BT-Drucksache 15/164

Hochwasserschutz - Erfahrungen und Konsequenzen aus der Flutkatastrophe im Sommer 2002

Vom 3. Dezember 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/164
15. Wahlperiode 03. 12. 2002

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgit Homburger, Dr. Christian Eberl, Cornelia Pieper, Joachim
Günther (Plauen), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub, Jörg van
Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Dr. Karlheinz Guttmacher,
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Gisela Piltz, Marita Sehn, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Dr. Dieter Thomae,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Hochwasserschutz – Erfahrungen und Konsequenzen aus der Flutkatastrophe
im Sommer 2002

Die Flut an Elbe, Donau sowie an deren Zu- und Nebenflüssen im Sommer
2002 hat materielle Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen. Diese betreffen
Infrastrukturanlagen, Unternehmen sowie Wohngebäude und Hausrat. Ersten
Schätzungen zufolge waren in Sachsen rd. 10 000 Betriebe und in Sachsen-An-
halt rund 2 000 Betriebe direkt vom Hochwasser betroffen, mithin rd. 3 Prozent
des gesamten Unternehmensbestandes in den östlichen Ländern. Der Verlust an
Vermögensbestandteilen führt einerseits zu Produktionsausfällen, die sich auf
die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt konzentrieren und deren Höhe bislang
nicht genau bekannt ist. Andererseits begründen die Ausgleichs- und Wieder-
aufbaumaßnahmen Aufträge für Produzenten, Händler und Dienstleister. Per
saldo wird gleichwohl mit einem Gesamtschaden von etwa 1 Mrd. Euro gerech-
net. Zur Beseitigung der Flutschäden sind von der Bevölkerung Millionen-
beträge gespendet worden. Ferner wurden von europäischer und nationaler
Ebene umfangreiche Hilfsmaßnahmen beschlossen. Einschließlich der durch
Umschichtungen und Minderausgaben mobilisierten Gelder belaufen sich die
aus öffentlichen Quellen zusätzlich bereitgestellten Mittel auf eine Höhe von
rd. 7,8 Mrd. Euro, die überwiegend nach dem „Flutopferhilfegesetz“, mithin
über Steuern finanziert werden, und zwar durch eine Verschiebung der für das
Jahr 2003 geplanten Stufe der Steuerreform und durch eine Erhöhung der
Körperschaftsteuer.
Allein finanzielle Maßnahmen sind jedoch nicht ausreichend. Auch angesichts
der bitteren Erfahrungen aus Hochwasserereignissen der jüngeren Vergangen-
heit hatte die FDP frühzeitig darauf hingewiesen, dass auf nationaler Ebene in
Zusammenarbeit mit den Ländern und auf internationaler Ebene koordinierte
Maßnahmen der Flussanrainer für einen wirksam vorbeugenden und verbesser-
ten Hochwasserschutz erforderlich sind. Die FDP hatte deshalb u. a. die Ein-
berufung einer internationalen Hochwasserkonferenz gefordert. Die Bundes-
regierung hat während der vergangenen Legislaturperiode demgegenüber ver-
gleichsweise wenig unternommen, um beispielsweise durch eine wirksamere
Koordination der Aktivitäten auf Länderebene durchgreifende Verbesserungen

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für den Hochwasserschutz zu erzielen. Als Ergebnis einer zur jüngsten Hoch-
wasserkatastrophe eilig einberufenen Sonderkonferenz der Umweltminister
von Bund und Elbe-Ländern wurde zwar eine Reihe von Maßnahmen beschlos-
sen, die zur Verbesserung der Hochwasservorsorge und des Hochwasserschut-
zes bestimmt sind. Auch haben sich im September 2002 die beteiligten Bundes-
ressorts auf ein 5-Punkte-Programm zur Verbesserung des Hochwasserschutzes
verständigt. Über dessen Umsetzung in Zusammenarbeit mit den Ländern und
Kommunen sowie den beteiligten und betroffenen Nachbarländern ist bislang
gleichwohl wenig bekannt. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Steuer-
finanzierung eine Verringerung privater Einkommen bedeutet. Dies erfordert
eine sorgfältige Prüfung der Gestaltung der Mittelverwendung, zumal die
Äußerung des Bundeskanzlers, Gerhard Schröder, wonach niemand durch die
Flutkatastrophe in wirtschaftlicher Hinsicht im nachhinein schlechter gestellt
sein sollte als zuvor, bei den Betroffenen besonders hohe Erwartungen geweckt
hat.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welchem Umfang sind in den von der Hochwasserkatastrophe 2002 be-

troffenen Regionen beschädigte bzw. zerstörte Straßen- und Schienenwege
zwischenzeitlich wieder hergestellt?

2. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Regionen, in denen damit noch
gar nicht begonnen wurde, und wenn ja, welche Ursachen sind dafür maß-
geblich?

3. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob inzwischen in
allen Orten die beschädigten oder zerstörten Wasser-, Gas- oder anderen
Leitungen wieder hergestellt worden sind, und wenn ja, wie lauten diese
Erkenntnisse?

4. Auf welche Weise soll der Wiederaufbau speziell dieser Infrastrukturein-
richtungen finanziert werden?

5. Welche konkreten Fortschritte wurden bei der Realisierung des so genannten
5-Punkte-Programms der Bundesregierung zur Verbesserung des Hochwas-
serschutzes bisher erzielt?

6. In welcher konkreten Form wurden und werden die Inhalte des von der Um-
weltministerkonferenz 1995 beschlossenen Strategiepapiers „Leitlinien für
einen zukunftsweisenden Hochwasserschutz – Ursachen und Konsequen-
zen“ weiterentwickelt?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung, der auf der 59. Umweltministerkonferenz
am 7./8. November 2002 in Frankfurt (Oder) vorgetragenen Bitte der Länder
zu entsprechen, im Rahmen eines Finanzierungskonzeptes für die länder-
übergreifenden Hochwasserschutzaktionspläne ein Förderkonzept mit er-
höhten Bundes- und Landesmitteln für die Umsetzung zu entwickeln und
mit den betroffenen Fachministerkonferenzen abzustimmen, und wenn ja, in
welcher konkreten Form und mit welchen konkreten Zielvorstellungen soll
dies geschehen?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Protokollnotiz des Freistaates Bayern
zu dem auf der 59. Umweltministerkonferenz am 7./8. November 2002 in
Frankfurt (Oder) gefassten Beschluss „Verbesserung der Hochwasservor-
sorge und des Hochwasserschutzes“, wonach der im 5-Punkte-Programm
der Bundesregierung angesprochene Staustufenausbau an der Donau zwi-
schen Straubing und Vilshofen eine bilaterale Angelegenheit zwischen dem
Bund und dem Freistaat Bayern sei und eine Entscheidung darüber noch
nicht getroffen sei?

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9. Wie bewertet die Bundesregierung die Protokollnotiz der Länder Sachsen
und Sachsen-Anhalt zu dem genannten Beschluss, wonach bestimmte
Inhalte des 5-Punkte-Programms der Bundesregierung angesichts der
Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
inhaltlich überholt sei?

10. Wie bewertet die Bundesregierung die Protokollnotiz der Länder Hamburg
und Sachsen zu dem genannten Beschluss, wonach die im 5-Punkte-Pro-
gramm der Bundesregierung angesprochenen Unterhaltungsmaßnahmen an
der Elbe weiterhin im Interesse des umweltverträglichen Verkehrsträgers
Binnenschifffahrt erforderlich sein werden?

11. Sind die eingangs genannten näherungsweisen Angaben zu Art und Um-
fang der entstandenen Schäden sowie ihrer regionalen Verteilung zutref-
fend und welche ergänzenden und näheren Informationen liegen der Bun-
desregierung zwischenzeitlich dazu vor?

12. In genau welcher Höhe wurden Bundesmittel an welche Stellen und zu-
gunsten welcher Länder sowie innerhalb der Länder für welche Zielgrup-
pen bisher zur Verfügung gestellt?

13. Zu welchem Anteil wurden die bisher zur Verfügung gestellten Mittel bis-
her von welchen Stellen abgerufen?

14. Welche konkreten Einrichtungen sind in welchen Ländern mit der Verwal-
tung und Verteilung der Hilfsgelder an die Betroffenen in jeweils welcher
finanziellen Größenordnung betraut und zu welchem Anteil sind die Mittel
jeweils an die Geschädigten ausbezahlt und bis wann soll die Auszahlung
der Mittel abgeschlossen sein?

15. Nach welchen Kriterien erfolgt die Auszahlung und auf welche Weise wird
sichergestellt, dass individuell empfangene Entschädigungen den tatsäch-
lich erlittenen Schaden zumindest nicht wesentlich übersteigen?

16. Trifft es zu, dass bestimmte Kommunen und andere Verwalter von Spen-
denkonten die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nicht oder nur mit
erheblicher Verzögerung an die Betroffenen auszahlen, und wenn ja, um
welche Fälle handelt es sich dabei im Einzelnen und welche Möglichkeiten
sieht die Bundesregierung, dem entgegenzuwirken?

17. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Hilfsgelder für Zwecke
verwendet wurden, die nicht in ursächlichem Zusammenhang mit der aktu-
ellen Flutkatastrophe stehen, und wenn ja, um welche konkreten Fälle han-
delt es sich dabei und welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung
daraus auch mit Blick auf künftige Entschädigungssituationen zu ziehen?

18. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Ermittlungsverfahren
wegen Zweckentfremdung und Missbrauch von Spendengeldern oder
öffentlichen Zuwendungen eingeleitet wurden, und wenn ja, um welche
konkreten Fälle handelt es sich dabei im Einzelnen?

19. Werden zweckentfremdet oder missbräuchlich erlangte Gelder zurückge-
fordert und was geschieht mit nicht abgerufenen Mitteln sowie daraus er-
langten Zinserträgen?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung, nach dem Vorbild beispielsweise des
Freistaates Sachsen einen (konsolidierten) Zwischenbericht zum Wieder-
aufbau in den betroffenen Regionen vorzulegen, und wenn ja, bis wann soll
ein solcher Bericht vorgelegt werden?

21. Sollen aus den Mitteln des Bund-Länder-Programms auch mittelbare Flut-
schäden wie Verdienstausfälle ausgeglichen werden und sollen auch Schä-

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den berücksichtigt werden, welche durch Starkregen in der Zeit der Flut
entstanden sind?

22. Ist der Bundesregierung bekannt, in welchen Regionen von den zuständigen
Stellen hochwassergefährdete Gebiete zur Bebauung mit welcher Begrün-
dung und zu jeweils welchen Konditionen zur Verfügung gestellt wurden?

23. Sollen aus den Mitteln des Bund-Länder-Programms auch Hilfen zur Um-
siedlung Betroffener finanziert werden, wenn Immobilien aufgrund einer
fortdauernden Hochwassergefährdung am ursprünglichen Standort nicht
wieder errichtet werden sollen?

24. Wenn nein, wie gedenkt die Bundesregierung zu verhindern, dass Gebäude
an derart ungeeigneten Standorten wieder errichtet bzw. weiterhin genutzt
werden, und wie wird die Bundesregierung sich im erneuten Schadensfall
verhalten?

25. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung Medienberichte zutreffend, wo-
nach die Hochwasserschäden in bestimmten Gebieten weit geringer ausge-
fallen seien als ursprünglich erwartet, und trifft es zu, dass betroffene Un-
ternehmen von Verwaltungsseite explizit aufgefordert worden sind, ohne
„falsche Bescheidenheit“ geeignete Anträge zu stellen, welche der regiona-
len Wirtschaftskraft förderlich seien?

26. Wenn ja, auf konkret welche Gebiete trifft dies zu, wie bewertet die Bun-
desregierung solche Sachverhalte gegebenenfalls und welche Schlussfolge-
rungen leitet die Bundesregierung daraus – auch mit Blick auf die Steuerfi-
nanzierung – ab?

27. Gedenkt die Bundesregierung im Hinblick auf die Artikel 30 und 70 GG,
wonach der Bund lediglich für den „ergänzenden Katastrophenschutz“ zu-
ständig ist, gesetzliche Änderungen zu initiieren, und wenn ja, in welche
Richtung sollen diese Aktivitäten zielen?

28. Verfügen die hochwassergefährdeten Regionen inzwischen über ein über-
regionales bzw. länderübergreifendes Hochwasserschutzprogramm, und
wenn ja, wie sieht die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und
angrenzenden Staaten aus?

Berlin, den 2. Dezember 2002
Birgit Homburger
Dr. Christian Eberl
Cornelia Pieper
Joachim Günther (Plauen)
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Rainer Funke
Dr. Karlheinz Guttmacher
Klaus Haupt
Ulrich Heinrich
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp

Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Dr. Claudia Winterstein

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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