BT-Drucksache 14/9713

zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers Zur Lage der Wirtschaft in Deutschland

Vom 3. Juli 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9713
14. Wahlperiode 03. 07. 2002

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb,
Ina Albowitz, Hildebrecht Braun (Augsburg), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher,
Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Gudrun Kopp,
Ina Lenke, Günther Friedrich Nolting, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, Gerhard Schüßler, Gudrun Serowiecki,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Dieter Thomae, Dr. Wolfgang Gerhardt
und der Fraktion der FDP

zu der Abgabe einer Regierungserklärung des Bundeskanzlers
Zur Lage der Wirtschaft in Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
die Arbeitsmarktpolitik nach Maßgabe der von der Hartz-Kommission vorge-
legten Überlegungen entscheidend zu reformieren:
1. Die Vermittlung und Beratung von Arbeitsuchenden muss neu organisiert

und soweit wie möglich privatisiert werden. Die Arbeitsvermittlung wird
durch eine Versicherungsanstalt organisiert, die dazu marktgerechte Vermitt-
lungsgutscheine ausgibt. Damit können Arbeitslose einen Arbeitsvermittler
ihres Vertrauens beauftragen. Sie gelten für private und für staatliche Ver-
mittler, so dass es einen echten Wettbewerb gibt.

2. Die Zeitarbeit und damit das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss deutlich
flexibilisiert und entbürokratisiert werden: Die Arbeitnehmerüberlassung für
Arbeitsgemeinschaften zwischen Unternehmen unterschiedlicher Wirt-
schaftszweige und mit unterschiedlichen Tarifverträgen wird erlaubnisfrei.
Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe wird aufgehoben.
Die zulässige Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an den-
selben Entleiher wird von 24 auf 36 Monate erweitert. Das Verbot, die Dauer
des Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher auf die
Dauer der erstmaligen Überlassung an einen Entleiher zu beschränken, wird
aufgehoben. Die Verpflichtung nach Ablauf des 12. Monats der Überlassung,
dem Zeitarbeitnehmer die im Entleihbetrieb für vergleichbare Arbeitnehmer
des Entleihers geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsent-
gelts zu gewähren, wird gestrichen. Die Kollegenhilfe im Mittelstand wird
von der Anzeigepflicht bei den Landesarbeitsämtern befreit.
Eine Beschäftigung der Arbeitslosen in subventionierten Zeitarbeits-Agen-
turen gleichsam als Angestellte der Arbeitsämter ist hingegen fragwürdig
und darf nicht zu einer Verdrängung der privaten Zeitarbeitsfirmen oder zu
Wettbewerbsverzerrungen führen. Entscheidend muss sein, dass Arbeitslose
tatsächlich an Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt ausgeliehen werden.

Drucksache 14/9713 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
3. Die Arbeitslosenversicherung wird zu einer beitragsfinanzierten Grund-
sicherung mit ergänzenden Wahltarifen ausgestaltet. Die Bezugsdauer des
Arbeitslosengeldes von zurzeit je nach Versicherungsdauer und Lebensalter
6 bis zu 32 Monaten muss neu justiert werden (§ 127 Abs. 2 SGB III). Über-
legenswert ist eine Begrenzung auf wieder 12 Monate wie es dem Rechtszu-
stand 1983 entsprach; hinsichtlich älterer Arbeitsloser muss eine schritt-
weise Rückführung geprüft werden. Entsprechende Einsparungen müssen in
Form von niedrigeren Beiträgen an die versicherten Arbeitgeber und Arbeit-
nehmer weitergegeben werden.

4. Die Arbeitslosenhilfe muss mit der Sozialhilfe zu einem System mit einer
Leistung („Sozialgeld“), klaren Zuständigkeiten, eingleisigen Verfahren und
schlankerer Verwaltung zusammengefasst werden. Für die durch den Weg-
fall der Arbeitslosenhilfe sowie weiterer Personalkosten ersparten Leistun-
gen muss der Bund den Kommunen einen jährlich im Voraus festgelegten
Betrag geben, so dass für die Kommunen ein Anreiz zum sparsamen Haus-
halten geschaffen wird.

5. Eine gemeinsame Anlaufstelle als Job-Center für alle Erwerbsfähigen, die
nach geltendem Recht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, gewährleis-
tet, dass Beratung, gezieltere Unterstützung, medizinische Dienste, individu-
elle Kontaktanbahnung mit Unternehmen, Computertraining sowie beglei-
tende Qualifizierung bei der Arbeitssuche mit dem gebündelten Personal des
sozialen Sicherungssystems, unterstützt von Sozialarbeitern und Psycholo-
gen und unter Einbeziehung von privaten Job-Vermittlern sowie Zeitarbeit,
in einem Haus stattfinden kann.

6. Jeder Arbeitslose muss verpflichtet werden, mit seinem Job-Center laufen-
den Kontakt zu halten, denn nur so wird seine intensive und effektive Ver-
mittlung und Betreuung durch das Arbeitsamt gewährleistet.

7. Die Zumutbarkeit muss nach geographischen, materiellen, funktionalen und
sozialen Kriterien neu formuliert und verschärft werden (§ 121 SGB III). Da-
bei kann jungen, alleinstehenden Arbeitslosen mehr zugemutet werden als
arbeitslosen Müttern und Vätern. Um die Umsetzbarkeit der Zumutbarkeits-
kriterien zu gewährleisten, ist die Beweislast umzukehren, d. h. der Arbeits-
lose muss beweisen, dass eine Stelle, die er abgelehnt hat, nicht zumutbar ist.

8. Um einen Anreiz für sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze im Haus-
halt und bei familienbezogenen Dienstleistungen zu schaffen und die
Schwarzarbeit zu reduzieren, ist für private Haushalte – ähnlich wie bei an-
deren Arbeitgebern (Unternehmen) – die steuerliche Absetzbarkeit wieder
einzuführen.

9. Das Modell einer „Ich-AG“ für Arbeitslose würde eine enorme Privilegie-
rung dieser Beschäftigungsform mit einem Zuverdienst von bis zu 1 667
Euro im Monat zusätzlich zur Arbeitslosenunterstützung bedeuten und da-
mit gegenüber dem normalen Gewerbetreibenden wettbewerbsverzerrend
wirken. Um den Niedriglohnsektor insgesamt attraktiver zu machen und die
Lohnzusatzkosten zu senken, ist es vorzuziehen, die Schwelle, von der an
die volle Steuer- und Abgabenpflicht greift, von 325 Euro auf 630 Euro zu
erhöhen und zur Pauschalversteuerung in Höhe des Eingangssatzes der Ein-
kommensteuer zurückzukehren. Die Sozialversicherungspflicht für diese ge-
ringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist abzuschaffen.

Berlin, den 2. Juli 2002
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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