BT-Drucksache 14/954

Soziale und demokratische Weltwirtschaftordnung statt neoliberaler Globalisierung

Vom 4. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/954 vom 04.05.1999

Antrag der Fraktion der PDS Soziale und demokratische
Weltwirtschaftsordnung statt neoliberaler Globalisierung =

04.05.1999 - 954

14/954

Antrag
der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Uwe-Jens Rössel,
Eva-Maria Bulling-Schröter, Dr. Barbara Höll, Carsten Hübner, Dr.
Winfried Wolf,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Soziale und demokratische Weltwirtschaftsordnung statt neoliberaler
Globalisierung

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
1. Die Deregulierung der Finanzmärkte verbunden mit der zunehmenden
Machtkonzentration bei den Banken haben dazu beigetragen, die
Weltwirtschaft an den Rand einer Krise zu führen. Die Krise in Asien,
Rußland und Lateinamerika haben Millionen Menschen ins Elend gestürzt.
Auch in Europa tragen sie erheblich zur Instabilität und wachsender
Arbeitslosigkeit bei. Die Einschränkung der Spekulation und
Verbesserung der Banken- und Kreditaufsicht sind deshalb zwei
wesentliche Aufgaben der Wirtschaftspolitik. Machtbegrenzung der
institutionellen Anleger und demokratische Kontrolle der Finanzmärkte
führen zu stabileren Wechselkursen und eröffnen den Spielraum für eine
langfristige soziale Entwicklung.
2. Eine massive Unternehmenskonzentration (Global Player) ist das
Ergebnis der "Globalisierung". Dies stellt eine ernste Gefahr für jede
demokratische Gesellschaft dar, da Unternehmensentscheidungen in dieser
Größenordnung zunehmend den Handlungsspielraum der Politik
einschränken. Eine wirksame gesellschaftliche Kontrolle der Konzerne im
Sinne einer Wirtschaftsdemokratie ist deshalb dringend notwendig.
3. Die internationale Standortkonkurrenz, die auf eine generelle
Absenkung der sozialen, gewerkschaftlichen und ökologischen Standards
abzielt, verhindert eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und führt zum
Verteilungskrieg. Der Sinn jedes ökonomischen Handelns liegt im
Gegensatz dazu in der Verbesserung der sozialen Situation der Menschen.
Aufgabe einer an sozialer Gerechtigkeit orientierten Politik ist daher
dem Konkurrenzmotiv das Mittel der Kooperation zur Verbesserung der
sozialen Situation entgegenzusetzen. Eine Demokratisierung der
internationalen Organisationen ist dafür unumgänglich.
4. Das weitere Anwachsen der Schulden der sog. Entwicklungsländer
gegenüber den Industriestaaten auf im Jahr 1997 mehr als 2 070 Mrd. US-
$ macht deutlich, daß die Schuldenkrise entgegen Voraussagen nicht
gelöst ist. Nur konsequente Entschuldung kann ein Ausweg sein und ein
erster Schritt, die Entwicklungsländer in eine soziale, gerechte und
demokratische Weltwirtschaftsordnung einzubeziehen. Die Bundesrepublik
Deutschland als eine der größten Gläubiger der Welt trägt dabei
besondere Verantwortung.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. im Rahmen der G8 Schritte zur Beschränkung kurzfristiger
Spekulationen an den Finanzmärkten u. a. durch die Kombination
folgender Maßnahmen einzuleiten:
-- Einführung einer Devisentransaktionsteuer (Tobin-Steuer). Alle
Transaktionen, die einen sofortigen Devisenumtausch zur Folge haben,
sind in voller Höhe ihres geldwerten Transaktionsvolumens mit einem
einheitlichen proportionalen Satz von 0,25 % zu besteuern;
-- Einführung besonderer Mindestreservepflichten für rein
projektunspezifische Forderungen der Banken, d. h. für solche
Bankkredite, die nicht für besondere Zwecke (Konsumgüterkäufe,
Investitionen, Handelsfinanzierung etc.) gewährt werden. Da Spekulation
in der Regel nicht mit eigenem, sondern mit geliehenem Geld erfolgt,
kann vermutet werden, daß derartige Kredite insbesondere an Hedge- und
Investmentfonds vorwiegend der kurzfristigen Finanzspekulation dienen.
Die Banken werden die Kosten für die Haltung der Mindestreserven an die
Kreditnehmer weitergeben, so daß sich ihr Engagement beträchtlich
verteuern und vermindern wird;
-- Erhebung von unverzinslichen oder niedrig verzinsten
Bardepoteinlagen bei Ausfuhr oder Einfuhr von Kapital, die diese
Transaktionen stärker verteuert als eine "Tobin-Steuer". Die Höhe der
Einlagen kann dabei nach dem Charakter und/oder der Fristigkeit der
Kapitalflüsse gestaffelt werden: hohe Sätze bei kurzfristigen und
riskanten, niedrige bei langfristigen und risikoärmeren Anlagen;
2. zur Verbesserung der Bankenaufsicht Initiativen zu ergreifen:
-- um die Transparenz zu erhöhen, indem die Off-Balance-Geschäfte
(vor allem mit Derivaten) ausgewiesen und in die Risikoberechnung mit
einbezogen werden;
-- um die Eigenkapitalvorschriften der Banken zu verschärfen und auf
alle Arten von Finanzinstituten auszudehnen. Die Einschätzung und
Kalkulation des Kreditrisikos ist nicht wie bisher den Instituten zu
überlassen, da dies dazu führt, die Eigenkapitalsicherung des
Kreditgeschäftes zu verringern. Die Eigenkapitalvorschriften bei
Kreditinstituten sind für den Derivatenhandel in verschärfter Form
anzuwenden und risikogewichtete Mindestreserven für die Geschäfte von
Investmentfonds sind einzuführen;
-- um eine Versicherungspflicht für internationale Kredite
einzuführen, damit private Risiken privat abgesichert und die Verluste
nicht, wie bisher üblich, auf den Steuerzahler abgewälzt werden;
-- um Off-Shore-Finanzzentren abzuschaffen, bzw. die Banken und
Finanzinstitutionen zu sanktionieren, die Geschäfte mit diesen Off-
Shore-Zentren durchführen;
3. sich mit dem Ziel einer wirksamen Kontrolle der Konzerne im Sinne
einer Wirtschaftsdemokratie dafür einzusetzen:
-- ein internationales Kartellrecht aufzubauen, das die
Unternehmenskonzentration wirkungsvoll verhindert. Dazu dient u. a. die
Festlegung von Obergrenzen für Weltmarktanteile von Transnationalen
Konzernen (TNK). Des weiteren ist hinsichtlich eines internationalen
Wettbewerbsrechts dafür zu sorgen, daß eine Positivdiskriminierung für
kommunale, regionale und nationale Unternehmen, insbesondere in
Entwicklungsländern, möglich wird;
-- eine internationale Harmonisierung der Besteuerung von TNKs
einzuführen. Das heißt jedoch nicht, daß die Steuersätze auf das
niedrigste internationale Niveau gesenkt werden. Ein Ausweichen durch
Verlagerung der Konzernzentrale in "Steueroasen" ist wirkungsvoll zu
unterbinden. Daneben ist dafür zu sorgen, daß die Gewinne der TNKs der
Besteuerung in dem jeweiligen Land zugänglich sind;
-- eine weitreichende Publizitäts- und Offenlegungspflicht für die
Unternehmen weltweit einheitlich zu regeln, um die Informationsdefizite
zu minimieren und die Strategien der Konzerne der politischen
Diskussion frühzeitig zugänglich zu machen;
-- Maßnahmen zur Sicherung und Ausweitung der Mitbestimmungsrechte im
Prozeß der Transnationalisierung der Konzerne und der Fusionierung,
insbesondere zur Beschäftigungssicherung, zu ergreifen, denn sie sind
vom Abbau sozialer und gewerkschaftlicher Standards begleitet und mit
Beschäftigungsabbau verbunden;
-- ein Moratorium bezüglich aller Vereinbarungen zum Abbau der
Regulierung von ausländischen Direktinvestitionen (ADI) im Rahmen der
internationalen Organisationen oder der Industrieländer (OECD, WTO,
NAFTA, EU etc.) zu verhängen;
-- die Folgeverhandlungen zum multilateralen Investitionsabkommen --
MAI --, die mit der Millenium-Runde der WTO Ende 1999 in Teilen wieder
aufgenommen werden, abzulehnen. Verhandlungen über
Investitionstätigkeiten sind im Rahmen der UNO zu führen. Hier sind die
für Umwelt und Soziales zuständigen Organisationen wie UNEP, IAO,
UNCTAD und die Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD)
einzubinden;
-- bei der Revision der OECD-Leitsätze für TNKs (Beginn 1999) die
IAO-Kernforderungen als rechtsverbindliche Grundlagen einzubeziehen;
-- daß die Multilaterale Investitions Garantie Agentur (MIGA) nur
dann zur Risikoabsicherung von Direktinvestitionen bereit steht, wenn
die Einhaltung wirksamer sozialer und gewerkschaftlicher Standards
sichergestellt ist;
-- eine Verabschiedung eines europäischen Verhaltenskodex für in
Entwicklungsländern tätige europäische Unternehmen inklusive eines
Überwachungsrahmens zu unterstützen. Alle freiwilligen Kodizes dienen
lediglich als Ergänzung, nicht als Ersetzung von rechtsverbindlichen,
sanktionsfähigen völkerrechtlichen Verträgen;
4. der internationalen Konkurrenz um die geringsten sozialen,
gewerkschaftlichen und ökologischen Standards entgegenzutreten und
dafür zu sorgen, daß:
-- die Regierungen ihrer internationalen Handelspartner der
Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) beitreten und "Die Erklärung
der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ihre
Folgemaßnahmen" aus dem Jahr 1998 ratifizieren;
-- die IAO in die Lage versetzt wird, Sanktionen gegenüber Ländern,
die ratifizierte Verträge nicht einhalten, zu verhängen. Zusätzlich
wird den betroffenen Beschäftigten und/oder den Gewerkschaften ein
Klagerecht zugestanden, welches Sanktions- und Schadensersatzregelungen
beinhalten müssen;
-- die Exportkreditvergabe (Hermes etc.) an die Durchsetzung und
Einhaltung dieser Standards gebunden wird;
-- Unternehmen, die in ihren ausländischen
Tochterfirmen/Beteiligungen etc. Verletzungen dieser Mindeststandards
nicht beheben, von öffentlichen Ausschreibungen sowie
Förderungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden;
-- jede Direktinvestition mit dem Ausbau der sozialen Infrastruktur
in dem betreffenden Land zu verbinden ist. Das heißt ein bestimmter
Prozentsatz der gesamten Investitionssumme ist für den Bau von Schulen,
Gemeindehäusern, Gesundheitszentren etc. bereitzustellen;
-- die Erhöhung der Qualifikation und Verbesserung des
Arbeitsschutzes nach modernen Standards durch das Unternehmen vor Ort
geleistet wird und hierfür Mittel und Personal bereitgestellt werden;
-- die Sonderwirtschaftszonen oder sogenannte Freie Produktionszonen
unverzüglich abgeschafft und keine weiteren eingerichtet werden;
5. Initiativen für eine grundsätzliche Demokratisierung von IWF,
Weltbank und WTO zu ergreifen, indem:
-- der IWF sich darauf konzentriert, kurzfristige, nicht an Auflagen
gebundene, Liquiditätshilfen zu vergeben. Strukturreformen dürfen kein
Bestandteil von IWF-Programmen sein. Die strukturpolitischen Maßnahmen
sind Aufgaben der Weltbank;
-- generell die Transparenz der Projekte und der Politik erhöht wird.
Dies ist durch die öffentliche Kontrolle der
Entwicklungsprüfungsberichte und umfassende, frühzeitige Beteiligung
der nationalen Parlamente zu ermöglichen, indem den zuständigen
Fachausschüssen die Jahresarbeitsplanung der Sitzungen der
Exekutivdirektoren von IWF und Weltbank und ihre Aktualisierungen
regelmäßig vorzulegen sind. Des weiteren den Fachausschüssen die Liste
der diskutierten Projekte termingerecht zugänglich gemacht und das
Verfahren der Geheimprotokolle (letter of intent) für Beistandskredite
beendet wird;
-- ein Weltwirtschaftsrat im Rahmen der Vereinten Nationen (VN)
eingerichtet wird, der die Abstimmung zwischen IWF, Weltbank, WTO und
den anderen VN-Entwicklungsorganisationen übernimmt, die globale
Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Umweltpolitik koordiniert und die
politische Ausrichtung aller internationalen Wirtschaftsinstitutionen,
einschließlich IWF und Weltbank, überwacht;
6. konsequente und weitreichende Schritte zur Entschuldung der
Entwicklungsländer zu initiieren und sich für deren Umsetzung bilateral
und im Kreis der multilateralen Gläubiger einzusetzen, das heißt:
-- bilaterale Handlungsmöglichkeiten für einseitige Maßnahmen zum
Schuldenerlaß voll auszuschöpfen, sofortige bilaterale Schuldenerlasse
für die ärmsten Länder über die Vereinbarungen des Pariser Clubs hinaus
zu erlassen und auf die Forderungen der ehemaligen DDR gegenüber den
Entwicklungsländern zu verzichten;
-- Schuldenerlasse dürfen nicht zu Lasten der entwicklungspolitischen
finanziellen Zusammenarbeit erfolgen. Der Entwicklungshilfeetat muß in
der Bundesrepublik Deutschland und bei allen G8-Staaten auf die
international geforderten 0,7 % des Bruttosozialprodukts (BSP)
angehoben werden;
-- über die Initiative der Bundesregierung zur Entschuldung von 5
weiteren hochverschuldeten, armen Staaten (HIPC) hinaus, auf sämtliche
bilateralen Forderungen gegenüber den hochverschuldeten armen Ländern
im Sinne der Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und der
Beförderung einer menschenwürdigen Entwicklung für alle Teile der
Bevölkerung zu verzichten;
-- sich im Rahmen der G7, der OECD, des Pariser Clubs und gemeinsam
mit den multilateralen Gläubigern für eine Reform des
Schuldenmanagements einzusetzen. Dazu gehören neben den entsprechenden
Reformen, Überprüfungen und der Neudefinierung von Kriterien,
Schuldenobergrenzen und Kennziffern, wie "Tragfähigkeit" von Schulden,
auch der Aufbau eines internationalen Insolvenzrechts. Hierbei sind
soziale, gewerkschaftliche und ökologische Standards zu
berücksichtigen.
Bonn, den 29. April 1999
Ursula Lötzer
Rolf Kutzmutz
Dr. Uwe-Jens Rössel
Eva-Maria Bulling-Schröter
Dr. Barbara Höll
Carsten Hübner
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung
1. Die Ablösung des Bretton-Woods-Systems durch das System der
flexiblen Wechselkurse, die weltweite Liberalisierung des
grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs, die jahrzehntelange
Umverteilungspolitik zugunsten von Gewinnen und Vermögen, sowie die
transaktionsbeschleunigende Informations- und Kommunikationstechnologie
haben zu einer enormen Ausweitung des Handels auf den Finanzmärkten,
heftigen Kursschwankungen, Instabilitäten und Wachstumskrisen auf den
jeweiligen Binnenmärkten beigetragen. Die Wachstumskrise drückte sich
darin aus, daß durch Sättigung der Märkte, Schwächung der Nachfrage,
hoher Arbeitslosigkeit und die Verschuldungskrise der
Entwicklungsländer, die Industrieproduktion nicht mehr absorbiert
wurde. Das Ausbleiben einer konsequenten Wirtschaftspolitik gegen diese
Wachstumsschwäche, die die Verteilungsfrage, eine wirkliche
Nachfrageorientierung, den Ausbau des Wohlfahrtsstaats und eine "Neue
Weltwirtschaftsordnung" ins Zentrum hätte stellen müssen, führte zur
Entstehung von Überschußkapital, welches nicht mehr in der realen
Wirtschaft investiert, sondern verstärkt auf den Finanzmärkten angelegt
wurde.
2. Zwischen 1979 und 1994 stieg der Umsatz an den Devisenmärkten um das
80fache, während der Welthandel sich nur um das 2 12fache erhöhte. Die
Finanzmärkte üben damit einen starken Einfluß auf die nationale Geld-,
Finanz- und Wirtschaftspolitik aus. Zirka 80 % aller Finanzgeschäfte
haben eine Laufzeit von weniger als 7 Tagen, die Hälfte davon eine
Laufzeit von 2 Tagen. Nur ein geringer Teil der Finanztransaktionen ist
auf den realwirtschaftlichen Export/Import oder einen langfristigen
Kapitalzufluß für Investitionen zurückzuführen. Währungen werden
gehandelt, um durch die Ausnutzung minimaler Kurs- und Zinsunterschiede
(Arbitragegeschäften) an verschiedenen Standorten Gewinne schnell zu
realisieren. Bei der Destabilisierung der Finanzmärkte spielen die
Hedge- und Investmentfonds eine herausragende Rolle. Ihre finanzielle
Verflechtung mit dem Bankensystem ist entscheidend, da ihnen hohe
Bankkredite zur Verfügung gestellt werden, die sie als "Kredithebel"
nutzen können. Die Verbesserung der Bankenaufsicht ist somit
unabdingbar, sollen die Instabilitäten, die sich aus der
Zahlungsunfähigkeit bei Verlusten ergeben und die damit verbundenen
Kettenreaktionen minimiert werden.
Sollte die Begrenzung der Spekulation, die Verbesserung der
Bankenaufsicht und die Reform von IWF und Weltbank nicht zur
Stabilisierung beitragen, so ist über die Einführung von
Kapitalverkehrskontrollen zu diskutieren, und es sind hierfür
Vorschläge auszuarbeiten. Laut Artikel VI der IWF-Statuten, des 1961
verabschiedeten OECD-Code zur Liberalisierung des Kapitalverkehrs und
der Artikel 57 bis 60 des EU-Vertrages von Amsterdam, sind
Kapitalverkehrskontrollen durchaus zulässig. Die Finanzmarkteinbrüche
in Südostasien haben verdeutlicht, daß sich die Finanzsphäre nicht
dauerhaft von der realökonomischen Basis lösen kann, und daß
Finanzkrisen einschneidende realwirtschaftliche Rückkopplungen und
soziales Elend hervorrufen, deren Ausmaß und Ausbreitung kaum
vorhersehbar sind.
3. Der Anstieg der ausländischen Direktinvestitionen (ADI) gilt neben
dem internationalen Handel und den liberalisierten Finanzmärkten als
dritte Säule der "Globalisierung". Der Anstieg der
grenzüberschreitenden Direktinvestitionen ist vor allem auf den hohen
Anteil an Investitionen für Fusionen und Beteiligungen zurückzuführen.
Diese beliefen sich 1997 laut Weltinvestitionsbericht 1998 der UNCTAD
auf 236 Mrd. US-$ und bilden damit 35 der gesamten weltweiten
Investitionsflüsse. Dabei geht es vor allem um die Restrukturierung der
unternehmensspezifischen Wertschöpfung und der strategischen
Erschließung "neuer" Märkte. Die USA, England, Frankreich und
Deutschland sind die Länder, die den größten Anteil an diesen
Investitionen verzeichneten, wobei sich generell auf die Gruppe der
Industrieländer insgesamt 90 % der globalen Fusions- und
Beteiligungsinvestitionen konzentrieren. Transnationale Konzerne (TNK)
sind die Hauptakteure des Investitionsbooms. Der
Weltinvestitionsbericht 1998 zählt 53 000 TNK mit 450 000 ausländischen
Tochtergesellschaften. Die einhundert größten Unternehmen (gemessen an
ihrem ausländischen Kapitalstock) verfügen über Auslandsaktiva in Höhe
von 1,8 Billionen US-$ und somit über 14 % des weltweiten
Auslandskapitals. Diese ökonomische Konzentration ist eine ernste
Gefahr für jede demokratische Gesellschaft, da
Unternehmensentscheidungen in dieser Größenordnung zunehmend den
Handlungsspielraum der Politik einschränken. Eine wirksame
gesellschaftliche Kontrolle der Konzerne im Sinne einer parlamentarisch
legitimierten Wirtschaftsdemokratie ist deshalb dringend notwendig.
Hinsichtlich des Internationalisierungsgrades von Unternehmen und ihrer
weltweiten Mobilität ist jedoch zu differenzieren. Nach wie vor ist die
"Heimatorientierung und der nationale Standort" der TNKs
ausschlaggebend. Dies beinhaltet sowohl die Produktionsstruktur, den
Handel mit Waren und Dienstleistungen, Investitionstätigkeit und die
Rückflüsse der Gewinne sowie getätigten Forschungs- und
Entwicklungsausgaben. Eine Transnationalisierung der Unternehmen, die
als vollkommene Lösung von den nationalen Standorten und eine
permanente Unternehmensverlagerung definiert wird, gibt es nicht.
Nationaler politischer Handlungsspielraum existiert damit sehr wohl,
zumal dieser durch eine wirkungsvolle Koordinierung auf europäischer
Ebene noch vergrößert werden kann. Durch den zunehmenden
Konzentrationsprozeß hat mittlerweile in vielen Wirtschaftssektoren
(Chemische Industrie, Automobilbau, Banken und Versicherungen) eine
kleine Gruppe von TNKs eine marktbeherrschende Stellung erlangt. So
kontrollieren beispielsweise in der EU die jeweils 5 führenden Konzerne
73 % der Produktion optischer Geräte, 71 % der Computerproduktion, 63 %
der Automobilfabrikation und 56 % der Tabakindustrie. Die
"Globalisierung" ist somit ein Prozeß der Konzentration und der
zunehmenden regionalen Integration innerhalb der Gruppe der OECD-
Staaten.
Das Wachstum der ADI im Dienstleistungsbereich hängt eng mit der
weltweiten Liberalisierung der länderübergreifenden
Direktinvestitionstätigkeit für die Bereiche Produktion und Handel
zusammen. Da diese Dienstleistungen in der Regel nicht exportiert
werden können und deshalb auch keine Wahlmöglichkeit zwischen Export
und Produktion vor Ort (wie bei Industriegütern) besteht, können sie
nur dann von ausländischen Unternehmen angeboten werden, wenn das
entsprechende Land Investitionen aus dem Ausland gestattet.
Gleichzeitig bedarf es hinsichtlich der Erschließung von Märkten (als
ein Hauptmotiv der ADI) dem Auf- und Ausbau einer Vertriebs- und
Servicestruktur, die entweder den Absatz der Waren (Import/Export der
eigenen Produkte) und/oder die eigene Produktion auf diesem
"ausländischen" Markt komplettiert. Das heißt die Investitionen sind
vor allem handelsbegleitender Art und/oder ergeben
Agglomerationsvorteile.
Ausschlaggebend für sämtliche ADI ist das Wachstum des Binnenmarktes in
den Zielländern bzw. die sinkenden Absatzmöglichkeiten auf den
heimischen Märkten. Die Lohnhöhe, respektive die Höhe der
Lohnstückkosten, ist dabei nicht das Hauptmotiv für
Direktinvestitionen. Zwar spielen Lohnkosten eine gewisse Rolle, wenn
international operierende Unternehmen aus dem produzierenden Sektor
jenseits der eigenen Grenze investieren. Dieses Investitionsmotiv hat
aber selbst laut OECD insgesamt eine untergeordnete Bedeutung.
Forderungen nach Senkung der Lohnstückkosten und der Androhung der
Standortverlagerung haben deshalb vor allem das Ziel, die Beschäftigten
im Verteilungskonflikt zu disziplinieren und den Sozialstaat zu
diskreditieren.
4. Der Wettlauf nach unten, um die geringsten sozialen,
gewerkschaftlichen und ökologischen Standards, wird durch die bisherige
Politik der führenden Industrienationen auf die internationale Ebene
transformiert. Dieses Problem hat das Abhängigkeitsverhältnis zwischen
Industrieländern und Entwicklungsländern weiter verschärft. Die
Entwicklungsmöglichkeiten dort sind unmittelbar an die soziale und
ökonomische Situation hier gebunden. Das heißt, werden soziale,
gewerkschaftliche und ökologische Standards der Industrieländer nicht
weltweit durchgesetzt und erhöht, so führt deren Unterschreitung in den
"Entwicklungsländern" zu politischem Druck auf die Lohnabhängigen in
den Industrienationen von ihren sozialen Forderungen abzurücken, um die
Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Der Abbau sozialer Sicherungssysteme
und gewerkschaftlichen Standards in den Industrienationen verhindert
somit unmittelbar eine soziale Entwicklung in den
"Entwicklungsländern".
Die internationale Standortkonkurrenz, die auf eine generelle Absenkung
der sozialen, gewerkschaftlichen und ökologischen Standards abzielt,
kann über die Sonderwirtschaftszonen/Freien Produktionszonen massiv
verstärkt werden. Mit der Einführung von Sonderwirtschaftszonen in den
Industrieländern selbst (z. B. NRW in der Bundesrepublik Deutschland)
läßt sich diese Standortkonkurrenz auch hier bei uns noch einmal
verschärfen. Der Existenz und weiterer Einrichtung dieser Zonen ist
entgegenzutreten, da diese rechtsfreien Räume den Unternehmen die
Möglichkeit eröffnen, eine "Exit-Option" zu wählen. Alle Standards
könnten sonst unterlaufen werden.
5. Trotz hoher Wachstumsraten in einigen Regionen hat sich die soziale
Situation für die Bevölkerungsmehrheit nicht verbessert. Selbst in den
asiatischen Schwellenländern, die durch hohe Wachstumsraten
gekennzeichnet waren, existiert keine hinreichende soziale Sicherung.
Dem verlorenen Jahrzehnt für die Entwicklungsländer aufgrund der
Verschuldungskrise in den 80er Jahren werden sich so am Ende der 90er
Jahre durch die Asien-, Rußland- und Lateinamerikakrise weitere
verlorene Jahre anschließen. Der politische Auftrag lautet deshalb in
einem ersten Schritt, die sozialen und gewerkschaftlichen
Mindeststandards verbindlich zu regeln und durch Sanktionsmöglichkeiten
auf nationaler und internationaler Ebene zu flankieren. Damit werden
gleichzeitig umfassende Reformen der internationalen Institutionen
(IWF, WB, WTO) und ihrer wirtschaftspolitischen Ausrichtung
unumgänglich.
Die Konzeption von IWF, Weltbank und WTO sind zu revidieren, weil sie
der Durchsetzung sozialer, gewerkschaftlicher und ökologischer
Standards entgegenstehen. IWF und Weltbank verlangen bei Kreditvergabe,
Einbindung in den Verhandlungsrahmen etc. die Umsetzung der
Strukturanpassungsprogramme, was eine strikte Austeritätspolitik
(Konsolidierung der Staatshaushalte, Deregulierung und
Flexibilisierung) erfordert. Gerade die Bereiche Soziales, Ökologie und
Kultur sind am stärksten von Kürzungen betroffen. Verlangt man jedoch,
daß die Mindeststandards überall gelten sollen und Verbesserungen der
Lebenssituation anzustreben sind, so wird dies durch die offizielle
Entwicklungspolitik der internationalen Institutionen konterkariert.
Die WTO ist durch ihre Satzung auf eine innere Struktur fixiert, die
eine Liberalisierung und Deregulierung des Welthandels als zentrales
Organisationsmandat festlegt. Deshalb werden ökologische, soziale und
gewerkschaftliche Belange, die Handelsfragen und Investitionsverhalten
hinsichtlich einer politischen Regulierung berühren, systematisch
ausgeschlossen.

04.05.1999 nnnn

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