BT-Drucksache 15/106

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Ladenschlussgesetzes

Vom 22. November 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 15/106
15. Wahlperiode 22. 11. 2002

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Rainer Brüderle, Rainer Funke, Daniel Bahr
(Münster), Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst
Friedrich (Bayreuth), Joachim Günther (Plauen), Klaus Haupt, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Dirk Niebel, Günther Friedrich
Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Eberhard Otto (Godern), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Marita Sehn, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Dr. Dieter Thomae, Jürgen Türk, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Ladenschlussgesetzes

A. Problem
Das geltende Ladenschlussgesetz beschränkt sowohl den Handel, die Dienst-
leister als auch die Verbraucher in ihren Verkaufs- bzw. Einkaufsmöglichkeiten.
Es berücksichtigt nur noch mangelhaft die veränderten Lebens- und Konsum-
gewohnheiten.

B. Lösung
Mit diesem Gesetzentwurf soll Handel und Dienstleistern die Möglichkeit ge-
geben werden, in eigener Verantwortung den Wünschen und Bedürfnissen der
Kunden gerecht zu werden.
Das angestrebte Ziel wird durch die Aufhebung des gesetzlichen Ladenschlus-
ses an Werktagen erreicht. Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage
bleiben als Tage der Arbeitsruhe verfassungsrechtlich geschützt (Artikel
140 GG in Verbindung mit Artikel 139 Weimarer Reichsverfassung).
Mit Blick auf die regional unterschiedlichen Anschauungen und Traditionen
sorgen die Bundesländer dafür, dass prinzipiell der Sonntag als Tag der Arbeits-
ruhe erhalten bleibt. Eventuelle Ausnahmeregelungen fallen unter die Hoheit
der Länder, unter Beachtung der grundgesetzlichen Vorgaben.
Die im Handel und bei Dienstleistern Beschäftigten sind – wie die Beschäftig-
ten in anderen Wirtschaftszweigen und im öffentlichen Dienst – weiterhin
durch das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sowie durch die einschlägigen (Man-
tel-)Tarifverträge vor unzumutbaren Arbeitszeitregelungen geschützt.

Drucksache 15/106 – 2 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

C. Alternativen
Keine. Eine nur teilweise Freigabe der Ladenschlusszeiten verursacht weiterhin
hohe Verwaltungs- und Kontrollkosten. Zudem würde sie den gewünschten
Effekt nicht erreichen, Marktnischen, insbesondere für Existenzgründer, zu
schaffen.

D. Kosten
Die vorgesehenen Regelungen verursachen für die öffentlichen Haushalte keine
Kosten. Vielmehr entfallen die Kosten für die Überwachung der Ladenschluss-
zeiten an Werktagen. Gleiches gilt für die an Werktagen nicht mehr notwen-
digen Überprüfungen von Ausnahmeregelungen.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 3 – Drucksache 15/106

Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Ladenschlussgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Das Gesetz über den Ladenschluss vom 28. November

1956, zuletzt geändert durch die Entscheidung des BVerfG
(1BvR 1236/99) vom 28. Januar 2002 (BGBl. I S. 581) wird
aufgehoben.

Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2003 in Kraft.

Berlin, den 12. November 2002

Gudrun Kopp
Rainer Brüderle
Rainer Funke
Daniel Bahr (Münster)
Ernst Burgbacher
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Joachim Günther (Plauen)
Klaus Haupt
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Jürgen Koppelin
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Markus Löning
Dirk Niebel
Günther Friedrich Nolting
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Eberhard Otto (Godern)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Marita Sehn
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Dr. Dieter Thomae
Jürgen Türk
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Drucksache 15/106 – 4 – Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode

Begründung

Raum für Gestaltungsfreiheit schaffen
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet sich Deutschland
in tiefen gesellschaftspolitischen Umbrüchen. Geänderte
Arbeitsstrukturen, flexiblere Arbeitszeiten sowie eine stän-
dig wachsende Mobilität haben auch bei Verbrauchern zu
veränderten Lebens- und Konsumgewohnheiten geführt.
Das Gesetz über den Ladenschluss vom 28. November 1956
hält diesen veränderten Anforderungen längst nicht mehr
stand. Bereits die am 1. November 1996 geringfügig erwei-
terten Ladenöffnungszeiten sind von den Konsumenten
zwar positiv aufgenommen worden, führten aber in vielen
Branchen nicht weit genug. Die veränderten Lebensge-
wohnheiten und Bedürfnisse der Kunden decken sich nicht
mehr mit den bestehenden Regelungen. Gebote der Stunde
sind daher: Bürokratie konkret abbauen, Staat zurückführen
und Freiräume für individuelle Gestaltungsmöglichkeiten
schaffen!
Auf diese Entwicklung kann nur mit der völligen Freigabe
der Ladenöffnungszeiten an Werktagen reagiert werden.
Der Schutz der Sonn- und Feiertage sowie von Heiligabend
und Silvester im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rege-
lung fällt nach Aufhebung des Ladenschlussgesetzes den
Ländern zu. Sie können den regionalen Besonderheiten bes-
ser gerecht werden als der Bund.
Neue Wettbewerbsformen wie länger geöffnete Ladenzeilen
in Bahnhöfen und auf Flughäfen, Tankstellen-Shopping so-
wie der ständig wachsende e-commerce im Internet ohne
jegliche Zeitbegrenzung gewinnen zunehmend Marktanteile
und machen deutlich, dass sich die Konsumenten der
Bevormundungsrolle des Staates entziehen und frei von
unnötigen bürokratischen Sachzwängen entscheiden wol-
len, wann sie ihre Einkäufe erledigen. Das bestehende
Ladenschlussgesetz erweist sich dabei als Hemmschuh für
die Entwicklung von Handel und Dienstleistung.
Dies zeigt sich auch in der Entwicklung des Käuferverhal-
tens als Folge der letzten Neuregelung des Ladenschluss-
gesetzes. Laut einer von der Bundesregierung in Auftrag ge-
gebenen Studie des ifo-Instituts vom Oktober 1999 nutzte
bereits damals die Hälfte der Verbraucher die verlängerten
Öffnungszeiten. Mit 45 % plädierte der deutlich überwie-
gende Teil für die völlige Abschaffung der gesetzlichen
Ladenschlusszeiten von Montag bis Samstag, während sich
nur 36 % dagegen aussprachen. Inzwischen treten sowohl
der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels als auch der
Bundesverband der Verbraucherzentralen für eine solche
Liberalisierung ein.
Für die Beschäftigten gestalten sich die Arbeitszeitregelun-
gen sowie die Arbeitnehmerschutzrechte weiterhin durch
die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) und der
(Mantel-)Tarifverträge. So wird die Freigabe der Laden-
öffnungszeiten keinerlei Auswirkungen auf die höchstzuläs-
sige werktägliche Arbeitszeit, die Mindestpausen und die
Mindestruhezeiten für das Verkaufspersonal haben, die
durch das Arbeitszeitgesetz gedeckt sind. Sie wird aller-
dings zu einer weiteren dringend notwendigen Flexibilisie-
rung der Arbeitszeiten führen. Doch hat sich genau dieser
Wandel für weite Teile der arbeitenden Bevölkerung schon

längst vollzogen: Neben den traditionellen Notfall- und
Betreuungseinrichtungen wie Feuerwehr oder Krankenver-
sorgung gelten in der heutigen Arbeitswelt, deren Wirt-
schaftskraft in hohem Maße vom Dienstleistungssektor
bestimmt wird, für eine Vielzahl der Beschäftigungsverhält-
nisse äußerst flexible Arbeitszeiten: In der Gastronomie,
dem Hotelgewerbe, Kultur- und Erholungseinrichtungen,
Sport- und Wellnessanlagen, Taxi-, Reise- und Transportfir-
men, Medienunternehmen, Callcenters usw. Dieser Trend
wird sich noch weiter fortsetzen.
Entgegen anderen Behauptungen wird die Freigabe der
Ladenschlusszeiten letztlich auch im Interesse der Familien
erfolgen. So können Paare, wenn etwa beide Partner berufs-
tätig sind, ihre Einkaufspflichten besser aufteilen. Zum an-
deren besteht auch die Möglichkeit, größere Einkäufe mit
der gesamten Familie zu tätigen und nicht mehr auf den
„überfüllten Familieneinkaufssamstag“ ausweichen zu
müssen. Das Recht des Verkaufspersonals zur individuellen
Familiengestaltung wird weiterhin durch die Arbeitsschutz-
gesetze gewährleistet. Paaren, bei denen ein Partner bereits
flexibel arbeitet, bietet die Freigabe der Ladenschlusszeiten
an Werktagen sogar endlich die Möglichkeit, ihre freien
Zeiten besser miteinander abstimmen zu können.
Der internationale Wettbewerbsdruck zwingt Dienstleis-
tungsanbieter in Deutschland in hohem Maße zu einer adä-
quaten Antwort, diesem zu begegnen, nämlich der aktiven
Gestaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Im europäischen Ver-
gleich hat nur noch Österreich ähnlich starre Ladenschluss-
regelungen, wie sie derzeit in Deutschland gelten. Alle
anderen europäischen Länder verfügen über liberalere Öff-
nungszeiten bis hin zur völligen Freigabe, wie z. B. in
Schweden oder Großbritannien. In Irland etwa bleiben die
Geschäfte nur am Nationalfeiertag, zu Weihnachten und an
Karfreitag komplett geschlossen. Die Auswirkungen des
internationalen Wettbewerbs und die hohe Mobilität der
Verbraucher kann man in den letzten Jahren verstärkt in den
Grenzregionen beobachten. Beispielhaft sei hier nur der
Bereich Aachen und Trier erwähnt.
Die Freigabe der Ladenöffnungszeiten ist insbesondere für
die kleinen und mittelgroßen Einzelhändler eine Chance,
sich gegenüber den großen Märkten auf der „grünen Wiese“
zu behaupten. Hier könnten die kleinen Unternehmen durch
geschickte Besetzung von Marktnischen ihren Standort in
der Innenstadt behaupten. Untersuchungen haben gezeigt,
dass Geschäfte in der Innenstadt und die großflächigen
Betriebstypen auf der „grünen Wiese“ gleichermaßen fre-
quentiert werden, vorausgesetzt, dass sich zu den attraktiven
Öffnungszeiten weitere Struktur- und Organisationsmaß-
nahmen gesellen. Um nur wenige zu nennen: Ein bedarfs-
gerechtes Stadtmarketingkonzept, eine leistungsfähige Ver-
kehrsinfrastruktur und was für jeden Verbraucher für dessen
Kaufentscheidung besonders wichtig ist: individueller Bera-
tungsservice.
Zunehmend geraten Unternehmen, die mit kreativen Ver-
marktungskonzepten (z. B. „Lange Nacht des Shoppings“)
auf die veränderten Bedürfnisse ihrer Kundschaft reagieren,
in Konflikt mit der antiquierten Ladenschlussregelung.

Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 5 – Drucksache 15/106

Lebenswirklichkeit und geltende Rechtslage stimmen offen-
sichtlich nicht mehr überein.
Entbürokratisierung bedeutet gleichermaßen, veraltete Aus-
legungspflichten bezüglich des Gesetzestextes des Laden-
schlussgesetzes und damit in Zusammenhang stehender
Verordnungen abzuschaffen.
Schließlich hilft die Freigabe der Ladenöffnungszeiten ins-
besondere Existenzgründern in der Anfangsphase ihres
Unternehmens eine Marktposition zu erkämpfen. Gerade
Existenzgründern muss die Möglichkeit gegeben werden,
sich durch verbesserten Service, der auch die Frage der
Servicezeiten beinhaltet, durchzusetzen.
Der Gesetzgeber muss deshalb die Gestaltungsverantwor-
tung in die Hände der Betroffenen legen: Händler, Dienst-
leister, Arbeitnehmer sowie Gewerkschaften und allen
voran Verbraucher. Die Betroffenen sollen – im Einverneh-

men – mittels kreativer Lösungsansätze selbst entscheiden
können, ob und wie lange Geschäfte an Werktagen geöffnet
bzw. Dienstleistungen angeboten werden. Damit erhalten
gerade Einzelhändler die Chance, ihre Öffnungszeiten je
nach Branche und regionalen Bedürfnissen der Kundschaft
auszurichten. Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass jeder
Händler sein Geschäft von Montag bis Samstag rund um die
Uhr geöffnet halten muss!
Fazit
Mit weniger staatlicher Regulierung und mit dem Gestal-
tungsfreiraum, der durch die Abschaffung des Laden-
schlussgesetzes dem deutschen und dem internationalen
Verbrauchermarkt endlich zugänglich gemacht wird, wird
eine wichtige Voraussetzung für den Erhalt von bestehenden
Arbeitsplätzen sowie zur Schaffung neuer, flexibel gestalte-
ter Beschäftigungsverhältnisse geschaffen.

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