BT-Drucksache 15/1627

Weichenstellungen der Bundesregierung im Düngemittelrecht zur Verwertung von Sekundärrohstoffen in der Landwirtschaft und ihre Folgen für die Kreislaufwirtschaft

Vom 24. September 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/1627
15. Wahlperiode 24. 09. 2003

Große Anfrage
der AbgeordnetenDr. Christel Happach-Kasan, Hans-Michael Goldmann, Angelika
Brunkhorst, Birgit Homburger, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Helga Daub,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Rainer Funke, Christoph Hartmann (Homburg), Michael
Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Dirk Niebel, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Marita Sehn, Dr. Max Stadler, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Weichenstellungen der Bundesregierung im Düngemittelrecht zur Verwertung
von Sekundärrohstoffen in der Landwirtschaft und ihre Folgen für die Kreislauf-
wirtschaft

Die Abfallwirtschaft in Deutschland hat sich in den letzten Jahren von einer
Wegwerf- und Ablagerungswirtschaft hin zu einer integrierten Kreislaufwirt-
schaft entwickelt, die der Abfallvermeidung und -verwertung Vorrang ein-
räumt. Es gelingt zunehmend, Nährstoffkreisläufe zu schließen und damit im
Sinne der Agenda 21 nachhaltig zu wirtschaften. Im Jahr 2000 wurden Bio-
abfälle zu 70 % verwertet. Bei Klärschlämmen lag die Verwertungsquote bei
68 %. Die Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft im Bereich der Bioabfälle
droht durch Konzepte der Bundesregierung behindert zu werden. So hat das
Umweltbundesamt (UBA) im Rahmen der Neubewertung des Einsatzes von
Sekundärrohstoffdüngern „Grundsätze und Maßnahmen für eine vorsorgeorien-
tierte Begrenzung von Schadstoffeinträgen in landbaulich genutzte Böden“
formuliert. Im Juni 2002 haben sich das Bundesministerium für Verbrau-
cherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) sowie das Bundesminis-
terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) in einem ge-
meinsamen Papier „Gute Qualität und sichere Erträge“ mit dieser Problematik
befasst. Die diskutierten Grundsätze zur Neuregelung der organischen Dün-
gung landwirtschaftlicher Nutzflächen sollen in dieser Legislaturperiode durch
entsprechende gesetzliche Regelungen im Abfall- und Düngemittelrecht umge-
setzt werden. Strengere Grenzwerte für Klärschlamm, Komposte und erstmals
Schwermetallgrenzwerte für Wirtschaftsdünger sollen durchgesetzt werden.
Alle beteiligten Wirtschaftskreise unterstützen Maßnahmen für einen besseren
Bodenschutz. Das vorliegende Konzept der Bundesregierung wird allerdings
massiv aus Wissenschaft, Wirtschaft und Fachkreisen kritisiert. Auf landwirt-
schaftlicher Seite wird bemängelt, dass
– der von der Bundesregierung gewählte Ansatz „Gleiches zu Gleichem“ dazu

führen kann, dass natürlicherweise mit Schwermetallen belastete Böden
durch Aufbringung von Bioabfällen mit hoher Schwermetallkonzentration
die Schwermetallbelastung verstärken könnten;

Drucksache 15/1627 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

– die Gleichbehandlung der elementaren Spurennährstoffe Kupfer (Cu) und
Zink (Zn) für die Tier- und Pflanzenernährung und der Schwermetalle mit
Giftwirkung wie Cadmium und Blei durch die vorgesehenen Grenzwerte
dazu führe, dass bis zu 30 % der Wirtschaftsdünger – insbesondere der
Schweinegülle – entsorgt werden müssten;

– in der landwirtschaftlichen Praxis unterschiedliche Grenzwerte für Schwer-
metalle auf Ton, Schluff und Sand weder sinnvoll noch praktikabel seien;

– es ist nicht nachvollziehbar sei, dass Kupferhydroxid als Pflanzenschutzmit-
tel im Ökolandbau in wesentlich größerer Menge aufgebracht werden dürfe
als es der Grenzwert für Gülle vorschreibe.

Von Seiten der Wasserwirtschaft und der Kommunen wird kritisiert, dass
– das De-facto-Verbot der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung dem

Nährstoffrecycling entgegenwirke;
– bislang keine messbare Veränderung von Schadstoffgehalten im Boden oder

eine Belastung von Nahrungsmitteln nachgewiesen worden sei, die eine
drastische Verschärfung der Klärschlammverordnung aus dem Jahr 1992 er-
fordern würde;

– bislang zudem kein Antrag auf Entschädigung an den staatlich eingerichte-
ten Klärschlammfonds gestellt worden sei;

– als Konsequenz des De-facto-Verbots der landwirtschaftlichen Klär-
schlammverwertung und der ab 2005 in Deutschland verbotenen Deponie-
rung von unbehandelten Klärschlämmen durch die novellierte Technische
Anleitung Siedlungsabfall bzw. Abfallablagerungsverordnung nur noch die
thermische Behandlung von Klärschlamm (Verbrennung) und die Verwer-
tung im Landschaftsbau verblieben. Das wiederum würde zu einer erheb-
lichen Erhöhung der Abwassergebühren führen;

– die notwendigen Verbrennungskapazitäten – derzeit würden nur 16 % der
Klärschlämme in Deutschland verbrannt – zudem nicht zur Verfügung ste-
hen würden;

– Klärschlamm eine wichtige Phosphatquelle und die landwirtschaftliche
Klärschlammverwertung ein sinnvolles Nährstoffrecycling sei. Vor dem
Hintergrund der Endlichkeit der kadmiumarmen Phosphatreserven und der
sehr hohen Kosten für die Rückgewinnung von Phosphat aus der Asche von
verbranntem Klärschlamm sei die landwirtschaftliche Klärschlammverwer-
tung im Sinne einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft wünschenswert
und sinnvoll.

Die Kompostwirtschaft befürchtet aus der Verschärfung der zulässigen Schwer-
metallwerte in organischen Düngern, wie z. B. Komposten, das Ende der um-
weltpolitisch gewünschten Kreislaufführung organischer Substanzen aus Bio-
rohstoffen. Das wiederum gefährde Arbeitsplätze und Anlage-Investitionen in
funktionierenden kommunalen und privaten abfallwirtschaftlichen Strukturen.
Die Düngemittelindustrie fordert eine sehr differenzierte Betrachtung der Schad-
stoffdiskussionen und -reglementierungen.Ansonsten sei die Produktion und der
Einsatz von über Jahrzehnte bewährten und in ihrer Umweltrelevanz völlig un-
problematischen Produkten gefährdet. In diesem Zusammenhang wird für die
Gefahrenbeurteilung des Elementes Chrom (Cr) gefordert, die Betrachtung aus-
schließlich auf das umweltrelevante sechswertige Chrom zu beschränken.
Diese Forderungen der Wirtschaft unterstreichen die Widersprüche des Kon-
zepts und die für Wirtschaft, Landwirte und Verbraucher möglichen Probleme,
sofern das Konzept der Bundesregierung in der vorliegenden Form umgesetzt
werden sollte.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/1627

Wir fragen die Bundesregierung:
I. Abfall- und düngemittelrechtliche Änderungen
1. Welche Gesetzesinitiativen wird die Bundesregierung in der 15. Legislatur-

periode zur Umsetzung des von BMVEL und BMU vorgelegten Papiers
„Gute Qualität und sichere Erträge“ ergreifen?

2. Hat die Bundesregierung diese Initiativen bereits mit den Ländern disku-
tiert?
Wenn ja, wie bewerten die Bundesländer die von der Bundesregierung ein-
geleiteten Initiativen?

II. Landwirtschaft
3. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass das UBA-Konzept

„Gleiches zu Gleichem“ zu einer Anreicherung von Schwermetallen durch
Bioabfälle und zu einer Aufkonzentration von Schwermetallen führt?

4. Liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Angaben darüber vor, ob
bestimmte Schwermetalle wie Cu und Zn aus Sicht der Pflanzen- und Tier-
ernährung als essentielle Mikronährstoffe eingestuft werden?

5. Erachtet die Bundesregierung eine differenzierte Betrachtung und Bewer-
tung von Cu und Zn gegenüber Schwermetallen wie Kadmium oder Blei als
notwendig, und wenn nein, weshalb nicht?

6. Liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Untersuchungen oder sons-
tige Erkenntnisse vor, welche Konsequenzen die vorgesehenen Grenzwerte
für Cu und Zn für den Einsatz von landwirtschaftlichen Wirtschaftsdüngern
– insbesondere Schweinegülle – haben werden?

7. Rechnet die Bundesregierung wegen der höheren Grenzwerte für Cu und
Zn damit, dass zukünftig Wirtschaftsdünger wie Schweinegülle verstärkt
entsorgt werden müssen?
Wenn nein, weshalb nicht?

8. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass unterschiedliche Schwerme-
tallgrenzwerte für Ton, Schluff und Sand sinnvoll sind und in der landwirt-
schaftlichen Praxis eingehalten werden können?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung, dass mit dem vorlie-
genden Konzept die Cu-Grenzwerte in Gülle sehr restriktiv gefasst werden,
während andererseits weiterhin ein sehr hoher Eintrag von Cu über den
Pflanzenschutz im ökologischen Landbau erlaubt bleibt?

10. Sieht die Bundesregierung den vorsorgenden Bodenschutz durch die hohen
Cu-Einträge im ökologischen Landbau in Gefahr?
Wenn nein, weshalb nicht?

11. Sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der hohen Cu-Einträge
durch den Pflanzenschutz im ökologischen Landbau gesetzlichen Nachbes-
serungsbedarf?

III. Klärschlammverwertung
12. Auf welchen wissenschaftlichen Untersuchungen und Erkenntnissen beruht

die drastische Verschärfung der Grenzwerte für eine landwirtschaftliche
Klärschlammverwertung?

13. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor,
nach denen die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung zu einer mess-
baren Erhöhung von Schadstoffen im Boden führt?

Drucksache 15/1627 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

14. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen liegen der Bundesregierung
vor mit dem Ergebnis, dass eine Belastung von Nahrungsmitteln nachge-
wiesen worden sei, die auf die landwirtschaftliche Klärschlammverwertung
zurückzuführen ist und die zur Verletzung von Grenzwerten für Nahrungs-
mittel führt?

15. Welche Verwertungsmöglichkeiten stehen den Kommunen für Klär-
schlämme zukünftig noch offen, wenn die Bundesregierung einerseits ein
De-facto-Verbot für die landwirtschaftliche Verwertung der Klärschlämme
einführt und andererseits in Deutschland die Deponierung von unbehandel-
tem Klärschlamm ab 2005 durch die novellierte Technische Anleitung
Siedlungsabfall bzw. Abfallablagerungsverordnung sehr stark einge-
schränkt wird?

16. Welche Kosten entstehen den Kommunen durch die verschiedenen Mög-
lichkeiten der Klärschlammverwertung je Tonne Klärschlamm?

17. Mit welchen zusätzlichen Kostenbelastungen für die Kommunen rechnet
die Bundesregierung durch die Einführung des De-facto-Verbots der land-
wirtschaftlichen Klärschlammverwertung?

18. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, wie hoch der Anteil der
thermischen Verwertung von Klärschlämmen in Deutschland derzeit ist?

19. Sind in Deutschland ausreichend Verbrennungskapazitäten für eine flä-
chendeckende Klärschlammverbrennung vorhanden?
Wenn nein, wie viele Verbrennungsanlagen und mit welchen Kapazitäten
müssten neu geschaffen werden, und welche Kosten sind damit verbunden?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung, dass die zunehmende
Verbrennung von Klärschlämmen die Abwassergebühren um bis zu 20 %
erhöhen wird?

21. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund der gesellschaft-
lich und umweltpolitisch gewünschten Kreislaufwirtschaft sowie der End-
lichkeit der kadmiumarmen Phosphatreserven die landwirtschaftliche Ver-
wertung von Klärschlämmen?

22. Welche Gründe sprechen gegen ein Verbrennen von phosphathaltigen Klär-
schlämmen?

23. Welche Kosten entstehen durch die Rückgewinnung von Phosphat aus der
Asche von verbranntem Klärschlamm?

24. In welchem Verhältnis stehen diese Kosten zu den Preisen von Phosphat-
düngern?

25. Wie bewertet die Bundesregierung den energieaufwändigen Prozess der
Phosphatabtrennung aus Asche umweltpolitisch?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass zahlreiche Entsor-
gungswege, die in Deutschland bereits verboten sind, in der EU-Klär-
schlammrichtlinie ausdrücklich erlaubt sind, und welche Wettbewerbsnach-
teile ergeben sich dadurch?

IV. Kompostverwertung
27. Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass die Umsetzung des Dis-

kussionspapiers von BMU und BMVEL das Ende der Kreislaufführung or-
ganischer Substanzen aus Biorohstoffen bedeutet?

28. Wie bewertet die Bundesregierung die freiwillige Selbstverpflichtung zur
Kompost-Gütesicherung der verantwortlich mit dieser Kreislaufführung
umgehenden Kompostwerkbetreiber?

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/1627

29. Trifft es zu, dass die im Diskussionspapier von BMVEL und BMU genann-
ten Grenzwerte dazu führen, dass der Absatz von Kompostprodukten
nahezu aller Werke in Deutschland nicht mehr möglich sein wird und diese
nicht mehr in der Landwirtschaft verwertet werden können?

V. Thomasdünger – Chrom
30. Liegen der Bundesregierung wissenschaftliche Untersuchungen oder sons-

tige Erkenntnisse vor, die eine Gefährdung von Natur und Umwelt und der
Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Ausbringung von Kompos-
ten, die den derzeitigen Bestimmungen genügen, belegen, und wenn ja,
welche Gefährdungen wurden konkret nachgewiesen?

31. In welcher Weise hat die Bundesregierung bei der Erstellung ihres Kon-
zepts berücksichtigt, dass Chrom in Böden und Düngemitteln nur in der
drei- und sechswertigen Form (Cr III und Cr VI) vorkommt und beide
Formen sich in ihrer Giftwirkung unterscheiden?

32. Hat die Bundesregierung die Gefahrenbeurteilung des Elementes Chrom
folgerichtig nur auf die Betrachtung des ausschließlich umweltrelevanten
sechswertigen Chroms (Cr VI) ausgerichtet?

33. Beabsichtigt die Bundesregierung weiterhin im Rahmen von Gesetz-
gebungs- und Verordnungsverfahren, einen Gesamt-Chrom-Gehalt als zu
begrenzendem Inhaltsstoff festzulegen, und sieht sie in der Neufassung der
Düngemittelverordnung einen Kennzeichnungswert vor?

Berlin, den 24. September 2003
Dr. Christel Happach-Kasan
Hans-Michael Goldmann
Angelika Brunkhost
Birgit Homburger
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Helga Daub
Ulrike Flach
Otto Fricke
Rainer Funke
Christoph Hartmann (Homburg)
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Max Stadler
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
msterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 340, Telefax (02 21) 97 66 344

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