BT-Drucksache 14/9659

Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages hier: Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von Mitgliedern des Bundestages (Anlage 6 zur GO-BT)

Vom 2. Juli 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9659
14. Wahlperiode 02. 07. 2002

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
(1. Ausschuss)

Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages

hier: Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität
von Mitgliedern des Bundestages (Anlage 6 zur GO-BT)

A. Problem
Die vom Deutschen Bundestag jeweils zu Beginn einer Wahlperiode erteilte ge-
nerelle Genehmigung von Ermittlungen wegen Straftaten (vgl. Beschluss betr.
Aufhebung der Immunität – Anlage 6 zur GO-BT) setzt voraus, dass die Staats-
anwaltschaft zuvor den Präsidenten – sowie grundsätzlich auch das betroffene
Mitglied des Bundestages – unterrichtet. Die Ermittlungen dürfen erst 48 Stun-
den nach Eingang der Mitteilung beginnen. Im Einzelfall könnte die Frist, z. B.
bei einer vor einem Wochenende eingehenden Mitteilung, für eine ausrei-
chende Prüfung zu kurz sein.

B. Lösung
Im Beschluss betr. Aufhebung der Immunität wird – neben einigen redaktionel-
len Anpassungen – festgelegt, dass bei der Berechnung der 48-Stunden-Frist
Wochenend- und allgemeine Feiertage nicht eingerechnet werden. Weiterhin
wird Vorsorge getroffen, im Einzelfall die Frist angemessen verlängern zu kön-
nen, um hierdurch vor Fristablauf erforderliche weitere Prüfungen oder aber
eine Entscheidung nach Artikel 46 Abs. 4 Grundgesetz zu ermöglichen.
Einstimmigkeit im Ausschuss

C. Alternativen
Beibehaltung der bisherigen Regelung.

D. Kosten
Keine

Drucksache 14/9659 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Beschluss des Deutschen Bundestages betr. Aufhebung der Immunität von
Mitgliedern des Bundestages in der Fassung vom 16. Juni 1988 (BGBl. I
S. 1009), zuletzt geändert laut Bekanntmachung vom 12. Februar 1998 (BGBl. I
S. 428), wird wie folgt geändert:
a) Nummer 1 wird wie folgt gefasst:

„1. Der Deutsche Bundestag genehmigt bis zum Ablauf dieser Wahlperiode
die DurchführungvonErmittlungsverfahrengegenMitgliederdesBundes-
tages wegen Straftaten, es sei denn, dass es sich um Beleidigungen
(§§ 185, 186, 187a Abs. 1, 188 Abs. 1 StGB) politischen Charakters
handelt.
Vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist dem Präsidenten des
Deutschen Bundestages und, soweit nicht Gründe der Wahrheitsfindung
entgegenstehen, dem betroffenen Mitglied des Bundestages Mitteilung
zu machen; unterbleibt eine Mitteilung an das Mitglied des Bundes-
tages, so ist der Präsident auch hiervon unter Angabe der Gründe zu
unterrichten. Das Recht des Deutschen Bundestages, die Aussetzung
des Verfahrens zu verlangen (Artikel 46 Abs. 4 GG), bleibt unberührt.
Das Ermittlungsverfahren darf im Einzelfall frühestens 48 Stunden
nach Zugang der Mitteilung beim Präsidenten des Deutschen Bundesta-
ges eingeleitet werden. Bei der Berechnung der Frist werden Sonntage,
allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet. Der Präsi-
dent des Deutschen Bundestages kann im Einvernehmen mit dem Vor-
sitzenden des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung die Frist angemessen verlängern.“

b) In Nummer 2 wird Buchstabe a wie folgt gefasst:
„a) die Erhebung der öffentlichen Klage wegen einer Straftat und den

Antrag auf Erlass eines Strafbefehls,“.
c) In Nummer 3 wird Satz 3 wie folgt gefasst:

„Die Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 90b StGB – verfassungs-
feindliche Verunglimpfung des Deutschen Bundestages – sowie § 194
Abs. 4 StGB – Beleidigung des Deutschen Bundestages – kann im Wege der
Vorentscheidung erteilt werden.“

d) In Nummer 4 wird Satz 2 wie folgt gefasst:
„Zur Vereinfachung des Geschäftsganges wird der Ausschuss für Wahlprüfung,
Immunität und Geschäftsordnung beauftragt, eine Vorentscheidung über die
Genehmigung der Vollstreckung zu treffen, bei Freiheitsstrafen nur, soweit
nicht auf eine höhere Freiheitsstrafe als drei Monate erkannt ist oder bei einer
Gesamtstrafenbildung (§§ 53 bis 55 StGB, § 460 StPO) keine der erkannten
Einzelstrafen drei Monate übersteigt.“

Berlin, den 27. Juni 2002
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
Erika Simm
Vorsitzende

Dieter Wiefelspütz
Berichterstatter

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Berichterstatter

Steffi Lemke
Berichterstatterin

Jörg van Essen
Berichterstatter

Dr. Evelyn Kenzler
Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9659

Bericht der Abgeordneten Dieter Wiefelspütz, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten,
Steffi Lemke, Jörg van Essen und Dr. Evelyn Kenzler

I. Allgemeines
Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts-
ordnung (1. Ausschuss) hat sich aus Anlass des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2001 mit der
Frage befasst, ob die immunitätsrechtlichen Regelungen
und die Verfahrenspraxis des Deutschen Bundestages zu
ändern sind. Dabei wurden sowohl der (Plenar)-Beschluss
betr. Aufhebung der Immunität (Anlage 6 zur GO-BT) als
auch die vom 1. Ausschuss gemäß § 107 Abs. 2 GO-BT
aufgestellten Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten
(ebenfalls in Anlage 6 zur GO-BT abgedruckt) einer Prü-
fung unterzogen.
Im genannten Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die
Behandlung eines Einzelfalles, hier die in der 102. Sitzung
des Deutschen Bundestages vom 11. Mai 2000 erteilte Ge-
nehmigung zum Vollzug gerichtlicher Durchsuchungsan-
ordnungen und Beschlagnahmungen, nicht beanstandet. Zu-
gleich hat das Bundesverfassungsgericht zur Bedeutung des
Immunitätsschutzes betont, dass der verfassungsrechtliche
Genehmigungsvorbehalt des Artikels 46 Abs. 2 Grundge-
setz vornehmlich dem Bundestag als Ganzes dient, der ein-
zelne Abgeordnete aber einen Anspruch besitzt, dass sich
der Bundestag bei einer Aufhebungsentscheidung nicht von
sachfremden, willkürlichen Motiven leiten lässt. Weiterhin
hat das Bundesverfassungsgericht unterstrichen, dass der
Immunitätsschutz auch unter den Bedingungen des demo-
kratischen Rechtsstaates nicht überholt und überflüssig sei.
Im Ergebnis hat der 1. Ausschuss in seiner Sitzung vom
27. Juni 2002 einvernehmlich eine Änderung des Beschlus-
ses betr. die Aufhebung der Immunität vorgeschlagen. So
soll, wie unter II. näher erläutert, die 48-Stunden-Frist zur
Aufnahme von Ermittlungen in Ausnutzung der generellen
Freigabe von Ermittlungen ergänzt werden. Zugleich soll
der Beschluss an einigen Stellen redaktionell angepasst
werden.
Zugleich hat der 1. Ausschuss die Grundsätze in Immunitäts-
angelegenheiten überarbeitet, soweit sie sich mit der Stel-
lung des von einem Immunitätsverfahren betroffenen Mit-
glieds und dem Inhalt des vom Immunitätsausschuss und
vom Plenum vorzunehmenden Entscheidungsgang befassen.
Die Nummern 3 und 4 der Grundsätze lauten nunmehr:

„3. Stellung der betroffenen Mitglieder
des Bundestages

In Immunitätsangelegenheiten soll das betroffene Mit-
glied des Bundestages im Bundestag das Wort zur Sache
nicht erhalten; von ihm gestellte Anträge auf Aufhebung
seiner Immunität bleiben unberücksichtigt. Der Aus-
schuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
nung kann auf Antrag einer Fraktion im Ausschuss dem
betroffenen Mitglied Gelegenheit zur Äußerung geben.
4. Entscheidungen in Immunitätsangelegenheiten
Das Immunitätsrecht bezweckt vornehmlich, die Ar-
beits- und Funktionsfähigkeit des Bundestages sicherzu-

stellen; der einzelne Abgeordnete hat einen Anspruch
auf eine von sachfremden, willkürlichen Motiven freie
Entscheidung. Die Entscheidung über die Aufhebung
oder Wiederherstellung der Immunität trifft der Bundes-
tag in eigener Verantwortung unter Abwägung der Be-
lange des Parlaments und der anderen hoheitlichen Ge-
walten unter Berücksichtigung der Belange des betroffe-
nen Abgeordneten. In eine Beweiswürdigung wird nicht
eingetreten; die Entscheidung beinhaltet keine Feststel-
lung von Recht oder Unrecht, Schuld oder Nichtschuld.“

In der vorgenannten Nummer 4 ist mehrheitlich auf die
Erwähnung des Ansehens des Deutschen Bundestages als
eines weiteren Schutzzwecks neben dem Schutz der Ar-
beits- und Funktionsfähigkeit verzichtet worden, da die Er-
teilung einer Genehmigung gerade als ansehenswahrend
verstanden worden ist.

II. Zu den einzelnen Änderungen des Beschlusses
betr. Aufhebung der Immunität

Zu Buchstabe a
In Nummer 1 der generellen Genehmigung soll in Satz 1
aus systematischen Gründen als von der generellen Geneh-
migung auch ausgenommen eine übliche Nachrede gegen
Personen des politischen Lebens (§ 188 Abs. 1 StGB) ange-
führt werden.
Der bisherige Satz 3, der die Mitteilung beabsichtigter Er-
mittlungen durch die Staatsanwaltschaft an den Bundestags-
präsidenten und, sofern dem nicht Gründe der Strafverfol-
gung entgegenstehen, an den betroffenen Abgeordneten
festlegt, soll – inhaltlich unverändert – zum besseren Ver-
ständnis vor die Ausgestaltung der für den Ermittlungs-
beginn maßgebenden Frist von 48 Stunden gestellt werden.
Der neue Satz 4 trägt dem Umstand Rechnung, dass die
Frist von 48 Stunden bei Eingängen vor einem Wochenende
oder einem Feiertag eine ausreichende Prüfung vor Fristab-
lauf nicht gewährleisten kann. Daher sollen bei der Berech-
nung der Stundenfrist in Orientierung an § 222 Abs. 3 ZPO,
§ 57 VwGO Wochenend- und allgemeine Feiertage unbe-
rücksichtigt bleiben. Darüber hinaus soll im Einzelfall die
Frist angemessen verlängert werden können, um Vorsorge
für erforderliche Prüfungen einschließlich von Rückfragen
bei den Strafverfolgungsorganen sicherzustellen. Zudem
könnte sich im Falle einer willkürlichen Strafverfolgung
oder sonstiger Gefährdung parlamentarischer Belange der
Bedarf für eine Entscheidung nach Artikel 46 Abs. 4 GG er-
geben. In einem derartigen Fall wäre außerhalb von Sit-
zungswochen die 48-Stunden-Frist nicht ausreichend, um
rechtzeitig den notwendigen Plenarbeschluss herbeizufüh-
ren. Keine Alternative wären eine kurzfristige Sondersit-
zung des Immunitätsausschusses oder eine schriftliche Ab-
stimmung gemäß § 72 GO-BT zum Zwecke einer Vorent-
scheidung, da diese erst wirksam wird, wenn ihr nicht bin-
nen sieben Tagen nach Verteilung widersprochen wird.

Drucksache 14/9659 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Da der Präsident den Deutschen Bundestag nach außen ver-
tritt, hat er die zuständige Staatsanwaltschaft über eine Ver-
längerung zu unterrichten. Im Einzelfall würde der Anstoß
vom Vorsitzenden des 1. Ausschusses ergehen, dem eine
Abstimmung auf Ausschussebene, insbesondere mit den
Obleuten, auch unter Berücksichtigung des Zeitbedarfs
vorausgehen würde. Die Verlängerung würde der Staatsan-
waltschaft noch während der laufenden 48-Stunden-Frist in
geeigneter Weise mitzuteilen sein. Um der jeweils zuständi-
gen Staatsanwaltschaft künftig den Inhalt der Fristregelung
deutlich zu machen, sollte der Präsident bei der üblichen
schriftlichen Eingangsbestätigung ausdrücklich die neu ge-
fasste Nummer 1 des Beschlusses anführen.
Zu Buchstabe b
Bei den nicht mehr von der generellen Genehmigung erfass-
ten Strafverfolgungsmaßnahmen ist die nicht mehr existie-
rende Strafverfügung zu streichen.
Zu Buchstabe c
Die Befugnis des 1. Ausschusses, im Wege einer Vorent-
scheidung über eine Ermächtigung zur Strafverfolgung nach
§ 194 Abs. 4 StGB zu entscheiden, ist entsprechend der Pa-
rallelregelung in den Grundsätzen in Immunitätsangele-
genheiten und der Praxis um den Fall des § 90b StGB zu
ergänzen.
Zu Buchstabe d
Redaktionelle Ergänzung um die ebenfalls die Gesamtstra-
fenbildung betreffende Vorschrift des § 54 StGB.

Berlin, den 27. Juni 2002
Dieter Wiefelspütz
Berichterstatter
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Berichterstatter
Steffi Lemke
Berichterstatterin
Jörg van Essen
Berichterstatter
Dr. Evelyn Kenzler
Berichterstatterin

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