, die als ungültig gewertet worden seien, weil
sie einen Zusatz oder Vorbehalt enthalten hätten, jedoch
„ansonsten eindeutig gekennzeichnet“ gewesen seien, als
gültig gewertet werden müssen. Es sei zu prüfen, ob sich
dadurch Änderungen der Mandatsverteilung ergäben.
Die Wählerinnen und Wähler hätten nicht gewusst, dass auf
den Stimmzetteln nicht „alle relevanten Stimmabgabere-
geln“ aufgeführt gewesen seien. Es habe am Wahltag Wahl-
berechtigte gegeben, die von dem Inhalt der Vorschrift des
§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Bundeswahlgesetz (BWG), die
festlegt, dass durch Anbringen eines Zusatzes oder Vorbe-
haltes die Stimmabgabe ungültig ist, durch die Medien
Kenntnis erhalten hätten. Es habe aber auch Wahlberech-
tigte gegeben, die den Inhalt dieser Vorschrift nicht gekannt
hätten. Nach dem Gleichheitsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1
Grundgesetz (GG) dürften aber deren Stimmen bei der
Stimmenauszählung nicht unterschiedlich behandelt wer-
den. Die Gründe für die Verwirkung von Grundrechten
seien in Artikel 18 GG dargelegt. Nach Auffassung des Ein-
spruchsführers zähle „Nichtinformiertsein“ nicht dazu und
führe daher nicht zur Verwirkung von Grundrechten.
Da das Grundgesetz vorrangiges Recht darstelle, sei § 39
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BWG bei dieser Wahl nicht anzuwen-
den. Zwar bestimme § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BWG, dass
diese Stimmen ungültig gewesen seien, jedoch setze diese
Bestimmung voraus, dass alle Wahlberechtigten über sie in-
formiert gewesen sein müssten, denn nach Artikel 38 Abs. 1
GG und § 1 Abs. 1 BWG seien die Abgeordneten in glei-
cher Wahl zu wählen. Die Wahl könne aber nur dann gleich
sein, wenn alle Wahlberechtigten über die Regeln einer gül-
tigen Stimmabgabe informiert gewesen seien. Es habe sich
jedoch weder auf den Stimmzetteln noch auf den Wahlbe-
nachrichtigungen noch in den Wahlbekanntmachungen ein
Hinweis darauf gefunden, dass eine Stimme ungültig werde,
wenn zusätzlich noch etwas auf den Stimmzettel geschrie-
ben werde. Zur Darstellung seines Vortrags nennt der Ein-

spruchsführer die in der Anlage zur Bundeswahlordnung
(BWO) dargestellten Muster der Wahlbenachrichtigungs-
karte, des Stimmzettels und der Wahlbekanntmachung.
Er beanstandet darüber hinaus, dass den Wählerinnen und
Wählern vor der Wahl kein Muster des Stimmzettels zuge-
sandt worden sei. Auf den Wahlbenachrichtigungskarten sei
nur der Wahlbezirk, nicht aber der Wahlkreis angegeben
worden. Dadurch sei es den Wählerinnen und Wählern, die
in Städten, in denen es mehrere Wahlkreise gegeben habe,
nicht „ohne erheblichen Zeitaufwand“ möglich gewesen,
festzustellen, welchem Wahlkreis sie angehört hätten und
welche Parteien und Kandidaten „zur Auswahl“ gestanden
hätten.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Bundeswahlleiter wie
folgt Stellung genommen:
Es widerspreche der Regelung des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
BWG, allen als ungültig gewerteten Stimmen, die einen Zu-
satz oder Vorbehalt enthalten hätten, nachträglich Gültigkeit
beizumessen.
Das Verfahren der Stimmabgabe zur Bundestagswahl sei
den Wählerinnen und Wählern entgegen der Auffassung des
Einspruchsführers hinreichend bekannt gemacht worden. So
seien die Gemeindebehörden nach § 46 Abs. 1 BWO zur
Bekanntmachung der Wahl verpflichtet gewesen. Dabei hät-
ten sie sich an dem Muster für eine Bekanntmachung in An-
lage 27 zu § 48 Abs. 1 BWO zu orientieren. Dem Bundes-
wahlleiter sei nicht bekannt geworden, dass diese Maßgabe
nicht beachtet worden wäre. Die Wahlbekanntmachungen
hätten entsprechend dem Muster der Anlage 27 zu § 48
Abs. 1 BWO eine eingehende Beschreibung der Stimm-
abgabe enthalten. Danach habe die Stimmabgabe in der
Weise zu erfolgen, dass der Wahlberechtigte sowohl auf
dem linken als auch auf dem rechten Teil des Stimmzettels
seine Wahlentscheidung durch ein in die jeweiligen Kreise
gesetztes Kreuz kenntlich mache. Eine Kennzeichnung
durch „Ausmalen“ oder Nachziehen des Kreises oder durch
Umrandung des Wahlvorschlagsfeldes werde in der Praxis
ebenfalls als zweifelsfreie Kennzeichnung des Stimmzettels
gewertet und führe nicht zur Ungültigkeit der Stimmabgabe
(Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 39, Rn. 11). Die darge-
stellte Form der Stimmabgabe habe in der Bundesrepublik
Deutschland eine jahrzehntelange Tradition bei Parlaments-

Drucksache 15/1850 – 142 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

wahlen. Es dürfe daher davon ausgegangen werden, das den
Wählerinnen und Wählern der Ungültigkeitstatbestand des
§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BWG bekannt sei und sie ihre
Stimmabgabe nach diesem Wissen ausrichteten.
Soweit dem Bundeswahlleiter bekannt sei, sei die Benach-
richtigung der Wahlberechtigten vor der Wahl entsprechend
der Vorschrift des § 19 BWO durchgeführt worden. Danach
habe es auf der Wahlbenachrichtigung neben den Informa-
tionen zur Wahl mit Wahlschein der Angabe des Empfän-
gers der Benachrichtigung, des Wahlraumes, der Wahlzeit
sowie der Wählerverzeichnisnummer des Wahlberechtigten
bedurft.
Hinsichtlich des Einwandes des Einspruchsführes, die
Wahlberechtigten hätten nicht gewusst, welche Parteien und
welche Wahlbewerber „zur Auswahl“ gestanden hätten,
führt der Bundeswahlleiter aus, dass die Wahlberechtigten
auf Grund der öffentlichen Bekanntmachung der Kreiswahl-
vorschläge durch alle Kreiswahlleiter gemäß § 26 Abs. 3
BWG i.V. m. § 38 BWO informiert gewesen seien.
Der Einspruchsführer hat sich zu der Stellungnahme wie
folgt geäußert:
Seiner Ansicht nach hat der Bundeswahlleiter überwiegend
Sachverhalte dargelegt, die vom Einspruchsführer nicht be-
stritten worden seien. Er trägt vor, dass es keinen hinrei-
chenden Grund zu der Annahme gebe, dass alle Wahlbe-
rechtigten wüssten, dass Stimmzettel mit Zusätzen oder
Vorbehalten als ungültig gewertet würden, auch wenn dies
bei Bundestagswahlen schon „seit Jahrzehnten“ praktiziert
worden sei. Außerdem gebe es bei jeder Wahl auch Erst-
wähler. Genauere Zahlen über den Aufklärungsgrad der Be-
völkerung ließen sich durch eine repräsentative schriftliche
Umfrage ermitteln.
Es sei aber auch „generell nicht einleuchtend“, warum es
die „Ungültigkeitswertung“ des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
BWG überhaupt gebe. Seiner Auffassung nach könnte die
Stimmenauszählung „viel sicherer“ gehandhabt werden,
wenn auf die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BWG
verzichtet würde. Es habe für den Einspruchsführer den An-
schein, dass die Wahlvorstände „nach eigenem Gutdünken“
über die Ungültigkeit von Stimmen im Auszählungsverfah-
ren bestimmen dürften, so dass es bei gleichen Sachverhal-
ten zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen sein
dürfte. Bei der Stimmenauszählung ist daher seiner Mei-
nung nach gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen wor-
den.
Nach Auffassung des Einspruchsführers ist Artikel 20
Abs. 2 Satz 2 GG, wonach „alle Staatsgewalt vom Volke“
ausgehe, in „sein Gegenteil“ verkehrt worden. Seiner Mei-
nung nach haben die im Bundestag vertretenen Parteien
durch die von ihnen in die Wahlvorstände und Kreiswahl-
ausschüsse entsandten Vertreter darüber entschieden, wel-
che Stimmen als ungültig in das Wahlergebnis eingeflossen
sind. Somit habe die Staatsgewalt entschieden. Damit sei
einem Teil des wahlberechtigten Volkes „sein einziges
Machtmittel zur Legitimierung der Staatsgewalt ohne aus-
reichenden Grund“ genommen worden.
Da bei der öffentlichen Bekanntmachung der Kreiswahlvor-
schläge nicht vorgeschrieben sei, auch die Stadtteile be-
kannt zu machen, die zu einem bestimmten Wahlkreis gehö-
ren, habe ein Wahlberechtigter in einer Stadt in der es meh-

rere Wahlkreise gegeben habe, nicht erkennen können, zu
welchem Wahlkreis er gehöre. Die gegenteilige Behauptung
des Bundeswahlleiters sei daher nicht richtig.
Wegen des weiteren Vorbringens des Einspruchsführers
wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Zur Begrün-
dung wird auf die dem Einspruchsführer bekannt gegebene
Stellungnahme des Bundeswahlleiters vom 17. Dezember
2002 verwiesen, die sich der Bundestag und der Wahlprü-
fungsausschuss zu eigen machen. Die vom Einspruchsfüh-
rer in seiner Gegenäußerung hiergegen vorgebrachten Ein-
wendungen führen zu keiner anderen Beurteilung.
Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers setzt die
Gültigkeit der Bundestagswahl nicht voraus, dass jeder
Wahlberechtigte über die Ungültigkeitsgründe für die
Stimmabgabe im Einzelnen informiert ist. Es kann erwartet
werden, dass ein Wahlberechtigter, der einen Zusatz oder
Vorbehalt auf dem Stimmzettel anbringen möchte, sich in
Eigeninitiative über die Rechtsfolgen einer solchen atypi-
schen Stimmabgabe informiert. Tut er dies nicht und wird
seine Stimme als ungültig bewertet, so hat er diese Konse-
quenz aus seinem insoweit mangelhaften Informationsstand
hinzunehmen. Dies beeinträchtigt weder den Grundsatz der
Wahlfreiheit noch den Grundsatz der Wahlgleichheit.
Dies gilt auch für den Informationsstand der Wählerinnen
und Wähler bezüglich des Wahlkreises, in dem sie wahlbe-
rechtigt sind. Ungeachtet der in der Stellungnahme des Bun-
deswahlleiters dargelegten Bemühungen, die Wahlberech-
tigten möglichst gut und umfassend zu informieren, kann
auch insoweit von den Wahlberechtigten ein gewisses Maß
an Eigeninitiative verlangt werden.
Soweit sich der Einspruchsführer generell gegen die Vor-
schrift des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BWG wendet, ist zu-
nächst darauf aufmerksam zu machen, dass der Wahlprü-
fungsausschuss und der Bundestag sich in ständiger Praxis
nicht als berufen ansehen, die Verfassungswidrigkeit von
Wahlrechtsnormen festzustellen. Eine derartige Kompetenz
ist dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Davon ab-
gesehen trägt der Einspruchsführer keine Gründe vor, die
die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift in Zweifel zie-
hen könnten. Allein die Tatsache, dass möglicherweise auch
eine andere Regelung denkbar sein könnte und dass die An-
wendung der Vorschrift im Einzelfall schwierig sein könnte,
bietet keinen Ansatzpunkt für eine Überprüfung der Verfas-
sungsmäßigkeit. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob der
Gesetzgeber von Verfassungs wegen überhaupt befugt wäre,
eine Regelung zu treffen, wonach eine Stimmabgabe unter
Vorbehalt stets als gültig zu behandeln wäre.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 143 – Drucksache 15/1850

Schließlich begründet allein die Vermutung, dass bei der
Stimmenauszählung die Regelungen für die Ungültigkeit ei-
ner Stimme in einzelnen Fällen falsch angewandt worden
sein könnten, keinen Wahlfehler. Nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts muss die Begründung eines
Wahleinspruchs mindestens den Tatbestand, auf den die An-
fechtung gestützt wird, erkennen lassen und genügend sub-
stantiierte Tatsachen enthalten (BVerfGE 40, S. 11/30). Die
pauschale Behauptung, die Ungültigkeitswertung von Stim-
men sei unterschiedlich und entgegen den gesetzlichen Vor-
schriften erfolgt, ist keine hinreichende Begründung in die-
sem Sinne. Dies gilt auch für die Behauptung des Ein-
spruchsführers, Mitglieder von Wahlvorständen oder von
Kreiswahlausschüssen hätten die Stimmenauszählung nicht
korrekt vorgenommen oder gar parteipolitisch in ihrem
Sinne beeinflusst.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 145 – Drucksache 15/1850

Anlage 36

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn D. M., 81371 München

– Az.: WP 16/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 30. September 2002 sowie mit einem
weiteren Schreiben, das am 15. Oktober 2002 beim Bundes-
tag eingegangen ist, hat der Einspruchsführer Einspruch ge-
gen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag
am 22. September 2002 eingelegt. Zur Begründung trägt er
vor, dass die Gestaltung der Stimmzettel in seinem Wahl-
kreis nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe
und diese daher ungültig seien.
Er habe am 10. September 2002 die Briefwahlunterlagen in
der Bezirksbehörde seines Wahlbezirks in München persön-
lich abgeholt und am 17. September 2002 zur Kenntnis ge-
nommen. In dieser Zeit seien möglicherweise Wahlschein
und Stimmzettel ausgetauscht worden. Ihm sei aufgefallen,
dass der angegebene Hauptwohnsitz einiger Kandidaten of-
fenbar nicht im Wahlkreis München-Süd liege, in dem sie
kandidiert hätten. Er zweifele auch insoweit an den Anga-
ben der Anschrift von zwei Kandidaten, als es sich hierbei
um deren Arbeitsstätte und nicht um deren tatsächlichen
Hauptwohnsitz gehandelt habe. Hierbei nennt er Herrn P. G.
und Frau A. S. Zwar könne der Hauptwohnsitz auch Ar-
beitsstätte sein, jedoch könne eine reine Arbeitsstätte nicht
ohne Weiteres auch Hauptwohnsitz sein.
Weiter habe er festgestellt, dass der ihm ausgehändigte
Stimmzettel mit „Wahlkreis 221, München-Süd“ gekenn-
zeichnet gewesen sei. Die gleiche Bezeichnung hätten auch
die von ihm am Wahltag in zwei Wahllokalen persönlich
überprüften Stimmzettel gehabt. Er habe jedoch dem von
ihm eingesehenen Bundesgesetzblatt Teil I (BGBl. I) Num-
mer 42 vom 6. Juli 1998 entnommen, dass der Wahlkreis
München-Süd mit der Wahlkreis-Nummer 222 ausgewiesen
gewesen sei, während die auf seinem Stimmzettel angege-
bene Wahlkreis-Nummer 221 dem Wahlkreis München-Ost
entsprochen habe. Der Wahlkreis, in dem er an der Wahl
teilgenommen habe, sei in dem Bundesgesetzblatt mit der
Nummer 223, München-West/Mitte, bezeichnet gewesen.
Zur „Erwirkung einer rechtskräftigen Beschwerde oder ei-
nes zeitlich gültigen Einspruchs“ habe er die Anschrift des
Bundeswahlleiters fernmündlich erfragen wollen, jedoch
habe der Wahlschein nicht die Telefonnummer des Bundes-
wahlleiters enthalten. Die Anschrift des Bundeswahlleiters

habe er auch nach eigenen Ermittlungen nicht herausfinden
können. Auf der Wahlbenachrichtigungskarte, die ihm ge-
stohlen worden sei, sei seiner Erinnerung nach lediglich die
Telefonnummer des Kreisverwaltungsreferates in München
aufgedruckt gewesen. Zu den Einzelheiten des weiteren
Vortrags wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Landeswahlleiter hat zu diesem Wahleinspruch wie
folgt Stellung genommen:
Der Einspruchsführer sei davon ausgegangen, dass seine
Briefwahlunterlagen fehlerhaft gewesen seien. Zum Vortrag
des Einspruchsführers, dass der Kandidat seinen Wohnsitz
im Wahlkreis haben müsse, wird ausgeführt, dass der ab-
schließende Regelungskatalog des § 15 BWG, der die mate-
riellen Voraussetzungen des passiven Wahlrechts beinhalte,
nicht vorsehe, dass der Kandidat seinen Wohnsitz im Wahl-
kreis haben müsse. Hinsichtlich der Anschriftenangaben auf
den Stimmzetteln wird vorgetragen, dass für den Kandida-
ten P. G. die Erreichbarkeitsadresse nach § 38 Bundeswahl-
ordnung (BWO) anstelle der Anschrift der Hauptwohnung
zu verwenden gewesen sei, während die zweite Kandidatin,
Frau A. S., nach Auskunft der Meldebehörde unter der auf
dem Stimmzettel angegebenen Anschrift seit dem 1. August
1995 mit Hauptwohnung gemeldet sei.
Die Wahlkreiseinteilung im Bundesgebiet sei durch das
16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom
27. April 2001 (BGBl. I S. 701/739) ganz wesentlich ge-
ändert worden. So sei die Anzahl der Wahlkreise in Mün-
chen von fünf auf vier Wahlkreise verringert worden. Es
gebe in München folgende Wahlkreise: 219 (München-
Nord), 220 (München-Ost), 221 (München-Süd) und 222
(München-West/Mitte).
Zur Beanstandung der nicht aufgeführten Telefonnummer
des Bundeswahlleiters auf demWahlschein wird ausgeführt,
dass der Wahlschein dem Muster der Anlage 9 zu § 26
BWG entsprochen habe und die Angabe der Telefonnum-
mer des Bundeswahlleiters nicht vorgesehen sei.
Der Kreiswahlleiter hat ergänzend hierzu mitgeteilt, dass
der Einspruchsführer im Wählerverzeichnis für den Wahl-
kreis 221 (München-Süd) eingetragen gewesen sei und auch
den richtigen Stimmzettel erhalten habe.

Drucksache 15/1850 – 146 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme des Landes-
wahlleiters inhaltlich bekannt gegeben worden. Er hat sich
hierzu wie folgt geäußert:
Seiner Ansicht nach ist der Stimmzettel immer noch für un-
gültig zu erklären und die Wahl, wenigstens für den Wahl-
bezirk, zu wiederholen. Der Einspruch beziehe sich auf die
augenscheinlich falsche Adressangabe der Hauptwohnung
der beiden Kandidaten, nicht auf eine fehlende Telefon-
oder Faxnummer. Seine Rüge einer fehlenden Telefonnum-
mer betreffe lediglich den Bundeswahlleiter und dessen
postalische Erreichbarkeit. Im Übrigen stütze sich sein Ein-
spruch weiterhin auf die „augenscheinlich falsche Angabe“
des Wahlkreises auf dem Stimmzettel.
In einer weiteren Zuschrift vom 18. November 2002 teilt
der Einspruchsführer mit, dass der Wortlaut des 16. Geset-
zes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes seiner Erinne-
rung nach nicht mit dem ihm bekannten Wortlaut aus dem
Bundesgesetzblatt anlässlich seiner Einsichtnahme im Jahre
2001 übereinstimme. Als einzige Änderung wahlrechtlicher
Bestimmungen seit dem Jahre 2000 sei eine Änderung des
Bundeswahlgesetzes im Jahre 2001, die keinerlei Änderung
des Anhangs mit den Wahlkreisnummern umfasst hätte, er-
kennbar. Die Bundeswahlordnung hingegen sei nicht geän-
dert worden. Daher zweifele er die Rechtsgültigkeit des zi-
tierten Bundesgesetzblattes an. Zum weiteren Vortrag wird
auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.

Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Entgegen der
Auffassung des Einspruchsführers waren die im Wahlkreis
221 verwendeten Stimmzettel korrekt. Die Anschriften des
Bewerbers P. G. und der Bewerberin A. S. sowie der weite-
ren Bewerber entsprechen den hierfür geltenden Vorschrif-
ten. Nach § 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BWO enthält der Stimm-
zettel für die Wahl im Wahlkreis die zugelassenen Kreis-
wahlvorschläge unter Angabe des Familiennamens, Vor-
namens, Berufs oder Standes und der Anschrift
(Hauptwohnung) des Bewerbers. Dieser Vorschrift entspra-
chen die Angaben für die Bewerberin A. S. Bei einem
Nachweis nach § 38 Satz 4 BWO ist anstelle der Anschrift
(Hauptwohnung) die Erreichbarkeitsanschrift anzugeben. In
Anwendung dieser Vorschrift war beim Bewerber P. G. die
Erreichbarkeitsanschrift angegeben. Eine Regelung, wo-
nach ein Wahlkreisbewerber seine Hauptwohnung im Wahl-
kreis haben müsste, existiert nicht.
Soweit der Einspruchsführer Zweifel an der Wahlkreisein-
teilung in München äußert, so sind diese durch das 16. Ge-
setz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 27. April
2001 (BGBl. I, S. 701/739) gegenstandslos. Dieses Gesetz
war dem Einspruchsführer bei Abfassung seines Einspruchs
offenbar nicht bekannt.
Ein Verstoß gegen wahlrechtliche Vorschriften ist auch
nicht dadurch begründet, dass auf dem Wahlschein und auf
der Wahlbenachrichtigung keine Telefonnummer des Bun-
deswahlleiters angegeben ist. Für den Wahlschein ergibt
sich dies aus Anlage 9 zu § 26 BWO. Für die Wahlbenach-
richtigung ist § 19 BWO maßgeblich. Dort ist die Angabe
einer Telefonnummer des Bundeswahlleiters ebenfalls nicht
vorgesehen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 147 – Drucksache 15/1850

Anlage 37

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. A. H., 26129 Oldenburg

– Az.: WP 41/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 25. September 2002 hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung nimmt er auf ein Schreiben vom 13. Sep-
tember 2002 Bezug. Hierin beanstandet er, dass eine
„gründliche Information über die Wahlparteien und deren
Kandidaten“ nicht erfolgt sei. Es hätten „Programmschrif-
ten“ zur Verfügung gestellt werden müssen. Adressen und
Wohnortsangaben fehlten. Auch sei eine Gleichbehandlung
bei den Adressenangaben zwischen Erst- und Zweitstimme
nicht gegeben. Der Einspruchsführer wendet sich damit of-
fenbar gegen die Gestaltung des Stimmzettels hinsichtlich
der Angaben sowohl zu den politischen Parteien als auch zu
den Kreiswahlbewerbern.
Seine eigenen Briefwahlunterlagen seien fehlerhaft und teil-
weise gekennzeichnet gewesen.
Außerdem sei der „Verkauf und Kauf von Wählerstimmen
der Briefwahl publik“ geworden und habe „innerhalb und
außerhalb der Parlamente unmögliche Ergebnisse zu Lasten
des deutschen Volkes“ erbracht, wie z. B. den „Jugosla-
wienkrieg“.
Darüber hinaus übt der Einspruchsführer Kritik am politi-
schen System und an den Politikern in der Bundesrepublik
Deutschland. Hierbei spricht er u. a. den sog. Bonus-Mei-
len-Skandal sowie einen Vorgang im Plenum des Deutschen
Bundestages der 14. Wahlperiode an, bei dem dem Innense-
nator der Freien und Hansestadt Hamburg, Ronald Schill,
wegen Überschreitens der vereinbarten Redezeit von der
amtierenden Präsidentin das Wort entzogen wurde. Daraus
folgert er die Ungültigkeit der Bundestagswahl 2002. Der
Einspruchsführer spricht sich außerdem für Volksabstim-
mungen und Volksentscheide aus. In einer weiteren Zu-
schrift legt der Einspruchsführer ein Gedicht vor. Bezüglich
dessen Inhalt sowie hinsichtlich seines weiteren Vorbrin-
gens wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich.
Soweit sich der Einspruchsführer gegen die Gestaltung des
Stimmzettels und gegen die seiner Ansicht nach zu geringe
Information der Wählerinnen und Wähler wendet, bestehen
keine konkreten Anhaltspunkte für die von ihm behaupteten
Rechtsverstöße.
Nach § 30 Bundeswahlgesetz (BWG) enthält der Stimmzet-
tel
1. für die Wahl in den Wahlkreisen die Namen der Bewer-

ber der zugelassenen Kreiswahlvorschläge, bei Kreis-
wahlvorschlägen von Parteien außerdem die Namen der
Parteien und, sofern sie eine Kurzbezeichnung ver-
wenden, auch diese, bei anderen Kreiswahlvorschlägen
außerdem das Kennwort,

2. für die Wahl nach Landeslisten die Namen der Parteien
und, sofern sie eine Kurzbezeichnung verwenden, auch
diese, sowie die Namen der ersten fünf Bewerber der zu-
gelassenen Landeslisten.

§ 45 Bundeswahlordnung (BWO) konkretisiert diese Vorga-
ben dahingehend, dass der Stimmzettel für die Wahl im
Wahlkreis die zugelassenen Kreiswahlvorschläge unter An-
gabe des Familiennamens, Vornamens, Berufs oder Standes
und der Anschrift (Hauptwohnung) des Bewerbers sowie
des Namens der Partei enthält; in bestimmten Fällen ist an
Stelle der Anschrift der Hauptwohnung die Erreichbarkeits-
anschrift anzugeben (§ 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BWO). Für
die Wahl nach Landeslisten werden die Vorgaben dahinge-
hend konkretisiert, dass neben dem Namen der Partei je-
weils der Familienname und der Vorname der ersten fünf
Bewerber anzugeben ist (§ 45 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BWO).
Die vom Einspruchsführer beanstandete unterschiedliche
Behandlung bei den Adressenangaben zwischen Erst- und
Zweitstimme ergibt sich somit aus dem Bundeswahlgesetz
und der hierauf beruhenden Bundeswahlordnung. Abgese-
hen davon, dass sich der Bundestag und der Wahlprüfungs-
ausschuss nicht berufen sehen, die Verfassungswidrigkeit

Drucksache 15/1850 – 148 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

von Wahlrechtsvorschriften festzustellen, bestehen keine
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der oben genannten
Vorschriften. Die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten mit
der Erststimme ist wesentlich stärker auf die Person des je-
weiligen Kandidaten ausgerichtet als dies bei der Wahl von
Listenbewerbern mit der Zweitstimme der Fall ist. Es be-
steht somit ein sachlicher Grund für die Differenzierung bei
den Adressangaben.
Die Wählerinnen und Wähler haben im Wahlkampf genü-
gend Möglichkeiten der Information über Parteien, Pro-
gramme und Kandidaten. Es existiert keine gesetzliche
Vorschrift, in welchem Umfang beispielsweise Partei-
programme den Wählerinnen und Wählern zugänglich zu
machen sind. Ebenso wenig ist vorgeschrieben, Partei-
programme im Wahllokal auszulegen. Ein Verstoß gegen
wahlrechtliche Vorschriften ist also auch insoweit nicht
ersichtlich.
Soweit der Einspruchsführer eine teilweise Kennzeichnung
von Briefwahlunterlagen anspricht, meint er offenbar die
Durchführung der allgemeinen und repräsentativen Wahl-
statistik. Rechtsgrundlage hierfür ist das Wahlstatistikgesetz
vom 21. Mai 1999 (BGBl. Teil I, S. 1023), geändert durch
Gesetz vom 17. Januar 2002 (BGBl. Teil 1, S. 412). Sie
dient dem Informationsbedarf in vielen Bereichen der Ge-
sellschaft, weil sie Aufschluss über das Wahlverhalten, d. h.
die Wahlbeteiligung und Stimmabgabe verschiedener Be-
völkerungsgruppen, gibt. Die allgemeine Wahlstatistik er-
fasst im Wesentlichen die Zahl der Wahlberechtigten, der
Wähler, der Nichtwähler, der gültigen und ungültigen Stim-
men sowie der Stimmen für die einzelnen Wahlvorschläge,
gegliedert nach Ländern, Wahlkreisen, kreisfreien Städten
bzw. Kreisen, Gemeinden und Wahlbezirken. Durch die re-
präsentative Wahlstatistik wird ermöglicht, Daten über die
Stimmabgabe der Wähler für die einzelnen Parteien nach
Geschlecht und Altersgruppen zu ermitteln. Weiterhin er-
fasst sie durch Auszählung der Wählerverzeichnisse der
ausgewählten Wahlbezirke die Gliederung der Wahlberech-
tigten nach Geschlecht und Alter sowie ihre Beteiligung an
der Wahl. Die wahlstatistischen Erhebungen finden ihre
Grenzen im Wahlgeheimnis. Vor diesem Hintergrund ist ein
Wahlfehler bezüglich der Kennzeichnung der Briefwahlun-
terlagen nicht ersichtlich.
Auch bezüglich des behaupteten Verkaufs und Kaufs von
Wählerstimmen der Briefwahl liegt ein Wahlfehler nicht

vor. Über derartige Manipulationsversuche ist in der Presse
berichtet worden. Soweit im Rahmen von Wahleinsprüchen
gegen die Bundestagswahl 2002 hierzu substantiiert vorge-
tragen worden ist, ist der Wahlprüfungsausschuss diesen
Vorgängen nachgegangen. So erschien am 11. September
2002 unter dem Briefkopf „Freie und Hansestadt Hamburg
– Staatliche Pressestelle“ eine gefälschte Pressemitteilung
als „Kampagne gegen Wahlmüdigkeit“, in der eine (angebli-
che) Initiative dazu aufrief, Briefwahlunterlagen an wahlin-
teressierte, aber nicht wahlberechtigte Personen, insbeson-
dere ausländische Mitbürger, weiterzugeben, damit diese
die Stimmabgabe vornehmen könnten (vgl. Schreiber,
Nachwahl am Tag der Hauptwahl und sonstige wahlrechtli-
che Auffälligkeiten – rechtliche Nachbetrachtung der Bun-
destagswahl 2002, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
2003, S. 402/407 f.). In diesem Fall hat der Landeswahllei-
ter in einer Presseerklärung darauf hingewiesen, dass es sich
bei dieser Kampagne um eine Fälschung handelt. Zudem ist
ein polizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden.
Ähnlich ist in anderen Fällen reagiert worden. Konkrete
Hinweise auf entsprechende Einzelfälle, in denen es tat-
sächlich zu einer Stimmenweitergabe oder zu einem Stim-
menkauf gekommen wäre, haben sich nicht ergeben.
Gleichwohl lassen sich solche Wahlmanipulationen, insbe-
sondere bei der Briefwahl, nicht gänzlich ausschließen.
Selbst wenn es in Einzelfällen zu einem Verstoß gegen das
in § 14 Abs. 4 BWG normierte Gebot der Höchstpersönlich-
keit der Stimmabgabe gekommen sein sollte, so lässt sich
ein Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestages
nicht nachweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts, der sich der Wahlprüfungsaus-
schuss und der Bundestag stets angeschlossen haben, kön-
nen aber nur solche Wahlfehler einen Wahleinspruch erfolg-
reich begründen, die auf Mandatsverteilung von Einfluss
sind oder hätten sein können (BVerfGE 40, 11/30).
Bei den politischen Meinungsäußerungen des Einspruchs-
führers ist ein wahlspezifischer Bezug nicht ersichtlich. So-
weit er die Einführung von Volksabstimmungen und Volks-
entscheiden fordert, ist dem im Wahlprüfungsverfahren
nicht nachzugehen. Eine solche Änderung obläge dem Ge-
setzgeber bzw. dem Verfassungsgesetzgeber.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 149 – Drucksache 15/1850

Anlage 38

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn R. D., 07551 Gera

– Az.: WP 194/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 21. November 2002, das am 22. No-
vember 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist,
hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 15. Deutschen Bundestag eingelegt.
Er beanstandet, dass die Kurzbezeichnungen der politischen
Parteien verwechselbar und daher „beachtlich rechtswidrig“
seien. Insbesondere die Kurzbezeichnungen der „PDS“ und
der „SPD“ hätten jeweils miteinander verwechselt werden
können. Somit sei die nach § 4 Abs. 1 Parteiengesetz
(PartG) notwendige deutliche Unterscheidbarkeit in der
Kurzbezeichnung nicht gegeben. Seiner Ansicht nach hätten
diese beiden politischen Parteien weder in der Wahlwer-
bung noch im Wahlverfahren miteinander konkurrieren dür-
fen. Da dies jedoch in der Vergangenheit des Öfteren ge-
schehen sei, habe seiner Auffassung nach eine „beachtliche
Rechtswidrigkeit“ vorgelegen, die mit dem sich aus Arti-
kel 20 Grundgesetz ergebenden Erfordernis der Rechts-
sicherheit nicht vereinbar sei.
Er trägt weiter vor, dass durch die Abgabe von zwei Stim-
men der Grundsatz der Wahlfreiheit „beachtlich beeinträch-
tigt“ sei. Die Wählerinnen und Wähler hätten seiner Ansicht
nach grundsätzlich nicht gewusst, ob der Stimmzettel bei
Abgabe von nur einer Stimme als gültig gewertet werden
würde. Um vor diesem Hintergrund ihr Interesse an einer
gültigen Stimmabgabe zu wahren, hätten sie ihre zweite
Stimme möglicherweise eher zufällig abgegeben. Seiner
Auffassung nach liegt eine „fahrlässige Unfairness“ vor, da
die Wählerinnen und Wähler zu einer weiteren
„Wahl(teil)entscheidung animiert“ würden, auch wenn sie
nur eine Stimme abgeben wollten. Durch die Abgabe von
Erst- und Zweitstimme könne der Grundsatz der Wahlfrei-
heit „hinlänglich beeinträchtigt“ gewesen sein, da grund-
sätzlich letztendlich zwei „Wahl(teil)entscheidungen“ ge-
troffen würden.
Der Einspruchsführer wendet darüber hinaus ein, dass die
Bildung einer gemeinsamen Fraktion aus CDU und CSU
auf Grund des in der jeweiligen Parteibezeichnung enthalte-
nen Begriffs „Christlich“ nicht statthaft sei. Die Bildung ei-
ner Fraktion von CDU und CSU verstoße gegen die Neutra-
litätspflicht der Staatsgewalt gegenüber den Religionen
nach Artikel 140 GG. Er vertritt die Auffassung, dass die

„Wählbarkeit“ der Kandidaten zur Bundestagswahl voraus-
setze, dass sie keine Fraktion im Bundestag bildeten oder
zuließen, wenn sich aus der „Fraktionsbezeichnung“ ein
„religiöser Inbegriff“ ableiten lasse.
Schließlich schlägt er vor, den Deutschen Bundestag in
„Volkskammer“ umzubenennen, da die Bezeichnung „Bun-
destag“ seiner Auffassung nach nicht hinreichend transpa-
rent „im Sinne von Rechtsklarheit“ sei. In diesem Zusam-
menhang regt er an, den Bundesrat aus Gründen der Trans-
parenz in „Länderkammer“ umzubenennen.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers wird auf den
Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich.
Ein Wahlfehler lässt sich nicht aus einer vom Einspruchs-
führer geltend gemachten Verwechslungsgefahr zwischen
den Parteibezeichnungen von SPD und PDS ableiten. Nach
§ 4 Abs. 1 Satz 1 PartG muss der Name einer Partei sich
von dem Namen einer bereits bestehenden Partei deutlich
unterscheiden; das Gleiche gilt für Kurzbezeichnungen. Die
Frage, ob eine solche Verwechslungsgefahr besteht, ist nicht
im Zulassungsverfahren vor dem Bundeswahlausschuss zu
prüfen und wäre somit auch kein Grund für die Nichtzu-
lassung einer Partei (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 18
Rn. 17). Geben die Namen mehrerer Parteien oder deren
Kurzbezeichnungen in einem Bundesland zu Verwechslun-
gen Anlass, so fügt der Landeswahlausschuss einer Landes-
liste oder mehreren Landeslisten nach § 41 Abs. 1 Satz 2
BWO eine Unterscheidungsbezeichnung bei. Hat der Lan-
deswahlausschuss keine solche Unterscheidungsregelung
getroffen, so ist auch der Kreiswahlausschuss hierzu er-

Drucksache 15/1850 – 150 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

mächtigt (§ 36 Abs. 4 Satz 3 BWO). Die Voraussetzungen
für das Hinzufügen einer Unterscheidungsbezeichnung
waren jedoch in Bezug auf die SPD und die PDS nicht
gegeben. Eine deutliche Unterscheidung der Namen von
Parteien liegt dann nicht vor, wenn die Bezeichnungen in
einem wesentlichen Teil übereinstimmen, der jeweils geeig-
net ist, sich der Öffentlichkeit als verkürzte Bezeichnung
der Partei einzuprägen (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage,
§ 20 Rn. 21). Die „Sozialdemokratische Partei Deutsch-
lands“ und die „Partei des Demokratischen Sozialismus“
werden nicht zuletzt im Hinblick auf ihre unterschiedliche
historische Entwicklung sowie vor dem Hintergrund der
Teilung Deutschlands und der Wiedervereinigung in der
Öffentlichkeit als unterschiedliche Parteien wahrgenom-
men. Dies gilt sowohl bezüglich der Parteinamen als auch
der Kurzbezeichnungen.
Auch soweit der Einspruchsführer beanstandet, dass die
Wählerinnen und Wähler bei Bundestagswahlen zwei Stim-
men haben, ist ein Wahlfehler nicht ersichtlich. § 4 Bundes-
wahlgesetz schreibt vor, dass jeder Wähler zwei Stimmen
hat, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeord-
neten, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Auf
Grund des Vortrags des Einspruchsführers besteht kein An-
lass, die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift und damit
einer wesentlichen Säule des Bundestagswahlsystems in
Frage zu stellen. Beabsichtigt ein Wähler oder eine Wähle-
rin, nur eine Stimme abzugeben, so liegt es nahe, dass er
oder sie sich über die Gültigkeit einer solchen Stimmabgabe
näher informiert. Wer dies nicht tut und „sicherheitshalber“
zwei Stimmen abgibt, nimmt die Folgen seines Wahlverhal-
tens in Kauf. Entgegen der Auffassung des Einspruchsfüh-
rers sind innere Vorbehalte der Wählerinnen und Wähler bei
Stimmabgabe im Rahmen von Wahlen irrelevant.
Die Gültigkeit der Bundestagswahl steht auch nicht durch
die zum Zeitpunkt der Wahl zu erwarten gewesene und zwi-
schenzeitlich erfolgte Bildung einer Fraktionsgemeinschaft
zwischen CDU und CSU in Frage. Es ist nicht ersichtlich,
weshalb eine im vorstaatlichen Bereich politischer Willens-
bildung erfolgende Bildung einer Fraktionsgemeinschaft
gegen die Neutralitätspflicht des Staates gegenüber den Re-
ligionen verstoßen soll und weshalb hierdurch die Wahl
rückwirkend ungültig werden soll.
Schließlich können die Vorschläge des Einspruchsführers
zur Umbenennung von Bundestag und Bundesrat nicht Ge-
genstand eines Wahlprüfungsverfahrens sein.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 151 – Drucksache 15/1850

Anlage 39

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. S., 64720 Michelstadt

– Az.: WP 65/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 23. September 2002, ergänzt durch
Schreiben vom 26. Oktober 2002, hat der Einspruchsführer
Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer vor, dass ein
„bundeswahlamtlicher erheblicher und wesentlicher Man-
gel“ durch das Fehlen der Partei der Christlich-Sozialen
Union (CSU) auf den Wahlunterlagen bzw. auf den Stimm-
zetteln gegeben gewesen sei, der die Wahl „ungültig und
wiederholungsnotwendig“ mache. Seiner Auffassung nach
stellt die Nichtaufführung der CSU eine „große und nicht
hinzunehmende Beeinflussung für eine Wählerentschei-
dung“ dar. Er behauptet, dass man als Wähler „geneigt“ ge-
wesen sei, aus „Frust und Verärgerung“ eigentlich „unge-
wollt“ eine andere aufgelistete Partei zu wählen, da weder
die „gesamte Union“ noch die CSU als „eigenständige Par-
tei“ aufgeführt gewesen sei. Der Einspruchsführer ist der
Ansicht, dass bundesweit „erkenntlich“ sein müsse, „wer
für die Wahl zum Deutschen Bundestag kandidiert, ob Par-
tei oder Person“. In seinem weiteren Schreiben wiederholt
der Einspruchsführer seine Begründung im Wesentlichen
und stellt ergänzend fest, dass die CSU außer in Bayern
nicht auf den Stimmzetteln zur Bundestagwahl aufgedruckt
gewesen sei. Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchs-
führers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Jeder Wähler
hat nach dem Bundeswahlgesetz (BWG) zwei Stimmen,
wobei mit der Zweitstimme eine Landesliste gewählt wird.
Nach § 30 Abs. 2 Nr. 2 BWG enthält der Stimmzettel für
die Wahl nach Landeslisten die Namen der Parteien und, so-
fern sie eine Kurzbezeichnung verwenden, auch diese, so-
wie die Namen der ersten fünf Bewerber der zugelassenen
Landeslisten. Landeslisten können nur von Parteien einge-
reicht werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 BWG). Es ist somit Sache
der CSU und auch der CDU, in welchen Bundesländern sie
jeweils Landeslisten einreichen. Für die Bundestagswahl
2002 hat die CSU nur in Bayern eine Landesliste einge-
reicht. Die CDU hat Landeslisten in den übrigen Bundeslän-
dern eingereicht, jedoch nicht in Bayern. Dementsprechend
sind die Stimmzettel gedruckt worden.
Die Wählerinnen und Wähler haben keinen Anspruch da-
rauf, dass eine Partei Landeslisten in allen Bundesländern
einreicht. Vielmehr müssen sie die eingereichten und auf
den Stimmzetteln befindlichen Landeslisten hinnehmen.
Soweit ihre Wahlentscheidung dadurch beeinflusst wird,
entspricht dies den wahlrechtlichen Vorschriften und kann
daher nicht als unzulässige Beeinflussung der Wähler ge-
wertet werden. Abgesehen davon ist den Wahlberechtigten
in aller Regel bekannt, dass CDU und CSU traditionell eine
Listenverbindung bei Bundestagswahlen eingehen, und
können dies bei ihrem Wahlverhalten berücksichtigen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 153 – Drucksache 15/1850

Anlage 40

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. M., 26340 Neuenburg

– Az.: WP 27/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 2. Oktober 2002 hat der Einspruchsfüh-
rer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer vor, er habe
keine Gelegenheit gehabt, den von ihm gewünschten Kandi-
daten zu wählen. Auf dem Stimmzettel sei der Kandidat le-
diglich mit akademischem Titel, Familiennamen und Vorna-
men aufgelistet gewesen. Da er jedoch „Herrn Dr. …“ habe
wählen wollen, sei für ihn die Identität des von ihm gesuch-
ten Kandidaten nicht feststellbar und ihm daher die Wahl
des Kandidaten unmöglich gewesen. Nach Auffassung des
Einspruchsführers war auf dem Stimmzettel der Kandidat
„Herr Dr. …“ nicht aufgeführt. Er habe die Stimmzettel bei
einem Mitglied des Wahlvorstandes beanstandet, woraufhin
man ihm erklärt habe, dass es „keine anderen Stimmzettel“
gebe. Daraufhin habe er seinen Stimmzettel unausgefüllt
dem Mitglied des Wahlvorstandes zurück gegeben.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Landeswahlleiter wie
folgt Stellung genommen:
Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bundeswahlgesetz (BWG) i.V. m.
§ 45 Abs. 1 Nr. 1 Bundeswahlordnung (BWO) müsse der
Stimmzettel Angaben über Familiennamen, Vornamen, Be-
ruf oder Stand und die Anschrift des Hauptwohnsitzes der
für die Wahl zugelassenen Kreiswahlbewerberinnen und
Kreiswahlbewerber enthalten. Diese Angaben hätten eine
einwandfreie Identifizierung der zur Wahl zugelassenen
Kandidaten ermöglicht, so dass eine gültige Stimmabgabe
hätte erfolgen können. Die Hinzufügung der Anrede „Frau/
Herr“ unterstütze dabei nicht die Identifizierung der einzel-
nen Wahlkreisbewerberin oder des einzelnen Wahlkreisbe-
werbers. Die Anlage 26 zur Bundeswahlordnung (BWO)
enthalte ein Muster, das den Kreiswahlleitern die Gestaltung

des Stimmzettels erleichtere. Im Wahlkreis des Einspruchs-
führers seien die Stimmzettel entsprechend dieses Musters
verwendet worden. Er sei somit in der Lage gewesen, die
Identität des von ihm gesuchten Kandidaten anhand der auf
dem Stimmzettel vorhandenen persönlichen Angaben der
Kandidaten festzustellen. Eine gültige Stimmabgabe sei
dem Einspruchsführer somit möglich gewesen.
Der Einspruchsführer hat sich hierzu inhaltlich nicht geäu-
ßert. Wegen seines weiteren Vortrags in einem ergänzenden
Schreiben wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Der Ein-
spruchsführer hat aus eigenem Entschluss auf die Stimm-
abgabe verzichtet. Wie in der dem Einspruchsführer be-
kannt gegebenen Stellungnahme des Landeswahlleiters im
Einzelnen dargelegt wird, entsprach der dem Einspruchs-
führer ausgehändigte Stimmzettel den Vorschriften des
Bundeswahlgesetzes und der Bundeswahlordnung. Die Ver-
wendung einer besonderen Höflichkeitsform ist dort nicht
vorgesehen.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 155 – Drucksache 15/1850

Anlage 41

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. T., 58454 Witten

– Az.: WP 44/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem per E-Mail am 22. September 2002 an den
Bundeswahlleiter gerichteten Schreiben, das am 10. Okto-
ber 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, hat
der Einspruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September
2002 eingelegt.
Zur Begründung führt der Einspruchsführer an, dass der
verfassungsmäßig garantierte Grundsatz der geheimen Wahl
durch den Verzicht auf die Verwendung amtlicher Wahlum-
schläge „eklatant verletzt“ sei. Trotz seiner Versuche, den
Stimmzettel entsprechend zu falten, sei es ihm nicht gelun-
gen, das „Durchschimmern der Kreuze“ zu verdecken. Die
Stimmabgabe sei auf Grund des durchscheinenden Stimm-
zettels von außen erkennbar gewesen. Von einer geheimen
Wahl könne also „nicht die Rede sein“.
Die Einspruchsschrift wurde vom Einspruchsführer nicht
unterschrieben. Sie enthält am Ende des Textes lediglich
dessen Namen. Mit Schreiben vom 6. November 2002 hat
die Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses den Ein-
spruchsführer aufgefordert, bis spätestens 22. November
2002 eine eigenhändig unterschriebene Einspruchsschrift
vorzulegen. Hierauf hat der Einspruchsführer jedoch nicht
mehr reagiert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch entspricht nicht dem Schriftformerfordernis
des § 2 Abs. 3 WPrüfG; er ist unzulässig.

Gemäß § 2 Abs. 3 WPrüfG sind Wahleinsprüche schriftlich
beim Bundestag einzureichen. Zur Schriftform gehört nach
der ständigen Praxis des Bundestages und des Wahlprü-
fungsausschusses auch die eigenhändige Unterschrift des
Einspruchsführers (Bundestagsdrucksache 14/1560, An-
lage 6). Der Einspruchsführer hat seinen Einspruch ledig-
lich per E-Mail übermittelt. Der Wahlprüfungsausschuss
und der Bundestag haben sich der Rechtsprechung ange-
schlossen, die es mittlerweile beim Bestehen prozessrechtli-
cher Schriftformerfordernisse zulässt, Klagen und Rechts-
mittel auch per Telefax einzulegen. Das Erfordernis einer ei-
genhändigen Unterzeichnung des Originals ist aber stets be-
tont worden (s. Bundestagsdrucksache 13/2800 Anlage 16).
An dieser Praxis hält der Wahlprüfungsausschuss auch wei-
terhin fest.
Da der vorliegende Einspruch weder eine eingescannte Un-
terschrift enthält noch auf ein Faxgerät übermittelt worden
ist, besteht kein Anlass zur Entscheidung, ob der Bundestag
und der Wahlprüfungsausschuss dem Beschluss des Ge-
meinsamen Senats der Obersten Gerichte des Bundes vom
5. April 2000 (GmS-OGB 1/98; NJW 2000, S. 2340) fol-
gen. In diesem Beschluss hat der Gemeinsame Senat in Pro-
zessen mit Vertretungszwang die Übermittlung bestimmen-
der Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer
Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevoll-
mächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts als ausreichend
zur Wahrung der Schriftform angesehen.
Vorliegend besteht keine Gewähr dafür, dass der Absender
der E-Mail diese auch tatsächlich selbst verfasst hat. Dies
könnte genauso durch andere Nutzer, die einen entsprechen-
den Zugang zu dem Gerät haben, geschehen sein. Der Ein-
spruchsführer hat dem Formmangel nicht innerhalb der von
der Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses gesetzten
Frist abgeholfen. Die Schriftform ist somit nicht gewahrt.
Der Einspruch ist somit als unzulässig im Sinne des § 6
Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 157 – Drucksache 15/1850

Anlage 42

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. N., 15326 Lebus

– Az.: WP 17/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 1. Oktober 2002 beim Deutschen Bundestag
eingegangenen Schreiben hat der Einspruchsführer Ein-
spruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag eingelegt. Er beanstandet im Wesentlichen, dass
sich beim Kreishaus in Seelow ein „völlig ungesicherter“
und überfüllter Briefkasten für Wahlbriefe befunden habe.
Neben einer Verletzung des Grundsatzes der geheimen
Wahl bestehe auch die Möglichkeit der Wahlbeeinflussung
durch Diebstahl von Wahlunterlagen.
Er habe am 21. September 2002 um 20.20 Uhr seinen Wahl-
brief abgegeben. Bei dem Versuch, den Wahlbrief in diesen
als Zustelladresse für Briefwahlunterlagen angegebenen
Briefkasten zu werfen, habe er einen Stau von Briefen im
Briefkasten bemerkt. Der Inhalt des Briefkastens sei von au-
ßen zugänglich gewesen, so dass er ohne Schwierigkeiten
sechs Wahlbriefe habe entnehmen können, die er jedoch
wieder in den Briefkasten eingeworfen habe. Auf diese
Weise sei es möglich gewesen, den gesamten Inhalt des
Briefkastens zu entnehmen. Dadurch sei das Wahlgeheimnis
nicht mehr gewahrt und eine „eventuelle Manipulation“ der
Wahl möglich gewesen.
Daneben beanstandet er, dass durch einen „Organisations-
mangel“ eine Verhinderung der Stimmabgabe möglich ge-
wesen sei. Als er den Wahlbrief habe abgeben wollen, habe
er festgestellt, dass die auf den Briefwahlunterlagen angege-
bene Zustelladresse eine durch „Bauzäune abgeschlossene
Baustelle“ gewesen sei. Eine andere Anschrift zur Abgabe
seines Wahlbriefs habe er nicht entdekken können. Nach-
dem er um das Gelände herum gegangen sei, sei er in einer
Nebenstraße auf diesen schlecht erkennbar angebrachten,
„völlig ungesicherten Briefkasten“ gestoßen, der mit einem
Aufkleber „Wahlbriefe hier einwerfen“ gekennzeichnet ge-
wesen sei. Ein ortsunkundiger Bürger hätte seiner Auffas-
sung nach diesen Briefkasten wohl kaum gefunden und da-
her nicht die Möglichkeit wahrnehmen können, seine
Stimme abzugeben. Eine Fotodokumentation liege dem
Einspruchsführer vor.
Zu diesem Wahleinspruch hat die Kreiswahlleiterin für den
Wahlkreis Märkisch-Oderland/Barnim II wie folgt Stellung
genommen:

Auf den Wahlbriefumschlägen sei die richtige und vollstän-
dige Adresse der Kreiswahlleiterin vermerkt gewesen. An
dem Kreishaus hätten seit mehreren Monaten Um- und An-
bauarbeiten stattgefunden, die den Bürgern durch Presse-
arbeit bekannt gegeben worden seien. An den Bauzäunen
hätten sich während der gesamten Bauphase und auch zum
Zeitpunkt der Wahlen Schilder mit dem Hinweis, dass der
Zugang nur über den Seiteneingang möglich sei, befunden.
An dem Seiteneingang habe sich ein Briefkasten (Breite:
35 cm, Höhe: 23 cm, Tiefe: 10 cm) befunden, der zur Ver-
hinderung einer unbefugten Briefentnahme mit einer Klappe
versehen worden sei. In der Vorbereitungsphase und bei der
Durchführung der Bundestagswahlen sei dieser Briefkasten
mindestens dreimal täglich geleert worden. Nach ihren Fest-
stellungen habe es sich bei den Einwürfen in diesen Brief-
kasten nur umwenige Briefe gehandelt, da der überwiegende
Teil der Wahlbriefe per Post oder über den Kurierdienst der
Kreisverwaltung eingegangen sei. Der Briefkasten sei so-
wohl am 20. September 2002 um 19.00 Uhr als auch am
21. September 2002 um die Mittagszeit und um ca. 16.00
Uhr geleert worden. Am 21. September 2002 habe es sich
um höchstens 10 Wahlbriefe gehandelt. Das Büro der Kreis-
wahlleiterin sei am Wahltage ab 8.00 Uhr ständig besetzt
gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Briefkasten ebenfalls
geleert worden, wobei sechs oder sieben Wahlbriefe ent-
nommen worden seien.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme bekannt gege-
ben worden. Er hat sich hierzu nicht geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Als Wahlfehler könnte anzunehmen sein, dass der Briefkas-
ten für Wahlbriefe beim Kreishaus in Seelow nicht ord-
nungsgemäß gesichert war und somit möglicherweise gegen
den Grundsatz der geheimen Wahl verstoßen wurde. Die

Drucksache 15/1850 – 158 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Einordnung als Wahlfehler kann jedoch offen bleiben, denn
selbst wenn der Briefkasten nicht ordnungsgemäß gesichert
gewesen sein sollte, hätte der Einspruch keinen Erfolg. Die-
ser Vorgang kann nämlich keinen Einfluss auf das Wahler-
gebnis haben. Die Tatsache, dass im Vorfeld der Bundes-
tagswahl 2002 und zum Zeitpunkt der Durchführung der
Wahl Umbauarbeiten am Kreishaus in Seelow stattfanden
und deshalb der Briefkasten nicht an der gewohnten Stelle
angebracht war, begründet keinen Wahlfehler.
Ein Wahlfehler liegt vor, sofern es zutrifft, dass der Wahl-
briefkasten tatsächlich nicht gegen einen Zugriff durch Un-
befugte hinreichend gesichert war. Ob dies der Fall war, ist
zwischen dem Einspruchsführer und der Kreiswahlleiterin
streitig und lässt sich nicht mit hinreichender Sicherheit auf-
klären. Der Einspruchsführer hat sehr konkret vorgetragen,
dass er am 21. September 2002 um 20.20 Uhr – also ca. vier
Stunden nach der Leerung des Briefkastens – einen Stau
von Wahlbriefen festgestellt habe und dass er sechs Wahl-
briefe habe entnehmen können. Die Kreiswahlleiterin hat
dem mit dem Hinweis widersprochen, der metallene Brief-
kasten sei mit einer Klappe versehen gewesen und zudem
regelmäßig geleert worden.
Nach § 66 Abs. 2 Satz 1 BWO müssen die Wahlbriefe bei
dem Kreiswahlleiter bzw. der Kreiswahlleiterin des Wahl-
kreises, für den der Wahlschein gültig ist, eingehen. Der
Kreiswahlleiterin oblag es somit, die in den Wahlbriefkasten
beim Kreishaus in Seelow eingeworfenen Wahlbriefe unter
Verschluss zu halten (§ 74 Abs. 1 Satz 1 BWO). Diese Ver-
pflichtung besteht ab dem Eingang der Wahlbriefe. Eine
ausdrückliche Regelung darüber, wann ein Wahlbrief als
eingegangen gilt, ist weder im Bundeswahlgesetz noch in
der Bundeswahlordnung enthalten. Somit ist auf die allge-
meinen zivilrechtlichen Grundsätze zurückzugreifen, wo-
nach eine Erklärung dann zugegangen ist, wenn sie so in
den „Machtbereich“ des Empfängers gelangt ist, dass dieser
unter gewöhnlichen Umständen von ihr Kenntnis nehmen
konnte (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 36 Rn. 12).
Dies ist gewöhnlich der Zeitpunkt des Einwurfs in den
Briefkasten und ist auch im vorliegenden Fall nicht anders
zu beurteilen. Zwar tragen die Wahlberechtigten, die an der
Briefwahl teilnehmen, bei einer Übermittlung per Post
grundsätzlich das Risiko einer verspäteten oder nicht ord-
nungsgemäßen Ankunft des Wahlbriefs. Dieses Risiko geht
aber ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Wahlbriefs bei der
zuständigen Stelle, also ab dem Zeitpunkt des Einwurfs in
den Briefkasten, auf den Empfänger über. Es besteht kein
Anlass, diese Risikoverteilung bei denjenigen anders zu be-
urteilen, die ihren Wahlbrief direkt bei der Kreiswahlleiterin
in den Briefkasten geworfen haben. Auch die Tatsache, dass
sich beim Kreishaus in Seelow eine Baustelle befand, ändert
nichts daran, dass die Wahlbriefe mit dem Einwurf in den
Wahlbriefkasten eingegangen sind. An den Bauzäunen, die
den Umbau vor dem eigentlichen Haupteingang sicherten,
befanden sich Hinweisschilder auf den bei einem Seitenein-
gang befindlichen Briefkasten. Dieser konnte somit entge-
gen der Auffassung des Einspruchsführers der angegebenen
Adresse zugeordnet werden, zumal er einen Aufkleber mit
dem Hinweis „Wahlbriefe hier einwerfen“ enthielt. Aus

§ 74 Abs. 1 Satz 1 BWO ergibt sich für die Kreiswahlleite-
rin die Verpflichtung, den Wahlbriefkasten so zu sichern,
dass ein Zugriff auf die Wahlbriefe durch Unbefugte ausge-
schlossen ist. Diese Vorschrift dient der Sicherung des
Wahlgeheimnisses und ist deshalb nicht als bloße Ord-
nungsvorschrift anzusehen. Deren Verletzung begründet
einen Wahlfehler.
Der Einspruch kann aber trotz dieses Wahlfehlers – sofern
er vorliegt – keinen Erfolg haben. Nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der
Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag stets ange-
schlossen haben, können nämlich nur solche Wahlfehler ei-
nen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die auf die Man-
datsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein können.
Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein als un-
erheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht
berühren (seit BVerfGE 4, 370/372 ständige Rechtspre-
chung). Selbst solche Wahlfehler, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie
angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf
die Mandatsverteilung haben können. Ein solcher Einfluss
kann hier mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen wer-
den. Der Einspruchsführer hat nach seinem Vortrag die
sechs entnommenen Wahlbriefe sofort wieder in den Brief-
kasten geworfen. Darüber hinaus hat die Kreiswahlleiterin
dargelegt, dass der Wahlbriefkasten im Vorfeld der Bundes-
tagswahl mindestens dreimal täglich geleert wurde und nur
ein verhältnismäßig geringer Anteil der Wahlbriefe direkt in
den Briefkasten der Kreiswahlleiterin in Seelow eingewor-
fen wurde. Dies entspricht auch der Lebenserfahrung, wo-
nach in aller Regel nur ortsansässige Wählerinnen und
Wähler von der Möglichkeit des Direkteinwurfs Gebrauch
machen. In der Stadt Seelow gab es nach Mitteilung der
Kreiswahlleiterin nur insgesamt 4 081 Wahlberechtigte, von
denen 351 einen Wahlschein beantragt hatten. Darüber hi-
naus gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte, dass Wahl-
briefe durch Diebstahl verloren gegangen sein könnten.
Der Wahleinspruch kann schließlich keinen Erfolg haben,
soweit der Einspruchsführer einen Organisationsmangel da-
hin gehend geltend macht, dass ortsunkundige Bürger den
Briefkasten nicht gefunden und deshalb ihre Stimmabgabe
unterlassen hätten. Die Wahlbehörde hat am Bauzaun Hin-
weisschilder angebracht und zudem durch Pressearbeit auf
die mit den Umbauarbeiten verbundenen Änderungen hin-
gewiesen. Die Wahlbehörden sind nicht verpflichtet, im
Vorfeld von Wahlen und bei deren Durchführung Liegen-
schaften, bei denen Umbauarbeiten stattfinden, von der
Wahlvorbereitung und Wahlorganisation auszuschließen.
Den Wahlberechtigten war es im konkreten Fall auch zu-
mutbar, den Hinweisschildern zu folgen und die Wahlbriefe
an der betreffenden Stelle einzuwerfen. Darüber hinaus gibt
es keinen konkreten Anhaltspunkt, dass ein Wahlberechtig-
ter tatsächlich auf die Ausübung seines Wahlrechts verzich-
tet hätte, weil er den Wahlbriefkasten am Kreishaus in See-
low nicht gefunden hat.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 159 – Drucksache 15/1850

Anlage 43

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H.-J. S., 12207 Berlin

– Az.: WP 84/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 5. Juni 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 16. November 2002, das am 18. No-
vember 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist,
hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung führt der Einspruchsführer aus, dass die
Neufassung des Bundeswahlgesetzes (BWG), mit der die
Abschaffung der amtlichen Wahlumschläge geregelt wor-
den sei, gegen die grundgesetzliche Garantie des Wahlge-
heimnisses verstoße und deshalb verfassungswidrig und so-
mit nichtig sei. Er beantragt daher, die Wahl für ungültig zu
erklären und die sich daraus ergebenden Folgen festzustel-
len.
Er vertritt die Auffassung, dass bei der Durchführung der
Wahl grundlegend gegen das verfassungsrechtliche Gebot
der Wahrung des Wahlgeheimnisses verstoßen worden sei,
da bei dieser Wahl auf die Verwendung der amtlichen Um-
schläge verzichtet worden sei. Dadurch sei die „grundsätzli-
che Möglichkeit der tatsächlichen Durchbrechung des Ge-
bots des Wahlgeheimnisses bei einer Vielzahl von Stimm-
abgaben – theoretisch bei jeder Stimmabgabe“ gegeben ge-
wesen.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass die Staatsgewalt von
Verfassungs wegen vom Volke ausgehe, die in Wahlen und
Abstimmungen ausgeübt werde. Die Staatsbürger beauf-
tragten nach der Verfassung durch Wahlen bestimmte Or-
gane mit der Ausübung der Staatsgewalt. Für diese Aus-
übung der Staatsgewalt müsse eine demokratische Legiti-
mation durch das Volk bestehen, aus der auch eine Verant-
wortlichkeits- und Kontrollfunktion entstehe. Dies erfolge
z. B. durch Parlamentswahlen, bei denen der Wille der
Staatsbürger bekundet werde. Zur Herstellung und Gewähr-
leistung der demokratischen Legitimation des Parlaments
und der vom Grundgesetz erstrebten rechtsstaatlichen De-
mokratie seien daher die verfassungsrechtlich verankerten
Wahlrechtsgrundsätze, insbesondere der Grundsatz der ge-
heimen Wahl, von besonders grundlegender Bedeutung und
im Interesse der Wählerinnen und Wähler nachhaltig zu
wahren. So verlange der Grundsatz der geheimen Wahl,
dass die Stimmabgabe weder offen noch öffentlich, sondern
vielmehr unter Sicherung der Geheimhaltung erfolge, so
dass nicht festgestellt werden könne, wie der einzelne Wäh-

ler gewählt habe. Zur Wahrung dieses Grundsatzes seien
durch den Staat geeignete Maßnahmen zu treffen, die ein
„ungewolltes Offenbarwerden“ der Wahlentscheidung aus-
schließe. Den Wählerinnen und Wählern solle das Gefühl
gegeben werden, „in der im Allgemeinen nicht gerade beru-
higenden Atmosphäre des Wahllokals in aller Unabhän-
gigkeit, Sicherheit und Freiheit ohne jede Angst vor einer
Offenbarung frei und geheim entscheiden zu können“. Aus
dem Prinzip der Sicherung der Geheimhaltung der Stimm-
abgabe folge auch das Verbot, den Inhalt der Stimmabgabe
zu erforschen. Die bloße Möglichkeit einer Durchbrechung
des Grundsatzes der geheimen Wahl ist nach Auffassung
des Einspruchsführers verfassungswidrig. Mit dem Grund-
satz der geheimen Wahl stehe auch der Grundsatz der freien
Wahl in engem Zusammenhang. Die Wählerinnen und
Wähler könnten nur dann wirklich frei wählen, wenn man
sich zum Schutz vor Benachteiligungen auf Grund der
Wahlentscheidung auf die geheime Wahl verlassen könne.
Der Einspruchsführer vertritt die Auffassung, dass „nicht
selten“ Wählerinnen und Wähler angesichts all dieser „im
Wahllokal zu erwartenden Schwierigkeiten“ nicht zur Wahl
gegangen seien. Seiner Ansicht nach gibt die immer mehr
zunehmende Zahl der Wahlberechtigten, die nicht an der
Wahl teilnehmen, Anlass zu „erheblichen Befürchtungen“
und zu der Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland über-
haupt noch eine Demokratie sei, wenn wesentliche Teile des
deutschen Volkes ihr Wahlrecht nicht ausübten. Die seiner
Meinung nach bestehende „Frustration“ der Wählerinnen
und Wähler über die „vielfach volksferne Politik“ solle
durch die Schaffung einer „unsicheren und unfairen Atmos-
phäre im Wahllokal“ nicht noch vergrößert werden.
Auch sei bei der Entscheidung über den Verzicht auf die
Verwendung der amtlichen Wahlumschläge nicht beachtet
worden, dass an der Wahl auch ältere und kranke Wählerin-
nen und Wähler teilnehmen. Durch den Umgang mit „meh-
reren umschlaglosen Stimmzetteln“ sei hier die Gefahr ge-
geben, dass diese Wählerinnen und Wähler die Stimmzettel
z. B. nicht richtig falten könnten, einen Teil der Stimmzettel
in der Wahlkabine „liegen lassen“ oder dass ein Stimmzettel
„aus dem Verband“ herausfallen könne und für „unbefugte
Blicke“ einsehbar sei. Es seien seiner Ansicht nach Fehler-
quellen entstanden, durch die das Recht der geheimen Wahl
dieser Bürger beeinträchtigt werde. Dies schildert der Ein-

Drucksache 15/1850 – 160 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

spruchsführer anhand eigener Erfahrungen anlässlich der
am 5. Mai 1996 durchgeführten Volksabstimmung in Berlin
und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen
Bundeslandes sowie anlässlich der Wahl zum Abgeordne-
tenhaus und zu den Bezirksverordnetenvertretungen von
Berlin am 10. Oktober 1999. Er habe bei diesen Wahlen
mehrere Fälle einer „möglichen Offenbarung der Wahlent-
scheidung“ wie z. B. „ein Aufspringen“ des Stimmzettels,
ein „Durchdrücken des handschriftlichen Kreuzes“, eine un-
saubere Faltung eines einzelnen Stimmzettels in „einem
Verbund mehrerer Stimmzettel“, erlebt. Zu den Einzelheiten
der vorgetragenen eigenen Erfahrungen wird auf den Inhalt
der Akten Bezug genommen. Angesichts des Verzichts auf
die Verwendung der amtlichen Wahlumschläge seien noch
„viele weitere Möglichkeiten eines Bruchs des Wahlge-
heimnisses“ denkbar. Die Entscheidung über die Abschaf-
fung der amtlichen Wahlumschläge sei vor diesem Hinter-
grund „unerfindlich“. Auch könne die vom Bundeswahl-
leiter in mehreren Zeitungsartikeln veröffentlichte Be-
gründung für den Verzicht auf die Verwendung der
Wahlumschläge den Einspruchsführer nicht überzeugen. Er
schlage vor, für „große Stimmzettel“ ausreichend „große
handliche“ Wahlumschläge zu verwenden sowie die ent-
stehenden Beschaffungskosten der Umschläge durch mehr-
malige Verwendung zu senken.
Nach einer dem Grundgesetz entsprechenden Würdigung
„all dieser Umstände“ müsse der Schluss gezogen werden,
dass das Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes, mit
dem auf die Verwendung amtlicher Wahlumschläge ver-
zichtet worden sei, gegen die grundgesetzliche Garantie ge-
heimer Wahlen verstoße. Durch diese Gesetzesänderung
hätten alle Wählerinnen und Wähler ohne amtlichen Wahl-
umschlag wählen müssen und sich „dadurch grundsätzlich
jeder an einer ohne Furcht vor Nachteilen nur seinem Wis-
sen und Gewissen entsprechenden freien Wahl gehindert ge-
fühlt haben“ können. Nach Ansicht des Einspruchsführers
erscheint es „durchaus möglich und sogar wahrscheinlich“,
dass bei Verwendung von amtlichen Wahlumschlägen ein
anderes Wahlergebnis und damit eine andere Zusammenset-
zung des Deutschen Bundestages zustande gekommen
wäre. Somit müsse er von der Ungültigkeit der Wahl ausge-
hen, die nur durch den Nachweis, dass das Wahlergebnis
und die Zusammensetzung des Bundestages durch „die Feh-
ler“ nicht beeinflusst worden seien, widerlegt werden
könnte. Da dies offensichtlich nicht möglich sei, müsse die
Bundestagswahl für ungültig erklärt werden.
Fraglich ist seiner Ansicht nach, ob der Deutsche Bundestag
über die Nichtigkeit der Änderung des Bundeswahlgesetzes
in eigener Zuständigkeit entscheiden dürfe, oder ob hierüber
das Bundesverfassungsgericht befinden müsse. Im Falle der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Ver-
fassungswidrigkeit der Gesetzesänderung hätte dies zur
Folge, dass die Wahl ungültig sei. Zu diesem Ergebnis
müsse der Bundestag in jedem Falle kommen.
Zu den weiteren Ausführungen des Einspruchsführers, die
sich auf das Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler zur
Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft sowie zur Zeit
des „Ulbricht-Honecker-Regimes“ beziehen und mit den
Wahlrechtsgrundsätzen der geheimen und der freien Wahl in
Zusammenhang stehen, wird auf den Inhalt der Akten Be-
zug genommen.

Nach den Feststellungen des Wahlprüfungsausschusses sind
im Wahllokal des Einspruchsführers Stimmzettel mit fol-
gender Papierqualität verwendet worden: weiß, holzfrei,
Offset, 80g/m2, 1,3faches Volumen. Ein entsprechender
Muster-Stimmzettel liegt dem Wahlprüfungsausschuss vor.
Zu vergleichbaren Wahleinsprüchen und zur grundsätz-
lichen Problematik hat der Bundeswahlleiter unter Bezug-
nahme auf eine Stellungnahme des Landeswahlleiters des
Landes Baden-Württemberg Stellung genommen, wobei
diese Stellungnahmen dem Einspruchsführer auf Grund des
sachlichen Zusammenhangs bekannt gegeben worden sind.
Der Bundeswahlleiter führt aus, dass bei der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag auch ohne Verwendung amtlicher
Wahlumschläge bei der Urnenwahl das Wahlgeheimnis (Ar-
tikel 38 Abs. 1 GG) gewahrt worden sei. Bis zur Bundes-
tagswahl 1998 sei die Benutzung amtlicher Wahlumschläge
bei der Urnenwahl vorgeschrieben gewesen. Mit dem
15. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom
27. April 2001 (BGBl. I, S. 698) sei die Pflicht zur Verwen-
dung amtlicher Wahlumschläge abgeschafft worden. Damit
sei der Bundesgesetzgeber für Bundestagswahlen dem Bei-
spiel der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer ge-
folgt, die bei Landtagswahlen auf die Verwendung von
Wahlumschlägen verzichtet hätten, ohne dass es dort zu Ge-
fährdungen des Wahlgeheimnisses gekommen sei. Diese
Gesetzesänderung sei seit geraumer Zeit im parlamentari-
schen Raum und in der Öffentlichkeit, u. a. vom Deutschen
Städte- und Gemeindebund, vom Bund der Steuerzahler und
von Mitgliedern der Wahlvorstände, gefordert worden. Der
Gesetzgeber habe sich schließlich der Auffassung ange-
schlossen, dass Wahlumschläge nicht zwingend erforderlich
seien. Dem Verzicht auf die Verwendung der amtlichen
Wahlumschläge hätten nach der Begründung des Ände-
rungsgesetzes u. a. Gründe der Kostenersparnis bzw. der
Materialreduzierung, der Zeitersparnis bei der Stimmenaus-
zählung sowie der Vereinfachung bei der Stimmabgabe und
der Anpassung der Wahlpraxis in den Bundesländern zu-
grunde gelegen (Bundestagsdrucksache 14/3764, S. 9).
Rechtliche Bedenken gegen die Abschaffung der amtlichen
Wahlumschläge bestünden nicht.
Zur Gewährleistung einer geheimen Stimmabgabe seien
amtliche Wahlumschläge nicht zwingend erforderlich, so-
fern die Anforderungen, die sich aus dem Wahlrechtsgrund-
satz der geheimen Wahl ergeben, erfüllt seien. Die Rege-
lung des § 34 Abs. 2 Satz 2 BWG schreibe vor, dass der
Wähler nach der Stimmabgabe den Stimmzettel in der
Weise zu falten habe, dass seine Stimmabgabe nicht erkenn-
bar sei. Sei die Stimmabgabe von außen erkennbar, so habe
der Wahlvorstand nach § 56 Abs. 6 Nr. 5 BWO einen Wäh-
ler zurückzuweisen. Innerhalb des Wahlrechtsgrundsatzes
der geheimen Wahl dürfe es der Gesetzgeber von Verfas-
sungs wegen dem Wähler überlassen, in seinem Bereich
selbst für die Wahrung des Wahlgeheimnisses und der
Wahlfreiheit Sorge zu tragen, wenn und soweit ihm dies
ohne Schwierigkeiten möglich und zuzumuten sei (Be-
schluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juli 1996
– 8 B 147/96, Buchholz 160 Wahlrecht Nr. 42). Wie den
Wahleinsprüchen, zu denen der Bundeswahlleiter Stellung
genommen habe, zu entnehmen sei, hätten vereinzelt
Wählerinnen und Wähler mit der Faltung der Stimmzettel
Probleme gehabt.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 161 – Drucksache 15/1850

Zur Wahlvorbereitung sei in der mit allen Landeswahllei-
tern und dem Bundesministerium des Innern anberaumten
Sitzung vom 28. Februar 2002 die Papierqualität der zu be-
schaffenden Stimmzettel vor dem Hintergrund der Wahrung
des Wahlgeheimnisses abgestimmt worden. So sei zunächst
die vom Landeswahlleiter des Landes Mecklenburg-Vor-
pommern vorgeschlagene Papierqualität (weiß, holzfrei,
Offset, 80 g/m∑,1,3faches Volumen) empfohlen worden. Die
später vom stellvertretenden Landeswahlleiter des Landes
Rheinland-Pfalz vorgeschlagene Papierqualität (Offset, aus
100 % Altpapier, matt, matiniert, weiß, 80 g/m2) sei im Hin-
blick auf die Wahrung des Wahlgeheimnisses als besonders
geeignet zur Verwendung angesehen und daher ebenfalls
zur Bundestagswahl empfohlen worden. Der Bundeswahl-
leiter geht davon aus, dass die Empfehlungen hinsichtlich
der Papierstärke bei der Beschaffung der Stimmzettel be-
achtet worden seien. Der Einwand, die Markierungen auf
den Stimmzetteln seien auch im „gefalteten Zustand“ mühe-
los zu erkennen, treffe nicht zu. Hierzu werde auf die der
Stellungnahme beigefügten Musterstimmzettel verwiesen.
Der Einspruchsführer hat sich zu den Stellungnahmen wie
folgt geäußert:
Er beanstandet, dass sein Wahleinspruch nicht dem Bundes-
wahlleiter zur Stellungnahme übersandt worden sei. Er fühlt
sich den anderen Einspruchsführern gegenüber benachtei-
ligt, da seiner Ansicht nach dem Grundsatz des rechtlichen
Gehörs und der Gleichbehandlung folgend auch sein Wahl-
einspruch dem Bundeswahlleiter zur Kenntnisnahme und
Stellungnahme hinsichtlich seiner Ausführungen hätte über-
sandt werden müssen. Er geht davon aus, dass er auf Grund
der von ihm aus seiner bisherigen Tätigkeit als Richter er-
worbenen Sach- und Rechtskenntnisse, aus seinen als frühe-
rer Bürger der DDR gemachten „traurigen Erfahrungen mit
der DDR-Wahlpraxis“ sowie aus dem Umstand, dass er sich
bereits seit längerer Zeit mit dem „Problem der fehlenden
Stimmzettel-umschläge“ befasse, zu dieser Problematik
Überlegungen und Argumente einbringen könne, die für
den Bundeswahlleiter von „besonderer Bedeutung“ sein
dürften. Daher beantragt er die Vorlage seines Wahlein-
spruchs beim Bundeswahlleiter. Weiterhin beanstandet er,
dass er die übersandten Stellungnahmen nur dann verstehen
könne, wenn er Kenntnis über die dem Bundeswahlleiter
vorgelegten Wahleinsprüche habe. Sollte sein Wahlein-
spruch nicht dem Bundeswahlleiter vorgelegt werden, so
bittet er um Übersendung der Einspruchsschriften. Er äu-
ßere sich zu den vorliegenden Stellungnahmen, soweit ihm
dies möglich sei.
Die Kennzeichnung des Stimmzettels habe in seinem kon-
kreten Fall durch den ihm zur Verfügung gestellten Stimm-
zettel nach außen erkennbare Abdrücke hinterlassen. Daher
sei seine Stimmabgabe auch trotz mehrmaliger Faltung des
Stimmzettels von außen durch „aufmerksame Beobachter“
möglich gewesen. Er habe festgestellt, dass seine Kenn-
zeichnung bei entsprechendem Lichteinfall sogar durch das
Papier hindurch scheine. Hierauf sei in den Stellungnahmen
nicht konkret eingegangen worden. Durch die Verwendung
von amtlichen Wahlumschlägen hätte diese Problematik
vermieden werden können.

Lebensfremd erscheine der Hinweis der beiden Wahlleiter,
dass der Wähler den Stimmzettel gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2
BWG, § 56 Abs. 2 Satz 1 BWO in der Weise falte, dass
seine Stimmabgabe nicht erkennbar sei, und dass der Wahl-
vorstand gemäß § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 BWO einen Wäh-
ler zurückzuweisen habe, der seinen Stimmzettel so gefaltet
habe, dass seine Stimmabgabe erkennbar sei. Aus diesen
Vorschriften folgere der Bundeswahlleiter zu Unrecht, dass
gegen eine Erkennbarkeit der Stimmabgabe spreche, dass
der Wahlvorstand den Einspruchsführer andernfalls hätte
zurückweisen müssen. Hinsichtlich der „Garantie des Wahl-
geheimnisses“ seien ganz besondere Anforderungen an die
Durchführung der Wahl zu stellen, wobei „auch auf die
Möglichkeiten und Fähigkeiten der schwächsten Wähler“
sowie auf „geistig Unbedarfte“ Rücksicht zu nehmen sei.
Diese Wählerinnen und Wähler seien „angesichts ihrer Un-
bedarftheit“ nicht imstande oder willens, z. B. die Anord-
nungen zur Faltung des Stimmzettels zu befolgen oder sons-
tige zweckmäßige Vorkehrungen zur Wahrung des Wahlge-
heimnisses zu treffen.
Weiter hätten die Wahlleiter in ihren Stellungnahmen sinn-
gemäß angeführt, dass durch die Zurückweisung und er-
neute Zulassung zur ordnungsgemäßen Wahl das Wahlge-
heimnis gewahrt sei. Der Einspruchsführer trägt hierzu vor,
dass der Grundsatz der geheimen Wahl jedoch bereits mit
der Zurückweisung von der Wahl verletzt und insoweit
nicht mehr „rückgängig zu machen“ sei. Wie er aus eige-
ner Erfahrung anlässlich einer früheren Wahl wisse, steck-
ten die Wählerinnen und Wähler bei der erneuten „ord-
nungsgemäßen Stimmabgabe“ hinsichtlich des Wahlverhal-
tens in einem „Dilemma“.
Er kritisiert auch, dass in den Stellungnahmen unter Hin-
weis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 24. Juli 1996 (BVerwG 8 B 147/96) den Wählerinnen
und Wählern vorgehalten werde, dass ein Wahlberechtigter
„die Nachteile des Bruchs des Wahlgeheimnisses“ selber zu
tragen habe, wenn ihm ein „vorsichtigeres Verhalten“ mög-
lich und zuzumuten sei. Dieser Hinweis mache deutlich,
dass der „Sinn und Zweck der grundgesetzlichen Garantie
des Wahlgeheimnisses“ verkannt worden sei. Es gehe insbe-
sondere nicht an, dass denjenigen Wählerinnen und Wäh-
lern ein „Rechtsschutzbedürfnis für die Wahlanfechtung“
abgesprochen werde, denen die „Verhinderung der Offenba-
rung des Wahlgeheimnisses“ durch entsprechende Handlun-
gen „ohne Schwierigkeiten möglich und zuzumuten“ gewe-
sen sei. Vielmehr habe „der Wähler“ ein „subjektives
Recht“ darauf, mit allen anderen Wahlberechtigten „geheim
und damit innerlich frei und ungebunden“ zu wählen, um
somit im „Zusammenwirken mit allen übrigen Wählern“ zu
dem „von ihm selbst gewünschten Wahlergebnis“ zu kom-
men.
Zu den im Einzelnen gemachten Äußerungen des Ein-
spruchsführers wird auf den Inhalt der Akten Bezug genom-
men.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Drucksache 15/1850 – 162 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist weder
durch den Verzicht auf amtliche Wahlumschläge durch den
Gesetzgeber noch durch die Art und Weise der Durchfüh-
rung der Bundestagswahl 2002 im Wahllokal des Ein-
spruchsführers gegeben.
Rechtsgrundlage für den Verzicht auf amtliche Wahlum-
schläge ist § 34 Abs. 2 Satz 2 BWG in Verbindung mit § 56
Abs. 2 Satz 1 BWO. Hiernach kennzeichnet der Wähler sei-
nen Stimmzettel in der Wahlzelle und faltet ihn dort in der
Weise, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist; an-
schließend wirft er ihn in die Wahlurne. Die bis zur Bundes-
tagswahl 1998 vorgeschriebene amtliche Herstellung und
Benutzung von Wahlumschlägen für die Urnenwahl ist
durch das 15. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetz
vom 27. April 2001 (BGBl. I, S. 698) abgeschafft worden.
Soweit der Einspruchsführer hierin einen Verstoß gegen die
Grundsätze der geheimen und freien Wahl sieht, ist zunächst
auf die ständige Praxis des Bundestages und des Wahlprü-
fungsausschusses zu verweisen, wonach diese sich nicht be-
rufen sehen, die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsvor-
schriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets dem Bun-
desverfassungsgericht vorbehalten worden. Unabhängig da-
von bestehen jedoch keine Zweifel daran, dass der Verzicht
auf amtliche Wahlumschläge bei der Urnenwahl verfas-
sungsgemäß ist.
Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des Wahlrechts
und hierbei auch bei der konkreten Ausgestaltung der
Grundsätze der geheimen und freien Wahl einen gewissen
Gestaltungsspielraum, der durch den Verzicht auf amtliche
Wahlumschläge nicht überschritten ist. Auch das Bundes-
verwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 24. Juli
1996 festgestellt, dass die Gewährleistung des Wahlgeheim-
nisses nicht zwingend die Verwendung von Wahlumschlä-
gen verlange (BVerwG, 8 B 147/96, Buchholz 160 Wahl-
recht Nr. 42). Maßgeblich ist hierbei die Erwägung, dass der
Gesetzgeber von Verfassungs wegen den Wahlberechtigten
zur Wahrung des Wahlgeheimnisses eine gewisse Mitwir-
kung auferlegen darf, wenn und soweit ihnen das ohne
Schwierigkeiten möglich und zumutbar ist (BVerfGE 59,
116/126; BVerwG, a. a. O.). Hierbei ist darauf abzustellen,
was auch unter Berücksichtigung der Möglichkeiten und
Fähigkeiten von weniger versierten Wählerinnen und Wäh-
lern zumutbar ist. Bei der derzeitigen Regelung wird – wie
vom Einspruchsführer gefordert – auch auf „die Möglich-
keiten und Fähigkeiten der schwächsten Wähler“ Rücksicht
genommen. Soweit in der wissenschaftlichen Literatur ein-
gewandt wird, die angeführte Rechtsprechung beziehe sich
auf die konkreten Umgebungsverhältnisse bei der Briefwahl
(Franz Reimer, Privatisierung des Wahlgeheimnisses?, ZRP
2003, S. 8/9), so folgt hieraus nicht, dass den Wahlberech-
tigten bei der Urnenwahl keinerlei Mitwirkungspflichten
auferlegt werden könnten. Entscheidend ist, dass der Ge-
setzgeber bzw. der Verordnungsgeber dafür Sorge getragen
hat, dass das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit gewahrt
wird. So muss nach § 45 Abs. 1 Satz 2 BWO das Papier der
Stimmzettel so beschaffen sein, dass nach Kennzeichnung
und Faltung durch den Wähler andere Personen nicht erken-

nen können, wie er gewählt hat. Vor diesem Hintergrund be-
gegnet der Verzicht auf amtliche Wahlumschläge bei der
Urnenwahl keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Auch die vom Einspruchsführer kritisierten Regelungen zur
Zurückweisung und erneuten Zulassung zur Wahl verstoßen
nicht gegen die Verfassung. Nach § 56 Abs. 6 Nr. 5 BWO
hat der Wahlvorstand einen Wähler zurückzuweisen, der
seinen Stimmzettel so gefaltet hat, dass seine Stimmabgabe
erkennbar ist. Nach § 56 Abs. 8 BWO ist dem Wähler auf
Verlangen ein neuer Stimmzettel auszuhändigen, wenn er
zurückgewiesen worden ist. Der alte Stimmzettel muss dann
im Beisein eines Mitglieds des Wahlvorstandes vernichtet
werden. Der Einspruchsführer sieht in dieser Regelung of-
fenbar einen Verstoß gegen den Grundsatz der geheimen
Wahl, der nicht mehr rückgängig zu machen sei. Es mag zu-
treffen, dass eine Beeinträchtigung dieses Grundsatzes vor-
liegt, wenn bei dem Versuch der Stimmabgabe die Kenn-
zeichnung des Stimmzettels erkennbar wird. Es ist auch
nachvollziehbar, dass sich die Wählerinnen und Wähler bei
der erneuten Stimmabgabe nach § 56 Abs. 8 BWO in einer
schwierigen Situation befinden. Es begegnet jedoch keinen
verfassungsrechtlichen Bedenken, eine solche Stimm-
abgabe als gültig zu werten, wenn bei der Abgabe des neuen
Stimmzettels das Wahlgeheimnis gewahrt wird. Dem Ge-
setzgeber ist es nicht verwehrt, in einer solchen Situation
gegenüber der bereits erfolgten Beeinträchtigung des Wahl-
geheimnisses der Möglichkeit der Ausübung des Wahl-
rechts, die ebenfalls Verfassungsrang, einen Vorrang einzu-
räumen.
Bei der Durchführung der Wahl ist im Wahllokal des Ein-
spruchsführers nicht gegen wahlrechtliche Vorschriften ver-
stoßen worden, die das Wahlgeheimnis und die Wahlfreiheit
in Bezug auf die Stimmabgabe bei der Urnenwahl schützen.
Nach Überzeugung des Bundestages und des Wahlprü-
fungsausschusses war die vom Bundeswahlleiter empfoh-
lene und verwendete Papierqualität jedenfalls bei doppelter
Faltung des Stimmzettels auch in hellen Räumen grundsätz-
lich ausreichend, um die Wahrung des Wahlgeheimnisses
und der Wahlfreiheit zu gewährleisten. Auch der im Wahllo-
kal des Einspruchsführers verwendete Stimmzettel ent-
spricht den Vorgaben des § 45 Abs. 1 Satz 2 BWO, wonach
das Papier so beschaffen sein muss, dass nach Kennzeich-
nung und Faltung durch den Wähler andere Personen nicht
erkennen können, wie er gewählt hat. Hierfür spricht auch
die weitgehende Akzeptanz des Verzichts auf Wahlum-
schläge bei den Wählerinnen und Wählern. Angesichts der
großen Zahl von Stimmzetteln in einem Wahllokal ist auch
die Gefahr nicht gegeben, Mitglieder des Wahlvorstandes
könnten sich besonders stark gefaltete Stimmzettel merken
und später diese Stimmzettel den betreffenden Wählern zu-
ordnen. Ob die Behauptung des Einspruchsführers zutrifft,
die Kennzeichnungen auf seinem Stimmzettel hätten nach
außen erkennbare Abdrücke hinterlassen, kann nicht ab-
schließend geklärt werden. Sollte es im Einzelfall einmal
nicht gelungen sein, das Stimmverhalten vor einer mögli-
chen Kenntniserlangung durch Wahlvorstände zu bewahren,
führt dies nicht zur Ungültigkeit der Bundestagswahl. Da
nicht feststellbar ist, in wie vielen Fällen derartiges gesche-
hen sein könnte, kann nicht von einer Auswirkung auf das
Ergebnis der Bundestagswahl ausgegangen werden. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,
der sich der Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 163 – Drucksache 15/1850

stets angeschlossen haben, können aber nur solche Wahlfeh-
ler einen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die auf die
Mandatsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein kön-
nen. Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein
als unerheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses
nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/372 ständige Recht-
sprechung). Selbst solche Wahlfehler, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie
angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf
die Mandatsverteilung haben können. Der Einspruchsführer
geht in diesem Zusammenhang zu Unrecht davon aus, dass
der Nachweis erbracht werden müsse, dass das Wahlergeb-
nis und die Zusammensetzung des Bundestages nicht durch
Wahlfehler beeinflusst worden seien. Auch soweit ein Ver-
stoß gegen den Grundsatz der geheimen Wahl geltend ge-
macht wird, ist jeweils auf der Grundlage eines substantiier-
ten Vortrages zu prüfen, ob ein Verstoß mandatserheblich
ist.
Mangels hinreichender gegenteiliger Anhaltspunkte ist da-
von auszugehen, dass die Wahlvorstände die Zurückwei-
sungsschrift des § 56 Abs. 6 Nr. 5 BWO richtig angewandt
haben. Hiernach hat der Wahlvorstand einen Wähler zu-
rückzuweisen, der seinen Stimmzettel so gefaltet hat, dass
seine Stimmabgabe erkennbar ist. Entgegen der Auffassung
des Einspruchsführers ist es nicht „lebensfremd“, von der
Einhaltung dieser Vorschrift durch die Wahlvorstände aus-
zugehen. Vielmehr besteht eine Vermutung, dass die Wahl-
vorstände diese und auch andere Vorschriften richtig ange-
wandt haben. Einer näheren Prüfung bedarf es nur dann,
wenn diese Vermutung aufgrund eines substantiierten Vor-
trages möglicherweise widerlegt werden kann.
Aus den Stellungnahmen des Bundeswahlleiters und des
Landeswahlleiters für das Land Baden-Württemberg geht
hervor, dass die Regelungen zur Wahrung des Wahlgeheim-
nisses bei der Bundestagswahl insgesamt eingehalten wor-
den sind und es nur vereinzelt Akzeptanzprobleme wegen
des Verzichts auf Wahlumschläge bei den Wählerinnen und
Wählern gegeben hat. Die vom Einspruchsführer geäußer-
ten gegenteiligen Befürchtungen treffen daher nicht zu.

Hierbei ist dem Bundestag und dem Wahlprüfungsaus-
schuss bewusst, dass der Grundsatz der geheimen Wahl
auch vor dem Hintergrund der „traurigen Erfahrungen mit
der DDR-Wahlpraxis“ einen besonderen Stellenwert hat.
Der Einspruchsführer macht zu Unrecht eine Verletzung des
Grundsatzes des rechtlichen Gehörs aufgrund der Tatsache
geltend, dass sein Wahleinspruch nicht dem Bundeswahllei-
ter zur Stellungnahme übersandt wurde. Der Bundeswahl-
leiter ist auf der Grundlage einzelner exemplarischer Wah-
leinsprüche zu der Problematik um eine grundsätzliche Stel-
lungnahme gebeten worden. Hieraus ergibt sich kein ver-
fahrensrechtlicher Anspruch, dass alle Einsprüche zu
diesem Thema dem Bundeswahlleiter hätten zur Kenntnis
gebracht werden müssen. Der Einspruchsführer befürchtet
auch zu Unrecht, dass denjenigen Wählerinnen und Wäh-
lern ein Rechtsschutzbedürfnis für die Wahlanfechtung ab-
gesprochen werden könnte, denen eine „Verhinderung der
Offenbarung des Wahlgeheimnisses“ durch entsprechende
Handlungen „ohne Schwierigkeiten möglich und zuzumu-
ten“ gewesen sei. Ein Wahleinspruch erfordert nämlich
nicht das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses.
Soweit sich der Einspruchsführer für eine Wiedereinfüh-
rung der amtlichen Wahlumschläge ausspricht, so sind sol-
che Neuregelungen ebenso wie Änderungen in der prakti-
schen Durchführung von Wahlen nicht Gegenstand dieses
Wahlprüfungsverfahrens. Allerdings sieht es der Wahlprü-
fungsausschuss entsprechend seiner ständigen Praxis als
seine Aufgabe an, auf der Grundlage der vorliegenden
Wahleinsprüche die dem Bundesgesetzgeber obliegende
Beobachtungs- und ggf. Nachbesserungspflicht (BVerfGE
59, 119/127) auch in Bezug auf die Sicherung des Wahl-
geheimnisses zu unterstützen. Erwartet wird daher, dass bei
der Herstellung von Stimmzetteln eine Papierqualität ge-
wählt wird, die die Markierungen auf dem Stimmzettel ab-
deckt.
Der Einspruch ist im Ergebnis als offensichtlich unbegrün-
det im Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuwei-
sen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 165 – Drucksache 15/1850

Anlage 44

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn E. R., 24146 Kiel

– Az.: WP 21/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem beim Bundestag am 1. Oktober 2002 eingegan-
genen Schreiben hat der Einspruchsführer Einspruch gegen
die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am
22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer vor, dass die
„zur Wahl stehenden Personen“ und „künftige Regierun-
gen“ Straftaten begingen. Seiner Ansicht nach bestehen
Zweifel an der „Wählbarkeit der Kandidaten“, da sie sich
nicht überwiegend im „Wahlgebiet“, sondern im Ausland
aufhielten. Er sehe sich daher als geschädigt an.
Mit Schreiben vom 6. November 2002 hat die Vorsitzende
des Wahlprüfungsausschusses den Einspruchsführer auf die
fehlende substantiierte Begründung aufmerksam gemacht.
Gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG) hat
sie dem Einspruchsführer eine Frist bis zum 22. November
2002 gesetzt, um dem Begründungsmangel abzuhelfen. Der
Einspruchsführer hat sich hierzu nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu
nehmen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist fristgerecht beim Deutschen Bundestag
eingegangen. Er ist unzulässig, weil er keine gemäß § 2
Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begründung enthält.
Der Vortrag des Einspruchsführers geht über die bloße Gel-
tendmachung von Straftaten und über die Behauptung, die

Bewerber für die Bundestagswahl seien nicht „wählbar“,
nicht hinaus und ist daher nicht geeignet, den Anfechtungs-
gegenstand zu bestimmen und damit eine Wahlprüfung in
der Sache zu eröffnen. Er enthält damit keinen konkreten,
der Überprüfung zugänglichen Tatsachenvortrag und ist so-
mit insgesamt als unsubstantiiert zurückzuweisen.
Denn die Wahlprüfung findet weder von Amts wegen statt,
noch erfolgt sie stets in Gestalt einer Durchprüfung der ge-
samten Wahl. Sie erfolgt vielmehr nur auf Einspruch, der zu
begründen ist. Die Begründung muss mindestens den Tatbe-
stand, auf den die Anfechtung gestützt wird, erkennen las-
sen und genügend substantiierte Tatsachen enthalten. Der
Umfang der Wahlprüfung richtet sich also nach dem Ein-
spruch, durch den die Einspruchsführer den Anfechtungsge-
genstand bestimmen. Der Prüfungsgegenstand ist nach dem
erklärten, verständig zu würdigenden Willen des Ein-
spruchsführers unter Berücksichtigung des gesamten Ein-
spruchsvorbringens sinngemäß abzugrenzen. Aus der Be-
gründungspflicht folgt, dass diese Abgrenzung auch danach
vorzunehmen ist, wieweit der Einspruchsführer seinen Ein-
spruch substantiiert hat. Nur im Rahmen des so bestimmten
Anfechtungsgegenstandes haben die Wahlprüfungsorgane
dann den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt wird,
von Amts wegen zu erforschen und alle auftauchenden
rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen (BVerfGE
40, 11/30).
Der Einspruchsführer ist auch nach einer entsprechenden
Aufforderung durch die Vorsitzende des Wahlprüfungsaus-
schusses dem Begründungserfordernis nach § 2 Abs. 3
WPrüfG nicht nachgekommen.
Der Einspruch ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 167 – Drucksache 15/1850

Anlage 45

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn D. L., 91522 Ansbach

– Az.: WP 136/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 21. November 2002, das beim Bun-
destag per Telefax am 22. November 2002 eingegangen ist,
hat der Einspruchsführer Einspruch gegen die Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Er kündigt in seiner Einspruchsschrift an, dass die entspre-
chende Begründung zu seinem Wahleinspruch per Telefax
zu einem späteren Zeitpunkt übermittelt werde.
Der Wahlprüfungsausschuss hat den Einspruchsführer per
Telefax am 22. November 2002 darauf hingewiesen, dass
das Begründungserfordernis nach § 2 Abs. 3 Wahlprüfungs-
gesetz (WPrüfG) nicht erfüllt worden sei. Die Begründung
müsse innerhalb der Einspruchsfrist beim Bundestag vorlie-
gen; die Übermittlung per Telefax sei zur Fristwahrung aus-
reichend. Die erforderliche Begründung ist jedoch nicht ein-
gereicht worden.
In einem weiteren Schreiben wurde dem Einspruchsführer
mitgeteilt, dass das Begründungserfordernis nicht mehr in-
nerhalb der Einspruchsfrist, die bereits am 22. November
2002 abgelaufen war, erfüllt werden könne. Daher müsse
sein Einspruch aller Voraussicht nach als unzulässig zu-
rückgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund ist der
Einspruchsführer um Mitteilung gebeten worden, ob sein
Schreiben ohne förmliche Entscheidung als erledigt be-
trachtet werden könne. Er hat sich daraufhin nicht wieder
gemeldet.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 des

Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist nicht formgerecht beim Deutschen Bun-
destag eingegangen; er ist unzulässig.
Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 WPrüfG müssen Wahleinsprüche
binnen einer Frist von zwei Monaten nach dem Wahltag
beim Bundestag eingehen. Bei der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag am 22. September 2002 lief diese Frist am
22. November 2002 ab. Die Einspruchsschrift ging zwar am
22. November 2002 beim Bundestag ein, sie enthielt jedoch
nicht die nach § 2 Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begrün-
dung.
Die bloße Ankündigung einer Begründung – wie sie hier er-
folgt ist – reicht hierfür nicht aus, und zwar unabhängig da-
von, ob diese nach Fristablauf nachgereicht wird (Schreiber,
Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 18). Die formellen Voraus-
setzungen eines Wahleinspruchs müssen innerhalb der Ein-
spruchsfrist erfüllt sein, da sie ansonsten ihrem Zweck nicht
gerecht werden könnten, alsbald Klarheit über die endgül-
tige Zusammensetzung des Parlaments zu schaffen.
Der Einspruchsführer ist noch am 22. November 2002 per
Telefax auf den Formmangel hingewiesen worden, um ihm
Gelegenheit zu geben, diesen durch Vorlage einer Begrün-
dung am selben Tag zu „heilen“. Da dies nicht mehr gesche-
hen ist, ist der Einspruch als unzulässig zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 169 – Drucksache 15/1850

Anlage 46

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn G. v. M., 45711 Datteln-Horneberg

– Az.: WP 212/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. November 2002, das am 22. No-
vember 2002 per Telefax eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Er hält die Wahl im Wesentlichen aus folgenden Gründen
für verfassungswidrig:
– Entgegen demVerfassungsauftrag ausArtikel 146Grund-

gesetz (GG) habe bislang noch keine Volksabstimmung
über eine endgültige Deutsche Verfassung stattgefunden;

– die Regelungen des Bundeswahlgesetzes zu den Über-
hangmandaten seien verfassungswidrig;

– die Regelung der Öffnungszeiten der Wahllokale in § 47
Abs. 1 Bundeswahlordnung (BWO) verstoße gegen die
Verfassung;

– der Wegfall der amtlichen Umschläge sei verfassungs-
widrig;

– das Fehlen einer Art „Rechtsmittelbelehrung“ auf den
Stimmzetteln bzw. bei Aushändigung der Wahlunter-
lagen mit einem Hinweis auf die Möglichkeit des
Wahleinspruchs verstoße gegen die Verfassung;

– die Bestimmungen des Abgeordnetengesetzes, nach de-
nen die Abgeordneten die Höhe ihrer Diäten und Bezüge
selbst festlegen, seien verfassungswidrig.

Der Einspruchsführer trägt vor, dass entgegen Artikel 146
GG bislang keine Vorbereitungen zu einer Volksabstim-
mung über die Verfassung eingeleitet worden sei. Spätes-
tens mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 sei das
Grundgesetz an der Grenze seiner Legitimation angelangt.
Mit den Vorbereitungen für eine Volksabstimmung hätte
nach Auffassung des Einspruchsführers innerhalb von zwei
Jahren nach der Wiedervereinigung begonnen werden müs-
sen. Das verfassungsrechtliche Defizit eines fehlenden Ver-
fassungsbeschlusses durch das Volk erfasse vor allem auch
die Wahlrechtsmaterie. Es liege ein Wahlfehler vor, der sich
auf die Zusammensetzung des 15. Deutschen Bundestages
auswirke.
Für den Fall, dass die Bundestagswahl 2002 nicht aus die-
sem Grunde für ungültig erklärt wird, trägt der Einspruchs-
führer folgende Gründe vor:

Die Überhangmandate auf der Grundlage der §§ 7 Abs. 3
Satz 2 und 6 Abs. 5 Satz 2 Bundeswahlgesetz (BWG) seien
unvereinbar mit der durch Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG
gewährleisteten Wahlgleichheit. Das geltende Wahlrecht sei
nicht als ein Mischsystem, sondern als Verhältniswahlrecht
zu qualifizieren. Bei der Verhältniswahl werde durch Arti-
kel 38 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur eine Zählwertgleichheit,
sondern eine strikte Erfolgswertgleichheit aller Wählerstim-
men gefordert. Abweichungen hiervon seien nur zum
Schutze fundamentaler Verfassungswerte zulässig. Bei der
Bundestagswahl 2002 sei es zu erheblichen Erfolgswertdif-
ferenzierungen gekommen, weil Überhangmandate ohne
Kompensation zugelassen worden seien. Eine Kompensa-
tion sei durch eine Verrechnung innerhalb der Landeslisten
einer Partei oder durch Ausgleichsmandate möglich und
verfassungsrechtlich geboten. Der Gesetzgeber habe sys-
temwidrig den Verhältnisausgleich in § 7 Abs. 3 BWG gere-
gelt. Die inkonsequente Ausgestaltung des geltenden Rechts
führe zu „unsinnigen“ Ergebnissen bei der Sitzzuteilung.
Hierbei sei es möglich, dass eine Partei umso mehr Mandate
gewinne, je weniger Stimmen sie erhalte.
Die Regelung der Öffnungszeiten der Wahllokale in § 47
Abs. 1 BWO, wonach die Wahl von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr
dauert, sei verfassungswidrig. Eine Wahlzeit von nur zehn
Stunden sei eine unverhältnismäßige Beschränkung der
Wahlrechte der Bürger. Bei der Wahl zum Europaparlament
seien die Wahllokale bis 21.00 Uhr geöffnet. Bei nationalen
Parlamentswahlen in anderen europäischen Ländern, z. B.
in Ungarn, dauerten die Wahlzeiten bis 19.00 Uhr, in Italien
und Tschechien sogar bis 22.00 Uhr. Durch die derzeitige
Regelung werde der „Erlebnischarakter“ des Sonntags „zer-
schnitten“. Darüber hinaus sei zu beanstanden, dass die Öff-
nungszeiten der Wahllokale nicht in einem Parlamentsge-
setz, sondern lediglich in einer Verordnung geregelt seien.
Der Wegfall der amtlichen Umschläge bei der Durchfüh-
rung der Wahl verstoße gegen das Wahlgeheimnis. Es seien
nicht in ausreichendem Maße Vorkehrungen getroffen wor-
den, das Ausspähen des Wählervotums zu verhindern.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei außerdem zu rügen,
dass auf den Stimmzetteln bzw. bei Aushändigung der
Wahlunterlagen kein Hinweis auf die Möglichkeit, Wahl-
einspruch nach § 2 Abs. 1 Wahlprüfungsgesetz (WPrüfG)
zu erheben, vorhanden sei. Fehle eine solche „Rechtsmittel-

Drucksache 15/1850 – 170 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

belehrung“, so könnten die Wählerinnen und Wähler ihre
Stimme nicht in verfassungskonformer Art und Weise abge-
ben. Auch aus diesem Grunde sei die Zusammensetzung des
Bundestages unrechtmäßig zustande gekommen.
Schließlich beanstandet der Einspruchsführer, dass die Ab-
geordneten des Deutschen Bundestages durch Abstimmung
über „ihr eigenes“ Abgeordnetengesetz die Höhe ihrer Diä-
ten und Bezüge bestimmen könnten. Dies sei ein Verstoß
gegen das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, weil da-
durch in verfassungswidriger Weise die gegenseitige Kon-
trolle der Staatsorgane faktisch „ausgehebelt“ werde. Diese
Vorgehensweise sei deshalb im Wege des Wahlprüfungsver-
fahrens zu überprüfen, weil sich ansonsten für den Bürger
überhaupt keine Möglichkeit ergebe, dies überprüfen zu las-
sen.
Der Bundeswahlleiter hat zur Regelung über die Öffnungs-
zeiten der Wahllokale und zur Abschaffung der amtlichen
Wahlumschläge wie folgt Stellung genommen:
Die Regelung des § 47 Abs. 1 BWO, welche eine Öffnung
der Wahllokale am Wahltag von 8.00 Uhr bis 18.00 Uhr
festlege, sei verfassungskonform. Eine Notwendigkeit zur
Regelung der Wahlzeit durch den parlamentarischen Ge-
setzgeber bestehe nicht. § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG er-
mächtige das Bundesministerium des Innern zum Erlass der
zur Durchführung des Bundeswahlgesetzes dienenden
Wahlordnung und dort zur Regelung der Wahlzeit am Wahl-
tag. Diese Rechtsverordnungsermächtigung genüge den An-
forderungen des Artikels 80 Abs. 1 GG, enthalte insbeson-
dere hinreichende Bestimmungen zu Inhalt, Ausmaß und
Zweck der zu erlassenden Rechtsverordnung. Die in § 47
Abs. 1 BWO festgelegte Wahlzeit von zehn Stunden be-
gegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und ent-
spreche einer jahrzehntelangen Tradition in Deutschland.
Im Übrigen habe die mit 79,1 % wiederum hohe Wahlbetei-
ligung bei der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag gezeigt,
dass den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern ein
Zeitraum von zehn Stunden zur Stimmabgabe ausreiche.
Schließlich könne mit dem unkomplizierten und bürger-
freundlichen Instrument der Briefwahl jeder Wähler auch
dann von seinem Wahlrecht Gebrauch machen, wenn er das
Wahllokal am Wahltag nicht aufsuchen könne. Des Weite-
ren sei die Festlegung des parlamentarischen Gesetzgebers
in § 16 BWG mit zu berücksichtigen, wonach der vom Bun-
despräsidenten zu bestimmende Wahltag ein Sonntag oder
ein gesetzlicher Feiertag sein müsse. Der Verordnungsgeber
habe davon ausgehen können, dass die Wahlberechtigten bei
einer Wahlzeit von zehn Stunden an einem arbeitsfreien Tag
hinreichend Zeit zur Stimmabgabe hätten.
Bei der Bundestagswahl 2002 sei auch ohne Verwendung
amtlicher Wahlumschläge bei der Urnenwahl das Wahlge-
heimnis nach Artikel 38 Abs. 1 GG gewahrt gewesen. Es
treffe zu, dass bis zur Bundestagswahl 1998 die Benutzung
amtlicher Wahlumschläge bei der Urnenwahl vorgeschrie-
ben gewesen sei. Mit dem 15. Gesetz zur Änderung des
Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 (BGBl. I, S. 896)
sei die Benutzung amtlicher Wahlumschläge abgeschafft
worden. Damit sei der Bundesgesetzgeber für Bundestags-
wahlen dem Beispiel der Länder Bayern, Berlin, Branden-
burg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpom-
mern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-An-
halt und Schleswig-Holstein gefolgt, die bei Landtagswah-

len keine Wahlumschläge verwendeten, ohne dass es dort zu
Gefährdungen des Wahlgeheimnisses gekommen wäre. § 34
Abs. 2 Satz 2 BWG schreibe jetzt vor, dass der Wähler nach
der Stimmabgabe den Stimmzettel in der Weise zu falten
habe, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar sei. Dieser
Gesetzesänderung sei eine über Jahre dauernde Diskussion
über das Für und Wider der Verwendung der Wahlum-
schläge bei der Urnenwahl vorausgegangen. Bei der Wahl
zum 15. Deutschen Bundestag habe die Neuregelung, so-
weit dies nach den dem Bundeswahlleiter vorliegenden Be-
richten beurteilt werden könne, nicht zu Beeinträchtigungen
des Wahlgeheimnisses geführt. Bei der Urnenwahl ohne
Wahlumschlag müsse allerdings bei der Herstellung und
Beschaffung der Stimmzettel darauf geachtet werden, dass
Papier verwendet werde, das nach Faltung durch den Wahl-
berechtigten nicht mehr von außen erkennen lasse, wie der-
jenige gewählt habe, und dass die Wahlberechtigten ihre
Stimmzettel nach der Stimmabgabe noch in der Wahlzelle
bzw. hinter der Sichtblende (und nicht erst vor der Wahlurne
oder auf dem Weg dorthin) falteten.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme zur Kennt-
nis gegeben worden. Er hat sich hierzu wie folgt geäußert:
Hinsichtlich der Öffnungszeiten der Wahllokale genüge die
Ermächtigungsgrundlage des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BWG
nicht den Anforderungen des Artikels 80 Abs. 1 GG. Sie
enthalte insbesondere keine hinreichenden Bestimmungen
zu Inhalt, Zweck und Ausmaß der zu erlassenden Rechts-
verordnung. Bereits aus dem ermächtigenden Gesetz selbst
müsse hinreichend deutlich vorhersehbar sein, in welchen
Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Ge-
brauch gemacht werden und welchen Inhalt die Verordnung
haben könne. Die in der Verordnung vorzusehenden Rechts-
folgen bedürften einer hinreichend bestimmten gesetzlichen
Vorgabe. Der vollziehenden Gewalt sei quasi eine „Blanko-
vollmacht“ erteilt worden, wie lange die Wahllokale geöff-
net sein sollen. Das Bundeswahlgesetz enthalte keine ge-
wisse „Mindestöffnungszeit“ der Wahllokale am Wahltag.
Auch aus der Entstehungsgeschichte des Bundeswahlgeset-
zes ergäben sich keine Hinweise auf eine Konkretisierung
des Begriffes „Wahlzeit“. Die vom Bundeswahlleiter ange-
sprochene „jahrzehntelange Tradition“ reiche nicht aus, da
diese „Tradition“ juristisch nicht ausreichend normiert wor-
den sei.
Der Gesetzgeber müsse den Bürgerinnen und Bürgern den
weitest möglichen Spielraum bei der Bemessung der Wahl-
zeit einräumen. Es gehe um die Frage, wann die Wahlzeit
zwingend ihr Ende finden müsse, damit die Stimmzettel am
Wahltag noch ausgezählt werden könnten. Dabei sei eine
Wahlzeit von zehn Stunden zu knapp bemessen. Soweit der
Bundeswahlleiter die Wahlbeteiligung von 79,1 % anspre-
che, sei anzumerken, dass über ein Fünftel aller Wahl-
berechtigten der Wahl ferngeblieben sei. Durch eine längere
Wahlzeit müsse der Staat den Bürgerinnen und Bürgern in-
soweit entgegenkommen. Eine Briefwahl setze voraus, dass
der Wähler schon vor dem Wahltag definitiv wisse, dass er
das Wahllokal zur Wahlzeit nicht persönlich aufsuchen
könne. Insoweit könne die Möglichkeit der Briefwahl nicht
als Argument für eine kürzere Öffnungszeit der Wahllokale
herangezogen werden. Soweit der Bundeswahlleiter darauf
verweise, dass gemäß § 16 BWG als Wahltag ein Sonntag
oder ein gesetzlicher Feiertag zu bestimmen sei, so sei dies

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 171 – Drucksache 15/1850

ebenfalls kein entscheidenden Argument für eine kurze Öff-
nungszeit der Wahllokale. Eine Vielzahl von Beschäftigten
hätte an diesen Tagen nicht arbeitsfrei; einige müssten kurz-
fristig zum Dienst erscheinen.
Hinsichtlich der Durchführung der Urnenwahl ohne amtli-
che Wahlumschläge sei der Hinweis des Bundeswahlleiters
auf die Verfahrensweise in einigen Bundesländern nicht
maßgeblich, da die Bundestagswahl eine eigenständige
Wahl sei. Der Bundeswahlleiter habe die vom Einspruchs-
führer gerügte Möglichkeit, dass das Ausspähen des Votums
eines einzelnen Wählers nunmehr wahrscheinlicher gewor-
den sei, letztlich nicht bestritten. Er habe nur ganz allgemein
referiert, was getan werden solle, damit das Wahlgeheimnis
gewahrt bleibe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Ein-
spruchsführers wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Ein Wahlfehler ist aufgrund des Vortrags des Einspruchs-
führers nicht feststellbar. Dies ergibt sich bereits daraus,
dass der Einspruchsführer keine konkreten Mängel bei der
Wahlvorbereitung und der Wahldurchführung beanstandet,
sondern im Wesentlichen die Verfassungswidrigkeit wahl-
rechtlicher Vorschriften geltend macht. Der Bundestag und
der Wahlprüfungsausschuss sehen sich nach ihren ständigen
Praxis nicht berufen, die Verfassungswidrigkeit von Wahl-
rechtsvorschriften festzustellen. Diese Kontrolle ist stets
dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten worden.
Soweit der Einspruchsführer behauptet, Artikel 146 GG sei
verletzt, so ist darauf hinzuweisen, dass im Wahlprüfungs-
verfahren nur Verstöße gegen die gültigen Vorschriften des
Wahlrechts bei der Vorbereitung, der Durchführung und der
Stimmenauszählung einer Wahl zum Bundestag gerügt wer-
den können. Demgegenüber regelt Artikel 146 GG das
Wahlverfahren zum Bundestag nicht; die Vorschrift regelt
lediglich, unter welchen Bedingungen das derzeit geltende
Grundgesetz außer Kraft treten kann. Solange das Grund-
gesetz hiernach gilt, sind dessen einschlägige Vorschriften
einschließlich derjenigen, die das Wahlrecht regeln, unge-
schmälert anzuwenden (Bundestagsdrucksache 14/1560,
Anlage 71).
Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers beruht die
Zuteilung von vier Überhangmandaten an die SPD und ei-
nes Überhangmandats an die CDU bei der Bundestagswahl
2002 auf einer korrekten Anwendung der §§ 6 und 7 BWG.
Die das Entstehen von Überhangmandaten ermöglichenden
Regelungen des Bundeswahlgesetzes sind 1997 im An-
schluss an Wahleinsprüche zur Bundestagswahl 1994 ver-
fassungsgerichtlich überprüft worden. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. April 1997
(BVerfGE 95, 335 ff.) die Verfassungsmäßigkeit dieser Vor-
schriften festgestellt und ausgeführt, dass die Entstehung

von Überhangmandaten ohne Verrechnung und ohne Aus-
gleich für die anderen Parteien den Anforderungen der
Wahlgleichheit nach Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 GG genügt
und die Chancengleichheit der Parteien wahrt (BVerfGE 95,
335/357). Auch die vom Bundesverfassungsgericht inso-
weit hervorgehobenen Einschränkungen, insbesondere die
Maßgaben für die Größe der Wahlkreise, sind beachtet. Wie
bereits dargelegt, sehen sich der Bundestag und der Wahl-
prüfungsausschuss nicht als berufen an, die Verfassungs-
widrigkeit von Wahlrechtsvorschriften festzustellen. Unbe-
schadet dessen ist zu betonen, dass sich der Bundestag wie-
derholt mit den durch Überhangmandate aufgeworfenen
Fragen befasst, aber keinen Änderungsbedarf ermittelt hat.
Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts hatte sich der Bundestag intensiv mit den Regelungen
zu Überhangmandaten beschäftigt und sie unter Hinzuzie-
hung von Sachverständigen auf ihre Verfassungsmäßigkeit
überprüft. So war die in der 13. Wahlperiode eingesetzte Re-
formkommission zur Größe des Bundestages zu dem Ergeb-
nis gekommen, dass die bestehenden wahlrechtlichen Rege-
lungen, die zum Auftreten von Überhangmandaten führen
können, verfassungsgemäß seien und dass auch keine ver-
fassungsrechtliche Notwendigkeit bestehe, Überhangman-
date durch ergänzende Regelungen, z. B. durch Ausgleichs-
mandate oder eine Verrechnung bei den verbundenen Lan-
deslisten, auszugleichen. Die Reformkommission ist einver-
nehmlich zu dem Ergebnis gekommen, keinen Vorschlag
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes in Bezug auf Über-
hangmandate vorzulegen (Bundestagsdrucksache 13/7950).
Der Bundestag ist dieser Empfehlung gefolgt. Auch in der
Folgezeit hat sich der Bundestag wiederholt mit der Frage-
stellung beschäftigt. Zum einen sind einerseits Wahleinsprü-
che gegen die Bundestagswahl 1998 aus Anlass von damals
13 Überhangmandaten zurückgewiesen worden (vgl. Bun-
destagsdrucksache 14/1560, Anlagen 29, 31 und 32). Zum
anderen fanden Gesetzentwürfe der 13. Wahlperiode, die die
Kompensation von Überhangmandaten vorsahen (vgl. Bun-
destagsdrucksache 13/5750; Plenarprotokoll 13/129 vom
11. Oktober 1996, S. 11631 ff.), ebenso wenig eine Mehrheit
wie eine hierauf abzielende Initiative in der 14. Wahlperio-
de (vgl. Bundestagsdrucksache 14/2150; Plenarprotokoll
14/134 vom 23. November 1999, S. 12992 ff.). Für den
Gesetzgeber bestand angesichts der Entwicklungen seit der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1997 kein
Anlass, die wahlrechtlichen Bedingungen für Überhang-
mandate zu ändern. Soweit das Bundesverfassungsgericht
angesichts der unterschiedlichen Größe von Wahlkreisen als
einem der möglichen Entstehungsgründe für Überhangman-
date es für die seiner Entscheidung folgenden Wahlen nicht
mehr genügen ließ, die bisherige Abweichungsgrenze von
33 1/3 % bezogen auf die durchschnittlich Bevölkerungs-zahl der Wahlkreise einzuhalten, enthält § 3 BWG seit 1998
detailliertere und strengere Maßgaben für die durch Gesetz
erfolgende Einteilung der Wahlkreise (Wahlkreisneueintei-
lungsgesetz vom 1. Juli 1998, BGBl. I, S. 1698, geändert
durch das 16. Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes
vom 27. April 2001, BGBl. I, S. 701, berichtigt in BGBl. I
2002, S. 1848).
Soweit der Einspruchsführer in diesem Zusammenhang vor-
trägt, das geltende Recht ermögliche, dass eine Partei umso
mehr Mandate gewinne, je weniger Stimmen sie erhalte, so
bezieht er sich auf den Vortrag der Antragsteller in dem be-

Drucksache 15/1850 – 172 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

reits erwähnten Normenkontrollverfahren vor dem Bundes-
verfassungsgericht (BVerfGE 95, 335/343). Dieser sog. Ef-
fekt negativer Stimmgewichte, der durch die Anwendung
von § 7 in Verbindung mit § 6 BWG möglich ist, war dem
Bundesverfassungsgericht somit bei seiner Entscheidung
von 1997 bewusst. Mit der Entscheidung des Gesetzgebers
für eine personalisierte Verhältniswahl – der Einspruchsfüh-
rer geht insoweit zu Unrecht von einem reinen Verhältnis-
wahlsystem aus – kommt der Erfolgswertgleichheit aller
Stimmen von vornherein nur eine begrenzte Tragweite zu.
Er bewegt sich innerhalb des Spielraums, der dem Gesetz-
geber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts, z. B. bei der
Entscheidung für das anzuwendende Berechnungsverfah-
ren, in der Verfassungsrechtsprechung zuerkannt worden ist
(vgl. auch Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 67).
Der Wahleinspruch hat auch keinen Erfolg, soweit der Ein-
spruchsführer die geltende Regelung zu den Öffnungszeiten
der Wahllokale beanstandet. Wie bereits dargelegt, sehen
sich der Bundestag und der Wahlprüfungsausschuss nicht
als berufen an, die Verfassungswidrigkeit von Wahlrechts-
vorschriften festzustellen. Unabhängig davon bestehen je-
doch keine Zweifel daran, dass § 47 Abs. 1 BWO verfas-
sungsgemäß ist. Der Gesetzgeber bzw. der Verordnungsge-
ber hat bei der Festlegung der Wahlzeit einen Gestaltungs-
spielraum. Dieser Spielraum ist bei einer Festlegung der
Wahlzeit auf zehn Stunden an einem Sonn- oder Feiertag
nicht überschritten. Der Bundeswahlleiter verweist in seiner
Stellungnahme zu Recht auf eine jahrzehntelange Tradition
in Deutschland bei der Festlegung einer Wahlzeit von zehn
Stunden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass dieser Zeit-
raum – abgesehen von atypischen Sonderfällen – nicht
ausreichen könnte, um den Bürgerinnen und Bürgern die
Stimmabgabe zu ermöglichen. Der Gesetzgeber bzw. der
Verordnungsgeber ist nicht verpflichtet, sich an der Praxis
in anderen europäischen Ländern zu orientieren. Dies gilt
auch für die Öffnungszeiten der Wahllokale bei den Wahlen
zum Europaparlament. Im Übrigen hat der Deutsche Bun-
destag am 2. Juli 2003 mit Zustimmung des Bundesrates das
Vierte Gesetz zur Änderung des Europawahlgesetzes und
eines Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Europaabge-
ordnetengesetzes beschlossen, wonach künftig die Wahlzeit
auch bei den Wahlen zum Europaparlament in Deutschland
um 18.00 Uhr beendet ist.
Das Bundeswahlgesetz enthält entgegen der Auffassung des
Einspruchsführers eine hinreichende Ermächtigungsgrund-
lage zur Regelung der Wahlzeit in § 47 Abs. 1 BWO. Nach
§ 52 Abs. 1 Satz 1 BWG erlässt das Bundesministerium des
Innern die zur Durchführung des Bundeswahlgesetzes erfor-
derliche Bundeswahlordnung. Nach § 52 Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 BWG erlässt das Bundesministerium des Innern darin
insbesondere Rechtsvorschriften über die Wahlzeit. Diese
Ermächtigungsgrundlage genügt den Anforderungen von
Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Inhalt, Zweck und
Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz zu bestim-
men sind. Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
wird in § 52 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BWG keine Blankovoll-
macht zur Festlegung der Wahlzeit erteilt. Es ist ausrei-
chend, wenn sich – wie hier – Inhalt, Zweck und Ausmaß
der Ermächtigung aus dem Gesamtzusammenhang, also aus
dem ganzen Bundeswahlgesetz und aus dessen Zielsetzung,
ergeben (Maunz in: Maunz/Dürig, Kommentar zum Grund-
gesetz, Artikel 80 Rn. 5). Daraus ergibt sich, dass die Wahl-

zeit so gestaltet werden muss, dass die Wählerinnen und
Wähler ohne weiteres von ihrem Wahlrecht Gebrauch ma-
chen können. Damit kann entgegen der Auffassung des Ein-
spruchsführers die Wahlzeit nicht in missbräuchlicher Art
und Weise auf einen sehr kurzen Zeitraum festgelegt wer-
den. Eine Rahmenvorgabe im Sinne einer Mindestöffnungs-
zeit ist durch Artikel 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht geboten.
Auch der Verzicht auf amtliche Wahlumschläge stellt kei-
nen Wahlfehler dar. Dies betrifft sowohl die gesetzgeberi-
sche Entscheidung, auf amtliche Wahlumschläge zu ver-
zichten, als auch die Art und Weise der Durchführung der
Bundestagswahl 2002. Rechtsgrundlage für den Verzicht
auf amtliche Wahlumschläge ist § 34 Abs. 2 Satz 2 BWG in
Verbindung mit § 56 Abs. 2 Satz 1 BWO. Hiernach kenn-
zeichnet der Wähler seinen Stimmzettel in der Wahlzelle
und faltet ihn dort in der Weise, dass seine Stimmabgabe
nicht erkennbar ist; anschließend wirft er ihn in die Wahl-
urne. Die bis zur Bundestagswahl 1998 vorgeschriebene
amtliche Herstellung und Benutzung von Wahlumschlägen
für die Urnenwahl ist durch das 15. Gesetz zur Änderung
des Bundeswahlgesetzes vom 27. April 2001 (BGBl. I,
S. 698) abgeschafft worden. Soweit der Einspruchsführer
hierin einen Verstoß gegen den Grundsatz der geheimen
Wahl sieht, ist wiederum auf die ständige Praxis des Bun-
destages und des Wahlprüfungsausschusses zu verweisen,
wonach diese sich nicht berufen sehen, die Verfassungswid-
rigkeit von Wahlrechtsvorschriften festzustellen. Unabhän-
gig davon bestehen jedoch keine Zweifel daran, dass der
Verzicht auf amtliche Wahlumschläge bei der Urnenwahl
verfassungsgemäß ist.
Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des Wahlrechts
und hierbei auch bei der konkreten Ausgestaltung der
Grundsätze der geheimen und freien Wahl einen gewissen
Gestaltungsspielraum, der durch den Verzicht auf amtliche
Wahlumschläge nicht überschritten ist. Auch das Bundes-
verwaltungsgericht hat in einem Beschluss vom 24. Juli
1996 festgestellt, dass die Gewährleistung des Wahlgeheim-
nisses nicht zwingend die Verwendung von Wahlumschlä-
gen verlange (BVerwG 8 B 147/96, Buchholz 160 Wahl-
recht Nr. 42). Maßgeblich ist hierbei die Erwägung, dass der
Gesetzgeber von Verfassungs wegen den Wahlberechtigten
zur Wahrung des Wahlgeheimnisses eine gewisse Mitwir-
kung auferlegen darf, wenn und soweit ihnen das ohne
Schwierigkeiten möglich und zumutbar ist (BVerfGE 59,
116/126; BVerwG a. a. O.). Der Gesetzgeber bzw. der Ver-
ordnungsgeber hat dafür Sorge getragen, dass das Wahlge-
heimnis und die Wahlfreiheit gewahrt wird. So muss nach
§ 45 Abs. 1 Satz 2 BWO das Papier der Stimmzettel so be-
schaffen sein, dass nach Kennzeichnung und Faltung durch
den Wähler andere Personen nicht erkennen können, wie er
gewählt hat. Vor diesem Hintergrund begegnet der Verzicht
auf amtliche Wahlumschläge bei der Urnenwahl keinen ver-
fassungsrechtlichen Bedenken. Der Einspruchsführer macht
daneben keine konkreten Verstöße gegen wahlrechtliche
Vorschriften geltend, die das Wahlgeheimnis und die Wahl-
freiheit in Bezug auf die Stimmabgabe bei der Urnenwahl
schützen. Daher erübrigt sich eine nähere Überprüfung,
z. B. im Hinblick auf die im Wahllokal des Einspruchsfüh-
rers verwendete Papierqualität der Stimmzettel. Unabhän-
gig davon war nach Überzeugung des Bundestages und des
Wahlprüfungsausschusses die vom Bundeswahlleiter emp-
fohlene und verwendete Papierqualität, jedenfalls bei dop-

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 173 – Drucksache 15/1850

pelter Faltung des Stimmzettels, auch in hellen Räumen
grundsätzlich ausreichend, um die Wahrung des Wahlge-
heimnisses und der Wahlfreiheit zu gewährleisten.
Das Fehlen eines Hinweises auf die Möglichkeit, Wahlein-
spruch zu erheben, begründet ebenfalls keinen Wahlfehler.
Die Stimmabgabe bei der Bundestagswahl ist nicht deshalb
verfassungswidrig, weil ein Wähler sich nicht bewusst ist,
dass es ein Wahlprüfungsverfahren gibt. Das Wahlprüfungs-
verfahren zielt darauf ab, die ordnungsgemäße Zusammen-
setzung des Parlaments zu gewährleisten. Es besteht kein
relevanter Zusammenhang zwischen der Stimmabgabe des
Wählers und der Möglichkeit für einen Wahlberechtigten,
Einspruch gegen die Bundestagswahl zu erheben. Die vom
Einspruchsführer vorgeschlagene „Rechtsmittelbelehrung“
könnte sogar zu der irrigen Annahme verleiten, die Wahl-
entscheidung stehe unter einem Vorbehalt oder könne später
möglicherweise noch korrigiert werden.
Soweit schließlich der Einspruchsführer die Festlegung der
Höhe der Abgeordnetenentschädigung durch die Abgeord-
neten selbst moniert, besteht kein Zusammenhang mit der
Bundestagswahl. Nach § 49 BWG können Entscheidungen
und Maßnahmen, die sich unmittelbar auf das Wahlverfah-
ren beziehen, nur mit den im Bundeswahlgesetz und in der
Bundeswahlordnung vorgesehenen Rechtsbehelfen sowie
im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden. Der Erlass
des Abgeordnetengesetzes hat keinen Bezug zur Durchfüh-
rung der Bundestagswahl. Insoweit besteht kein Anlass, die-
sem Einwand im Wahlprüfungsverfahren nachzugehen.
Der Einspruch ist somit insgesamt als offensichtlich unbe-
gründet im Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzu-
weisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 175 – Drucksache 15/1850

Anlage 47

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. des Herrn Dr. B. B., 38104 Braunschweig

und
2. des Herrn G. K., 57234 Wilnsdorf

– Az.: WP 154/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 19. November 2002, das am 22. No-
vember 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist,
haben die Einspruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit
der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September
2002 eingelegt. Sie begründen ihn im Wesentlichen damit,
dass die 5 %-Sperrklausel verfassungswidrig sei.
Aufgrund dieser Sperrklausel werde die Gleichheit des Er-
folgswerts aller Stimmen beeinträchtigt, da diejenigen Wäh-
lerinnen und Wähler, die eine Partei gewählt hätten, die mit
ihrer Stimmenzahl unterhalb der Sperrklausel geblieben sei,
keinen Einfluss auf die Sitzverteilung des Parlaments aus-
üben könnten. Neben der Gleichheit der Wahl werde auch
die Wahlfreiheit beeinträchtigt, weil auf die Wählerinnen
und Wähler ein starker psychologischer Druck ausgeübt
werde, entgegen ihrer eigentlichen Präferenz aus taktischen
Gründen eine derjenigen Parteien zu wählen, die mit relativ
großer Sicherheit den Sprung über die 5 %-Hürde schaffen
würden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-
gerichts (BVerfGE 95, 408 ff.) bedürfe die Sperrklausel
eines zwingenden Grundes. Da es eine andere Möglichkeit
gebe, das mit der Sperrklausel verfolgte Ziel einer Stabili-
sierung des politischen Systems zu erreichen, sei diese ver-
fassungswidrig. Der Gesetzgeber habe es bislang unterlas-
sen, ein Wahlsystem einzuführen, bei dem der Eingriff in
die Gleichheit und Freiheit der Wahl auf das unbedingt er-
forderliche Maß beschränkt bleibe. Die Einspruchsführer
stellen in diesem Zusammenhang ein „Wahlsystem mit
Stimmweitergabe-Option“ vor. Danach könnten die Wähle-
rinnen und Wähler auf ihrem Stimmzettel verfügen, dass
ihre Zweitstimme einer bestimmten anderen Partei zuge-
rechnet werden solle, falls die von ihnen bevorzugte Partei
(Erstpräferenz) aufgrund der Sperrklausel von der Vertei-
lung der Parlamentssitze ausgeschlossen bleibe. Die Eintra-
gung weiterer Präferenzen soll ermöglicht werden, wobei
diese entsprechend einer Rangfolge durchnummeriert wer-
den könnten. Aufgrund des Nachweises, dass der Verfas-
sungsauftrag der Gleichheit und Freiheit von Wahlen mit
diesem Wahlsystem erheblich besser zu verwirklichen wäre

als nach dem geltenden Wahlrecht, bestehe kein zwingender
Grund für die Beibehaltung des bisherigen Wahlsystems.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Ein-
spruchsführer wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Der Einspruchsführer zu Nummer 2 hatte mit einer inhalts-
gleichen Begründung Einspruch gegen die Bundestagswahl
1998 eingelegt (Bundestagsdrucksache 14/1560,Anlage 77).
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruchs ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Aufgrund des Vortrags der Einspruchsführer ist ein Wahl-
fehler nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 6 Abs. 6 Satz 1
Bundeswahlgesetz (BWG) ist bei der Bundestagswahl 2002
zu Recht angewandt worden. Hiernach werden bei der Ver-
teilung der Sitze der Landeslisten nur Parteien berücksich-
tigt, die mindestens fünf vom Hundert der im Wahlgebiet
abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in min-
destens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Diese
Vorschrift war von den Wahlorganen als geltendes Recht an-
zuwenden. Die Sperrklausel ist vom Bundesverfassungsge-
richt stets für verfassungskonform erklärt worden. Die Si-
cherung der Funktionsfähigkeit der zu wählenden Volksver-
tretung ist ein hinreichend zwingender Grund, der Differen-
zierungen bei der Wahlrechtsgleichheit im System der
Verhältniswahl rechtfertigt (BVerfGE 82, 322/338; vgl. zu-
letzt BVerfGE 95, 335/366). Es besteht kein Anlass, im
Wahlprüfungsverfahren die Überlegungen der Einspruchs-
führer zu einem anderen Wahlsystem zu erörtern. Im Übri-
gen wird auf die Entscheidung des Bundestages zum Wahl-
einspruch des Einspruchsführers zu Nummer 2 Bezug ge-
nommen (Bundestagsdrucksache 14/1560, Anlage 77).

Drucksache 15/1850 – 176 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 177 – Drucksache 15/1850

Anlage 48

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. der Frau S. P., 52525 Heinsberg

– bevollmächtigt –
2. des Herrn E. P., 52525 Heinsberg

– Az.: WP 46/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 18. Oktober 2002 haben die Einspruchs-
führerin und der Einspruchsführer (im Folgenden: die Ein-
spruchsführer) Einspruch gegen die Wahl zum 15. Deut-
schen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Die Einspruchsführer fechten die Ergebnisse der Wahlbe-
zirke 102 und 103 im Wahlkreis 90 (Heinsberg) an und be-
antragen Neuwahlen für diese Wahlbezirke. Sie tragen vor,
dass sie aufgrund des nicht korrekt geführten Wählerver-
zeichnisses in ihremWahlbezirk 103 zunächst nicht zurWahl
zugelassen worden seien. Die Einspruchsführer seien am
Wahltag in ihr Wahllokal in der katholischen Grundschule in
Karden zur Wahl gegangen und hätten dort die Wahlbenach-
richtigungskarten vorgelegt. Als der Einspruchsführer zu
Nummer 2 angemerkt habe, dass man das Unterlassen der
Identitätskontrolle zum „Verkauf“ der Stimme nutzen könne,
seien sie um die Vorlage des Personalausweises gebeten wor-
den. Der Wahlvorsteher habe festgestellt, dass im Wähler-
verzeichnis hinter den Wahlnummern und den Namen der
Einspruchsführer bereits Kennzeichen angebracht gewesen
seien, die den Hinweis darauf gegeben hätten, dass sie bereits
an der Wahl teilgenommen hätten.
Der Wahlvorsteher im Wahlbezirk 103 sei daraufhin zum
Wahllokal des Wahlbezirks 102 gegangen, das im gleichen
Gebäude untergebracht gewesen sei. Dort sei festgestellt
worden, dass hinter den entsprechenden Wahlnummern des
Wahlbezirks 102 keine Kennzeichnung angebracht gewesen
sei. Somit sei vermutet worden, dass zwei Wahlberechtigte
nicht richtigerweise im Wahlbezirk 102, sondern im Wahl-
bezirk 103 gewählt hätten. Die Einspruchsführer seien dann
zur Wahl im Wahlbezirk 103 zugelassen worden.
Die Einspruchsführer nehmen an, dass die fehlende Perso-
nalausweiskontrolle zu Verwechslungen geführt habe, die es
anderen Personen ermöglicht haben könne, unter dem Na-
men der Einspruchsführer zu wählen. Weiterhin wird ver-
mutet, dass der Wahlbezirk 103 bei der Auszählung zwei
„überzählige" Stimmen haben müsse, wobei diese zwei
Stimmen im Wahlbezirk 102 fehlten. Da man nicht wissen
könne, wie die Einspruchsführer gewählt hätten, könnten

die Ergebnisse beider Wahlbezirke „auf jeden Fall“ nicht
stimmen.
Den Einspruchsführern erscheint hinsichtlich der Identitäts-
feststellung eine Übernahme des französischen Wahlsys-
tems, das eine dreifache Überprüfung der Identität der
Wahlberechtigten vorsehe, als anstrebenswert. Zum darge-
stellten Ablauf dieser Identitätskontrolle in Frankreich wird
auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Dieser Vor-
schlag ist an den Petitionsausschuss abgegeben worden.
In seiner Stellungnahme hat sich der Kreiswahlleiter wie
folgt geäußert:
Zur Beurteilung des Sachverhaltes durch den Kreiswahllei-
ter seien die von Mitgliedern des Wahlvorstandes abgegebe-
nen Stellungnahmen maßgeblich gewesen. Der Kreiswahl-
leiter führt aus, dass das Wahlrecht ausüben könne, wer im
Wahllokal die Wahlbenachrichtigungskarte oder den Perso-
nalausweis vorlege oder dem Wahlvorstand persönlich be-
kannt sei. Die Vermutung der Einspruchsführer, wonach
zwei Wahlberechtigte an ihrer Stelle gewählt hätten und es
daraufhin zu Verschiebungen innerhalb der Wahlbezirke
102 und 103 gekommen sei, sei aufgrund der Stellungnah-
men des Wahlvorstandes schriftlich widerlegt worden. Wie
sich herausgestellt habe, sei durch den Schriftführer ledig-
lich ein Eintrag an einer falschen Stelle im Wählerverzeich-
nis vorgenommen worden.
Dieser Irrtum sei bei der Durchsicht des Wählerverzeichnis-
ses festgestellt worden. Der Schriftführer habe sich daran
erinnern können, dass die ihm persönlich bekannten Wäh-
ler, bei denen die Kennzeichnung im Wählerverzeichnis ge-
fehlt habe, tatsächlich an der Wahl teilgenommen hätten. Er
habe sich bei der Kennzeichnung der Stimmabgabe im
Wählerverzeichnis im fortlaufenden Nummernverzeichnis
um 100 Stellen geirrt. Nach Auffassung des Kreiswahllei-
ters trifft es nicht zu, dass es in zwei Wahlbezirken zu Unre-
gelmäßigkeiten gekommen sei. Folglich ergebe sich keine
Veränderung hinsichtlich der Wahlergebnisse in den in Rede
stehenden Wahlbezirken und somit auch nicht auf Wahl-
kreisebene. Selbst wenn die Vermutung der Einspruchsfüh-

Drucksache 15/1850 – 178 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

rer zutreffen sollte, würde dies am Ergebnis des Wahlkrei-
ses 90 (Heinsberg) nichts ändern.
Die Einspruchsführer haben sich zu der Stellungnahme des
Kreiswahlleiters wie folgt geäußert:
Es sei schwer vorstellbar, dass die Familiennamen per-
sönlich bekannter Wahlberechtigter mit anderen Familien-
namen verwechselt werden könnten. Sie fragen, ob der
Kreiswahlleiter das betreffende Wählerverzeichnis mit den
fehlerhaften Kennzeichnungen selbst in Augenschein ge-
nommen habe. Da die Bestimmungen des § 56 Abs. 3 Bun-
deswahlgesetz (BWG) und des § 59 Satz 2 Bundeswahl-
ordnung (BWO) Kann-Bestimmungen zur Kontrolle der
Identität der Wahlberechtigten seien, könne unterstellt wer-
den, dass „es Personen gelungen sein könnte, sich als Pois-
son auszugeben“ und an der Wahl teilzunehmen, da die
Identität der Wahlberechtigten nach Auffassung der Ein-
spruchsführer mangels fehlender gesetzlicher Regelungen
nicht kontrolliert wird. Den Einspruchsführern sei mitgeteilt
worden, dass die Wählerverzeichnisse in den Wahlbezirken
gleichlautende „Wählernummern“ ausgewiesen hätten. Da-
her könne es „durchaus möglich“ sein, dass die Stimmen
unter den Wahlbezirken ausgeglichen“ würden, wenn sich
herausstelle, dass zwei Wähler im falschen Wahlbezirk ge-
wählt hätten. Da die Wahlbenachrichtigungskarten „laut
Gesetz“ am Wahlabend vernichtet werden müssten, sei ver-
mutlich die fehlerhafte Kennzeichnung der Stimmabgabe
im Wählerverzeichnis nicht mehr nachvollziehbar und die
nachträgliche eindeutige Prüfung vermutlich aus daten-
schutzrechtlichen Gründen verboten. Auch sei den Ein-
spruchsführern weder der Einblick in das Wählerverzeich-
nis gestattet noch die Anwesenheit bei der Stimmenaus-
zählung angeboten worden. Die Einspruchsführer vertreten
die Ansicht, dass „dieser Vorfall“ ein Zeugnis „von nachhal-
tig schlechter Wahlkontrolle“ sei, und bestehen weiterhin
auf Neuwahlen für die Wahlbezirke 102 und 103 des Wahl-
kreises 90.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Wahlfehler vorliegt.
Sollte ein solcher vorliegen, so könnte der Einspruch den-
noch keinen Erfolg haben, weil er jedenfalls auf die Man-
datsverteilung keinen Einfluss hätte.

Die Einspruchsführer sind im Ergebnis zu Recht zur Wahl
zugelassen worden. Hierbei hat sich der Wahlvorstand kor-
rekt verhalten, als er die Einspruchsführer zunächst nicht
zur Wahl zuließ. Nach § 56 Abs. 6 Nr. 3 BWO hat der
Wahlvorstand einen Wähler zurückzuweisen, für den es be-
reits einen Stimmabgabevermerk im Wählerverzeichnis
gibt, es sei denn, der Wähler weist nach, dass er noch nicht
gewählt hat. Zwischen den Einspruchsführern und dem
Kreiswahlleiter ist unstreitig, dass die Einspruchsführer zu
diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt hatten. Hierbei ist un-
schädlich, dass sich der Wahlvorstand auf die möglicher-
weise falsche Annahme stützte, es hätten zwei Wahlberech-
tigte aus dem benachbarten Stimmbezirk versehentlich im
Wahllokal des Wahlbezirks 103 gewählt.
Zwischen den Einspruchsführern und dem Kreiswahlleiter
ist streitig, ob andere Personen zu Unrecht gewählt hatten,
weil im Wählerverzeichnis neben den Namen der Ein-
spruchsführer „Häkchen“ gemacht worden waren. Es
spricht einiges für die Darstellung des Kreiswahlleiters,
dass zwei dem Wahlvorsteher persönlich bekannte Personen
versehentlich an der falschen Stelle „abgehakt“ wurden, als
sie wählten. Hierfür spricht, dass die fehlenden Markierun-
gen im Wählerverzeichnis jeweils um genau 100 über ihren
eigenen Nummern angebracht waren. Allerdings können die
Zweifel der Einspruchsführer nicht völlig ausgeräumt wer-
den, zumal sie zunächst mit einer anderen Argumentation
zur Wahl zugelassen wurden. Ein Wahlfehler ist somit nicht
auszuschließen.
Der Einspruch kann jedoch selbst dann keinen Erfolg ha-
ben, wenn ein Wahlfehler unterstellt wird. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich
der Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag stets ange-
schlossen haben, können nämlich nur solche Wahlfehler ei-
nen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die auf die Man-
datsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein können.
Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein als un-
erheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses nicht
berühren (seit BVerfGE 4, 370/372 ständige Rechtspre-
chung). Selbst solche Wahlfehler, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie
angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf
die Mandatsverteilung haben können. Unterstellt man einen
Wahlfehler, so hätte er – wie auch der Kreiswahlleiter dar-
legt – keinen Einfluss auf das Wahlergebnis.
Soweit die Einspruchsführer die Vorschriften zur Identitäts-
kontrolle bei Bundestagswahlen kritisieren, ist dies nicht
Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens. Die Einspruchs-
führer haben ihre diesbezüglichen Vorschläge zum Gegen-
stand eines Petitionsverfahrens gemacht.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 179 – Drucksache 15/1850

Anlage 49

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. W., 67659 Kaiserslautern

– Az.: WP 32/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2002 hat der Einspruchsfüh-
rer Einspruch gegen die Wahl zum 15. Deutschen Bundes-
tag am 22. September 2002 eingelegt. Er stützt seinen Ein-
spruch darauf, dass er im Wahllokal zunächst an der Aus-
übung seines Wahlrechts gehindert worden sei.
Der Einspruchsführer trägt vor, dass weder er noch seine
Ehegattin eine Wahlbenachrichtigung erhalten hätten. Da
beide „ordnungsgemäß gemeldet“ seien, sei ein entspre-
chender Eintrag im Wählerverzeichnis vorgenommen wor-
den. Es sei jedoch zu Unrecht ein Stimmabgabevermerk im
Wählerverzeichnis eingetragen gewesen, der dazu geführt
habe, dass man ihn nicht zur Wahl habe zulassen wollen.
Erst als er auf der Teilnahme an der Wahl bestanden habe,
sei er zur Wahl zugelassen worden. Der Einspruchsführer
legt den mit dem Wahlamt der Stadt Kaiserslautern per
E-Mail geführten Schriftverkehr über den Vorgang vor, auf
dessen Inhalt Bezug genommen wird.
Der Kreiswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Der Verbleib der Wahlbenachrichtigungskarte des Ein-
spruchsführers und seiner Ehefrau könne auch nach Rück-
sprache mit der zuständigen Poststelle nicht aufgeklärt wer-
den.
Dem Einspruchsführer sei auf Rückfrage vor dem Wahltag
nach Überprüfung des Wählerverzeichnisses bestätigt wor-
den, dass sowohl er als auch seine Ehefrau ohne Vorlage der
Wahlbenachrichtigungskarte zur Wahl zugelassen würden.
Hierfür sei die Vorlage des Personalausweises ausreichend.
AmWahltag seien die Eheleute imWahllokal in der Goethe-
schule in Kaiserslautern zur Wahl erschienen. Die Ehefrau
des Einspruchsführers sei zur Wahl zugelassen worden.
Nach Angaben der Schriftführerin sei im Wählerverzeichnis
beim Eintrag des Einspruchsführer bereits eine Stimm-
abgabe gekennzeichnet gewesen. Daher sei er zunächst
nicht zur Wahl zugelassen worden. Nach eingehender Prü-
fung sei der Wahlvorstand davon ausgegangen, dass diese
Kennzeichnung irrtümlich erfolgt sei, und habe den Ein-
spruchsführer zur Wahl zugelassen. Der Wahlvorstand die-
ses Wahlbezirks habe von allen Wahlberechtigten die Wahl-
benachrichtigungskarten einbehalten. Bei den Wahlberech-
tigten, die ohne Wahlbenachrichtigung zugelassen worden

seien, habe die Schriftführerin einen entsprechenden Ver-
merk im Wählerverzeichnis angebracht. Dies sei auch bei
dem Einspruchsführer und seiner Ehefrau so gehandhabt
worden.
Der Einspruchsführer hat sich zu der Stellungnahme des
Kreiswahlleiters nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruchs ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Weder die Tat-
sache, dass der Einspruchsführer und seine Ehefrau keine
Wahlbenachrichtigung erhalten haben, noch der Umstand,
dass der Einspruchsführer am Wahltag zunächst zurückge-
wiesen wurde, begründen einen Wahlfehler.
Die Zusendung einer Wahlbenachrichtigung ist nicht Vo-
raussetzung für die Ausübung des Wahlrechts (Bundestags-
drucksache 14/1560, Anlage 20). Nach § 14 Abs. 1 des
Bundeswahlgesetzes hängt die formelle Wahlberechtigung
davon ab, ob jemand in ein Wählerverzeichnis eingetragen
ist oder einen Wahlschein hat. Im Vorfeld der Wahl war be-
reits geklärt worden, dass sowohl der Einspruchsführer als
auch seine Ehefrau in das Wählerverzeichnis eingetragen
waren. Durch Vorlage ihres Personalausweises konnten sie
somit am Wahltag ihr Wahlrecht ausüben (vgl. § 56 Abs. 3
Bundeswahlordnung – BWO).
Der Wahlvorstand hat sich auch korrekt verhalten, als er den
Einspruchsführer zunächst nicht zur Wahl zuließ. Nach § 56
Abs. 6 Nr. 3 BWO hat der Wahlvorstand einen Wähler zu-
rückzuweisen, der bereits einen Stimmabgabevermerk im
Wählerverzeichnis hat, es sei denn, er weist nach, dass er
noch nicht gewählt hat. Somit war eine Überprüfung gebo-
ten, ob der Stimmabgabevermerk beim Einspruchsführer
irrtümlich erfolgt ist. Nach Überprüfung der vorliegenden

Drucksache 15/1850 – 180 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Wahlbenachrichtigungskarten und der eingetragenen Ver-
merke im Wählerverzeichnis kam der Wahlvorstand zu dem
Ergebnis, dass das „Häkchen“ im Wählerverzeichnis neben
dem Namen des Einspruchsführers irrtümlich gemacht wor-
den sein muss. Daraufhin konnte der Einspruchsführer sein
Wahlrecht ausüben. Der Schriftführerin mag zwar ein
Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sein, als sie irrtümlich einen
Stimmabgabevermerk beim Einspruchsführer angebracht
hat. Derartige Ungereimtheiten sind jedoch bei der Organi-
sation einer Bundestagswahl letztlich unvermeidlich. Inso-
weit liegt ein Wahlfehler nur dann vor, wenn eine zumut-
bare Aufklärung von Ungereimtheiten gänzlich unterlassen
und dadurch die Ausübung des Wahlrechts beeinträchtigt
wird. Der Wahlvorstand hat jedoch die Angelegenheit kor-
rekt aufgeklärt, so dass entgegen der Auffassung des Ein-
spruchsführers kein Wahlfehler vorliegt.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 181 – Drucksache 15/1850

Anlage 50

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn A. H., 73207 Plochingen

– Az.: WP 13/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 27. September 2002 per Telefax beim Deut-
schen Bundestag eingegangenen Schreiben hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag eingelegt. Zur Begründung trägt
er vor, dass er an der Abholung seiner Briefwahlunterlagen
gehindert worden sei.
Nach Mitteilung des Kreiswahlleiters war der Einspruchs-
führer für die Bundestagswahl 2002 in das Wählerverzeich-
nis der Stadt Plochingen eingetragen.
Der Einspruchsführer behauptet, er sei am 20. September
2002 von einem uniformierten Vollzugsbeamten aus dem
Briefwahllokal hinausgeworfen worden. Dieser habe ihm
gesagt, dass man „auch am Sonntag wählen gehen“ könne;
jedoch sei der Einspruchsführer an diesem Tage verhindert
gewesen. Diesen Vorgang habe eine Mitarbeiterin des Ord-
nungsamtes, der er „rechtslastige Gesinnung“ vorwirft, „ta-
tenlos“ beobachtet. Er bittet um Ermittlung des Namens des
Vollzugsbeamten, damit dieser vor Gericht gestellt werden
könne. Der Einspruchsführer vertritt die Auffassung, dass
„Wahlhelfer“ für die Ausübung ihres Amtes „auf jeden
Fall“ ein polizeiliches Führungszeugnis vorzulegen hätten.
Auch habe er einige Zeit vorher in der Nähe des Hundert-
wasserhauses in Plochingen ein Hakenkreuz entdeckt und
fotografiert. Das Foto habe er dem Ordnungsamt und der
Polizei zugesandt. Danach habe er diesen Stellen etwa 20
Faxe zugesandt, da das Hakenkreuz-Symbol immer noch
nicht entfernt gewesen sei.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Landeswahlleiter des
Landes Baden-Württemberg wie folgt Stellung genommen:
Nach Angaben der Stadtverwaltung Plochingen sei der Ein-
spruchsführer am 20. September 2002 beim Ordnungsamt
erschienen. Dort habe er erklärt, dass er „hier und heute so-
fort im Sonderwahlbüro wählen möchte“. Ein städtischer
Vollzugsbeamter habe ihm erklärt, dass er zur Beantragung
der Teilnahme an der Briefwahl in das Nachbargebäude ge-
hen müsse. Die persönliche Teilnahme an der Wahl sei erst
am Wahlsonntag im entsprechenden Wahllokal möglich.
Der Einspruchsführer habe daraufhin erklärt, dass es Folgen
haben werde, dass ihm „das Wahlrecht abgesprochen“
werde. Die zuständige Mitarbeiterin im Wahlamt sei fern-

mündlich darüber informiert worden, dass sich der Ein-
spruchsführer dorthin zur Teilnahme an der Briefwahl bege-
ben wolle. Er sei im Wahlamt jedoch nicht erschienen.
Die Stadtverwaltung habe ihm die Gelegenheit gegeben, die
Briefwahlunterlagen zu beantragen und die Briefwahl „an
Ort und Stelle“ auszuüben. Im Übrigen habe der Ein-
spruchsführer nicht dargelegt, dass die Voraussetzungen für
die Erteilung eines Wahlscheines vorgelegen hätten. Darü-
ber hinaus habe er die Möglichkeit gehabt, seine Stimme am
Wahltag im Wahllokal abzugeben.
Dem Einspruchsführer sei wegen „Beleidigungen und Be-
drohungen städtischer Bediensteter“ am 21. August 2001
Hausverbot erteilt worden. Auf seither von ihm eingehende
Faxe mit entsprechendem Inhalt habe die Stadtverwaltung
grundsätzlich nicht mehr reagiert.
Dem Einspruchsführer ist die Stellungnahme inhaltlich be-
kannt gegeben worden. Er hat sich hierzu wie folgt geäu-
ßert:
Er sei ohne den Hinweis, zur Teilnahme an der Briefwahl in
das Nachbargebäude gehen zu müssen, des Rathauses ver-
wiesen worden. Der Beamte habe ihn am Arm anfassen
wollen, jedoch habe er sich der Berührung entziehen kön-
nen. Weiterhin trägt er vor, dass ein junges Paar, das nach
ihm zur Teilnahme an der Briefwahl erschienen sei, auf den
Nachmittag verwiesen worden sei. Deren Namen und
Adressen werde er in Erfahrung bringen. Nach der öffentli-
chen Bekanntmachung sei das Briefwahllokal am 20. Sep-
tember 2002 bis 18.00 Uhr geöffnet gewesen.
In weiteren Zuschriften teilt der Einspruchsführer mit, dass
ihm Fahrtkosten entstanden seien und dass auch andere Per-
sonen an der Wahl gehindert worden seien. Hierfür habe er
Zeugen, deren Identität er aus Sicherheitsgründen nicht
preisgeben könne.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers wird auf den
Inhalt der Akten verwiesen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Drucksache 15/1850 – 182 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Wahlfehler geschehen
ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann der Wahlein-
spruch keinen Erfolg haben, denn er kann jedenfalls keinen
Einfluss auf die Mandatsverteilung haben.
Aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts lässt sich nicht
aufklären, ob der Einspruchsführer an der Beantragung ei-
nes Wahlscheins nebst Briefwahlunterlagen und an der Aus-
übung der Briefwahl an Ort und Stelle gehindert worden ist.
Er behauptet, ein Vollzugsbeamter habe ihn am Betreten des
Rathauses in der Schulstraße 5 in Plochingen gehindert und
ihn auch nicht auf das im Nachbargebäude in der Schul-
straße 7 befindliche Wahlamt verwiesen. Falls dies zutrifft,
ist der Einspruchsführer zu Unrecht an der Ausübung der
Briefwahl gehindert worden. Hierbei kommt es nicht darauf
an, dass der Einspruchsführer die Voraussetzungen für die
Ausstellung eines Wahlscheines gemäß § 25 Bundeswahl-
ordnung (BWO) nicht dargelegt hatte. Er war hierzu erst bei
der Beantragung des Wahlscheins verpflichtet, an der er
aber nach seinem Vortrag gerade gehindert wurde. Da der
Einspruchsführer in seinem Wahleinspruch vorgetragen hat,
dass er am Wahlsonntag keine Möglichkeit hatte zu wählen,
dürften die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Nr. 1 BWO
vorgelegen haben. Jedenfalls ist es bei dieser Sachlage nicht
offenkundig, dass keine der Voraussetzungen des § 25
BWO vorgelegen hätte. Auch das Hausverbot, das die
Stadtverwaltung gegenüber dem Einspruchsführer erlassen
hatte, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es musste
nämlich – wovon auch der Landeswahlleiter in seiner Stel-
lungnahme ausgeht – so ausgeübt werden, dass das Wahl-
recht des Einspruchsführers nicht beeinträchtigt werden
konnte. Eventuelle Störungen bei der Ausübung der Brief-
wahl können ggf. auch im Rahmen der Ausübung der Ord-

nungsgewalt im Wahlamt unterbunden werden (vgl. auch
§ 55 BWO). Sollte demgegenüber der Sachverhalt zutref-
fen, der in der Stellungnahme des Landeswahlleiters vorge-
tragen worden ist, so liegt ein Wahlfehler nicht vor. Wenn
nämlich der Einspruchsführer zur Beantragung der Brief-
wahl auf das Wahlamt in der Schulstraße 7 verwiesen
wurde, so ist der Einspruchsführer an der Ausübung seines
Wahlrechts nicht gehindert worden.
Der Wahleinspruch kann jedenfalls deshalb keinen Erfolg
haben, weil sich – wie eine Überprüfung des Erststimmen-
ergebnisses im Wahlkreis Esslingen und des Zweitstimmen-
ergebnisses in Baden-Württemberg ergeben hat – im Falle
einer Stimmabgabe des Einspruchsführers keine Verände-
rungen in der Mandatsverteilung ergeben hätten. Nach stän-
diger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der
sich der Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag stets
angeschlossen haben, können jedoch nur solche Wahlfehler
einen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die auf die
Mandatsverteilung von Einfluss sind oder hätten sein kön-
nen. Infolgedessen scheiden alle Verstöße von vornherein
als unerheblich aus, die die Ermittlung des Wahlergebnisses
nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/372 ständige Recht-
sprechung). Selbst solche Wahlfehler, die die Ermittlung des
Wahlergebnisses betreffen, sind dann unerheblich, wenn sie
angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf
die Mandatsverteilung haben können.
Soweit der Einspruchsführer vorträgt, auch anderen Perso-
nen sei von der Stadtverwaltung Plochingen die Beantra-
gung eines Wahlscheins erschwert worden, so ist diese Be-
hauptung nicht hinreichend substantiiert. Insoweit fehlt es
an einem hinreichend bestimmten Anfechtungsgegenstand,
so dass von einer näheren Prüfung abgesehen wird (vgl.
BVerfGE 40, 11/30).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 183 – Drucksache 15/1850

Anlage 51

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn W. W., 22303 Hamburg

– Az.: WP 8/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 24. September 2002 hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag eingelegt.
Er bittet festzustellen, dass die von den zuständigen „Be-
zirksämtern“ erteilten Wahlscheine „wegen erheblicher
Mängel“ nicht gültig gewesen seien. Zur Begründung trägt
er vor, dass der vom Bezirksamt Hamburg-Nord ausgege-
bene Wahlschein hinsichtlich der bei Bedarf mitwirkenden
Hilfsperson keinen Hinweis auf deren Mindestalter enthalte.
Der Wahlschein entspreche dadurch nicht dem Muster der
Anlage 9 zu § 26 Bundeswahlordnung (BWO). In Punkt 4
der Erläuterungen zu diesem Muster sei der Hinweis ent-
halten, dass diese Hilfsperson das 16. Lebensjahr vollendet
haben müsse.
Weiterhin trägt der Einspruchsführer vor, dass die zustän-
dige Gemeindebehörde, das Bezirksamt Hamburg-Nord,
seinen Wahlschein mit „einem von ihr nicht zu führenden
Dienstsiegel“ ausgegeben habe. Nach § 26 BWO werde
der Wahlschein nach dem Muster der Anlage 9 zu
§ 26 BWO von der Gemeindebehörde erteilt, in deren
Wählerverzeichnis der Wahlberechtigte eingetragen gewe-
sen sei oder hätte eingetragen werden müssen. Die zustän-
dige Behörde sei im vorliegenden Falle somit das Bezirks-
amt Hamburg-Nord.
Der Wahlschein trage jedoch das Dienstsiegel des Statis-
tischen Landesamtes Hamburg. Gemäß Artikel 57 Satz 2
der Landesverfassung der Freien und Hansestadt Hamburg
grenze der Senat aber die einzelnen Verwaltungszweige ge-
geneinander ab, wobei gemäß der Anordnung des Senats
vom 1. Juni 1982 die Fachämter und Bezirksämter unter-
schiedliche Dienstsiegel führten. Der für den Einspruchs-
führer erteilte Wahlschein hätte somit nach Ansicht des
Einspruchsführers das Dienstsiegel des Bezirksamtes Ham-
burg-Nord tragen müssen. Er behauptet, dass „allem An-
schein nach“ kein in Hamburg erteilter Wahlschein das
vom jeweils zuständigen Bezirksamt zu führende Dienst-
siegel, sondern vielmehr das seiner Ansicht nach unzuläs-
sige Dienstsiegel des Statistischen Landesamtes Hamburg
getragen habe. Der Einspruchschrift ist eine Kopie des für
den Einspruchsführer ausgestellten Wahlscheines beige-
fügt.

In einer weiteren Zuschrift vom 4. November 2002 hat der
Einspruchsführer die Begründung zu seinem Wahleinspruch
ergänzt.
Er bittet festzustellen, dass die in allen Wahlkreisen ausge-
stellten Wahlscheine ohne eigenhändige Unterschrift oder
ohne Hinweis auf den beauftragten oder verantwortlichen
Bediensteten ungültig gewesen seien. Zu diesem Vortrag
verweist er auf die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 3 BWO,
wonach auf einem Wahlschein bei Erstellung mit Hilfe au-
tomatischer Einrichtungen die Unterschrift fehlen könne;
stattdessen könne der Name des beauftragten Bediensteten
eingedruckt werden. Im Falle des Einspruchsführers habe
der beauftragte Bedienstete des Bezirksamtes Hamburg-
Nord den Wahlschein weder unterschrieben noch sei sein
Name darauf abgedruckt gewesen. Der Wahlschein habe am
Platz der zu leistenden Unterschrift den in Klammern ge-
setzten Hinweis „entfällt bei automatischer Erstellung des
Wahlscheins“ enthalten. Bei persönlicher Abgabe seines
Wahlscheines im Briefwahlzentrum seines Wahlkreises
habe er beobachten können, dass dort etwa 10 PC-Arbeits-
plätze gewesen seien, an denen Mitarbeiter „offensichtlich“
Wahlscheineinträge bearbeitet hätten. Wenn ein Bedienste-
ter das Formblatt „Wahlschein“ in den Drucker lege und mit
den Daten des Wahlberechtigten bedrucke, könne nicht von
einer „Erstellung mit Hilfe automatischer Einrichtungen“
gesprochen werden, die eine eigenhändige Unterschrift
nicht praktikabel erscheinen lasse. Der Bedienstete hätte
„hier sehr wohl“ die eigenhändige Unterschrift leisten kön-
nen, da ja auch die Wahlscheinnummer handschriftlich auf
dem roten Wahlscheinumschlag eingetragen worden sei.
Auf jene Art erstellte Wahlscheine seien im gesamten Wahl-
gebiet vom jeweils beauftragten Bediensteten eigenhändig
zu unterschreiben. Werde aber bei einer unstrittig automati-
schen Erstellung des Wahlscheins die eigenhändige Unter-
schrift nicht geleistet, so sei die bereits erwähnte Vorschrift
des § 28 Abs. 2 Satz 3 BWO anzuwenden.
Der Bundeswahlleiter habe ihm auf Anfrage mitgeteilt, dass
„die Gemeindebehörden einen Wahlschein, der mittels auto-
matischer Einrichtungen ausgestellt“ worden sei, „gänzlich
ohne Namen des Bediensteten“ hätten ausstellen dürfen,
„ohne dass er ungültig“ geworden sei. Nach Ansicht des
Einspruchsführers erscheint die Beurteilung als unvollstän-
dig und deshalb unrichtig, weil sie nur der „kann-Bedin-

Drucksache 15/1850 – 184 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

gung“ und nicht auch der „stattdessen-Bedingung“ des § 28
Abs. 2 Satz 3 BWO Rechnung trage und Ähnlichkeiten mit
§ 23 Abs. 3 BWO (Berichtigung des Wählerverzeichnisses)
nicht berücksichtigt habe. So sei es ein „praxisgerechter Ge-
danke“, wenn der Verordnungsgeber den Gemeindebehör-
den die Auswahl anbieten wolle zwischen eigenhändiger
Unterschrift des Bediensteten oder – bei automatisiertem
Verfahren – dessen einzudruckendem Namen. Es sei auch
kein Grund erkennbar, weshalb bei manueller Erstellung der
Wahlschein eigenhändig unterschrieben werde, bei Erstel-
lung mit automatischer Hilfe aber überhaupt kein Hinweis
auf den beauftragten oder verantwortlichen Bediensteten
gegeben werde.
Der Landeswahlleiter hat hierzu wie folgt Stellung genom-
men:
Es treffe zu, dass ein Hinweis auf das Mindestalter der
Hilfsperson auf den in Hamburg verwendeten Wahlscheinen
nicht vorhanden sei. Dies ändere jedoch nichts daran, dass
die Wahlscheine in Hamburg entsprechend der Regelung in
§ 26 BWO nach dem Muster der Anlage 9 gefertigt worden
seien. Der Hinweis auf das Mindestalter von Hilfspersonen
habe sich zudem auf dem Merkblatt zur Briefwahl, das je-
dem Wahlscheininhaber übersandt worden sei, befunden.
Ein entsprechendes Muster dieser Unterlagen liegt dem
Wahlprüfungsausschuss vor.
Außerdem sei die Verwendung des beim Statistischen Lan-
desamt Hamburg geführten Dienstsiegels nicht zu beanstan-
den. Zuständig für die Ausstellung von Wahlscheinen seien
in Hamburg die Bezirksämter gem. § 26 BWO i.V. m. § 91
BWO. Entgegen der Auffassung des Einspruchsführers
seien jedoch die Bezirksämter keine Gemeindebehörden.
Die Bezirke in Hamburg seien keine Gemeinden, da Ham-
burg gem. Artikel 4 Abs. 1 der Verfassung der Freien und
Hansestadt Hamburg eine Einheitsgemeinde bilde. Daher
führten sie auch kein Dienstsiegel des jeweiligen Bezirkes,
sondern wie alle Hamburger Dienststellen ein Dienstsiegel
der Freien und Hansestadt Hamburg. Es sei zwar zutreffend,
dass sich die Dienstsiegel von Fachbehörden und Bezirks-
ämtern unterschieden. Jedoch werde verkannt, dass es sich
dabei dennoch einheitlich um Dienstsiegel der Freien und
Hansestadt Hamburg handele, die lediglich in einer „einzei-
ligen Umschrift“ die jeweils siegelführende Dienststelle
aufführten. Durch die jeweils aufgeführte Siegelnummer
lasse sich auch der jeweils siegelführende Bedienstete er-
mitteln. Den Bezirksämtern in Hamburg sei im Auftrag der
Kreiswahlleiter aus Kostengründen ein einheitlicher Wahl-
scheinvordruck vom Landeswahlamt, das organisatorisch
Teil des Statistischen Landesamtes sei, zur Verfügung ge-
stellt worden. Seit 1957 werde das Dienstsiegel entspre-
chend der Regelung des § 28 Abs. 2 BWO auf den Wahl-
scheinvordrucken vorgedruckt. Aufgrund der Erstellung des
Vordruckes durch das Landeswahlamt werde beim Wahl-
scheinvordruck in Hamburg das von einem Mitarbeiter des
Landeswahlamtes geführte Dienstsiegel der Freien und
Hansestadt Hamburg verwendet.
Zur Beanstandung der fehlenden Unterschrift bzw. des feh-
lenden Namenshinweises hat der Landeswahlleiter mitge-
teilt, dass die in Hamburg verwendeten Wahlscheine gültig
seien. Dies ergebe sich aus der Regelung des § 28 Abs. 2
Satz 2 BWO. Die Wahlscheine seien mittels eines automati-
sierten Dialogverfahrens aus demWählerverzeichnis erstellt

worden, in dem die auf der Wahlbenachrichtigungskarte
eingedruckte Nummer des Wählerverzeichnisses in das Pro-
gramm eingegeben worden sei. Das Programm habe dann
automatisch die Daten des Wahlberechtigten auf einen
Wahlscheinvordruck übertragen und den Eintrag des Wäh-
lers im Wählerverzeichnis automatisch mit einem Wahl-
scheinvermerk versehen oder einen entsprechenden Nach-
trag für das Wählerverzeichnis erstellt. Auf den Eintrag des
ausstellenden Bediensteten sei bei diesem Verfahren auf
Grund der Kann-Bestimmungen des § 28 BWO verzichtet
worden.
Der Einspruchsführer hat sich zu der Stellungnahme wie
folgt geäußert:
Es sei festzustellen, dass die vom Senat für die Beschaffung
von Wahlunterlagen bestimmten Stellen „ohne erkennbaren
Grund“ von den Vorgaben des Musters der Anlage 9 zu § 26
BWO abgewichen seien.
Der Senat des Landes Hamburg habe gemäß § 91 BWO in
seiner Anordnung vom 20. September 1983 festgelegt, dass
Aufgaben, die den Gemeindebehörden übertragen worden
seien, im Land Hamburg von den Bezirksämtern wahrge-
nommen werden. Für die Erteilung von Wahlscheinen sei
dort nichts Abweichendes bestimmt worden. Die Verwal-
tungszweige seien auf Grund von Artikel 57 der Landesver-
fassung gegeneinander abzugrenzen. Deshalb führten Fach-
behörden und Bezirksämter unterschiedliche Dienstsiegel.
Die Ausführungen des Landeswahlleiters hierzu seien abwe-
gig und die Anlage 2 der Stellungnahme sei unvollständig
gewesen, da das Blatt mit den Abdrucken der Dienstsiegel
gefehlt habe. Die dort dargestellten Muster der beiden
Dienstsiegel „Bezirksamt Wandsbek“ und „Amtsgericht
Hamburg-Wandsbek“ hätten eindeutig die nach der Landes-
verfassung bestimmte Abgrenzung der einzelnen Verwal-
tungszweige gezeigt. Daraus folge, dass die im Land Ham-
burg von den Bezirksämtern ausgegebenen Wahlscheine
nicht deren Dienstsiegel getragen hätten, sondern das in die-
sem Falle unrichtige Dienstsiegel des Statistischen Landes-
amtes Hamburg. Die Dienstsiegel hätten nicht der Landes-
verfassung entsprochen und seien rechtswidrig. Der Ein-
spruchsführer hat dieser Zuschrift entsprechende Abdrucke
der Dienstsiegel beigefügt. Die Wahlscheine seien – wie der
Einspruchsführer in einem ergänzenden Schreiben vom
15. März 2003 anführt – als nichtige Verwaltungsakte i. S. d.
§ 44 Abs. 2 Nr. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
anzusehen.
In einem ergänzenden Schreiben vom 30. August 2003 bit-
tet der Einspruchsführer darum, eine Stellungnahme des
Landeswahlleiters des Landes Hamburg zu der Frage einzu-
holen, ob bei der Bundestagswahl 2002 die Bescheinigung
des Wahlrechts nach Anlage 14 zur Bundeswahlordnung
und die Bescheinigung der Wählbarkeit nach Anlage 16 zur
Bundeswahlordnung von der Behörde für Inneres des Lan-
des Hamburg und mit ihrem Dienstsiegel beurkundet wor-
den seien.
Wegen des weiteren Vortrags des Einspruchsführers in sei-
ner Gegenäußerung zur Stellungnahme des Landeswahllei-
ters vom 29. Juni 2003 sowie in den ergänzenden Schreiben
vom 18. Februar 2003, vom 15. März 2003 und vom
30. August 2003 wird auf den Inhalt der Akten Bezug ge-
nommen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 185 – Drucksache 15/1850

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften ist aus dem
vorgetragenen Sachverhalt nicht ersichtlich. Dies gilt für
alle drei vom Einspruchsführer angeführten Gründe. Der
Landeswahlleiter hat in seiner Stellungnahme vom 14. Ja-
nuar 2003 überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, wes-
halb ein Wahlfehler nicht vorliegt. Der Bundestag und der
Wahlprüfungsausschuss machen sich diese Begründung zu
eigen.
Soweit der Einspruchsführer bezüglich der Abweichung
vom Muster der Anlage 9 zu § 26 BWO einwendet, dies sei
ohne erkennbaren Grund geschehen, so ist darauf hinzuwei-
sen, dass der Verweis in § 26 BWO auf das Muster in An-
lage 9 nicht bedeutet, dass der Wahlschein in jedem Detail
nach diesem Muster zu erstellen ist. Gleichwohl macht der
Einspruchsführer mit Recht darauf aufmerksam, dass ein
Hinweis auf das Mindestalter der Hilfsperson (16 Jahre) bei
der Briefwahl geeignet ist, die Einhaltung der Wahlrechts-
grundsätze zu unterstützen.
Die in Hamburg verwendeten Wahlscheine sind entgegen
der Ansicht des Einspruchsführers weder rechtswidrig noch
nichtig. Sowohl das verwendete Dienstsiegel als auch die
Praxis, den Namen des beauftragten Bediensteten nicht auf
dem Wahlschein einzudrucken, entsprechen den Vorgaben
des § 28 Abs. 2 BWO. Maßgeblich ist, dass ein Dienstsiegel

der Freien und Hansestadt Hamburg verwendet worden und
die ausstellende Gebietskörperschaft erkennbar ist. Es be-
darf keiner Erörterung, ob das Land Hamburg auch eine
andere Regelung bezüglich der Verwendung des Dienstsie-
gels – z. B. die vom Einspruchsführer vorgeschlagene Re-
gelung – treffen könnte. In der Stellungnahme des Lan-
deswahlleiters wird auch zutreffend ausgeführt, dass es im
Ermessen der Wahlbehörden liegt, ob gemäß § 28 Abs. 2
Satz 3 zweiter Halbsatz BWO der Name des beauftragten
Bediensteten auf dem mit Hilfe automatischer Einrichtun-
gen erstellten Wahlschein eingedruckt wird. Selbst wenn im
Übrigen bestimmte formelle Mängel der Wahlscheine vorlä-
gen, hätte dies – entgegen der Auffassung des Einspruchs-
führers – nicht ohne Weiteres die Ungültigkeit der Stimm-
abgabe der betreffenden Wählerinnen und Wähler zur
Folge. Der vorliegende Sachverhalt bietet jedoch keinen
Anlass, die Rechtsfolgen formeller Mängel von Wahlschei-
nen näher zu erörtern.
Soweit der Einspruchsführer in seinem Schreiben vom
30. August 2003 die Prüfung seines Wahleinspruchs auf die
korrekte Gestaltung der Bescheinigungen nach Anlage 14
und Anlage 16 zur Bundeswahlordnung ausdehnen möchte,
so fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung, dass
insoweit ein Wahlfehler geschehen sein könnte. Darüber
hinaus führt der Einspruchsführer damit neue Gründe für
seinen Wahleinspruch nach Ablauf der Einspruchsfrist
(22. November 2002) ein. Das Nachschieben neuer Gründe
zur Begründung des Einspruchs nach Ablauf der Ein-
spruchsfrist ist jedoch im Interesse einer schnellen Klärung
der Gültigkeit oder Ungültigkeit der Wahl und der damit
einhergehenden alsbaldigen verbindlichen Feststellung der
ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments unzu-
lässig (Schreiber, Wahlrecht, 7. Auflage, § 49 Rn. 18).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 187 – Drucksache 15/1850

Anlage 52

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn B. A., 29229 Celle

– Az.: WP 30/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 22. September 2002, das am 27. Sep-
tember 2002 beim Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Der Einspruchsführer stellt in der Einspruchsschrift unter
Hinweis auf die „Industrie“ und auf „Computer“ die Frage,
ob die Bundestagswahl abgesprochen gewesen sei. Des
Weiteren fragt er, ob nur die Original-Stimmzettel bei der
Wahl zählten und ob die Stimmzettel nicht „registriert“ ge-
wesen seien.
Mit Schreiben vom 6. November 2002 hat die Vorsitzende
des Wahlprüfungsausschusses den Einspruchsführer auf die
fehlende substantiierte Begründung aufmerksam gemacht
und ihn aufgefordert, bis zum 22. November 2002 dem Be-
gründungsmangel abzuhelfen. Der Einspruchsführer hat
sich daraufhin nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist fristgerecht beim Deutschen Bundestag
eingegangen. Er ist unzulässig, weil er keine gemäß § 2
Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begründung enthält.
Nach § 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG erfolgt die Wahlprüfung nur
auf Einspruch, der zu begründen ist. Die Begründung muss
mindestens den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt
wird, erkennen lassen und genügend substantiierte Tatsa-
chen enthalten. Die Wahlprüfung findet also weder von
Amts wegen statt, noch erfolgt sie stets in Gestalt einer
Durchprüfung der gesamten Wahl. Vielmehr richtet sich ihr

Umfang nach dem Einspruch, durch den der Einspruchsfüh-
rer den Anfechtungsgegenstand bestimmt. Der Prüfungsge-
genstand ist nach dem erklärten, verständig zu würdigenden
Willen des Einspruchsführers unter Berücksichtigung des
gesamten Einspruchsvorbringens sinngemäß abzugrenzen.
Aus der Begründungspflicht folgt, dass die Abgrenzung
auch danach vorzunehmen ist, wieweit der Einspruchsfüh-
rer den Einspruch substantiiert hat. Nur im Rahmen des so
bestimmten Anfechtungsgegenstandes haben die Wahlprü-
fungsorgane dann den Tatbestand, auf den die Anfechtung
gestützt wird, von Amts wegen zu erforschen und alle auf-
tauchenden rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen
(BVerfGE 40, 11/30; ständige Rechtsprechung).
Der Einspruchsführer stellt lediglich Fragen, aus denen die
Vermutung zu entnehmen ist, bei den Bundestagswahlen sei
es generell nicht mit rechten Dingen zugegangen. Er legt
nicht näher dar, weshalb die Bundestagswahlen abgespro-
chen gewesen sein sollen. Er konkretisiert auch nicht seine
weitere Vermutung, dass andere als die gesetzlich vorgese-
henen Stimmzettel verwendet worden seien. Mit der Frage
nach einer „Registrierung“ von Stimmzetteln möchte der
Einspruchsführer möglicherweise die repräsentative Wahl-
statistik nach dem Wahlstatistikgesetz ansprechen. Auch in-
soweit macht er nicht deutlich, ob und inwieweit aufgrund
dieser „Registrierung“ Wahlfehler vorgekommen sein sol-
len. An einer näheren Prüfung des Vorbringens des Ein-
spruchsführers sehen sich deshalb der Bundestag und der
Wahlprüfungsausschuss gehindert.
Der Einspruchsführer ist auch nach einer entsprechenden
Aufforderung durch die Vorsitzende des Wahlprüfungsaus-
schusses dem Begründungserfordernis nach § 2 Abs. 3
WPrüfG nicht nachgekommen.
Der Einspruch ist deshalb als unzulässig im Sinne des § 6
Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 189 – Drucksache 15/1850

Anlage 53

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn M. K. M. B., 22453 Hamburg

– Az.: WP 81/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 25. September 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 6. November 2002, das am 18. Novem-
ber 2002 beim Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer Folgendes vor:
Als er anlässlich seiner Stimmabgabe im Wahllokal des für
ihn zuständigen Wahlbezirks 220 08 den Wahlvorsteher be-
fragt habe, ob alle seine Vornamen in das Wählerverzeichnis
eingetragen worden seien, habe dieser sinngemäß entgeg-
net, dass die Wahlberechtigung des Einspruchsführers nicht
von der vollständigen Eintragung aller Vornamen in das
Wählerverzeichnis abhänge. Wie der Einspruchsführer
wisse, führe der Bundesnachrichtendienst einen weiteren
Personalausweis mit seinem ersten Vornamen und dem Zu-
namen. Der Wahlvorsteher habe die Wahlniederschrift hin-
sichtlich des Einspruchsführers geändert und die vom Ein-
spruchsführer abgegebene Stimme, die er identifiziert habe,
verbrannt. Wegen der Einzelheiten des Vortrags wird auf
den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Kreiswahlleiter hat zu diesem Wahleinspruch betont,
dass die Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehrten. Der Ein-
spruchsführer sei nicht – wie von ihm geschildert – im
Wahlbezirk 220 08, sondern im Wahlbezirk 220 12 wahl-
berechtigt gewesen und habe dort auch an der Wahl teilge-
nommen. Die von den Wahlvorständen der Wahlbezirke
220 08 und 220 12 gefertigten Wahlniederschriften hätten
keinen Hinweis auf besondere Zwischenfälle während der
Wahlhandlungen enthalten. Der Wahlvorsteher und die
stellvertretende Wahlvorsteherin des Wahlbezirks 220 08
hätten auf Befragen erklärt, dass sie sich nicht an einen
Zwischenfall bzw. an einen ungewöhnlichen Auftritt eines

Wählers im Wahllokal erinnern könnten. Auch der Wahl-
vorsteher und der stellvertretende Wahlvorsteher des Wahl-
bezirks 220 12 hätten angegeben, dass es im Wahllokal zu
keinen Auseinandersetzungen mit einemWähler gekommen
sei. Die Wahlniederschriften der Wahlbezirke 220 08 und
220 12 liegen dem Wahlprüfungsausschuss ebenso vor wie
das Wählerverzeichnis des Wahlbezirks 220 12, in das der
Einspruchsführer mit seinem ersten Vornamen eingetragen
ist und das einen Stimmabgabevermerk enthält.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3
WPrüfG von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet.
Eine Verletzung wahlrechtlicher Vorschriften liegt nicht vor.
Für die Behauptung des Einspruchsführers, sein Stimmzet-
tel sei nachträglich verbrannt worden, bestehen keinerlei
Anhaltspunkte. Dies ergibt sich zum einen aus den in der
Stellungnahme des Kreiswahlleiters wiedergegebenen Er-
klärungen der Wahlvorsteher der Wahlbezirke 220 08 und
220 12, zum anderen aus den vorgelegten Wahlniederschrif-
ten. Der Einspruchsführer hat somit von seinem Wahlrecht
Gebrauch gemacht. Er ist auch ordnungsgemäß in das Wäh-
lerverzeichnis eingetragen worden.
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 191 – Drucksache 15/1850

Anlage 54

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn R. G., ohne festen Wohnsitz

– Az.: WP 49/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem am 7. Oktober 2002 bei der Stadt München per-
sönlich abgegebenen Schreiben hat der Einspruchsführer
Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deut-
schen Bundestag eingelegt. Dieses Schreiben ist an den
Deutschen Bundestag weitergeleitet worden und ist dort am
11. Oktober 2002 eingegangen. Zur Begründung trägt der
Einspruchsführer vor, dass er nicht an der Wahl zum Deut-
schen Bundestag habe teilnehmen können, da er nicht in das
Wählerverzeichnis eingetragen worden sei, obwohl er dies
schriftlich und mündlich beantragt gehabt hätte.
Er trägt vor, dass die Stadt München sich geweigert habe,
ihn in das Wählerverzeichnis aufzunehmen, und dadurch
seine Teilnahme an der Wahl am Wahltag nicht gestattet
worden sei. Der „Wahlboykott“ der Mitarbeiter der Stadt
München sei „vorsätzlich grundrechtswidrig“ erfolgt. Eine
„Verknüpfung der Teilnahme an der Wahl mit einer polizei-
lichen Anmeldung sei seiner Auffassung nach in seiner „be-
sonderen Situation“ rechtlich nicht zulässig, da er sich u. a.
in „Lebensgefahr“ befinde und Verwaltungs- und Justizbe-
hörden „vorsätzlich grundrechtswidrige“ Entscheidungen
gegen ihn getroffen hätten. Darüber hinaus bestehe auch für
andere Personen Lebensgefahr.
Der Einspruchsführer hat Strafantrag bei der Staatsanwalt-
schaft München I gestellt, da er nicht in das Wählerver-
zeichnis eingetragen gewesen sei und ihm die Wahlunterla-
gen nicht an seine zustellfähige Adresse – das Sozialamt
München – zugestellt worden seien, obwohl er die Unterla-
gen „ordnungsgemäß und fristgerecht“ beantragt habe.
Weiterhin bittet der Einspruchsführer zu prüfen, ob alle
Wahlberechtigten – und somit auch der Einspruchsführer –
zur Teilnahme an der Bundestagswahl aufgefordert worden
seien. Seiner Ansicht nach liegt Wahlbetrug vor, wenn ihm
die Teilnahme an der Wahl unter Hinweis auf sachfremde,
nicht wahlbezogene Sachverhalte nicht gestattet werde.
Zum weiteren Vortrag des Einspruchsführers, der sich u. a.
auf Gerichtsverfahren und staatsanwaltschaftliche Ermitt-
lungsverfahren bezieht, wird auf den Inhalt der Akten ver-
wiesen.
Zu diesem Wahleinspruch hat der Landeswahlleiter des
Freistaates Bayern wie folgt Stellung genommen:

Da der Einspruchsführer am 18. August 2002 – dem Stich-
tag für die Eintragung in das Wählerverzeichnis – in Mün-
chen nicht mit Hauptwohnsitz gemeldet gewesen sei, habe
er der Bundeswahlordnung entsprechend nicht von Amts
wegen in das Wählerverzeichnis eingetragen werden kön-
nen. Wie aus einem Vermerk der Stadt München hervor-
gehe, sei der Einspruchsführer mehrmals darüber belehrt
worden, dass für die Teilnahme an der Wahl ein Eintrag in
das Wählerverzeichnis erforderlich sei und dass er diesen
Antrag schriftlich stellen müsse. Einen solchen Antrag habe
der Einspruchsführer nach Mitteilung der Stadt München je-
doch nicht gestellt.
Der Einspruchsführer sei auch nach seiner Unterbringung in
einer Pension in München nicht seinen melderechtlichen
Verpflichtungen nachgekommen, da er sich bei der Melde-
behörde nicht amtlich angemeldet habe. Der Einspruchsfüh-
rer wäre im Falle einer ordnungsgemäßen Anmeldung in
das Wählerverzeichnis eingetragen worden.
Dem Einspruchsführer ist diese Stellungnahme zur Kennt-
nis gegeben worden. Er hat darauf hin eine Ablichtung des
bisherigen Schriftwechsels zur Wahlprüfung mit eigenen
Randnotizen und Verweisen übersandt. Hierzu wird auf den
Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 3 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist form- und fristgerecht beim Deutschen
Bundestag eingegangen. Er ist zulässig, jedoch offensicht-
lich unbegründet. Selbst wenn ein Wahlfehler vorläge, was
nicht völlig ausgeschlossen werden kann, würde er dem
Einspruch mangels Einfluss auf die Sitzverteilung im Bun-
destag nicht zum Erfolg verhelfen.
Der Einspruchsführer ist zu Recht nicht von Amts wegen in
das Wählerverzeichnis eingetragen worden. Nach § 16
Abs. 1 Nr. 1 Bundeswahlordnung (BWO) sind von Amts
wegen alle Wahlberechtigten in das Wählerverzeichnis ein-
zutragen, die am 35. Tag vor der Wahl (Stichtag) bei der

Drucksache 15/1850 – 192 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Meldebehörde für eine Wohnung gemeldet sind. Der Ein-
spruchsführer war zu diesem Zeitpunkt (18. August 2002)
in einer Pension in München untergebracht, hat sich jedoch
nicht bei der Meldebehörde angemeldet. Diese Verknüpfung
zwischen der Eintragung in das Wählerverzeichnis von
Amts wegen und dem Melderegister ist sachgerecht und
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Ein-
spruchsführer in diesem Zusammenhang geltend gemachte
Nichtanwendung der Vorschrift wegen weiterer von ihm be-
triebener Verfahren ist nicht vorgesehen; die Bundeswahl-
ordnung enthält insoweit keine Ausnahmetatbestände.
Dennoch hätte der Einspruchsführer die Möglichkeit ge-
habt, sein Wahlrecht wahrzunehmen. Auch deutsche Staats-
bürger ohne festen Wohnsitz besitzen gemäß § 12 Abs. 1
Nr. 2 Bundeswahlgesetz (BWG) das Wahlrecht, sofern sie
sich seit mindestens drei Monaten gewöhnlich in der Bun-
desrepublik Deutschland aufhalten. Diese Personen können
gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1b Bundeswahlordnung (BWO) ihre
Eintragung in das Wählerverzeichnis beantragen. Der An-
trag auf Eintragung in das Wählerverzeichnis ist gemäß
§ 17 Abs. 2 Nr. 2 BWO bei der zuständigen Gemeindebe-
hörde zu stellen, in der der Wahlberechtigte am Stichtag
(35. Tag vor der Wahl) übernachtet hat. Die Beantragung
hat gemäß § 18 Abs. 1 BWO schriftlich bis spätestens am
21. Tag vor der Wahl zu erfolgen. Aus der Stellungnahme
des Landeswahlleiters geht hervor, dass nach Auskunft der
Stadt München der Einspruchsführer einen solchen Antrag
nicht gestellt hat. Außerdem geht aus einem Vermerk der
Stadt München hervor, dass der Einspruchsführer mehrfach
darüber belehrt wurde, dass für die Teilnahme an der Wahl
ein Eintrag in das Wählerverzeichnis erforderlich ist und
dass er für die Eintragung einen schriftlichen Antrag stellen
muss. Da der Einspruchsführer diesen Ausführungen der
ihm bekannt gegebenen Stellungnahme nicht widersprochen

hat, spricht vieles dafür, dass er einen solchen Antrag nicht
gestellt hat.
Allerdings kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass
die Behauptung des Einspruchsführers, er habe die Wahlun-
terlagen „ordnungsgemäß und fristgerecht“ beantragt, zu-
trifft. In diesem Fall läge ein Wahlfehler vor. Selbst wenn
der Einspruchsführer gewählt hätte, würde dies an der Sitz-
verteilung im Bundestag nichts ändern. Der Einspruch
könnte somit keinen Erfolg haben. Nach ständiger Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich der
Wahlprüfungsausschuss und der Bundestag stets ange-
schlossen haben, können nämlich nur solche Wahlfehler ei-
nen Wahleinspruch erfolgreich begründen, die auf die Man-
datsverteilung im Deutschen Bundestag von Einfluss sind
oder hätten sein können. Infolgedessen scheiden alle Ver-
stöße von vornherein als unerheblich aus, die die Ermittlung
des Wahlergebnisses nicht berühren (seit BVerfGE 4, 370/
372 ständige Rechtsprechung). Selbst solche Wahlfehler,
die die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, sind dann
unerheblich, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses
keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben können.
Soweit der Einspruchsführer um Prüfung bittet, ob alle
Wahlberechtigten zur Teilnahme an der Bundestagswahl
aufgefordert wurden, so braucht dem nicht nachgegangen
zu werden. Die Wahlbenachrichtigung ist ohnehin nur eine
zusätzliche Information an die Wählerinnen und Wähler ne-
ben den öffentlichen Bekanntmachungen. Sofern einzelne
Wählerinnen und Wähler keine Wahlbenachrichtigung er-
halten haben sollten, begründet dies keinen Wahlfehler
(Schreiber, Bundeswahlgesetz, 7. Auflage, § 14 Rn. 5).
Der Einspruch ist somit als offensichtlich unbegründet im
Sinne des § 6 Abs. 1a Nr. 3 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 193 – Drucksache 15/1850

Anlage 55

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
der Frau B. L., 45892 Gelsenkirchen

– Az.: WP 43/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit einem per E-Mail am 22. September 2002 an den Bun-
deswahlleiter gerichteten Schreiben, das am 11. Oktober
2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, hat die
Einspruchsführerin Einspruch gegen die Gültigkeit der
Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September
2002 eingelegt.
Zur Begründung führt die Einspruchsführerin an, dass ihr
das Recht auf Teilnahme an der Bundestagswahl verweigert
worden sei. Sie habe ihren Wohnort verlegt und den Umzug
bei der Meldebehörde des neuen Wohnortes angezeigt. Wei-
terhin habe sie mündlich den Antrag auf Eintragung in das
Wählerverzeichnis gestellt. Am Tag der Wahl sei ihr die
Teilnahme an der Wahl verweigert worden, da sie weder ei-
nen Wahlschein gehabt habe noch in das Wählerverzeichnis
eingetragen worden sei. Die Einspruchsführerin hat ange-
kündigt, dass eine unterzeichnete Einspruchsschrift per Post
zugesandt werde. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Die Einspruchsschrift wurde von der Einspruchsführerin
nicht unterschrieben. Die E-mail trägt lediglich am Ende
des Textes ihren Namen.
Mit Schreiben vom 6. November 2002 hat die Vorsitzende
des Wahlprüfungsausschusses die Einspruchsführerin auf-
gefordert, bis spätestens 22. November 2002 einen eigen-
händig unterschriebenen Wahleinspruch vorzulegen. Hier-
auf hat die Einspruchsführerin nicht mehr reagiert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch entspricht nicht dem Schriftformerfordernis
des § 2 Abs. 3 WPrüfG; er ist unzulässig.

Gemäß § 2 Abs. 3 WPrüfG sind Wahleinsprüche schriftlich
beim Bundestag einzureichen. Zur Schriftform gehört nach
der ständigen Praxis des Bundestages und des Wahlprü-
fungsausschusses auch die eigenhändige Unterschrift des
Einspruchsführers (Bundestagsdrucksache 14/1560, An-
lage 6). Die Einspruchsführerin hat ihren Einspruch ledig-
lich per E-Mail übermittelt. Der Wahlprüfungsausschuss
und der Bundestag haben sich der Rechtsprechung ange-
schlossen, die es mittlerweile beim Bestehen prozessrecht-
licher Schriftformerfordernisse zulässt, Klagen und Rechts-
mittel auch per Telefax einzulegen. Das Erfordernis einer
eigenhändigen Unterzeichnung des Originals ist aber
stets betont worden (s. Bundestagsdrucksache 13/2800 An-
lage 16). An dieser Praxis hält der Wahlprüfungsausschuss
auch weiterhin fest.
Da der vorliegende Einspruch weder eine eingescannte Un-
terschrift enthält noch auf ein Faxgerät übermittelt worden
ist, besteht kein Anlass zur Entscheidung, ob der Bundestag
und der Wahlprüfungsausschuss dem Beschluss des Ge-
meinsamen Senats der Obersten Gerichte des Bundes vom
5. April 2000 (GmS-OGB 1/98; NJW 2000, S. 2340) fol-
gen. In diesem Beschluss hat der Gemeinsame Senat in Pro-
zessen mit Vertretungszwang die Übermittlung bestimmen-
der Schriftsätze auch durch elektronische Übertragung einer
Textdatei mit eingescannter Unterschrift des Prozessbevoll-
mächtigten auf ein Faxgerät des Gerichts als ausreichend
zur Wahrung der Schriftform angesehen.
Vorliegend besteht keine Gewähr dafür, dass die Absenderin
bzw. der Absender der E-Mail diese auch tatsächlich selbst
verfasst hat. Dies könnte genauso durch andere Nutzer, die
einen entsprechenden Zugang zu dem Gerät haben, gesche-
hen sein. Die Schriftform ist somit nicht gewahrt.
Die Einspruchsführerin hat dem Formmangel nicht inner-
halb der von der Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschus-
ses gesetzten Frist abgeholfen.
Der Einspruch ist somit als unzulässig im Sinne des § 6
Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 195 – Drucksache 15/1850

Anlage 56

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
des Herrn H. H., 79110 Freiburg

– Az.: WP 28/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 23. Oktober 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 23. September 2002, das am 7. Okto-
ber 2002 beim Bundestag eingegangen ist, hat der Ein-
spruchsführer Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 eingelegt.
Zur Begründung trägt der Einspruchsführer vor, dass der
Wahlausgang seitens der CDU in Baden-Württemberg „mas-
siv verfälscht“ worden sei. Dies sei „mittels Unterdrückung
von kriminellen Aktivitäten von Behörden in Baden-
Württemberg“ möglich gewesen. Die CDUBaden-Württem-
berg habe die Veröffentlichung „relevanter Erkenntnisse“
verhindert und dadurch den Wahlausgang massiv beein-
flusst. So habe die CDU Baden-Württemberg „bewusst“ Sit-
zungstermine des Atomuntersuchungsausschusses auf Ter-
mine nach der Bundestagswahl verlegt, so dass der Bun-
desumweltminister nicht mehr Kenntnis über die „nicht als
besonders sicher geltenden“ Atomkraftwerke in Baden-
Württemberg erlangen konnte. Weiter behauptet der Ein-
spruchsführer, dass „Gewalt gegen Zeugen von kriminellen
Übergriffen von baden-württembergischen Behörden“ aus-
geübt werde. So sei er von Polizeibeamten „überfallen“ wor-
den und habe sich infolge dessen in einem Krankenhaus sta-
tionär behandeln lassen müssen. Im Übrigen seien die weite-
ren Gründe die gleichen, die er bereits in seinem Wahlein-
spruch gegen die Landtagswahl in Baden-Württemberg im
Jahre 2001 vorgebracht habe. Zu den Einzelheiten des Vor-
trags wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Der Landeswahlleiter des Landes Baden-Württemberg, der
die Einspruchsschrift an den Bundestag weitergeleitet hat,
hat mit seinem Schreiben den Beschluss des Landtags
Baden-Württemberg zum Wahleinspruch aus dem Jahre
2001 übersandt. Dieser wurde als offensichtlich unbegrün-
det zurückgewiesen.
Mit Schreiben vom 6. November 2002 hat die Vorsitzende
des Wahlprüfungsausschusses den Einspruchsführer auf die
fehlende substantiierte Begründung aufmerksam gemacht
und ihn aufgefordert, bis zum 22. November 2002 dem Be-
gründungsmangel abzuhelfen. Der Einspruchsführer hat
sich daraufhin nicht mehr geäußert.
Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach- und
Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG
von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist fristgerecht beim Deutschen Bundestag
eingegangen. Er ist unzulässig, weil er keine gemäß § 2
Abs. 3 WPrüfG erforderliche Begründung enthält.
Nach § 2 Abs. 1 und 3 WPrüfG erfolgt die Wahlprüfung nur
auf Einspruch, der zu begründen ist. Die Begründung muss
mindestens den Tatbestand, auf den die Anfechtung gestützt
wird, erkennen lassen und genügend substantiierte Tatsa-
chen enthalten. Die Wahlprüfung findet also weder von
Amts wegen statt, noch erfolgt sie stets in Gestalt einer
Durchprüfung der gesamten Wahl. Vielmehr richtet sich ihr
Umfang nach dem Einspruch, durch den der Einspruchsfüh-
rer den Anfechtungsgegenstand bestimmt. Der Prüfungsge-
genstand ist nach dem erklärten, verständig zu würdigenden
Willen des Einspruchsführers unter Berücksichtigung des
gesamten Einspruchsvorbringens sinngemäß abzugrenzen.
Aus der Begründungspflicht folgt, dass die Abgrenzung
auch danach vorzunehmen ist, wieweit der Einspruchsfüh-
rer den Einspruch substantiiert hat. Nur im Rahmen des so
bestimmten Anfechtungsgegenstandes haben die Wahlprü-
fungsorgane dann den Tatbestand, auf den die Anfechtung
gestützt wird, von Amts wegen zu erforschen und alle auf-
tauchenden rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen
(BVerfGE 40, 11/30; ständige Rechtsprechung).
Der Vortrag des Einspruchsführers ist hiernach nicht hinrei-
chend substantiiert. Er enthält allgemeine Behauptungen
und die Vermutung von Straftaten. Ein Bezug zur Bundes-
tagswahl lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der Ein-
spruchsführer behauptet, die CDU Baden-Württemberg
habe die Veröffentlichung relevanter Kenntnisse verhindert
und dadurch den Wahlausgang massiv beeinflusst. Hinrei-
chend substantiierte Tatsachen für diese Schlussfolgerung
werden nicht vorgetragen.
Der Einspruchsführer ist auch nach einer entsprechenden
Aufforderung durch die Vorsitzende des Wahlprüfungs-
ausschusses dem Begründungserfordernis nach § 2 Abs. 3
WPrüfG nicht nachgekommen.
Der Einspruch ist deshalb als unzulässig im Sinne des § 6
Abs. 1a Nr. 2 WPrüfG zurückzuweisen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 197 – Drucksache 15/1850

Anlage 57

Beschlussempfehlung

Zum Wahleinspruch
1. der Frau Ch. P., 85530 Haar
2. des Herrn A. P., 85530 Haar
3. der Frau R. P., 85530 Haar

– Az.: WP 408/02 –
gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag

am 22. September 2002
hat der Wahlprüfungsausschuss in seiner Sitzung vom 22. Mai 2003 beschlossen,

dem Bundestag folgenden Beschluss zu empfehlen:
Der Wahleinspruch wird als unzulässig zurückgewiesen.

Tatbestand
Mit Schreiben vom 29. November 2002, das am 4. Dezem-
ber 2002 beim Deutschen Bundestag eingegangen ist, haben
die Einspruchsführer gegen die Gültigkeit der Wahl zum
15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002 gemein-
schaftlich Einspruch eingelegt
Zur Begründung wird in einem vorgefertigten Text ausge-
führt, dass die Wählerinnen und Wähler aufgrund von be-
wusst falschen Informationen durch Verantwortungsträger
vor der Bundestagswahl getäuscht worden seien.
Im Hinblick auf den Fristablauf und auch vor dem Hinter-
grund der ohnehin stattfindenden inhaltlichen Prüfung des
vorgetragenen Sachverhalts auf Grund textidentischer zu-
lässiger Wahleinsprüche sind die Einspruchsführer um Mit-
teilung gebeten worden, ob ihr gemeinschaftliches Schrei-
ben ohne förmliche Entscheidung als erledigt betrachtet
werden könne. Die Einspruchsführer haben sich daraufhin
nicht wieder gemeldet.

Der Wahlprüfungsausschuss hat nach Prüfung der Sach-
und Rechtslage beschlossen, gemäß § 6 Abs. 1a Nr. 1 des
Wahlprüfungsgesetzes (WPrüfG) von einer mündlichen
Verhandlung abzusehen.

Entscheidungsgründe
Der Einspruch ist nicht fristgerecht beim Deutschen Bun-
destag eingegangen; er ist unzulässig.
Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 WPrüfG müssen Wahleinsprüche
binnen einer Frist von zwei Monaten nach dem Wahltag
beim Bundestag eingehen. Bei der Wahl zum 15. Deutschen
Bundestag am 22. September 2002 lief diese Frist am
22. November 2002 ab. Der Einspruch ging jedoch erst am
4. Dezember2002 beim Bundestag ein.
Der Einspruch ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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