BT-Drucksache 14/9951

zu dem Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Angela Marquardt gemäß § 44b Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes (AbgG) (Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik)

Vom 12. September 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9951
14. Wahlperiode 12. 09. 2002

Bericht
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
(1. Ausschuss)

zu dem Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Angela Marquardt gemäß
§ 44b Abs. 2 des Abgeordnetengesetzes (AbgG)

(Überprüfung auf Tätigkeit oder politische Verantwortung für das Ministerium
für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik)

Inhaltsübersicht
A. Grundsätze des Verfahrens gemäß § 44b AbgG

I. Rechtliche Grundlagen des Überprüfungsverfahrens
1. Gesetz, Richtlinien und Absprache zur Durchführung der Richtlinien
2. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

II. Verfahrensgrundsätze
B. Ablauf des Verfahrens
C. Unterlagen des MfS zur Abgeordneten Angela Marquardt
D. Vortrag der Abgeordneten Angela Marquardt

I. Schriftliche Stellungnahme der Abgeordneten Angela Marquardt
II. Schriftliche Stellungnahme der Mutter, Christine Marquardt
III. Anhörung durch die Berichterstatter

E. Feststellungen des 1. Ausschusses

Drucksache 14/9951 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

A. Grundsätze des Verfahrens gemäß § 44b
AbgG

§ 44b AbgG regelt die Überprüfung von Mitgliedern des
Bundestages auf Tätigkeit oder politische Verantwortung
für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für Nationale
Sicherheit der ehemaligen DDR. Eine solche Überprüfung
wird im Regelfall nur auf einen entsprechenden Antrag des
oder der jeweiligen Abgeordneten durchgeführt. Lediglich
dann, wenn der 1. Ausschuss mit einer Mehrheit von zwei
Dritteln seiner Mitglieder das Vorliegen von konkreten An-
haltspunkten für den Verdacht einer Tätigkeit oder Verant-
wortung für den Staatssicherheitsdienst feststellt, erfolgt die
Überprüfung gemäß § 44b Abs. 2 AbgG auch ohne Zustim-
mung des betroffenen Mitglieds.
In der 14. Wahlperiode haben bislang 150 Mitglieder des
Bundestages ihre Überprüfung gemäß § 44b Abs. 1 des Ab-
geordnetengesetzes beantragt. Diese Verfahren sind bereits
abgeschlossen worden; der 1. Ausschuss hat hierüber auf
den Drucksachen 14/1900 und 14/3228 berichtet. In drei
Fällen hat der 1. Ausschuss gemäß § 44b Abs. 2 AbgG eine
Überprüfung ohne Zustimmung der Betroffenen beschlos-
sen; hierzu gehört auch das Verfahren der Abgeordneten
Angela Marquardt. Über die anderen Fälle der Überprüfung
gemäß § 44b Abs. 2 AbgG hat der 1. Ausschuss auf den
Drucksachen 14/3145 und 14/6694 berichtet.

I. Rechtliche Grundlagen des
Überprüfungsverfahrens

1. Gesetz, Richtlinien und Absprache zur
Durchführung der Richtlinien

Seit der 12. Wahlperiode werden die Überprüfungen von
Mitgliedern des Bundestages auf Tätigkeit oder politische
Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der ehe-
maligen DDR auf der Grundlage des § 44b AbgG durchge-
führt. Die Vorschrift wurde mit dem Vierzehnten Gesetz zur
Änderung des Abgeordnetengesetzes vom 20. Januar 1992
eingefügt (BGBl. I S. 67; s. a. Drucksachen 12/1324 und
12/1737). Zuvor fanden Überprüfungen von Mitgliedern
des Bundestages auf eine Verstrickung mit dem Staatssi-
cherheitsdienst der ehemaligen DDR ihre Grundlage ledig-
lich in Beschlüssen des Deutschen Bundestages vom
31. Oktober und 20. Dezember 1990, die auf einer Empfeh-
lung des Ältestenrats (Drucksache 11/8386) beruhten.
Die gesetzliche Regelung wird ergänzt durch die „Richtli-
nien zur Überprüfung auf eine Tätigkeit oder politische Ver-
antwortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt
für Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demo-
kratischen Republik“ und die „Absprache zur Durchführung
der Richtlinien gemäß § 44b AbgG“. Während die Richt-
linien im Rang von Geschäftsordnungsrecht stehen, handelt
es sich bei der Absprache um Verfahrensgrundsätze, die
sich der 1. Ausschuss für die Überprüfungen gegeben hat.
Ebenso wie § 44b AbgG gehen diese Verfahrensregeln auf
die 12. Wahlperiode zurück. Die Richtlinien wurden vom
12. Deutschen Bundestag erstmals am 5. Dezember 1991
beschlossen (vgl. BGBl. 1992 I S. 76); der 1. Ausschuss
vereinbarte seine Absprache zur Durchführung dieser
Richtlinien erstmals am 30. April 1992. Beide Regelungs-
werke wurden unverändert für die 13. und zunächst auch für

die 14. Wahlperiode übernommen. Der 14. Deutsche Bun-
destag hat dann in seiner Sitzung am 1. Oktober 1999 auf
Empfehlung des 1. Ausschusses einige Änderungen der
Richtlinien beschlossen (s. Drucksache 14/1698 sowie
BGBl. 1999 I S. 2072). Auch die Absprache des 1. Aus-
schusses zur Durchführung der Richtlinien wurde überar-
beitet. Einzelheiten über die vom 1. Ausschuss am 30. Sep-
tember 1999 beschlossenen Änderungen können dem Be-
richt der Abgeordneten Stephan Hilsberg und Joachim
Hörster auf Drucksache 14/1698 sowie der Amtlichen Mit-
teilung des Präsidenten vom 5. November 1999 entnommen
werden.

2. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der 13. Wahlperi-
ode mehrfach mit den Verfahren nach § 44b AbgG aus-
einandergesetzt und die hierzu getroffenen Regelungen als
verfassungsgemäß bestätigt (siehe die Entscheidungen vom
21. Mai 1996, BVerfGE 94, 351 ff. und vom 20. Juli 1998,
BVerfGE 99, 19 ff.). Speziell die Entscheidung vom
21. Mai 1996 enthält grundlegende Aussagen zur Gestal-
tung der Überprüfungsverfahren.

II. Verfahrensgrundsätze
Den Regelungen in § 44b AbgG liegt der Gedanke zu-
grunde, dass grundsätzlich jedes Mitglied des Bundestages
selbst entscheiden soll, ob es sich auf eine Tätigkeit oder
politische Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst der
ehemaligen DDR überprüfen lassen will. Dementsprechend
bestimmt § 44b Abs. 1 AbgG als Regelfall, dass solche
Überprüfungen nur auf einen entsprechenden Antrag des
oder der jeweiligen Abgeordneten durchgeführt werden.
Eine Überprüfung ohne Zustimmung des betroffenen Mit-
glieds des Bundestages findet gemäß § 44b Abs. 2 AbgG
nur dann statt, wenn der 1. Ausschuss das Vorliegen von
konkreten Anhaltspunkten für den Verdacht einer Tätigkeit
oder Verantwortung für den Staatssicherheitsdienst fest-
stellt. Diese Feststellung muss mit einer Mehrheit von zwei
Dritteln der Ausschussmitglieder getroffen werden
(Nummer 1 Abs. 4 der Richtlinien).
Zur Feststellung des Prüfungsergebnisses stehen dem
1. Ausschuss gemäß Nummer 4 der Richtlinien die Mittei-
lungen der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (im Folgen-
den: Bundesbeauftragte) sowie sonstige dem 1. Ausschuss
zugeleitete oder von ihm beigezogene Unterlagen zur Ver-
fügung. Damit wird auf die Beweismittel des Zeugen- und
des Sachverständigenbeweises verzichtet; die Verfahren
sind auf eine Überprüfung anhand von Urkunden und Anga-
ben des betroffenen Mitglieds beschränkt. Die Richtlinien
und die Absprache enthalten außerdem eine Reihe von Mit-
wirkungsrechten und Schutzbestimmungen zugunsten des
betroffenen Mitglieds. Hierzu gehören insbesondere das
Akteneinsichtsrecht des betroffenen Mitglieds (Nummer 2
Abs. 1 der Richtlinien), seine Anhörung (Nummer 5 Abs. 1
der Richtlinien) sowie das Recht, den zu veröffentlichenden
Feststellungen des 1. Ausschusses eine eigene Erklärung
hinzuzufügen (Nummer 6 der Richtlinien). In seiner nun-
mehr geltenden Fassung stellen Nummer 2 Abs. 2 und 3 der
Richtlinien darüber hinaus ausdrücklich klar, dass der ver-

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9951

trauliche Charakter der Überprüfungsverfahren das Akten-
einsichtsrecht der Mitglieder des Bundestages (§ 16 GO-
BT) sowie das Zutrittsrecht zu den Ausschussberatungen
(§ 69 Abs. 2 GO-BT) beschränkt. Weiterhin enthalten die
überarbeiteten Feststellungskriterien in Nummer 6 der Ab-
sprache zur Durchführung der Richtlinien einen Katalog
von Indizien, die nach der Erfahrung des 1. Ausschusses in
der Regel auf eine inoffizielle Tätigkeit für den Staats-
sicherheitsdienst der ehemaligen DDR hinweisen. Dieser
Katalog ist allerdings nicht als abschließende Aufzählung
zu verstehen und ersetzt auch nicht die zur Feststellung
einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst in jedem Ein-
zelfall notwendige Würdigung der konkret vorliegenden
Beweismittel.
Auch die Feststellung des Prüfungsergebnisses bedarf
schließlich einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder
des 1. Ausschusses (Nummer 1 Abs. 4 der Richtlinien).
Soweit nach diesem Ergebnis eine hauptamtliche oder in-
offizielle Tätigkeit oder eine politische Verantwortung des
überprüften Mitglieds des Bundestages für den Staatssicher-
heitsdienst der ehemaligen DDR erwiesen ist, wird diese
Feststellung unter Angabe der wesentlichen Gründe als
Bundestagsdrucksache veröffentlicht (Nummer 6 der Richt-
linien). Eine Beeinträchtigung der parlamentarischen
Rechte des betroffenen Mitglieds oder gar eine Verpflich-
tung zur Mandatsniederlegung ist damit nicht verbunden.
Die Beurteilung der getroffenen Feststellungen soll viel-
mehr der Öffentlichkeit, den Wählern, vorbehalten bleiben.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
21. Mai 1996 (2 BvE 1/95; BVerfGE 94, 351 ff.) wird das
vom Deutschen Bundestag festgelegte und durch Richt-
linien und Absprachen näher ausgestaltete Verfahren – auch
soweit es auf die Beweismittel des Zeugen- und Sachver-
ständigenbeweises verzichtet und sich auf die Überprüfung
anhand von Urkunden und Angaben des Betroffenen be-
schränkt – den verfassungsrechtlichen Anforderungen ge-
recht. Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass der
1. Ausschuss für eine belastende Feststellung von der Ver-
strickung des Abgeordneten eine so sichere Überzeugung
gewinnen muss, dass auch angesichts der beschränkten Be-
weismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit
der Feststellung ausgeschlossen sind. Andernfalls steht es
dem Ausschuss offen, in den Gründen die Beweislage dar-
zustellen. Mutmaßungen sind dem Ausschuss verwehrt.

B. Ablauf des Verfahrens
Unter dem 24. Mai 2002 teilte die Bundesbeauftragte dem
Präsidenten des Deutschen Bundestages mit, dass sie im
Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 37 des Geset-
zes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-
Unterlagen-Gesetz, im Folgenden: StUG) eine inoffizielle
Tätigkeit der Abgeordneten Angela Marquardt für den
Staatssicherheitsdienst festgestellt habe. Die Bundesbeauf-
tragte ist gemäß § 27 Abs. 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Buch-
stabe b StUG zur Abgabe solcher Mitteilungen von Amts
wegen verpflichtet.
Am 29. Mai 2002 nahm Abg. Dr. Evelyn Kenzler als Obfrau
der Fraktion der PDS Einsicht in die Mitteilung der Bundes-
beauftragten. Am 31. Mai 2002 überreichte Abg. Dr. Evelyn

Kenzler dem Sekretariat des 1. Ausschusses eine auf die
Mitteilung der Bundesbeauftragten bezogene schriftliche
Erklärung der Abg. Angela Marquardt und ihrer Mutter,
Christine Marquardt. Die Abg. Angela Marquardt nahm
dann am 10. Juni 2002 in Begleitung von der Abg.
Dr. Evelyn Kenzler Einsicht in die beim 1. Ausschuss be-
findlichen Unterlagen. Außerdem erhielt sie in den Räumen
der Bundesbeauftragten Einsicht in die zu ihrer Person ge-
führten Originalakten des Staatssicherheitsdienstes.
Auf der Grundlage der Mitteilung der Bundesbeauftragten
stellte der 1. Ausschuss in seiner 66. Sitzung am 13. Juni
2002 mit der erforderlichen Mehrheit das Vorliegen von
konkreten Anhaltspunkten für den Verdacht einer hauptamt-
lichen oder inoffiziellen Tätigkeit oder politischen Verant-
wortung für das Ministerium für Staatssicherheit/Amt für
Nationale Sicherheit der ehemaligen Deutschen Demokrati-
schen Republik fest und beschloss, ein Überprüfungsverfah-
ren ohne Zustimmung des betroffenen Mitglieds gemäß
§ 44b Abs. 2 AbgG einzuleiten. Als Berichterstatter wurden
die Abgeordneten Anni Brandt-Elsweier, Eckart von Klae-
den, Jörg van Essen, Steffi Lemke und Dr. Evelyn Kenzler
benannt. Des Weiteren beschloss der Ausschuss mit der er-
forderlichen Mehrheit, die Bundesbeauftragte gemäß
Nummer 3 Abs. 2 der Richtlinien des Deutschen Bundes-
tages zu § 44b AbgG um Auskunft zu zwei Fragen zu er-
suchen.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2002 ersuchte der Präsident des
Deutschen Bundestages die Bundesbeauftragte um Mittei-
lung dieser Erkenntnisse. Hiervon setzte er die Abg. Angela
Marquardt mit Schreiben vom gleichen Tage in Kenntnis.
Auf den Inhalt der Fragen und der Antwort wird im Ab-
schnitt C eingegangen.
Die Bundesbeauftragte beantwortete die ihr gestellten Fra-
gen mit Schreiben vom 27. Juni 2002.
Am 29. August 2002 wurde die Abg. Angela Marquardt von
den zu ihrem Verfahren eingesetzten Berichterstattern des
1. Ausschusses angehört.
In seiner 71. Sitzung am 10. September 2002 stellte der
1. Ausschuss einstimmig das Ergebnis seiner Prüfung im
Verfahren der Abgeordneten Angela Marquardt vorläufig
fest. Hiervon unterrichtete die Vorsitzende den Präsidenten
des Deutschen Bundestages, den Vorsitzenden der Fraktion
der PDS sowie die Betroffene.
Der 1. Ausschuss stellte in seiner 72. Sitzung am 12. Sep-
tember 2002 einstimmig das Prüfungsergebnis endgültig
fest. Die Abg. Angela Marquardt ließ in dieser Sitzung über
die Obfrau der Fraktion der PDS, Abg. Dr. Evelyn Kenzler,
erklären, dass sie mit der Veröffentlichung des Berichts als
Bundestagsdrucksache einverstanden sei und überdies von
der Möglichkeit, diesem eine eigene Erklärung hinzuzu-
fügen, keinen Gebrauch mache.

C. Unterlagen des MfS zur Abgeordneten
Angela Marquardt

In den Unterlagen der Bundesbeauftragten fand sich der Teil I
(Personalakte) eines zu Angela Marquardt als Inoffizieller
Mitarbeiterin (IM) angelegten Vorgangs. Dieser wurde 1991
von der Außenstelle Rostock der Bundesbeauftragten archi-
viert. Ein Teil II (Arbeitsakte) wurde nicht gefunden.

Drucksache 14/9951 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die Bundesbeauftragte fügte ihrer Mitteilung vom 24. Mai
2002 fünf Blatt der Personalakte bei. Es handelt sich hierbei
um folgende Dokumente:
– Verpflichtung vom 3. April 1987,
– Aktenvermerk zum IMS „Katrin Brandt“ vom 8. Sep-

tember 1989 (zwei Blatt),
– maschinenschriftlicher Bericht der Kreisdienststelle

Greifswald „Aktuelles“ vom 27. September 1989,
– ein Formular „Aufstellung über ausgezahlte Beträge und

geleistete Sachwerte“ vom 9. Oktober 1989.
Die am 3. April 1987 mit Vor- und Familiennamen unter-
zeichnete handschriftliche Erklärung hat folgenden Wort-
laut:

„Verpflichtung
Ich Angela Marquardt verpflichte mich freiwillig das MfS
in seiner Arbeit zu unterstützen. Meine Entscheidung beruht
auf meiner politisch ideologischen Überzeugung. Ich
möchte aktiv die gesellschaftliche Entwicklung der DDR
unterstützen. Ich möchte, daß Feinde unschädlich gemacht
werden und Menschen, die auf dem falschen Weg sind, ge-
holfen wird.
So lange wie meine Hilfe erforderlich ist, möchte ich das
MfS unterstützen.
Ich werde alle für das MfS interessierende Fragen, dem mir
bekannten Mitarbeiter, informieren.
Zur Wahrung der Konspiration wähle ich mir das Pseudo-
nym

„Katrin Brandt“
Über die inoffizielle Zusammenarbeit mit dem MfS und alle
damit zusammenhängende Probleme werde ich gegenüber
jedermann stillschweigen bewahren. Ich wurde zur Wah-
rung der Konspiration Wachsamkeit und Geheimhaltung
eingewiesen und belehrt.

Angela Marquardt
3. 4. 87“

Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklärung war Angela
Marquardt 15 Jahre alt. Wegen der Minderjährigkeit bezieht
sich die Mitteilung der Bundesbeauftragten gemäß § 27
Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. den §§ 20 und 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7
StUG nur auf Tätigkeiten für den Staatssicherheitsdienst
nach Erreichung der Volljährigkeit.
In dem „Aktenvermerk zum IMS „Katrin Brandt“ vom
8. September 1989 berichtet der in der Kreisdienststelle
Greifswald der Bezirksverwaltung Rostock eingesetzte
Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes Jörg Vaegler, auf
einen Anruf hin am 6. und 7. September 1989 je ein Treffen
mit dem IM in einem Personenkraftwagen durchgeführt zu
haben. Die Zusammenkünfte hätten der „Instruktion und
Einflußnahme im Zusammenhang mit der beabsichtigten
op. [operativen] Perspektive des IM, eine Entwicklung zum
Theol. Studenten anzustreben“ gedient. Da die Grundlagen
hierzu bereits abgestimmt gewesen seien, habe es sich im
Wesentlichen darum gehandelt, „die Phase der öffentl. Äu-
ßerung zum Entwicklungsweg des IM an der EOS [Erwei-
terten Oberschule] und im Fam.-Kreis so zu gestalten, daß
die Konspiration insgesamt gewahrt bleibt“. Insbesondere

sei hierbei zu beachten gewesen, dass der „Deko-Hinweis
der BV FfO Abt. XX [Anm.: Dekonspirationshinweis der
Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder] dem IM selbst nicht be-
kannt werden sollte, um eine Verkomplizierung der Lage
[Anm.: es folgt eine Anonymisierung] nicht zuzulassen und
dem IM noch die nötige Sicherheit zu geben“. Der IM sei
„völlig konfus, entnervt und ratlos [gewesen], wie sich die
Lage jetzt entwickeln wird, wenn der Studienwunsch an der
EOS bekanntgegeben wird“. Der Mitarbeiter habe dem IM
daraufhin vorgeschlagen, zunächst ein Pädagogikstudium
aufzunehmen und nach einem Jahr zur Theologie zu wech-
seln, um den befürchteten „die Konspiration gefährdenden
,Wirbel‘ an der EOS, im Bekannten- und Verwandtenkreis“
[zu] vermeiden […]. Der IM sei von dem zu erwartenden
„Wirbel“ erschrocken und verunsichert gewesen und habe
die „Wahrscheinlichkeit der (auch seiner) konsp. Gefähr-
dung nicht so hoch eingeschätzt“. Trotz dieser Widrigkeiten
habe er jedoch auf jeden Fall Theologie studieren wollen,
„weil er dazu sein Wort gegeben“ habe.
Der Mitarbeiter Jörg Vaegler habe dem IM im Verlaufe des
Gesprächs verdeutlicht, dass er sich durch eine bewusste
Senkung des schulischen Leistungsniveaus selbst in diese
„komplizierte Lage“ gebracht habe. Mit der Leistungssen-
kung hätte der IM bezwecken wollen, die zunächst beab-
sichtigte Offizierslaufbahn wieder in Frage zu stellen, weil
ihm die gewünschte Verwendung nicht offen gestanden
habe.
In dieser Situation habe das MfS dem IM die Aufnahme
eines Theologiestudiums vorgeschlagen. Zum weiteren Vor-
gehen sei mit dem IM u. a. darüber Einigkeit erzielt worden,
dass die 12. Klasse mit guten Ergebnissen zu absolvieren sei
und dass gegenüber dem Klassenlehrer sowie den Eltern die
Absicht geäußert werden solle, nach dem Abitur ein Jahr zu
arbeiten, „um sich dann, wenn er [scil. der IM] von dem den
,Wirbel‘ verursachenden Personenkreis weg ist, mit dem
Zeugnis der 12. Klasse zu bewerben (von der Praxis aus zur
Theologie)“. Dieses Jahr sei weiterhin zu nutzen, „um im
kirchl. Bereich Arbeit zu finden“. Der IM sei darüber hinaus
beauftragt worden, „ab jetzt die kirchl. Kontakte anzugehen
und dabei den Semesterbeginn der ESG [Evangelischen
Studentengemeinde] zu nutzen“.
Ergänzend teilt die Bundesbeauftragte in ihrer Mitteilung
vom 24. Mai 2002 mit, dass Abg. Angela Marquardt auf
Wunsch des MfS 1990 an der Ernst-Moritz-Arndt-Univer-
sität Greifswald ein Studium an der Sektion Theologie
aufnehmen sollte, um eine inoffizielle Verankerung unter
Studenten dieser Fachrichtung zu sichern.
In dem maschinenschriftlich gefertigten und mit „Katrin
Brandt“ maschinenschriftlich unterzeichneten Bericht „Ak-
tuelles“ vom 27. September 1989, der als Bearbeiter „i. V.“
[Anm.: in Vertretung] einen Major Hille aufweist, und der
von einem Mitarbeiter mit dem Zusatz „F. d. R.“ [für die
Richtigkeit] gegengezeichnet wurde, wird geschildert, dass
das bestimmende Diskussionsthema in der Klasse 12b der
EOS das „Neue Forum“ aus Leipzig gewesen sei. Im Mittel-
punkt der Aufmerksamkeit hätten folgende Fragen gestan-
den:
„– Wieso wird das [scil.: das „Neue Forum“] abgelehnt,

wenn die echt begründet Reformen und Veränderungen
von wirklichen gesellschaftlichen Unzulänglichkeiten
wollen?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9951

– Wieso ist ein Eintreten für Veränderungen in der DDR,
für das Wohl des Volkes staatsfeindlich?

– Wenn man nichtmal in der Zeitung schreibt, was die
wollen, dann kann man nicht urteilen und ist entmün-
digt.“

Generell habe das „Neue Forum“ in der Klasse Anklang im
Sinne eines zustimmenden Interesses und Neugier gefun-
den.
Darüber hinaus wird in dem Bericht geschildert, dass der
IM einen zwanzig- bis einundzwanzigjährigen Mann kenne,
der das „Neue Forum toll findet“. Der in dem Bericht ge-
nannte Name des Mannes ist anonymisiert. Der IM habe al-
lerdings nicht selbst mit dem Betreffenden gesprochen, son-
dern dies von einem Dritten erfahren. Dieser Informant
habe dem IM darüber hinaus anvertraut, dass der zwanzig-
bis einundzwanzigjährige Mann seinen Sommerurlaub in
Ungarn verbracht habe. Von dort aus hätte er nach dem Wil-
len und Plan seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutsch-
land fliehen sollen. So heißt es in dem Bericht: „[Anonymi-
sierung] sagte mir, daß die Mutter von [Anonymisierung]
im Westen Verwandte hat und mit denen abgesprochen
haben soll, daß [Anonymisierung] von Ungarn aus in die
BRD geholt wird. Ein Auto sollte da auch bereit stehen
[…]. [Anonymisierung] hatte wohl echt geschwankt, aber
dann kalte Füße gekriegt. Mehr weiß ich dazu nicht und
kann auch den [Anonymisierung] nicht dazu fragen, ohne
aufzufallen.“
Das Formular „Aufstellung über ausgezahlte Beträge und
geleistete Sachwerte“ enthält einen anonymisierten Eintrag
und unter der laufenden Nummer 2 einen unterzeichneten
Auszahlungseintrag von 50,– M vom 9. Oktober 1989.
Hinsichtlich der geplanten aber nicht durchgeführten Flucht
des genannten zwanzig- bis einundzwanzigjährigen Mannes
ersuchte der Präsident des Deutschen Bundestages die Bun-
desbeauftragte mit Schreiben vom 18. Juni 2002 um Mittei-
lung darüber, ob sich aus den Unterlagen der Bundesbeauf-
tragten Hinweise darauf ergäben, dass durch den IM-Be-
richt nachteilige Maßnahmen gegen die am Fluchtvorhaben
beteiligten Personen, insbesondere den genannten jungen
Mann, beabsichtigt oder veranlasst worden seien. Des Wei-
teren wurde die Bundesbeauftragte um eine gutachterliche
Stellungnahme zu der Frage gebeten, ob es auch ansonsten
Fälle gegeben habe, in denen inoffizielle Mitarbeiter des
Staatssicherheitsdienstes die Klarnamen ihrer Führungs-
offiziere gekannt hätten. In ihrer Antwort vom 27. Juni 2002
teilt die Bundesbeauftragte mit, dass die Person des jungen
Mannes identifiziert worden sei. Er sei in den Karteikarten
des Staatssicherheitsdienstes nicht erfasst und es existierten
daher auch keine Unterlagen zu ihm. Es seien auch keine
anderen Unterlagen gefunden worden, in denen der be-
schriebene Sachverhalt aufgeführt worden wäre. Es könnte
daher keine Aussage darüber getroffen werden, ob das vor-
bereitete, aber nicht durchgeführte Fluchtvorhaben durch
nachteilige Maßnahmen des Staatssicherheitsdienstes oder
anderer staatlicher Organe der DDR für die beteiligten Per-
sonen negative Folgen gehabt hätte. Die Bundesbeauftragte
weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass der
realistischerweise für die Veranlassung solcher Folgen in-
frage kommende Zeitraum relativ kurz gewesen sei. Denn
schon wenige Wochen nach Fertigung des Berichts sei die
systematische Arbeit des Staatssicherheitsdienstes schritt-

weise ihrem Ende entgegengegangen. Spätestens mit dem
Fall der Mauer am 9. November 1989 seien die Aktivitäten
des MfS zur Aufdeckung und Verhinderung geplanter „Re-
publikfluchten“ eingestellt worden. Darüber hinaus weist
die Bundesbeauftragte darauf hin, dass nachteilige Maßnah-
men, Freiheitseinschränkungen oder sonstige repressive
Folgen für betroffene Personen, zu denen die Tätigkeit eines
inoffiziellen Mitarbeiters für den Staatssicherheitsdienst di-
rekt oder indirekt beigetragen habe, auch sonst den Unterla-
gen nicht in jedem Fall zu entnehmen seien.
Hinsichtlich der Frage, ob es auch ansonsten Fälle gegeben
habe, in denen inoffizielle Mitarbeiter des Staatssicherheits-
dienstes die Klarnamen ihrer Führungsoffiziere gekannt hät-
ten, teilt die Bundesbeauftragte mit, dass dies der Regelfall
gewesen sei. Üblicherweise habe ein MfS-Mitarbeiter den
Kontakt zu einem IM auch unter seinem Klarnamen ange-
bahnt und aufrechterhalten. Nur bei wenigen Fällen seien
IM-führende MfS-Mitarbeiter auch unter einem falschen
Namen aufgetreten; in diesen Fällen sei dies aus den Unter-
lagen erkennbar. Allerdings sei es eher selten gewesen, dass
ein IM-führender MfS-Mitarbeiter aus dem engeren Ver-
wandten- bzw. Bekanntenkreis des inoffiziellen Mitarbeiters
gekommen sei.

D. Vortrag der Abgeordneten
Angela Marquardt

I. Schriftliche Stellungnahme der
Abg. Angela Marquardt

In ihrer schriftlichen Erklärung vom 31. Mai 2002 trägt die
Abg. Angela Marquardt vor, eine inoffizielle Tätigkeit für
das MfS sei ihr nicht bekannt gewesen.
Sie erinnere sich nur daran, dass sich ihre Eltern in ihrer
Wohnung immer wieder mit ihr unbekannten Personen ge-
troffen hätten. Während dieser Treffen habe sie zusammen
mit ihren Geschwistern jeweils die Wohnung verlassen
müssen. Sie habe nicht gewusst, dass es sich bei dem Be-
such um Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gehandelt
habe. Man habe auch Feiertage gemeinsam verbracht und
sie habe – ebenso wie ihre Geschwister – auch Geschenke
von den Besuchern erhalten. In ihrem Verständnis seien es
deswegen Freunde der Familie gewesen. Sie habe sich mit-
unter mit den Besuchern unterhalten, wenn ihre Eltern noch
nicht zu Hause gewesen seien.
Als sie etwa 14 oder 15 Jahre alt war, habe sie während
einer Busfahrt einen von „Mamas Kumpeln“ gegrüßt. Auf
dieses Geschehen hin sei ihr – ohne Nennung von Gründen –
von ihren Eltern erklärt worden, dass sie über diese Bekann-
ten und ihre Besuche nicht reden dürfe. Damals habe sie
sich nicht besonders viel Gedanken gemacht und dies zur
Kenntnis genommen. In jetzt mit ihrer Mutter geführten
Gesprächen habe sie erfahren, dass ihre Mutter sie damals
in diesem Zusammenhang eine Art Schweigeverpflichtung
habe schreiben lassen. Ihr sei dies nicht mehr in Erinnerung
gewesen und somit auch nicht der in den Unterlagen aufge-
führte Deckname, der in ihrem Leben nie eine Rolle gespielt
habe.
Als ihre Eltern 1987 von Greifswald weggezogen seien,
habe sie als Fünfzehnjährige zunächst allein in der elterli-
chen Wohnung weitergelebt. Nachdem sich das Jugendamt

Drucksache 14/9951 – 6 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

eingeschaltet gehabt habe, habe sie im September oder
Oktober 1987 einen Internatsplatz bekommen. An den
Wochenenden habe sie bei einem langjährigen Freund der
Familie, der mit einer schriftlichen Erklärung gegenüber
dem Jugendamt die Verantwortung für sie übernommen
habe, gewohnt. Nach der „Wende“ habe sie erfahren, dass
auch dieser Freund für das MfS tätig gewesen sei.
Auch nach dem Wegzug ihrer Eltern habe sie zu fast allen
elterlichen Freunden weiterhin Kontakt gehabt, auch zu
denjenigen, die beim MfS gearbeitet hätten. Diese Tatsache
habe allerdings in ihrem Kopf keine Rolle gespielt. Den in
den Unterlagen aufgeführten Jörg Vaegler habe sie schon
sehr lange gekannt. Er sei ein Freund der Eltern und mit zu-
nehmendem Alter auch ein Freund für sie und ihre Ge-
schwister gewesen. Sie habe ihn zu Hause besucht und er
habe sie vom Training abgeholt. Logischerweise habe man
sich dabei unterhalten. Die elterlichen Freunde hätten ihr
auch bei der Bewältigung ihrer Probleme hilfreich zur Seite
gestanden.
Seit der 3. Klasse habe sie Offizier bei der NVA werden
wollen. Wenn sie sich recht erinnere, sei sie deshalb im Al-
ter von 14 oder 15 Jahren in ein „Berufsoffiziersbewerber-
kollektiv“ integriert gewesen. Sie habe Sportoffizier werden
wollen, um Judo als Leistungssport weitermachen zu kön-
nen. Nachdem ihr von Seiten des Wehrkreiskommandos
verdeutlicht worden sei, dass diese Verwendung weiblichen
Bewerbern nicht offen stehe und ihr die anderen vorgeschla-
genen Laufbahnen nicht zusagten, habe sie nicht mehr zur
Armee gewollt. Ihrer Erinnerung nach sei dies in der
11. Klasse gewesen. Zum Zwecke einer Neuorientierung
habe sie über diese Probleme mit allen Freunden und Be-
kannten gesprochen. Da man ihr von Seiten der Schule und
des Wehrkreiskommandos unterstellt habe, sie habe sich auf
diese Weise einen Abiturplatz erschlichen, sei erheblicher
Druck auf sie ausgeübt worden.
Im Internat habe sie ein Zimmer mit einer aus einer Pasto-
renfamilie stammenden Mitschülerin geteilt. Es sei eine
Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Sie habe auch die
Pastorenfamilie besucht und sie seien gemeinsam in „an-
dere Kirchenkreise“ gegangen. Dort sei sie zum ersten Mal
mit „anderen Haltungen gegenüber der DDR“ konfrontiert
worden. Die hierdurch bei ihr entstandenen Fragen habe sie
wiederum mit Freunden und ihrer Mutter diskutiert. Sie
habe dann die aufkommende Idee eines Theologiestudiums
als „gelungene Provokation“ begriffen.
Auch in dieser Zeit habe sie weiter Kontakt zu Jörg Vaegler
gehabt. Nach ihrem Verständnis habe es sich bei diesem
Kontakt nie um einen „inoffiziellen oder konspirativen
MfS-Kontakt“ gehandelt. Wie mit anderen Freunden auch
hätten sie über schulische Probleme, die berufliche
Entwicklung oder anderes gesprochen. Die Abg. Angela
Marquardt betont in diesem Zusammenhang wörtlich: „Es
gab keine Absprachen und keine Aufträge in diesem
Zusammenhang, dass ich Theologie studieren soll, um In-
formationen für das MfS zu sammeln oder in diesem Kreis
gezielt Kontakte aufzubauen. Meine kirchlichen Verbindun-
gen haben sich ausschließlich über die Freundin aus dem
Internat entwickelt.“
Sie habe wegen einer schwierigen familiären – auch finanzi-
ellen – Situation von den elterlichen Freunden auch Geld
bekommen. Von Jörg Vaegler habe sie jedoch kein Geld er-

halten. Aus heutiger Sicht könne sie sich nur vorstellen,
dass sie ohne ihr Wissen und Wollen ausgenutzt worden sei
und dass sie durch ihre Studienanmeldung im Fach Theolo-
gie für das MfS besonders interessant geworden sei.

II. Schriftliche Stellungnahme der Mutter,
Christine Marquardt

Die Mutter der Abg. Angela Marquardt, Christine Mar-
quardt, erklärt in ihrer schriftlichen Erklärung vom 31. Mai
2002, dass sie durch ihre berufliche Tätigkeit als Lehrerin
und Pressedramaturgin seit 1974 „zwangsläufig Kontakte
mit dem MfS“ gehabt habe. 1979 sei sie von Vertretern des
MfS in der Schule aufgesucht und zur Zusammenarbeit
gedrängt worden. Da sie zu einer Zusammenarbeit jedoch
nicht bereit gewesen sei, sei sie von diesem Zeitpunkt an
„Zielperson“ des MfS gewesen.
Anfang der achtziger Jahre habe sie ihren späteren Le-
bensgefährten, einen Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS, ken-
nengelernt. Dieser habe die private Wohnung zu konspirati-
ven Treffen genutzt. Dadurch habe sie Mitarbeiter des MfS
kennengelernt, die ihr sympathisch gewesen seien und mit
denen sie intensiv über ihre Fragen und Probleme zur Ent-
wicklung der DDR habe diskutieren können. Entgegen jeder
Dienstvorschrift hätten sich sehr persönliche und freund-
schaftliche Kontakte zu diesen Mitarbeitern des MfS entwi-
ckelt. Jörg Vaegler habe auch zu diesem Personenkreis ge-
hört. In diese privaten und konspirativen Kontakte seien na-
türlich auch ihre Kinder einbezogen gewesen. Für diese
seien die Mitarbeiter einfach nur „Freunde und Kumpels“
gewesen. Die Kinder und auch sie selbst sowie ihr Le-
bensgefährte hätten zu Geburtstagen, Weihnachten und ähn-
lichen Anlässen Geschenke von den Mitarbeitern erhalten.
Sie habe an den mit ihrem Mann geführten konspirativen
Gesprächen teilgenommen. Ihr sei bekannt gewesen, dass
schriftliche Berichte über Personen und politische Ereig-
nisse erarbeitet worden seien. Dabei habe sie auch über Ein-
drücke und Erlebnisse ihrer Tochter, vor allem aus den Be-
reichen Schule, Sport und Freizeit, gesprochen.
Es sei auch vorgekommen, dass ihre Tochter den jeweiligen
Besuch allein in der Wohnung empfangen habe, bis sie oder
ihr Lebensgefährte nach Hause gekommen seien. Je älter
ihre Tochter geworden sei, um so komplizierter sei es ge-
worden, ihr begreiflich zu machen, dass sie diese „Freunde“
in der Öffentlichkeit nicht kennen dürfe. In einem Fall sei es
geschehen, dass ihre Tochter in einem öffentlichen Ver-
kehrsmittel einen der Offiziere gegrüßt habe. Christine Mar-
quardt erklärt: „In einem Gespräch mit den Genossen wurde
deshalb beschlossen, um sie zukünftig davon abzuhalten, so
eine Art Verpflichtungserklärung schreiben und unterschrei-
ben zu lassen. Aus heutiger Sicht ist mir durchaus bewusst,
dass dieser Schritt, ein fast noch Kind, soweit in unsere Tä-
tigkeit einzubinden und Druck auszuüben, unverantwortlich
war. Bezüglich des Decknamens ,Katrin Brandt‘ ging es mir
in erster Linie darum, meine Tochter zu schützen. Über den
Namen wurde mit meiner Tochter nicht gesprochen. Wir
diktierten den Wortlaut und sie unterschrieb.“
Nach ihrem und ihres Lebenspartners Wegzug aus Greifs-
wald, habe sie gewusst, dass sie [Anmerkung: Die in Greifs-
wald zurückgebliebene Tochter] bei Freunden und Bekann-
ten, die z. T. für das MfS gearbeitet hätten, gut aufgehoben

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/9951

gewesen sei. „Auf meine Bitte hin, kümmerten diese sich
um sie, in diesem Falle aber aus meiner Sicht als Freunde.
Inwieweit dies von ihnen zu dienstlichen Zwecken genutzt
wurde, entzog sich bis heute meiner Kenntnis.“ Sie habe
ihrer Tochter nahe gelegt, sich bei Schwierigkeiten und
Problemen an diese Freunde zu halten. Telefonisch sei sie
rückinformiert worden. Auch am neuen Wohnort hätten ihr
Lebensgefährte und sie diese Zusammenarbeit mit dem MfS
weitergeführt.
Hinsichtlich ihrer Berufswahl habe ihre Tochter völlig die
Orientierung verloren gehabt. In diesem Zusammenhang
habe sie in Abwesenheit ihrer Tochter mit den Vertretern
des MfS intensive Gespräche über die zukünftige Entwick-
lung geführt. Um ihre sportliche Laufbahn zu fördern, habe
eine Orientierung als Sportlehrerin nahegelegen. Völlig
überraschend für sie sei in einem Gespräch mit ihr auch
über ein mögliches Theologiestudium gesprochen worden.
Ihre Tochter habe diese Möglichkeit aufgegriffen, sie aber
eher als eine interessante Provokation empfunden. Mit wel-
cher Zielrichtung dieser Vorschlag gemacht worden sei,
habe sie erst heute erfahren. Damals sei sie der Meinung ge-
wesen, dass sie sich gemeinsam mit Freunden Gedanken
über die Zukunft der Tochter gemacht habe.
Für ihre Tätigkeiten hätten ihr Lebensgefährte und sie
sporadisch auch finanzielle Zuwendungen in Größenord-
nungen zwischen 50,– und 150,– Mark der DDR erhalten.
Zur Verbesserung des Taschengeldes habe sie mitunter Geld
an ihre Tochter weitergegeben, ohne sie jedoch über die
Herkunft des Geldes zu informieren. Ihre Tochter sei des-
halb davon ausgegangen, dass das Geld von ihr stamme. Es
sei durchaus möglich, dass sie im Oktober 1989 noch ein-
mal 50,– Mark der DDR erhalten habe, an genaue Daten
könne sie sich nicht mehr erinnern.

III. Anhörung durch die Berichterstatter
Während ihrer Anhörung vor den Berichterstattern des
1. Ausschusses präzisierte die Abg. Angela Marquardt, dass
sie die Verpflichtungserklärung geschrieben und unter-
schrieben habe. Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Erklä-
rung sei sie 15 Jahre alt gewesen. Bezüglich der Erklärung
und ihres Wortlauts habe sie keine Erinnerung. Sie könne
sich daran erinnern, dass sie in dieser Zeit während einer
Busfahrt mit ihrer Mutter einen Mann, den sie seit etwa
ihrem 9. oder 10. Lebensjahr gekannt habe und der in ihrem
Elternhaus ein- und ausgegangen sei, gegrüßt habe. Ihre
Mutter habe sie daraufhin in großer Aufregung bei der
nächsten Bushaltestelle aus dem Bus gezogen und ihr
erklärt, dass sie diesen Mann in der Öffentlichkeit nicht
kennen dürfe. Im Anschluss an dieses Ereignis habe in der
Küche ihrer Wohnung ein Gespräch mit ihr stattgefunden,
an dem ihre Mutter, ihr Stiefvater und zwei Mitarbeiter des
MfS teilgenommen hätten. Es sei ihr nochmals verdeutlicht
worden, dass sie in der Öffentlichkeit nicht über die
Freunde der Eltern und deren Besuche in der elterlichen
Wohnung sprechen dürfe. Um dies zu unterstreichen und
um ihr die Situation bewusster zu machen, sei ihr die Ver-
pflichtungserklärung diktiert worden. Aus Gesprächen, die
sie jetzt mit ihrer Mutter geführt habe, habe sie erfahren,
dass ihre Mutter auf die Einführung eines Decknamens ge-
drungen hätte. Sie selbst habe sich jedoch weder an den

Wortlaut der Verpflichtungserklärung noch an den Deckna-
men erinnern können. Der Deckname habe für sie nie eine
Rolle in ihrem Leben gespielt. Die Abgabe der Verpflich-
tungserklärung sei für sie – anders als die viel einschneiden-
dere und eindrücklichere Szene im Bus – kein bedeutendes
Ereignis gewesen. Die elterlichen Freunde seien weiterhin
zu ihnen nach Hause gekommen und zwar – aus ihrer Sicht –
als Freunde. Am Alltag habe sich nichts geändert. Sie habe
sich auch keine Gedanken darüber gemacht, warum sie über
die elterlichen Freunde schweigen solle. Im Übrigen habe
sie wegen innerfamiliärer Schwierigkeiten, deren Gründe
sie ausdrücklich nicht benennen wollte, bereits seit langem
mit ihren Eltern gebrochen. Damit hänge zusammen, dass
sie sehr viele Angelegenheiten aus ihrer Kindheit und
Jugend verdrängt habe.
Die Kontakte zum MfS seien durch ihren familiären Hinter-
grund bedingt gewesen. Als ihre Eltern aus Greifswald weg-
gezogen seien, sei ein Freund ihrer Eltern zu ihrem Vor-
mund bestellt worden. Außerdem seien ihr von ihrer Mutter
einige elterliche Freunde genannt worden, an die sie sich bei
Problemen wenden sollte. Dazu habe auch Jörg Vaegler ge-
hört. Ihn habe sie am längsten gekannt und sehr viel Ver-
trauen zu ihm gehabt. Mit ihm habe sie über alles, insbeson-
dere die familiäre und schulische Situation, gesprochen. Bei
jedem Problem habe sie sich an ihn gewandt. Er habe sie
häufig von der Schule oder dem Sport abgeholt, sie habe ihn
aber auch häufig zu Hause besucht. Sie sei gewissermaßen
in dessen Familie integriert gewesen. Sie habe in ihm aus-
schließlich einen Freund gesehen. Zwar habe sie nach der
entsprechenden Belehrung gewusst, dass sich ihre Eltern
mit Leuten getroffen hätten, die Mitarbeiter des MfS gewe-
sen seien und die sie daher nicht habe grüßen dürfen. Aller-
dings habe sie dies nur zur Kenntnis genommen und sich
keine weiteren Gedanken darüber gemacht. So sei sie auch
durch die Übernahme von innerfamiliärer Verantwortung,
insbesondere im Hinblick auf die Betreuung von Geschwis-
tern, in Anspruch genommen worden. Darüber hinaus habe
sie sich in der verbleibenden Freizeit auf die Pflege ihrer
Hobbys, Judo und Funken, konzentriert. Fünfzehn- oder
sechzehnjährig habe sie insofern gewusst, dass diese Leute
für das MfS arbeiteten. Für sie seien sie aber Freunde der
Familie gewesen, mit denen man weiterhin engen persönli-
chen Umgang gepflegt habe.
Sie habe bis zur „Wende“ keine Vorstellung gehabt, was das
MfS war und welche Aufgaben es hatte. Insbesondere habe
sie vor der „Wende“ nicht gewusst, welche nach innen ge-
richteten Aufgaben das MfS wahrgenommen habe. Begriffe
wie „Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter des MfS“
seien ihr unbekannt gewesen. Erst nach der „Wende“ habe
sie verstanden, dass ihre Eltern IM's gewesen seien. Vor der
„Wende“ habe sie mit der Arbeit des MfS lediglich die Aus-
landsspionage verbunden. Das MfS sei für sie eine normale
Arbeitsstelle der DDR gewesen. Erst mit der Verhaftung
von Vera Lengsfeld sei sie auf eine andere Art und Weise
mit dem MfS konfrontiert worden, weil ihr klar geworden
sei, dass das MfS auch einfach Leute verhaften könne. Sie
sei nach der Wende nicht auf die Idee gekommen, sich frei-
willig auf eine Stasitätigkeit hin überprüfen zu lassen.
Nach ihrem Verständnis habe sie nie eine aktive Rolle für
den Staatssicherheitsdienst gespielt. So habe sie beispiels-
weise keine Aufträge bekommen; Jörg Vaegler habe sie

Drucksache 14/9951 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

auch nie angerufen, um Treffen auszumachen. Die Initiative
zu den Kontakten mit Jörg Vaegler sei vielmehr immer von
ihr ausgegangen, da sie ihn – und andere elterliche Freunde –
häufig um Rat und Hilfe gebeten habe.
Mit Jörg Vaegler habe sie vor allem über die mit ihrem per-
sönlichen Werdegang verbundenen Probleme gesprochen.
Bezüglich des „Aktenvermerks zum IMS ,Katrin Brandt‘“
vom 8. September 1989 könne es sehr gut gewesen sein,
dass sie ihn in dieser Zeit getroffen habe. An Daten könne
sie sich nicht mehr erinnern. Hinsichtlich der im Vermerk
geschilderten Probleme erläutert die Abg. Angela Mar-
quardt, dass sie seit etwa der 3. Klasse zur NVA habe gehen
wollen, um eine Karriere als Leistungssportlerin einzuschla-
gen. Nachdem ihr verdeutlicht worden sei, dass sie nicht
Sportoffizier werden könne, habe sie sich dazu entschlos-
sen, nicht zur NVA zu gehen. Dadurch sei sie in eine ziem-
lich schwierige Situation geraten. In der Schule sei sie
einem starken „Mobbing“ ausgesetzt gewesen und persön-
lich habe sie nicht mehr gewusst, was sie machen sollte.
Diese Probleme habe sie mit Sicherheit auch mit Jörg Vaeg-
ler diskutiert. In dieser Situation sei ihr von ihrer Mutter
vorgeschlagen worden, Theologie zu studieren, weil es sich
um einen der besten Studiengänge gehandelt haben sollte.
Sie habe sich diesem Vorschlag angeschlossen, als sie in der
Schule entdeckt habe, dass sich mit diesem Studienwunsch
gut provozieren ließ. Zum einen sei es ihr um die gelungene
Provokation gegangen. Zum anderen habe sie diesem Vor-
schlag ihrer Mutter so schnell zugestimmt, weil sie in ihrer
Orientierungslosigkeit eine Art „Rettungsanker“ gesucht
habe. Sie habe sich aber keine großen Gedanken über diese
Studienrichtung gemacht. Der Studienwunsch sei auch kein
über eine Provokation hinausgehender Ausdruck einer sys-
temkritischen Haltung zur DDR gewesen. Hinsichtlich der
in dem Aktenvermerk zum IMS ,Katrin Brandt‘“ vom
8. September 1989 zitierten Passage, der IM wolle auf jeden
Fall Theologie studieren, „weil er dazu sein Wort gegeben“
habe, lässt sich die Abg. Angela Marquardt dahin gehend
ein, dass sie niemandem gegenüber ein Wort zum Theo-
logiestudium gegeben habe. Sie habe lediglich mit verschie-
denen Personen darüber diskutiert. Der Aktenvermerk sei
diesbezüglich unrichtig. Der Wunsch, Theologie zu studie-
ren, sei von der Mutter veranlasst gewesen. Es habe sich
jedoch um ihren „persönlichen“ Wunsch, nicht um einen
operativen Einsatz durch das MfS gehandelt. Wie wenig
durchdacht ihr Studienwunsch gewesen sei, habe sie dann
im Herbst 1989 anlässlich einer Einführungsveranstaltung
der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald
erfahren. Sie habe dann noch mit ihren Eltern darüber ge-
sprochen, dass sie sich den Anforderungen dieses Studien-
gangs nicht gewachsen fühle. Eine diesbezüglich anste-
hende Entscheidung sei dann durch die „Wende“ obsolet
geworden. Auf eine entsprechende Nachfrage, ob es sich
um das Studium der evangelischen Theologie gehandelt
hätte, antwortete sie, dass sie dies glaube, es aber nicht
sicher wisse. Im Übrigen sei sie nicht religiös erzogen wor-
den. Von dem Studienwunsch zu unterscheiden seien die
Kontakte zu kirchlichen Kreisen. Diese hätten sich aus-
schließlich über die Internatsfreundschaft zu einer Pfarrers-
tochter entwickelt.
Hinsichtlich des maschinenschriftlichen Berichts der Kreis-
dienststelle Greifswald „Aktuelles“ vom 27. September
1989 trägt die Abg. Angela Marquardt vor, dass sie den als

Bearbeiter aufgeführten Major Hille nie getroffen habe. Es
könne höchstens sein, dass sie Major Hille in der 10. Klasse
begegnet sei, weil er der Obermieter ihres besten Freundes
gewesen sein könnte, und sie mit dem Sohn Major Hilles in
der 3. und 4. Klasse Fußball gespielt haben könnte. Der
erste Teil des Berichts, in dem von den Diskussionen über
das „Neue Forum“ die Rede ist, sei für sie nachvollziehbar,
weil sie diese Entwicklungen mit Sicherheit auch mit Jörg
Vaegler – wie mit anderen – diskutiert habe. Das „Neue Fo-
rum“ habe damals an der Oberschule eine ziemlich große
Rolle gespielt; man habe innerhalb und außerhalb der
Schule über diese Fragen intensiv diskutiert. Vielleicht habe
sie mit ihm auch über diese Diskussionen gesprochen. An-
ders als dieser erste Teil bleibe ihr der zweite Teil des Be-
richts, in dem von der geplanten Flucht des jungen Mannes
aus Ungarn die Rede sei, völlig „schleierhaft“. Sie habe von
einem solchen Vorkommnis noch nie gehört. Nach ihrer Er-
innerung habe es dies nicht gegeben. Sie habe sich nun in-
tensiv um Aufklärung bemüht. Insbesondere habe sie mit
Jörg Vaegler und ehemaligen Mitschülern darüber gespro-
chen und ihnen den Vermerk zu lesen gegeben. Es habe ihr
aber niemand helfen können. Auch Jörg Vaegler habe die-
sen Vorgang nicht gekannt. Sie könne nicht sagen, wie die-
ser Bericht zustande gekommen sei.
Was das Formular „Aufstellung über ausgezahlte Beträge
und geleistete Sachwerte“ vom 9. Oktober 1989 angehe,
habe sie damals zwar von den Freunden ihrer Eltern mitun-
ter Geld bekommen, niemals jedoch von Jörg Vaegler. In
jener Zeit seien ihre Eltern nicht in der Lage gewesen, sie
finanziell zu unterstützen. Sie habe daher ausschließlich ihr
Schülergeld zur Verfügung gehabt. In dieser schwierigen
finanziellen Situation habe sie mitunter Geld von ihrem
Vormund und einem anderen Freund ihrer Eltern be-
kommen.
Die Abg. Angela Marquardt berichtet, dass sie erst nach der
Einsicht ihrer Stasi-Akte erfahren habe, wie sehr sich das
MfS für sie interessiert habe. Beispielsweise habe sie er-
fahren, dass ihr Leben seitens des MfS bis zum Jahre 1995
verplant gewesen sei. Als sie im Zuge ihrer Bundestags-
kandidatur 1998 ihre Mutter nach den Kontakten zum MfS
gefragt habe, hätte ihr diese geantwortet, dass dies ihre
[Anm.: der Mutter] Arbeit gewesen sei und dass sie [Anm.:
Abg. Angela Marquardt] relativ wenig damit zu tun gehabt
hätte. Jörg Vaegler habe ihr in einem vor kurzem geführten
Gespräch gesagt, dass sie für ihn und seinen Vorgesetzten
ein Karrieresprung hätte sein sollen. Es habe sich um ein
groß angelegtes „Projekt“ gehandelt, was bereits über
mehrere Jahre gelaufen sei. Jörg Vaegler habe ihr in diesem
Gespräch gesagt, dass er auch nach ihrer – für sie un-
bewussten – „Installation“ an der Theologischen Fakultät
für sie zuständig geblieben wäre. Es sei geplant gewesen,
sie im Dezember 1989 bzw. Januar 1990 eine erneute Ver-
pflichtungserklärung abgeben zu lassen. Zu diesem Zeit-
punkt hätte man sie dann in die – mit ihren Eltern teilweise
bereits abgestimmten – Planungen einweihen wollen. Er
habe ihr auch gesagt, dass sich in dem Aktenvermerk zum
IMS „Katrin Brandt“ vom 8. September 1989 als Hinweis
auf den Treffpunkt die Angabe „PKW (Helmshagen)“ fin-
det, weil er nicht hätte schreiben dürfen, dass man sich bei
ihm zu Hause getroffen hätte. Das mit ihr und ihren Eltern
gepflegte freundschaftliche Verhältnis hätte nicht den Ge-
pflogenheiten des MfS entsprochen.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 – Drucksache 14/9951

Hinsichtlich des „Dekonspirationshinweises“ habe sie
durch die Akteneinsicht erfahren, dass ihr Stiefvater sich im
Umfeld seiner Familie damit gebrüstet habe, dass das MfS
jetzt an seiner Tochter Interesse gefunden hätte. Dies sei als
eine Gefährdung für ihre Konspiration eingeschätzt worden.

E. Feststellungen des 1. Ausschusses
Der 1. Ausschuss sieht eine inoffizielle Tätigkeit der Abg.
Angela Marquardt für das Ministerium für Staatssicherheit
der ehemaligen DDR nach einer eingehenden Würdigung
der dem Ausschuss vorliegenden Unterlagen sowie der
schriftlichen und mündlichen Einlassung der Abgeordneten
als nicht erwiesen an. Die dem Ausschuss vorliegenden
Unterlagen sowie die schriftliche und mündliche Einlassung
der Abgeordneten enthalten zwar zahlreiche für eine wis-
sentliche und willentliche Zusammenarbeit mit dem Staats-
sicherheitsdienst sprechende Anhaltspunkte. Der Ausschuss
konnte aber nach einer eingehenden Würdigung aller Um-
stände – auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts – keine so sichere Über-
zeugung von einer willentlichen und wissentlichen Zusam-
menarbeit der Abgeordneten mit dem Staatssicherheits-
dienst gewinnen, dass auch angesichts der beschränkten Be-
weismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit
der Feststellung einer IM-Tätigkeit ausgeschlossen wären.
Eine inoffizielle Tätigkeit im Sinne des § 44b AbgG um-
fasst jede bewusste und gewollte Zusammenarbeit des
betroffenen Mitglieds des Bundestages mit dem Staats-
sicherheitsdienst bzw. dem Amt für Nationale Sicherheit der
ehemaligen DDR. Eine solche „Verstrickung“ setzt dem-
nach in objektiver Hinsicht ein auf Lieferung von Informati-
onen gerichtetes Tätigwerden für den Staatssicherheits-
dienst voraus (äußerer Tatbestand). In subjektiver Hinsicht
muss dieses äußere Erscheinungsbild von der Vorstellung
des Handelnden getragen worden sein (innerer Tatbestand).
Dies bedeutet, dass der Handelnde Kenntnis davon haben
musste, dass er für den Staatssicherheitsdienst als solchen
tätig wurde und dass er dies auch wollte.
Eine für das betroffene Mitglied belastende Feststellung
darf durch den 1. Ausschuss nur dann getroffen werden,
wenn die Verwirklichung des äußeren und inneren Tatbe-
standes durch die dem Ausschuss zur Verfügung stehenden
zulässigen Erkenntnisquellen bewiesen ist. Wie das Bundes-
verfassungsgericht in diesem Zusammenhang festgestellt
hat, „muss der Ausschuss von der Verstrickung des Abge-
ordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, dass auch
angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünf-
tige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausge-
schlossen sind“ (Entscheidung vom 21. Mai 1996, BVerfGE
94, 351 ff.; 370). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die
Beweislast für das Vorliegen der äußeren und inneren
Tatbestandsvoraussetzungen beim Ausschuss liegt. In Zwei-
felsfällen muss der Ausschuss demnach zugunsten des
betroffenen Mitglieds entscheiden und feststellen, dass eine
Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst nicht erwiesen ist.
Hinsichtlich des äußeren Tatbestands kommt den zu Angela
Marquardt angelegten und von der Bundesbeauftragten auf-
gefundenen Unterlagen des MfS zunächst eine deutliche In-
dizwirkung zugunsten einer wissentlichen und willentlichen
Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst zu.

Insbesondere die unterzeichnete Verpflichtungserklärung
vom 3. April 1987 entfaltet gemäß Nummer 6 B. I der Ab-
sprache zur Durchführung der Richtlinie gemäß § 44b
AbgG eine starke Indizwirkung zugunsten einer solchen Zu-
sammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst.
Als weiteres Feststellungskriterium müssten gemäß
Nummer 6 B. II der Absprache nachweislich Berichte oder
Angaben über Personen außerhalb offizieller Kontakte ge-
liefert worden sein.
Der Aktenvermerk zum IMS „Katrin Brandt“ vom 8. Sep-
tember 1989 und der maschinenschriftliche Bericht der
Kreisdienststelle Greifswald „Aktuelles“ vom 27. Septem-
ber 1989 können grundsätzlich als Niederschriften von
mündlichen Berichten qualifiziert werden. Um den Beweis-
wert dieser Unterlagen feststellen zu können, musste der
Ausschuss zunächst untersuchen, ob der Inhalt des Ver-
merks und des Berichts in sich stimmig und schlüssig ver-
fasst wurde und ausschließlich in die Richtung einer
Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst weist, andere
Deutungsmöglichkeiten demnach ausgeschlossen sind.
Beide Unterlagen geben in einer aus sich heraus verständ-
lichen und schlüssigen Art und Weise Auskunft über die
„operative Perspektive“ des IM, d. h. über Einzelheiten der
Personalführung, und die wesentlichen Inhalte der
anlässlich der Zusammenkünfte vorgetragenen Berichte.
Darüber hinaus verdeutlichen insbesondere die Ausführun-
gen des Aktenvermerks zur Wahrung der „Dekonspiration“
und der letzte Satz des Berichts, demgemäß der IM bei einer
bestimmten – anonymisierten – Person nicht nachfragen
könne, ohne aufzufallen, dass es sich nach der Aktenlage
nur um eine bewusste und gewollte Zusammenarbeit, nicht
jedoch um ein unbewusstes „Abschöpfen“ gehandelt haben
kann. Da sich in den Unterlagen selbst keine Widersprüche
oder sonstigen Anhaltspunkte finden lassen, die die Glaub-
haftigkeit und den Aussagewert von sich aus in Zweifel zu
ziehen geeignet sind, und eine andere Deutungsmöglichkeit
ausgeschlossen erscheint, ist nach der Überzeugung des
Ausschusses hinsichtlich beider Unterlagen zunächst von
einer Indizwirkung zugunsten einer bewussten und gewoll-
ten Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst aus-
zugehen.
Schließlich spricht auch das ausgefüllte Formular „Aufstel-
lung über ausgezahlte Beträge und geleistete Sachwerte“
vom 9. Oktober 1989 zunächst für eine nachgewiesene Ent-
gegennahme einer Zuwendung in Höhe von 50,– Mark der
DDR im Sinne der Nummer 6 B. III a der Absprache und
entfaltet damit eine zusätzliche Indizwirkung zugunsten
einer bewussten und gewollten Zusammenarbeit mit dem
Staatssicherheitsdienst.
Obwohl die zu Angela Marquardt angelegten Unterlagen
des MfS demnach das Vorliegen einer bewussten und ge-
wollten Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst
indizieren, konnte der Ausschuss aufgrund der schriftlich
und mündlich vorgetragenen Einlassung der Abg. Angela
Marquardt sowie der zu den Verfahrensakten gereichten
schriftlichen Erklärung von Christine Marquardt angesichts
der im Überprüfungsverfahren nach § 44b AbgG be-
schränkten Beweismöglichkeiten, die insbesondere eine
Vernehmung von Zeugen nicht umfassen, die sichere und
zweifelsfreie Überzeugung von der „Verstrickung“ der
Abgeordneten nicht gewinnen.

Drucksache 14/9951 – 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

An der Authentizität der Verpflichtungserklärung bestehen
aufgrund der während der Anhörung gemachten Ausführun-
gen der Abg. Angela Marquardt, dass sie die Verpflich-
tungserklärung geschrieben und unterschrieben habe, keine
Zweifel. Allerdings trägt sie vor, ihre Mutter habe ihr die
Verpflichtungserklärung als eine Art „Schweigeverpflich-
tung“ diktiert, um ihr damit zu verdeutlichen, dass sie über
die konspirativen Kontakte ihrer Mutter und ihres Stief-
vaters Stillschweigen zu bewahren habe. An den Inhalt der
Erklärung habe sie keine Erinnerung mehr gehabt. Während
für diese Einlassung die gleichlautende Erklärung von
Christine Marquardt spricht, lässt der eindeutige und
eindrückliche Wortlaut der Verpflichtungserklärung eine
solche Fehlinterpretation zunächst nicht zu. Von wesent-
licher Bedeutung für die Beurteilung ist jedoch, dass Angela
Marquardt aufgrund ihres damaligen Alters von 15 Jahren
und der besonderen Familienverhältnisse, die ein vielfälti-
ges privat-dienstliches Beziehungsgeflecht zum MfS bein-
halteten, unter Umständen mit der richtigen Einordnung und
Wertung der Abgabe einer solchen Erklärung überfordert
gewesen sein könnte. Auch wenn es der Ausschuss für nicht
sehr wahrscheinlich hält, dass Angela Marquardt an die
Abgabe der Verpflichtungserklärung und deren Inhalt, ins-
besondere den gewählten Decknamen, keinerlei eigene
Erinnerung mehr hat, so erscheint dies aus den bereits ge-
nannten Gründen als nicht ausgeschlossen. Ihre Einlassung,
sie könne sich an die Abgabe der Verpflichtungserklärung
nicht erinnern, weil es sich bei dieser – anders als bei der
viel einschneidenderen und eindrücklicheren Szene im Bus
– um kein bedeutendes Ereignis gehandelt habe, erscheint
als nicht völlig ausgeschlossen. Bezüglich der Verpflich-
tungserklärung bleiben dem Ausschuss demnach geringe
Zweifel, ob Angela Marquardt den Inhalt der Erklärung
zum Zeitpunkt der Erklärungsabgabe zutreffend erkannt hat.
Die bezüglich des Aktenvermerks vom 8. September 1989
vorgebrachte Einlassung der Abg. Angela Marquardt, dass
es sehr gut sein könne, dass sie den Mitarbeiter Jörg Vaegler
in dieser Zeit getroffen und mit ihm über die mit ihrem per-
sönlichen Werdegang verbundenen Probleme diskutiert
habe, sie in ihm aber ausschließlich einen Freund und kei-
nen Mitarbeiter des MfS gesehen habe, hat der Ausschuss
im Zusammenhang mit dem Vorbringen gewürdigt, sie habe
nie eine „aktive Rolle“ im Sinne einer inoffiziellen Mitarbeit
für den Staatssicherheitsdienst gespielt, vielmehr habe sie
bis zur Wende überhaupt keine Vorstellung davon gehabt,
was das MfS war und welche Aufgaben es hatte. Für die
fehlerhafte Einschätzung, bei Jörg Vaegler habe es sich aus-
schließlich um einen Freund gehandelt, spricht nach der
Überzeugung des Ausschusses einerseits, dass Angela Mar-
quardt aufgrund des jugendlichen Alters und der aktiven
Rolle ihrer Mutter und ihres Stiefvaters, die ihre Tochter –
nach der Erklärung der Mutter – selbst in die Zusammen-
arbeit mit dem MfS einbezogen haben, die vielfältigen
Beziehungen zwischen ihrer Familie und dem MfS fehl-
interpretiert haben könnte. Andererseits könnte auch das
besondere Näheverhältnis, das zwischen Jörg Vaegler und
Angela Marquardt bestand, eine zutreffende Einschätzung
der Situation verhindert haben. Hierbei ist nach der Über-
zeugung des Ausschusses von besonderer Bedeutung, dass
die damals fünfzehn- und sechzehnjährige Angela Mar-
quardt nach dem Wegzug ihrer Mutter und ihres Stiefvaters
insofern in eine Art Abhängigkeitsverhältnis zu den ihr von

der Mutter genannten elterlichen Freunden, insbesondere zu
Jörg Vaegler, geraten sein könnte, als diese Personen – statt
der Eltern – prioritäre Ansprechpartner für die vielfältigen
persönlichen Probleme waren. Weiterhin spricht auch die
unwiderlegte Einlassung der Abg. Angela Marquardt, die
Initiative für Kontakte mit Jörg Vaegler habe ausschließlich
bei ihr gelegen, bis zu einem gewissen Grade dafür, dass es
sich aus ihrer Sicht um ein rein freundschaftliches Verhält-
nis gehandelt haben könnte. Für diese von der Abg. Angela
Marquardt vorgebrachte These einer „Abschöpfung“ spricht
schließlich, dass Jörg Vaegler ihr nunmehr eröffnet habe,
dass man sie erst bei der Erneuerung der Verpflichtungs-
erklärung über die Planungen in Kenntnis zu setzten die
Absicht hatte. Diese Einlassung spricht ebenso wie die im
Zusammenhang mit dem „Dekonspirationshinweis“ berich-
tete Äußerung ihres Stiefvaters, das MfS habe jetzt an seiner
Tochter Interesse gefunden, dafür, dass Angela Marquardt
„Objekt“ und nicht „Subjekt“ des Staatssicherheitsdienstes
gewesen sein könnte. Gegen diese Einlassung, aufgrund der
Fehleinschätzung von Jörg Vaeglers Funktion keine „aktive
Rolle“ als Inoffizielle Mitarbeiterin für das MfS innegehabt
zu haben, spricht allerdings die ihr so eindrücklich in Erin-
nerung gebliebene Belehrung durch die Mutter und die da-
bei anwesenden Mitarbeiter des MfS. In diesem Zusammen-
hang musste der Ausschuss den Widerspruch zwischen der
in der schriftlichen Erklärung vorgetragenen Einlassung, sie
habe nicht gewusst, dass es sich bei dem elterlichen Besuch
um Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gehandelt
habe, und der während der Anhörung vorgetragenen Einlas-
sung, sie habe nach der entsprechenden Belehrung gewusst,
dass sich ihre Eltern mit Leuten getroffen hätten, die Mitar-
beiter des MfS gewesen seien, und die sie daher nicht hätte
grüßen dürfen, als für die Glaubhaftigkeit negativ bewerten.
Obwohl insofern einiges dafür spricht, dass sich das Wissen
um den konspirativen Umgang der Mutter und des Stiefva-
ters mit dem MfS auch auf ihren persönlichen Umgang mit
den elterlichen Freunden im allgemeinen und Jörg Vaegler
im besonderen erstreckt haben könnte, ist es nach der Über-
zeugung des Ausschusses wegen der oben im Zusammen-
hang mit der Verpflichtungserklärung geschilderten Beson-
derheiten des Falles nicht vollständig ausgeschlossen, dass
es Angela Marquardt, während ihrer Gespräche mit Jörg
Vaegler verborgen geblieben sein könnte, dass sie mit einem
Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes zwecks Berichter-
stattung gesprochen habe. Das Vorbringen der Abg. Angela
Marquardt, sie habe bis zur Verhaftung von Vera Lengsfeld
keine Vorstellung davon gehabt, was das MfS war und wel-
che Aufgaben es hatte, insbesondere habe sie mit der Arbeit
des MfS lediglich die Auslandsspionage verbunden, kann
nach der Überzeugung des Ausschusses wegen der geringen
Glaubhaftigkeit der Aussage nicht zu ihren Gunsten in die
Feststellungen einbezogen werden. Gegen die Glaubhaftig-
keit dieser Einlassung spricht zum einen, dass der Grad der
Unkenntnis von den Aufgaben des MfS auch unter Berück-
sichtigung des jugendlichen Lebensalters als unwahrschein-
lich angesehen werden muss, zumal das betreffende Eltern-
haus intensive Kontakte zum MfS unterhielt. Nach der all-
gemeinen Lebenserfahrung dürften bei einer damals Sech-
zehn- bis Achtzehnjährigen aus einem solchen sozialen und
familiären Umfeld zumindest geringfügige Kenntnisse über
die Aufgaben des MfS vorauszusetzen sein. In die gleiche
Richtung deutet, dass Angela Marquardt in schulischer Hin-
sicht in einem als privilegiert bezeichneten Umfeld gelebt

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 11 – Drucksache 14/9951

hat. Nach eigenem Vortrag besuchte sie eine „R-Klasse“
(„Russisch-Klasse“), deren Schüler sich aus Kindern von
MfS-Mitarbeitern, Professoren und Ärzten zusammensetzte.
Nach ihrer eigenen Einlassung mag Angela Marquardt zwar
sehr früh und in erheblichem Maße Verantwortung für ihre
Geschwister übernommen und sich in ihrer Freizeit vor-
nehmlich um ihre Hobbys gekümmert haben. Dies allein
kann aber nach Auffassung des Ausschusses eine so weitge-
hende Unkenntnis nicht erklären. Gegen die Glaubhaftigkeit
der Einlassung spricht weiterhin die Tatsche, dass Vera
Lengsfeld lange vor der „Wende“, nämlich am 17. Januar
1988 wegen der Teilnahme an einer Paralleldemonstration
zu der offiziellen SED-„Kampfdemonstration“ zu Ehren
Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs verhaftet und zu
sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Mit anderen
Worten hat Angela Marquardt – nach ihrem eigenen Vortrag –
bereits neun Monate nach Abgabe der Verpflichtungserklä-
rung und 20 Monate vor Fertigung des Aktenvermerks bzw.
des Berichts „Aktuelles“ Kenntnis von den nach innen ge-
richteten Aufgaben und Methoden des MfS erlangt. Selbst
wenn sich im Ergebnis erhebliche Zweifel an der Behaup-
tung, bis zur „Wende“ nicht von den tatsächlichen Aufgaben
des MfS gewusst zu haben, aufdrängen, zwingt dies jedoch
nicht notwendig zu der Folgerung, dass die Kontakte zu Jörg
Vaegler oder den anderen elterlichen Freunden als solche
mit MfS-Mitarbeitern empfunden worden sind.
Der Einlassung der Abg. Angela Marquardt, sie habe erst
nach Einsicht der Stasi-Akten erfahren, wie sehr sich das
MfS für ihr Leben interessiert habe, ließe sich nach Auf-
fassung des Ausschusses zwar entgegnen, dass nach der all-
gemeinen Lebenserfahrung zumindest aufgrund des engen
persönlichen Kontakts der Familie mit mehreren Mitarbei-
tern der Staatssicherheit eine Nachforschung hinsichtlich
einer eigenen „Abschöpfung“ oder „Verstrickung“ nahege-
legen haben müsste. Auch die Antwort ihrer Mutter auf die
im Zuge der Bundestagskandidatur 1998 gestellte Frage
nach den Kontakten zumMfS, „sie habe relativ wenig damit
zu tun gehabt“, spricht eher für eine solche Nachforschung,
da die Mutter ja immerhin eine geringfügige Einbeziehung
in die Zusammenarbeit mit dem MfS konzediert hatte.
Allerdings scheint die diesbezügliche Einlassung nach der
Überzeugung des Ausschusses wegen der Besonderheiten
des konkreten Falles nicht gänzlich ausgeschlossen. Ins-
besondere die mit den geltend gemachten innerfamiliären
Schwierigkeiten begründete Verdrängung der Kindheit und
Jugend könnte dazu beigetragen haben, dass Angela Mar-
quardt an sich naheliegende Aufklärungsschritte nicht in
Erwägung gezogen hat. Ohnehin musste der Ausschuss
respektieren, dass die Abg. Angela Marquardt wiederholt
und betont die Ursachen für den Bruch mit ihrer Familie
nicht darlegen wollte.
Hinsichtlich des Aktenvermerks vom 8. September 1989
trägt die Abg. Angela Marquardt darüber hinaus vor, dass er
in inhaltlicher Hinsicht dahin gehend unrichtig sei, dass ihre
Mutter ihr vorgeschlagen habe, Theologie zu studieren, und
nicht das MfS. Außerdem habe sie niemandem versprochen,
Theologie zu studieren. Vielmehr sei es ihr – von der Mutter
veranlasster – persönlicher Wunsch gewesen. Für die
Glaubhaftigkeit der Einlassung, ihre Mutter habe ihr das
Theologiestudium vorgeschlagen, spricht vor allem die in-
haltsgleiche Erklärung der Mutter. Auch die Tatsache, dass
sich die Mutter grundsätzlich sehr aktiv an der Beziehung

ihrer Tochter zu dem MfS beteiligt hat, lässt es als möglich
erscheinen, dass der Staatssicherheitsdienst den Studienvor-
schlag durch die – diesbezüglich wissende oder aber ah-
nungslose – Mutter artikuliert haben könnte. Für die Einlas-
sung, sich dem Vorschlag der Mutter, Theologie zu studie-
ren, kraft eigenen Willens angeschlossen zu haben, spricht
weiterhin, dass Angela Marquardt diesen Vorschlag in einer
Phase der Orientierungslosigkeit als eine Art „Rettungsan-
ker“ empfunden haben könnte. Auch ihre Darstellung, die
Wahl des Studienfaches von der erzielten „gelungenen
Provokation“ abhängig gemacht zu haben, erscheint dem
Ausschuss als möglich. Allerdings spricht gegen die Glaub-
haftigkeit der hinsichtlich des Studienwunsches vorgetra-
genen Motive, dass die Abg. Angela Marquardt nicht mit
Sicherheit sagen konnte, an welcher Konfession sich das
Studium orientiert hätte. Insbesondere, da sie im Herbst
1989, also kurz vor der „Wende“, eine Einführungsver-
anstaltung der Fakultät besucht hatte, hätte ihr zumindest
dies in Erinnerung sein müssen. Die Tatsache ihrer nicht
religiösen Erziehung allein ist nicht geeignet, diesen Wider-
spruch vollständig zu entkräften. Hinsichtlich ihres Vorbrin-
gens, dass sie sich niemandem gegenüber verpflichtet habe,
Theologie zu studieren, gilt die gleiche Wahrscheinlichkeit
wie hinsichtlich der Möglichkeit, sich dem Vorschlag der
Mutter aus freien Stücken angeschlossen zu haben. Nach
der Überzeugung des Ausschusses ist es daher nicht gänz-
lich ausgeschlossen, dass Angela Marquardt den autonomen
Willen gefasst haben könnte, Theologie zu studieren.
Schließlich sieht der Ausschuss in der von der Abg. Angela
Marquardt wiedergegebenen Äußerung Jörg Vaeglers,
wonach sich in dem Aktenvermerk der Treffpunkt „PKW
(Helmshagen)“ findet, weil er nicht hätte schreiben dürfen,
dass man sich bei ihm zu Hause getroffen habe, einen deut-
lichen Hinweis darauf, dass mit großer Wahrscheinlichkeit
das privat-dienstliche Beziehungsgeflecht zwischen der
Familie und dem Staatssicherheitsdienst Ursache für eine
partielle Verfälschung des Vermerks gewesen sein könnte.
Nach der Überzeugung des Ausschusses ist der Beweiswert
der aufgefundenen Unterlagen dadurch partiell erschüttert.
Hinsichtlich des Berichts „Aktuelles“ vom 27. September
1989 zieht die Abg. Angela Marquardt den ersten Berichts-
teil, in dem die in ihrer Klasse über das „Neue Forum“
geführten Diskussionen geschildert werden, hinsichtlich
seiner objektiven Inhalte nicht in Zweifel. Deswegen hatte
sich die Feststellung des Ausschusses auf die bezüglich des
zweiten Berichtsteils vorgetragene Einlassung zu beschrän-
ken. Hinsichtlich des darin geschilderten Fluchtvorhabens
macht die Abg. Angela Marquardt geltend, von einem
solchen Vorkommnis noch nie gehört zu haben. Die Glaub-
haftigkeit dieser Einlassung wird durch die von ihr selbst
wiedergegebene Äußerung Jörg Vaeglers, wonach auch er
einen solchen Vorgang nicht gekannt habe, bekräftigt. Wei-
terhin sprechen auch die seitens der Abg. Angela Marquardt
vorgetragenen Aufklärungsbemühungen für die Glaubhaf-
tigkeit ihrer Aussage. Aufgrund der inhaltlichen Verknüp-
fung beider Berichtsteile, die u. a. dadurch deutlich wird,
dass von ein und derselben Person die Rede ist („…ver-
traute mir auch noch an…“), erscheint es nach Auffassung
des Ausschusses zwar als wenig wahrscheinlich, dass in
dem Bericht – versehentlich oder absichtlich – zwei unter-
schiedliche Quellen zusammengefasst wurden. Ebenso
wenig wie der Ausschuss bereits an anderer Stelle Zweifel

Drucksache 14/9951 – 12 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

hinsichtlich des Beweiswerts der aufgefundenen Unterlagen
ausräumen konnte, ist es aber nach seiner Überzeugung
nicht vollständig ausgeschlossen, dass der Bericht in dieser
Hinsicht sachlich unzutreffend sein könnte. Da sich die
Beschränkung der dem Ausschuss zur Verfügung stehenden
Beweismittel, nach der beispielsweise eine Identifizierung
des betroffenen Jugendlichen oder eine Vernehmung Jörg
Vaeglers im Überprüfungsverfahren nach § 44b AbgG aus-
geschlossen ist, nicht zu Lasten der Abg. Angela Marquardt
auswirken darf, müssen verbleibende Zweifel und Unklar-
heiten zu ihren Gunsten gewertet werden.
Für die hinsichtlich des ausgefüllten Formulars „Aufstel-
lung über ausgezahlte Beträge und geleistete Sachwerte“
vorgebrachte Einlassung der Abg. Angela Marquardt, sie
habe von Jörg Vaegler kein Geld erhalten, spricht, dass sich
auch ihre Mutter dahin gehend erklärt hat, mitunter Geld

des Staatssicherheitsdienstes an ihre Tochter weitergegeben
zu haben, ohne sie jedoch über die Herkunft des Geldes in-
formiert zu haben. Zwar erscheint es dem Ausschuss als
zweifelhaft, ob die quittierten 50 Mark der DDR tatsächlich
über die Mutter zur Tochter geflossen sind, da die Mutter
bereits 1987 aus Greifswald weggezogen ist, die Auszah-
lung aber erst am 9. Oktober 1989 quittiert wurde. Ange-
sichts möglicher Besuche der Mutter in Greifswald ist dies
jedoch nicht ausgeschlossen.
Im Gesamtergebnis konnte der Ausschuss keine so sichere
Überzeugung von einer willentlichen und wissentlichen Zu-
sammenarbeit der Abg. Angela Marquardt mit dem Staatssi-
cherheitsdienst gewinnen, dass auch angesichts der be-
schränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an
der Richtigkeit der Feststellung einer IM-Tätigkeit ausge-
schlossen blieben.

Berlin, den 12. September 2002

Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung

Dr. Wolfgang Frhr. von Stetten
(Stellv. Vorsitzender)

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